Gruess Gott - Herbst 2020
Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt
Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt
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Linz<br />
Das Magazin über <strong>Gott</strong> und die Welt <strong>Herbst</strong> <strong>2020</strong> | 1<br />
Österreichische Post AG, RM 19A041667 K, Diözese Linz, Herrenstraße 19<br />
WENN DIE WELT<br />
KOPFSTEHT<br />
Tänzerin Silke Grabinger über Bewegung<br />
als Schlüssel zum Seelenfrieden<br />
TREFFEN SICH EIN BISCHOF<br />
UND EIN BUNDESMINISTER<br />
Was Manfred Scheuer und Rudi<br />
Anschober gemeinsam haben<br />
MITGEFÜHL AUF TOUR:<br />
BESUCH BEIM HELP-MOBIL<br />
Wie eine Linzer Initiative jenen<br />
hilft, die niemanden haben<br />
CHRISTLICH WIRTSCHAFTEN:<br />
EIN GUTES LEBEN FÜR ALLE<br />
Warum Streben nach Gewinn<br />
nicht nur mit Geld zu tun hat
»Unser Mitgefühl ist<br />
der beste Impfstoff<br />
gegen die Epidemie<br />
der Gleichgültigkeit.«<br />
Papst Franziskus
EDITORIAL<br />
GRÜSS<br />
GOTT!<br />
COVERFOTO: CHRISTOPH LIEBENTRITT; FOTOS: DIÖZESE LINZ/HERMANN WAKOLBINGER, ADOBE STOCK<br />
„Haben Sie bei Ihrer Erdumrundung <strong>Gott</strong> gesehen?“,<br />
wurde der russische Kosmonaut Juri Gagarin 1961 von einem westlichen<br />
Reporter gefragt. Gagarins lapidare Replik lautete „Nein“. Diese berühmt<br />
gewordene Antwort ist eigentlich auf eine unsinnige Frage zurückzuführen.<br />
Man wird <strong>Gott</strong> nicht überraschend hinter einem Sternhaufen von<br />
Angesicht zu Angesicht begegnen. Und doch kann man <strong>Gott</strong> entdecken –<br />
auch ohne Abstecher ins Weltall.<br />
Berge beispielsweise werden – auch biblisch – als Orte der Nähe<br />
zwischen <strong>Gott</strong> und Mensch gesehen. Wer einmal nach beschwerlichem<br />
Aufstieg auf einem Gipfel mit herrlicher Aussicht saß oder Zeuge eines gewaltigen<br />
Naturerlebnisses wurde, mag sich dieser Deutung anschließen.<br />
Oft ist es aber weniger spektakulär: Wie oft fühlen wir uns<br />
genährt durch einen Blick auf Blumen, ein gutes Buch, ein berührendes<br />
Musikstück, durch ein Gespräch, ein stilles Gebet, durch Erfahrungen<br />
von echter Gemeinschaft. Manchmal geht das einher mit überwältigenden<br />
Glücksgefühlen. Manchmal sind es Momente totaler Aufmerksamkeit.<br />
Manchmal kommt es uns so vor, als würde der Sinn des Lebens unverhüllt<br />
erscheinen, völlig einsichtig, klar und ungeheuer schön. In solchen Erfahrungen<br />
kann sich auch <strong>Gott</strong> erschließen. „<strong>Gott</strong> in allen Dingen suchen und<br />
finden“, so lautet der spirituelle Auftrag, den der heilige Ignatius von Loyola<br />
dem von ihm gegründeten Jesuitenorden mitgab. Diese Maxime kann aber<br />
jede und jeden leiten. Übersetzt heißt es: Mit <strong>Gott</strong> darf auch im Alltag gerechnet<br />
werden, das Leben darf mit ihm in Beziehung gebracht werden.<br />
Eines darf man dabei nicht vergessen: Bevor wir zu suchen<br />
beginnen, hat uns <strong>Gott</strong> schon gefunden. Die große Kunst ist es, <strong>Gott</strong><br />
und der Suche nach ihm in unserem Leben ausreichend Raum zu geben.<br />
Dass Sie sich diese Offenheit bewahren und in diesem Magazin wertvolle<br />
Anregungen dazu finden, das wünsche ich Ihnen.<br />
Herzlich<br />
Bischof Manfred Scheuer<br />
Wenn Sie uns eine Rückmeldung<br />
zu unserem<br />
Magazin geben wollen, dann<br />
bitte gerne per E-Mail an:<br />
gruessgott@dioezese-linz.at<br />
Wir freuen uns, von Ihnen<br />
zu lesen!<br />
3
54<br />
HIMMEL<br />
20 „TÄNZER SIND DIE<br />
ATHLETEN GOTTES“<br />
Die Kraft der Bewegung: Für<br />
die Tänzerin und Choreografin<br />
Silke Grabinger ist Tanz eine<br />
Quelle der Spiritualität.<br />
26 EINE BUSLADUNG MITGEFÜHL<br />
Wer keine Krankenversicherung<br />
hat, bekommt im Linzer Help<br />
Mobil medizinische Basis <br />
ver sorgung – und eine große<br />
Portion Herzenswärme.<br />
30 DURCH UNSERER HÄNDE ARBEIT<br />
Wir haben drei oberösterreichische<br />
Unternehmen besucht, um<br />
eine Frage zu stellen: Wie geht<br />
gutes Wirtschaften?<br />
[HERR]GOTT<br />
38 GOTT IN ALLEN DINGEN FINDEN<br />
Man findet <strong>Gott</strong> nicht nur in der<br />
Kirche. Sondern auch im Fußballstadion,<br />
im Klang eines Instruments<br />
– und im Gefängnis.<br />
46 GOTT IM GEHIRN<br />
Glaube löst in unserem Kopf<br />
ganz eigene Prozesse aus. Ist<br />
unser Gehirn für <strong>Gott</strong> gebaut?<br />
52 MITARBEITERIN GOTTES<br />
Sie ist zur Stelle, wenn’s wo<br />
brennt: Michaela Helletzgruber.<br />
54 ZWEI AUF EINER WELLENLÄNGE<br />
Gesundheitsminister Rudolf<br />
Anschober im Gespräch mit<br />
Bischof Manfred Scheuer.<br />
SAKRAMENT<br />
62 HIMMLISCHE RAUCHZEICHEN<br />
Weihrauch hat einen ganz<br />
besonderen Duft. Er kann nicht<br />
nur Erinnerungen, sondern<br />
auch tiefe Emotionen wecken.<br />
64 EIN ORT DER TRAUER<br />
UND DER HOFFNUNG<br />
Aus welchen Gründen gehen<br />
Menschen auf den Friedhof?<br />
Wir haben auf dem St. Barbara<br />
Friedhof in Linz nachgefragt.<br />
68 AM SIEBTEN TAG<br />
Die oberösterreichische Autorin<br />
Karin Peschka hat sieben<br />
schwierige Fragen zum richtigen<br />
Leben für uns beantwortet<br />
– und dann musste sie ruhen.<br />
4
INHALT<br />
FOTOS: ASA 12/GREGOR KUNTSCHER, RAPHAEL GABAUER<br />
26 30<br />
38<br />
GOTT & DIE WELT<br />
6 WEGE ZUR KRAFT<br />
Ein Fluss macht Rast: die<br />
Donauschlinge Schlögen.<br />
8 INFOGRAFIK<br />
Auf dem Weg durch<br />
die Advent- und<br />
Weihnachtszeit.<br />
10 KURZMELDUNGEN<br />
Die heilige Barbara im<br />
Tunnel, die neugeborene<br />
Geburtskirche, vatikanisches<br />
Streaming – und<br />
die virtuelle Domkrippe.<br />
11 GLOSSAR DES GLAUBENS<br />
Was bedeutet der Begriff<br />
„Sakrament“?<br />
64<br />
13 KIRCHENRÄTSEL<br />
Eine Kriegsgedächtniskirche<br />
im Wortsinn.<br />
14 1 FRAGE, 3 ANTWORTEN<br />
Wie war das mit dem<br />
Jüngsten Gericht?<br />
16 HIMMLISCHES REZEPT<br />
Martinigansl mal anders.<br />
70 POST AN GRÜSS GOTT!<br />
71 HADERER<br />
72 KULTURELLES<br />
& SPIRITUELLES<br />
Veranstaltungsund<br />
Buchtipps.<br />
Aus der Redaktion<br />
DAS C-WORT<br />
Corona, Corona, Corona: Die Medien<br />
werden seit Monaten ganz von einem<br />
Thema bestimmt. Davon möchten wir<br />
Ihnen in diesem Heft eine Pause gönnen.<br />
Und haben darum das allgegenwärtige<br />
C-Wort spärlich eingesetzt –<br />
wobei wir dennoch auf viele Themen<br />
eingehen, die uns in dieser außergewöhnlichen<br />
Situation beschäftigen.<br />
Sogar unser Doppelinterview mit<br />
Gesundheitsminister Rudolf Anschober<br />
und Bischof Manfred Scheuer ist<br />
ohne C-Wort ausgekommen. Die beiden<br />
hatten trotzdem (oder deswegen?) viel<br />
Interessantes zu besprechen, wie Sie<br />
ab Seite 54 lesen können.<br />
Auch die Unternehmen des Landes<br />
stehen vor Herausforderungen – umso<br />
wichtiger ist da die Frage, wie verantwortungsvolles<br />
Wirtschaften geht.<br />
Unser Autor Martin Foszczynski hat<br />
quer durch Oberösterreich nach Antworten<br />
gesucht. Ab Seite 30 können<br />
Sie ihn dabei begleiten.<br />
Viel öfter finden Sie in unserem Heft<br />
dafür das G-Wort: <strong>Gott</strong> ist schließlich in<br />
allen Dingen zu finden. Davon handelt<br />
unsere große Bilderstrecke ab Seite 38<br />
– mit einer praktischen Anleitung von<br />
Pater Christian Marte. Und ab Seite 46<br />
widmen wir uns der Frage, wie der Glaube<br />
an <strong>Gott</strong> unser Gehirn beeinflusst. Die<br />
Hirnforschung hat dazu nämlich faszinierende<br />
Erkenntnisse gewonnen.<br />
Natürlich darf auch das W-Wort<br />
nicht fehlen – schließlich gibt’s schon<br />
seit zwei Monaten Lebkuchen im Supermarkt.<br />
Ja, genau: Weihnachten ist nicht<br />
mehr weit! Den Hintergrund der einzelnen<br />
Festtage haben wir in einer Infografik<br />
auf Seite 8 zusammengefasst.<br />
Wir wünschen viel Freude beim Lesen!<br />
Ihre „Grüß <strong>Gott</strong>!“-Redaktion<br />
5
Wege zur Kraft.<br />
Kurze Pause. Einmal rechts, einmal links und weiter<br />
geht’s: Es wirkt fast so, als würde die Donau kurz Rast<br />
machen und sich nach allen Seiten strecken, bevor sie<br />
die lange Reise Richtung Schwarzes Meer antritt.<br />
Die Schlögener Schlinge gehört zu den eindrucksvollsten<br />
Naturwundern in Oberösterreich. Und wer am Aussichtspunkt<br />
oberhalb von Schlögen steht und dem Wasser zusieht,<br />
wie es sich seinen Weg durch den Granit der Böhmischen<br />
Masse bahnt, kann es der Donau gleichtun: rasten<br />
und innehalten, bevor der Lauf des Lebens weitergeht.<br />
FOTO: WWW.KAINDLSTORFER-PHOTOGRAPHIE.AT<br />
6
7
VOM DUNKEL ZUM LICHT<br />
Weihnachten ist nicht mehr weit! Ein Überblick<br />
auf dem Weg durch die Advent- und Weihnachtszeit.<br />
DIE ADVENTZEIT<br />
Der Advent (und damit das neue Kirchenjahr) beginnt<br />
offiziell mit dem Vorabend des ersten Adventsonntags.<br />
An diesem Abend werden in den Pfarrkirchen<br />
die Adventkränze gesegnet.<br />
Adventzeit<br />
1. Advent 2. Advent<br />
2. Adventsonntag<br />
Bereitet den Weg des Herrn! Zweiter<br />
und dritter Adventsonntag stehen<br />
im Zeichen Johannes des Täufers,<br />
der ankündigt: „Nach mir wird einer<br />
kommen, der stärker ist als ich.“<br />
1. Adventsonntag<br />
Seid wachsam! Im Mittelpunkt<br />
steht das Kommen Christi – und<br />
die Wachsamkeit, um die Zeichen<br />
dieses Kommens zu erkennen.<br />
4. Adventsonntag<br />
Fürchte dich nicht!<br />
Der letzte Adventsonntag<br />
nimmt die<br />
Ankündigung der<br />
Geburt Jesu an Josef<br />
bzw. Maria in den Blick.<br />
3. Advent<br />
4. Advent<br />
3. Adventsonntag<br />
Freut euch! Der dritte<br />
Adventsonntag ist<br />
von Vorfreude auf das<br />
Kommen Jesu geprägt.<br />
Weihnachtszeit<br />
Heiliger Abend<br />
(24. Dezember)<br />
Der Retter ist geboren! In seiner<br />
Menschwerdung hat <strong>Gott</strong>es Liebe<br />
wortwörtlich Hand und Fuß bekommen.<br />
Jesu Leben und Tod haben<br />
die Erlösung der Menschen und<br />
der ganzen Schöpfung zum Ziel.<br />
Das feiern wir am Heiligen Abend<br />
zu Hause und in der Christmette.<br />
www.heiligabend.at<br />
DER ADVENTKRANZ<br />
Der Kranz als Kreis, der kein Ende<br />
hat, ist Zeichen für den ewigen <strong>Gott</strong>,<br />
die Zweige symbolisieren Leben<br />
und Hoffnung. Der Adventkranz ist<br />
ein relativ junger Brauch: In einer<br />
katholischen Kirche wurde er erstmals<br />
1924 in Köln verwendet.<br />
24. 12.<br />
ILLUSTRATION: STEFFI WERTH, VECTEEZY.COM<br />
8
GOTT & DIE WELT<br />
DIE WEIHNACHTSZEIT<br />
Sie beginnt mit dem Heiligen Abend, also dem<br />
Vorabend des 25. Dezember, und dauert bis zum<br />
Sonntag nach dem 6. Jänner. Insgesamt währt<br />
die Weihnachtszeit also zwei bis drei Wochen.<br />
Christtag<br />
(25. Dezember)<br />
„Im Anfang war das<br />
Wort“: So beginnt die<br />
Geschichte von Jesus<br />
im Johannesevangelium.<br />
Am Christtag feiern<br />
wir, dass das Wort, das<br />
am Anfang bei <strong>Gott</strong><br />
war, Mensch geworden<br />
ist. Jesus ist<br />
das Licht, das<br />
in die Welt<br />
kommt und<br />
die Finsternis<br />
vertreibt.<br />
25. 12.<br />
26. 12.<br />
Stephanitag<br />
(26. Dezember)<br />
„Herr, rechne ihnen<br />
diese Sünde nicht an!“<br />
Stephanus war der erste<br />
christliche Märtyrer:<br />
Er wurde für seinen<br />
Glauben gesteinigt.<br />
Das Fest verdeutlicht,<br />
dass die Freude über<br />
die Geburt und die<br />
Trauer über die Bedrohtheit<br />
des Lebens<br />
nah beieinanderliegen.<br />
Fest der<br />
Hl. Familie<br />
Neujahrstag (1. Jänner)<br />
Das Evangelium erzählt von<br />
Beschneidung und Namensgebung<br />
Jesu am achten Tag nach seiner<br />
Geburt – dem heutigen Neujahrstag.<br />
Dieser Tag ist gleichzeitig auch das<br />
Hochfest der <strong>Gott</strong>esmutter Maria.<br />
1. 1.<br />
Fest der Heiligen<br />
Familie (Sonntag<br />
nach Weihnachten<br />
bzw. 30. Dezember)<br />
An diesem Festtag<br />
feiern wir die Heilige<br />
Familie als Vorbild.<br />
Maria und Josef bringen<br />
das Jesuskind<br />
in den Tempel. Simeon<br />
und Hanna preisen<br />
Jesus als Heil und<br />
Licht für Israel und<br />
alle Völker.<br />
6. 1.<br />
Taufe des Herrn<br />
(Sonntag nach dem 6. Jänner)<br />
Mit diesem Fest schließt der<br />
Weihnachtsfestkreis. Jesus<br />
lässt sich mit etwa 30 Jahren<br />
von Johannes dem Täufer im<br />
Jordan taufen. Dabei kommt <strong>Gott</strong>es<br />
Geist auf Jesus herab, und eine<br />
Stimme aus dem Himmel sagt: „Du<br />
bist mein geliebter Sohn, an dir habe<br />
ich Wohlgefallen gefunden.“<br />
Erscheinung des<br />
Herrn (6. Jänner)<br />
Das Matthäusevangelium<br />
erzählt, dass Sterndeuter<br />
aus dem Osten<br />
kamen und Jesus Gold,<br />
Weihrauch und Myrrhe<br />
darbrachten. Später<br />
deutete man sie als Könige,<br />
weshalb das Fest<br />
auch Dreikönig genannt<br />
wird. Das Fest betont: Es<br />
ist wirklich <strong>Gott</strong>, der sich<br />
in Jesus allen Menschen<br />
zuwendet!<br />
Taufe des<br />
Herrn<br />
DIE KRIPPE<br />
Der Brauch der Weihnachtskrippe – also figürlicher Darstellungen<br />
des Christkindes, seiner Eltern, der Engel, Hirten<br />
und Könige – geht bis in die alte Kirche der Antike zurück.<br />
Zunächst wurden Krippen vor allem in Kirchen aufgestellt,<br />
erst ab dem 18. Jahrhundert auch in Privathäusern.<br />
DER CHRISTBAUM<br />
Der Christbaum kam erst nach dem<br />
16. Jahrhundert nach Österreich. Mit<br />
seinen immergrünen Zweigen und<br />
den Kerzen verbindet er das Symbol<br />
des Lichtes von Weihnachten mit<br />
dem Symbol des Lebens.<br />
9
GOTT & DIE WELT<br />
Bergbaupatronin. Barbaras in den Tunneln Bartelkreuz in Ebensee (großes Bild), Grünburg<br />
(kleines Bild oben) sowie im Tunnel Lambach (kleines Bild Mitte).<br />
BARBARA MIT DEM<br />
TUNNELBLICK<br />
Den 4. Dezember kennen wir als Barbaratag. Er gilt<br />
als höchster Feiertag der Bergleute. Zeugnis davon<br />
findet sich – oft unbeachtet – in jedem Tunnel.<br />
Wer ein Licht am Ende<br />
des Tunnels sieht,<br />
sollte genauer hinschauen. Denn<br />
es könnte der obligatorische Barbara-Schrein<br />
sein. Tatsächlich:<br />
In jedem österreichischen Tunnel<br />
findet sich eine Statue der heiligen<br />
Barbara. Als Schutzpatronin<br />
der Bergleute muss sie über ihre<br />
Schützlinge wachen – und das<br />
Nächster Stopp. Einen<br />
Besuch wert: die Barbara-<br />
Statue in der unterirdischen<br />
Straßenbahnhaltestelle am<br />
Linzer Hauptbahnhof.<br />
geht am besten vor Ort. Dass<br />
gerade Barbara von Nikomedien,<br />
die man eigentlich vom Brauch<br />
mit den Kirschzweigen kennt, für<br />
den Bergbau zuständig ist, kommt<br />
nicht von ungefähr. Der Legende<br />
nach wurde sie, nachdem sie sich<br />
zum Christentum bekannt hatte,<br />
von ihrem Vater in einen Turm<br />
gesperrt. Sie flüchtete und konnte<br />
ihren Verfolgern nur entkommen,<br />
weil sich ein Felsspalt öffnete,<br />
der ihr als Versteck diente.<br />
Dabei soll – wenig überraschend<br />
– <strong>Gott</strong> seine Hände im Spiel gehabt<br />
haben. Heute ist es eben die<br />
Märtyrerin selbst, die ihre Hände<br />
schützend über die Bergleute<br />
hält. Und umgekehrt halten auch<br />
die Bergleute ihr die Treue.<br />
FOTOS: AMT DER OÖ. LANDESREGIERUNG, DIREKTION STRASSENBAHN & VERKEHR, DAVID VAAKNIN, VATIVISION<br />
10
ERFÜLLT MIT NEUEM LEBEN<br />
Erfreulich: Es ist quasi die<br />
Wiedergeburt der Geburtskirche<br />
von Bethlehem. Nach sieben<br />
Jahren sind die Renovierungen<br />
an Dach, Fassade und Steinflächen<br />
abgeschlossen, einzig an<br />
der Geburtsgrotte Jesu wird noch<br />
GOTT AM SCHIRM HABEN<br />
Erbaulich: Der Vatikan verfolgt<br />
sein eigenes Programm –<br />
mit einer neuen Streaming-Plattform.<br />
Auf „VatiVision“ werden<br />
unter anderem Filme und Dokumentationen<br />
zur Kirchen- und<br />
Kunstgeschichte gezeigt, die all<br />
Heiliger Ort. In<br />
der Geburtsgrotte<br />
markiert ein Stern<br />
die Geburtsstelle<br />
Jesu. Dieser Teil der<br />
Kirche wird derzeit<br />
noch renoviert.<br />
gearbeitet. Ein freudiges Ereignis.<br />
Vor allem, weil dabei bisher<br />
unbekannte Mosaike entdeckt<br />
wurden. Wer neugierig auf Kunstwerke<br />
und Kirche geworden ist,<br />
kann sie – zumindest online – besuchen:<br />
www.meetingrimini.org<br />
Segen von oben.<br />
Bei einer Audienz<br />
in Rom hat das „Vati-<br />
Vision“-Team Papst<br />
Franziskus die neue<br />
Streaming-Plattform<br />
vorgeführt.<br />
jene ansprechen sollen, die sich<br />
mit christlichen Werten identifizieren.<br />
Derzeit allerdings nur auf<br />
Italienisch. Schon bald soll „Vati-<br />
Vision“ weltweit zu sehen sein –<br />
wann es eine deutsche Version<br />
gibt, steht aber noch nicht fest.<br />
Glossar des Glaubens<br />
SAKRAMENT, DAS<br />
[zakʁaˈmɛnt]<br />
Der Mensch begehrt sichtbare Zeichen<br />
– das fing schon mit Mose an.<br />
Damit nicht bei jedem Zweifel ein<br />
Dornbusch brennen muss, hat die<br />
römische Kirche rituelle Sakramente<br />
(von kirchenlateinisch sacramentum<br />
= Heilszeichen) eingeführt:<br />
sichtbare Zeichen also für die unsichtbare<br />
Wirklichkeit <strong>Gott</strong>es und<br />
sein Wirken am Menschen. Erst<br />
seit dem Mittelalter ist die Zahl der<br />
Sakramente auf sieben festgelegt.<br />
Von Anfang an als bedeutendste angesehen<br />
wurden das Sakrament der<br />
Taufe und der Eucharistie (der Kern<br />
der katholischen Messfeier). Dazu<br />
kommen Firmung, Beichte, Ehe, das<br />
Weihesakrament (Diakon, Priester,<br />
Bischof) und die Krankensalbung.<br />
Sakramente sind ein Geschenk <strong>Gott</strong>es<br />
– aber kein Blankoscheck, sondern<br />
eine Gabe für Personen, die<br />
bereit sind, <strong>Gott</strong>es Gnade zu empfangen.<br />
Wenn das zu kompliziert ist,<br />
hilft vielleicht der Vergleich, den der<br />
Jesuitenpater Christian Marte (siehe<br />
S. 38) zog: Ein Sakrament ist wie ein<br />
Espresso – die konzentrierte Anwesenheit<br />
<strong>Gott</strong>es.<br />
Im Alltag kennen wir das Wort aber<br />
eher als Ausruf: „Sakrament!“ (oft<br />
auch noch mit vorangestelltem<br />
„Herrgott-“.) Warum kirchliche<br />
Begriffe als Flüche so beliebt sind,<br />
darüber gibt es viel Rätselraten.<br />
Womöglich hat die Entweihung des<br />
Sakralen etwas Reinigendes. Vielleicht<br />
war es auch ursprünglich eine<br />
Anrufung <strong>Gott</strong>es, damit er einem im<br />
Ärger beistehe – quasi der Espresso<br />
unter den Stoßgebeten.<br />
Martin Foszczynski<br />
11
GOTT & DIE WELT<br />
Aus Alt mach Neu. Staub, Schmutz und Spinnweben haben den Figuren zugesetzt.<br />
Nun werden sie 3D-fotografiert und gemeinsam mit allen Bauwerken liebevoll saniert.<br />
DAMIT DIE ENGERL<br />
WIEDER SINGEN<br />
Die Linzer Domkrippe wird heuer umfassend<br />
restauriert. Bei „Advent am Dom“ kann man sie<br />
aus ganz neuen Perspektiven betrachten.<br />
Sie ist eine der größten (und<br />
schönsten) Krippen der<br />
Welt: die in den Jahren 1909 bis<br />
1913 von Sebastian Osterrieder<br />
gestaltete Linzer Domkrippe.<br />
Doch der Zahn der Zeit hat kräftig<br />
an ihr genagt. Darum werden die<br />
Figuren in einem Atelier in Wien<br />
gründlich restauriert: „Es geht<br />
vor allem um die Reinigung von<br />
Schmutz und auch um Reparaturen<br />
von abgebrochenen Teilen.<br />
Bei den Schafen zum Beispiel sind<br />
ein paar Ohrwascheln und Füße<br />
abgebrochen“, erklärt Dommeister<br />
Clemens Pichler. Zeitgleich<br />
scannen die Profis vom Ars Electronica<br />
Center die Figuren mit<br />
einem modernen 3D-Scanner,<br />
um den Besucherinnen und Besuchern<br />
von „Advent am Dom“<br />
(siehe S. 73) ein besonderes Erlebnis<br />
zu bieten: In einem Seitenraum<br />
des Doms lassen sich die<br />
Figuren mit Virtual-Reality-Brillen<br />
in Überlebensgröße und aus<br />
ganz neuen Blickwinkeln betrachten.<br />
Auch die echte Krippe wird<br />
weiter zugänglich sein – an ausgewählten<br />
Tagen kann man den<br />
Restauratorinnen sogar bei der<br />
Arbeit über die Schulter schauen.<br />
Mehr Infos: www.mariendom.at<br />
FOTOS: DIÖZESE LINZ/MARIA APPENZELLER, MATTHIAS WINKLER, ALEXANDER ELLMAUER<br />
12
WO BIN ICH?<br />
Wir führen Sie in jeder Ausgabe zu einer der knapp<br />
1.000 Kirchen und Kapellen in Oberösterreich.<br />
Können Sie erraten, welche wir diesmal besucht haben?<br />
Sie ist eine Kriegsgedächtniskirche<br />
im Wortsinn. Denn die<br />
Menschen, die sie bauten,<br />
hatten den Krieg noch<br />
allzu gut im Gedächtnis:<br />
88 Männer aus diesem<br />
Dorf am Mondsee waren<br />
im Ersten und Zweiten<br />
Weltkrieg gefallen. Die<br />
Heimgekehrten begannen<br />
im Jahr 1945 gemeinsam<br />
mit dem Kaplan und Freiwilligen<br />
aus dem Ort, eine<br />
Kirche zu bauen – zum<br />
Dank, wieder mit ihren<br />
Familien vereint zu sein.<br />
Das Baumaterial holten sie<br />
teils aus Bombentrichtern<br />
in Salzburg. 1948, nach<br />
drei Jahren Bauzeit, feierte<br />
das ganze Dorf die<br />
Kirchweihe. Seither verging<br />
kaum ein Jahrzehnt<br />
ohne liebevolle Erweiterungs-<br />
und Renovierungsarbeiten,<br />
zuletzt im Jahr<br />
Für den Frieden. Über die<br />
Jahre wurde die Kirche<br />
üppig mit Kunstwerken<br />
ausgestattet. Zuletzt 2010,<br />
als Inge Dick, Trägerin des<br />
Österreichischen Kunstpreises<br />
<strong>2020</strong>, die Kirchenfenster<br />
neu gestaltet hat.<br />
2011 – auch wieder begleitet<br />
von einem großen Fest.<br />
Denn die Devise von damals<br />
darf auch heute nicht<br />
in Vergessenheit geraten:<br />
Nie wieder Krieg.<br />
Wissen Sie, welche<br />
Kirche gemeint ist? Die<br />
Lösung finden Sie auf<br />
Seite 74.<br />
13
GOTT & DIE WELT<br />
WELT IN DER WAAGSCHALE<br />
Es markiert das Ende der Welt und soll Gerechtigkeit für alle bringen:<br />
das Jüngste Gericht. Aber was bedeutet es, wann kommt es – und kann<br />
man es essen? Eine Theologin, ein Richter und eine Köchin antworten.<br />
Das Jüngste Gericht als großes göttliches Abwägen<br />
über Gut und Böse am Ende der Zeit gab es schon<br />
im Alten Ägypten. In der christlichen Version kommt<br />
Jesus auf die Erde zurück und entscheidet, wer in<br />
den Himmel kommt gemäß ihres/seines Verhaltens.<br />
Es steht dafür, dass man all sein Tun und Handeln<br />
verantworten können muss vor einer höheren Instanz<br />
– als einzelner Mensch und als Gemeinschaft. Als<br />
Religionswissenschaftlerin stelle ich fest, dass diese<br />
Vorstellung nicht mehr sehr präsent ist. Die dominanten<br />
Vorstellungen von Glück und einem heilen Leben<br />
stellen heute vielmehr das Individuum mit seinen<br />
Bedürfnissen in den Mittelpunkt. Bei der Klimakrise<br />
unserer Tage merken die Menschen nun, dass eine<br />
Endzeit sich doch erschreckend nah anfühlen kann.<br />
Ich beobachte dabei, dass der Wunsch nach einer<br />
technischen Lösbarkeit im Zentrum steht, weniger<br />
die moralische Umkehr. Aber die ökonomische<br />
Wachstumsspirale hängt unmittelbar mit der Individualisierung<br />
und dem Glauben an eine „Machbarkeit“<br />
zusammen. Die offene Frage ist also, wie vereinzelte<br />
Individuen, die meinen, ihr Glück ganz für sich<br />
produzieren zu können, wieder zu einer Form der<br />
Gemeinschaft finden, die sich für ihr Handeln verantwortet<br />
und entsprechende politische Regeln aufstellt.<br />
Die Richterschaft hielt Seminar. Thema: das Richterbild.<br />
Zum Einstieg war die Benennung richterlicher<br />
Grundeigenschaften gefragt. Ein junger, noch<br />
brennender Kollege warf das Bestreben, „gerecht“<br />
zu urteilen, in die Runde. Diese reagierte befremdet.<br />
Einer drohte, sogleich zu gehen. Er habe die nutzlosen<br />
Diskussionen darüber, was „gerecht“ sei, satt.<br />
Erstaunlich: Alle Welt erwartet, bei Gericht<br />
Gerechtigkeit zu finden, aber die Richterschaft kann<br />
mit diesem Begriff nichts anfangen. Er entzieht sich<br />
nämlich einer allgemein gültigen Definition. Woran<br />
ist Maß zu nehmen? Die individuelle, soziale, religiöse,<br />
ideologische Prägung bringt den Einzelnen<br />
dazu, ein Urteil als gerecht oder ungerecht zu empfinden.<br />
Der pluralistisch-demokratische Richter<br />
entfernt sich zusehends von absoluten Standpunkten.<br />
Die eher undogmatische Abwägung, das Abgleichen,<br />
der gesellschaftlich verträgliche Kompromiss sind<br />
angesagt.<br />
Werden wir am Ende eines anderen belehrt? Vielleicht<br />
wird das Jüngste Gericht – so es uns erwartet<br />
– eine „Gerechtigkeit“ judizieren, die mit unseren<br />
einschlägigen Kategorien nichts gemein hat. Dann<br />
werden wir wirklich ein Seminar brauchen.<br />
ANNE KOCH, 49, ist Professorin für Interreligiosität an der<br />
Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz und<br />
Gastprofessorin an der Katholischen Privat-Universität Linz.<br />
WOLFGANG AISTLEITNER, 76, ehemaliger Richter in Linz,<br />
Autor und Spielleiter im Amateurtheaterbereich.<br />
14
FOTOS: TRISTAN VOSTRY, HANS KOSINA, HELGE KIRCHBERGER; ILLUSTRATION: STUDIO NITA<br />
Die Gerichte, die ich als Köchin zubereite, haben<br />
wohl nicht allzu viel mit Theologie zu tun. Wobei –<br />
manche Gäste mögen sie vielleicht schon als göttlich<br />
bezeichnet haben. Was das buchstäblich „Jüngste<br />
Gericht“ in unserem Restaurant betrifft, so handelt<br />
es sich dabei um die Ofenpaprika mit sautierten Eierschwammerln.<br />
Es ist eine Neuinterpretation des Eierschwammerlgulaschs:<br />
Der Paprika, der üblicherweise<br />
in Pulverform dem Gulasch seine charakteristische<br />
Schärfe gibt, schlüpft dabei in die Hauptrolle und<br />
kommt als Ganzes auf den Teller. Die Eierschwammerl<br />
werden dazu herrlich zart sautiert.<br />
Man könnte den Begriff des „Jüngsten Gerichts“<br />
aber auch noch anders gastronomisch umlegen: auf<br />
solche Speisen nämlich, die nur kurze Zeit richtig gut<br />
schmecken. Mein Lieblingsbeispiel sind die Palatschinken.<br />
Sie gehören immer ganz jung – also frisch<br />
aus der Pfanne – verspeist. Wer Palatschinken stapelt,<br />
einkühlt oder aufwärmt, den trifft der strenge<br />
Schiedsspruch der Küchenchefin.<br />
(Hinweis d. Red.: „Das KochDuett“, ein Kochbuch<br />
von Elisabeth und Clemens Grabmer mit solcherart<br />
modernisierten Klassikern, erschien im September<br />
im Christian Verlag.)<br />
ELISABETH GRABMER, 56, kocht gemeinsam mit Sohn<br />
Clemens im mit zwei Hauben ausgezeichneten Restaurant<br />
Waldschänke in Grieskirchen.<br />
15
GOTT & DIE WELT<br />
MARTINIGANSL<br />
EINMAL ANDERS<br />
Restlessen kann ein Hochgenuss sein! Dieses<br />
köstliche Gericht ist ideal, wenn der Hunger am<br />
Martinitag nicht für die ganze Gans gereicht hat.<br />
Zeitaufwand: 25 Minuten<br />
Zutaten für 4 Personen:<br />
500 g gebratenes Gänsefleisch<br />
2 rote Zwiebeln<br />
1 Fenchelknolle<br />
1 Knoblauchzehe<br />
1 große reife Birne<br />
2 EL Gänseschmalz<br />
1 Schuss Weißwein<br />
1 Prise gemahlener Anis<br />
Salz, Pfeffer<br />
1 kleiner Bund grob gehackte<br />
Petersilie<br />
übrige Erdäpfelknödel<br />
MARIA<br />
GAISWINKLER<br />
ist die Pfarrhaushälterin<br />
von<br />
Pfarrer Johann<br />
Hammerl in der<br />
Pfarre Bad Goisern,<br />
die dem heiligen<br />
Martin geweiht ist.<br />
Zubereitung:<br />
1. Das magere Gänsefleisch<br />
in Stücke zupfen. Zwiebeln<br />
und Fenchel schälen, in<br />
dünne Scheiben schneiden.<br />
Knoblauch schälen und<br />
hacken. Birne schälen und<br />
in Spalten schneiden.<br />
2. Gänseschmalz erhitzen,<br />
Zwiebeln, Fenchel und<br />
Knoblauch darin kräftig<br />
anrösten. Gänsefleisch und<br />
Birnenspalten zugeben, mit<br />
Wein ablöschen. Mit Anis,<br />
Salz und Pfeffer würzen,<br />
ca. 3 Minuten lang weiterkochen.<br />
Dann Petersilie<br />
ein mischen und mit gebratenen<br />
oder gekochten<br />
Knödeln servieren.<br />
»Im Pfarrhof koche ich oft mehr, als wir essen<br />
können. Dann kommt es am nächsten Tag eben<br />
noch einmal auf den Tisch – natürlich etwas ummodelliert.<br />
Die Knödel vom Vortag sind gebraten<br />
fast noch besser. Und wenn das Ganslfleisch<br />
trocken ist, gibt’s eben ein Glasl Wein dazu!«<br />
FOTOS: PRIVAT, EISENHUT & MAYER<br />
16
17
HIMMEL<br />
WIE WIR EIN STÜCK DAVON<br />
SCHON AUF ERDEN SCHAFFEN<br />
Wir gemeinsam sind in der Lage, den Himmel auf Erden<br />
in Augenblicken erfahrbar zu machen. Das beginnt bei einer<br />
kleinen Aufmerksamkeit gegenüber einer unbekannten Person<br />
– und endet in der Hingabe für ein Herzensprojekt.<br />
FOTO: CHRISTOPH KALTSEIS<br />
18
Ein Stern geht auf. Früher galten<br />
Kometen als Zeichen großer Veränderung<br />
– mal als Omen des<br />
Weltuntergangs, mal als Vorboten<br />
einer besseren Zeit. Wofür wohl<br />
der Komet „Neowise“ stand,<br />
der sich im Juli so malerisch am<br />
Himmel über Sarleinsbach zeigte?<br />
Das hängt davon ab, was wir<br />
daraus machen.<br />
19
[HERR]GOTT<br />
„TÄNZER SIND DIE<br />
ATHLETEN GOTTES“<br />
Silke Grabinger vermittelt selbst in schweren Zeiten Leichtigkeit<br />
und Freude an der Bewegung. Für die Oberösterreicherin ist<br />
Tanzen mehr als ein Beruf – es ist auch Ausdruck der Seele,<br />
Quelle von Spiritualität und Schlüssel zur Selbstfindung.<br />
TEXT: JANINA LEBISZCZAK<br />
FOTOS: CHRISTOPH LIEBENTRITT<br />
Sie wird SILK genannt. Silk wie<br />
Seide, jener leichte und glatte Stoff,<br />
den man auf der Haut kaum spürt.<br />
Aber Silke Grabinger, 38, ist nicht wie Seide<br />
– und der Name nur eine Kurzform. Der<br />
Stoff, aus dem diese Frau gemacht ist, den<br />
hat sie selbst entworfen, selbst gewoben, und<br />
er ist wunderbar wandelbar. Wir treffen<br />
SILK bei den Vorbereitungen für einen Tanzworkshop,<br />
den sie beim Wiener Festival<br />
ImPulsTanz gibt. Und schon beim ersten<br />
Anblick strahlt die Künstlerin, Choreografin<br />
und Akrobatin eine Präsenz aus, die nur jene<br />
ziert, die lieben, was sie tun. Und die dabei<br />
so wirken, als würden sie sich kein bisschen<br />
anstrengen. Silke Grabinger ist immer in<br />
Bewegung und ruht dabei doch in sich selbst.<br />
Wie es dazu kam? Eine Prise Zufall war dabei,<br />
aber vor allem sehr viel Selbstbestimmtheit.<br />
Und das von klein auf.<br />
Können Sie sich noch daran erinnern,<br />
wann Sie sich zum ersten Mal tanzend<br />
bewegt haben?<br />
Wenn ich Musik gehört habe oder irgendwo<br />
eine Bühne war, hat mich das schon immer<br />
magisch angezogen. Meine Mutter hat mir<br />
erzählt, dass ich, noch bevor ich gehen<br />
konnte, einen Trick hatte, um aus dem Gitterbett<br />
zu kommen: Ich habe einen Polster<br />
genommen und ihn übers Gitter geschmissen,<br />
mich dann an den Stangen hinaufgehantelt<br />
und mich auf das Kissen fallen<br />
lassen. So bin ich meinen Eltern immer<br />
20
Am Sprung. Als wir Silke<br />
Grabinger treffen, bereitet<br />
sie sich gerade auf einen<br />
Workshop vor. Akrobatik-<br />
Einlagen vor der Kamera<br />
gehen sich aber noch aus.<br />
21
[HERR]GOTT<br />
davongelaufen, weil ich einfach neugierig<br />
war – ich habe Menschen geliebt, und ich<br />
wollte jeden kennenlernen. Und wenn die<br />
noch dazu Musik gemacht haben, dann<br />
war’s ganz aus. Zu dieser Quelle wollte ich.<br />
Und jetzt? Mein eineinhalb Jahre alter<br />
Sohn hat getanzt, bevor er gegangen ist. Er<br />
hat sich rhythmisch bewegt, zu einem Beat,<br />
den nur er hören konnte.<br />
Liegt die Liebe zur Kunst in der Familie?<br />
Meine Eltern wollten beide künstlerische<br />
Berufe einschlagen, mein Papa wollte<br />
Grafik designer werden, meine Mutter hat<br />
sich am Anton Bruckner Konservatorium<br />
in Linz beworben. Das war aber dann für<br />
beide nicht möglich. Ich habe dann genau<br />
diese beiden Ausbildungen absolviert, eigentlich<br />
schräg. Mir ließen sie meine Freiheit,<br />
vielleicht auch, weil es gar nicht anders<br />
möglich gewesen wäre. Ballett zum<br />
Beispiel, das war recht schnell klar, war<br />
nicht so meine Sache. Und auch der Eiskunstlauf<br />
– obwohl ich wirklich gut war –<br />
hat mich nicht glücklich gemacht. Strenge<br />
Abläufe nach Schema F, das war nie meines.<br />
Ich möchte ständig tanzen, aber so,<br />
wie ich will! Das hat meine Laufbahn nicht<br />
unbedingt immer einfach gestaltet, zugegeben.<br />
Mittlerweile weiß ich auch, dass man<br />
sich alles hart erarbeiten muss, dass man<br />
die Regeln kennen muss, um sie zu brechen.<br />
Aber ich reagiere immer noch allergisch,<br />
wenn ich höre: so und nicht anders.<br />
Was war der Befreiungsschlag?<br />
BGirling, also weiblicher Breakdance. Da<br />
war plötzlich diese neue Kultur, der ich mit<br />
Erfolgsrezept.<br />
„Wenn ich in den<br />
Spiegel schauen<br />
und mich auf<br />
den Moment konzentrieren<br />
kann –<br />
dann bin ich<br />
erfolgreich.“<br />
»Strenge Abläufe nach Schema F, das war<br />
nie meines. Ich möchte ständig tanzen, aber<br />
so, wie ich will! Zugegeben, das hat meine<br />
Laufbahn nicht immer einfach gestaltet.«<br />
fünfzehn bei einer Veranstaltung in Linz<br />
begegnet bin. Eine Kultur, die Grenzen<br />
überschreitet und die Möglichkeit bietet,<br />
alle Bewegungen und alle Rhythmen zu<br />
kombinieren. Das hat mich nicht mehr<br />
losgelassen. Nach der Matura hab ich zwar<br />
die Aufnahmeprüfung an der Bruckner Uni<br />
gemacht. Drei Monate später bin ich aber<br />
schon dank einer Förderung der Stadt Linz<br />
durch Europa getourt – um BGirling zu<br />
lernen und selber zu lehren. So hatte ich<br />
die Möglichkeit, auf Battles zu gehen,<br />
Workshops zu besuchen und die Leute in<br />
der Tanzszene kennenzulernen. Das war<br />
der Grundstein für vieles, was danach kam.<br />
Was kam? Silke Grabinger kam zum Tanztheater,<br />
etwa mit Projekten bei der Renegade<br />
Theatre Company, mit der sie durch Europa<br />
und Afrika tourte, oder dem Urban-Dance-<br />
Festival Pottporus in Deutschland. Bis Talentscouts<br />
vom Cirque du Soleil aus Montréal<br />
auf sie aufmerksam wurden. Beim Casting<br />
vor einer der anspruchsvollsten Jurys der<br />
Welt wurde sie quasi durchgewinkt. Und<br />
plötzlich war sie Solokünstlerin im großen<br />
Cirque du Soleil. Eine Österreicherin Mitte<br />
20, eine Autodidaktin – umgeben von den<br />
22
esten Artisten und Artistinnen dieser Welt.<br />
Und nicht alle davon konnten ihre Freude<br />
darüber teilen. Eine harte Zeit, aber auch<br />
eine lehrreiche. Von 2006 bis 2008 tanzte<br />
Grabinger in der Cirque-du-Soleil-Produktion<br />
„The Beatles LOVE“ und arbeitete mit<br />
den Spitzen der internationalen Choreografie<br />
zusammen.<br />
Wie war Ihre Zeit im Cirque du Soleil?<br />
Schon das Casting war beeindruckend.<br />
Ich bin in diesem Proberaum gesessen,<br />
es kamen drei Männer rein, einer schaut<br />
mich an, sagt „It’s her!“ („Das ist sie!“)<br />
und geht wieder. Also bin ich los nach<br />
Las Vegas. Und habe 1.117mal das gleiche<br />
Solo getanzt.<br />
Sie haben doch vorher geschildert, dass<br />
Routine nicht unbedingt zu Ihnen passt …<br />
Ich habe dort professionell arbeiten gelernt.<br />
Und zwar sehr schnell: Dort waren 65 Leute<br />
im Cast, die schon acht Monate zusammengearbeitet<br />
hatten – ich bin vier Monate<br />
vor dem Opening hin, habe alle Choreografien<br />
nachlernen müssen. Kurz nach der<br />
Premiere wurde ich auch noch für eine<br />
LuftakrobatikNummer trainiert. Wenn ich<br />
heute noch einmal vor der Entscheidung<br />
stünde, würde ich es wieder tun. Eine<br />
Kopfüber. Sie probierte Ballett und Eiskunstlauf aus. Aber im<br />
B-Girling, dem weiblichen Breakdance, fand sie ihre Berufung.<br />
TÄNZERIN, CHOREOGRAFIN, AKROBATIN<br />
Mit Humor. Hart, aber voll lustiger Anekdoten:<br />
Silke Grabingers Zeit beim Cirque du Soleil.<br />
Silke Grabinger<br />
verbindet urbanen<br />
und zeitgenössischen<br />
Tanz mit<br />
performativer und<br />
bildender Kunst.<br />
Ihr Fokus liegt<br />
auf der Auseinandersetzung<br />
mit<br />
gesellschaftlichen<br />
Phänomenen,<br />
künstlerischen Paradigmen<br />
und der<br />
Funktion des Publikums.<br />
Nachdem sie<br />
von 2006 bis 2008<br />
in der Cirque-du-<br />
Soleil-Produktion<br />
„The Beatles LOVE“<br />
tanzte, kreierte sie<br />
2008 ihr erstes Solotanzstück<br />
[SLIK]<br />
mit Pilottanzt. Besonders<br />
wichtig ist<br />
ihr die Förderung<br />
von Nachwuchstalenten:<br />
Mit SILK<br />
Fluegge entwickelt<br />
sie Tanz- und Performanceproduktionen<br />
(nicht nur)<br />
für junge Menschen<br />
und wurde dafür<br />
mit dem „STELLA<br />
15“-Award für herausragende<br />
Produktionen<br />
für Jugendliche<br />
aus gezeichnet.<br />
www.silk.at<br />
23
»Eins zu sein mit allem, einfach<br />
mit der Welt mitzuschwingen,<br />
das hat eine wahnsinnige Kraft.<br />
Das ist für mich der ultimative<br />
Seelenfrieden.«<br />
Cirque ergeben haben, habe ich die am<br />
wenigsten lukrative gewählt, aber jene, die<br />
am nächsten bei meiner Familie war.<br />
Riesenchance, aber doch auch wie Fabriksarbeit.<br />
Nach 500 Shows wird dir bewusst,<br />
dass die Leute wie Maschinen arbeiten und<br />
während der ärgsten Akrobatik-Nummer in<br />
Gedanken ihre Einkaufszettel durchgehen.<br />
Danach kam sogar ein Angebot aus<br />
Hollywood. Warum sind Sie doch zurück<br />
nach Österreich?<br />
Ich hätte als Assistentin eines großen Choreografen<br />
in Los Angeles beginnen können.<br />
Diese unglaublichen Talente stehen alle in<br />
einer Reihe und haben 30 Sekunden Zeit,<br />
um zu zeigen, was sie können. Und du<br />
sagst: nein, du nicht … du nicht … du schon<br />
– und das bin ich nicht. Da mache ich lieber<br />
meine eigene Company auf und fang bei<br />
null an, aber unter meinem Namen. Von<br />
allen Möglichkeiten, die sich nach dem<br />
Körpergefühl.<br />
Tanz als Akrobatik:<br />
Da weiß jeder<br />
Muskel genau,<br />
was er zu tun hat.<br />
Langsam wird es für Silke Grabinger Zeit,<br />
sich umzuziehen, denn ihr Tanzworkshop<br />
beginnt gleich. Open Air, versteht sich, denn<br />
auch in Zeiten von Corona – oder gerade in<br />
diesen – soll getanzt werden. In weiten Sporthosen<br />
hat sie jede Bewegungsfreiheit. Gesprochen<br />
wird wenig, in ihrem stark physisch ausgerichteten<br />
Unterricht liegt der Fokus auf<br />
Technik, Ausdruck und Musikalität. Gemeinsam<br />
erforschen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
ihr individuelles Bewegungsvokabular,<br />
ganz intuitiv und niemals wertend. Alle<br />
machen mit, schwitzen, lächeln und wirken<br />
am Ende glücklicher und ausgeglichener.<br />
Hat Tanz für Sie etwas Heilendes,<br />
vielleicht auch Spirituelles?<br />
Wie heißt es so schön: Tänzer sind die Athleten<br />
<strong>Gott</strong>es. Tanz hat mich auf jeden Fall<br />
Vorbild. Silke arbeitet viel mit jungen Mädchen<br />
und animiert sie, ihren eigenen Weg zu gehen.<br />
24
[HERR]GOTT<br />
gerettet. Wenn man von klein auf gelernt<br />
hat, mit Disziplin und Struktur zu leben,<br />
war es heilend zu sehen, dass man daraus<br />
ausbrechen kann. Und zum Thema Spiritualität:<br />
Ich schaffe es beim Tanzen, mich<br />
mehr in meiner Seele zu spüren – vor allem<br />
wenn ich mich mit dem, was um mich herum<br />
ist, verbinde. Nicht nur mit den Menschen.<br />
Das kann im Endeffekt alles sein,<br />
was mich umgibt. Beim Wiener Kultursommer<br />
habe ich eine Performance gemacht,<br />
in der sehr viele hypnotische, rhythmische<br />
Elemente dabei waren. Da verbindest du<br />
dich so stark mit der Welt, dass du dich fast<br />
entkörperst. Eins zu sein mit allem, einfach<br />
mit der Welt mitzuschwingen, das hat eine<br />
wahnsinnige Kraft. Das ist der ultimative<br />
Seelenfrieden.<br />
Kostet das nicht auch viel Kraft?<br />
Ich habe diese unglaubliche Möglichkeit,<br />
zu machen, was ich liebe, und davon zu leben.<br />
Das kostet mich keine Kraft, sondern<br />
gibt sie mir. Selbst im Lockdown, da habe<br />
ich Konzepte für Performances geschrieben.<br />
Zum Beispiel „Sitzlust“, gemeinsam<br />
mit <strong>Gott</strong>hard Wagner, das hat bereits stattgefunden.<br />
Alle performen dabei sitzend,<br />
und das hat gut funktioniert. Ansonsten<br />
bin ich mit meiner Familie so oft wie möglich<br />
in der Natur unterwegs. Da ist man<br />
dem Himmel bekannterweise am nächsten.<br />
Was bedeutet Erfolg für Sie?<br />
Für viele Tänzerinnen und Tänzer ist der<br />
Cirque die Endstation, aber ich wollte da ja<br />
gar nie hin, es ist mir einfach passiert. Es<br />
geht mir karrieretechnisch nicht darum,<br />
dass mich besonders viele Leute gesehen<br />
haben. Wenn ich in den Spiegel schauen<br />
kann und mich auf den Moment konzentrieren,<br />
ihn spüren kann – dann bin ich erfolgreich.<br />
Als ich damals angefangen habe,<br />
habe ich so sehr dafür gekämpft: für sich<br />
selbst einstehen, Wertschätzung bekommen.<br />
Das versuche ich weiterzugeben und<br />
Motivation.<br />
„Ich mache, was<br />
ich liebe, und kann<br />
davon leben. Das<br />
kostet mich keine<br />
Kraft, sondern<br />
gibt sie mir.“<br />
arbeite darum gerne mit jungen Frauen,<br />
zum Beispiel beim Projekt „B-Girl Circle“.<br />
Ich brauche keine braven Schülerinnen und<br />
Schüler, ich war ja auch nicht brav. Ich<br />
habe versucht, kreative Lösungen zu finden,<br />
meinen eigenen Weg zu gehen, und<br />
dazu will ich auch die Kids animieren.<br />
Aber nicht alle tun sich so leicht mit dem<br />
Tanzen. Wie kann man Menschen die Berührungsängste<br />
vor dem Tanz nehmen?<br />
Jeder Mensch kann tanzen! Das ist einfach<br />
etwas, was in uns liegt. Es geht nur darum,<br />
wie sehr es gefördert wird. Tanz ist eine<br />
Möglichkeit, sich in seinem Körper zu finden<br />
und ihn gleichzeitig auch zu verlassen.<br />
Und die meiste Angst haben die Menschen<br />
ja nicht vor sich selbst, sondern vor der<br />
Reflexion im Außen. Bin ich schön genug,<br />
toll genug, bewege ich mich gut – aber<br />
wenn du in dir selbst ein bisschen Ehrlichkeit<br />
spürst, merkst du, dass es nicht darum<br />
geht, was das Außen mit dir macht. Dann<br />
kannst du zulassen, berührbar zu werden.<br />
Du kannst auch irgendwo herumstehen und<br />
in dir drinnen tanzen und keiner sieht es.<br />
Tanz ist überall und immer – in jeder<br />
Alltags bewegung.<br />
25
HIMMEL<br />
EINE<br />
BUSLADUNG<br />
MITGEFÜHL<br />
Das Help-Mobil in Linz bietet bedürftigen<br />
Menschen medizinische Basisversorgung an.<br />
Und als Draufgabe gibt es Ansprache auf<br />
Augenhöhe und Herzenswärme.<br />
TEXT: JANINA LEBISZCZAK<br />
FOTOS: RAPHAEL GABAUER<br />
Es sind die Menschen, für die<br />
einige von uns gerne spenden,<br />
manche regelmäßig, manche<br />
am liebsten zur Weihnachtszeit. Aber<br />
nur wenige pflegen den direkten Kontakt<br />
mit ihnen: Obdachlose, Alkoholkranke,<br />
Gestrandete, manchmal mit psychischer<br />
Erkrankung, oft durch schreckliche Schicksalsschläge<br />
gezeichnet.<br />
Wie der junge Mann aus einem Dorf<br />
nahe Linz, der seine gesamte Familie bei<br />
einem Unfall verlor und danach in die Alkohol-<br />
und Drogensucht abglitt – nun lebt<br />
er auf der Straße, schläft in Notquartieren.<br />
Oder die labile Frau, die meint, sie sei seit<br />
Jahren hochschwanger – aber die ersehnten<br />
Zwillinge kommen nie zur Welt. Oder die<br />
Roma-Burschen, die für ihre Schwestern<br />
dringend Corona-Schutzmasken benötigen<br />
und ihren Stolz bei der Abholung am Bus<br />
tapfer runterschlucken. Auch der freundliche<br />
Türke, der von sich selbst sagt, er<br />
sei „etwas langsam im Kopf“, und der seit<br />
seiner Scheidung ohne festen Wohnsitz<br />
ist, schaut regelmäßig vorbei – jetzt soll er<br />
abgeschoben werden, in ein Land, das er<br />
26
Grundversorgung.<br />
Die Allgemeinmedizinerin<br />
Elisabeth Füreder ist im<br />
Ruhestand. Im Help-Mobil<br />
hilft sie ihren Mitmenschen<br />
weiterhin.<br />
27
HIMMEL<br />
Hilfe auf Rädern.<br />
Eigentlich steht das<br />
Help-Mobil direkt<br />
auf dem Domplatz.<br />
Wegen Corona ist es<br />
auf einen Parkplatz<br />
in der Baumbachstraße<br />
ausgewichen.<br />
nicht mehr kennt. Aber nicht allen Besucherinnen<br />
und Besuchern des HelpMobils, das<br />
montags und freitags auf dem Linzer Domplatz<br />
steht, sieht man ihre Lage an: Das sind<br />
oft jene Menschen, die unter den Auswirkungen<br />
der CoronaPandemie leiden, ihren<br />
Job verloren haben und nicht mehr wissen,<br />
wie sie ihre Familie versorgen sollen.<br />
Berührbar bleiben<br />
Für sie alle ist das Team der oberösterreichischen<br />
CaritasMitarbeiterin Michaela<br />
Snacks für die Seele. Kekse, Knabberzeug<br />
und kleine Geschenke geben Trost.<br />
»Wohnungslose Menschen haben nur<br />
schwer Zugang zu ärztlicher Versorgung –<br />
teilweise, weil sie keine Versicherung<br />
haben, teilweise aus Angst oder Scham.«<br />
EINFACH HELFEN<br />
Michaela Haunold,<br />
Leiterin der<br />
Caritas-Sozialberatungsstellen,<br />
hat das Help-Mobil<br />
initiiert. Sie koordiniert<br />
die Organisationen<br />
und die<br />
vielen Freiwilligen,<br />
die das Projekt<br />
erst möglich<br />
machen.<br />
Elisabeth Füreder, Ärztin im Help-Mobil<br />
Haunold da. „Berührbar bleiben“, so<br />
lautet das Motto ihrer Arbeit. „Sich nicht<br />
runter ziehen lassen, aber offen für andere<br />
bleiben. Und: schnell und unbürokratisch<br />
helfen.“ Das HelpMobil ist ihr „Baby“, und<br />
Haunold strahlt so viel positive Energie aus,<br />
dass es ansteckend ist. Das bereits ausgemusterte<br />
Vorgängermodell, ein umgebautes<br />
Rettungsfahrzeug, hätte sie am liebsten<br />
selbst behalten, so sehr hängt ihr Herz an<br />
dem Projekt. Doch das neue HelpMobil,<br />
mitfinanziert durch eine Crowdfunding<br />
Aktion, spielt dafür „alle Stückln“: Es bietet<br />
mehr Platz für die medizinische Versorgung,<br />
aber auch für Decken und Schlafsäcke,<br />
die im Winter verteilt werden.<br />
Organisiert wird die „Hilfe auf Rädern“<br />
von der Caritas, dem ArbeiterSamariter<br />
Bund, dem Orden der Barmherzigen<br />
28
HIMMEL<br />
Schwestern, dem Hilfsdienst des Lazarus<br />
Ordens und vom Roten Kreuz Linz – und<br />
jede Organisation gibt, was sie geben<br />
kann: von selbst gebackenen Weckerln<br />
bis zu bunten MundNasenMasken, die<br />
von Flüchtlingen genäht werden. Die medizinische<br />
Grundversorgung wird mit der<br />
Unterstützung ehrenamtlich tätiger Ärztinnen<br />
und Ärzte angeboten. Die pensionierte<br />
Allgemeinmedizinerin Elisabeth Füreder ist<br />
regelmäßig mit an Bord; gerade im Winter,<br />
wenn die Kälte noch krankheitsanfälliger<br />
macht, ist ihre Arbeit gefragt.<br />
„Durch das Leben auf der Straße sind<br />
die Menschen häufiger krank. Wohnungslose<br />
Menschen haben nur schwer Zugang<br />
zu ärztlicher Versorgung – teilweise, weil<br />
sie keine Versicherung haben, teilweise aus<br />
Angst oder Scham“, erzählt sie. „An erster<br />
Wendig. Fahrer Harald Danner vom Samariterbund<br />
lenkt das Help-Mobil durch Linz.<br />
Gesundheits-Check. Kurz die Lunge abhören oder Puls<br />
und Blutdruck messen – auch das geht im Help-Mobil.<br />
WENN ES<br />
KALT WIRD …<br />
… ist unser Mitgefühl<br />
gefragt. Die Caritas<br />
Oberösterreich<br />
benötigt gerade im<br />
Winter dringend<br />
Unterstützung.<br />
Gebraucht werden<br />
Schlafsäcke, Isomatten,<br />
Kleidung,<br />
Hygieneprodukte,<br />
Lebensmittel und<br />
Geldspenden. Mit<br />
nur 25 Euro versorgen<br />
Sie Menschen<br />
in den Obdachloseneinrichtungen<br />
und Krisenwohnungen<br />
mit einem<br />
Hygie nepaket. Und<br />
mit 50 Euro helfen<br />
Sie einer obdachlosen<br />
Person mit<br />
Medikamenten. Alle<br />
Infos zu Spenden<br />
und Möglichkeiten<br />
zur Mithilfe unter:<br />
www.caritas-linz.at<br />
Stelle stehen die Versorgung von Wunden,<br />
das Wechseln von Verbänden und die Ausgabe<br />
von warmer Kleidung und Medikamenten<br />
– besonders in der Grippezeit.“<br />
Basisarbeit des Guten<br />
Das HelpMobil ist auch Anlaufstelle und<br />
oft einziger sozialer Kontakt für jene Menschen,<br />
die keine anderen ObdachlosenEinrichtungen<br />
aufsuchen. Sozialarbeiterinnen<br />
und Sozialarbeiter bieten Beratungen an,<br />
Ehrenamtliche schenken den Menschen<br />
Aufmerksamkeit und Zuwendung. Auffallend<br />
ist, was alle Beteiligten – die Ärztinnen,<br />
den Einsatzleiter, den Zivildiener, den<br />
Fahrer und die vielen anderen freiwilligen<br />
Helferinnen und Helfer – eint: Sie machen<br />
keinen Unterschied, wer da vor ihnen steht,<br />
sie bewerten nicht, sie sind einfach nur da,<br />
hören zu und helfen. Und sie kennen fast<br />
alle Bedürftigen, die regelmäßig zum Help<br />
Mobil kommen, beim Namen. Denn sie<br />
versorgen ihre Klientel nicht nur mit Nasentropfen<br />
oder heißem Tee, sondern auch mit<br />
dem, was jeder Mensch am dringendsten<br />
braucht: Ansprache auf Augenhöhe.<br />
29
HIMMEL<br />
DURCH UNSERER<br />
HÄNDE ARBEIT<br />
Gutes Wirtschaften beginnt dort, wo es<br />
über das Profitstreben hinausgeht. Denn<br />
Wirtschaft, das sind wir alle – vom CEO eines<br />
Großkonzerns bis zur Bio-Gemüsebäuerin.<br />
TEXT: MARTIN FOSZCZYNSKI<br />
FOTOS: ASA 12/GREGOR KUNTSCHER<br />
St. Martin im Innkreis: Wo für<br />
Jahrhunderte nur die sprichwörtliche<br />
grüne Wiese war, hin<br />
und wieder unterbrochen von ein paar Häusern,<br />
die sich um einen Kirchturm scharten,<br />
stehen heute riesige Hallen mit noch größeren<br />
Parkplätzen davor. Drinnen herrscht<br />
emsiges Treiben: In klimatisierter und<br />
staubfreier Atmosphäre wird 24 Stunden<br />
am Tag gefräst und geleimt, gebohrt und<br />
getestet. Etwa 3.000 Menschen arbeiten in<br />
den oberösterreichischen Werken der FACC<br />
AG; damit ist sie einer der größten Arbeitgeber<br />
des Landes. Und ohne ihre Arbeit könnte<br />
kein einziges Passagierflugzeug der Welt<br />
ROBERT<br />
MACHTLINGER<br />
hat als Lehrling<br />
beim Skihersteller<br />
Fischer begonnen.<br />
Als Fischer Advanced<br />
Composite<br />
Components, kurz<br />
FACC, gegründet<br />
wurde, wechselte<br />
er dorthin. Seit<br />
2015 ist er CEO<br />
des Konzerns.<br />
abheben. Vom aerodynamischen Winglet<br />
über die schalldämmende Triebwerks-<br />
Ummantelung bis zur Passagierkabine in<br />
Leichtbauweise: Alle diese Komponenten<br />
werden hier im Innviertel für namhafte<br />
Kunden wie Boeing und Airbus gefertigt.<br />
„Unsere Technologien und Leichtbau-<br />
Komponenten haben dazu beigetragen, dass<br />
der CO2-Ausstoß der Luftfahrt in den letzten<br />
40 Jahren halbiert wurde“, sagt Robert<br />
Machtlinger, CEO der FACC AG, nicht ohne<br />
Stolz. Als er vor über 30 Jahren hier anheuerte,<br />
war sie noch ein kleines Tochterunternehmen<br />
des Skiherstellers Fischer. Heute<br />
steht der einstige Fischer-Lehrling einem<br />
globalen Konzern mit tausenden Beschäftigten<br />
vor. Während wir durch die riesige<br />
Werkshalle gehen, sehen wir einige von<br />
ihnen ganz vertieft in ihre Arbeit. Manche<br />
schauen kurz auf und grüßen, der CEO<br />
grüßt zurück. Wir bleiben an einer durch-<br />
30
»Vor 30 Jahren war das<br />
Innviertel ein industrielles<br />
Notstandsgebiet, heute ist<br />
es eine Wachstumsregion.<br />
Das spiegelt sich auch in<br />
Wohlstand und Zufriedenheit<br />
der Menschen wider.«<br />
Robert Machtlinger, CEO von FACC<br />
löcherten Zylinderhälfte aus Karbonfasern<br />
stehen und Robert Machtlinger bittet uns,<br />
den Kopf dort hineinzustecken. Und plötzlich<br />
ist es ganz still. Das betriebsame Werkeln<br />
in der Halle rückt in weite Ferne.<br />
„Genau das treibt uns seit jeher an“,<br />
sagt Machtlinger, „innovative Dinge zu<br />
entwickeln, die die Luftfahrt verbessern –<br />
und letztlich das Leben der Menschen.“<br />
Der Ring aus Karbon ist eine Ummantelung<br />
für Flugzeugtriebwerke. Durch die spezielle<br />
Bearbeitung können sie bis zu 60 Prozent<br />
leiser gemacht werden. Er ist überzeugt,<br />
dass Mobilität ein Grundbedürfnis der<br />
Menschen ist. Wie es auch in Zukunft gestillt<br />
werden kann, ohne dass es auf Kosten<br />
der Umwelt geht, sieht er als Kernfrage<br />
seines Unternehmens.<br />
Doch derzeit muss sich Robert Machtlinger<br />
mit ganz anderen Fragen beschäftigen.<br />
Durch die Corona-Krise sind im ersten Halbjahr<br />
<strong>2020</strong> die meisten Flugzeuge am Boden<br />
geblieben. Bei FACC hat das für viel Kopfzerbrechen<br />
gesorgt. Es sind aber nicht nur<br />
wirtschaftliche Erwägungen, die Machtlinger<br />
umtreiben. Schon in der Vergangenheit<br />
versuchte das Unternehmen, etwas zur positiven<br />
Entwicklung der Region beizutragen.<br />
So setzte sich FACC dafür ein, dass in Ried<br />
eine HTL für Maschinenbau entstand – die<br />
Werkstätten stellte das Unternehmen zur<br />
Verfügung. Die Corona-Krise hat die Frage<br />
nach dem richtigen, menschengerechten<br />
Handeln noch einmal zugespitzt. Während<br />
für die FACC-Belegschaft bis Ende Septem-<br />
Mittendrin. Auch<br />
ein internationaler<br />
Konzern muss in<br />
der Region verwurzelt<br />
sein und ihr<br />
etwas zurückgeben<br />
können, findet<br />
FACC-CEO Robert<br />
Machtlinger.<br />
ber Kurzarbeit beantragt wurde, beschloss<br />
das Management, auf 20 Prozent seiner<br />
Netto-Bezüge zu verzichten, und zahlt in<br />
einen Härtefonds für Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter ein. Als Vorstand eines börsennotierten<br />
Unternehmens muss Machtlinger<br />
aber auch Interessen der Aktionäre berücksichtigen<br />
– die Entscheidung, für 2019 die<br />
Dividende nicht auszuschütten, sondern als<br />
Zukunftskapital im Unternehmen zu belassen,<br />
stieß auch beim chinesischen FACC-<br />
Mehrheitseigentümer auf Zustimmung.<br />
Auch wenn sich das Unternehmen in<br />
Zukunft kleiner aufstellen muss – Robert<br />
Machtlinger ist überzeugt, dass es weiterhin<br />
eine wichtige Rolle in der Region erfüllen<br />
kann. „Vor 30 Jahren war das Innviertel ein<br />
industrielles Notstandsgebiet, heute ist es<br />
31
HIMMEL<br />
die am stärksten wachsende Region Österreichs<br />
– und das spiegelt sich auch im Wohlstand<br />
und der Zufriedenheit der Menschen<br />
wider.“ Denn Wirtschaft ist mehr als Kapitalmärkte,<br />
Bilanzen und Leitzinsen – und<br />
sie ist auch mehr als nur Erwerbsarbeit. Es<br />
geht darum, die Ressourcen dieser Erde, die<br />
Arbeit der Menschen, das Wissen von Generationen<br />
und das investierte Kapital weise<br />
zu nutzen, um ein gutes Leben für alle zu<br />
ermöglichen. Wer mit den Menschen im<br />
Land spricht, merkt, dass über dieses Ziel<br />
bemerkenswerte Einigkeit herrscht. Auch<br />
wenn es über den Weg dorthin ganz unterschiedliche<br />
Ansichten gibt.<br />
Turbulenzen.<br />
Corona hat den<br />
Luftfahrt-Konzern<br />
FACC voll erwischt.<br />
Doch CEO Robert<br />
Machtlinger lässt<br />
nichts unversucht,<br />
um die Jobs in der<br />
Region zu halten.<br />
sah sie – das „Bauernkind“ – die Anfänge<br />
einer anderen Entwicklung: das Sterben der<br />
bäuerlichen Betriebe. Infolge des EU-Beitritts<br />
und der Marktliberalisierung sanken<br />
die Preise für Lebensmittel, zahlreiche<br />
Landwirte wechselten in den Nebenerwerb<br />
oder gaben ihren Hof ganz auf. Ein zweites<br />
Schlüsselerlebnis waren Au-pair-Aufenthalte<br />
in Paris und London nach der Matura.<br />
Dem gehetzten Großstadtleben konnte sie<br />
wenig abgewinnen. Am stärksten aber irritierte<br />
sie das Konsumverhalten: „Die Leute<br />
standen in den riesigen Hypermarchés ratlos<br />
vor Regalen mit 20 Joghurtsorten, hinterließen<br />
Berge an Müll.“<br />
Sie hatte Sehnsucht nach ihrem Zuhause,<br />
wo die Eltern – Landwirte mit Leib und Seele<br />
– täglich Essen vom eigenen Hof auf den<br />
Tisch stellten. Diese kleinbäuerliche Struktur<br />
wollte sie von nun an bewahren. Nachdem<br />
sie und ihr Mann einige Jahre in der Privatwirtschaft<br />
gearbeitet hatten, beschlossen sie,<br />
ihr Leben grundlegend zu ändern. Sie übernahmen<br />
das Grundstück eines alten Dreikanthofs<br />
und begannen 2007, Gemüse-Raritäten<br />
anzubauen. Heute ziehen sie mehr als<br />
Ein Garten Eden in Arbeit<br />
Einen anderen Blickwinkel auf ihre Heimatregion<br />
hat Margit Mayr-Lamm, Betreiberin<br />
der Bio-Landwirtschaft fairleben in Allhaming.<br />
Wir treffen sie mitten in den Vorbereitungen<br />
auf die Buschenschank-Eröffnung<br />
– die nicht ohne Zwischenfälle verlaufen:<br />
Zwischen Kukuruzfeldern und Wild wiese<br />
herrscht sympathisches Chaos. Ihr Mann<br />
Josef hat wieder mal Gartenwerkzeug im<br />
Gewächshaus, in dem seltene Gemüsesorten<br />
gedeihen, liegen lassen, eine freche<br />
Maus hat über Nacht die Tulpenzwiebeln<br />
aufgefressen. „Die üblichen Probleme im<br />
Bio-Idyll“, lacht sie.<br />
Wo der FACC-Boss vor einem Vierteljahrhundert<br />
industrielles Brachland ausmachte,<br />
Rare Gewächse. In ihrem Gewächshaus bauen die Mayr-Lamms seltene<br />
Gemüsesorten an, darunter über 60 verschiedene Sorten Paradeiser.<br />
32
HIMMEL<br />
60 verschiedene Sorten Paradeiser, Paprika,<br />
Zucchini, Gurken, Kürbisse, Melanzani, Chilis,<br />
Spinat und Asia-Salate, die sie auf den<br />
Bauernmärkten in der Region verkaufen. Ein<br />
weiteres Standbein ist der Verkauf von Jungpflanzen.<br />
Auch wenn das Unternehmen kostendeckend<br />
läuft – ein Vollblut-Betriebswirt<br />
würde sich angesichts des Businessplans<br />
von Margit Mayr-Lamm wohl an den Kopf<br />
greifen. Sie baut ausschließlich samenfeste<br />
Sorten an, deren Saatgut jeder Konsument<br />
selber vermehren kann. Überhaupt könnte<br />
Mayr-Lamms Betrieb viel größer sein, die<br />
Nachfrage nach Bio-Gemüse und Jungpflanzen<br />
ist enorm. Während der Corona-Krise<br />
MARGIT<br />
MAYR-LAMM<br />
betreibt seit 2007<br />
die Bio-Landwirtschaft<br />
fairleben in<br />
Allhaming, wo sie<br />
Gemüse-Raritäten<br />
anbaut und sich<br />
ganz dem Prinzip<br />
des Gemeinwohls<br />
verschrieben hat.<br />
»Gutes Wirtschaften bedeutet,<br />
unseren Planeten für die<br />
Zukunft zu bewahren und so<br />
zu handeln, dass es möglichst<br />
wenig negative Auswirkungen<br />
auf andere hat.«<br />
Margit Mayr-Lamm, Bio-Bäuerin<br />
gab es einen regelrechten Ansturm auf die<br />
Märkte, erzählt Frau Mayr-Lamm. Doch statt<br />
auf Wachstum und Produktionssteigerung<br />
setzt sie auf Kooperationen mit benachbarten<br />
Betrieben. So erhält jeder ein Stück vom<br />
Kuchen – und für sie und ihren Mann geht<br />
sich ab und zu auch ein spontaner Badetag<br />
am nahen Attersee aus.<br />
Dass Mayr-Lamm mit ihrer Strategie<br />
einiges an Gewinn durch die Finger rieselt,<br />
bereitet ihr kein Kopfzerbrechen, denn sie<br />
sät etwas anderes, das für sie mehr Wert<br />
besitzt: biologische Vielfalt, starke lokale<br />
Wirtschaftskreisläufe und eine sichere<br />
Lebensmittelversorgung für alle. Sinnerfüllte<br />
Arbeit ist für sie, wenn sie dem<br />
Wohle aller dient und etwas für die Gemeinschaft<br />
leistet. Mayr-Lamm lässt ihren Betrieb<br />
anhand einer „Gemeinwohlbilanz“<br />
bewerten, die weit mehr beinhaltet als nur<br />
finanzielle Kennzahlen. Denn beim Wirtschaften<br />
geht es ihr nicht nur darum, was<br />
unterm Strich herauskommt, sondern sie<br />
fragt sich auch: „Wie komme ich zu diesem<br />
Ergebnis? Wie gehe ich auf dem Weg<br />
Leben auf dem Land.<br />
Josef und Margit Mayr-<br />
Lamm konnten dem gehetzten<br />
Großstadtleben<br />
wenig abgewinnen –<br />
und setzen sich nun für<br />
den Erhalt kleinbäuerlicher<br />
Strukturen ein.<br />
33
dorthin mit den Menschen, wie mit der<br />
Natur um?“ Es beginnt bei den Eiern und<br />
Lebensmitteln für die Buschenschank, die<br />
sie, oft mittels Extra-Kilometern auf dem<br />
Fahrrad, von den umliegenden Bauern bezieht,<br />
und reicht über die Photovoltaik anlage<br />
zur Stromerzeugung bis zur Herkunft<br />
der Töpfe und der Erde für die Jungpflanzen.<br />
„Verbesserungspotenzial findet sich immer“,<br />
fügt sie an und gesteht leicht verlegen,<br />
dass die Servietten immer noch von<br />
Ikea stammen. Den perfekten Garten Eden<br />
hat auch sie in Allhaming noch nicht geschaffen,<br />
aber sie versuche, ihm so nahe wie<br />
möglich zu kommen. „Gutes Wirtschaften<br />
bedeutet, unseren Planeten für die Zukunft<br />
zu bewahren und so zu handeln, dass es<br />
möglichst wenig negative Auswirkungen auf<br />
Familiär. Doris<br />
Hummer kennt<br />
jede Person in der<br />
Belegschaft bei<br />
DOMICO. Und sie<br />
weiß, wer die beste<br />
Schokolade in der<br />
Schreibtischlade<br />
hortet.<br />
andere hat. Liebe deinen Nächsten wie dich<br />
selbst“ – die Botschaft Jesu bringt es für sie<br />
auf den Punkt. Auch für Großunternehmen<br />
sei es möglich, ethische Maßstäbe anzusetzen<br />
und ihr Tun in einem umfassenderen<br />
Kontext zu sehen, ist Mayr-Lamm überzeugt.<br />
„Es ist nur eine Frage des Willens.“<br />
Wirtschaft ist kein Selbstzweck<br />
Auch Doris Hummer sieht Wirtschaft in<br />
großen Zusammenhängen. Nicht umsonst<br />
hat sie sich in jungen Jahren für ein Studium<br />
der Volkswirtschaftslehre entschieden.<br />
„Mich hat vor allem eine Frage fasziniert:<br />
Welches Wirtschaftssystem schafft ein gutes<br />
Leben für alle?“ Heute ist sie Präsidentin<br />
der Wirtschaftskammer Oberösterreich –<br />
die erste Frau in dieser Position. Und als<br />
Geschäftsführerin des von den Eltern übernommenen<br />
Unternehmens DOMICO, Spezialist<br />
für Gebäudesysteme aus Metall, auch<br />
mit der wirtschaftlichen Praxis bestens vertraut.<br />
Ihre 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
kennt sie alle, darüber besteht bei einem<br />
Rundgang durch das mit werkseigenen<br />
Bauteilen errichtete DOMICO-Hauptquartier<br />
in Vöcklamarkt kein Zweifel. Wer die<br />
beste Schokolade in der Schreibtisch lade<br />
hortet, weiß sie genau, und ebenso, bei<br />
wem gerade ein Zahnarzttermin ansteht.<br />
Wirtschaft ist für Doris Hummer, die sich in<br />
ihrer Jugend in katholischen Organisationen<br />
Weitblick. Gewinne müssen für Doris Hummer<br />
nichts Böses sein, solange man sie in die Zukunft<br />
investiert und neue Arbeitsplätze schafft.<br />
34
HIMMEL<br />
»Wirtschaft ist letztlich die<br />
Möglichkeit, meine Talente<br />
so einbringen und entwickeln<br />
zu können, dass ich ein<br />
gutes Leben führen kann.«<br />
Doris Hummer, Präsidentin der<br />
Wirtschaftskammer Oberösterreich<br />
wie der Jungschar engagiert hat, unteilbar.<br />
Der kleine Bäcker ums Eck, bei dem sie<br />
morgens ihre Semmeln holt, bedeutet für<br />
sie ebenso Lebensqualität wie der international<br />
verflochtene Industriekonzern, der<br />
tausende Arbeitsplätze schafft. Und: Wirtschaft<br />
sei kein Selbstzweck. „Wirtschaft ist<br />
letztlich die Möglichkeit, meine Talente so<br />
einbringen und entwickeln zu können, dass<br />
ich ein gutes Leben führen kann.“ Das gilt<br />
für den DOMICO-Schichtmeister genauso<br />
wie für die Empfangsdame im futuristischen<br />
Foyer. Und ja, auch Geld spiele eine Rolle<br />
– was aber nicht bedeuten müsse, dass in<br />
den Vorstandsetagen nur profitgierige Manager<br />
sitzen. Gerade die Corona-Krise habe<br />
gezeigt, dass Gewinne nichts Böses sind,<br />
sondern auch die Basis für das Fortbestehen<br />
eines Unternehmens in schwierigen Zeiten<br />
darstellen. „Ohne Eigenkapital wäre man<br />
am nächsten Tag kaputt.“<br />
Verantwortungsbewusste Unternehmerinnen<br />
und mündige Mitarbeiter, die gemeinsam<br />
für die Menschen wirtschaften<br />
und durch ihre Arbeit ein gutes Leben für<br />
alle ermöglichen – so einfach könnte es<br />
sein. Doch in Zeiten von globalem Handel,<br />
internationalem Lohndruck und Automatisierung<br />
scheint diese Gleichung für viele<br />
Menschen in unserem Land nicht mehr aufzugehen.<br />
„Fehlentwicklungen gibt es in der<br />
Wirtschaft genauso wie in allen anderen<br />
Systemen, die von Menschen gemacht werden“,<br />
sagt Doris Hummer dazu. Es läge an<br />
uns selbst, den Rahmen klar abzustecken,<br />
was wir als Gesellschaft wollen und was<br />
nicht. An der Politik, die Gesetze schaffen<br />
DORIS HUMMER<br />
leitet in zweiter<br />
Generation das<br />
Familienunternehmen<br />
DOMICO in<br />
Vöcklamarkt. Seit<br />
2017 ist sie als<br />
erste Frau Präsidentin<br />
der Wirtschaftskammer<br />
Oberösterreich.<br />
muss, um etwa die Verwendung umweltschädigender<br />
Spritzstoffe zu untersagen,<br />
aber auch an den Konsumentinnen und<br />
Konsumenten, die mit ihren Kaufentscheidungen<br />
Billigstproduktionen aus Ländern<br />
mit menschenverachtenden Standards ablehnen<br />
können. „Ich sehe gerade die Corona-Krise<br />
als Chance, dass wir wieder einiges<br />
an Produktion an unseren Standort zurückbekommen.“<br />
Wirtschaft als System, in dem sich alle<br />
verwirklichen können, in dem aber auch<br />
alle Verantwortung tragen, das ist Frau<br />
Hummers ökonomisches Verständnis. Wohl<br />
nicht zufällig sieht die Mutter eines Sohnes<br />
in regional verwurzelten Familienunternehmen<br />
eine Art Ideal des Wirtschaftens. „Dort<br />
arbeiten Jung und Alt, Frau und Mann zusammen.<br />
Diese Vielfalt an Blickwinkeln<br />
macht Erfolg aus.“ Und: „Familienunternehmen<br />
schauen nicht aufs Quartalergebnis,<br />
sondern denken in Generationen.“<br />
Vielleicht müsste man Ökonomie mehr<br />
im ursprünglichen Sinn – nämlich als<br />
„Haushalt“ (das bedeutet das altgriechische<br />
Wort oikos ursprünglich) – begreifen. Als<br />
Haus, in dem wir alle miteinander leben<br />
und arbeiten, auch im globalen Maßstab.<br />
Dann ist gutes Wirtschaften vor allem eine<br />
Investition in die Zukunft – und das ist ein<br />
zutiefst christlicher Gedanke.<br />
WAS HEISST CHRISTLICH WIRTSCHAFTEN?<br />
Zu der Frage, was<br />
christliches Wirtschaften<br />
heute bedeutet,<br />
haben die<br />
Kirchen in Österreich<br />
seit 2003 eine<br />
gemeinsame Position:<br />
Damals wurde<br />
das Sozialwort des<br />
Ökumenischen Rates<br />
der Kirchen in<br />
Österreich herausgegeben.<br />
14 Kirchen<br />
östlicher und westlicher<br />
Tradition haben<br />
dafür zusammengearbeitet.<br />
Die<br />
Initiative ging von<br />
Bischof Maximilian<br />
Aichern (Linz) aus,<br />
die Katholische Sozialakademie<br />
Österreichs<br />
(Wien) war<br />
mit der Erarbeitung<br />
betraut. Themen<br />
wie Bildung, Medien,<br />
Lebensräume,<br />
Arbeit, Wirtschaft,<br />
soziale Sicherheit,<br />
Frieden, weltweite<br />
Gerechtigkeit und<br />
Verantwortung für<br />
die Schöpfung wurden<br />
vielfach diskutiert.<br />
Das Sozialwort<br />
fand weltweite Beachtung<br />
und wurde<br />
2013 im Rahmen<br />
von „Sozialwort<br />
10+“ aktualisiert.<br />
oekumene.at/<br />
dokumente<br />
35
[HERR]GOTT<br />
WIE WIR IHN IN ALLEN DINGEN FINDEN<br />
Wo findet man eigentlich <strong>Gott</strong>? Nur in der Kirche oder<br />
auch im Fußballstadion? Nur in der Gemeinschaft oder<br />
auch im Stillen? Fragen über Fragen, auf die auch kluge<br />
Menschen ganz unterschiedliche Antworten geben.<br />
Einige davon finden Sie auf den folgenden Seiten.<br />
FOTO: GETTY IMAGES/DARREN LANGDON<br />
36
Wunder der Schöpfung. Oft sieht<br />
man nur seine Spuren oder hört<br />
seine Rufe. Denn der scheue Rotfuchs<br />
ist vor allem nachts aktiv.<br />
Doch wer etwas Glück hat, kann ihn<br />
fast überall in Oberösterreich entdecken<br />
– von der Stadt bis ins Gebirge.<br />
37
[HERR]GOTT<br />
VOM<br />
SUCHEN<br />
UND<br />
FINDEN<br />
Auf der Suche nach <strong>Gott</strong>es<br />
Spuren sind keine weiten Reisen<br />
nötig. Wer mit offenen Augen<br />
durch die Welt geht, wird<br />
überall fündig: in den Gassen<br />
der Stadt, im Fußballstadion,<br />
im Klang eines Instruments –<br />
und sogar im Gefängnis.<br />
Ein spiritueller Streifzug.<br />
FOTOS: RAPHAEL GABAUER, ROBERT MAYBACH, THOMAS STRAUB<br />
Der Hoffnungsvolle<br />
Die Fenster sind vergittert, die Betonwände<br />
nur mit einer dünnen Schicht Farbe verziert:<br />
Es gibt gewiss schönere <strong>Gott</strong>eshäuser als die<br />
Gefängniskapelle der Justizanstalt Innsbruck.<br />
Und doch spürt Christian Marte hier eine<br />
Nähe zu <strong>Gott</strong>. Der Jesuit ist Seelsorger für die<br />
Gefangenen und die Bediensteten. Zu den<br />
<strong>Gott</strong>esdiensten in dieser nüchternen Kapelle<br />
bringen die Insassen ihre Angst und ihre<br />
Bitten. Als Priester betet Christian Marte für<br />
die Familien und Freunde der Gefangenen –<br />
und auch für die Opfer von Verbrechen: „Das<br />
Gefängnis ist eine Grenzsituation im Leben.<br />
Dort spürt man deutlich: Wir brauchen<br />
Hoffnung, um zu leben. <strong>Gott</strong> können wir um<br />
diese Hoffnung bitten. Wen sonst, wenn wir<br />
selbst nicht mehr weiterwissen?“<br />
(Seinen Essay zum Thema lesen Sie auf S. 44.)<br />
FOTO: THOMAS STRAUB<br />
38
39
40<br />
FOTO: ROBERT MAYBACH
[HERR]GOTT<br />
Die Passionierte<br />
Es war die „Matthäus-Passion“, die Michi Gaiggs Leben geprägt hat.<br />
Als sie im Jugendalter das erste Mal der ergreifenden Komposition<br />
von Johann Sebastian Bach lauschte, tauchte sie in eine völlig neue<br />
Klangwelt ein. Ein zutiefst berührendes Erlebnis, das ihre musikalische<br />
Laufbahn prägen und ihr den Glauben an <strong>Gott</strong> eröffnen sollte. Diese<br />
Spiritualität ist auch spürbar, wenn die Leiterin des L’Orfeo Barockorchesters<br />
über die Saiten ihrer italienischen Barockvioline streicht.<br />
„Das ist meine kleine Prinzessin“, sagt sie über das Instrument aus<br />
dem Jahr 1687. Sein zeitloser Klang begleitete sie drei Jahrzehnte<br />
lang während Auslandsaufenthalten in London, Den Haag, Straßburg<br />
und München. Heute lebt die erfolgreiche Dirigentin<br />
gemeinsam mit ihrer Familie in einem Haus am Attersee<br />
und genießt die Ruhe in ihrem Garten am Seeufer.<br />
41
[HERR]GOTT<br />
Die Wundersucherin<br />
Wenn Martina Resch durch Linz streift,<br />
hat sie kein besonderes Ziel – und<br />
braucht auch keines. Bei der Diözese<br />
Linz gestaltet die Theologin den Blog<br />
wundersucherin.at und nimmt dafür<br />
den Spruch „<strong>Gott</strong> in allen Dingen finden“<br />
wörtlich. Täglich dreht sie ihre Runden,<br />
holt die scheinbar unwichtigen Dinge in<br />
den Vordergrund – und lädt so ihre Mitmenschen<br />
ein, den Blick für das Göttliche<br />
im Alltag zu schärfen. „Es beginnt damit,<br />
das Schritttempo zu verringern und nach<br />
oben zu schauen. Wenn man so durch<br />
die Stadt geht, können einem die Gassen<br />
und Häuserfassaden viel erzählen. Ich<br />
gehe nicht herum und rede von <strong>Gott</strong>.<br />
Er ist schon da – in den Dingen, die<br />
uns umgeben, die uns kleiden und die<br />
unseren Lebensraum gestalten.“<br />
42
FOTOS: ROBERT MAYBACH, RAPHAEL GABAUER<br />
Der Goalgetter<br />
Zwei Schritte mit rechts über die<br />
Linie, ein Kreuzzeichen, ein Vaterunser:<br />
Mit diesem Ritual läuft<br />
LASK-Stürmer Marko Raguž vor<br />
jedem Spiel auf den Platz. „Ich bete<br />
aber nicht dafür, dass ich drei Tore<br />
schieße oder so, sondern dass ich<br />
gesund bleibe und meine Teamkollegen<br />
auch.“ Denn dem 22-Jährigen<br />
sind Verletzungen und Rückschläge<br />
nicht fremd. Umso<br />
schöner die Momente, wenn alles<br />
klappt und der Ball den Weg ins<br />
Netz findet: „Als ich gegen Alkmaar<br />
zwei Tore geschossen habe, war<br />
ich einfach dankbar, dass ich so<br />
weit gekommen bin. Ohne meinen<br />
Glauben wäre das nicht möglich<br />
gewesen. Er macht mir aber auch<br />
bewusst: Es gibt wichtigere Dinge<br />
im Leben als Fußball.“<br />
43
[HERR]GOTT<br />
MENSCH, WO BIST DU?<br />
Schon Ignatius von Loyola, Gründer der Jesuiten, sagte,<br />
seine Ordensbrüder müssten „<strong>Gott</strong> in allen Dingen suchen<br />
und finden“. Aber wie geht das? Eine Anleitung<br />
in drei Schritten von Pater Christian Marte.<br />
<strong>Gott</strong> in allen Dingen und<br />
Situationen finden: das ist<br />
ein ganz biblischer Gedanke.<br />
„Denn in ihm leben wir, bewegen<br />
wir uns und sind wir“, heißt es in der<br />
Apostelgeschichte. <strong>Gott</strong> begegnet mir in der<br />
Justiz anstalt, wenn ich mit Bediensteten und<br />
Häftlingen spreche. Denn <strong>Gott</strong> ist auch im<br />
Gefängnis präsent. Man muss ihn nicht hinbringen<br />
– er ist schon dort.<br />
Manchmal brauchen wir es aber ein bisschen<br />
konkreter. Wir brauchen geistliche Menschen,<br />
heilige Zeiten und besondere Orte. Sie<br />
sollen uns daran erinnern: <strong>Gott</strong> ist da. Heikel<br />
wird es, wenn man meint, <strong>Gott</strong> wäre nur noch<br />
dort zu finden. Da wird es dann ziemlich eng.<br />
<strong>Gott</strong> ist immer größer. Darum tut uns das Wort<br />
des heiligen Ignatius gut: Wir können <strong>Gott</strong> in<br />
allen Dingen suchen und finden. In der Stille<br />
der eigenen vier Wände, in einem Gespräch,<br />
im Trubel der Stadt, im Fußballstadion oder<br />
auch im Klang eines Musikinstruments. <strong>Gott</strong><br />
zu finden, das ist nicht so schwierig – mit ein<br />
bisschen Übung. Mir helfen dazu drei Schritte.<br />
»Wir brauchen geistliche Menschen,<br />
heilige Zeiten und besondere Orte.<br />
Sie sollen uns daran erinnern: <strong>Gott</strong> ist<br />
da. Heikel wird es, wenn man meint,<br />
<strong>Gott</strong> wäre nur noch dort zu finden.«<br />
Unterbrechen. Am Abend schaue ich<br />
1. auf den Tag zurück. Ich nehme mir dafür<br />
eine Viertelstunde Zeit. Viele Menschen tun<br />
das ganz automatisch: Sie machen einen kurzen<br />
Spaziergang. Für andere ist es schwierig,<br />
aus den täglichen Anforderungen herauszutreten.<br />
Stille hilft zu unterbrechen. Aber Stille<br />
ist nichts für Feiglinge. Wenn der äußere Lärm<br />
weg ist, kommt manchmal die innere Unruhe.<br />
Unterbrechen, das kann man trainieren. Man<br />
beginnt damit, an einem ruhigen Ort zu sitzen<br />
und auf den Atem zu achten. Am Beginn hilft<br />
es, wenn einen jemand anleitet.<br />
Genau auf den Tag schauen.<br />
2. <strong>Gott</strong> wirkt durch Menschen. Seine<br />
Spuren sehe ich oft erst im Nachhinein. Ich<br />
schaue mir meinen Tag an: die Gespräche,<br />
Telefonate und E-Mails. Was hat mich gefreut?<br />
Was waren schwierige Situationen? Wo waren<br />
meine Emotionen? <strong>Gott</strong> ist die Liebe – und<br />
darum gilt: Wo uns Liebe begegnet, begegnet<br />
uns <strong>Gott</strong>. Es braucht einen guten Blick dafür.<br />
Weniger auf die Oberfläche, mehr in die Tiefe.<br />
FOTO: THOMAS STRAUB<br />
44
[HERR]GOTT<br />
Danken. Ich danke <strong>Gott</strong> für das<br />
3. Gute – und dass er mich durch die<br />
schwierigen Situationen führt. Ich danke<br />
für das, was ich als selbstverständlich ansehe:<br />
für meinen Atem und meinen Herzschlag.<br />
Beides geschieht ohne mein Zutun. Aber wer<br />
bewirkt es dann? Elias Canetti schreibt:<br />
„Das Schwerste für den, der an <strong>Gott</strong> nicht<br />
glaubt: dass er niemanden hat, dem er danken<br />
kann. Mehr noch als für seine Not braucht<br />
man einen <strong>Gott</strong> für Dank.“<br />
Die Formel für dieses Abendgebet lautet:<br />
Erlebnis + Reflexion =<br />
Erfahrung<br />
Wir brauchen die Stille, in der wir reflektieren<br />
können. So wie wir auf unserer Tastatur die<br />
größte Taste brauchen: die Leertaste. Einen<br />
Text ohne Leerzeichen kann man lesen …<br />
aber nur sehr schwer. Wer keine Pausen<br />
macht, kann seinen Lebenstext schwer lesen.<br />
»Wir brauchen die Stille, in der wir<br />
reflektieren können. So wie wir auf<br />
unserer Tastatur die größte Taste<br />
brauchen: die Leertaste. Einen Text<br />
ohne Leerzeichen kann man lesen …<br />
aber nur sehr schwer.«<br />
PATER CHRISTIAN<br />
MARTE, geboren<br />
1964 in Feldkirch/<br />
Vorarlberg, ist<br />
Jesuit. Er leitet das<br />
Jesuitenkolleg in<br />
Innsbruck und ist<br />
Gefängniskaplan<br />
in der Innsbrucker<br />
Justizanstalt.<br />
<strong>Gott</strong> selbst ist unsichtbar.<br />
Das Bild des unsichtbaren <strong>Gott</strong>es ist Jesus von<br />
Nazareth. Als Christ möchte ich so werden wie<br />
er: so denken und reden und handeln. Seine<br />
Verhaltensmuster und seine mentalen Modelle<br />
leiten mich. In der Spur Jesu sind viele Menschen<br />
gegangen, die mir wichtig sind: Maria<br />
Magdalena, Franz und Franziska Jägerstätter,<br />
Dietrich Bonhoeffer. Sie zeigen mir, wie ich auf<br />
die Welt schauen kann. Je mehr ich das tue,<br />
desto mehr sehe ich das Gute und die Präsenz<br />
<strong>Gott</strong>es. Ich sehe auch die sehr schwierigen<br />
Dinge – aber ich sehe sie nun in einem neuen<br />
Licht und kann damit besser umgehen. <strong>Gott</strong><br />
suchen in allen Dingen. Das prägt mein Weltbild.<br />
Und je älter ich werde, desto mehr merke<br />
ich: <strong>Gott</strong> sucht auch mich, so wie er Adam im<br />
Paradies sucht: „Mensch, wo bist du?“<br />
Wenn es also wieder passieren sollte, dass<br />
wir alle zu Hause sitzen müssen; wenn Büros,<br />
Schulen und Lokale geschlossen sind – dann<br />
nehmen Sie sich vielleicht eine Viertelstunde<br />
Zeit und denken an die Worte des heiligen<br />
Ignatius: Wir können <strong>Gott</strong> in allen Dingen<br />
finden. Auch daheim. Wir müssen nur bereit<br />
sein, ihn zu suchen.<br />
45
[HERR]GOTT<br />
Wunder der Komplexität.<br />
2019 hat ein Team vom<br />
Max-Planck-Institut für Hirnforschung<br />
das Hirngewebe<br />
einer Maus bis ins kleinste<br />
Detail kartiert. Auf dem Bild<br />
zu sehen: eine einzelne<br />
Nervenzelle der Großhirnrinde<br />
mit allen Eingangsaxonen.<br />
46
GOTT<br />
IM GEHIRN<br />
Die Wissenschaft zeigt, dass Glaube besondere<br />
Prozesse in unserem Kopf auslöst. Manche sehen<br />
darin einen <strong>Gott</strong>esbeweis – andere, dass <strong>Gott</strong> ein<br />
Hirngespinst sei. Doch eines steht fest: Spiritualität<br />
gehört zum Menschsein. Seit über 100.000 Jahren.<br />
TEXT: SABRINA LUTTENBERGER, RAFFAEL FRITZ<br />
FOTO: MPI FOR BRAIN RESEARCH/MOTTA<br />
47
Die Erschaffung Adams. 1990 entdeckte ein Neuromediziner, dass die Darstellung <strong>Gott</strong>es in Michelangelos<br />
Fresko eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Querschnitt des Gehirns hat. Wahrscheinlich kein Zufall: Im Italien<br />
der Renaissance wurden die ersten Obduktionen durchgeführt, um das anatomische Wissen zu erweitern.<br />
Wir wissen nicht, wer sie<br />
waren, wie sie lebten<br />
und was sie dachten.<br />
Doch an diesem Tag waren diese frühen<br />
Menschen wohl in Gedanken bei ihren Verwandten,<br />
die kurz davor verstorben waren.<br />
Behutsam platzierten sie die mit Ocker verzierten<br />
Körper in einer Grube und brachten<br />
sie in Kauerstellung und mit verschränkten<br />
Armen zum Liegen. Daneben legten sie gefärbte<br />
Muschelschalen und Steinwerkzeuge<br />
und bedeckten schließlich das Grab mit<br />
Sand und Steinen.<br />
Etwa 100.000 Jahre lang blieb die Grabstätte<br />
in der QafzehHöhle im heutigen<br />
Israel ungestört – bis Archäologen sie in<br />
den 1930erJahren entdeckten. Sie ist der<br />
älteste Nachweis von Bestattungsritualen<br />
beim modernen Menschen, Homo sapiens.<br />
Diese Menschen waren äußerlich kaum von<br />
heute lebenden Personen zu unterscheiden.<br />
Doch auch in ihrem Inneren waren sie uns<br />
ähnlich: Sie glaubten offenbar an ein Leben<br />
nach dem Tod – und vielleicht an eine<br />
höhere Macht, die sich der Seelen ihrer<br />
Toten annehmen würde.<br />
MICHAEL BLUME<br />
1976 in der Nähe<br />
von Stuttgart<br />
geboren, studierte<br />
Religions- und<br />
Politikwissenschaft<br />
und promovierte<br />
über Religion in<br />
der Hirn- und Evolutionsforschung.<br />
Heute ist er einer<br />
der bekanntesten<br />
Forscher auf dem<br />
Gebiet der Neurotheologie.<br />
Funde wie dieser machen klar: Glaube<br />
und Spiritualität gehören zum Menschsein.<br />
Zu allen Zeiten und in allen Gegenden der<br />
Welt hatten Menschen eine Vorstellung<br />
des Übernatürlichen, so unterschiedlich<br />
sie auch sein mögen. Sind wir also fest<br />
verdrahtet, um Spiritualität zu spüren?<br />
Diesen Gedanken hatte schon Charles<br />
Darwin, Begründer der Evolutionstheorie<br />
– und studierter Theologe. „Das Gefühl<br />
religiöser Erhabenheit ist sehr kompliziert“,<br />
schrieb er im 19. Jahrhundert. „Kein Wesen<br />
kann eine so komplizierte Gemütsbewegung<br />
empfinden, sofern es nicht in seinen intellektuellen<br />
und moralischen Fähigkeiten<br />
wenigstens eine mäßige Höhe erreicht hat.“<br />
Und Darwin war sicher, dass Glaube einen<br />
„veredelnden“ Effekt auf den Menschen hat,<br />
auch wenn er sich – ganz der Agnostiker,<br />
zu dem er im Lauf seines Lebens geworden<br />
war – lieber nicht zu dessen Ursachen<br />
äußern wollte.<br />
Schuf also <strong>Gott</strong> das Gehirn, damit wir<br />
an ihn glauben? Oder schuf unser Gehirn<br />
das Göttliche, um sich selbst einen Sinn<br />
zu geben? Die Forschenden des 20. Jahrhunderts<br />
waren weniger diplomatisch als<br />
Darwin – und meist von Zweiterem überzeugt.<br />
Mit dem Aufkommen bildgebender<br />
48
[HERR]GOTT<br />
FOTOS: WIKIMEDIA, DIE ARGE LOLA / KAI LOGES + ANDREAS LANGEN, AKG-IMAGES/MISSION ARCHEOLOGIQUE DE QAFZEH<br />
Verfahren in der Medizin witterten sie ihre<br />
Chance: Endlich gab es Möglichkeiten, in<br />
den Kopf hineinzuschauen. Und sie wollten<br />
sie nutzen, um ein für alle Mal zu beweisen,<br />
dass <strong>Gott</strong> ein Hirngespinst ist. So entstand<br />
die Neurotheologie: die Erforschung des<br />
religiösen Empfindens mit Methoden der<br />
Neurobiologie.<br />
Der deutsche Religionswissenschaftler<br />
Michael Blume beschäftigt sich schon lange<br />
und intensiv mit dem Thema. Er weiß:<br />
„Zu dieser Zeit hat man alle Ergebnisse<br />
der Hirnforschung theologisch aufgeladen.<br />
Entweder als Widerlegung oder als Beweis<br />
<strong>Gott</strong>es. Heute haben wir verstanden, dass<br />
wir mit der Hirnforschung nicht <strong>Gott</strong>,<br />
sondern das menschliche Hirn erforschen.“<br />
Was aber nicht bedeutet, dass <strong>Gott</strong> kein<br />
Zuhause in unserem Kopf hat.<br />
Wenn wir Bilder des Kopfinneren mittels<br />
Magnetresonanztomographie (MRT)<br />
an fertigen, können wir sehen, welche Bereiche<br />
unseres Gehirns mit besonders viel<br />
Sauerstoff versorgt werden – diese Bereiche<br />
sind besonders aktiv. So regt religiöses Empfinden<br />
weite Bereiche unseres Großhirns<br />
an, vor allem aber den Schläfenlappen, der<br />
rechts und links im Schädel hinter Schläfen<br />
und Ohren liegt, sowie den Scheitellappen<br />
im hinteren, oberen Teil unseres Großhirns.<br />
Zahlreiche Studien haben das bestätigt.<br />
Auch in Österreich wurde dazu geforscht:<br />
Forscher der Med Uni Graz wollten wissen,<br />
ob unser Gehirn zwischen einem Gedicht<br />
und einem Gebet unterscheiden kann. Die<br />
Bewusst bestattet.<br />
Eines der etwa<br />
100.000 Jahre<br />
alten Gräber aus<br />
der Qafzeh-Höhle<br />
in Israel: eine junge<br />
Frau mit einem<br />
kleinen Kind – vermutlich<br />
Mutter<br />
und Tochter.<br />
»Alles, was wir Menschen erleben und<br />
worüber wir nachdenken, besetzt<br />
bestimmte Bereiche in unserem Gehirn.<br />
Das gilt auch für religiöse Gedanken.<br />
Das heißt aber nicht, dass <strong>Gott</strong> nur<br />
in unserem Gehirn vorhanden ist.«<br />
Michael Rosenberger, Moraltheologe<br />
Antwort: Ja. Beim Gebet wurde der Schläfenlappen<br />
aktiviert, beim Gedicht nicht.<br />
Diese Areale mussten sich über viele Jahrtausende<br />
entwickeln. Und ihr Vorhandensein<br />
lässt sich nicht nur bei den Menschen<br />
in der QafzehHöhle nachweisen, sondern<br />
auch bei unseren nächsten Verwandten,<br />
den Neandertalern.<br />
Mehr als ein Hirngespinst<br />
Menschen scheinen also wirklich für den<br />
Glauben gebaut zu sein. Ist er vielleicht nur<br />
so etwas wie ein „Nervenkitzel“? Nein, sagt<br />
Michael Rosenberger, Professor für Moraltheologie<br />
und Institutsvorstand an der<br />
Katholischen PrivatUniversität Linz. „Alles,<br />
was wir Menschen erleben und worüber wir<br />
nachdenken, besetzt bestimmte Bereiche in<br />
unserem Gehirn. Das gilt auch für religiö se<br />
Gedanken“, erklärt er. „Das heißt aber<br />
nicht, dass <strong>Gott</strong> nur in unserem Gehirn vorhanden<br />
ist. Wir würden ja auch nicht sagen,<br />
weil Musik in unserem Gehirn an einer bestimmten<br />
Stelle verarbeitet wird, existiert<br />
sie nur in unserem Kopf.“<br />
49
[HERR]GOTT<br />
Starke Gefühle.<br />
Wenn tiefreligiöse<br />
Menschen<br />
beten, werden<br />
die Areale im<br />
Hirn aktiviert, die<br />
mit intensiven<br />
Emotionen verbunden<br />
sind.<br />
Zudem zeigt sich immer wieder, dass<br />
religiöse Erfahrungen nicht nur unseren<br />
Geist beeinflussen, sondern Auswirkungen<br />
auf den ganzen Körper haben. Regelmäßige<br />
religiöse Rituale, etwa das tägliche Gebet,<br />
führen zu einer erhöhten Ausschüttung<br />
des Glückshormons Serotonin.<br />
Solche Erkenntnisse haben gezeigt, dass<br />
es unmöglich ist, den Geist vom Körper zu<br />
trennen. Rosenberger: „Hier sehe ich auch<br />
den Fehler der Neurotheologie Ende der<br />
1990er-Jahre: Sie hat in vielen Fällen den<br />
Geist gegen den Körper ausgespielt. Wo<br />
die Religion den Geist zu stark betont hat,<br />
betonte die Neurotheologie den Körper<br />
zu stark“, sagt er und plädiert dafür, den<br />
Menschen ganzheitlich zu betrachten. Dem<br />
kann auch Michael Blume viel abgewinnen:<br />
„Theologinnen und Theologen sind gut beraten,<br />
sich Grundlagen der Hirnforschung<br />
anzueignen. Wenn man davon ausgeht,<br />
dass der Mensch <strong>Gott</strong>es Geschöpf ist, gehört<br />
das eben auch dazu. Und die Hirnforschung<br />
sollte vor dem Thema Religiosität nicht<br />
zurückschrecken. <strong>Gott</strong> ist keine Krankheit<br />
oder gar Betrug, sondern ein erfolgreicher<br />
Teil der menschlichen Naturgeschichte.“<br />
Ein Talent für Religion<br />
<strong>Gott</strong> als Teil der Naturgeschichte – so sehen<br />
es auch Lionel Tiger und Michael McGuire.<br />
Der Anthropologe Tiger und der Neurologe<br />
McGuire sind der Überzeugung, dass Religion<br />
ihren Ursprung im Gehirn hat. Doch<br />
sei sie nichts anderes als eine Illusion, mit<br />
der wir uns selbst beruhigen. In ihrem viel<br />
diskutierten Buch „God’s Brain“ schreiben<br />
sie, nichts belaste uns stärker als Ungewissheit.<br />
Denn unser Hirn sei nicht zum Denken<br />
da, sondern zum Tun. Das kann es aber<br />
nicht, wenn es die ganze Zeit offene Fragen<br />
gibt, die das Hirn vom Handeln abhalten:<br />
Woher kommen wir? Warum gibt es etwas<br />
und nicht nichts? Was passiert, wenn wir<br />
sterben? Unser Kopf braucht befriedigende<br />
Antworten auf Fragen, die nicht zu beantworten<br />
sind. Und darum ist Religion entstanden,<br />
argumentieren Tiger und McGuire<br />
»Theologinnen und Theologen sind gut beraten,<br />
sich Grund lagen der Hirnforschung<br />
anzueignen. Und die Hirnforschung sollte<br />
vor dem Thema Religiosität nicht zurückschrecken.<br />
<strong>Gott</strong> ist keine Krankheit, sondern<br />
Teil der menschlichen Naturgeschichte.«<br />
Michael Blume, Religionswissenschaftler<br />
50
[HERR]GOTT<br />
Entrückt. Bei<br />
buddhistischen<br />
Mönchen sinkt<br />
beim Meditieren<br />
die räumliche<br />
Orientierung, die<br />
Areale für Mitgefühl<br />
sind aktiv.<br />
FOTOS: GETTY IMAGES/ISTOCK, SUZY STÖCKL<br />
– Glauben, Beten, Beichten, das alles besänftige<br />
das Gehirn. Sie nennen das „brainsoothing“<br />
und halten es für eine geniale<br />
Entwicklung der Evolution. Auch wenn sie<br />
Religion kritisch betrachten, bestätigt ihre<br />
Forschung: Die Fähigkeit zu religiösen Empfindungen<br />
steckt tief in uns – ob wir nun<br />
glauben oder nicht.<br />
Unser Gehirn ist dabei die Voraussetzung,<br />
aber nicht die einzige Bedingung.<br />
Umwelteinflüsse prägen uns, Bildung und<br />
soziale Bindung geben den Bezugsrahmen,<br />
mit dem <strong>Gott</strong>eserfahrungen erst möglich<br />
werden. Und wie bei der Musik spielt auch<br />
Veranlagung eine Rolle: Nicht jedes Gehirn<br />
ist gleich empfänglich für Spiritualität.<br />
„Eine Aufgabe von Neurotheologie kann<br />
sein, einen guten Umgang mit diesen Unterschieden<br />
zu finden“, so der Religionswissenschaftler<br />
Michael Blume. „Sich nicht zu<br />
schämen, wenn man religiöse Erfahrungen<br />
hat. Aber auch nicht zu meinen, es fehlt<br />
einem etwas, wenn das nicht so ist. Das<br />
ist mein Anliegen: unsere Vielfalt hinzunehmen,<br />
anstatt uns gegenseitig runterzumachen.“<br />
Eine Akzeptanz zu entwickeln,<br />
die nicht wertet, und das Phänomen Glaube<br />
MICHAEL<br />
ROSENBERGER<br />
1962 in Würzburg<br />
geboren, seit 2002<br />
an der Katholischen<br />
Privat-Universität<br />
Linz tätig.<br />
Institutsvorstand<br />
und Lehrender im<br />
Fach Moraltheologie,<br />
in dem er sich<br />
auch habilitiert<br />
hat. Er wurde 1987<br />
in Rom zum Priester<br />
geweiht.<br />
möglichst neutral zu erforschen: Das ist<br />
die Devise der Neurotheologie im 21. Jahrhundert.<br />
Und es gibt noch viel zu entdecken:<br />
So geht es etwa darum, zu zeigen, wie religiöse<br />
Empfindungen mit anderen Lebenserfahrungen<br />
vernetzt sind. Bei einem<br />
Experiment mit Schwestern vom Orden der<br />
Karmelitinnen wurden im Gebet Hirnregionen<br />
aktiv, die wir mit sehr intensiven Emotionen<br />
verbinden. Und wenn buddhistische<br />
Mönche beim Meditieren das Gefühl haben,<br />
ihr Selbst zu verlieren, verringert sich tatsächlich<br />
die Aktivität im Hirnbereich, der<br />
für räumliche Orientierung zuständig ist.<br />
„In Studien mit Meditierenden sieht man<br />
außerdem, dass die Areale für Mitgefühl<br />
aktiviert sind. Wer meditiert, gewinnt also<br />
ein größeres Gespür für Mitmenschen. Da<br />
hat Religion unmittelbare Folgen für unser<br />
Leben“, so Rosenberger.<br />
Glaube hat also einen messbaren Effekt<br />
auf uns Menschen – auch wenn wir die<br />
Ursachen dafür wohl nie ganz ergründen<br />
werden können. Das erfüllte selbst einen genialen<br />
Geist wie Charles Darwin mit Demut:<br />
„Ich fühle aufs Allertiefste, dass der ganze<br />
Gegenstand zu tief ist für den menschlichen<br />
Intellekt“, schrieb er 1860 in einem Brief.<br />
„Lasst einen jeden Menschen hoffen und<br />
glauben, was er kann.“<br />
51
Mit allen Wassern.<br />
Michaela Helletzgruber<br />
hat als eine der ersten<br />
Frauen bei der Freiwilligen<br />
Feuerwehr Traun<br />
die Grundausbildung<br />
absolviert.<br />
ES GEHT UMS DA-SEIN<br />
Michaela Helletzgruber ist zur Stelle, wenn’s<br />
wo brennt. Buchstäblich und sprichwörtlich.<br />
Sei es bei Trauernden nach einem Todesfall,<br />
bei der TelefonSeelsorge – oder wenn ein<br />
Haus in Flammen steht.<br />
FOTOS: PRIVAT, PHOTOWERKSTATT KLETZMAIR<br />
52
[HERR]GOTT<br />
Brände löschen, Trauernden beistehen,<br />
Anrufer in einer Panikattacke<br />
begleiten – Michaela Helletzgruber<br />
ist überall dort am Werk, wo man ihre Hilfe<br />
braucht. Denn neben ihrer Anstellung als<br />
Referentin der Notfallseelsorge und Mitarbeiterin<br />
in der Bibelpastoral der Katholischen<br />
Kirche in Oberösterreich engagiert sie<br />
sich ehrenamtlich bei der TelefonSeelsorge<br />
sowie beim Roten Kreuz Linz und der Feuerwehr<br />
in ihrer Heimatgemeinde Traun.<br />
„Mit Nachtdiensten, Besprechungen und<br />
Versammlungen wird das manchmal schon<br />
sehr intensiv. Außerdem habe ich meinen<br />
lieben Freundeskreis, spiele zwei Instrumente<br />
– und dann bin ich auch verheiratet!“,<br />
sagt die 50-Jährige und lacht. Ihr<br />
unerschütterlicher Humor ist eine ihrer Geheimwaffen.<br />
„Zumindest höre ich das immer<br />
wieder. Und vielleicht kommt mir ein<br />
gewisser Galgenhumor tatsächlich zugute.“<br />
Zurück zum Leben<br />
Bei Helletzgrubers Arbeit gibt es allerdings<br />
selten etwas zu lachen. Seit zwölf Jahren<br />
betreut die Notfallseelsorgerin bei plötzlichen<br />
Todesfällen Hinterbliebene. „In solchen<br />
Situationen geht es ums Da-Sein, nicht<br />
um g’scheite Worte“, erzählt sie. „Wir sagen<br />
nicht: ‚Sie werden schon sehen, in einem<br />
Monat schaut’s wieder ganz anders aus.‘<br />
Das geht gar nicht.“ Stattdessen versucht<br />
die Notfallseelsorgerin, die Angehörigen zu<br />
unterstützen und ihnen mit einfachen Maßnahmen<br />
zu helfen, den Schicksalsschlag zu<br />
begreifen. „Wenn jemand in einer Krisensituation<br />
ganz still ist, läuten bei uns alle<br />
Alarmglocken. Wir versuchen dann, mit<br />
kleinen Schritten Prozesse anzuregen, die<br />
diese Schockstarre aufbrechen“, erklärt Helletzgruber.<br />
„Es reicht oft schon das Greifen<br />
nach einem Glas Wasser, damit das Gehirn<br />
wieder schalten kann. Als Nächstes geht<br />
man vielleicht in einen anderen Raum und<br />
packt ein paar Dinge zusammen, wenn<br />
»Für mich ist es das, was Jesus mit<br />
Nächstenliebe gemeint hat: Ich zeige<br />
meinem Gegenüber, in dieser Situation<br />
bist du nicht alleine. Da ist wer da, dem<br />
nicht wurscht ist, was dir passiert.«<br />
Michaela Helletzgruber<br />
MICHAELA<br />
HELLETZGRUBER,<br />
50, ist pädagogische<br />
Mitarbeiterin<br />
in der Bibelpastoral,<br />
Notfallseelsorgerin,<br />
Begräbnisleiterin<br />
und<br />
Trau er begleiterin,<br />
Feuerwehrfrau<br />
und -seelsorgerin<br />
sowie Fachberaterin<br />
für Traumapastoral.<br />
dioezese-linz.at/<br />
notfallseelsorge<br />
jemand die Nacht woanders verbringen<br />
möchte. So holt man die Leute Stück für<br />
Stück vom Tod zurück ins Leben.“<br />
Michi und die harten Kerle<br />
Bei der Feuerwehr unterstützt Helletzgruber<br />
ihre Kameraden als ehrenamtliche<br />
Feuerwehrseelsorgerin. „Am Anfang war es<br />
nicht so leicht, denn Feuerwehrleute sind ja<br />
harte Kerle, und die Älteren haben gefragt,<br />
warum die Jüngeren so ein neumodisches<br />
Zeug brauchen. Die dachten, ich will ihnen<br />
psychologische Gespräche aufs Aug drücken<br />
oder sie missionieren.“ Stattdessen<br />
absolvierte Helletzgruber die Grundausbildung,<br />
kehrte die Halle, putzte Autos – als<br />
eine der ersten Frauen in der Trauner Feuerwehr.<br />
„Und irgendwann haben sie gemerkt:<br />
Aha, die Michi redet nicht nur wichtig,<br />
sondern kann auch anpacken.“<br />
Langsam sind die harten Kerle aufgetaut.<br />
„Manchmal kommt einer nach der Monatsversammlung<br />
zu mir und erzählt von einem<br />
Einsatz von vor dreißig Jahren, der ihm immer<br />
noch nachhängt. Dann ist es wichtig,<br />
dass man sich die Zeit nimmt und zuhört.“<br />
Kein Wunder also, dass es für Helletzgruber<br />
oft herausfordernd ist, alles unter einen Hut<br />
zu bringen. Dennoch kommt es für sie nicht<br />
infrage, mit einer ihrer Tätigkeiten aufzuhören.<br />
„Für mich ist es das, was Jesus mit<br />
Nächstenliebe gemeint hat: Ich zeige meinem<br />
Gegenüber, in dieser Situation bist<br />
du nicht alleine. Da ist wer da, dem nicht<br />
wurscht ist, was dir passiert. Und genau<br />
das möchte ich für andere Menschen sein:<br />
jemand, der da ist.“<br />
53
HIMMEL<br />
ZWEI AUF EINER<br />
WELLENLÄNGE<br />
Die beiden Oberösterreicher, von denen hier die Rede ist, haben<br />
dasselbe Ziel: Sie träumen von einer toleranten und solidarischen<br />
Gesellschaft. Folgerichtig trafen sich mit Manfred Scheuer und<br />
Rudi Anschober nicht nur ein Bischof und ein Minister. Sondern<br />
zwei nachdenkliche Menschen. Ein leises Protokoll in lauten Zeiten.<br />
INTERVIEW: FRANZ HIRSCHMUGL<br />
FOTOS: ASA 12/GREGOR KUNTSCHER<br />
Ein Freitagabend im Spätsommer,<br />
Sonnenuntergang.<br />
Rudolf Anschober und<br />
Manfred Scheuer treffen sich im Café<br />
des Lentos Kunstmuseums. Ersterem<br />
begegnen die Passantinnen und Passanten<br />
freudestrahlend, Zweiterem<br />
respektvoll. Start mit einem Eiskaffee,<br />
jeweils. Dann die Fotosession im<br />
Museum, gemeinsam. Für das folgende<br />
Gespräch gibt es nur eine Regel: Wir<br />
werden das allgegenwärtige Wort<br />
„Corona“ vermeiden und stattdessen<br />
lieber hinter die öffentliche Persönlichkeit<br />
der beiden blicken.<br />
Herr Anschober, Herr Scheuer, was<br />
wissen Sie eigentlich von einander?<br />
Anschober: Ich durfte bei Herrn<br />
Scheuers Amtseinführung dabei<br />
sein, da habe ich ein wenig Zugang<br />
zu seiner Persönlichkeit gekriegt.<br />
Gespräche mit ihm sind angenehm<br />
und entspannt. Er ist für mich<br />
jemand, der immer versucht, sich<br />
mit klaren Werthaltungen zu positionieren.<br />
Solidarität, das Miteinander.<br />
Und das Bild einer liebenden,<br />
zusammenführenden Kirche zu vermitteln.<br />
Scheuer: Herrn Anschobers politische<br />
Anfänge habe ich nicht mitbekommen,<br />
weil ich insgesamt<br />
25 Jahre nicht in Oberösterreich<br />
war. Seitdem ich wieder da bin,<br />
haben wir uns mehrfach getroffen.<br />
Mir fallen zu ihm zwei Grundanliegen<br />
ein: Auf der einen Seite<br />
das Thema Asyl. Auf der anderen<br />
Seite das Klimavolksbegehren und<br />
„Fridays for Future“.<br />
Was würde Sie am Job Ihres<br />
Gegenübers reizen?<br />
Scheuer: Das habe ich mir noch<br />
nie überlegt.<br />
Anschober: Darüber bin ich jetzt<br />
grundsätzlich sehr froh! (Lacht.)<br />
Scheuer: Und ich wär auch nix dafür.<br />
Von meiner eigenen Geschichte<br />
her komme ich aus der Spiritualität,<br />
nicht so sehr vom Strukturellen,<br />
vom Politischen. Ehrlich gesagt: Ihre<br />
Anliegen teile ich voll, aber ich habe<br />
noch nie ein Neidgefühl gehabt.<br />
Was würde Sie am Bischofsamt<br />
reizen, Herr Anschober?<br />
Anschober: Spannender Gedanke.<br />
Was uns vereint, ist der Zugang zur<br />
Spiritualität, dafür hätte ich gerne<br />
mehr Zeit. Dieses Grundsatzdenken<br />
kommt in der Politik oft zu kurz.<br />
Was mich auch an der Kirche inter<br />
54
Feierabend.<br />
Ein Gespräch<br />
zwischen<br />
Manfred und<br />
Rudolf und<br />
nicht zwischen<br />
Bischof und<br />
Minister – was<br />
beide sichtlich<br />
genießen.<br />
55
HIMMEL<br />
essieren würde, ist das Zusammentreffen<br />
gänzlich unterschiedlicher<br />
Gruppen. Ich erlebe die Katholische<br />
Kirche in Oberösterreich so, dass sie<br />
schon eine klare Richtung hat, aber<br />
dass sich da auch manches differenziert.<br />
In der Politik erlebe ich das<br />
auch nicht anders.<br />
Scheuer: Unterschiedlichkeit ist faszinierend,<br />
wo Vielfalt oder Anderssein<br />
als Reichtum, als gegenseitige<br />
Ergänzung gesehen werden. Aber<br />
es ist schwierig, wenn es nur mehr<br />
Nebeneinander und Gleichgültigkeit<br />
ist. Wo man nicht mehr miteinander<br />
kann und wo es nichts mehr gibt an<br />
Empathie oder Einfühlung oder, umgekehrt,<br />
auch an Verwundbarkeit.<br />
Was halten Sie für das Schwierig ste<br />
am Beruf des anderen?<br />
»Was uns vereint,<br />
ist der Zugang zur<br />
Spiritualität, dafür<br />
hätte ich gerne mehr<br />
Zeit. Das Grundsatzdenken<br />
kommt in der<br />
Politik oft zu kurz.<br />
Was mich an der<br />
Kirche interessieren<br />
würde, ist das<br />
Zusammentreffen<br />
gänzlich unterschiedlicher<br />
Gruppen. Diese<br />
Differenzierung, diese<br />
Unterschiedlichkeit –<br />
das ist spannend.«<br />
Rudolf Anschober<br />
Am richtigen Platz. Politik interessiere<br />
ihn, aber mit Rudi Anschober würde<br />
Manfred Scheuer nicht tauschen wollen.<br />
Anschober: Am schwierigsten<br />
erscheint mir die von vielen gewünschte<br />
Weiterentwicklung und<br />
Transformation der Kirche. Wenn<br />
man etwas schnell umsetzen möchte<br />
und dann erlebt, dass die Realität<br />
viel langsamer ist, als man es sich<br />
wünscht.<br />
Scheuer: Als Minister braucht man<br />
wohl viel Leidenschaft. Und eine gesunde<br />
Distanz. Ich habe ein Zitat im<br />
Kopf, dass für einen guten Politiker<br />
drei Eigenschaften erforderlich sind.<br />
Erstens das Entdramatisieren mit<br />
kühlem Kopf, zweitens den Humor<br />
bewahren und drittens jene Prügel,<br />
die man bekommt, nicht zurückgeben.<br />
Und ich glaub, da trifft’s<br />
Politiker und Bischöfe ähnlich. Die<br />
sind Projektionsfläche für sehr viele<br />
Erwartungen und Aggressionen.<br />
Muss man in Ihrem Job Basisdemokrat,<br />
Leader oder gar<br />
Diktator sein?<br />
In Ruhe reden. Im Gespräch mit Franz Hirschmugl: Der<br />
Eiskaffee ist abgeräumt, das Aufnahme gerät eingeschaltet.<br />
Anschober: Also Diktator sicher<br />
nicht … und Basisdemokratie geht<br />
56
HIMMEL<br />
in herausfordernden Situationen<br />
auch nicht. Es ist eine Form von<br />
verantwortungsvollem Regieren.<br />
Auch schnellem Regieren. Im Wesen<br />
geht es um ein möglichst verantwortungsvolles<br />
Umgehen mit großen<br />
Entscheidungen. Also Leadership.<br />
Scheuer: Kirchliches Leben wird<br />
in der Öffentlichkeit stark auf<br />
Personen, ob Papst oder Bischof,<br />
reduziert. Aber das entscheidende<br />
kirchliche Leben spielt sich in den<br />
Pfarr und Ordensgemeinschaften,<br />
in Bewegungen und Gruppen ab. Wo<br />
durchaus Spiritualität, Solidarität,<br />
Glaube und Hoffnung gelebt werden.<br />
Aber ich sage auch, dass es für die<br />
Kirche Formen der Institution und<br />
des Amtes braucht. Bei großen Entscheidungen<br />
versuche ich immer,<br />
einen Prozess der Konsultation und<br />
der Resonanz einzubauen. Dass man<br />
Strukturen schafft, wo Entscheidungen<br />
von möglichst vielen getragen<br />
werden. Insofern verstehe ich mich<br />
als Prediger, als Verkündiger, als<br />
spiritueller Begleiter von Prozessen,<br />
manchmal als Vordenker. Das hat<br />
schon mit Leiten zu tun.<br />
Auch mit Leiden manchmal?<br />
Am UND-Altar. Im Lentos Museum finden die beiden eine Nachbildung<br />
des Altars aus der Priesterseminarkirche Linz von Künstler Josef Bauer.<br />
Scheuer: Manchmal. (Lacht.)<br />
Was war die beste Abzweigung<br />
Ihres Lebens?<br />
Scheuer: Dass ich damals im<br />
Studium nach Freiburg gegangen<br />
bin, um mein Leben der Theologie<br />
zu widmen. Diese Entscheidung war<br />
stark mit Spiritualität verbunden.<br />
Und ich habe gemerkt, da wird<br />
etwas in mir gestärkt, das meinem<br />
Weg im Leben entspricht.<br />
Und bei Ihnen, Herr Anschober?<br />
Anschober: Dass ich 2012, als ich<br />
im Burnout war, den Mut hatte, zu<br />
sagen: Ich bin krank. Und dass ich<br />
mir dann die Zeit genommen habe,<br />
mich wieder zu finden. Das war<br />
wohl die weiseste Entscheidung,<br />
denn die Alternative wäre gewesen,<br />
dass es irgendwann überhaupt nicht<br />
mehr geht.<br />
Gleich nachgefragt: Was tun Sie<br />
nach diesem Erlebnis, wenn Sie<br />
merken, dass Sie an Ihre Grenzen<br />
kommen?<br />
Anschober: Das habe ich in den<br />
letzten Monaten mehrfach gespürt.<br />
Und darum habe ich mir ganz einfache<br />
Regeln vorgegeben, etwa dass<br />
ich jeden Tag in der Früh und spät<br />
am Abend eine halbe Stunde mit<br />
57
HIMMEL<br />
meinem Hund gehe und das Handy<br />
bewusst zu Hause lasse. Das klingt<br />
banal, war aber unglaublich wichtig<br />
für mich.<br />
Apropos etwas eingestehen:<br />
Wie schwer fällt es Ihnen, Fehler<br />
zu zugeben?<br />
Anschober: Ich habe die Erfahrung<br />
gemacht, dass es extrem einfach ist.<br />
Das wird wertgeschätzt, wird akzeptiert.<br />
Ich glaube auch, dass in<br />
Österreich eine neue Fehlerkultur<br />
am Entstehen ist. Denn niemand ist<br />
fehlerfrei. Ich glaube, es gibt eine<br />
Sehnsucht nach normal und authentisch<br />
handelnden Menschen, gerade<br />
in der Politik.<br />
Scheuer: Fehler kann man nur dort<br />
leicht zugeben, wo man ein grundsätzliches<br />
Wohlwollen spürt und<br />
nicht fürchten muss, verurteilt oder<br />
gar blamiert zu werden. Ich erlebe<br />
in diesem Sinne aber nicht alle als<br />
lernfähig und manche auch nicht als<br />
lernbereit. Wobei, das – glaube ich –<br />
haben die letzten Monate gezeigt:<br />
Diese Optimierungsgeschichten, die<br />
wir in den letzten Jahren betrieben<br />
haben oder wo wir hineingetrieben<br />
wurden, dieser Zwang zur Perfektionierung,<br />
dass wir keine Fehler haben<br />
dürfen, auch nicht verzeihen können<br />
– das bringt uns nicht weiter. Man<br />
muss schon auch einmal verzeihen,<br />
was aushalten, was stehen lassen …<br />
Anschober: Ja, dieses Immer-höher,<br />
Immer-schneller, Immer-mehr. Ich<br />
glaube, dass viele Menschen sich<br />
seit langer Zeit wieder einmal darüber<br />
unterhalten haben, was eigentlich<br />
das Wichtige im Leben ist. Was<br />
brauche ich, damit ich ein gutes,<br />
»Ich glaube, es geht<br />
darum, dass Frauen<br />
bei uns Leitungsverantwortung<br />
übernehmen,<br />
dass sie ihre<br />
Qualitäten leben<br />
können. Dass es im<br />
Hinblick auf die Amtsfrage<br />
eine Schräglage<br />
gibt, das ist offenkundig.<br />
Wir sind hier<br />
durchaus in einer<br />
Zerreißprobe.«<br />
Manfred Scheuer<br />
Stresstest. Zweimal am Tag mit dem<br />
Hund gehen, das Handy bleibt daheim.<br />
So bewahrt Rudi Anschober die Ruhe.<br />
ein glückliches, ein zufriedenes<br />
Leben führe? Das ist unglaublich<br />
viel wert, diesen Diskurs wieder<br />
miteinander zu beginnen.<br />
Wollen wir noch etwas tiefer in die<br />
Seele der beiden Herren blicken?<br />
Wir wollen. Was ist Ihnen von<br />
Ihrem Kindheitsgott geblieben?<br />
Anschober: Ich bin dankbar, dass<br />
ich als Kind den <strong>Gott</strong> der Liebe<br />
kennenlernen durfte. Nicht den strafenden.<br />
Das hat stark mit meinem<br />
Elternhaus zu tun, mit der Kirche, die<br />
ich damals erlebt habe, mit Priestern,<br />
die unfassbar unterstützend und<br />
tolerant waren, auch wenn ich damals<br />
oft ein Dickkopf war. Ich bin<br />
später nach schwierigen Erfahrungen<br />
– Stichwort Krenn-Groër-Phase – aus<br />
der Kirche ausgetreten, habe aber<br />
wieder zurückgefunden durch ein<br />
sehr positives Erlebnis mit einem<br />
Priester, der mir im Bereich Asyl<br />
und Integration geholfen hat.<br />
Spricht <strong>Gott</strong> mit Ihnen? Josef<br />
Hader hat einmal gemeint,<br />
er kann mit keinem reden,<br />
der nicht zurückredet.<br />
Anschober: Ja, ich kann schon verstehen,<br />
was er damit meint. (Lacht.)<br />
Wenn ich in der Kirche sitze und<br />
in eine Meditation hineinkippe, dann<br />
ist das eher ein Gespräch mit mir<br />
selbst. Für mich sind Kirchen, insbesondere<br />
wenn sie leer sind, ganz<br />
besondere Orte.<br />
Scheuer: Ich war erst vor kurzem<br />
wieder in Ramersberg, in der Gemeinde<br />
Kleinzell. Als Kind haben<br />
wir dorthin Wallfahrten gemacht,<br />
und mir ist aufgefallen, wie genau<br />
58
ich diese Szenen noch im Kopf habe.<br />
Aber auch andere Szenen: die Feste,<br />
das Ministrieren und natürlich die<br />
Orgel, die mein Vater in der Kirche<br />
gespielt hat. In meiner Kindheit<br />
hatte ich aber eher eine Beziehung<br />
zu Jesus und weniger zu <strong>Gott</strong>vater.<br />
Jetzt gehen wir aufs Ganze: Welche<br />
Eigenschaften von Jesus sind Ihnen<br />
besonders nachahmenswert?<br />
Anschober: Toleranz auf jeden Fall.<br />
Ja, und Liebe ohne Angst. Und natürlich<br />
alles, was in der Bergpredigt vermittelt<br />
wird. Ich möchte hier nicht<br />
über Parteipolitik reden, aber grüne<br />
Werthaltungen – die erkenne ich in<br />
der Bergpredigt. Das ist Solidarität,<br />
aufeinander schauen, liebevoller<br />
Umgang miteinander.<br />
Scheuer: Da fallen mir drei Sätze<br />
ein. Erstens: „Sorgt euch nicht.“<br />
Das ist verbunden mit einem Grundvertrauen<br />
ins Leben. Zweitens:<br />
„Fürchtet euch nicht.“ Und der dritte<br />
Satz heißt: „Komm und geh!“ Jesus<br />
meinte damit: Komm, ich gewähre<br />
dir Gastfreundschaft. Und er sagt:<br />
Geh! Also geh hinaus, geh an Grenzen,<br />
geh in fremde Welten.<br />
Die Schlussfrage gebe ich an Sie<br />
beide weiter: Was wollten Sie Ihr<br />
Gegenüber schon immer fragen?<br />
Anschober: Ich habe eine sehr<br />
banale politische Frage. Thema<br />
Gleichstellung von Mann und Frau,<br />
wie geht’s weiter in der Kirche?<br />
Scheuer: Wie es weitergeht, kann<br />
ich nicht sagen, weil ich die kirchliche<br />
Großwetterlage nicht prognostizieren<br />
kann. Ich glaube, es geht<br />
Engstelle. Beim Gang über die Fußgängerbrücke werden wir zum Verkehrshindernis,<br />
weil Anschober und Scheuer alle Blicke auf sich ziehen. Die beiden nehmen’s gelassen.<br />
darum, dass Frauen bei uns Leitungsverantwortung<br />
übernehmen, dass<br />
sie ihre Qualitäten leben können.<br />
Dass es im Hinblick auf die Amtsfrage<br />
eine Schräglage gibt, das ist<br />
offenkundig. Wir sind hier durchaus<br />
in einer gewissen Zerreißprobe. Da<br />
gibt es ganz unterschiedliche Traditionen<br />
innerhalb der Kirche, auch<br />
weltweit. Und ich merke, dass uns<br />
das unheimlich viel Energie kostet.<br />
So, jetzt muss ich mir auch eine<br />
Frage überlegen … Herr Anschober,<br />
was lässt Sie staunen?<br />
Anschober: Schöne Frage. Staunen<br />
ist etwas Besonderes. Zum Staunen<br />
bringt mich etwas Überraschendes,<br />
was ich an Menschen entdecke, über<br />
die ich eine andere Vorstellung gehabt<br />
hätte und die mich dann positiv<br />
überraschen. Und ja, das bewegt. Da<br />
ist viel Emotion dabei beim Staunen.<br />
Noch Fragen? Nein. Also dürfen<br />
die beiden Herren ab sofort wieder<br />
Bischof und Minister sein.<br />
59
SAKRAMENT<br />
WIE WIR GEMEINSAM DAS LEBEN FEIERN<br />
Sie dienen unserem Leben als Wegweiser<br />
und Orientierungspunkte: Rituale, die wir<br />
gemeinsam erleben und feiern. Vom Ausblasen<br />
der Kerzen am Geburtstagskuchen bis zum<br />
Sakrament in der Kirche.<br />
FOTO: FOTO FLEISCHMANN<br />
60
Raum zum Abschiednehmen.<br />
2015 hat die Künstlerin Margit<br />
Hartnagel ein Segmentbogengewölbe<br />
im Altbau des Linzer<br />
St. Barbara Friedhofs neu gestaltet.<br />
Mittelpunkt dieses neuen<br />
Barbara-Raums ist eine gotische<br />
Figur der heiligen Barbara. Der<br />
Rest ist sanftes Licht und andächtige<br />
Stille. Ein eindrucksvoller<br />
(Feier-)Ort für das Ritual des<br />
Abschiednehmens.<br />
61
SAKRAMENT<br />
HIMMLISCHE<br />
RAUCHZEICHEN<br />
Weihrauch steht im Zentrum vieler Rituale –<br />
nicht nur in der Kirche. Denn sein Duft hat eine<br />
besondere Wirkung: Er kann uns an längst<br />
vergessene Orte führen und tiefe Emotionen wecken.<br />
62
FOTO: STEFAN PFEIFFER<br />
Es gibt Bräuche, die uralt sind und<br />
immer wieder eine Renaissance<br />
erleben. Vielleicht, weil sie uns<br />
Menschen helfen, mit den Wechselfällen<br />
des Lebens besser zurechtzukommen? Wir<br />
machen immer wieder die Erfahrung, dass<br />
wir nicht alles im Griff haben, dass unser<br />
Leben, unsere Beziehungen, unsere Gesundheit<br />
nicht so heil sind, wie wir uns das<br />
wünschen. Bräuche und Rituale verdeutlichen<br />
unsere Wünsche, Ängste und Hoffnungen.<br />
Und kein anderer Sinn spricht diese<br />
tief sitzenden Emotionen so an wie unser<br />
Geruchssinn. Gerüche können uns auch an<br />
Orte der Vergangenheit führen, selbst wenn<br />
die Erinnerung daran schon fast verblasst<br />
ist. „So roch es bei meiner Oma“, sagen wir<br />
dann plötzlich, oder: „Riecht eindeutig nach<br />
Schule!“ So geht es mir auch beim Geruch<br />
von Weihrauch, der mich in meine Kindheit<br />
zurückversetzt. Ein Highlight waren für<br />
mich die Maiandachten: inbrünstig gesungene<br />
Lieder, die Geschichten von frommen<br />
Frauen und Männern, die Monstranz auf<br />
dem Altar und der Priester, der das Weihrauchfass<br />
in die Hand nimmt …<br />
Wegen seines einzigartigen Dufts war<br />
Weihrauch schon immer ein kostbares Harz.<br />
In der Weihnachtsgeschichte gehört er zu<br />
den Gaben der drei Weisen aus dem Morgenland<br />
an das Jesuskind in der Krippe. Auch<br />
in der Liturgie hat Weihrauch eine zentrale<br />
Bedeutung. Er symbolisiert Reinigung, Verehrung,<br />
zu <strong>Gott</strong> aufsteigende Gebete und<br />
<strong>Gott</strong>es liebevolle Gegenwart, die uns einhüllt<br />
wie der Duft des Weihrauchs.<br />
Auch in anderen Religionen gibt es sie,<br />
die Räucherstäbchen, -fässer und -schalen.<br />
Um Böses zu vertreiben, um der Verehrung<br />
Ausdruck zu verleihen, um zur Gesundung<br />
beizutragen. Und mittlerweile ist Weihrauch<br />
auch außerhalb der Kirche im Trend: Unzählige<br />
Weihrauchvarianten werden zum<br />
Kauf angeboten, Seminare zum Thema<br />
Räuchern sind sehr beliebt.<br />
Doch nicht alle können sich für Weihrauch<br />
begeistern. Manche bringt er zum<br />
»Bald durchzogen ganze<br />
Schwaden an Rauch die Kapelle.<br />
Da begann meine Kleine zu<br />
husten und äußerte ihren<br />
Unmut lautstark: ›Das stinkt!‹«<br />
Edeltraud Addy-Papelitzky<br />
Husten, andere bekommen davon Kopfschmerzen.<br />
Das musste ich erfahren, als ich<br />
mit meiner jüngeren Tochter beim Studienbeginn<br />
meiner großen Tochter dabei war.<br />
Mit <strong>Gott</strong>esdienst, wie es sich gehört bei<br />
einem Theologiestudium. Viele Bitten gab<br />
es am Beginn dieses Studienjahres: für<br />
die Hungernden, die Traurigen; jene, die<br />
neu starten, jene, die Verluste zu beklagen<br />
haben … Und bei jeder Fürbitte wurde ein<br />
Weihrauchkörnchen in eine Schale gelegt.<br />
So durchzogen bald ganze Schwaden an<br />
Rauch die kleine Kapelle. Da begann meine<br />
Kleine zu husten und äußerte ihren Unmut<br />
lautstark: „Das stinkt!“<br />
Das war natürlich peinlich, für mich und<br />
für die große Schwester – und das an ihrem<br />
ersten Tag! Da erreichte mich der Blick eines<br />
mir bekannten Priesters. Ein Schmunzeln<br />
mit Blick auf meine Kleine, und er dämpfte<br />
mit dem Sand der Schale die Weihrauchkörner<br />
und öffnete die Tür.<br />
Mittlerweile hat auch meine Jüngere<br />
den Duft von Weihrauch liebgewonnen.<br />
Wenn wir drei Frauen nun am Weihnachtsabend<br />
und zu Silvester durch die Räume<br />
unseres Familienhauses gehen, mit der<br />
Rauchpfanne gefüllt mit Rosenweihrauch,<br />
dann erfüllt der Geruch jedes Eckchen. Wir<br />
bitten um Gesundheit und Wohlergehen für<br />
das Haus und alle, die da ein und aus gehen.<br />
Inzwischen begleitet uns dabei auch meine<br />
kleine Enkelin. Und wer weiß, vielleicht<br />
wird auch sie einmal sagen: „Das erinnert<br />
mich an meine Kindheit!“, wenn ihr der<br />
Duft von Weihrauch in die Nase steigt.<br />
EDELTRAUD ADDY-PAPELITZKY<br />
ist Theologin, Psychotherapeutin und<br />
Leiterin des Diözesanen Personalservice.<br />
63
EIN ORT<br />
DER TRAUER UND<br />
DER HOFFNUNG<br />
Warum gehen Menschen auf den Friedhof? Woran denken<br />
sie, wenn sie am Grab stehen? Und was erhoffen sie sich?<br />
Wir haben uns auf dem St. Barbara Friedhof in Linz umgehört.<br />
TEXT: NIKI NUSSBAUMER<br />
FOTOS: RAPHAEL GABAUER<br />
Stille in der Stadt.<br />
Zwischen Bahngleisen<br />
und viel befahrenen<br />
Straßen gelegen, ist<br />
er ein willkommener<br />
Ruhepol: der Linzer<br />
St. Barbara Friedhof.<br />
64
SAKRAMENT<br />
Es tut den Menschen gut<br />
zu wissen, wo ihre Toten<br />
bestattet sind. Die letzte<br />
Ruhestätte ist ein Ort des Gedenkens<br />
und des Erinnerns. Am Grab kann<br />
man Schmerz und Verlust überwinden,<br />
und oft ist Grabpflege auch eine<br />
Form der Trauerarbeit.<br />
Schon im frühen Christentum<br />
war es üblich, verstorbene Menschen<br />
zu bestatten. Rund um Kirchen und<br />
heilige Plätze errichtete man Grundstücke,<br />
die man „einfrieden“ ließ,<br />
also mit einer Mauer oder einer<br />
Hecke umgab. Daher stammt der<br />
Name Friedhof. Die Nähe zu <strong>Gott</strong>eshäusern<br />
hatte zwei Gründe: Der<br />
Verstorbene sollte erstens Teil der<br />
Gemeinde bleiben und zweitens am<br />
Tage der Auferstehung möglichst<br />
nahe bei seinem Herrn sein. Das<br />
Grab wurde nur als vorübergehender<br />
Aufenthaltsort verstanden.<br />
So ist der Friedhof im Christentum<br />
eine Stätte der Trauer, aber<br />
auch der Hoffnung: Das Leben siegt<br />
über Dunkelheit und Tod und mündet<br />
in ein Weiterleben im Jenseits.<br />
Gedenken. „Der Friedhof zeigt, dass unsere<br />
Verstorbenen nicht vergessen sind.“<br />
Aus Liebe zu den Verstorbenen<br />
Der Friedhof ist ein wichtiger Ort für mich geworden.<br />
Mittlerweile betreue ich drei Gräber, die ich zwei- bis<br />
dreimal pro Woche besuche. Ich komme aus Liebe zu<br />
meinen Eltern und meiner Frau auf den Friedhof. Ich<br />
bete ein Vaterunser, spreche mit den Verstorbenen und<br />
gieße die Blumen. Im Christentum gibt es die Tradition,<br />
die Grabstelle in Ordnung zu halten – und das wird<br />
auch in tausend Jahren noch so sein. Ein Besuch auf<br />
dem Friedhof beruhigt mich. Im Lärm der Großstadt<br />
ist er ein Ort der Erholung und der Besinnung. Er zeigt,<br />
dass unsere Verstorbenen nicht vergessen sind und im<br />
Gedenken weiterleben. Leben und Tod gehören zusammen,<br />
auch wenn der Verlust eines lieben Menschen nur<br />
sehr, sehr schwer verkraftbar ist.<br />
Helmut Nopp<br />
65
Bewältigung.<br />
„Die ersten drei<br />
Jahre kam ich<br />
jeden Tag zu<br />
seinem Grab.“<br />
Der Friedhof als Kraftplatz<br />
Ich bin immer schon gerne auf den Friedhof<br />
gegangen. Die Ruhe und die vielen Bäume<br />
haben eine positive Wirkung auf mich.<br />
Manchmal treffe ich mich hier sogar mit<br />
einer Freundin. Letztens war ich vier Stunden<br />
lang auf dem Friedhof. Hier liegt auch<br />
mein geliebter langjähriger Partner. 14 Jahre<br />
waren wir zusammen. Er starb völlig unerwartet<br />
an einer Lungenembolie und Herzversagen.<br />
Ich habe ihn tot im Schlafzimmer<br />
gefunden. Er war erst 46 Jahre alt. Die ersten<br />
drei Jahre kam ich jeden Tag zu seinem<br />
Grab. Das hat mir gutgetan und war meine<br />
Form der Trauerbewältigung. Anfangs habe<br />
ich ihm jeden Tag erzählt, was ich erlebt<br />
habe, aber das hat sich im Lauf der Zeit aufgehört.<br />
15 Jahre ist sein Tod mittlerweile<br />
her. Weil seine Mutter schon 85 Jahre alt<br />
ist, liegt es an mir, mich um sein Grab zu<br />
kümmern. Und das mache ich sehr gerne.<br />
Rosemarie Spießberger<br />
Das Grab gibt Trost<br />
Ich stehe vor dem sogenannten Kindergrab auf dem St. Barbara Friedhof.<br />
Hier finden Kinder, die im Mutterleib oder nach der Geburt sterben,<br />
ihre letzte Ruhe. So eine Gedenkstätte gibt es in meiner Heimat<br />
im Mühlviertel leider nicht. Mein großer Traum war es immer, einmal<br />
Mutter zu werden. Vier Mal trug ich ein Kind im Bauch. Keines der<br />
Babys hat die Schwangerschaft überlebt. Die Ärzte sagten, ich hätte<br />
zu viele Thrombozyten im Blut. Ich musste blutverdünnende Mittel<br />
schlucken und spritzen. Dennoch kamen meine Kinder tot zur Welt<br />
und landeten im Krankenhaus im Müll. Erst ab einem gewissen Gewicht<br />
gibt es die Pflicht, sie bestatten zu lassen. Aber das Schlimmste<br />
für mich ist: Ich bin kinderlos geblieben, ich durfte nicht Mutter werden.<br />
Oft bin ich deshalb traurig und wütend. Wenn ich hier an dem<br />
Kindergrab stehe, spüre ich: Anderen geht es so wie mir, die haben<br />
das auch durchgemacht. Das gibt mir Halt und Trost.<br />
Renate Höglinger<br />
66<br />
Geteiltes Leid. „Wenn ich am<br />
Kindergrab stehe, spüre ich:<br />
Anderen geht es so wie mir.“
SAKRAMENT<br />
Gedanken an schöne Zeiten<br />
In dem efeubewachsenen Familiengrab<br />
liegen mein Opa, meine Oma<br />
und meine Mama. Für mich ist dies<br />
kein Ort der Trauer mehr, sondern<br />
ein Ort der Erinnerung. Mama wollte<br />
immer mit 80 Jahren sterben, und<br />
14 Tage vor ihrem Geburtstag ging<br />
ihr Wunsch in Erfüllung. Damals war<br />
sie schon schwer krank. Am Grab<br />
denke ich an die schöne Zeit mit ihr<br />
zurück, vor allem an meine glückliche<br />
Kindheit. Mama war für meine<br />
zwei Geschwister und mich da, sie<br />
ging nicht arbeiten und hatte immer<br />
Zeit für uns. Bevor ich das Grab verlasse,<br />
bete ich jedes Mal: „Hilf bitte<br />
allen, die einen Odem, einen Atem,<br />
und eine Seele haben.“<br />
Eva Reitner<br />
Ort der Erinnerung. „Am Grab denke ich an die schöne Zeit mit<br />
meiner Mama zurück, vor allem an meine glückliche Kindheit.“<br />
Auf ein Gespräch mit Papa<br />
Ich besuche Mama und Papa alle drei<br />
Wochen einmal. Nur im Sommer, wenn<br />
es heiß ist und man das Grab bewässern<br />
muss, komme ich öfter. Die Grabpflege<br />
– also Blumen setzen, gießen, Unkraut<br />
jäten – ist mir wichtig. Ich finde, das ist<br />
eine Frage der letzten Ehre, die man<br />
den Verstorbenen erweist. Den richtigen<br />
Blumenschmuck auf dem Barbarafriedhof<br />
zu finden ist eine Herausforderung,<br />
denn es gibt hier viele Hasen.<br />
Margeriten und Chrysanthemen sind<br />
ungeeignet, deren Blüten fressen die<br />
Hasen sofort auf. Lavendel mögen die<br />
Hasen nicht. Für mich ist der Friedhof<br />
ein Ort der Kommunikation, für Gebete<br />
und Gespräche mit den Toten. Manchmal<br />
ertappe ich mich dabei, dass ich am<br />
Grab stehe und sage: „Hallo Papa, heute<br />
ist mir etwas Tolles gelungen!“<br />
Thomas Forster<br />
Reden im Stillen. „Für mich ist der Friedhof ein Ort der<br />
Kommunikation, für Gebete und Gespräche mit den Toten.“<br />
67
Sonntagsgefühl.<br />
Karin Peschka in<br />
der Küche ihres<br />
alten Elternhauses,<br />
wo sie mit ihrer<br />
Schwester das<br />
„Eferdinger Gastzimmer“<br />
betreibt.<br />
AM SIEBTEN TAG<br />
Sieben Tage, sieben Fragen, die zur Reflexion<br />
einladen. Diesmal haben wir sie der in Linz<br />
geborenen Autorin Karin Peschka gestellt.<br />
FOTOS: RAPHAEL GABAUER<br />
68
SAKRAMENT<br />
FOTOS: BPK/ABISAG TÜLLMANN, HABRINGER<br />
Was ist<br />
1. Ihnen heilig?<br />
Die spontane Antwort: nichts.<br />
Allerdings fällt mir beim<br />
Nachdenken über die vielen<br />
Bedeutungen des Wortes<br />
sanctus doch einiges ein. Zu<br />
diesen Bedeutungen ge hören<br />
neben anbeten auch unverletzlich,<br />
unantastbar und<br />
erhaben. Unantastbar ist für<br />
mich zum Beispiel das Recht,<br />
Autorität zu hinter fragen und<br />
Autorität, die sich dem verweigert,<br />
zu misstrauen.<br />
Wie definieren Sie<br />
2. ein gutes Leben?<br />
Den kommenden Tag nicht<br />
mit Sorge zu erwarten, sondern<br />
gelassen schlafen gehen<br />
zu können.<br />
Welche Eigen-<br />
3. schaft von Jesus<br />
erscheint Ihnen<br />
nachahmenswert?<br />
Vor vielen Jahren (im größten<br />
Zweifel) las ich Adolf Holls<br />
Buch „Der letzte Christ“<br />
über Franz von Assisi. Es gab<br />
mir die Sicherheit, mich auf<br />
die humanistischen Grundzüge<br />
zu verlassen, die (auch)<br />
in der Lehre Jesu überliefert<br />
sind. Die Zuwendung zum<br />
anderen über den Umweg –<br />
oder den Filter – der Zuwendung<br />
zu sich selbst, das ist<br />
eine gute Orientierung.<br />
Sich um andere zu kümmern<br />
ohne Aufhebens, ohne Erwartung<br />
des Ordens erster Klasse<br />
am roten Band.<br />
Wo und wann<br />
4. finden Sie Ruhe?<br />
Wenn ich mich mit einem Text<br />
beschäftige, mit dem neuen<br />
Roman, dann fokussiert sich<br />
meine Aufmerksamkeit – und<br />
das kann ein sehr schönes,<br />
ruhiges Gefühl sein. Außerdem<br />
im Alleinsein, im ziellosen<br />
Denken. Vor kurzem<br />
habe ich zum ersten Mal die<br />
Karl-Borromäus-Kirche auf<br />
dem Wiener Zentralfriedhof<br />
besichtigt. Ich habe dort eine<br />
Ruhe gefunden, die ich gar<br />
nicht gesucht hatte. Und mich<br />
gewundert und mir gedacht,<br />
davon bräuchte ich mehr.<br />
Wenn Sie für<br />
5. einen Tag<br />
allmächtig wären,<br />
was würden Sie tun?<br />
Mit meiner Macht hadern.<br />
Was war das<br />
6. größte Wunder<br />
in Ihrem Leben?<br />
Ist es nach wie vor: mein<br />
ganzes bisheriges Leben in<br />
diesem reichen Teil der Welt<br />
gelebt zu haben. Keine Errungenschaft,<br />
keine Selbstverständlichkeit,<br />
nichts, auf das<br />
ich stolz sein könnte. Es hätte<br />
auch anders kommen können.<br />
7. gelungenen<br />
Was macht<br />
für Sie einen<br />
Sonntag aus?<br />
Ich gehöre schon lang keiner<br />
religiösen Gemeinschaft mehr<br />
an, bin aber im katholisch geprägten<br />
Umfeld aufgewachsen<br />
und kenne den Kirchgang, als<br />
KARIN PESCHKA,<br />
53, lebt in Wien<br />
und Eferding. Die<br />
Autorin hat 2014<br />
ihren Debütroman<br />
„Der Watschenmann“<br />
veröffentlicht,<br />
der mit mehreren<br />
Literaturpreisen<br />
ausgezeichnet<br />
wurde.<br />
Ihr aktueller Roman<br />
„Putzt euch,<br />
tanzt, lacht“<br />
(Otto Müller Verlag,<br />
€ 23) ist für<br />
den Österreichischen<br />
Buchpreis<br />
<strong>2020</strong> nominiert.<br />
Darin lässt die Protagonistin<br />
Fanni<br />
mit 57 Jahren ihr<br />
altes Leben zurück<br />
und landet in einer<br />
ungewöhnlichen<br />
Wohngemeinschaft.<br />
Ein Buch<br />
über Solidarität,<br />
Zuwendung und<br />
Akzeptanz.<br />
kleines Kind an der Seite der<br />
Großeltern, als Jugendliche in<br />
der Samstagabend-Messe, wo<br />
ich aber eher Anschluss suchte<br />
als religiöse Erfüllung.<br />
Denn als Tochter von Wirtsleuten<br />
war der Sonntag für<br />
mich und meine Geschwister<br />
vor allem ein fixer Arbeitstag.<br />
Ein ruhiges Wochenende<br />
mit einem ebensolchen Sonntag<br />
gab es nicht. Es gab allerdings<br />
einen Sperrtag – ganz<br />
früher war es der Mittwoch,<br />
dann der Freitag. Da war das<br />
Haus still, Gastzimmer und<br />
Küche lagen in einer Art Dämmer,<br />
so war es auch an den<br />
Nachmittagen von Sonn- und<br />
Feiertagen. An diesen hatten<br />
wir zwei, drei Stunden geschlossen.<br />
Diese Stunden, dieser<br />
Dämmer, die Stille in den<br />
Räumen, die wir zuvor sauber<br />
gemacht hatten, Tische frisch<br />
gedeckt, Boden gekehrt, Geschirr<br />
und Gläser und Töpfe<br />
abgewaschen, Herd geputzt –<br />
diese Ruhe liebte ich. Ich saß<br />
oft allein beim Kachelofen<br />
und lauschte und dachte an<br />
nichts Besonderes. Manchmal<br />
sitze ich so in meiner winzigen<br />
Wiener Küche. Manchmal<br />
in unserem alten Haus in<br />
Oberösterreich, wo wir –<br />
meine Schwester und ich –<br />
nun zwar kein Wirtshaus<br />
mehr betreiben, aber dafür<br />
das „Eferdinger Gastzimmer“.<br />
Der Raum ist anders, aber<br />
der Kachelofen derselbe,<br />
die Fenster dieselben und die<br />
Ruhe ist es auch. Das gibt mir<br />
ein sonntägliches Gefühl.<br />
69
BETREFF: GRÜSS GOTT!<br />
Ein Auszug aus hunderten positiven und konstruktiven<br />
Rückmeldungen zur zweiten Ausgabe. Wir sagen DANKE!<br />
Die Corona-Krise hat unsere<br />
Wertvorstellungen ins Wanken<br />
gebracht und zeigt uns,<br />
wie angewiesen wir aufeinander<br />
sind. Vielleicht macht<br />
dieses Bewusstsein zugänglicher<br />
für religiöse Themen. Ihr<br />
Magazin lädt ein, sich unverbindlich<br />
damit auseinanderzusetzen.<br />
Gute Worte haben<br />
Kraft, richten den Blick neu<br />
aus, bauen auf, regen an und<br />
begleiten. Ich finde, all das<br />
ist Ihnen in Ihrem Magazin<br />
hervorragend gelungen!<br />
Waltraud Pühringer,<br />
Ernsthofen<br />
Dieses Magazin zaubert mir<br />
ein Lächeln ins Gesicht und<br />
belüftet meine Seele. Danke!<br />
Christine Michlmayr, Steyr<br />
Ich habe jetzt bewusst jede,<br />
wirklich jede Zeile des neuen<br />
„Grüß <strong>Gott</strong>!“ gelesen, und<br />
ich möchte euch sagen: ein<br />
wunderbares Magazin mit<br />
vor züglichem Layout und<br />
aus gezeichneten Fotos!<br />
Jeden Beitrag, vom Editorial<br />
des Bischofs bis zur Haderer-<br />
Karikatur, könnte ich nennen<br />
und besonders hervorheben!<br />
Die Seite 2 mit dem Zitat von<br />
Clemens Sedmak habe ich<br />
bereits mehrfach per Whats-<br />
App verschickt. Ich freue mich<br />
über dieses neue Magazin für<br />
alle Haushalte. Offensichtlich<br />
ist es vor Corona produziert<br />
worden – spontan vermisste<br />
ich dazu einen Beitrag, ein<br />
Statement. Doch dann war<br />
ich erleichtert, endlich einmal<br />
nichts von Corona lesen zu<br />
müssen. Nochmals: Herzlichen<br />
Dank – auch im Namen<br />
meiner Frau!<br />
Dr. Wilhelm Achleitner, Wels<br />
Als (tätowierter) Gefängnisseelsorger<br />
weiß ich sehr wohl<br />
um die Macht der Präsentation,<br />
der Bilder, des Layouts<br />
und der kirchlichen Haltung<br />
dazu. Mit diesem Magazin<br />
haben Sie etwas vorgelegt,<br />
was ich gerne meinen Klienten<br />
anbieten möchte, etwas,<br />
wo auch ich dahinterstehen<br />
kann. Die Spur ist verdammt<br />
geil! Weiter so!<br />
Jonathan Werner,<br />
St. Jakob am Thurn<br />
Der Bericht über die 24-Stunden-Pflegekräfte<br />
aus Osteuropa<br />
ließ mich auch im Urlaub<br />
an der Adria nicht los. Ich bin<br />
gewohnt, dass in meinem Heimatort<br />
alle möglichen Anlässe<br />
für ein Pfarr-Café wahrgenommen<br />
werden, umso mehr hat<br />
mich diese Initiative aus Leonstein<br />
überrascht und angeregt,<br />
ob nicht auch in unserer<br />
Gemeinde eine solche Möglichkeit<br />
geschaffen werden<br />
kann. Denn wenn die Leistung<br />
der Pflegekräfte anerkannt<br />
wird, wird dies sicher die Beziehung<br />
zu den Pflegebedürftigen<br />
vertiefen und so für beide<br />
Seiten vorteilhaft werden.<br />
Franz Eder, Kronstorf<br />
Ich gratuliere euch zum neuen<br />
Magazin. Es ist überaus gelungen<br />
und geht in die Tiefe. Ich<br />
freue mich darüber, denn damit<br />
versucht die Kirche, ein<br />
bisschen zu den Menschen zu<br />
kommen und nicht zu warten,<br />
bis sie von selber kommen.<br />
Monika Hofer, Waldburg<br />
Ich habe heute Ihre Zeitung<br />
mit der Post bekommen. Vorweg<br />
– ich bin evangelisch,<br />
aber ich habe selten mit so<br />
viel Interesse und Durchhaltevermögen<br />
ein neu erschienenes<br />
Druckwerk gelesen. Diese<br />
Zeitung ist Ihnen wirklich sehr<br />
gut gelungen – vielfältig, anregend<br />
und optisch auch ausgezeichnet<br />
gestaltet. Ich habe<br />
sie aufgrund der ohnehin<br />
eingeschränkten Betätigungsfelder<br />
von vorne bis hinten<br />
mit Freude gelesen.<br />
Waltraud Schinko,<br />
Haid/Ansfelden<br />
Die Qualität der Artikel und<br />
die behandelten Themen<br />
haben mir heute meinen<br />
Sonntagskaffee außerordentlich<br />
aufgewertet. Ich bin vor<br />
Jahren aufgrund einiger negativer<br />
Entwicklungen in der katholischen<br />
Kirche, die ich mit<br />
mir nicht vereinbaren konnte,<br />
aus ihr ausgetreten. Seither<br />
war ich meinem „Christ-Sein“<br />
nicht mehr so nahe wie jetzt<br />
nach der Lektüre des Magazins.<br />
Vielen Dank dafür, dass<br />
Sie mich meiner eigenen Spiritualität<br />
wieder einen kleinen<br />
Schritt nähergebracht haben.<br />
Klaus Gasser,<br />
Engerwitzdorf<br />
Zuerst skeptisch („Was flattert<br />
denn da schon wieder ins<br />
Haus?“), dann neugierig<br />
(„So schlecht is es ja gar nit“),<br />
schließlich zufrieden und<br />
begeistert! („Dös haben s’<br />
ganz gut hinkriegt!“). Danke!<br />
Ekkehard Oberhammer,<br />
St. Florian am Inn<br />
Möchten Sie uns auch eine Rückmeldung geben? Bitte per E-Mail an: gruessgott@dioezese-linz.at<br />
Eine Auswahl Ihrer Rückmeldungen finden Sie in Auszügen beziehungsweise,<br />
sofern es der Platz erlaubt, zur Gänze in einer der nächsten Ausgaben.<br />
70
HADERER<br />
ILLUSTRATION: GERHARD HADERER<br />
71
KULTURELLES &<br />
SPIRITUELLES<br />
Im Zeichen der Besinnlichkeit und des<br />
Gedenkens: unsere Veranstaltungs-Tipps<br />
in Linz und Umgebung.<br />
ACHTUNG: VERANSTALTUNGEN KÖNNEN WEGEN COVID-MASSNAHMEN KURZFRISTIG ABGESAGT WERDEN.<br />
13. 12. <strong>2020</strong>, 19 Uhr<br />
STERNENKINDER – UNVERGESSEN<br />
Weltweit gedenken Familien<br />
am „Wordwide Candle<br />
Lighting Day“ ihrer „Sternenkinder“,<br />
die vor, während oder<br />
kurz nach der Geburt gestorben<br />
sind. Dazu stellen sie um<br />
19 Uhr eine Kerze ins Fenster,<br />
die Erinnerung und Hoffnung<br />
zugleich symbolisiert: Erinnerung<br />
an eine viel zu kurze Zeit<br />
und Hoffnung, dass sich das<br />
Dunkel der Trauer wandelt.<br />
Rund um den 13. Dezember<br />
finden in vielen Pfarren, auf<br />
Friedhöfen und in Krankenhäusern<br />
Gedenkfeiern für<br />
Sternenkinder statt.<br />
Im Linzer Mariendom wird am<br />
13. Dezember <strong>2020</strong> um 15 Uhr<br />
ein Gedenkgottesdienst mit<br />
Bischof Manfred Scheuer<br />
gefeiert.<br />
www.dioezese-linz.at/<br />
sternenkinder<br />
1./2. 11. <strong>2020</strong><br />
GEDENKEN ZU ALLERHEILIGEN<br />
UND ALLERSEELEN<br />
Am 1. November feiert die<br />
katholische Kirche das Fest<br />
Allerheiligen. Wie der Name<br />
schon sagt, wird an diesem<br />
Tag „aller Heiligen“ gedacht.<br />
Einen Tag später, am 2. November,<br />
begehen Christinnen<br />
und Christen den Allerseelentag,<br />
an dem sie ihrer Verstorbenen<br />
gedenken. In den<br />
Pfarren in ganz Oberösterreich<br />
werden zu Allerheiligen<br />
<strong>Gott</strong>esdienste und Friedhofsandachten<br />
gefeiert. Zentrum<br />
des Festes Allerseelen ist das<br />
Requiem, der <strong>Gott</strong>esdienst<br />
zum Gedächtnis der Toten.<br />
An beiden Tagen besuchen<br />
viele Menschen die Gräber<br />
ihrer Lieben, verzieren sie<br />
mit Grabschmuck und stellen<br />
Seelenlichter auf. Das gemeinsame<br />
Gedenken spendet Kraft<br />
und Trost – und nährt die<br />
Hoffnung auf ein Wiedersehen<br />
bei <strong>Gott</strong>.<br />
Mehr Informationen zu<br />
<strong>Gott</strong>esdiensten und Friedhofsfeiern<br />
in ganz Oberösterreich<br />
finden Sie unter:<br />
www.dioezese-linz.at/<br />
allerheiligen<br />
9./16./23. 12. <strong>2020</strong>, jeweils ab 18 Uhr<br />
ORGELMEDITATIONEN<br />
IM ADVENT<br />
Ein musikalisches Jubiläum in<br />
der Vorweihnachtszeit: Bereits<br />
zum zehnten Mal finden in der<br />
Ignatiuskirche – dem Alten<br />
Dom in Linz – Orgelmeditationen<br />
im Advent statt.<br />
Unter dem Motto „Die Kraft<br />
der Stille“ laden sie an drei<br />
Mittwochabenden dazu ein,<br />
mitten im adventlichen<br />
Rummel der Stadt diesen<br />
besonderen Ort zu betreten,<br />
um eine halbe Stunde lang<br />
innezuhalten und zur Ruhe zu<br />
kommen. Bernhard Prammer,<br />
Caroline Atschreiter und<br />
andere Organistinnen und<br />
Organisten spielen auf der<br />
historischen Brucknerorgel<br />
adventlich-meditative Musik<br />
– vertieft durch kurze textliche<br />
Impulse, die zum<br />
Nachdenken anregen.<br />
Freie Spende erbeten.<br />
www.dioezese-linz.at/<br />
ignatiuskirche<br />
FOTOS: RAPHAEL GABAUER, BRUCKNERBUND FUER OOE, MARIA NOISTERNIG, KLAUS MITTERMAYR<br />
72<br />
Aktuelle Termine finden Sie auf www.dioezese-linz.at/termine
Karussell der Schätze:<br />
Aus Fundstücken und<br />
Alltagsgegenständen<br />
gezimmert, erfreut<br />
das Domkarussell den<br />
jüngsten Teil des Publikums<br />
beim Adventmarkt.<br />
27. 11. bis 23. 12. <strong>2020</strong><br />
ADVENT AM DOM<br />
Auf dem Linzer Domplatz findet heuer erstmals ein Adventmarkt<br />
statt. Der stillere Advent lädt zu einer Auszeit vom<br />
Vorweihnachtstrubel und setzt ganz auf Besinnlichkeit.<br />
Die Wochen vor Weihnachten<br />
gehören der Einkehr und der<br />
Vorfreude auf das Christkind.<br />
In dieser schönen Zeit versteht<br />
sich „Advent am Dom“ als<br />
Gelegenheit zum Innehalten<br />
und bietet regionale Qualität<br />
– kitschfrei und vor der einzigartigen<br />
Kulisse der größten<br />
Kirche Österreichs. An den<br />
30 Marktständen auf dem<br />
Domplatz gibt es ausschließlich<br />
Kunsthandwerk und<br />
Kulinarik aus der Region zu<br />
kaufen. Der Dom selbst strahlt<br />
in der Mitte des Geschehens<br />
seine angenehme Ruhe aus<br />
und wird unter anderem ein<br />
Kinderprogramm beherbergen.<br />
Spirituelle Impulse und<br />
Aktionen lenken den Blick auf<br />
den Kern der Weihnachtsbotschaft.<br />
Beim EngelFotoShooting<br />
können sich Besucherinnen<br />
und Besucher etwa mit<br />
Engelsflügeln fotografieren<br />
lassen und somit zu Engeln<br />
füreinander werden. Ein<br />
Highlight des Marktes ist<br />
außerdem das von zwei<br />
Fahrrädern angetriebene<br />
Domkarussell, bei dem<br />
Rund um den Mariendom eröffnet am letzten Freitag im<br />
November mit „Advent am Dom“ der stillere Advent.<br />
Fundstücke aus dem Dom<br />
und ausrangierte Alltagsgegenstände<br />
Kinderaugen<br />
zum Leuchten bringen. So<br />
steht der neue Adventmarkt<br />
auf dem Linzer Domplatz ganz<br />
im Zeichen von Handarbeit<br />
und Regionalität und setzt auf<br />
Qualität statt Quantität, auf<br />
Originalität statt Mainstream<br />
und auf Stil statt Lautstärke.<br />
www.adventamdom.at<br />
Der stillere Advent<br />
am Linzer Domplatz<br />
27. Nov. – 23. Dez. <strong>2020</strong><br />
täglich außer Montag<br />
11.00 – 20.00 Uhr<br />
Gutschein<br />
für eine<br />
Fahrt mit dem<br />
Karussell der<br />
Fundgegenstände<br />
www.adventamdom.at einzulösen bei Advent am Dom <strong>2020</strong>
LESENSWERT<br />
Unsere Buch-Empfehlungen<br />
zum Schmökern in der kalten Jahreszeit.<br />
Bibelwerk Linz<br />
DIE GROSSE<br />
HAUSBIBEL<br />
Hans Dieter Mairinger<br />
WAUN FAUNGT<br />
WEIHNACHTN AU?<br />
Bergwelten<br />
ES GIBT EINEN BERG<br />
FÜR JEDES ALTER<br />
Melanie Wolfers<br />
ENTSCHEIDE DICH<br />
UND LEBE!<br />
Die Familienbibel des Bibelwerks<br />
Für die einen kann das Christ-<br />
Während Kletterlegende<br />
Solange wir leben, treffen wir<br />
Linz als Prachtausgabe: Neben<br />
kind nicht früh genug kommen,<br />
Alexander Huber die Grenz-<br />
kleine und große Entscheidun-<br />
dem Text in Großdruck enthält<br />
während die anderen Weih-<br />
erfahrung in der Antarktis<br />
gen: Weißbrot oder Vollkorn-<br />
die Hausbibel 90 Seiten mit<br />
nachtslebkuchen Ende Sep-<br />
sucht, lässt es Bischof Manfred<br />
müsli? Mehr Geld verdienen<br />
Hinweisen für einen guten<br />
tember eher kritisch sehen.<br />
Scheuer lieber ruhiger angehen.<br />
oder doch beim netten Team<br />
Einstieg in die Heilige Schrift<br />
Und wieder andere suchen<br />
So unterschiedliche Persönlich-<br />
bleiben? Familie oder Weltreise?<br />
sowie über 60 ganzseitige<br />
in der Weihnachtszeit Einkehr<br />
keiten wie Barbara Stöckl, Sepp<br />
In der Freiheit zu wählen liegen<br />
Farbbilder aus den Ländern<br />
und Stille. Hans Dieter Mairinger<br />
Forcher und Wolfgang Schüssel<br />
gleichzeitig Lust und Last.<br />
der Bibel. Großformatige<br />
geht in seinen mundartlichen<br />
erzählen von der Reise, die man<br />
Anhand zahlreicher Beispiele,<br />
Land karten geben Einblick<br />
Weihnachtstexten auf die vielen<br />
beim Wandern und Bergsteigen<br />
praktischer Tipps und Übungen<br />
in die biblische Welt.<br />
Gesichter des Festes ein<br />
im Inneren durchläuft, und<br />
behandelt die Bestseller-Autorin<br />
und entlockt beim Lesen so<br />
bringen humorvoll zu Papier,<br />
Melanie Wolfers systematisch<br />
Bibelwerk Linz; 90 + 1.492 Seiten;<br />
manches Schmunzeln und<br />
welche Beweggründe sie in die<br />
die Kunst, kluge Entscheidun-<br />
€ 61,70 (portofrei), bei Vorlegen<br />
viele besinnliche Gedanken.<br />
Berge führen.<br />
gen zu treffen.<br />
des Bildungsgutscheins<br />
(Kirchenbeitrag) nur € 41,70.<br />
Kral Verlag; 192 Seiten;<br />
Bergwelten Verlag; 214 Seiten;<br />
Verlag bene!; 256 Seiten;<br />
www.dioezese-linz.at/hausbibel<br />
€ 19,90<br />
€ 20,00<br />
€ 19,00<br />
Lösung des Kirchenrätsels auf Seite 13:<br />
Es handelt sich um die Filialkirche Loibichl in Innerschwand am Mondsee.<br />
IMPRESSUM<br />
HERAUSGEBER: Wilhelm Vieböck, Diözese Linz, Herrenstraße 19, 4021 Linz, E-Mail: gruessgott@dioezese-linz.at, Telefon: 0732 / 76 10-1170 PROJEKTGESAMTLEITUNG DIÖZESE LINZ:<br />
Michael Kraml, Kommunikationsbüro Diözese Linz PROJEKTKOORDINATION: Barbara Eckerstorfer, Christine Grüll, Ursula Schmidinger MEDIENINHABERIN: Diözese Linz, Herrenstraße 19,<br />
Postfach 251, 4021 Linz, vertreten durch Dr. Manfred Scheuer, Diözesanbischof, ATU59278089 HERSTELLER: Red Bull Media House GmbH VERLAGSORT: Red Bull Media House Publishing,<br />
1140 Wien HERSTELLUNGSORT: Druckerei Berger, Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., 3580 Horn ANZEIGENLEITUNG: Elisabeth Staber CHEFREDAKTION: Raffael Fritz CHEF VOM<br />
DIENST: Thomas Hammerschmied ART DIRECTOR: Dominik Uhl FOTOREDAKTION: Matti Wulfes REDAKTION: Martin Foszczynski, Robert Maruna, Holger Potye GRAFIK: Steffi Werth<br />
ILLUSTRATION: Anita Brunnauer (studio nita.), Gerhard Haderer, Steffi Werth TEXTE: Edeltraud Addy-Papelitzky, Valentin Ladstätter, Janina Lebiszczak, Sabrina Luttenberger, P. Christian<br />
Marte, Nikolaus Nussbaumer, Karin Peschka, Clemens Stachel FOTOS: Raphael Gabauer, Christoph Liebentritt, Gregor Kuntscher (ASA12), Robert Maybach, Thomas Straub HERSTELLUNG:<br />
Veronika Felder PRODUKTION: Friedrich Indich, Walter O. Sádaba, Sabine Wessig LEKTORAT: Hans Fleißner (Ltg.), Petra Hannert, Monika Hasleder, Billy Kirnbauer-Walek, Belinda Mautner,<br />
Vera Pink LITHOGRAFIE: Clemens Ragotzky (Ltg.), Nenad Isailovic, Josef Mühlbacher EXECUTIVE CREATIVE DIRECTOR: Markus Kietreiber MANAGING DIRECTOR: Stefan Ebner<br />
HEAD OF CO-PUBLISHING: Susanne Degn-Pfleger ANZEIGENSERVICE: Manuela Brandstätter, Monika Spitaler ASSISTENZ DER GESCHÄFTSFÜHRUNG: Patricia Höreth<br />
GESCHÄFTSFÜHRER RED BULL MEDIA HOUSE PUBLISHING: Andreas Kornhofer<br />
FOTOS: PR
Die nächste Ausgabe erscheint im Mai 2021.<br />
HIMMEL<br />
Wie wir ein Stück davon<br />
schon auf Erden schaffen.<br />
[HERR]GOTT<br />
Wie wir ihn in allen<br />
Dingen finden.<br />
SAKRAMENT<br />
Wie wir gemeinsam<br />
das Leben feiern.<br />
FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCK<br />
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für Keine Sorgen im Leben.