Leseprobe_Lost & Found
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Fraktal<br />
Band 2<br />
Josef Focht, Heike Fricke<br />
<strong>Lost</strong> & <strong>Found</strong><br />
Die Klarinetten<br />
des Fürsten
<strong>Lost</strong> & <strong>Found</strong><br />
Die Klarinetten des Fürsten<br />
1
FRAKTAL<br />
Enhanced Publications zur Organologie<br />
Herausgegeben von<br />
Josef Focht<br />
Band 2<br />
Josef Focht<br />
Heike Fricke<br />
<strong>Lost</strong> & <strong>Found</strong><br />
Die Klarinetten des Fürsten<br />
2
Josef Focht<br />
Heike Fricke<br />
<strong>Lost</strong> & <strong>Found</strong><br />
Die Klarinetten des Fürsten<br />
3
FRAKTAL<br />
Enhanced Publications zur Organologie<br />
Herausgegeben von Josef Focht<br />
<strong>Lost</strong> & <strong>Found</strong>. Die Klarinetten des Fürsten<br />
Josef Focht, Heike Fricke<br />
Hollitzer Verlag, Wien 2024<br />
Layout und Satz: Nikola Stevanović<br />
Hergestellt in der EU<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
www.hollitzer.at<br />
ISBN 978-3-99094-198-0<br />
ISSN 2960-4745<br />
4
Dem Team der Forschungsstelle<br />
DIGITAL ORGANOLOGY<br />
am Musikinstrumentenmuseum<br />
der Universität Leipzig<br />
mit herzlichem Dank gewidmet<br />
5
6
Inhalt<br />
Entdeckt! 9<br />
Dramatis Personae 14<br />
Frühe Klarinetten 18<br />
Klarinetten um 1800 23<br />
Erweiterung des Tonvorrats 27<br />
Klarinetten verschiedener Größen 31<br />
Die Ausbildung zum Klarinettisten 36<br />
Backofen, der Instrukteur 40<br />
Vom Infanterie-Regiment zur Harmoniemusik 47<br />
Die Repräsentation von Macht und Pracht 56<br />
Das Wissen der Zeitgenossen 64<br />
Spohr meets Hermstedt 80<br />
In neuem Licht betrachtet 93<br />
Entschlüsselt: Spohrs rätselhafte Vorrede 95<br />
Die ästhetische Diskussion vom guten Ton 98<br />
Der Terminkalender Hermstedts 100<br />
Müllers Reform 103<br />
Vom verbesserten Bassetthorn zur Reformklarinette 109<br />
Eine chromatische Klarinette 114<br />
Streitwolf, der Instrumentenmacher 125<br />
Sondershäuser Schätze 144<br />
Innovation 165<br />
Mancando 171<br />
Anhang 175<br />
7
8
Entdeckt!<br />
Das Schatzkästchen ist aus fein gemasertem Mahagonny-Holz,<br />
der Deckel mit sorgfältig zu einem geometrischen Muster gearbeiteten<br />
Intarsien versehen, in seiner Mitte prangen – umrahmt<br />
von silbernen Lorbeerzweigen und einer Lyra – die bekrönten<br />
Initialen GFK. So gut hat ihr die Schatulle aus dem Besitz ihres<br />
Ahnen gefallen, dass sie diese sogar mit in das Mädchenpensionat<br />
nahm, das sie in ihrer Schulzeit besuchte. Aufbewahrt wurden in dem<br />
mit rotem Samt ausgeschlagenen Kästchen die Musikinstrumente<br />
ihres Vorfahren Johann Simon Hermstedt: aus Ebenholz, Elfenbein<br />
und Silber hergestellte Klarinetten, die erkennen lassen, dass<br />
dieser nicht irgendein Klarinettist gewesen sein kann. Obwohl sie<br />
selbst kein Musikinstrument spielt, begleitet sie ihr Erbstück bei<br />
jedem Umzug, durch das Medizinstudium und die vielen Praxisjahre.<br />
Im September 2009 hört sie im Konzert die Klarinettistin<br />
Sabine Meyer mit eben jenem Konzert von Louis Spohr, welches<br />
der Komponist für ihren Vorfahren schuf. Sie ist begeistert vom<br />
Vortrag der Künstlerin und schreibt ihr kurzentschlossen einen<br />
Brief:<br />
„Sehr geehrte Frau Meyer,<br />
DANKE für Ihren Beitrag zu einem erlebnisreichen Abend<br />
(19.09.2009) in Seesen. Beim Lesen des Programmheftes sind mir<br />
Geschichten zu Herrn Johann Simon Hermstedt eingefallen, die<br />
mein Vater (1901 geboren) gelegentlich unter der Überschrift ‚und<br />
jetzt zu Simon‘ im Familienkreis erzählt hat.<br />
Die Kassette ist von der Familie auf allen Reisen durch alle Krisenzeiten<br />
mitgeschleppt und deshalb leider in keinem guten Zustand<br />
(ebenso wie das Instrument) – sicher ist beides eine Gabe des Fürsten<br />
9
von Sondershausen an Herrn J. Simon Hermstedt.<br />
Sehr geehrte Frau Meyer, ob Sie an den genannten Überresten meiner<br />
Familie aus dem 19. Jahrhundert interessiert sind? Ich würde Ihnen<br />
die Kassette schenken.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Ihre E Wencker-Hermstedt“<br />
Sabine Meyer und ihr Ehemann Reiner Wehle teilen sich von<br />
1993 bis 2022 eine Professur für Klarinette und Kammermusik<br />
an der Musikhochschule Lübeck. Sie besuchen Frau Wencker-<br />
Hermstedt, die Sabine Meyer in Verehrung ihres musikalischen<br />
Wirkens das Schatzkästchen mit Instrumenten aus Familienbesitz<br />
schenkt. Meyer-Wehles wissen um die musikhistorische Bedeutung<br />
der Instrumente Hermstedts und gewähren interessierten<br />
Studierenden und Kolleginnen Zugang, denken aber, dass das<br />
Schatzkästchen mit seinem wertvollen Inhalt zur Bewahrung,<br />
Beforschung und Präsentation in einer Wissenschaftssammlung<br />
besser aufgehoben wäre und kontaktierten die Autoren dieses<br />
Buchs.<br />
Aus edlem Ebenholz besteht die Klarinette, ihr goldfarbenes<br />
Mundstück ist mittels einer kostbar mit Elfenbein verkleideten<br />
Manschette, der sogenannten Birne, auf das Korpus gesteckt. Die<br />
ausgesuchten Materialien – Mahagonny, Ebenholz, Elfenbein<br />
und Silber – stammen aus der ganzen Welt und demonstrieren<br />
den Repräsentationswillen des Auftraggebers Günther Friedrich<br />
Karl – GFK –, des Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen. Das<br />
wertvolle Geschenk – denn als solches hat sich das Schatzkästchen<br />
samt Inhalt herausgestellt – zeugt von der Wertschätzung, die der<br />
Fürst seinem Hofmusikus entgegenbrachte.<br />
Um die einzelnen Teile der zerlegten Klarinetten in diesem<br />
Kästchen sicher zu transportieren, werden sie in einem klug arrangierten<br />
System aus beweglichen Säulchen und halbrunden Stützen<br />
arretiert. Im Deckel des Schatzkästchens sind zwei Schubläden<br />
für Zubehör untergebracht. Wenn man sie vorsichtig herauszieht,<br />
findet man ein mit rotem Samt und grüner Seide ausgeschlagenes<br />
Etui, das die Klarinetten-Rohrblätter aus Arundo Donax enthält<br />
– vermutlich noch aus dem Gebrauch des Klarinettenvirtuosen<br />
10
Instrumentenschatulle aus dem Besitz Johann Simon Hermstedts, Göttingen um<br />
1828, Instrumentensammlung Klangkörper der Universität Tübingen (TÜKK) D04<br />
und ungemein aufschlussreich für die Forschung. Zum Schutz<br />
der empfindlichen und vom Spieler selbst sorgfältig hergestellten<br />
Blätter sind sie mit einem hübsch besticktem Seidenkissen<br />
bedeckt: Jedes Detail in der Bereitstellung und Aufbewahrung<br />
von Musikinstrumenten und Zubehör zeugt von Bedacht und<br />
Umsicht.<br />
Die Gestaltung des Schatzkästchens und ein weiter unten<br />
zitierter Zeitungsbericht deuten darauf hin, dass es einmal zwei<br />
Klarinetten enthielt. Zudem benötigt bis heute jeder professionelle<br />
Klarinettist zur Bewältigung der Konzertliteratur zwei<br />
Klarinetten: eine in A und eine in B. Wo nun könnte diese zweite<br />
Klarinette Hermstedts geblieben sein?<br />
„Leider kann ich mich wirklich nicht an Erwähnenswertes<br />
erinnern – rund um Simon Hermstedt und seine Klarinette, die<br />
Jahrzehnte lang jeden Umzug mitgemacht hat,“ schreibt uns die<br />
Vorbesitzerin der B-Klarinette. „Ich weiß nicht einmal mehr, warum<br />
die Klarinette bei mir gelandet ist. Ich bin Kind Nr. 4 in der<br />
11
Familie Hermstedt gewesen. Ich weiß, dass meine Großmutter<br />
(Clara Hermstedt, geb. Schumann aus Gleichau) zu Zeiten von<br />
BRD / DDR gelegentlich Kisten mit Geschirr, selbst genähten<br />
Puppenkleidern und Büchern geschickt hat. Es ist möglich, dass<br />
in einer dieser großen Holzkisten auch eine Klarinette zu uns gereist<br />
ist. Jedenfalls hat sie – unbeachtet von mir – dann ihre Zeit<br />
hier verbracht.“<br />
Ganz sicher weiß die Vorbesitzerin, dass ihr Schatzkästchen<br />
immer nur diese eine Klarinette enthalten hat. Es ist denkbar, dass<br />
die zweite, etwas größere Klarinette in A von der Großmutter<br />
Clara Hermstedt einem anderen Enkel oder Familienangehörigen<br />
übergeben wurde. Möglicherweise wurde der Satz auch schon<br />
früher in der Familie aufgeteilt. Heute wissen wir das nicht.<br />
Dass das vorliegende Schatzkästchen tatsächlich die Klarinette<br />
des Virtuosen Hermstedt enthält, und dass es sich dabei um ein<br />
Geschenk seines Dienstherrn handelt, zeigt unsere Spurensuche.<br />
Denn im August 1828 berichtet die Zeitung für die elegante Welt vom<br />
dritten Musikfest an der Elbe und einem privaten Zusammentreffen<br />
am Rande dieses Festivals:<br />
„Freund Hermstedt war auch gegenwärtig und so fröhlicher<br />
Laune, daß er, auf den Wunsch der freundlichen liebenswürdigen<br />
Dame des Hauses, seine Clarinette holen ließ und ebenfalls begleitete,<br />
und wie! Bei dieser Gelegenheit zeigte letzterer auch das schöne<br />
Geschenk seines kunstliebenden Fürsten: zwei neue, von Streitwolf<br />
in Göttingen gearbeitete Clarinetten, B und A, von Ebenholz,<br />
mit vielen silbernen Klappen und vergoldeten Schnäbeln, in einem<br />
schön mit silbernen Verzierungen und Sammet ausgelegten<br />
Mahagonny=Kästchen.“ (Musikfest 1828)<br />
Nicht nur diese Quelle beschreibt das neuerlich aufgefundene<br />
Schatzkästchen samt Inhalt, im Schlossmuseum Arnstadt hat sich<br />
ein Portrait Simon Hermstedts erhalten, auf welchem der Virtuose<br />
eben mit jener Klarinette abgebildet ist, deren Entdeckung uns zu<br />
diesem Buch inspirierte. Zum Ausgangspunkt unserer Spurensuche<br />
wird das überlieferte Objekt, welches so vieles gleichzeitig ist:<br />
das Ausdrucksmittel eines einflussreichen Virtuosen, das Produkt<br />
12
Portrait Hermstedts, unbezeichnete Fotografie, Sondershausen vor 1840,<br />
Schlossmuseum Arnstadt V32. Auf dem Bild ist die neuerlich aufgefundene<br />
Klarinette Hermstedts zuverlässig zu identifizieren.<br />
13
eines erfindungsreichen Instrumentenbauers, das Geschenk eines<br />
enthusiastischen Mäzens und die Inspiration eines bedeutenden<br />
Komponisten.<br />
Dramatis Personae<br />
Die Beziehungen zwischen Virtuosen, Instrumentenbauern und<br />
Komponisten sind in der Organologie von größtem Interesse:<br />
Manches Werk wäre wohl ohne die Mitarbeit von Instrumentenbauern,<br />
die nach Lösungen für die mitunter komplexen Ansprüche<br />
der Komponisten suchten, nicht aus der Taufe gehoben worden.<br />
Andererseits mögen klangliche und technische Möglichkeiten eines<br />
bestimmten Musikinstruments sowohl Virtuosen als auch Komponisten<br />
inspiriert haben – man denke nur an Mozarts Kompositionen<br />
für die Glasharmonika. Eine solche fruchtbare Beziehung war auch<br />
jene zwischen dem Komponisten Louis Spohr, dem Klarinettisten<br />
Johann Simon Hermstedt und dem Instrumentenbauer Johann<br />
Heinrich Gottlieb Streitwolf. Der Motor dieser Wechselwirkungen<br />
zwischen virtuoser Spielfähigkeit, kompositorischer Inspiration<br />
und instrumentenbaulicher Expertise war zweifellos Fürst Günther<br />
Friedrich Carl von Schwarzburg Sondershausen. Günther war<br />
musikalisch dilettierend aktiv, spielte Basshorn und diverse Blasinstrumente,<br />
war Klarinettenschüler Hermstedts und Begründer<br />
der sogenannten Loh-Konzerte in Sondershausen.<br />
Die Wirkungszeit unserer Protagonisten fällt in eine Epoche,<br />
in der sich die Klarinette eben erst als neues Instrument im Sinfonie-Orchester<br />
durchzusetzen begann. Es ist die Zeit, in der Franz<br />
Tausch in Berlin das Conservatorium der Blaseinstrumente gründete,<br />
die Zeit, in welcher der Klarinettist Heinrich Baermann Furore<br />
machte und schließlich die Zeit, in der die Klarinette durch Iwan<br />
Müller einer grundlegenden Neukonzeption unterzogen wurde.<br />
Es ist aber auch eine Zeit gesellschaftlicher und kultureller Umbrüche.<br />
So wurde das Konzert, das Erleben aufgeführter Musik<br />
öffentlich; es verlagerte sich zunehmend aus der Residenz in die<br />
Stadt; und weil dort noch keine geeigneten Räume vorhanden<br />
waren, zunächst ins Freie.<br />
14
Die Lohhalle in Sondershausen, Postkarte um 1900, Schlossmuseum Sondershausen.<br />
Aus dem frühneuzeitlichen Schießstand der höfischen Garde im Loh<br />
entwicklte sich in der Moderne das Podium eines bürgerlichen Konzertbetriebs<br />
in Sondershausen.<br />
Die 1797 von Fürst Günther initiierte Harmoniemusik, für die Spohr<br />
später sein Notturno Militare für Harmonie und Janitscharen-Musik komponierte,<br />
mit ihren öffentlichen Freiluftkonzerten ist ein Beispiel<br />
für diese Entwicklung. Ihr Vorbild war ohne Zweifel das 1781/1782<br />
in Wien innerhalb der kaiserlichen Hofmusikkapelle gegründete<br />
Bläser ensemble. Es bildete einen Meilenstein in der Entwicklung der<br />
Klarinette und des Orchesters. Neben den höfischen und adeligen<br />
Trägern emanzipierten sich jedoch zunehmend – und rasch sogar<br />
dominierend – bürgerliche Akteure. Ihre Rollen als Komponisten,<br />
Virtuosen, Verleger, Organisatoren, Instrumentallehrer oder<br />
Schriftsteller fanden gesellschaftliche Anerkennung und hohe Wertschätzung<br />
in Bildungskontexten. Die Musikfeste in Frankenhausen<br />
und an der Elbe oder auch das erwähnte Berliner Conservatorium für<br />
Blaseinstrumente sind in diesem Zusammenhang zu nennen.<br />
Für die Leitung seiner Harmoniemusik engagiert Fürst Günther<br />
1801 oder 1802 den jungen Klarinettisten Simon Hermstedt, der<br />
15
sich rasch als Ausnahmetalent herausstellt. Der musikbegeisterte<br />
Fürst schickt seinen Virtuosen nach Gotha zu Louis Spohr: mit<br />
einem üppig dotierten Kompositionsauftrag für ein Klarinettenkonzert<br />
in der Tasche. So gelingt mit Spohrs bedeutendem c-Moll-<br />
Konzert die Initialzündung für die Solistenkarriere Hermstedts.<br />
Weil Spohr in der berühmt gewordenen Vorrede zu diesem Konzert<br />
von „Unausführbarem“ und „Verbesserungen“ an Hermstedts<br />
Klarinette schreibt, gilt dem Instrument das brennende Interesse<br />
von Bläsern und Forschern. Wir wissen, dass Fürst Günther bei<br />
Streitwolf in Göttingen zahlreiche Klarinetten in Auftrag gab, von<br />
denen er Hermstedt einen Satz als Geschenk überließ, während er<br />
eine weitere für den eigenen Gebrauch behielt.<br />
Da über Hermstedts persönliche Musikinstrumente bis zum<br />
beschriebenen Auftritt Sabine Meyers gar nichts bekannt war,<br />
stellte eben diese Klarinette aus dem Besitz des Fürsten Günther<br />
lange Zeit die einzige Quelle für die Rekonstruktion der musikhistorischen<br />
Gegebenheiten im Kontext der Spohr-Konzerte dar<br />
– bis sie am Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Schlossmuseum<br />
Sondershausen verschwand. Lediglich ein heimatkundlicher<br />
Aufsatz in den Mitteilungen des Vereins für Deutsche Geschichts- und<br />
Altertumskunde in Sondershausen aus dem Jahr 1940, der die Klarinette<br />
des Fürsten Günther beschrieb, diente bis dato als Quelle für<br />
Mutmaßungen über Hermstedts Instrumente. Es kam aber noch<br />
besser: Eine erste Veröffentlichung zu Hermstedts wiederaufgefundener<br />
Klarinette in Sabine Meyers Besitz in der Zeitschrift<br />
‘rohrblatt (Fricke 2014a) führte – ganz und gar unerwartet – zum<br />
(Wieder-)Auffinden der Klarinette des Fürsten Günther. Im<br />
Herbst 2019 konnte das Musikinstrumentenmuseum der Universität<br />
Leipzig die über 70 Jahre lang verschollene Klarinette des<br />
Fürsten schließlich erwerben. Mit diesen Entdeckungen begann<br />
am Musikinstrumentenmuseum der Universität eine Spurensuche,<br />
die ausgehend von den Objekten den musikhistorischen<br />
Kontext und das Wirken verschiedener Protagonisten beleuchtet.<br />
Das vorliegende Buch ist ihren Ergebnissen gewidmet.<br />
Um alle Aspekte bestmöglich darzustellen, werden in wechselnder<br />
Perspektive die zeitgenössischen Beiträge zu den Instrumenten,<br />
die maßgeblichen Personen-Netzwerke des Fürsten<br />
16
Links: Klarinette in B, Johann Heinrich Gottlieb Streitwolf, Göttingen um<br />
1828, Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig (MIMUL) 9045.<br />
Tropenholz, Klappen versilbert, Ringe und Birne aus Elfenbein, Mundstück<br />
aus Metall; Gesamtlänge 688 mm; Müller-Typ mit 15 Klappen. Aus dem<br />
Vorbesitz des Fürsten Günther von Schwarzburg-Sondershausen<br />
Rechts: Klarinette in B, unsigniert, Johann Heinrich Gottlieb Streitwolf<br />
zugeschrieben, Göttingen um 1828, Instrumentensammlung Klangkörper<br />
der Universität Tübingen (TÜKK) D04. Ebenholz, Klappen aus Neusilber,<br />
Ringe und Birne aus Elfenbein, Mundstück aus Metall; Gesamtlänge 695<br />
mm; Müller-Typ mit 15 Klappen. Aus dem Vorbesitz von Johann Simon<br />
Hermstedt<br />
17
Günther, die Wirkungsorte des Virtuosen Hermstedt und die<br />
Entwicklungsgeschichte der modernen Klarinette, insbesondere<br />
in ihren Ressourcen an historischen Instrumenten und deren<br />
materielle Überlieferung in Sammlungen und Museen, vergleichend<br />
herangezogen. Genau diese Herangehensweise begründet<br />
schließlich auch die Aufnahme dieses Bandes in die Buchreiche<br />
FRAKTAL. Ihr Anliegen ist es, mit ausgesuchten und herausragend<br />
aussagekräftigen Objekten, Medien oder Persönlichkeiten<br />
das Verständnis der Organologie zu weiten und mit ihren Themen<br />
einzelne Kapitel der Musikgeschichte anschaulich zu machen.<br />
Frühe Klarinetten<br />
Zu ihrer Entstehungszeit waren die Klarinetten des Fürsten<br />
hochmoderne Holzblasinstrumente mit einem revolutionären<br />
Klappensystem und weiteren, bis heute aktuellen Features. Um<br />
den Stellenwert dieser Instrumente nachvollziehen zu können,<br />
sei ein Blick zurück gestattet: Um 1700 erfunden, kombiniert die<br />
Klarinette das zylindrische Korpus einer Blockflöte als Resonator<br />
mit einem Aufschlagzungenmundstück mit Einfachrohrblatt, das<br />
als Oszillator der Tonerzeugung dient. Ganz ähnlich wie andere<br />
Holzblasinstrumente ist eine Klarinette mit Grifflöchern versehen<br />
– die ersten Klarinetten, der zeitgenössischen Konvention<br />
entsprechend, mit sieben Grifflöchern auf der Vorderseite des<br />
Instruments und einem Daumenloch auf der Rückseite. Sind alle<br />
Grifflöcher mit den Fingerkuppen verschlossen, erklingt der tiefste<br />
Ton der Klarinette, weil die Luftsäule im Instrument über die<br />
gesamte Länge des Korpus schwingt. Durch das sukzessive Heben<br />
der Finger werden die Grifflöcher nacheinander freigegeben und<br />
es können neun verschiedene Töne einer Skala gespielt werden.<br />
Die Kombination von zylindrischer Bohrung und aufschlagender<br />
Zunge führt allerdings zu einem besonderen, irregulären<br />
Obertonspektrum: Anders als Oboe, Fagott, Quer- oder<br />
Blockflöte überbläst die Klarinette nicht in die Oktave, sondern,<br />
vergleichbar mit einer gedackten Orgelpfeife, in die Duodezime.<br />
18
Während durch stärkeren Anblasdruck bei den meisten Blasinstrumenten<br />
der zweite Partialton der Naturtonreihe erreicht,<br />
der Ausgangston also oktaviert wird, erklingt beim Überblasen<br />
der Klarinette der dritte Partialton, der eine Quinte höher steht<br />
als der zweite. Dies ist, als würde man beim Spielen Siebenmeilenstiefel<br />
tragen, denn man überwindet unvermeidlich größere<br />
Intervalle als erwartet. Dieses Phänomen ist der Grund für den<br />
außerordentlich großen Tonumfang der Klarinette von e0 bis<br />
c5. Ihr Obertonspektrum ist außerdem die Ursache für das komplexe<br />
Griffsystem des Instruments. Denn zum Ausschöpfen des<br />
Umfangs von einer Duodezime im Grundregister reichen sieben<br />
Grifflöcher natürlich nicht aus: Es müssen mehr Tonlöcher her. So<br />
sind bei der Klarinette oberhalb der üblichen sieben Grifflöcher<br />
zwei weitere Tonlöcher angebracht – jeweils eines auf der Vorderund<br />
der Rückseite. Da zum Abdecken der zusätzlichen Tonlöcher<br />
keine Finger frei sind, werden sie mit Klappen verschlossen, die<br />
im Ruhezustand die Tonlöcher abdecken.<br />
Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird der Tonumfang der Klarinette<br />
erweitert, zunächst in die Tiefe. Dazu wird ein Tonloch für<br />
den neuen Grenzton e0 unterhalb des Grifflochs für den bislang<br />
tiefsten Ton der Klarinette f0 gebohrt und – im Gegensatz zu den<br />
bereits erwähnten oberen Klappen – mit einer im Ruhezustand offenen<br />
Klappe ausgestattet. Der Klappendeckel verschließt das Tonloch<br />
für e0 erst, wenn der Heber mit dem kleinen Finger der linken<br />
Hand gedrückt wird. Dadurch wird die schwingende Luftsäule im<br />
Instrument verlängert und ein tieferer Ton erreicht. Gleichzeitig<br />
wird der überblasene Ton h1 gewonnen, so dass die Lücke zwischen<br />
dem tiefen Register und dem höheren, überblasenen nun geschlossen<br />
ist.<br />
Das Mundstück ist beim Spiel besonderen Belastungen ausgesetzt<br />
und muss ersetzt werden, wenn es ihnen nicht standhält. Deshalb<br />
wurde das Mundstück aus widerstandsfähigen Materialien gebaut<br />
und vom Instrumentenkorpus getrennt. Als Verbindungsstück dient<br />
ein nach seiner Form Birne oder Fässchen [engl. barrel, frz. baril]<br />
genannter Adapter, der aus Gründen der einfachen Handhabung<br />
bauchig (oder in England häufig sanduhrförmig) gebaut ist.<br />
19
20<br />
Klarinette in D, unsigniert, vermutlich<br />
Deutschland um 1740, Edinburgh<br />
University Collection of Historic<br />
Musical Instruments (EUCHMI) 5168.<br />
Wird der Klappenheber mit Zeigefinger<br />
bzw. Daumen niedergedrückt, öffnet<br />
sich die verschlossene Klappe und<br />
das Tonloch wird freigegeben. Eine<br />
Blattfeder bringt die Klappe zurück in<br />
ihre Ausgangsposition, wenn der Heber<br />
losgelassen wird. Ein quer verlaufender<br />
Messingstift dient als Achse für die<br />
bewegliche Lagerung einer Klappe.<br />
Zur Montage des Messingstifts lässt<br />
der Instrumentenbauer beim Drechseln<br />
des Korpus‘ einen umlaufenden Wulst<br />
stehen, dabei bezeichnet man das<br />
rechteckige Drechselprofil als Flachstab,<br />
das runde als Rundstab.<br />
Die beiden Klappen sind essenzieller<br />
Bestandteil des Instruments und<br />
gehören zu seiner Erfindung. Sie finden<br />
sich bis heute an jeder Klarinette.
Klarinette in C, Johann Wilhelm<br />
Oberlender, Nürnberg zwischen<br />
1735 und 1750, MIMUL 1470.<br />
In der ersten Hälfte des 18.<br />
Jahrhunderts wurden Klarinetten<br />
in dreiteiliger Struktur –<br />
Mundstück, Mittelstück, Fußstück<br />
– gebaut.<br />
21
Klarinette in C, August Grenser,<br />
Dresden 1777, MIMUL 1472<br />
In den Sammlungen und Museen<br />
haben sich nur sehr wenige dreiklappige<br />
Klarinetten erhalten.<br />
Denn meist haben Instrumentenbauer<br />
die Montage dieser Klappe<br />
mit einer weiteren Erweiterung<br />
des Tonvorrats verbunden. Zur<br />
Gewinnung des zusätzlichen Tons<br />
e0 wurde nämlich das Fußstück der<br />
Klarinette neu konzipiert. Zum einen<br />
wird der tiefere Grenzton erst<br />
durch Verlängerung des Fußstücks<br />
gewonnen; zum anderen erfordert<br />
die Anbringung einer seitlich<br />
verlaufenden Langstielklappe eine<br />
stabile Lagerung, mittels welcher<br />
der Heber beweglich, aber doch<br />
präzise geführt, das Tonloch sicher<br />
abdeckt. Dazu ließ man beim<br />
Drechseln des Korpus den umlaufenden<br />
Wulst stehen, der tropfen-,<br />
kugel- oder glockenförmig ist.<br />
Gelegentlich wird dieser Heber<br />
auf der Rückseite der Klarinette<br />
angebracht und mit dem Daumen<br />
der unteren Hand betätigt. Eine<br />
zunehmende Standardisierung der<br />
Handposition ging mit der weiteren<br />
technischen Entwicklung der<br />
Klarinette Hand in Hand. Denn<br />
das neu gestaltete Fußstück mit<br />
Wulst ermöglicht nicht nur die<br />
Montage einer schließenden Langstielklappe<br />
für e0/h1, sondern auch<br />
eine im Ruhezustand geschlossene<br />
Langstielklappe zum Öffnen eines<br />
Tonlochs für fis0/cis2, deren Heber<br />
22
parallel zu dem der e-Klappe verläuft. Diese beiden Heber wurden<br />
mit dem einzigen noch freien Finger, dem kleinen Finger der linken<br />
Hand, bedient. Schließlich schafft die Verlängerung des Fußstücks<br />
den Raum, und der stehengelassene Wulst die technische Voraussetzung<br />
für die Montage einer im Ruhestand verschlossenen chromatischen<br />
Klappe für gis0/es2, auf die noch einzugehen ist. Diese<br />
vier in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts neu entwickelten<br />
Gestaltungsmittel des Fußstücks – das in den Wulst schräg gebohrte<br />
f-Loch und die drei Klappen – bilden eine instrumentenbauliche<br />
Einheit. Es entsteht die 5-klappige Klarinette als Standardmodell<br />
für die Kompositionen der Wiener Klassik.<br />
Klarinetten um 1800<br />
Die Neukonzeption des Fußstücks zieht allerdings auch die Notwendigkeit<br />
nach sich, das Griffloch für den Ton f0/c2 weiter nach<br />
unten zu verschieben. Da dessen akustisch optimale Position nun<br />
außerhalb der Reichweite des kleinen Fingers der rechten Hand<br />
liegt, wurde der Tonlochkanal schräg gebohrt, eine Technik,<br />
die den Instrumentenbauern aus dem Fagottbau vertraut war.<br />
So befindet sich das aufgrund seiner erhabenen Position auf dem<br />
Wulst bequem zu erreichende Griffloch für f0/c2 oberhalb seiner<br />
akustisch korrekten Position, welche allerdings in der Innenbohrung<br />
durch den schräg absteigend im Wulst verlaufenden Tonlochkanal<br />
annähernd erreicht wird. Aus Platzgründen musste ein<br />
Tonloch für gis0/dis2 unterhalb des Tonlochs für f0/c2 gebohrt<br />
werden, obwohl es sich oberhalb dieses Tonlochs befinden müsste,<br />
so dass der Ton g0 in dieser Bauvariante immer ein sogenannter<br />
Gabelgriff ist. Grundsätzlich werden auf Holzblasinstrumenten<br />
mit Grifflöchern Halbtöne produziert, indem Grifflöcher<br />
zwischen geschlossenen Tonlöchern geöffnet werden. Da dabei<br />
häufig ein Finger zwischen zwei aufliegenden Fingern angehoben<br />
wird, spricht man in Beschreibung der Fingerhaltung bzw.<br />
des Griffbildes von einem Gabelgriff. Die damit erzeugten Töne<br />
haben aber eine andere klangliche Qualität, die sie hörbar von jenen<br />
unterscheidet, welche aufgrund der sukzessiven Öffnung der<br />
23
Die Tonvorräte einer 2- und 5-klappigen Klarinette sind im Vergleich mit dem<br />
chromatischen Tonvorrat etwa eines Klaviers eingeschränkt. Am unteren Rand<br />
zeigen sich ähnliche Leerstellen wie etwa bei Klaviaturen mit kurzer Oktav.<br />
Hinsichtlich der Chromatik bleiben die Tonvorräte noch lange lückenhaft.<br />
24
Klarinette in A, Michel Amlingue, Paris um 1780, MIMUL 1475. Dieses Instrument<br />
hat sich ohne Mundstück in der Sammlung des MIMUL erhalten.<br />
Auffällig daran ist die Verwendung verschiedener Klappenmontagen: Die kurzen<br />
Klappen werden von Blattfedern verschlossen, die im Holz befestigt sind.<br />
An den langen Klappen sind die Blattfedern angenietet.<br />
Grifflöcher (den offenen Tönen) über eine genau definierte Luftsäule<br />
verfügen: Gabeltöne zeichnen sich klanglich durch eine höhere<br />
Dämpfung und intonatorisch durch einen größeren Ziehbereich<br />
aus. Da also für die Produktion des Tones g0/d2 ein Großteil der<br />
Luft durch den schmalen Kanal des Grifflochs für f0/c2 fließt und<br />
der Griff für g bei dieser Anlage eigentlich ein Gabelgriff ist,<br />
klingt der Ton g sehr dumpf und leise. Ferner muss das Tonloch<br />
für gis0/es2 ausgesprochen groß sein, um die Töne g0/d2 um einen<br />
Halbton zu erhöhen. Ein Nebeneffekt dieser Anlage ist, dass<br />
dieser neu hinzugekommene Ton besonders im tiefen Register<br />
sehr laut ist und aus der ausgeglichenen Skala hervorsticht.<br />
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Klarinette in B, August Grenser, Dresden zwischen<br />
1785 und 1795, MIMUL 1473. Als Besonderheit<br />
dieser Klarinette fällt ein Doppelloch am Oberstück<br />
auf. Es dient, wie die Klappen, der chromatischen<br />
Erweiterung der Skala. Wird es mit dem linken<br />
Ringfinger ganz verschlossen, erklingt c1/g2; gibt<br />
der Ringfinger einen Teil des Doppellochs frei,<br />
erklingt cis1/gis2.
Die Struktur der Klarinette wandelt sich auch im Hinblick<br />
auf die Gliederung ihrer Bauteile. Aus dem dreiteiligen Barockinstrument<br />
entwickeln sich nun fünf- bis sechsteilige Klarinetten<br />
mit fünf Klappen. Zunächst werden Mundstück und Birne nun<br />
in zwei Teilen gebaut. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen unterliegen<br />
die Mundstücke einem starken Verschleiß; man möchte,<br />
wenn man ein neues benötigt, möglichst wenig Material verbrauchen.<br />
Zum anderen führen Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen<br />
zu Rissen in dieser Region. Ein kurzes Verbindungsstück<br />
zwischen Mundstück und Oberstück kann diesen Einwirkungen<br />
besser standhalten. Wenn aber doch Risse entstehen, ist es ökonomischer,<br />
nur die Birne zu ersetzen und nicht gleich das ganze<br />
Oberstück mit den kostspieligen Klappen. Mit der Trennung von<br />
Mundstück und Birne können nun robustere Materialien wie<br />
tropische Harthölzer, Elfenbein, Ebenholz oder Grenadill für die<br />
Herstellung des Schnabels verwendet werden.<br />
Die typische Bauform um 1800 ist sechsteilig. Wie dieses Beispiel<br />
(Abb. S. 26) von Grenser in Dresden zeigt, wurde das Unterstück<br />
der Klarinette ebenfalls unterteilt. Gründe für diese Trennung<br />
liegen abermals in der Ersparnis von Material. Holz im Durchmesser<br />
des ausladenden Schallbechers ist teuer. Es wird viel Material<br />
verschwendet, wenn man beide Teile aus einem Werkstück<br />
dreht. Zudem findet man heute in den Sammlungen nicht wenige<br />
Klarinetten mit Bechern, die durch Stöße oder Stürze beschädigt<br />
wurden. Bei einer zeitgenössischen Reparatur musste nun lediglich<br />
der Becher ersetzt werden, nicht gleich das gesamte Unterstück<br />
mit der teuren Klappenmontage.<br />
Erweiterung des Tonvorrats<br />
Verlief die Entwicklung im Klarinettenbau bis zur 5-Klappen-<br />
Klarinette recht einheitlich, so ersannen Instrumentenbauer um<br />
1800 verschiedene Erweiterungen des Tonumfangs. Wir fassen<br />
grundsätzlich Ergänzungen der Klappenanzahl (bis zu 15) als<br />
erweiterten 5-Klappen-Typ auf. Die weitaus häufigste Variante,<br />
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Klarinette in B mit 6 Klappen,<br />
Jean Jacques Simiot, Lyon<br />
zwischen 1808 und 1827, MIMUL<br />
1487. Als querverlaufende Klappe<br />
für den kleinen Finger der linken<br />
Hand war die cis1/gis2-Klappe<br />
durchaus nachzurüsten, so dass<br />
sich nicht immer bestimmen lässt,<br />
ob die sechste Klappe an einer<br />
Klarinette vom Hersteller stammt<br />
oder später hinzugefügt wurde.
Links: Klarinette in B,<br />
George Miller, London um<br />
1790, EUCHMI 4679<br />
Rechts: Klarinette in<br />
C, Gaetano Bimboni,<br />
Florenz zwischen 1820<br />
und 1850, MIMUL 1492.<br />
Den geknickten Heber,<br />
der charakteristisch für<br />
englische Klarinetten ist,<br />
nennt man dort auch zic-zac<br />
lever. Im Vergleich mit der<br />
italienischen Klarinette<br />
Bimbonis fällt außerdem<br />
die unterschiedliche<br />
Form des Wulstes zur<br />
Klappenmontage auf, die<br />
bei der englischen Klarinette<br />
glockenförmig ist.<br />
die sechste Klappe, betrifft zunächst den Ton cis1/gis2, für den ja<br />
bereits eine Lösung mit Doppelloch angeboten wurde, die freilich<br />
für schnelle Läufe oder Dreiklangsbrechungen weniger geeignet<br />
erscheint.<br />
Die Erfindung der sechsten Klappe beanspruchte der in Paris<br />
wirkende Klarinettist Jean Xavier Lefèvre, Professor am Conservatoire,<br />
für sich. „Ich habe auch eine sechste Klappe hinzugefügt,<br />
welche, dazu dient, das CIS oder DES des Chalumeau [gemeint ist<br />
das nicht überblasene Register] zu blasen; ohne diese Klappe ist<br />
dieser Ton so falsch, dass man nicht entscheiden kann, ob er CIS<br />
oder D seyn soll; wenn dieser Ton in der Tonart D dur oder D moll<br />
vorkommt, so ist es ein Leiteton, ist aber nicht bestimmt genug,<br />
um ihn für die Harmonie zu brauchen. Durch diese sechste Klappe<br />
indessen wird er ganz rein; überdies hat sie noch den Vortheil, dass<br />
man vermittels ihr das GIS oder AS der zweiten Oktave machen<br />
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