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26<br />

BÜCHER<br />

Gary Shteyngarts Reise durch ein gespaltenes Land<br />

Die Verlorenen und Vergessenen<br />

Perfekter als Barry Cohen, Protagonist<br />

des jüngsten Romans des US-Autors<br />

und Journalisten Gary Shteyngart,<br />

kann man den amerikanischen<br />

Traum kaum Leben. Hat es der Sohn<br />

eines jüdischen Poolreinigers doch<br />

zum Manager eines milliardenschweren<br />

Hedgefonds gebracht, was ihm ein<br />

mehr als sorgenfreies Leben ermöglicht.<br />

Gefangen in einer lieblosen Ehe<br />

und enttäuscht von den mangelnden<br />

Ambitionen seines Sohnes, beschließt<br />

er dennoch eines Tages, all dies hinter<br />

sich zu lassen und sich auf die Suche<br />

nach seiner College-Liebe zu machen.<br />

Per Greyhound fährt er von New York<br />

in den Süden und erlebt die Spaltung<br />

der Vereinigten Staaten kurz vor der<br />

letzten Präsidentenwahl von einer<br />

ganz anderen Seite – inklusive all jener<br />

Vergessenen und Verlorenen, die<br />

sich kein Flugticket leisten können<br />

und daher per Bus reisen müssen.<br />

Wiesen Shteyngarts bisherige Erzählungen<br />

teils groteske, satirische Züge<br />

auf, zeichnet „Willkommen in Lake<br />

Sucess“, bei allem scharfen Witz, eine<br />

ungewohnte Wärme aus – nicht zum<br />

Nachteil des Romans. pa <br />

GARY SHTEYNGART Willkommen in<br />

Lake Sucess<br />

Penguin Verlag | 320 Seiten<br />

JOACHIM B. SCHMIDT Kalman<br />

Im verlorenen isländischen Städtchen Raufarhöfn, dessen gute Tage schon lange<br />

vorbei sind, ist Kalman der Sheriff. Zumindest im Kopf des jungen Mannes, in<br />

dem so manches immer mal wieder durcheinander geht. Doch wenn er seinen<br />

Sheriffstern und Hut – Geschenke seines amerikanischen<br />

Vaters – anlegt, schlüpft der Experte in Sachen<br />

Gammelhaiherstellung, vollkommen in diese<br />

Rolle. Als er eines Tages eine große Blutlache entdeckt<br />

und zeitgleich der reichste Mann des Ortes<br />

spurlos verschwindet, wähnt sich Kalman inmitten<br />

eines großen Falls, den er mit seiner ganz eigenen<br />

Klugheit zu lösen versucht. Alles andere als ein typischer<br />

Islandkrimi, ist Joachim B. Schmidts „Kalman“<br />

ein wahrer Glücksgriff. Diogenes<br />

BERNHARD SCHLINKK Abschiedsfarben<br />

Es sind die ganz großen Lebensthemen, denen sich<br />

Bernhard Schlink zwei Jahre nach seinem letzten<br />

Roman „Olga“ in dem Erzählband „Abschiedsfarben“<br />

widmet – Liebe, Vertrauen, Verrat, die Bewältigung<br />

des eigenen Lebens und der zahlreichen begangenen<br />

Fehler. Facettenreich durchleben seine<br />

Charaktere Trauer und Verlust, Morden, erleben<br />

und begehen Verrat, lieben und hassen. Melodramatisch<br />

manchmal, aber dennoch immer nachvollziehbar,<br />

berührend und bewegend. Was auf den<br />

ersten Blick den Anschein eines angestrengten Alterswerks erweckt, erweist<br />

sich so schnell als feine Erzählkunst eines Autors, der auch mit über 75 Jahren<br />

noch viel und viel Vernünftiges zu sagen hat. Diogenes-<br />

CASTLE FREEMAN<br />

Der Klügere lädt nach<br />

Wie sehr er die ruhige<br />

Hand schätzt,<br />

hat Lucian Wing,<br />

County-Sheriff in<br />

Vermont, bereits<br />

in zwei Romanen<br />

bewiesen. Seine<br />

sympathisch-lakonische<br />

Art prägt auch seinen jüngsten<br />

Fall, wenngleich die Vorzeichen ein wenig<br />

anders stehen: Von seiner Frau vor die<br />

Tür gesetzt, sieht sich Wing vom Vorsitzenden<br />

des Gemeinderats, einem ehemaligen<br />

Mitarbeiter des Pentagon und Law<br />

& Order-Fanatiker, schwer unter Druck<br />

gesetzt. Ein Konflikt, der wunderbar in-<br />

KAI WIELAND<br />

Zeit der Wildschweine<br />

Nach seinem erstaunlichem Debutroman<br />

„Amerika“, einer Reise in die verlorenen<br />

Träume der schwäbischen Provinz, macht<br />

Kai Wieland auch in seinem zweiten Werk<br />

die Sehnsucht nach dem Ausbrechen aus<br />

gewohnten Bahnen zum zentralen Thema:<br />

Der Reisejournalist Leon, stets auf<br />

der Suche nach Selbstverwirklichung,<br />

begibt sich mit dem Fotografen Janko<br />

auf eine Reise nach<br />

Frankreich, die jedoch<br />

schnell zu einem<br />

intellektuellen<br />

Wettkampf zweier<br />

ganz unterschiedlicher<br />

Menschen ent-<br />

OLIVER HILME<br />

Das Verschwinden des Dr. Mühe<br />

Der angesehene Arzt<br />

Dr. Ulrich Mühe verschwindet<br />

im Jahr<br />

1932 spurlos. Lediglich<br />

sein verlassener<br />

Sportwagen wird am<br />

Ufer eines Sees bei<br />

Potsdam gefunden.<br />

Als die Mordkommission ihre Ermittlungen<br />

aufnimmt, tut sich hinter der Fassade<br />

des ehrenwerten Mediziners ein kriminelles<br />

Doppelleben auf. Basierend auf<br />

den originalen Fallakten – entdeckt im<br />

Berliner Landesarchiv – beschreibt Oliver<br />

Hilmes einen packenden Kriminalfall, auf<br />

den die aufkommende Diktatur einen lan-<br />

FERDINAND VON SCHIRACH<br />

Gott<br />

Nach dem Tod seiner Frau beschließt<br />

auch Richard Gärtner, wenngleich körperlich<br />

und geistig nach wie vor fit, seinem<br />

Leben ein Ende zu setzen. Doch sein<br />

Verlangen nach einem Medikament, mit<br />

dem er sein Vorhaben umsetzen kann,<br />

stößt auf Wiederstand bei Ärzten, Juristen,<br />

Klerikalen. Eine Ethikkommission<br />

nimmt sich schließlich des Falls in einer<br />

ausführlichen Diskussion an. In seinem<br />

neuesten Theaterstück „Gott“ nimmt sich<br />

Ferdinand von<br />

Schirach in gewohnt<br />

abgeklärter<br />

wie gefühlvoller<br />

Manier<br />

szeniert ist. dtv<br />

wickelt. Klett-Cotta<br />

gen Schatten wirft. Penguin<br />

an. Der Hörverlag<br />

<strong>August</strong> | <strong>September</strong> | <strong>Oktober</strong> <strong>2020</strong>

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