Leseprobe: Dino Buzzati - Beim Giro d'Italia
Als ich heute auf dem schrecklichen Anstieg des Col d’Izoard Bartali sah, wie er ganz allein zornig vor sich hin trat, schlammbedeckt, die Mundwinkel nach unten gezogen in seelischem und körperlichem Schmerz - und Coppi war schon seit einer Weile durch, er kletterte bereits die letzten Steilstücke des Passes hoch -, da stieg in mir ein in dreißig Jahren nie vergessenes Gefühl auf. Vor dreißig Jahren, das war, als ich erfuhr, dass Hektor von Achill getötet worden war. So erzählt der berühmte italienische Schriftsteller Dino Buzzati, der im Mai und Juni 1949 den 32. Giro d’Italia im Auftrag des Corriere della Sera begleitete, von der epischen Rivalität zwischen den beiden großen Radsportlern Gino Bartali und Fausto Coppi. Die Szene verdeutlicht, wie die 25 miteinander verbundenen Texte dieses Bandes fast eher als Erzählung gelesen werden können denn als Bericht. Der Erzähler Buzzati steckt den Journalisten in die Tasche, seine Wahrnehmung verschränkt sich immer enger mit der Phantasie, seine Beschreibungen gerinnen zur zaubermächtigen existenziellen Metapher. Dino Buzzati beim Giro d’Italia, das ist: Großer Sport. Zauberhafte Literatur. Ein bedeutendes Dokument der Zeitgeschichte, das nun - endlich - auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt.
Als ich heute auf dem schrecklichen Anstieg des Col d’Izoard Bartali sah, wie er ganz allein zornig vor sich hin trat, schlammbedeckt, die Mundwinkel nach unten gezogen in seelischem und körperlichem Schmerz - und Coppi war schon seit einer Weile durch, er kletterte bereits die letzten Steilstücke des Passes hoch -, da stieg in mir ein in dreißig Jahren nie vergessenes Gefühl auf. Vor dreißig Jahren, das war, als ich erfuhr, dass Hektor von Achill getötet worden war.
So erzählt der berühmte italienische Schriftsteller Dino Buzzati, der im Mai und Juni 1949 den 32. Giro d’Italia im Auftrag des Corriere della Sera begleitete, von der epischen Rivalität zwischen den beiden großen Radsportlern Gino Bartali und Fausto Coppi. Die Szene verdeutlicht, wie die 25 miteinander verbundenen Texte dieses Bandes fast eher als Erzählung gelesen werden können denn als Bericht. Der Erzähler Buzzati steckt den Journalisten in die Tasche, seine Wahrnehmung verschränkt sich immer enger mit der Phantasie, seine Beschreibungen gerinnen zur zaubermächtigen existenziellen Metapher.
Dino Buzzati beim Giro d’Italia, das ist: Großer Sport. Zauberhafte Literatur. Ein bedeutendes Dokument der Zeitgeschichte, das nun - endlich - auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt.
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Die Verpflegungsbeutel? Der Sportdirektor jedes Rennstalls hat sie
bereits mit väterlicher Sorge herrichten lassen, hat Art und Menge der
Speisen auf den Geschmack und die körperliche Verfassung eines jeden
Fahrers abgestimmt: dem einen ein Filet, dem anderen gekochtes Huhn,
für alle reichlich Zuckerwürfel, Brötchen mit Butter und Marmelade,
Reisküchlein, Kompottfrüchte. Bereit steht auch das Instrumentarium
des Masseurs: Pflaster, Salben, Einreibungen, Abführmittel für den Notfall;
blitzschnell wirkende Aufbaumittel. Und natürlich die »Bomben«,
dynamische Gebräue, die einen Toten vom Katafalk springen lassen wie
einen Zirkusartisten.
Bereit stehen die Fläschchen mit Tee, Kaffee, Mineralwasser. Bereit die
Ersatzteile. Bereit die Lastwagen der Werbung, die das Heer der Fahrer
in einen mitreißenden Karnevalszug verwandeln werden. Auf Punkt fünf
Uhr gestellt die Alarmzeiger der Wecker, die die Fans von Palermo morgen
rechtzeitig auf die Beine bringen sollen (die immer noch nicht genug
haben nach den Strapazen, dem Geschrei, dem Gedrängel, dem Tumult
und Irrsinn heute vor dem Gitterzaun des Teatro Politeama, wo die Fahrräder
plombiert wurden). Bereit sind in Catania, dem ersten Etappenziel,
die Jubelbotschaften für Cerami (gesprochen Seramì), den Kapitän der
belgischen Mannschaft, der in Catania geboren ist. Bereit die Blumen für
Corrieri, den Stolz Siziliens. Bereit die Rundschreiben der Polizeipräsidenten
über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung längs der
Strecke. Bereit die Zielbänder, die Triumphbögen, die Girlanden, die Musikkapellen
mit spiegelblank polierten Blechen. Bereit sind die Stifte der
Berichterstatter, die Filmkameras, die Übertragungswagen. Bereit liegt das
gelbe Taschentuch, das unser Korrespondent Di Francesco beim Eintreffen
der Karawane am Stadteingang von Cefalù, gegenüber der Tankstelle,
als Erkennungszeichen schwenken wird.
Aber bereit ist auch der Feind, der diesmal noch stärker und furchterregender
ist als all die Jahre zuvor. Achtung, ihr Herren der Landstraße,
traut ihm nicht. Ja, Palermo hat euch wie Söhne willkommen gehei-
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