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18 Die indischen Satis Die indischen Satis 19<br />
Satis verbrannten Leib mit sich, bis er zerfällt.<br />
Später wird Sati als Parvati wieder geboren<br />
und die beiden heiraten erneut.<br />
Recht sicher steht damit der Kult um die Satimatas<br />
im Zusammenhang. Eine Satimata<br />
ist meistens die Ehefrau eines Verstorbenen,<br />
welche vom Sterben ihres Mannes bis zu ihrem<br />
Verbrennungstod eine regelrechte Metamorphose<br />
durchmacht und am Ende zur<br />
Ahnengöttin der Familie des Mannes aufsteigt.<br />
In der kurzen Zeit bis zu ihrem eigenen Tod<br />
wurde sie oft schon zum Mittelpunkt der<br />
Verehrung, man erbat ihren Segen, fürchtete<br />
ihre Flüche und wünschte ihre Prophezeiungen.<br />
Während des Sterbens wurde sie insofern<br />
mystifiziert, dass man annahm, eine<br />
echte Sati verspüre keine Schmerzen und<br />
entzünde das Feuer zum Teil aus sich selbst<br />
heraus. Nach ihrem Tod errichtete man ihr<br />
gelegentlich Tempel oder Satisteine. Das<br />
Ausmaß der Anbetung war (und ist) relativ<br />
unterschiedlich, je weniger Satimatas eine<br />
Region oder Familie hatte, umso umfangreicher<br />
war die Verehrung. Grundsätzlich galt<br />
eine Sati als Glück und Segen für die Angehörigen.<br />
Es gibt verschiedene Textstellen in indischen<br />
religiösen bzw. kulturell bedeutenden Schriften,<br />
aus denen durchaus Anweisungen und<br />
Hinweise für die hinterbliebene Ehefrau zur<br />
(Selbst-) Tötung entnommen werden können.<br />
Pauschalisiert man allerdings diese<br />
Texte als Ursache bzw. Begründung für Sati,<br />
wird man der Mentalität der indischen Bevölkerung<br />
nicht gerecht. Bis heute besteht<br />
ein nicht geringer Anteil der indischen Einwohner<br />
aus Analphabeten. Das hieße dann,<br />
dass die Brahmanenkaste, welche die hinduistische<br />
Priesterschaft stellt, sich auf die<br />
Texte berufend, zur Witwenverbrennung<br />
aufgefordert hätte. Allerdings steht das im<br />
Widerspruch zur Praxis. Sati entstand, soviel<br />
wir heute wissen, aller Wahrscheinlichkeit<br />
nach in der Kriegerkaste und wurde bei den<br />
Brahmanen zunächst abgelehnt. Später gab<br />
es Zeiten, in denen dieser Brauch den Brahmanen<br />
vorbehalten war und dort besonders<br />
häufig auftauchte, dennoch zieht sich diese<br />
Praxis durch alle Bevölkerungsschichten Indiens.<br />
Darüber hinaus ist es so, dass es keine<br />
einheitliche religiöse Lehre innerhalb des<br />
Landes gibt. Nahezu jede Region hat ihre eigenen<br />
Mythen und Auslegungen und man<br />
kann davon ausgehen, dass ein europäischer<br />
Indologe bzw. Religionswissenschaftler die<br />
indischen Schriften besser kennt, als der<br />
durchschnittliche Inder.<br />
Dennoch möchte ich auf ein Beispiel eingehen:<br />
Die umstrittenste und am meisten diskutierte<br />
Passage stammt aus der Rig-Veda, 10,18.<br />
In der 1795 publizierten Fassung von Colebrooke<br />
finden wir:<br />
„Lasst diese Frauen nicht zu Witwen werden,<br />
sondern als gute Gattinnen, geschmückt<br />
mit Augenbalsam, und mit zerlassener Butter<br />
in der Hand, sich selbst dem Feuer übergeben.<br />
Unsterblich, nicht kinderlos noch gattenlos,<br />
wohlgeschmückt mit Edelsteinen,<br />
lasst sie ins Feuer steigen.“<br />
Später stellte sich heraus, dass es im ursprünglichen<br />
Text nicht „Feuer“ (agneh),<br />
sondern „zuerst“ (agre) heißt. Um 1920 übersetzte<br />
Geldner die Textstelle so:<br />
„Diese Frauen, Nichtwitwen mit guten Gatten,<br />
sollen mit Butter als Augensalbe [...]<br />
sich niederlegen. Ohne Tränen, frei von<br />
Krankheit, mit schönen Kleinodien sollen die<br />
Frauen zuerst das Lager (wieder) besteigen.“<br />
Man könnte meinen, es handle sich um zwei<br />
völlig verschiedene Texte.<br />
Eindeutiger wird es unter anderem in den<br />
Puranas (400-1000 u.Z.). Dort heißt es zum<br />
Beispiel: „Wenn eine Frau sich nicht<br />
verbrennen läßt, wenn ihr Gatte im Feuer<br />
bestattet wird, so wird sie niemals aus dem<br />
Frauenleibe erlöst.“<br />
Woher die Sitte dieser Form der Totenfolge<br />
in Indien kommt, bleibt umstritten. Immer<br />
wieder diskutiert man, ob vorarische Einwanderer<br />
die Witwenverbrennung nach Indien<br />
mitgebracht haben, oder ob das Gegenteil<br />
stattgefunden habe, dass der Brauch von<br />
Indien aus nach Europa gelangt sei. Gelegentlich<br />
wird der Ursprung skythischen Einwanderern<br />
zugeschrieben. Relativ klar<br />
scheint zu sein, dass der Brauch in Nordindien<br />
üblicher war als im Süden, wo er in<br />
manchen Distrikten scheinbar nie auftauchte.<br />
Der älteste historische Bericht dürfte von<br />
Hieronymos von Kardia sein (ca. 316 v.u.Z.)<br />
und beschreibt den Wettstreit zweier Frauen<br />
des Heerführers Keteus um das Recht des<br />
Mitsterbens und schlussendlich den heroisierten<br />
Flammentod der Jüngeren. Der<br />
Wahrheitsgehalt dieses Augenzeugenberichts<br />
wurde im Kern nicht angezweifelt. Aber<br />
dennoch sollte man bedenken, dass Diodorus,<br />
der die Geschichte aufschrieb, durchaus<br />
von Herodot beeinflusst worden sein könnte,<br />
welcher von einem ähnlichen Wettstreit<br />
thrakischer Witwen berichtete. In indischen<br />
Texten gibt es nämlich keine Obergrenze für<br />
die Anzahl der Opfer während einer Zeremonie,<br />
sondern jede Frau musste sich individuell<br />
entscheiden. Außerdem lebten die Ehefrauen<br />
eines Mannes manchmal an verschiedenen<br />
Orten.<br />
Karma und Tod<br />
Karma ist ein wesentlicher Schlüsselbegriff<br />
im Hinduismus, der Glaube an das Karma<br />
erklärt zum Beispiel das Kastenwesen und<br />
die Stellung der Frauen. Im Prinzip bedeutet<br />
Karma, dass jeder Mensch durch vorangegangene<br />
Taten, aber auch durch Gedanken<br />
und Worte, sein diesseitiges Dasein selbst<br />
verursacht hat. Dadurch ist er wiederum in<br />
der Lage, seine zukünftigen Leben selbst zu<br />
bestimmen, indem er durch positives Handeln<br />
gutes Karma ansammelt. Frauen dagegen<br />
müssen erst als Mann wiedergeboren<br />
werden, um dadurch eventuell in eine höhere<br />
Kaste und damit in bessere Lebensumstände<br />
geboren werden zu können.<br />
Obwohl das Kastenwesen 1948 offiziell abgeschafft<br />
wurde, bestimmen dessen Regeln<br />
nach wie vor das Leben der meisten Inder.<br />
Eng verbunden mit der Vorstellung des<br />
Karmas ist der Tod, der lediglich einen Übergang<br />
von einem Leben in das nächste darstellt.<br />
In der Zeit des Todes können die Verstorbenen<br />
zu Geistern, Dämonen, Halbgöttern<br />
oder Ahnen werden, abhängig von der<br />
Todesart, den Hinterbliebenen und den vorangegangen<br />
verstorbenen Verwandten. Der<br />
Verstorbene sollte von seinem Dasein als Toter<br />
gerettet werden, um wiedergeboren werden<br />
zu können. Dafür kennen die Hindus<br />
zahllose Riten, die nahezu alle damit zu tun<br />
haben, dass mit dem Auftreten eines Todesfalls<br />
die Hinterbliebenen und der Verstorbene<br />
als unrein gelten und gereinigt werden<br />
müssen.<br />
Auf Grund der besonderen Bedeutung des<br />
Todes gibt es nur selten Begräbnisse und<br />
keine Aufstellung von Grabsteinen. Der tote<br />
Körper ist endlich und als Opfergabe an den<br />
Feuergott Agni gedacht, die unsterbliche<br />
Seele dagegen muss befreit werden.<br />
Der Feuergott Agni