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Gruess Gott - Herbst 2020

Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt

Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt

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Linz<br />

Das Magazin über <strong>Gott</strong> und die Welt <strong>Herbst</strong> <strong>2020</strong> | 1<br />

Österreichische Post AG, RM 19A041667 K, Diözese Linz, Herrenstraße 19<br />

WENN DIE WELT<br />

KOPFSTEHT<br />

Tänzerin Silke Grabinger über Bewegung<br />

als Schlüssel zum Seelenfrieden<br />

TREFFEN SICH EIN BISCHOF<br />

UND EIN BUNDESMINISTER<br />

Was Manfred Scheuer und Rudi<br />

Anschober gemeinsam haben<br />

MITGEFÜHL AUF TOUR:<br />

BESUCH BEIM HELP-MOBIL<br />

Wie eine Linzer Initiative jenen<br />

hilft, die niemanden haben<br />

CHRISTLICH WIRTSCHAFTEN:<br />

EIN GUTES LEBEN FÜR ALLE<br />

Warum Streben nach Gewinn<br />

nicht nur mit Geld zu tun hat


»Unser Mitgefühl ist<br />

der beste Impfstoff<br />

gegen die Epidemie<br />

der Gleichgültigkeit.«<br />

Papst Franziskus


EDITORIAL<br />

GRÜSS<br />

GOTT!<br />

COVERFOTO: CHRISTOPH LIEBENTRITT; FOTOS: DIÖZESE LINZ/HERMANN WAKOLBINGER, ADOBE STOCK<br />

„Haben Sie bei Ihrer Erdumrundung <strong>Gott</strong> gesehen?“,<br />

wurde der russische Kosmonaut Juri Gagarin 1961 von einem westlichen<br />

Reporter gefragt. Gagarins lapidare Replik lautete „Nein“. Diese berühmt<br />

gewordene Antwort ist eigentlich auf eine unsinnige Frage zurückzuführen.<br />

Man wird <strong>Gott</strong> nicht überraschend hinter einem Sternhaufen von<br />

Angesicht zu Angesicht begegnen. Und doch kann man <strong>Gott</strong> entdecken –<br />

auch ohne Abstecher ins Weltall.<br />

Berge beispielsweise werden – auch biblisch – als Orte der Nähe<br />

zwischen <strong>Gott</strong> und Mensch gesehen. Wer einmal nach beschwerlichem<br />

Aufstieg auf einem Gipfel mit herrlicher Aussicht saß oder Zeuge eines gewaltigen<br />

Naturerlebnisses wurde, mag sich dieser Deutung anschließen.<br />

Oft ist es aber weniger spektakulär: Wie oft fühlen wir uns<br />

genährt durch einen Blick auf Blumen, ein gutes Buch, ein berührendes<br />

Musikstück, durch ein Gespräch, ein stilles Gebet, durch Erfahrungen<br />

von echter Gemeinschaft. Manchmal geht das einher mit überwältigenden<br />

Glücksgefühlen. Manchmal sind es Momente totaler Aufmerksamkeit.<br />

Manchmal kommt es uns so vor, als würde der Sinn des Lebens unverhüllt<br />

erscheinen, völlig einsichtig, klar und ungeheuer schön. In solchen Erfahrungen<br />

kann sich auch <strong>Gott</strong> erschließen. „<strong>Gott</strong> in allen Dingen suchen und<br />

finden“, so lautet der spirituelle Auftrag, den der heilige Ignatius von Loyola<br />

dem von ihm gegründeten Jesuitenorden mitgab. Diese Maxime kann aber<br />

jede und jeden leiten. Übersetzt heißt es: Mit <strong>Gott</strong> darf auch im Alltag gerechnet<br />

werden, das Leben darf mit ihm in Beziehung gebracht werden.<br />

Eines darf man dabei nicht vergessen: Bevor wir zu suchen<br />

beginnen, hat uns <strong>Gott</strong> schon gefunden. Die große Kunst ist es, <strong>Gott</strong><br />

und der Suche nach ihm in unserem Leben ausreichend Raum zu geben.<br />

Dass Sie sich diese Offenheit bewahren und in diesem Magazin wertvolle<br />

Anregungen dazu finden, das wünsche ich Ihnen.<br />

Herzlich<br />

Bischof Manfred Scheuer<br />

Wenn Sie uns eine Rückmeldung<br />

zu unserem<br />

Magazin geben wollen, dann<br />

bitte gerne per E-Mail an:<br />

gruessgott@dioezese-linz.at<br />

Wir freuen uns, von Ihnen<br />

zu lesen!<br />

3


54<br />

HIMMEL<br />

20 „TÄNZER SIND DIE<br />

ATHLETEN GOTTES“<br />

Die Kraft der Bewegung: Für<br />

die Tänzerin und Choreografin<br />

Silke Grabinger ist Tanz eine<br />

Quelle der Spiritualität.<br />

26 EINE BUSLADUNG MITGEFÜHL<br />

Wer keine Krankenversicherung<br />

hat, bekommt im Linzer Help­<br />

Mobil medizinische Basis ­<br />

ver sorgung – und eine große<br />

Portion Herzenswärme.<br />

30 DURCH UNSERER HÄNDE ARBEIT<br />

Wir haben drei oberösterreichische<br />

Unternehmen besucht, um<br />

eine Frage zu stellen: Wie geht<br />

gutes Wirtschaften?<br />

[HERR]GOTT<br />

38 GOTT IN ALLEN DINGEN FINDEN<br />

Man findet <strong>Gott</strong> nicht nur in der<br />

Kirche. Sondern auch im Fußballstadion,<br />

im Klang eines Instruments<br />

– und im Gefängnis.<br />

46 GOTT IM GEHIRN<br />

Glaube löst in unserem Kopf<br />

ganz eigene Prozesse aus. Ist<br />

unser Gehirn für <strong>Gott</strong> gebaut?<br />

52 MITARBEITERIN GOTTES<br />

Sie ist zur Stelle, wenn’s wo<br />

brennt: Michaela Helletzgruber.<br />

54 ZWEI AUF EINER WELLENLÄNGE<br />

Gesundheitsminister Rudolf<br />

Anschober im Gespräch mit<br />

Bischof Manfred Scheuer.<br />

SAKRAMENT<br />

62 HIMMLISCHE RAUCHZEICHEN<br />

Weihrauch hat einen ganz<br />

besonderen Duft. Er kann nicht<br />

nur Erinnerungen, sondern<br />

auch tiefe Emotionen wecken.<br />

64 EIN ORT DER TRAUER<br />

UND DER HOFFNUNG<br />

Aus welchen Gründen gehen<br />

Menschen auf den Friedhof?<br />

Wir haben auf dem St. Barbara<br />

Friedhof in Linz nachgefragt.<br />

68 AM SIEBTEN TAG<br />

Die oberösterreichische Autorin<br />

Karin Peschka hat sieben<br />

schwierige Fragen zum richtigen<br />

Leben für uns beantwortet<br />

– und dann musste sie ruhen.<br />

4


INHALT<br />

FOTOS: ASA 12/GREGOR KUNTSCHER, RAPHAEL GABAUER<br />

26 30<br />

38<br />

GOTT & DIE WELT<br />

6 WEGE ZUR KRAFT<br />

Ein Fluss macht Rast: die<br />

Donauschlinge Schlögen.<br />

8 INFOGRAFIK<br />

Auf dem Weg durch<br />

die Advent- und<br />

Weihnachtszeit.<br />

10 KURZMELDUNGEN<br />

Die heilige Barbara im<br />

Tunnel, die neugeborene<br />

Geburtskirche, vatikanisches<br />

Streaming – und<br />

die virtuelle Domkrippe.<br />

11 GLOSSAR DES GLAUBENS<br />

Was bedeutet der Begriff<br />

„Sakrament“?<br />

64<br />

13 KIRCHENRÄTSEL<br />

Eine Kriegsgedächtniskirche<br />

im Wortsinn.<br />

14 1 FRAGE, 3 ANTWORTEN<br />

Wie war das mit dem<br />

Jüngsten Gericht?<br />

16 HIMMLISCHES REZEPT<br />

Martinigansl mal anders.<br />

70 POST AN GRÜSS GOTT!<br />

71 HADERER<br />

72 KULTURELLES<br />

& SPIRITUELLES<br />

Veranstaltungsund<br />

Buchtipps.<br />

Aus der Redaktion<br />

DAS C-WORT<br />

Corona, Corona, Corona: Die Medien<br />

werden seit Monaten ganz von einem<br />

Thema bestimmt. Davon möchten wir<br />

Ihnen in diesem Heft eine Pause gönnen.<br />

Und haben darum das allgegenwärtige<br />

C-Wort spärlich eingesetzt –<br />

wobei wir dennoch auf viele Themen<br />

eingehen, die uns in dieser außergewöhnlichen<br />

Situation beschäftigen.<br />

Sogar unser Doppelinterview mit<br />

Gesundheitsminister Rudolf Anschober<br />

und Bischof Manfred Scheuer ist<br />

ohne C-Wort ausgekommen. Die beiden<br />

hatten trotzdem (oder deswegen?) viel<br />

Interessantes zu besprechen, wie Sie<br />

ab Seite 54 lesen können.<br />

Auch die Unternehmen des Landes<br />

stehen vor Herausforderungen – umso<br />

wichtiger ist da die Frage, wie verantwortungsvolles<br />

Wirtschaften geht.<br />

Unser Autor Martin Foszczynski hat<br />

quer durch Oberösterreich nach Antworten<br />

gesucht. Ab Seite 30 können<br />

Sie ihn dabei begleiten.<br />

Viel öfter finden Sie in unserem Heft<br />

dafür das G-Wort: <strong>Gott</strong> ist schließlich in<br />

allen Dingen zu finden. Davon handelt<br />

unsere große Bilderstrecke ab Seite 38<br />

– mit einer praktischen Anleitung von<br />

Pater Christian Marte. Und ab Seite 46<br />

widmen wir uns der Frage, wie der Glaube<br />

an <strong>Gott</strong> unser Gehirn beeinflusst. Die<br />

Hirnforschung hat dazu nämlich faszinierende<br />

Erkenntnisse gewonnen.<br />

Natürlich darf auch das W-Wort<br />

nicht fehlen – schließlich gibt’s schon<br />

seit zwei Monaten Lebkuchen im Supermarkt.<br />

Ja, genau: Weihnachten ist nicht<br />

mehr weit! Den Hintergrund der einzelnen<br />

Festtage haben wir in einer Infografik<br />

auf Seite 8 zusammengefasst.<br />

Wir wünschen viel Freude beim Lesen!<br />

Ihre „Grüß <strong>Gott</strong>!“-Redaktion<br />

5


Wege zur Kraft.<br />

Kurze Pause. Einmal rechts, einmal links und weiter<br />

geht’s: Es wirkt fast so, als würde die Donau kurz Rast<br />

machen und sich nach allen Seiten strecken, bevor sie<br />

die lange Reise Richtung Schwarzes Meer antritt.<br />

Die Schlögener Schlinge gehört zu den eindrucksvollsten<br />

Naturwundern in Oberösterreich. Und wer am Aussichtspunkt<br />

oberhalb von Schlögen steht und dem Wasser zusieht,<br />

wie es sich seinen Weg durch den Granit der Böhmischen<br />

Masse bahnt, kann es der Donau gleichtun: rasten<br />

und innehalten, bevor der Lauf des Lebens weitergeht.<br />

FOTO: WWW.KAINDLSTORFER-PHOTOGRAPHIE.AT<br />

6


7


VOM DUNKEL ZUM LICHT<br />

Weihnachten ist nicht mehr weit! Ein Überblick<br />

auf dem Weg durch die Advent- und Weihnachtszeit.<br />

DIE ADVENTZEIT<br />

Der Advent (und damit das neue Kirchenjahr) beginnt<br />

offiziell mit dem Vorabend des ersten Adventsonntags.<br />

An diesem Abend werden in den Pfarrkirchen<br />

die Adventkränze gesegnet.<br />

Adventzeit<br />

1. Advent 2. Advent<br />

2. Adventsonntag<br />

Bereitet den Weg des Herrn! Zweiter<br />

und dritter Adventsonntag stehen<br />

im Zeichen Johannes des Täufers,<br />

der ankündigt: „Nach mir wird einer<br />

kommen, der stärker ist als ich.“<br />

1. Adventsonntag<br />

Seid wachsam! Im Mittelpunkt<br />

steht das Kommen Christi – und<br />

die Wachsamkeit, um die Zeichen<br />

dieses Kommens zu erkennen.<br />

4. Adventsonntag<br />

Fürchte dich nicht!<br />

Der letzte Adventsonntag<br />

nimmt die<br />

Ankündigung der<br />

Geburt Jesu an Josef<br />

bzw. Maria in den Blick.<br />

3. Advent<br />

4. Advent<br />

3. Adventsonntag<br />

Freut euch! Der dritte<br />

Adventsonntag ist<br />

von Vorfreude auf das<br />

Kommen Jesu geprägt.<br />

Weihnachtszeit<br />

Heiliger Abend<br />

(24. Dezember)<br />

Der Retter ist geboren! In seiner<br />

Menschwerdung hat <strong>Gott</strong>es Liebe<br />

wortwörtlich Hand und Fuß bekommen.<br />

Jesu Leben und Tod haben<br />

die Erlösung der Menschen und<br />

der ganzen Schöpfung zum Ziel.<br />

Das feiern wir am Heiligen Abend<br />

zu Hause und in der Christmette.<br />

www.heiligabend.at<br />

DER ADVENTKRANZ<br />

Der Kranz als Kreis, der kein Ende<br />

hat, ist Zeichen für den ewigen <strong>Gott</strong>,<br />

die Zweige symbolisieren Leben<br />

und Hoffnung. Der Adventkranz ist<br />

ein relativ junger Brauch: In einer<br />

katholischen Kirche wurde er erstmals<br />

1924 in Köln verwendet.<br />

24. 12.<br />

ILLUSTRATION: STEFFI WERTH, VECTEEZY.COM<br />

8


GOTT & DIE WELT<br />

DIE WEIHNACHTSZEIT<br />

Sie beginnt mit dem Heiligen Abend, also dem<br />

Vorabend des 25. Dezember, und dauert bis zum<br />

Sonntag nach dem 6. Jänner. Insgesamt währt<br />

die Weihnachtszeit also zwei bis drei Wochen.<br />

Christtag<br />

(25. Dezember)<br />

„Im Anfang war das<br />

Wort“: So beginnt die<br />

Geschichte von Jesus<br />

im Johannesevangelium.<br />

Am Christtag feiern<br />

wir, dass das Wort, das<br />

am Anfang bei <strong>Gott</strong><br />

war, Mensch geworden<br />

ist. Jesus ist<br />

das Licht, das<br />

in die Welt<br />

kommt und<br />

die Finsternis<br />

vertreibt.<br />

25. 12.<br />

26. 12.<br />

Stephanitag<br />

(26. Dezember)<br />

„Herr, rechne ihnen<br />

diese Sünde nicht an!“<br />

Stephanus war der erste<br />

christliche Märtyrer:<br />

Er wurde für seinen<br />

Glauben gesteinigt.<br />

Das Fest verdeutlicht,<br />

dass die Freude über<br />

die Geburt und die<br />

Trauer über die Bedrohtheit<br />

des Lebens<br />

nah beieinanderliegen.<br />

Fest der<br />

Hl. Familie<br />

Neujahrstag (1. Jänner)<br />

Das Evangelium erzählt von<br />

Beschneidung und Namensgebung<br />

Jesu am achten Tag nach seiner<br />

Geburt – dem heutigen Neujahrstag.<br />

Dieser Tag ist gleichzeitig auch das<br />

Hochfest der <strong>Gott</strong>esmutter Maria.<br />

1. 1.<br />

Fest der Heiligen<br />

Familie (Sonntag<br />

nach Weihnachten<br />

bzw. 30. Dezember)<br />

An diesem Festtag<br />

feiern wir die Heilige<br />

Familie als Vorbild.<br />

Maria und Josef bringen<br />

das Jesuskind<br />

in den Tempel. Simeon<br />

und Hanna preisen<br />

Jesus als Heil und<br />

Licht für Israel und<br />

alle Völker.<br />

6. 1.<br />

Taufe des Herrn<br />

(Sonntag nach dem 6. Jänner)<br />

Mit diesem Fest schließt der<br />

Weihnachtsfestkreis. Jesus<br />

lässt sich mit etwa 30 Jahren<br />

von Johannes dem Täufer im<br />

Jordan taufen. Dabei kommt <strong>Gott</strong>es<br />

Geist auf Jesus herab, und eine<br />

Stimme aus dem Himmel sagt: „Du<br />

bist mein geliebter Sohn, an dir habe<br />

ich Wohlgefallen gefunden.“<br />

Erscheinung des<br />

Herrn (6. Jänner)<br />

Das Matthäusevangelium<br />

erzählt, dass Sterndeuter<br />

aus dem Osten<br />

kamen und Jesus Gold,<br />

Weihrauch und Myrrhe<br />

darbrachten. Später<br />

deutete man sie als Könige,<br />

weshalb das Fest<br />

auch Dreikönig genannt<br />

wird. Das Fest betont: Es<br />

ist wirklich <strong>Gott</strong>, der sich<br />

in Jesus allen Menschen<br />

zuwendet!<br />

Taufe des<br />

Herrn<br />

DIE KRIPPE<br />

Der Brauch der Weihnachtskrippe – also figürlicher Darstellungen<br />

des Christkindes, seiner Eltern, der Engel, Hirten<br />

und Könige – geht bis in die alte Kirche der Antike zurück.<br />

Zunächst wurden Krippen vor allem in Kirchen aufgestellt,<br />

erst ab dem 18. Jahrhundert auch in Privathäusern.<br />

DER CHRISTBAUM<br />

Der Christbaum kam erst nach dem<br />

16. Jahrhundert nach Österreich. Mit<br />

seinen immergrünen Zweigen und<br />

den Kerzen verbindet er das Symbol<br />

des Lichtes von Weihnachten mit<br />

dem Symbol des Lebens.<br />

9


GOTT & DIE WELT<br />

Bergbaupatronin. Barbaras in den Tunneln Bartelkreuz in Ebensee (großes Bild), Grünburg<br />

(kleines Bild oben) sowie im Tunnel Lambach (kleines Bild Mitte).<br />

BARBARA MIT DEM<br />

TUNNELBLICK<br />

Den 4. Dezember kennen wir als Barbaratag. Er gilt<br />

als höchster Feiertag der Bergleute. Zeugnis davon<br />

findet sich – oft unbeachtet – in jedem Tunnel.<br />

Wer ein Licht am Ende<br />

des Tunnels sieht,<br />

sollte genauer hinschauen. Denn<br />

es könnte der obligatorische Barbara-Schrein<br />

sein. Tatsächlich:<br />

In jedem österreichischen Tunnel<br />

findet sich eine Statue der heiligen<br />

Barbara. Als Schutzpatronin<br />

der Bergleute muss sie über ihre<br />

Schützlinge wachen – und das<br />

Nächster Stopp. Einen<br />

Besuch wert: die Barbara-<br />

Statue in der unterirdischen<br />

Straßenbahnhaltestelle am<br />

Linzer Hauptbahnhof.<br />

geht am besten vor Ort. Dass<br />

gerade Barbara von Nikomedien,<br />

die man eigentlich vom Brauch<br />

mit den Kirschzweigen kennt, für<br />

den Bergbau zuständig ist, kommt<br />

nicht von ungefähr. Der Legende<br />

nach wurde sie, nachdem sie sich<br />

zum Christentum bekannt hatte,<br />

von ihrem Vater in einen Turm<br />

gesperrt. Sie flüchtete und konnte<br />

ihren Verfolgern nur entkommen,<br />

weil sich ein Felsspalt öffnete,<br />

der ihr als Versteck diente.<br />

Dabei soll – wenig überraschend<br />

– <strong>Gott</strong> seine Hände im Spiel gehabt<br />

haben. Heute ist es eben die<br />

Märtyrerin selbst, die ihre Hände<br />

schützend über die Bergleute<br />

hält. Und umgekehrt halten auch<br />

die Bergleute ihr die Treue.<br />

FOTOS: AMT DER OÖ. LANDESREGIERUNG, DIREKTION STRASSENBAHN & VERKEHR, DAVID VAAKNIN, VATIVISION<br />

10


ERFÜLLT MIT NEUEM LEBEN<br />

Erfreulich: Es ist quasi die<br />

Wiedergeburt der Geburtskirche<br />

von Bethlehem. Nach sieben<br />

Jahren sind die Renovierungen<br />

an Dach, Fassade und Steinflächen<br />

abgeschlossen, einzig an<br />

der Geburtsgrotte Jesu wird noch<br />

GOTT AM SCHIRM HABEN<br />

Erbaulich: Der Vatikan verfolgt<br />

sein eigenes Programm –<br />

mit einer neuen Streaming-Plattform.<br />

Auf „VatiVision“ werden<br />

unter anderem Filme und Dokumentationen<br />

zur Kirchen- und<br />

Kunstgeschichte gezeigt, die all<br />

Heiliger Ort. In<br />

der Geburtsgrotte<br />

markiert ein Stern<br />

die Geburtsstelle<br />

Jesu. Dieser Teil der<br />

Kirche wird derzeit<br />

noch renoviert.<br />

gearbeitet. Ein freudiges Ereignis.<br />

Vor allem, weil dabei bisher<br />

unbekannte Mosaike entdeckt<br />

wurden. Wer neugierig auf Kunstwerke<br />

und Kirche geworden ist,<br />

kann sie – zumindest online – besuchen:<br />

www.meetingrimini.org<br />

Segen von oben.<br />

Bei einer Audienz<br />

in Rom hat das „Vati-<br />

Vision“-Team Papst<br />

Franziskus die neue<br />

Streaming-Plattform<br />

vorgeführt.<br />

jene ansprechen sollen, die sich<br />

mit christlichen Werten identifizieren.<br />

Derzeit allerdings nur auf<br />

Italienisch. Schon bald soll „Vati-<br />

Vision“ weltweit zu sehen sein –<br />

wann es eine deutsche Version<br />

gibt, steht aber noch nicht fest.<br />

Glossar des Glaubens<br />

SAKRAMENT, DAS<br />

[zakʁaˈmɛnt]<br />

Der Mensch begehrt sichtbare Zeichen<br />

– das fing schon mit Mose an.<br />

Damit nicht bei jedem Zweifel ein<br />

Dornbusch brennen muss, hat die<br />

römische Kirche rituelle Sakramente<br />

(von kirchenlateinisch sacramentum<br />

= Heilszeichen) eingeführt:<br />

sichtbare Zeichen also für die unsichtbare<br />

Wirklichkeit <strong>Gott</strong>es und<br />

sein Wirken am Menschen. Erst<br />

seit dem Mittelalter ist die Zahl der<br />

Sakramente auf sieben festgelegt.<br />

Von Anfang an als bedeutendste angesehen<br />

wurden das Sakrament der<br />

Taufe und der Eucharistie (der Kern<br />

der katholischen Messfeier). Dazu<br />

kommen Firmung, Beichte, Ehe, das<br />

Weihesakrament (Diakon, Priester,<br />

Bischof) und die Krankensalbung.<br />

Sakramente sind ein Geschenk <strong>Gott</strong>es<br />

– aber kein Blankoscheck, sondern<br />

eine Gabe für Personen, die<br />

bereit sind, <strong>Gott</strong>es Gnade zu empfangen.<br />

Wenn das zu kompliziert ist,<br />

hilft vielleicht der Vergleich, den der<br />

Jesuitenpater Christian Marte (siehe<br />

S. 38) zog: Ein Sakrament ist wie ein<br />

Espresso – die konzentrierte Anwesenheit<br />

<strong>Gott</strong>es.<br />

Im Alltag kennen wir das Wort aber<br />

eher als Ausruf: „Sakrament!“ (oft<br />

auch noch mit vorangestelltem<br />

„Herrgott-“.) Warum kirchliche<br />

Begriffe als Flüche so beliebt sind,<br />

darüber gibt es viel Rätselraten.<br />

Womöglich hat die Entweihung des<br />

Sakralen etwas Reinigendes. Vielleicht<br />

war es auch ursprünglich eine<br />

Anrufung <strong>Gott</strong>es, damit er einem im<br />

Ärger beistehe – quasi der Espresso<br />

unter den Stoßgebeten.<br />

Martin Foszczynski<br />

11


GOTT & DIE WELT<br />

Aus Alt mach Neu. Staub, Schmutz und Spinnweben haben den Figuren zugesetzt.<br />

Nun werden sie 3D-fotografiert und gemeinsam mit allen Bauwerken liebevoll saniert.<br />

DAMIT DIE ENGERL<br />

WIEDER SINGEN<br />

Die Linzer Domkrippe wird heuer umfassend<br />

restauriert. Bei „Advent am Dom“ kann man sie<br />

aus ganz neuen Perspektiven betrachten.<br />

Sie ist eine der größten (und<br />

schönsten) Krippen der<br />

Welt: die in den Jahren 1909 bis<br />

1913 von Sebastian Osterrieder<br />

gestaltete Linzer Domkrippe.<br />

Doch der Zahn der Zeit hat kräftig<br />

an ihr genagt. Darum werden die<br />

Figuren in einem Atelier in Wien<br />

gründlich restauriert: „Es geht<br />

vor allem um die Reinigung von<br />

Schmutz und auch um Reparaturen<br />

von abgebrochenen Teilen.<br />

Bei den Schafen zum Beispiel sind<br />

ein paar Ohrwascheln und Füße<br />

abgebrochen“, erklärt Dommeister<br />

Clemens Pichler. Zeitgleich<br />

scannen die Profis vom Ars Electronica<br />

Center die Figuren mit<br />

einem modernen 3D-Scanner,<br />

um den Besucherinnen und Besuchern<br />

von „Advent am Dom“<br />

(siehe S. 73) ein besonderes Erlebnis<br />

zu bieten: In einem Seitenraum<br />

des Doms lassen sich die<br />

Figuren mit Virtual-Reality-Brillen<br />

in Überlebensgröße und aus<br />

ganz neuen Blickwinkeln betrachten.<br />

Auch die echte Krippe wird<br />

weiter zugänglich sein – an ausgewählten<br />

Tagen kann man den<br />

Restauratorinnen sogar bei der<br />

Arbeit über die Schulter schauen.<br />

Mehr Infos: www.mariendom.at<br />

FOTOS: DIÖZESE LINZ/MARIA APPENZELLER, MATTHIAS WINKLER, ALEXANDER ELLMAUER<br />

12


WO BIN ICH?<br />

Wir führen Sie in jeder Ausgabe zu einer der knapp<br />

1.000 Kirchen und Kapellen in Oberösterreich.<br />

Können Sie erraten, welche wir diesmal besucht haben?<br />

Sie ist eine Kriegsgedächtniskirche<br />

im Wortsinn. Denn die<br />

Menschen, die sie bauten,<br />

hatten den Krieg noch<br />

allzu gut im Gedächtnis:<br />

88 Männer aus diesem<br />

Dorf am Mondsee waren<br />

im Ersten und Zweiten<br />

Weltkrieg gefallen. Die<br />

Heimgekehrten begannen<br />

im Jahr 1945 gemeinsam<br />

mit dem Kaplan und Freiwilligen<br />

aus dem Ort, eine<br />

Kirche zu bauen – zum<br />

Dank, wieder mit ihren<br />

Familien vereint zu sein.<br />

Das Baumaterial holten sie<br />

teils aus Bombentrichtern<br />

in Salzburg. 1948, nach<br />

drei Jahren Bauzeit, feierte<br />

das ganze Dorf die<br />

Kirchweihe. Seither verging<br />

kaum ein Jahrzehnt<br />

ohne liebevolle Erweiterungs-<br />

und Renovierungsarbeiten,<br />

zuletzt im Jahr<br />

Für den Frieden. Über die<br />

Jahre wurde die Kirche<br />

üppig mit Kunstwerken<br />

ausgestattet. Zuletzt 2010,<br />

als Inge Dick, Trägerin des<br />

Österreichischen Kunstpreises<br />

<strong>2020</strong>, die Kirchenfenster<br />

neu gestaltet hat.<br />

2011 – auch wieder begleitet<br />

von einem großen Fest.<br />

Denn die Devise von damals<br />

darf auch heute nicht<br />

in Vergessenheit geraten:<br />

Nie wieder Krieg.<br />

Wissen Sie, welche<br />

Kirche gemeint ist? Die<br />

Lösung finden Sie auf<br />

Seite 74.<br />

13


GOTT & DIE WELT<br />

WELT IN DER WAAGSCHALE<br />

Es markiert das Ende der Welt und soll Gerechtigkeit für alle bringen:<br />

das Jüngste Gericht. Aber was bedeutet es, wann kommt es – und kann<br />

man es essen? Eine Theologin, ein Richter und eine Köchin antworten.<br />

Das Jüngste Gericht als großes göttliches Abwägen<br />

über Gut und Böse am Ende der Zeit gab es schon<br />

im Alten Ägypten. In der christlichen Version kommt<br />

Jesus auf die Erde zurück und entscheidet, wer in<br />

den Himmel kommt gemäß ihres/seines Verhaltens.<br />

Es steht dafür, dass man all sein Tun und Handeln<br />

verantworten können muss vor einer höheren Instanz<br />

– als einzelner Mensch und als Gemeinschaft. Als<br />

Religionswissenschaftlerin stelle ich fest, dass diese<br />

Vorstellung nicht mehr sehr präsent ist. Die dominanten<br />

Vorstellungen von Glück und einem heilen Leben<br />

stellen heute vielmehr das Individuum mit seinen<br />

Bedürfnissen in den Mittelpunkt. Bei der Klimakrise<br />

unserer Tage merken die Menschen nun, dass eine<br />

Endzeit sich doch erschreckend nah anfühlen kann.<br />

Ich beobachte dabei, dass der Wunsch nach einer<br />

technischen Lösbarkeit im Zentrum steht, weniger<br />

die moralische Umkehr. Aber die ökonomische<br />

Wachstumsspirale hängt unmittelbar mit der Individualisierung<br />

und dem Glauben an eine „Machbarkeit“<br />

zusammen. Die offene Frage ist also, wie vereinzelte<br />

Individuen, die meinen, ihr Glück ganz für sich<br />

produzieren zu können, wieder zu einer Form der<br />

Gemeinschaft finden, die sich für ihr Handeln verantwortet<br />

und entsprechende politische Regeln aufstellt.<br />

Die Richterschaft hielt Seminar. Thema: das Richterbild.<br />

Zum Einstieg war die Benennung richterlicher<br />

Grundeigenschaften gefragt. Ein junger, noch<br />

brennender Kollege warf das Bestreben, „gerecht“<br />

zu urteilen, in die Runde. Diese reagierte befremdet.<br />

Einer drohte, sogleich zu gehen. Er habe die nutzlosen<br />

Diskussionen darüber, was „gerecht“ sei, satt.<br />

Erstaunlich: Alle Welt erwartet, bei Gericht<br />

Gerechtigkeit zu finden, aber die Richterschaft kann<br />

mit diesem Begriff nichts anfangen. Er entzieht sich<br />

nämlich einer allgemein gültigen Definition. Woran<br />

ist Maß zu nehmen? Die individuelle, soziale, religiöse,<br />

ideologische Prägung bringt den Einzelnen<br />

dazu, ein Urteil als gerecht oder ungerecht zu empfinden.<br />

Der pluralistisch-demokratische Richter<br />

entfernt sich zusehends von absoluten Standpunkten.<br />

Die eher undogmatische Abwägung, das Abgleichen,<br />

der gesellschaftlich verträgliche Kompromiss sind<br />

angesagt.<br />

Werden wir am Ende eines anderen belehrt? Vielleicht<br />

wird das Jüngste Gericht – so es uns erwartet<br />

– eine „Gerechtigkeit“ judizieren, die mit unseren<br />

einschlägigen Kategorien nichts gemein hat. Dann<br />

werden wir wirklich ein Seminar brauchen.<br />

ANNE KOCH, 49, ist Professorin für Interreligiosität an der<br />

Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz und<br />

Gastprofessorin an der Katholischen Privat-Universität Linz.<br />

WOLFGANG AISTLEITNER, 76, ehemaliger Richter in Linz,<br />

Autor und Spielleiter im Amateurtheaterbereich.<br />

14


FOTOS: TRISTAN VOSTRY, HANS KOSINA, HELGE KIRCHBERGER; ILLUSTRATION: STUDIO NITA<br />

Die Gerichte, die ich als Köchin zubereite, haben<br />

wohl nicht allzu viel mit Theologie zu tun. Wobei –<br />

manche Gäste mögen sie vielleicht schon als göttlich<br />

bezeichnet haben. Was das buchstäblich „Jüngste<br />

Gericht“ in unserem Restaurant betrifft, so handelt<br />

es sich dabei um die Ofenpaprika mit sautierten Eierschwammerln.<br />

Es ist eine Neuinterpretation des Eierschwammerlgulaschs:<br />

Der Paprika, der üblicherweise<br />

in Pulverform dem Gulasch seine charakteristische<br />

Schärfe gibt, schlüpft dabei in die Hauptrolle und<br />

kommt als Ganzes auf den Teller. Die Eierschwammerl<br />

werden dazu herrlich zart sautiert.<br />

Man könnte den Begriff des „Jüngsten Gerichts“<br />

aber auch noch anders gastronomisch umlegen: auf<br />

solche Speisen nämlich, die nur kurze Zeit richtig gut<br />

schmecken. Mein Lieblingsbeispiel sind die Palatschinken.<br />

Sie gehören immer ganz jung – also frisch<br />

aus der Pfanne – verspeist. Wer Palatschinken stapelt,<br />

einkühlt oder aufwärmt, den trifft der strenge<br />

Schiedsspruch der Küchenchefin.<br />

(Hinweis d. Red.: „Das Koch­Duett“, ein Kochbuch<br />

von Elisabeth und Clemens Grabmer mit solcherart<br />

modernisierten Klassikern, erschien im September<br />

im Christian Verlag.)<br />

ELISABETH GRABMER, 56, kocht gemeinsam mit Sohn<br />

Clemens im mit zwei Hauben ausgezeichneten Restaurant<br />

Waldschänke in Grieskirchen.<br />

15


GOTT & DIE WELT<br />

MARTINIGANSL<br />

EINMAL ANDERS<br />

Restlessen kann ein Hochgenuss sein! Dieses<br />

köstliche Gericht ist ideal, wenn der Hunger am<br />

Martinitag nicht für die ganze Gans gereicht hat.<br />

Zeitaufwand: 25 Minuten<br />

Zutaten für 4 Personen:<br />

500 g gebratenes Gänsefleisch<br />

2 rote Zwiebeln<br />

1 Fenchelknolle<br />

1 Knoblauchzehe<br />

1 große reife Birne<br />

2 EL Gänseschmalz<br />

1 Schuss Weißwein<br />

1 Prise gemahlener Anis<br />

Salz, Pfeffer<br />

1 kleiner Bund grob gehackte<br />

Petersilie<br />

übrige Erdäpfelknödel<br />

MARIA<br />

GAISWINKLER<br />

ist die Pfarrhaushälterin<br />

von<br />

Pfarrer Johann<br />

Hammerl in der<br />

Pfarre Bad Goisern,<br />

die dem heiligen<br />

Martin geweiht ist.<br />

Zubereitung:<br />

1. Das magere Gänsefleisch<br />

in Stücke zupfen. Zwiebeln<br />

und Fenchel schälen, in<br />

dünne Scheiben schneiden.<br />

Knoblauch schälen und<br />

hacken. Birne schälen und<br />

in Spalten schneiden.<br />

2. Gänseschmalz erhitzen,<br />

Zwiebeln, Fenchel und<br />

Knoblauch darin kräftig<br />

anrösten. Gänsefleisch und<br />

Birnenspalten zugeben, mit<br />

Wein ablöschen. Mit Anis,<br />

Salz und Pfeffer würzen,<br />

ca. 3 Minuten lang weiterkochen.<br />

Dann Petersilie<br />

ein mischen und mit gebratenen<br />

oder gekochten<br />

Knödeln servieren.<br />

»Im Pfarrhof koche ich oft mehr, als wir essen<br />

können. Dann kommt es am nächsten Tag eben<br />

noch einmal auf den Tisch – natürlich etwas ummodelliert.<br />

Die Knödel vom Vortag sind gebraten<br />

fast noch besser. Und wenn das Ganslfleisch<br />

trocken ist, gibt’s eben ein Glasl Wein dazu!«<br />

FOTOS: PRIVAT, EISENHUT & MAYER<br />

16


17


HIMMEL<br />

WIE WIR EIN STÜCK DAVON<br />

SCHON AUF ERDEN SCHAFFEN<br />

Wir gemeinsam sind in der Lage, den Himmel auf Erden<br />

in Augenblicken erfahrbar zu machen. Das beginnt bei einer<br />

kleinen Aufmerksamkeit gegenüber einer unbekannten Person<br />

– und endet in der Hingabe für ein Herzensprojekt.<br />

FOTO: CHRISTOPH KALTSEIS<br />

18


Ein Stern geht auf. Früher galten<br />

Kometen als Zeichen großer Veränderung<br />

– mal als Omen des<br />

Weltuntergangs, mal als Vorboten<br />

einer besseren Zeit. Wofür wohl<br />

der Komet „Neowise“ stand,<br />

der sich im Juli so malerisch am<br />

Himmel über Sarleinsbach zeigte?<br />

Das hängt davon ab, was wir<br />

daraus machen.<br />

19


[HERR]GOTT<br />

„TÄNZER SIND DIE<br />

ATHLETEN GOTTES“<br />

Silke Grabinger vermittelt selbst in schweren Zeiten Leichtigkeit<br />

und Freude an der Bewegung. Für die Oberösterreicherin ist<br />

Tanzen mehr als ein Beruf – es ist auch Ausdruck der Seele,<br />

Quelle von Spiritualität und Schlüssel zur Selbstfindung.<br />

TEXT: JANINA LEBISZCZAK<br />

FOTOS: CHRISTOPH LIEBENTRITT<br />

Sie wird SILK genannt. Silk wie<br />

Seide, jener leichte und glatte Stoff,<br />

den man auf der Haut kaum spürt.<br />

Aber Silke Grabinger, 38, ist nicht wie Seide<br />

– und der Name nur eine Kurzform. Der<br />

Stoff, aus dem diese Frau gemacht ist, den<br />

hat sie selbst entworfen, selbst gewoben, und<br />

er ist wunderbar wandelbar. Wir treffen<br />

SILK bei den Vorbereitungen für einen Tanzworkshop,<br />

den sie beim Wiener Festival<br />

ImPulsTanz gibt. Und schon beim ersten<br />

Anblick strahlt die Künstlerin, Choreografin<br />

und Akrobatin eine Präsenz aus, die nur jene<br />

ziert, die lieben, was sie tun. Und die dabei<br />

so wirken, als würden sie sich kein bisschen<br />

anstrengen. Silke Grabinger ist immer in<br />

Bewegung und ruht dabei doch in sich selbst.<br />

Wie es dazu kam? Eine Prise Zufall war dabei,<br />

aber vor allem sehr viel Selbstbestimmtheit.<br />

Und das von klein auf.<br />

Können Sie sich noch daran erinnern,<br />

wann Sie sich zum ersten Mal tanzend<br />

bewegt haben?<br />

Wenn ich Musik gehört habe oder irgendwo<br />

eine Bühne war, hat mich das schon immer<br />

magisch angezogen. Meine Mutter hat mir<br />

erzählt, dass ich, noch bevor ich gehen<br />

konnte, einen Trick hatte, um aus dem Gitterbett<br />

zu kommen: Ich habe einen Polster<br />

genommen und ihn übers Gitter geschmissen,<br />

mich dann an den Stangen hinaufgehantelt<br />

und mich auf das Kissen fallen<br />

lassen. So bin ich meinen Eltern immer<br />

20


Am Sprung. Als wir Silke<br />

Grabinger treffen, bereitet<br />

sie sich gerade auf einen<br />

Workshop vor. Akrobatik-<br />

Einlagen vor der Kamera<br />

gehen sich aber noch aus.<br />

21


[HERR]GOTT<br />

davongelaufen, weil ich einfach neugierig<br />

war – ich habe Menschen geliebt, und ich<br />

wollte jeden kennenlernen. Und wenn die<br />

noch dazu Musik gemacht haben, dann<br />

war’s ganz aus. Zu dieser Quelle wollte ich.<br />

Und jetzt? Mein eineinhalb Jahre alter<br />

Sohn hat getanzt, bevor er gegangen ist. Er<br />

hat sich rhythmisch bewegt, zu einem Beat,<br />

den nur er hören konnte.<br />

Liegt die Liebe zur Kunst in der Familie?<br />

Meine Eltern wollten beide künstlerische<br />

Berufe einschlagen, mein Papa wollte<br />

Grafik designer werden, meine Mutter hat<br />

sich am Anton Bruckner Konservatorium<br />

in Linz beworben. Das war aber dann für<br />

beide nicht möglich. Ich habe dann genau<br />

diese beiden Ausbildungen absolviert, eigentlich<br />

schräg. Mir ließen sie meine Freiheit,<br />

vielleicht auch, weil es gar nicht anders<br />

möglich gewesen wäre. Ballett zum<br />

Beispiel, das war recht schnell klar, war<br />

nicht so meine Sache. Und auch der Eiskunstlauf<br />

– obwohl ich wirklich gut war –<br />

hat mich nicht glücklich gemacht. Strenge<br />

Abläufe nach Schema F, das war nie meines.<br />

Ich möchte ständig tanzen, aber so,<br />

wie ich will! Das hat meine Laufbahn nicht<br />

unbedingt immer einfach gestaltet, zugegeben.<br />

Mittlerweile weiß ich auch, dass man<br />

sich alles hart erarbeiten muss, dass man<br />

die Regeln kennen muss, um sie zu brechen.<br />

Aber ich reagiere immer noch allergisch,<br />

wenn ich höre: so und nicht anders.<br />

Was war der Befreiungsschlag?<br />

B­Girling, also weiblicher Breakdance. Da<br />

war plötzlich diese neue Kultur, der ich mit<br />

Erfolgsrezept.<br />

„Wenn ich in den<br />

Spiegel schauen<br />

und mich auf<br />

den Moment konzentrieren<br />

kann –<br />

dann bin ich<br />

erfolgreich.“<br />

»Strenge Abläufe nach Schema F, das war<br />

nie meines. Ich möchte ständig tanzen, aber<br />

so, wie ich will! Zugegeben, das hat meine<br />

Laufbahn nicht immer einfach gestaltet.«<br />

fünfzehn bei einer Veranstaltung in Linz<br />

begegnet bin. Eine Kultur, die Grenzen<br />

überschreitet und die Möglichkeit bietet,<br />

alle Bewegungen und alle Rhythmen zu<br />

kombinieren. Das hat mich nicht mehr<br />

losgelassen. Nach der Matura hab ich zwar<br />

die Aufnahmeprüfung an der Bruckner Uni<br />

gemacht. Drei Monate später bin ich aber<br />

schon dank einer Förderung der Stadt Linz<br />

durch Europa getourt – um B­Girling zu<br />

lernen und selber zu lehren. So hatte ich<br />

die Möglichkeit, auf Battles zu gehen,<br />

Workshops zu besuchen und die Leute in<br />

der Tanzszene kennenzulernen. Das war<br />

der Grundstein für vieles, was danach kam.<br />

Was kam? Silke Grabinger kam zum Tanztheater,<br />

etwa mit Projekten bei der Renegade<br />

Theatre Company, mit der sie durch Europa<br />

und Afrika tourte, oder dem Urban-Dance-<br />

Festival Pottporus in Deutschland. Bis Talentscouts<br />

vom Cirque du Soleil aus Montréal<br />

auf sie aufmerksam wurden. Beim Casting<br />

vor einer der anspruchsvollsten Jurys der<br />

Welt wurde sie quasi durchgewinkt. Und<br />

plötzlich war sie Solokünstlerin im großen<br />

Cirque du Soleil. Eine Österreicherin Mitte<br />

20, eine Autodidaktin – umgeben von den<br />

22


esten Artisten und Artistinnen dieser Welt.<br />

Und nicht alle davon konnten ihre Freude<br />

darüber teilen. Eine harte Zeit, aber auch<br />

eine lehrreiche. Von 2006 bis 2008 tanzte<br />

Grabinger in der Cirque-du-Soleil-Produktion<br />

„The Beatles LOVE“ und arbeitete mit<br />

den Spitzen der internationalen Choreografie<br />

zusammen.<br />

Wie war Ihre Zeit im Cirque du Soleil?<br />

Schon das Casting war beeindruckend.<br />

Ich bin in diesem Proberaum gesessen,<br />

es kamen drei Männer rein, einer schaut<br />

mich an, sagt „It’s her!“ („Das ist sie!“)<br />

und geht wieder. Also bin ich los nach<br />

Las Vegas. Und habe 1.117­mal das gleiche<br />

Solo getanzt.<br />

Sie haben doch vorher geschildert, dass<br />

Routine nicht unbedingt zu Ihnen passt …<br />

Ich habe dort professionell arbeiten gelernt.<br />

Und zwar sehr schnell: Dort waren 65 Leute<br />

im Cast, die schon acht Monate zusammengearbeitet<br />

hatten – ich bin vier Monate<br />

vor dem Opening hin, habe alle Choreografien<br />

nachlernen müssen. Kurz nach der<br />

Premiere wurde ich auch noch für eine<br />

Luftakrobatik­Nummer trainiert. Wenn ich<br />

heute noch einmal vor der Entscheidung<br />

stünde, würde ich es wieder tun. Eine<br />

Kopfüber. Sie probierte Ballett und Eiskunstlauf aus. Aber im<br />

B-Girling, dem weiblichen Breakdance, fand sie ihre Berufung.<br />

TÄNZERIN, CHOREOGRAFIN, AKROBATIN<br />

Mit Humor. Hart, aber voll lustiger Anekdoten:<br />

Silke Grabingers Zeit beim Cirque du Soleil.<br />

Silke Grabinger<br />

verbindet urbanen<br />

und zeitgenössischen<br />

Tanz mit<br />

performativer und<br />

bildender Kunst.<br />

Ihr Fokus liegt<br />

auf der Auseinandersetzung<br />

mit<br />

gesellschaftlichen<br />

Phänomenen,<br />

künstlerischen Paradigmen<br />

und der<br />

Funktion des Publikums.<br />

Nachdem sie<br />

von 2006 bis 2008<br />

in der Cirque-du-<br />

Soleil-Produktion<br />

„The Beatles LOVE“<br />

tanzte, kreierte sie<br />

2008 ihr erstes Solotanzstück<br />

[SLIK]<br />

mit Pilottanzt. Besonders<br />

wichtig ist<br />

ihr die Förderung<br />

von Nachwuchstalenten:<br />

Mit SILK<br />

Fluegge entwickelt<br />

sie Tanz- und Performanceproduktionen<br />

(nicht nur)<br />

für junge Menschen<br />

und wurde dafür<br />

mit dem „STELLA<br />

15“-Award für herausragende<br />

Produktionen<br />

für Jugendliche<br />

aus gezeichnet.<br />

www.silk.at<br />

23


»Eins zu sein mit allem, einfach<br />

mit der Welt mitzuschwingen,<br />

das hat eine wahnsinnige Kraft.<br />

Das ist für mich der ultimative<br />

Seelenfrieden.«<br />

Cirque ergeben haben, habe ich die am<br />

wenigsten lukrative gewählt, aber jene, die<br />

am nächsten bei meiner Familie war.<br />

Riesenchance, aber doch auch wie Fabriksarbeit.<br />

Nach 500 Shows wird dir bewusst,<br />

dass die Leute wie Maschinen arbeiten und<br />

während der ärgsten Akrobatik-Nummer in<br />

Gedanken ihre Einkaufszettel durchgehen.<br />

Danach kam sogar ein Angebot aus<br />

Hollywood. Warum sind Sie doch zurück<br />

nach Österreich?<br />

Ich hätte als Assistentin eines großen Choreografen<br />

in Los Angeles beginnen können.<br />

Diese unglaublichen Talente stehen alle in<br />

einer Reihe und haben 30 Sekunden Zeit,<br />

um zu zeigen, was sie können. Und du<br />

sagst: nein, du nicht … du nicht … du schon<br />

– und das bin ich nicht. Da mache ich lieber<br />

meine eigene Company auf und fang bei<br />

null an, aber unter meinem Namen. Von<br />

allen Möglichkeiten, die sich nach dem<br />

Körpergefühl.<br />

Tanz als Akrobatik:<br />

Da weiß jeder<br />

Muskel genau,<br />

was er zu tun hat.<br />

Langsam wird es für Silke Grabinger Zeit,<br />

sich umzuziehen, denn ihr Tanzworkshop<br />

beginnt gleich. Open Air, versteht sich, denn<br />

auch in Zeiten von Corona – oder gerade in<br />

diesen – soll getanzt werden. In weiten Sporthosen<br />

hat sie jede Bewegungsfreiheit. Gesprochen<br />

wird wenig, in ihrem stark physisch ausgerichteten<br />

Unterricht liegt der Fokus auf<br />

Technik, Ausdruck und Musikalität. Gemeinsam<br />

erforschen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

ihr individuelles Bewegungsvokabular,<br />

ganz intuitiv und niemals wertend. Alle<br />

machen mit, schwitzen, lächeln und wirken<br />

am Ende glücklicher und ausgeglichener.<br />

Hat Tanz für Sie etwas Heilendes,<br />

vielleicht auch Spirituelles?<br />

Wie heißt es so schön: Tänzer sind die Athleten<br />

<strong>Gott</strong>es. Tanz hat mich auf jeden Fall<br />

Vorbild. Silke arbeitet viel mit jungen Mädchen<br />

und animiert sie, ihren eigenen Weg zu gehen.<br />

24


[HERR]GOTT<br />

gerettet. Wenn man von klein auf gelernt<br />

hat, mit Disziplin und Struktur zu leben,<br />

war es heilend zu sehen, dass man daraus<br />

ausbrechen kann. Und zum Thema Spiritualität:<br />

Ich schaffe es beim Tanzen, mich<br />

mehr in meiner Seele zu spüren – vor allem<br />

wenn ich mich mit dem, was um mich herum<br />

ist, verbinde. Nicht nur mit den Menschen.<br />

Das kann im Endeffekt alles sein,<br />

was mich umgibt. Beim Wiener Kultursommer<br />

habe ich eine Performance gemacht,<br />

in der sehr viele hypnotische, rhythmische<br />

Elemente dabei waren. Da verbindest du<br />

dich so stark mit der Welt, dass du dich fast<br />

entkörperst. Eins zu sein mit allem, einfach<br />

mit der Welt mitzuschwingen, das hat eine<br />

wahnsinnige Kraft. Das ist der ultimative<br />

Seelenfrieden.<br />

Kostet das nicht auch viel Kraft?<br />

Ich habe diese unglaubliche Möglichkeit,<br />

zu machen, was ich liebe, und davon zu leben.<br />

Das kostet mich keine Kraft, sondern<br />

gibt sie mir. Selbst im Lockdown, da habe<br />

ich Konzepte für Performances geschrieben.<br />

Zum Beispiel „Sitzlust“, gemeinsam<br />

mit <strong>Gott</strong>hard Wagner, das hat bereits stattgefunden.<br />

Alle performen dabei sitzend,<br />

und das hat gut funktioniert. Ansonsten<br />

bin ich mit meiner Familie so oft wie möglich<br />

in der Natur unterwegs. Da ist man<br />

dem Himmel bekannterweise am nächsten.<br />

Was bedeutet Erfolg für Sie?<br />

Für viele Tänzerinnen und Tänzer ist der<br />

Cirque die Endstation, aber ich wollte da ja<br />

gar nie hin, es ist mir einfach passiert. Es<br />

geht mir karrieretechnisch nicht darum,<br />

dass mich besonders viele Leute gesehen<br />

haben. Wenn ich in den Spiegel schauen<br />

kann und mich auf den Moment konzentrieren,<br />

ihn spüren kann – dann bin ich erfolgreich.<br />

Als ich damals angefangen habe,<br />

habe ich so sehr dafür gekämpft: für sich<br />

selbst einstehen, Wertschätzung bekommen.<br />

Das versuche ich weiterzugeben und<br />

Motivation.<br />

„Ich mache, was<br />

ich liebe, und kann<br />

davon leben. Das<br />

kostet mich keine<br />

Kraft, sondern<br />

gibt sie mir.“<br />

arbeite darum gerne mit jungen Frauen,<br />

zum Beispiel beim Projekt „B-Girl Circle“.<br />

Ich brauche keine braven Schülerinnen und<br />

Schüler, ich war ja auch nicht brav. Ich<br />

habe versucht, kreative Lösungen zu finden,<br />

meinen eigenen Weg zu gehen, und<br />

dazu will ich auch die Kids animieren.<br />

Aber nicht alle tun sich so leicht mit dem<br />

Tanzen. Wie kann man Menschen die Berührungsängste<br />

vor dem Tanz nehmen?<br />

Jeder Mensch kann tanzen! Das ist einfach<br />

etwas, was in uns liegt. Es geht nur darum,<br />

wie sehr es gefördert wird. Tanz ist eine<br />

Möglichkeit, sich in seinem Körper zu finden<br />

und ihn gleichzeitig auch zu verlassen.<br />

Und die meiste Angst haben die Menschen<br />

ja nicht vor sich selbst, sondern vor der<br />

Reflexion im Außen. Bin ich schön genug,<br />

toll genug, bewege ich mich gut – aber<br />

wenn du in dir selbst ein bisschen Ehrlichkeit<br />

spürst, merkst du, dass es nicht darum<br />

geht, was das Außen mit dir macht. Dann<br />

kannst du zulassen, berührbar zu werden.<br />

Du kannst auch irgendwo herumstehen und<br />

in dir drinnen tanzen und keiner sieht es.<br />

Tanz ist überall und immer – in jeder<br />

Alltags bewegung.<br />

25


HIMMEL<br />

EINE<br />

BUSLADUNG<br />

MITGEFÜHL<br />

Das Help-Mobil in Linz bietet bedürftigen<br />

Menschen medizinische Basisversorgung an.<br />

Und als Draufgabe gibt es Ansprache auf<br />

Augenhöhe und Herzenswärme.<br />

TEXT: JANINA LEBISZCZAK<br />

FOTOS: RAPHAEL GABAUER<br />

Es sind die Menschen, für die<br />

einige von uns gerne spenden,<br />

manche regelmäßig, manche<br />

am liebsten zur Weihnachtszeit. Aber<br />

nur wenige pflegen den direkten Kontakt<br />

mit ihnen: Obdachlose, Alkoholkranke,<br />

Gestrandete, manchmal mit psychischer<br />

Erkrankung, oft durch schreckliche Schicksalsschläge<br />

gezeichnet.<br />

Wie der junge Mann aus einem Dorf<br />

nahe Linz, der seine gesamte Familie bei<br />

einem Unfall verlor und danach in die Alkohol-<br />

und Drogensucht abglitt – nun lebt<br />

er auf der Straße, schläft in Notquartieren.<br />

Oder die labile Frau, die meint, sie sei seit<br />

Jahren hochschwanger – aber die ersehnten<br />

Zwillinge kommen nie zur Welt. Oder die<br />

Roma-Burschen, die für ihre Schwestern<br />

dringend Corona-Schutzmasken benötigen<br />

und ihren Stolz bei der Abholung am Bus<br />

tapfer runterschlucken. Auch der freundliche<br />

Türke, der von sich selbst sagt, er<br />

sei „etwas langsam im Kopf“, und der seit<br />

seiner Scheidung ohne festen Wohnsitz<br />

ist, schaut regelmäßig vorbei – jetzt soll er<br />

abgeschoben werden, in ein Land, das er<br />

26


Grundversorgung.<br />

Die Allgemeinmedizinerin<br />

Elisabeth Füreder ist im<br />

Ruhestand. Im Help-Mobil<br />

hilft sie ihren Mitmenschen<br />

weiterhin.<br />

27


HIMMEL<br />

Hilfe auf Rädern.<br />

Eigentlich steht das<br />

Help-Mobil direkt<br />

auf dem Domplatz.<br />

Wegen Corona ist es<br />

auf einen Parkplatz<br />

in der Baumbachstraße<br />

ausgewichen.<br />

nicht mehr kennt. Aber nicht allen Besucherinnen<br />

und Besuchern des Help­Mobils, das<br />

montags und freitags auf dem Linzer Domplatz<br />

steht, sieht man ihre Lage an: Das sind<br />

oft jene Menschen, die unter den Auswirkungen<br />

der Corona­Pandemie leiden, ihren<br />

Job verloren haben und nicht mehr wissen,<br />

wie sie ihre Familie versorgen sollen.<br />

Berührbar bleiben<br />

Für sie alle ist das Team der oberösterreichischen<br />

Caritas­Mitarbeiterin Michaela<br />

Snacks für die Seele. Kekse, Knabberzeug<br />

und kleine Geschenke geben Trost.<br />

»Wohnungslose Menschen haben nur<br />

schwer Zugang zu ärztlicher Versorgung –<br />

teilweise, weil sie keine Versicherung<br />

haben, teilweise aus Angst oder Scham.«<br />

EINFACH HELFEN<br />

Michaela Haunold,<br />

Leiterin der<br />

Caritas-Sozialberatungsstellen,<br />

hat das Help-Mobil<br />

initiiert. Sie koordiniert<br />

die Organisationen<br />

und die<br />

vielen Freiwilligen,<br />

die das Projekt<br />

erst möglich<br />

machen.<br />

Elisabeth Füreder, Ärztin im Help-Mobil<br />

Haunold da. „Berührbar bleiben“, so<br />

lautet das Motto ihrer Arbeit. „Sich nicht<br />

runter ziehen lassen, aber offen für andere<br />

bleiben. Und: schnell und unbürokratisch<br />

helfen.“ Das Help­Mobil ist ihr „Baby“, und<br />

Haunold strahlt so viel positive Energie aus,<br />

dass es ansteckend ist. Das bereits ausgemusterte<br />

Vorgängermodell, ein umgebautes<br />

Rettungsfahrzeug, hätte sie am liebsten<br />

selbst behalten, so sehr hängt ihr Herz an<br />

dem Projekt. Doch das neue Help­Mobil,<br />

mitfinanziert durch eine Crowdfunding­<br />

Aktion, spielt dafür „alle Stückln“: Es bietet<br />

mehr Platz für die medizinische Versorgung,<br />

aber auch für Decken und Schlafsäcke,<br />

die im Winter verteilt werden.<br />

Organisiert wird die „Hilfe auf Rädern“<br />

von der Caritas, dem Arbeiter­Samariter­<br />

Bund, dem Orden der Barmherzigen<br />

28


HIMMEL<br />

Schwestern, dem Hilfsdienst des Lazarus­<br />

Ordens und vom Roten Kreuz Linz – und<br />

jede Organisation gibt, was sie geben<br />

kann: von selbst gebackenen Weckerln<br />

bis zu bunten Mund­Nasen­Masken, die<br />

von Flüchtlingen genäht werden. Die medizinische<br />

Grundversorgung wird mit der<br />

Unterstützung ehrenamtlich tätiger Ärztinnen<br />

und Ärzte angeboten. Die pensionierte<br />

Allgemeinmedizinerin Elisabeth Füreder ist<br />

regelmäßig mit an Bord; gerade im Winter,<br />

wenn die Kälte noch krankheitsanfälliger<br />

macht, ist ihre Arbeit gefragt.<br />

„Durch das Leben auf der Straße sind<br />

die Menschen häufiger krank. Wohnungslose<br />

Menschen haben nur schwer Zugang<br />

zu ärztlicher Versorgung – teilweise, weil<br />

sie keine Versicherung haben, teilweise aus<br />

Angst oder Scham“, erzählt sie. „An erster<br />

Wendig. Fahrer Harald Danner vom Samariterbund<br />

lenkt das Help-Mobil durch Linz.<br />

Gesundheits-Check. Kurz die Lunge abhören oder Puls<br />

und Blutdruck messen – auch das geht im Help-Mobil.<br />

WENN ES<br />

KALT WIRD …<br />

… ist unser Mitgefühl<br />

gefragt. Die Caritas<br />

Oberösterreich<br />

benötigt gerade im<br />

Winter dringend<br />

Unterstützung.<br />

Gebraucht werden<br />

Schlafsäcke, Isomatten,<br />

Kleidung,<br />

Hygieneprodukte,<br />

Lebensmittel und<br />

Geldspenden. Mit<br />

nur 25 Euro versorgen<br />

Sie Menschen<br />

in den Obdachloseneinrichtungen<br />

und Krisenwohnungen<br />

mit einem<br />

Hygie nepaket. Und<br />

mit 50 Euro helfen<br />

Sie einer obdachlosen<br />

Person mit<br />

Medikamenten. Alle<br />

Infos zu Spenden<br />

und Möglichkeiten<br />

zur Mithilfe unter:<br />

www.caritas-linz.at<br />

Stelle stehen die Versorgung von Wunden,<br />

das Wechseln von Verbänden und die Ausgabe<br />

von warmer Kleidung und Medikamenten<br />

– besonders in der Grippezeit.“<br />

Basisarbeit des Guten<br />

Das Help­Mobil ist auch Anlaufstelle und<br />

oft einziger sozialer Kontakt für jene Menschen,<br />

die keine anderen Obdachlosen­Einrichtungen<br />

aufsuchen. Sozialarbeiterinnen<br />

und Sozialarbeiter bieten Beratungen an,<br />

Ehrenamtliche schenken den Menschen<br />

Aufmerksamkeit und Zuwendung. Auffallend<br />

ist, was alle Beteiligten – die Ärztinnen,<br />

den Einsatzleiter, den Zivildiener, den<br />

Fahrer und die vielen anderen freiwilligen<br />

Helferinnen und Helfer – eint: Sie machen<br />

keinen Unterschied, wer da vor ihnen steht,<br />

sie bewerten nicht, sie sind einfach nur da,<br />

hören zu und helfen. Und sie kennen fast<br />

alle Bedürftigen, die regelmäßig zum Help­<br />

Mobil kommen, beim Namen. Denn sie<br />

versorgen ihre Klientel nicht nur mit Nasentropfen<br />

oder heißem Tee, sondern auch mit<br />

dem, was jeder Mensch am dringendsten<br />

braucht: Ansprache auf Augenhöhe.<br />

29


HIMMEL<br />

DURCH UNSERER<br />

HÄNDE ARBEIT<br />

Gutes Wirtschaften beginnt dort, wo es<br />

über das Profitstreben hinausgeht. Denn<br />

Wirtschaft, das sind wir alle – vom CEO eines<br />

Großkonzerns bis zur Bio-Gemüsebäuerin.<br />

TEXT: MARTIN FOSZCZYNSKI<br />

FOTOS: ASA 12/GREGOR KUNTSCHER<br />

St. Martin im Innkreis: Wo für<br />

Jahrhunderte nur die sprichwörtliche<br />

grüne Wiese war, hin<br />

und wieder unterbrochen von ein paar Häusern,<br />

die sich um einen Kirchturm scharten,<br />

stehen heute riesige Hallen mit noch größeren<br />

Parkplätzen davor. Drinnen herrscht<br />

emsiges Treiben: In klimatisierter und<br />

staubfreier Atmosphäre wird 24 Stunden<br />

am Tag gefräst und geleimt, gebohrt und<br />

getestet. Etwa 3.000 Menschen arbeiten in<br />

den oberösterreichischen Werken der FACC<br />

AG; damit ist sie einer der größten Arbeitgeber<br />

des Landes. Und ohne ihre Arbeit könnte<br />

kein einziges Passagierflugzeug der Welt<br />

ROBERT<br />

MACHTLINGER<br />

hat als Lehrling<br />

beim Skihersteller<br />

Fischer begonnen.<br />

Als Fischer Advanced<br />

Composite<br />

Components, kurz<br />

FACC, gegründet<br />

wurde, wechselte<br />

er dorthin. Seit<br />

2015 ist er CEO<br />

des Konzerns.<br />

abheben. Vom aerodynamischen Winglet<br />

über die schalldämmende Triebwerks-<br />

Ummantelung bis zur Passagierkabine in<br />

Leichtbauweise: Alle diese Komponenten<br />

werden hier im Innviertel für namhafte<br />

Kunden wie Boeing und Airbus gefertigt.<br />

„Unsere Technologien und Leichtbau-<br />

Komponenten haben dazu beigetragen, dass<br />

der CO2-Ausstoß der Luftfahrt in den letzten<br />

40 Jahren halbiert wurde“, sagt Robert<br />

Machtlinger, CEO der FACC AG, nicht ohne<br />

Stolz. Als er vor über 30 Jahren hier anheuerte,<br />

war sie noch ein kleines Tochterunternehmen<br />

des Skiherstellers Fischer. Heute<br />

steht der einstige Fischer-Lehrling einem<br />

globalen Konzern mit tausenden Beschäftigten<br />

vor. Während wir durch die riesige<br />

Werkshalle gehen, sehen wir einige von<br />

ihnen ganz vertieft in ihre Arbeit. Manche<br />

schauen kurz auf und grüßen, der CEO<br />

grüßt zurück. Wir bleiben an einer durch-<br />

30


»Vor 30 Jahren war das<br />

Innviertel ein industrielles<br />

Notstandsgebiet, heute ist<br />

es eine Wachstumsregion.<br />

Das spiegelt sich auch in<br />

Wohlstand und Zufriedenheit<br />

der Menschen wider.«<br />

Robert Machtlinger, CEO von FACC<br />

löcherten Zylinderhälfte aus Karbonfasern<br />

stehen und Robert Machtlinger bittet uns,<br />

den Kopf dort hineinzustecken. Und plötzlich<br />

ist es ganz still. Das betriebsame Werkeln<br />

in der Halle rückt in weite Ferne.<br />

„Genau das treibt uns seit jeher an“,<br />

sagt Machtlinger, „innovative Dinge zu<br />

entwickeln, die die Luftfahrt verbessern –<br />

und letztlich das Leben der Menschen.“<br />

Der Ring aus Karbon ist eine Ummantelung<br />

für Flugzeugtriebwerke. Durch die spezielle<br />

Bearbeitung können sie bis zu 60 Prozent<br />

leiser gemacht werden. Er ist überzeugt,<br />

dass Mobilität ein Grundbedürfnis der<br />

Menschen ist. Wie es auch in Zukunft gestillt<br />

werden kann, ohne dass es auf Kosten<br />

der Umwelt geht, sieht er als Kernfrage<br />

seines Unternehmens.<br />

Doch derzeit muss sich Robert Machtlinger<br />

mit ganz anderen Fragen beschäftigen.<br />

Durch die Corona-Krise sind im ersten Halbjahr<br />

<strong>2020</strong> die meisten Flugzeuge am Boden<br />

geblieben. Bei FACC hat das für viel Kopfzerbrechen<br />

gesorgt. Es sind aber nicht nur<br />

wirtschaftliche Erwägungen, die Machtlinger<br />

umtreiben. Schon in der Vergangenheit<br />

versuchte das Unternehmen, etwas zur positiven<br />

Entwicklung der Region beizutragen.<br />

So setzte sich FACC dafür ein, dass in Ried<br />

eine HTL für Maschinenbau entstand – die<br />

Werkstätten stellte das Unternehmen zur<br />

Verfügung. Die Corona-Krise hat die Frage<br />

nach dem richtigen, menschengerechten<br />

Handeln noch einmal zugespitzt. Während<br />

für die FACC-Belegschaft bis Ende Septem-<br />

Mittendrin. Auch<br />

ein internationaler<br />

Konzern muss in<br />

der Region verwurzelt<br />

sein und ihr<br />

etwas zurückgeben<br />

können, findet<br />

FACC-CEO Robert<br />

Machtlinger.<br />

ber Kurzarbeit beantragt wurde, beschloss<br />

das Management, auf 20 Prozent seiner<br />

Netto-Bezüge zu verzichten, und zahlt in<br />

einen Härtefonds für Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter ein. Als Vorstand eines börsennotierten<br />

Unternehmens muss Machtlinger<br />

aber auch Interessen der Aktionäre berücksichtigen<br />

– die Entscheidung, für 2019 die<br />

Dividende nicht auszuschütten, sondern als<br />

Zukunftskapital im Unternehmen zu belassen,<br />

stieß auch beim chinesischen FACC-<br />

Mehrheitseigentümer auf Zustimmung.<br />

Auch wenn sich das Unternehmen in<br />

Zukunft kleiner aufstellen muss – Robert<br />

Machtlinger ist überzeugt, dass es weiterhin<br />

eine wichtige Rolle in der Region erfüllen<br />

kann. „Vor 30 Jahren war das Innviertel ein<br />

industrielles Notstandsgebiet, heute ist es<br />

31


HIMMEL<br />

die am stärksten wachsende Region Österreichs<br />

– und das spiegelt sich auch im Wohlstand<br />

und der Zufriedenheit der Menschen<br />

wider.“ Denn Wirtschaft ist mehr als Kapitalmärkte,<br />

Bilanzen und Leitzinsen – und<br />

sie ist auch mehr als nur Erwerbsarbeit. Es<br />

geht darum, die Ressourcen dieser Erde, die<br />

Arbeit der Menschen, das Wissen von Generationen<br />

und das investierte Kapital weise<br />

zu nutzen, um ein gutes Leben für alle zu<br />

ermöglichen. Wer mit den Menschen im<br />

Land spricht, merkt, dass über dieses Ziel<br />

bemerkenswerte Einigkeit herrscht. Auch<br />

wenn es über den Weg dorthin ganz unterschiedliche<br />

Ansichten gibt.<br />

Turbulenzen.<br />

Corona hat den<br />

Luftfahrt-Konzern<br />

FACC voll erwischt.<br />

Doch CEO Robert<br />

Machtlinger lässt<br />

nichts unversucht,<br />

um die Jobs in der<br />

Region zu halten.<br />

sah sie – das „Bauernkind“ – die Anfänge<br />

einer anderen Entwicklung: das Sterben der<br />

bäuerlichen Betriebe. Infolge des EU-Beitritts<br />

und der Marktliberalisierung sanken<br />

die Preise für Lebensmittel, zahlreiche<br />

Landwirte wechselten in den Nebenerwerb<br />

oder gaben ihren Hof ganz auf. Ein zweites<br />

Schlüsselerlebnis waren Au-pair-Aufenthalte<br />

in Paris und London nach der Matura.<br />

Dem gehetzten Großstadtleben konnte sie<br />

wenig abgewinnen. Am stärksten aber irritierte<br />

sie das Konsumverhalten: „Die Leute<br />

standen in den riesigen Hypermarchés ratlos<br />

vor Regalen mit 20 Joghurtsorten, hinterließen<br />

Berge an Müll.“<br />

Sie hatte Sehnsucht nach ihrem Zuhause,<br />

wo die Eltern – Landwirte mit Leib und Seele<br />

– täglich Essen vom eigenen Hof auf den<br />

Tisch stellten. Diese kleinbäuerliche Struktur<br />

wollte sie von nun an bewahren. Nachdem<br />

sie und ihr Mann einige Jahre in der Privatwirtschaft<br />

gearbeitet hatten, beschlossen sie,<br />

ihr Leben grundlegend zu ändern. Sie übernahmen<br />

das Grundstück eines alten Dreikanthofs<br />

und begannen 2007, Gemüse-Raritäten<br />

anzubauen. Heute ziehen sie mehr als<br />

Ein Garten Eden in Arbeit<br />

Einen anderen Blickwinkel auf ihre Heimatregion<br />

hat Margit Mayr-Lamm, Betreiberin<br />

der Bio-Landwirtschaft fairleben in Allhaming.<br />

Wir treffen sie mitten in den Vorbereitungen<br />

auf die Buschenschank-Eröffnung<br />

– die nicht ohne Zwischenfälle verlaufen:<br />

Zwischen Kukuruzfeldern und Wild wiese<br />

herrscht sympathisches Chaos. Ihr Mann<br />

Josef hat wieder mal Gartenwerkzeug im<br />

Gewächshaus, in dem seltene Gemüsesorten<br />

gedeihen, liegen lassen, eine freche<br />

Maus hat über Nacht die Tulpenzwiebeln<br />

aufgefressen. „Die üblichen Probleme im<br />

Bio-Idyll“, lacht sie.<br />

Wo der FACC-Boss vor einem Vierteljahrhundert<br />

industrielles Brachland ausmachte,<br />

Rare Gewächse. In ihrem Gewächshaus bauen die Mayr-Lamms seltene<br />

Gemüsesorten an, darunter über 60 verschiedene Sorten Paradeiser.<br />

32


HIMMEL<br />

60 verschiedene Sorten Paradeiser, Paprika,<br />

Zucchini, Gurken, Kürbisse, Melanzani, Chilis,<br />

Spinat und Asia-Salate, die sie auf den<br />

Bauernmärkten in der Region verkaufen. Ein<br />

weiteres Standbein ist der Verkauf von Jungpflanzen.<br />

Auch wenn das Unternehmen kostendeckend<br />

läuft – ein Vollblut-Betriebswirt<br />

würde sich angesichts des Businessplans<br />

von Margit Mayr-Lamm wohl an den Kopf<br />

greifen. Sie baut ausschließlich samenfeste<br />

Sorten an, deren Saatgut jeder Konsument<br />

selber vermehren kann. Überhaupt könnte<br />

Mayr-Lamms Betrieb viel größer sein, die<br />

Nachfrage nach Bio-Gemüse und Jungpflanzen<br />

ist enorm. Während der Corona-Krise<br />

MARGIT<br />

MAYR-LAMM<br />

betreibt seit 2007<br />

die Bio-Landwirtschaft<br />

fairleben in<br />

Allhaming, wo sie<br />

Gemüse-Raritäten<br />

anbaut und sich<br />

ganz dem Prinzip<br />

des Gemeinwohls<br />

verschrieben hat.<br />

»Gutes Wirtschaften bedeutet,<br />

unseren Planeten für die<br />

Zukunft zu bewahren und so<br />

zu handeln, dass es möglichst<br />

wenig negative Auswirkungen<br />

auf andere hat.«<br />

Margit Mayr-Lamm, Bio-Bäuerin<br />

gab es einen regelrechten Ansturm auf die<br />

Märkte, erzählt Frau Mayr-Lamm. Doch statt<br />

auf Wachstum und Produktionssteigerung<br />

setzt sie auf Kooperationen mit benachbarten<br />

Betrieben. So erhält jeder ein Stück vom<br />

Kuchen – und für sie und ihren Mann geht<br />

sich ab und zu auch ein spontaner Badetag<br />

am nahen Attersee aus.<br />

Dass Mayr-Lamm mit ihrer Strategie<br />

einiges an Gewinn durch die Finger rieselt,<br />

bereitet ihr kein Kopfzerbrechen, denn sie<br />

sät etwas anderes, das für sie mehr Wert<br />

besitzt: biologische Vielfalt, starke lokale<br />

Wirtschaftskreisläufe und eine sichere<br />

Lebensmittelversorgung für alle. Sinnerfüllte<br />

Arbeit ist für sie, wenn sie dem<br />

Wohle aller dient und etwas für die Gemeinschaft<br />

leistet. Mayr-Lamm lässt ihren Betrieb<br />

anhand einer „Gemeinwohlbilanz“<br />

bewerten, die weit mehr beinhaltet als nur<br />

finanzielle Kennzahlen. Denn beim Wirtschaften<br />

geht es ihr nicht nur darum, was<br />

unterm Strich herauskommt, sondern sie<br />

fragt sich auch: „Wie komme ich zu diesem<br />

Ergebnis? Wie gehe ich auf dem Weg<br />

Leben auf dem Land.<br />

Josef und Margit Mayr-<br />

Lamm konnten dem gehetzten<br />

Großstadtleben<br />

wenig abgewinnen –<br />

und setzen sich nun für<br />

den Erhalt kleinbäuerlicher<br />

Strukturen ein.<br />

33


dorthin mit den Menschen, wie mit der<br />

Natur um?“ Es beginnt bei den Eiern und<br />

Lebensmitteln für die Buschenschank, die<br />

sie, oft mittels Extra-Kilometern auf dem<br />

Fahrrad, von den umliegenden Bauern bezieht,<br />

und reicht über die Photovoltaik anlage<br />

zur Stromerzeugung bis zur Herkunft<br />

der Töpfe und der Erde für die Jungpflanzen.<br />

„Verbesserungspotenzial findet sich immer“,<br />

fügt sie an und gesteht leicht verlegen,<br />

dass die Servietten immer noch von<br />

Ikea stammen. Den perfekten Garten Eden<br />

hat auch sie in Allhaming noch nicht geschaffen,<br />

aber sie versuche, ihm so nahe wie<br />

möglich zu kommen. „Gutes Wirtschaften<br />

bedeutet, unseren Planeten für die Zukunft<br />

zu bewahren und so zu handeln, dass es<br />

möglichst wenig negative Auswirkungen auf<br />

Familiär. Doris<br />

Hummer kennt<br />

jede Person in der<br />

Belegschaft bei<br />

DOMICO. Und sie<br />

weiß, wer die beste<br />

Schokolade in der<br />

Schreibtischlade<br />

hortet.<br />

andere hat. Liebe deinen Nächsten wie dich<br />

selbst“ – die Botschaft Jesu bringt es für sie<br />

auf den Punkt. Auch für Großunternehmen<br />

sei es möglich, ethische Maßstäbe anzusetzen<br />

und ihr Tun in einem umfassenderen<br />

Kontext zu sehen, ist Mayr-Lamm überzeugt.<br />

„Es ist nur eine Frage des Willens.“<br />

Wirtschaft ist kein Selbstzweck<br />

Auch Doris Hummer sieht Wirtschaft in<br />

großen Zusammenhängen. Nicht umsonst<br />

hat sie sich in jungen Jahren für ein Studium<br />

der Volkswirtschaftslehre entschieden.<br />

„Mich hat vor allem eine Frage fasziniert:<br />

Welches Wirtschaftssystem schafft ein gutes<br />

Leben für alle?“ Heute ist sie Präsidentin<br />

der Wirtschaftskammer Oberösterreich –<br />

die erste Frau in dieser Position. Und als<br />

Geschäftsführerin des von den Eltern übernommenen<br />

Unternehmens DOMICO, Spezialist<br />

für Gebäudesysteme aus Metall, auch<br />

mit der wirtschaftlichen Praxis bestens vertraut.<br />

Ihre 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

kennt sie alle, darüber besteht bei einem<br />

Rundgang durch das mit werkseigenen<br />

Bauteilen errichtete DOMICO-Hauptquartier<br />

in Vöcklamarkt kein Zweifel. Wer die<br />

beste Schokolade in der Schreibtisch lade<br />

hortet, weiß sie genau, und ebenso, bei<br />

wem gerade ein Zahnarzttermin ansteht.<br />

Wirtschaft ist für Doris Hummer, die sich in<br />

ihrer Jugend in katholischen Organisationen<br />

Weitblick. Gewinne müssen für Doris Hummer<br />

nichts Böses sein, solange man sie in die Zukunft<br />

investiert und neue Arbeitsplätze schafft.<br />

34


HIMMEL<br />

»Wirtschaft ist letztlich die<br />

Möglichkeit, meine Talente<br />

so einbringen und entwickeln<br />

zu können, dass ich ein<br />

gutes Leben führen kann.«<br />

Doris Hummer, Präsidentin der<br />

Wirtschaftskammer Oberösterreich<br />

wie der Jungschar engagiert hat, unteilbar.<br />

Der kleine Bäcker ums Eck, bei dem sie<br />

morgens ihre Semmeln holt, bedeutet für<br />

sie ebenso Lebensqualität wie der international<br />

verflochtene Industriekonzern, der<br />

tausende Arbeitsplätze schafft. Und: Wirtschaft<br />

sei kein Selbstzweck. „Wirtschaft ist<br />

letztlich die Möglichkeit, meine Talente so<br />

einbringen und entwickeln zu können, dass<br />

ich ein gutes Leben führen kann.“ Das gilt<br />

für den DOMICO-Schichtmeister genauso<br />

wie für die Empfangsdame im futuristischen<br />

Foyer. Und ja, auch Geld spiele eine Rolle<br />

– was aber nicht bedeuten müsse, dass in<br />

den Vorstandsetagen nur profitgierige Manager<br />

sitzen. Gerade die Corona-Krise habe<br />

gezeigt, dass Gewinne nichts Böses sind,<br />

sondern auch die Basis für das Fortbestehen<br />

eines Unternehmens in schwierigen Zeiten<br />

darstellen. „Ohne Eigenkapital wäre man<br />

am nächsten Tag kaputt.“<br />

Verantwortungsbewusste Unternehmerinnen<br />

und mündige Mitarbeiter, die gemeinsam<br />

für die Menschen wirtschaften<br />

und durch ihre Arbeit ein gutes Leben für<br />

alle ermöglichen – so einfach könnte es<br />

sein. Doch in Zeiten von globalem Handel,<br />

internationalem Lohndruck und Automatisierung<br />

scheint diese Gleichung für viele<br />

Menschen in unserem Land nicht mehr aufzugehen.<br />

„Fehlentwicklungen gibt es in der<br />

Wirtschaft genauso wie in allen anderen<br />

Systemen, die von Menschen gemacht werden“,<br />

sagt Doris Hummer dazu. Es läge an<br />

uns selbst, den Rahmen klar abzustecken,<br />

was wir als Gesellschaft wollen und was<br />

nicht. An der Politik, die Gesetze schaffen<br />

DORIS HUMMER<br />

leitet in zweiter<br />

Generation das<br />

Familienunternehmen<br />

DOMICO in<br />

Vöcklamarkt. Seit<br />

2017 ist sie als<br />

erste Frau Präsidentin<br />

der Wirtschaftskammer<br />

Oberösterreich.<br />

muss, um etwa die Verwendung umweltschädigender<br />

Spritzstoffe zu untersagen,<br />

aber auch an den Konsumentinnen und<br />

Konsumenten, die mit ihren Kaufentscheidungen<br />

Billigstproduktionen aus Ländern<br />

mit menschenverachtenden Standards ablehnen<br />

können. „Ich sehe gerade die Corona-Krise<br />

als Chance, dass wir wieder einiges<br />

an Produktion an unseren Standort zurückbekommen.“<br />

Wirtschaft als System, in dem sich alle<br />

verwirklichen können, in dem aber auch<br />

alle Verantwortung tragen, das ist Frau<br />

Hummers ökonomisches Verständnis. Wohl<br />

nicht zufällig sieht die Mutter eines Sohnes<br />

in regional verwurzelten Familienunternehmen<br />

eine Art Ideal des Wirtschaftens. „Dort<br />

arbeiten Jung und Alt, Frau und Mann zusammen.<br />

Diese Vielfalt an Blickwinkeln<br />

macht Erfolg aus.“ Und: „Familienunternehmen<br />

schauen nicht aufs Quartalergebnis,<br />

sondern denken in Generationen.“<br />

Vielleicht müsste man Ökonomie mehr<br />

im ursprünglichen Sinn – nämlich als<br />

„Haushalt“ (das bedeutet das altgriechische<br />

Wort oikos ursprünglich) – begreifen. Als<br />

Haus, in dem wir alle miteinander leben<br />

und arbeiten, auch im globalen Maßstab.<br />

Dann ist gutes Wirtschaften vor allem eine<br />

Investition in die Zukunft – und das ist ein<br />

zutiefst christlicher Gedanke.<br />

WAS HEISST CHRISTLICH WIRTSCHAFTEN?<br />

Zu der Frage, was<br />

christliches Wirtschaften<br />

heute bedeutet,<br />

haben die<br />

Kirchen in Österreich<br />

seit 2003 eine<br />

gemeinsame Position:<br />

Damals wurde<br />

das Sozialwort des<br />

Ökumenischen Rates<br />

der Kirchen in<br />

Österreich herausgegeben.<br />

14 Kirchen<br />

östlicher und westlicher<br />

Tradition haben<br />

dafür zusammengearbeitet.<br />

Die<br />

Initiative ging von<br />

Bischof Maximilian<br />

Aichern (Linz) aus,<br />

die Katholische Sozialakademie<br />

Österreichs<br />

(Wien) war<br />

mit der Erarbeitung<br />

betraut. Themen<br />

wie Bildung, Medien,<br />

Lebensräume,<br />

Arbeit, Wirtschaft,<br />

soziale Sicherheit,<br />

Frieden, weltweite<br />

Gerechtigkeit und<br />

Verantwortung für<br />

die Schöpfung wurden<br />

vielfach diskutiert.<br />

Das Sozialwort<br />

fand weltweite Beachtung<br />

und wurde<br />

2013 im Rahmen<br />

von „Sozialwort<br />

10+“ aktualisiert.<br />

oekumene.at/<br />

dokumente<br />

35


[HERR]GOTT<br />

WIE WIR IHN IN ALLEN DINGEN FINDEN<br />

Wo findet man eigentlich <strong>Gott</strong>? Nur in der Kirche oder<br />

auch im Fußballstadion? Nur in der Gemeinschaft oder<br />

auch im Stillen? Fragen über Fragen, auf die auch kluge<br />

Menschen ganz unterschiedliche Antworten geben.<br />

Einige davon finden Sie auf den folgenden Seiten.<br />

FOTO: GETTY IMAGES/DARREN LANGDON<br />

36


Wunder der Schöpfung. Oft sieht<br />

man nur seine Spuren oder hört<br />

seine Rufe. Denn der scheue Rotfuchs<br />

ist vor allem nachts aktiv.<br />

Doch wer etwas Glück hat, kann ihn<br />

fast überall in Oberösterreich entdecken<br />

– von der Stadt bis ins Gebirge.<br />

37


[HERR]GOTT<br />

VOM<br />

SUCHEN<br />

UND<br />

FINDEN<br />

Auf der Suche nach <strong>Gott</strong>es<br />

Spuren sind keine weiten Reisen<br />

nötig. Wer mit offenen Augen<br />

durch die Welt geht, wird<br />

überall fündig: in den Gassen<br />

der Stadt, im Fußballstadion,<br />

im Klang eines Instruments –<br />

und sogar im Gefängnis.<br />

Ein spiritueller Streifzug.<br />

FOTOS: RAPHAEL GABAUER, ROBERT MAYBACH, THOMAS STRAUB<br />

Der Hoffnungsvolle<br />

Die Fenster sind vergittert, die Betonwände<br />

nur mit einer dünnen Schicht Farbe verziert:<br />

Es gibt gewiss schönere <strong>Gott</strong>eshäuser als die<br />

Gefängniskapelle der Justizanstalt Innsbruck.<br />

Und doch spürt Christian Marte hier eine<br />

Nähe zu <strong>Gott</strong>. Der Jesuit ist Seelsorger für die<br />

Gefangenen und die Bediensteten. Zu den<br />

<strong>Gott</strong>esdiensten in dieser nüchternen Kapelle<br />

bringen die Insassen ihre Angst und ihre<br />

Bitten. Als Priester betet Christian Marte für<br />

die Familien und Freunde der Gefangenen –<br />

und auch für die Opfer von Verbrechen: „Das<br />

Gefängnis ist eine Grenzsituation im Leben.<br />

Dort spürt man deutlich: Wir brauchen<br />

Hoffnung, um zu leben. <strong>Gott</strong> können wir um<br />

diese Hoffnung bitten. Wen sonst, wenn wir<br />

selbst nicht mehr weiterwissen?“<br />

(Seinen Essay zum Thema lesen Sie auf S. 44.)<br />

FOTO: THOMAS STRAUB<br />

38


39


40<br />

FOTO: ROBERT MAYBACH


[HERR]GOTT<br />

Die Passionierte<br />

Es war die „Matthäus-Passion“, die Michi Gaiggs Leben geprägt hat.<br />

Als sie im Jugendalter das erste Mal der ergreifenden Komposition<br />

von Johann Sebastian Bach lauschte, tauchte sie in eine völlig neue<br />

Klangwelt ein. Ein zutiefst berührendes Erlebnis, das ihre musikalische<br />

Laufbahn prägen und ihr den Glauben an <strong>Gott</strong> eröffnen sollte. Diese<br />

Spiritualität ist auch spürbar, wenn die Leiterin des L’Orfeo Barockorchesters<br />

über die Saiten ihrer italienischen Barockvioline streicht.<br />

„Das ist meine kleine Prinzessin“, sagt sie über das Instrument aus<br />

dem Jahr 1687. Sein zeitloser Klang begleitete sie drei Jahrzehnte<br />

lang während Auslandsaufenthalten in London, Den Haag, Straßburg<br />

und München. Heute lebt die erfolgreiche Dirigentin<br />

gemeinsam mit ihrer Familie in einem Haus am Attersee<br />

und genießt die Ruhe in ihrem Garten am Seeufer.<br />

41


[HERR]GOTT<br />

Die Wundersucherin<br />

Wenn Martina Resch durch Linz streift,<br />

hat sie kein besonderes Ziel – und<br />

braucht auch keines. Bei der Diözese<br />

Linz gestaltet die Theologin den Blog<br />

wundersucherin.at und nimmt dafür<br />

den Spruch „<strong>Gott</strong> in allen Dingen finden“<br />

wörtlich. Täglich dreht sie ihre Runden,<br />

holt die scheinbar unwichtigen Dinge in<br />

den Vordergrund – und lädt so ihre Mitmenschen<br />

ein, den Blick für das Göttliche<br />

im Alltag zu schärfen. „Es beginnt damit,<br />

das Schritttempo zu verringern und nach<br />

oben zu schauen. Wenn man so durch<br />

die Stadt geht, können einem die Gassen<br />

und Häuserfassaden viel erzählen. Ich<br />

gehe nicht herum und rede von <strong>Gott</strong>.<br />

Er ist schon da – in den Dingen, die<br />

uns umgeben, die uns kleiden und die<br />

unseren Lebensraum gestalten.“<br />

42


FOTOS: ROBERT MAYBACH, RAPHAEL GABAUER<br />

Der Goalgetter<br />

Zwei Schritte mit rechts über die<br />

Linie, ein Kreuzzeichen, ein Vaterunser:<br />

Mit diesem Ritual läuft<br />

LASK-Stürmer Marko Raguž vor<br />

jedem Spiel auf den Platz. „Ich bete<br />

aber nicht dafür, dass ich drei Tore<br />

schieße oder so, sondern dass ich<br />

gesund bleibe und meine Teamkollegen<br />

auch.“ Denn dem 22-Jährigen<br />

sind Verletzungen und Rückschläge<br />

nicht fremd. Umso<br />

schöner die Momente, wenn alles<br />

klappt und der Ball den Weg ins<br />

Netz findet: „Als ich gegen Alkmaar<br />

zwei Tore geschossen habe, war<br />

ich einfach dankbar, dass ich so<br />

weit gekommen bin. Ohne meinen<br />

Glauben wäre das nicht möglich<br />

gewesen. Er macht mir aber auch<br />

bewusst: Es gibt wichtigere Dinge<br />

im Leben als Fußball.“<br />

43


[HERR]GOTT<br />

MENSCH, WO BIST DU?<br />

Schon Ignatius von Loyola, Gründer der Jesuiten, sagte,<br />

seine Ordensbrüder müssten „<strong>Gott</strong> in allen Dingen suchen<br />

und finden“. Aber wie geht das? Eine Anleitung<br />

in drei Schritten von Pater Christian Marte.<br />

<strong>Gott</strong> in allen Dingen und<br />

Situationen finden: das ist<br />

ein ganz biblischer Gedanke.<br />

„Denn in ihm leben wir, bewegen<br />

wir uns und sind wir“, heißt es in der<br />

Apostelgeschichte. <strong>Gott</strong> begegnet mir in der<br />

Justiz anstalt, wenn ich mit Bediensteten und<br />

Häftlingen spreche. Denn <strong>Gott</strong> ist auch im<br />

Gefängnis präsent. Man muss ihn nicht hinbringen<br />

– er ist schon dort.<br />

Manchmal brauchen wir es aber ein bisschen<br />

konkreter. Wir brauchen geistliche Menschen,<br />

heilige Zeiten und besondere Orte. Sie<br />

sollen uns daran erinnern: <strong>Gott</strong> ist da. Heikel<br />

wird es, wenn man meint, <strong>Gott</strong> wäre nur noch<br />

dort zu finden. Da wird es dann ziemlich eng.<br />

<strong>Gott</strong> ist immer größer. Darum tut uns das Wort<br />

des heiligen Ignatius gut: Wir können <strong>Gott</strong> in<br />

allen Dingen suchen und finden. In der Stille<br />

der eigenen vier Wände, in einem Gespräch,<br />

im Trubel der Stadt, im Fußballstadion oder<br />

auch im Klang eines Musikinstruments. <strong>Gott</strong><br />

zu finden, das ist nicht so schwierig – mit ein<br />

bisschen Übung. Mir helfen dazu drei Schritte.<br />

»Wir brauchen geistliche Menschen,<br />

heilige Zeiten und besondere Orte.<br />

Sie sollen uns daran erinnern: <strong>Gott</strong> ist<br />

da. Heikel wird es, wenn man meint,<br />

<strong>Gott</strong> wäre nur noch dort zu finden.«<br />

Unterbrechen. Am Abend schaue ich<br />

1. auf den Tag zurück. Ich nehme mir dafür<br />

eine Viertelstunde Zeit. Viele Menschen tun<br />

das ganz automatisch: Sie machen einen kurzen<br />

Spaziergang. Für andere ist es schwierig,<br />

aus den täglichen Anforderungen herauszutreten.<br />

Stille hilft zu unterbrechen. Aber Stille<br />

ist nichts für Feiglinge. Wenn der äußere Lärm<br />

weg ist, kommt manchmal die innere Unruhe.<br />

Unterbrechen, das kann man trainieren. Man<br />

beginnt damit, an einem ruhigen Ort zu sitzen<br />

und auf den Atem zu achten. Am Beginn hilft<br />

es, wenn einen jemand anleitet.<br />

Genau auf den Tag schauen.<br />

2. <strong>Gott</strong> wirkt durch Menschen. Seine<br />

Spuren sehe ich oft erst im Nachhinein. Ich<br />

schaue mir meinen Tag an: die Gespräche,<br />

Telefonate und E-Mails. Was hat mich gefreut?<br />

Was waren schwierige Situationen? Wo waren<br />

meine Emotionen? <strong>Gott</strong> ist die Liebe – und<br />

darum gilt: Wo uns Liebe begegnet, begegnet<br />

uns <strong>Gott</strong>. Es braucht einen guten Blick dafür.<br />

Weniger auf die Oberfläche, mehr in die Tiefe.<br />

FOTO: THOMAS STRAUB<br />

44


[HERR]GOTT<br />

Danken. Ich danke <strong>Gott</strong> für das<br />

3. Gute – und dass er mich durch die<br />

schwierigen Situationen führt. Ich danke<br />

für das, was ich als selbstverständlich ansehe:<br />

für meinen Atem und meinen Herzschlag.<br />

Beides geschieht ohne mein Zutun. Aber wer<br />

bewirkt es dann? Elias Canetti schreibt:<br />

„Das Schwerste für den, der an <strong>Gott</strong> nicht<br />

glaubt: dass er niemanden hat, dem er danken<br />

kann. Mehr noch als für seine Not braucht<br />

man einen <strong>Gott</strong> für Dank.“<br />

Die Formel für dieses Abendgebet lautet:<br />

Erlebnis + Reflexion =<br />

Erfahrung<br />

Wir brauchen die Stille, in der wir reflektieren<br />

können. So wie wir auf unserer Tastatur die<br />

größte Taste brauchen: die Leertaste. Einen<br />

Text ohne Leerzeichen kann man lesen …<br />

aber nur sehr schwer. Wer keine Pausen<br />

macht, kann seinen Lebenstext schwer lesen.<br />

»Wir brauchen die Stille, in der wir<br />

reflektieren können. So wie wir auf<br />

unserer Tastatur die größte Taste<br />

brauchen: die Leertaste. Einen Text<br />

ohne Leerzeichen kann man lesen …<br />

aber nur sehr schwer.«<br />

PATER CHRISTIAN<br />

MARTE, geboren<br />

1964 in Feldkirch/<br />

Vorarlberg, ist<br />

Jesuit. Er leitet das<br />

Jesuitenkolleg in<br />

Innsbruck und ist<br />

Gefängniskaplan<br />

in der Innsbrucker<br />

Justizanstalt.<br />

<strong>Gott</strong> selbst ist unsichtbar.<br />

Das Bild des unsichtbaren <strong>Gott</strong>es ist Jesus von<br />

Nazareth. Als Christ möchte ich so werden wie<br />

er: so denken und reden und handeln. Seine<br />

Verhaltensmuster und seine mentalen Modelle<br />

leiten mich. In der Spur Jesu sind viele Menschen<br />

gegangen, die mir wichtig sind: Maria<br />

Magdalena, Franz und Franziska Jägerstätter,<br />

Dietrich Bonhoeffer. Sie zeigen mir, wie ich auf<br />

die Welt schauen kann. Je mehr ich das tue,<br />

desto mehr sehe ich das Gute und die Präsenz<br />

<strong>Gott</strong>es. Ich sehe auch die sehr schwierigen<br />

Dinge – aber ich sehe sie nun in einem neuen<br />

Licht und kann damit besser umgehen. <strong>Gott</strong><br />

suchen in allen Dingen. Das prägt mein Weltbild.<br />

Und je älter ich werde, desto mehr merke<br />

ich: <strong>Gott</strong> sucht auch mich, so wie er Adam im<br />

Paradies sucht: „Mensch, wo bist du?“<br />

Wenn es also wieder passieren sollte, dass<br />

wir alle zu Hause sitzen müssen; wenn Büros,<br />

Schulen und Lokale geschlossen sind – dann<br />

nehmen Sie sich vielleicht eine Viertelstunde<br />

Zeit und denken an die Worte des heiligen<br />

Ignatius: Wir können <strong>Gott</strong> in allen Dingen<br />

finden. Auch daheim. Wir müssen nur bereit<br />

sein, ihn zu suchen.<br />

45


[HERR]GOTT<br />

Wunder der Komplexität.<br />

2019 hat ein Team vom<br />

Max-Planck-Institut für Hirnforschung<br />

das Hirngewebe<br />

einer Maus bis ins kleinste<br />

Detail kartiert. Auf dem Bild<br />

zu sehen: eine einzelne<br />

Nervenzelle der Großhirnrinde<br />

mit allen Eingangsaxonen.<br />

46


GOTT<br />

IM GEHIRN<br />

Die Wissenschaft zeigt, dass Glaube besondere<br />

Prozesse in unserem Kopf auslöst. Manche sehen<br />

darin einen <strong>Gott</strong>esbeweis – andere, dass <strong>Gott</strong> ein<br />

Hirngespinst sei. Doch eines steht fest: Spiritualität<br />

gehört zum Menschsein. Seit über 100.000 Jahren.<br />

TEXT: SABRINA LUTTENBERGER, RAFFAEL FRITZ<br />

FOTO: MPI FOR BRAIN RESEARCH/MOTTA<br />

47


Die Erschaffung Adams. 1990 entdeckte ein Neuromediziner, dass die Darstellung <strong>Gott</strong>es in Michelangelos<br />

Fresko eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Querschnitt des Gehirns hat. Wahrscheinlich kein Zufall: Im Italien<br />

der Renaissance wurden die ersten Obduktionen durchgeführt, um das anatomische Wissen zu erweitern.<br />

Wir wissen nicht, wer sie<br />

waren, wie sie lebten<br />

und was sie dachten.<br />

Doch an diesem Tag waren diese frühen<br />

Menschen wohl in Gedanken bei ihren Verwandten,<br />

die kurz davor verstorben waren.<br />

Behutsam platzierten sie die mit Ocker verzierten<br />

Körper in einer Grube und brachten<br />

sie in Kauerstellung und mit verschränkten<br />

Armen zum Liegen. Daneben legten sie gefärbte<br />

Muschelschalen und Steinwerkzeuge<br />

und bedeckten schließlich das Grab mit<br />

Sand und Steinen.<br />

Etwa 100.000 Jahre lang blieb die Grabstätte<br />

in der Qafzeh­Höhle im heutigen<br />

Israel ungestört – bis Archäologen sie in<br />

den 1930er­Jahren entdeckten. Sie ist der<br />

älteste Nachweis von Bestattungsritualen<br />

beim modernen Menschen, Homo sapiens.<br />

Diese Menschen waren äußerlich kaum von<br />

heute lebenden Personen zu unterscheiden.<br />

Doch auch in ihrem Inneren waren sie uns<br />

ähnlich: Sie glaubten offenbar an ein Leben<br />

nach dem Tod – und vielleicht an eine<br />

höhere Macht, die sich der Seelen ihrer<br />

Toten annehmen würde.<br />

MICHAEL BLUME<br />

1976 in der Nähe<br />

von Stuttgart<br />

geboren, studierte<br />

Religions- und<br />

Politikwissenschaft<br />

und promovierte<br />

über Religion in<br />

der Hirn- und Evolutionsforschung.<br />

Heute ist er einer<br />

der bekanntesten<br />

Forscher auf dem<br />

Gebiet der Neurotheologie.<br />

Funde wie dieser machen klar: Glaube<br />

und Spiritualität gehören zum Menschsein.<br />

Zu allen Zeiten und in allen Gegenden der<br />

Welt hatten Menschen eine Vorstellung<br />

des Übernatürlichen, so unterschiedlich<br />

sie auch sein mögen. Sind wir also fest<br />

verdrahtet, um Spiritualität zu spüren?<br />

Diesen Gedanken hatte schon Charles<br />

Darwin, Begründer der Evolutionstheorie<br />

– und studierter Theologe. „Das Gefühl<br />

religiöser Erhabenheit ist sehr kompliziert“,<br />

schrieb er im 19. Jahrhundert. „Kein Wesen<br />

kann eine so komplizierte Gemütsbewegung<br />

empfinden, sofern es nicht in seinen intellektuellen<br />

und moralischen Fähigkeiten<br />

wenigstens eine mäßige Höhe erreicht hat.“<br />

Und Darwin war sicher, dass Glaube einen<br />

„veredelnden“ Effekt auf den Menschen hat,<br />

auch wenn er sich – ganz der Agnostiker,<br />

zu dem er im Lauf seines Lebens geworden<br />

war – lieber nicht zu dessen Ursachen<br />

äußern wollte.<br />

Schuf also <strong>Gott</strong> das Gehirn, damit wir<br />

an ihn glauben? Oder schuf unser Gehirn<br />

das Göttliche, um sich selbst einen Sinn<br />

zu geben? Die Forschenden des 20. Jahrhunderts<br />

waren weniger diplomatisch als<br />

Darwin – und meist von Zweiterem überzeugt.<br />

Mit dem Aufkommen bildgebender<br />

48


[HERR]GOTT<br />

FOTOS: WIKIMEDIA, DIE ARGE LOLA / KAI LOGES + ANDREAS LANGEN, AKG-IMAGES/MISSION ARCHEOLOGIQUE DE QAFZEH<br />

Verfahren in der Medizin witterten sie ihre<br />

Chance: Endlich gab es Möglichkeiten, in<br />

den Kopf hineinzuschauen. Und sie wollten<br />

sie nutzen, um ein für alle Mal zu beweisen,<br />

dass <strong>Gott</strong> ein Hirngespinst ist. So entstand<br />

die Neurotheologie: die Erforschung des<br />

religiösen Empfindens mit Methoden der<br />

Neurobiologie.<br />

Der deutsche Religionswissenschaftler<br />

Michael Blume beschäftigt sich schon lange<br />

und intensiv mit dem Thema. Er weiß:<br />

„Zu dieser Zeit hat man alle Ergebnisse<br />

der Hirnforschung theologisch aufgeladen.<br />

Entweder als Widerlegung oder als Beweis<br />

<strong>Gott</strong>es. Heute haben wir verstanden, dass<br />

wir mit der Hirnforschung nicht <strong>Gott</strong>,<br />

sondern das menschliche Hirn erforschen.“<br />

Was aber nicht bedeutet, dass <strong>Gott</strong> kein<br />

Zuhause in unserem Kopf hat.<br />

Wenn wir Bilder des Kopfinneren mittels<br />

Magnetresonanztomographie (MRT)<br />

an fertigen, können wir sehen, welche Bereiche<br />

unseres Gehirns mit besonders viel<br />

Sauerstoff versorgt werden – diese Bereiche<br />

sind besonders aktiv. So regt religiöses Empfinden<br />

weite Bereiche unseres Großhirns<br />

an, vor allem aber den Schläfenlappen, der<br />

rechts und links im Schädel hinter Schläfen<br />

und Ohren liegt, sowie den Scheitellappen<br />

im hinteren, oberen Teil unseres Großhirns.<br />

Zahlreiche Studien haben das bestätigt.<br />

Auch in Österreich wurde dazu geforscht:<br />

Forscher der Med Uni Graz wollten wissen,<br />

ob unser Gehirn zwischen einem Gedicht<br />

und einem Gebet unterscheiden kann. Die<br />

Bewusst bestattet.<br />

Eines der etwa<br />

100.000 Jahre<br />

alten Gräber aus<br />

der Qafzeh-Höhle<br />

in Israel: eine junge<br />

Frau mit einem<br />

kleinen Kind – vermutlich<br />

Mutter<br />

und Tochter.<br />

»Alles, was wir Menschen erleben und<br />

worüber wir nachdenken, besetzt<br />

bestimmte Bereiche in unserem Gehirn.<br />

Das gilt auch für religiöse Gedanken.<br />

Das heißt aber nicht, dass <strong>Gott</strong> nur<br />

in unserem Gehirn vorhanden ist.«<br />

Michael Rosenberger, Moraltheologe<br />

Antwort: Ja. Beim Gebet wurde der Schläfenlappen<br />

aktiviert, beim Gedicht nicht.<br />

Diese Areale mussten sich über viele Jahrtausende<br />

entwickeln. Und ihr Vorhandensein<br />

lässt sich nicht nur bei den Menschen<br />

in der Qafzeh­Höhle nachweisen, sondern<br />

auch bei unseren nächsten Verwandten,<br />

den Neandertalern.<br />

Mehr als ein Hirngespinst<br />

Menschen scheinen also wirklich für den<br />

Glauben gebaut zu sein. Ist er vielleicht nur<br />

so etwas wie ein „Nervenkitzel“? Nein, sagt<br />

Michael Rosenberger, Professor für Moraltheologie<br />

und Institutsvorstand an der<br />

Katholischen Privat­Universität Linz. „Alles,<br />

was wir Menschen erleben und worüber wir<br />

nachdenken, besetzt bestimmte Bereiche in<br />

unserem Gehirn. Das gilt auch für religiö se<br />

Gedanken“, erklärt er. „Das heißt aber<br />

nicht, dass <strong>Gott</strong> nur in unserem Gehirn vorhanden<br />

ist. Wir würden ja auch nicht sagen,<br />

weil Musik in unserem Gehirn an einer bestimmten<br />

Stelle verarbeitet wird, existiert<br />

sie nur in unserem Kopf.“<br />

49


[HERR]GOTT<br />

Starke Gefühle.<br />

Wenn tiefreligiöse<br />

Menschen<br />

beten, werden<br />

die Areale im<br />

Hirn aktiviert, die<br />

mit intensiven<br />

Emotionen verbunden<br />

sind.<br />

Zudem zeigt sich immer wieder, dass<br />

religiöse Erfahrungen nicht nur unseren<br />

Geist beeinflussen, sondern Auswirkungen<br />

auf den ganzen Körper haben. Regelmäßige<br />

religiöse Rituale, etwa das tägliche Gebet,<br />

führen zu einer erhöhten Ausschüttung<br />

des Glückshormons Serotonin.<br />

Solche Erkenntnisse haben gezeigt, dass<br />

es unmöglich ist, den Geist vom Körper zu<br />

trennen. Rosenberger: „Hier sehe ich auch<br />

den Fehler der Neurotheologie Ende der<br />

1990er-Jahre: Sie hat in vielen Fällen den<br />

Geist gegen den Körper ausgespielt. Wo<br />

die Religion den Geist zu stark betont hat,<br />

betonte die Neurotheologie den Körper<br />

zu stark“, sagt er und plädiert dafür, den<br />

Menschen ganzheitlich zu betrachten. Dem<br />

kann auch Michael Blume viel abgewinnen:<br />

„Theologinnen und Theologen sind gut beraten,<br />

sich Grundlagen der Hirnforschung<br />

anzueignen. Wenn man davon ausgeht,<br />

dass der Mensch <strong>Gott</strong>es Geschöpf ist, gehört<br />

das eben auch dazu. Und die Hirnforschung<br />

sollte vor dem Thema Religiosität nicht<br />

zurückschrecken. <strong>Gott</strong> ist keine Krankheit<br />

oder gar Betrug, sondern ein erfolgreicher<br />

Teil der menschlichen Naturgeschichte.“<br />

Ein Talent für Religion<br />

<strong>Gott</strong> als Teil der Naturgeschichte – so sehen<br />

es auch Lionel Tiger und Michael McGuire.<br />

Der Anthropologe Tiger und der Neurologe<br />

McGuire sind der Überzeugung, dass Religion<br />

ihren Ursprung im Gehirn hat. Doch<br />

sei sie nichts anderes als eine Illusion, mit<br />

der wir uns selbst beruhigen. In ihrem viel<br />

diskutierten Buch „God’s Brain“ schreiben<br />

sie, nichts belaste uns stärker als Ungewissheit.<br />

Denn unser Hirn sei nicht zum Denken<br />

da, sondern zum Tun. Das kann es aber<br />

nicht, wenn es die ganze Zeit offene Fragen<br />

gibt, die das Hirn vom Handeln abhalten:<br />

Woher kommen wir? Warum gibt es etwas<br />

und nicht nichts? Was passiert, wenn wir<br />

sterben? Unser Kopf braucht befriedigende<br />

Antworten auf Fragen, die nicht zu beantworten<br />

sind. Und darum ist Religion entstanden,<br />

argumentieren Tiger und McGuire<br />

»Theologinnen und Theologen sind gut beraten,<br />

sich Grund lagen der Hirnforschung<br />

anzueignen. Und die Hirnforschung sollte<br />

vor dem Thema Religiosität nicht zurückschrecken.<br />

<strong>Gott</strong> ist keine Krankheit, sondern<br />

Teil der menschlichen Naturgeschichte.«<br />

Michael Blume, Religionswissenschaftler<br />

50


[HERR]GOTT<br />

Entrückt. Bei<br />

buddhistischen<br />

Mönchen sinkt<br />

beim Meditieren<br />

die räumliche<br />

Orientierung, die<br />

Areale für Mitgefühl<br />

sind aktiv.<br />

FOTOS: GETTY IMAGES/ISTOCK, SUZY STÖCKL<br />

– Glauben, Beten, Beichten, das alles besänftige<br />

das Gehirn. Sie nennen das „brainsoothing“<br />

und halten es für eine geniale<br />

Entwicklung der Evolution. Auch wenn sie<br />

Religion kritisch betrachten, bestätigt ihre<br />

Forschung: Die Fähigkeit zu religiösen Empfindungen<br />

steckt tief in uns – ob wir nun<br />

glauben oder nicht.<br />

Unser Gehirn ist dabei die Voraussetzung,<br />

aber nicht die einzige Bedingung.<br />

Umwelteinflüsse prägen uns, Bildung und<br />

soziale Bindung geben den Bezugsrahmen,<br />

mit dem <strong>Gott</strong>eserfahrungen erst möglich<br />

werden. Und wie bei der Musik spielt auch<br />

Veranlagung eine Rolle: Nicht jedes Gehirn<br />

ist gleich empfänglich für Spiritualität.<br />

„Eine Aufgabe von Neurotheologie kann<br />

sein, einen guten Umgang mit diesen Unterschieden<br />

zu finden“, so der Religionswissenschaftler<br />

Michael Blume. „Sich nicht zu<br />

schämen, wenn man religiöse Erfahrungen<br />

hat. Aber auch nicht zu meinen, es fehlt<br />

einem etwas, wenn das nicht so ist. Das<br />

ist mein Anliegen: unsere Vielfalt hinzunehmen,<br />

anstatt uns gegenseitig runterzumachen.“<br />

Eine Akzeptanz zu entwickeln,<br />

die nicht wertet, und das Phänomen Glaube<br />

MICHAEL<br />

ROSENBERGER<br />

1962 in Würzburg<br />

geboren, seit 2002<br />

an der Katholischen<br />

Privat-Universität<br />

Linz tätig.<br />

Institutsvorstand<br />

und Lehrender im<br />

Fach Moraltheologie,<br />

in dem er sich<br />

auch habilitiert<br />

hat. Er wurde 1987<br />

in Rom zum Priester<br />

geweiht.<br />

möglichst neutral zu erforschen: Das ist<br />

die Devise der Neurotheologie im 21. Jahrhundert.<br />

Und es gibt noch viel zu entdecken:<br />

So geht es etwa darum, zu zeigen, wie religiöse<br />

Empfindungen mit anderen Lebenserfahrungen<br />

vernetzt sind. Bei einem<br />

Experiment mit Schwestern vom Orden der<br />

Karmelitinnen wurden im Gebet Hirnregionen<br />

aktiv, die wir mit sehr intensiven Emotionen<br />

verbinden. Und wenn buddhistische<br />

Mönche beim Meditieren das Gefühl haben,<br />

ihr Selbst zu verlieren, verringert sich tatsächlich<br />

die Aktivität im Hirnbereich, der<br />

für räumliche Orientierung zuständig ist.<br />

„In Studien mit Meditierenden sieht man<br />

außerdem, dass die Areale für Mitgefühl<br />

aktiviert sind. Wer meditiert, gewinnt also<br />

ein größeres Gespür für Mitmenschen. Da<br />

hat Religion unmittelbare Folgen für unser<br />

Leben“, so Rosenberger.<br />

Glaube hat also einen messbaren Effekt<br />

auf uns Menschen – auch wenn wir die<br />

Ursachen dafür wohl nie ganz ergründen<br />

werden können. Das erfüllte selbst einen genialen<br />

Geist wie Charles Darwin mit Demut:<br />

„Ich fühle aufs Allertiefste, dass der ganze<br />

Gegenstand zu tief ist für den menschlichen<br />

Intellekt“, schrieb er 1860 in einem Brief.<br />

„Lasst einen jeden Menschen hoffen und<br />

glauben, was er kann.“<br />

51


Mit allen Wassern.<br />

Michaela Helletzgruber<br />

hat als eine der ersten<br />

Frauen bei der Freiwilligen<br />

Feuerwehr Traun<br />

die Grundausbildung<br />

absolviert.<br />

ES GEHT UMS DA-SEIN<br />

Michaela Helletzgruber ist zur Stelle, wenn’s<br />

wo brennt. Buchstäblich und sprichwörtlich.<br />

Sei es bei Trauernden nach einem Todesfall,<br />

bei der TelefonSeelsorge – oder wenn ein<br />

Haus in Flammen steht.<br />

FOTOS: PRIVAT, PHOTOWERKSTATT KLETZMAIR<br />

52


[HERR]GOTT<br />

Brände löschen, Trauernden beistehen,<br />

Anrufer in einer Panikattacke<br />

begleiten – Michaela Helletzgruber<br />

ist überall dort am Werk, wo man ihre Hilfe<br />

braucht. Denn neben ihrer Anstellung als<br />

Referentin der Notfallseelsorge und Mitarbeiterin<br />

in der Bibelpastoral der Katholischen<br />

Kirche in Oberösterreich engagiert sie<br />

sich ehrenamtlich bei der TelefonSeelsorge<br />

sowie beim Roten Kreuz Linz und der Feuerwehr<br />

in ihrer Heimatgemeinde Traun.<br />

„Mit Nachtdiensten, Besprechungen und<br />

Versammlungen wird das manchmal schon<br />

sehr intensiv. Außerdem habe ich meinen<br />

lieben Freundeskreis, spiele zwei Instrumente<br />

– und dann bin ich auch verheiratet!“,<br />

sagt die 50-Jährige und lacht. Ihr<br />

unerschütterlicher Humor ist eine ihrer Geheimwaffen.<br />

„Zumindest höre ich das immer<br />

wieder. Und vielleicht kommt mir ein<br />

gewisser Galgenhumor tatsächlich zugute.“<br />

Zurück zum Leben<br />

Bei Helletzgrubers Arbeit gibt es allerdings<br />

selten etwas zu lachen. Seit zwölf Jahren<br />

betreut die Notfallseelsorgerin bei plötzlichen<br />

Todesfällen Hinterbliebene. „In solchen<br />

Situationen geht es ums Da-Sein, nicht<br />

um g’scheite Worte“, erzählt sie. „Wir sagen<br />

nicht: ‚Sie werden schon sehen, in einem<br />

Monat schaut’s wieder ganz anders aus.‘<br />

Das geht gar nicht.“ Stattdessen versucht<br />

die Notfallseelsorgerin, die Angehörigen zu<br />

unterstützen und ihnen mit einfachen Maßnahmen<br />

zu helfen, den Schicksalsschlag zu<br />

begreifen. „Wenn jemand in einer Krisensituation<br />

ganz still ist, läuten bei uns alle<br />

Alarmglocken. Wir versuchen dann, mit<br />

kleinen Schritten Prozesse anzuregen, die<br />

diese Schockstarre aufbrechen“, erklärt Helletzgruber.<br />

„Es reicht oft schon das Greifen<br />

nach einem Glas Wasser, damit das Gehirn<br />

wieder schalten kann. Als Nächstes geht<br />

man vielleicht in einen anderen Raum und<br />

packt ein paar Dinge zusammen, wenn<br />

»Für mich ist es das, was Jesus mit<br />

Nächstenliebe gemeint hat: Ich zeige<br />

meinem Gegenüber, in dieser Situation<br />

bist du nicht alleine. Da ist wer da, dem<br />

nicht wurscht ist, was dir passiert.«<br />

Michaela Helletzgruber<br />

MICHAELA<br />

HELLETZGRUBER,<br />

50, ist pädagogische<br />

Mitarbeiterin<br />

in der Bibelpastoral,<br />

Notfallseelsorgerin,<br />

Begräbnisleiterin<br />

und<br />

Trau er begleiterin,<br />

Feuerwehrfrau<br />

und -seelsorgerin<br />

sowie Fachberaterin<br />

für Traumapastoral.<br />

dioezese-linz.at/<br />

notfallseelsorge<br />

jemand die Nacht woanders verbringen<br />

möchte. So holt man die Leute Stück für<br />

Stück vom Tod zurück ins Leben.“<br />

Michi und die harten Kerle<br />

Bei der Feuerwehr unterstützt Helletzgruber<br />

ihre Kameraden als ehrenamtliche<br />

Feuerwehrseelsorgerin. „Am Anfang war es<br />

nicht so leicht, denn Feuerwehrleute sind ja<br />

harte Kerle, und die Älteren haben gefragt,<br />

warum die Jüngeren so ein neumodisches<br />

Zeug brauchen. Die dachten, ich will ihnen<br />

psychologische Gespräche aufs Aug drücken<br />

oder sie missionieren.“ Stattdessen<br />

absolvierte Helletzgruber die Grundausbildung,<br />

kehrte die Halle, putzte Autos – als<br />

eine der ersten Frauen in der Trauner Feuerwehr.<br />

„Und irgendwann haben sie gemerkt:<br />

Aha, die Michi redet nicht nur wichtig,<br />

sondern kann auch anpacken.“<br />

Langsam sind die harten Kerle aufgetaut.<br />

„Manchmal kommt einer nach der Monatsversammlung<br />

zu mir und erzählt von einem<br />

Einsatz von vor dreißig Jahren, der ihm immer<br />

noch nachhängt. Dann ist es wichtig,<br />

dass man sich die Zeit nimmt und zuhört.“<br />

Kein Wunder also, dass es für Helletzgruber<br />

oft herausfordernd ist, alles unter einen Hut<br />

zu bringen. Dennoch kommt es für sie nicht<br />

infrage, mit einer ihrer Tätigkeiten aufzuhören.<br />

„Für mich ist es das, was Jesus mit<br />

Nächstenliebe gemeint hat: Ich zeige meinem<br />

Gegenüber, in dieser Situation bist<br />

du nicht alleine. Da ist wer da, dem nicht<br />

wurscht ist, was dir passiert. Und genau<br />

das möchte ich für andere Menschen sein:<br />

jemand, der da ist.“<br />

53


HIMMEL<br />

ZWEI AUF EINER<br />

WELLENLÄNGE<br />

Die beiden Oberösterreicher, von denen hier die Rede ist, haben<br />

dasselbe Ziel: Sie träumen von einer toleranten und solidarischen<br />

Gesellschaft. Folgerichtig trafen sich mit Manfred Scheuer und<br />

Rudi Anschober nicht nur ein Bischof und ein Minister. Sondern<br />

zwei nachdenkliche Menschen. Ein leises Protokoll in lauten Zeiten.<br />

INTERVIEW: FRANZ HIRSCHMUGL<br />

FOTOS: ASA 12/GREGOR KUNTSCHER<br />

Ein Freitagabend im Spätsommer,<br />

Sonnenuntergang.<br />

Rudolf Anschober und<br />

Manfred Scheuer treffen sich im Café<br />

des Lentos Kunstmuseums. Ersterem<br />

begegnen die Passantinnen und Passanten<br />

freudestrahlend, Zweiterem<br />

respektvoll. Start mit einem Eiskaffee,<br />

jeweils. Dann die Fotosession im<br />

Museum, gemeinsam. Für das folgende<br />

Gespräch gibt es nur eine Regel: Wir<br />

werden das allgegenwärtige Wort<br />

„Corona“ vermeiden und stattdessen<br />

lieber hinter die öffentliche Persönlichkeit<br />

der beiden blicken.<br />

Herr Anschober, Herr Scheuer, was<br />

wissen Sie eigentlich von einander?<br />

Anschober: Ich durfte bei Herrn<br />

Scheuers Amtseinführung dabei<br />

sein, da habe ich ein wenig Zugang<br />

zu seiner Persönlichkeit gekriegt.<br />

Gespräche mit ihm sind angenehm<br />

und entspannt. Er ist für mich<br />

jemand, der immer versucht, sich<br />

mit klaren Werthaltungen zu positionieren.<br />

Solidarität, das Miteinander.<br />

Und das Bild einer liebenden,<br />

zusammenführenden Kirche zu vermitteln.<br />

Scheuer: Herrn Anschobers politische<br />

Anfänge habe ich nicht mitbekommen,<br />

weil ich insgesamt<br />

25 Jahre nicht in Oberösterreich<br />

war. Seitdem ich wieder da bin,<br />

haben wir uns mehrfach getroffen.<br />

Mir fallen zu ihm zwei Grundanliegen<br />

ein: Auf der einen Seite<br />

das Thema Asyl. Auf der anderen<br />

Seite das Klimavolksbegehren und<br />

„Fridays for Future“.<br />

Was würde Sie am Job Ihres<br />

Gegenübers reizen?<br />

Scheuer: Das habe ich mir noch<br />

nie überlegt.<br />

Anschober: Darüber bin ich jetzt<br />

grundsätzlich sehr froh! (Lacht.)<br />

Scheuer: Und ich wär auch nix dafür.<br />

Von meiner eigenen Geschichte<br />

her komme ich aus der Spiritualität,<br />

nicht so sehr vom Strukturellen,<br />

vom Politischen. Ehrlich gesagt: Ihre<br />

Anliegen teile ich voll, aber ich habe<br />

noch nie ein Neidgefühl gehabt.<br />

Was würde Sie am Bischofsamt<br />

reizen, Herr Anschober?<br />

Anschober: Spannender Gedanke.<br />

Was uns vereint, ist der Zugang zur<br />

Spiritualität, dafür hätte ich gerne<br />

mehr Zeit. Dieses Grundsatzdenken<br />

kommt in der Politik oft zu kurz.<br />

Was mich auch an der Kirche inter­<br />

54


Feierabend.<br />

Ein Gespräch<br />

zwischen<br />

Manfred und<br />

Rudolf und<br />

nicht zwischen<br />

Bischof und<br />

Minister – was<br />

beide sichtlich<br />

genießen.<br />

55


HIMMEL<br />

essieren würde, ist das Zusammentreffen<br />

gänzlich unterschiedlicher<br />

Gruppen. Ich erlebe die Katholische<br />

Kirche in Oberösterreich so, dass sie<br />

schon eine klare Richtung hat, aber<br />

dass sich da auch manches differenziert.<br />

In der Politik erlebe ich das<br />

auch nicht anders.<br />

Scheuer: Unterschiedlichkeit ist faszinierend,<br />

wo Vielfalt oder Anderssein<br />

als Reichtum, als gegenseitige<br />

Ergänzung gesehen werden. Aber<br />

es ist schwierig, wenn es nur mehr<br />

Nebeneinander und Gleichgültigkeit<br />

ist. Wo man nicht mehr miteinander<br />

kann und wo es nichts mehr gibt an<br />

Empathie oder Einfühlung oder, umgekehrt,<br />

auch an Verwundbarkeit.<br />

Was halten Sie für das Schwierig ste<br />

am Beruf des anderen?<br />

»Was uns vereint,<br />

ist der Zugang zur<br />

Spiritualität, dafür<br />

hätte ich gerne mehr<br />

Zeit. Das Grundsatzdenken<br />

kommt in der<br />

Politik oft zu kurz.<br />

Was mich an der<br />

Kirche interessieren<br />

würde, ist das<br />

Zusammentreffen<br />

gänzlich unterschiedlicher<br />

Gruppen. Diese<br />

Differenzierung, diese<br />

Unterschiedlichkeit –<br />

das ist spannend.«<br />

Rudolf Anschober<br />

Am richtigen Platz. Politik interessiere<br />

ihn, aber mit Rudi Anschober würde<br />

Manfred Scheuer nicht tauschen wollen.<br />

Anschober: Am schwierigsten<br />

erscheint mir die von vielen gewünschte<br />

Weiterentwicklung und<br />

Transformation der Kirche. Wenn<br />

man etwas schnell umsetzen möchte<br />

und dann erlebt, dass die Realität<br />

viel langsamer ist, als man es sich<br />

wünscht.<br />

Scheuer: Als Minister braucht man<br />

wohl viel Leidenschaft. Und eine gesunde<br />

Distanz. Ich habe ein Zitat im<br />

Kopf, dass für einen guten Politiker<br />

drei Eigenschaften erforderlich sind.<br />

Erstens das Entdramatisieren mit<br />

kühlem Kopf, zweitens den Humor<br />

bewahren und drittens jene Prügel,<br />

die man bekommt, nicht zurückgeben.<br />

Und ich glaub, da trifft’s<br />

Politiker und Bischöfe ähnlich. Die<br />

sind Projektionsfläche für sehr viele<br />

Erwartungen und Aggressionen.<br />

Muss man in Ihrem Job Basisdemokrat,<br />

Leader oder gar<br />

Diktator sein?<br />

In Ruhe reden. Im Gespräch mit Franz Hirschmugl: Der<br />

Eiskaffee ist abgeräumt, das Aufnahme gerät eingeschaltet.<br />

Anschober: Also Diktator sicher<br />

nicht … und Basisdemokratie geht<br />

56


HIMMEL<br />

in herausfordernden Situationen<br />

auch nicht. Es ist eine Form von<br />

verantwortungsvollem Regieren.<br />

Auch schnellem Regieren. Im Wesen<br />

geht es um ein möglichst verantwortungsvolles<br />

Umgehen mit großen<br />

Entscheidungen. Also Leadership.<br />

Scheuer: Kirchliches Leben wird<br />

in der Öffentlichkeit stark auf<br />

Personen, ob Papst oder Bischof,<br />

reduziert. Aber das entscheidende<br />

kirchliche Leben spielt sich in den<br />

Pfarr­ und Ordensgemeinschaften,<br />

in Bewegungen und Gruppen ab. Wo<br />

durchaus Spiritualität, Solidarität,<br />

Glaube und Hoffnung gelebt werden.<br />

Aber ich sage auch, dass es für die<br />

Kirche Formen der Institution und<br />

des Amtes braucht. Bei großen Entscheidungen<br />

versuche ich immer,<br />

einen Prozess der Konsultation und<br />

der Resonanz einzubauen. Dass man<br />

Strukturen schafft, wo Entscheidungen<br />

von möglichst vielen getragen<br />

werden. Insofern verstehe ich mich<br />

als Prediger, als Verkündiger, als<br />

spiritueller Begleiter von Prozessen,<br />

manchmal als Vordenker. Das hat<br />

schon mit Leiten zu tun.<br />

Auch mit Leiden manchmal?<br />

Am UND-Altar. Im Lentos Museum finden die beiden eine Nachbildung<br />

des Altars aus der Priesterseminarkirche Linz von Künstler Josef Bauer.<br />

Scheuer: Manchmal. (Lacht.)<br />

Was war die beste Abzweigung<br />

Ihres Lebens?<br />

Scheuer: Dass ich damals im<br />

Studium nach Freiburg gegangen<br />

bin, um mein Leben der Theologie<br />

zu widmen. Diese Entscheidung war<br />

stark mit Spiritualität verbunden.<br />

Und ich habe gemerkt, da wird<br />

etwas in mir gestärkt, das meinem<br />

Weg im Leben entspricht.<br />

Und bei Ihnen, Herr Anschober?<br />

Anschober: Dass ich 2012, als ich<br />

im Burn­out war, den Mut hatte, zu<br />

sagen: Ich bin krank. Und dass ich<br />

mir dann die Zeit genommen habe,<br />

mich wieder zu finden. Das war<br />

wohl die weiseste Entscheidung,<br />

denn die Alternative wäre gewesen,<br />

dass es irgendwann überhaupt nicht<br />

mehr geht.<br />

Gleich nachgefragt: Was tun Sie<br />

nach diesem Erlebnis, wenn Sie<br />

merken, dass Sie an Ihre Grenzen<br />

kommen?<br />

Anschober: Das habe ich in den<br />

letzten Monaten mehrfach gespürt.<br />

Und darum habe ich mir ganz einfache<br />

Regeln vorgegeben, etwa dass<br />

ich jeden Tag in der Früh und spät<br />

am Abend eine halbe Stunde mit<br />

57


HIMMEL<br />

meinem Hund gehe und das Handy<br />

bewusst zu Hause lasse. Das klingt<br />

banal, war aber unglaublich wichtig<br />

für mich.<br />

Apropos etwas eingestehen:<br />

Wie schwer fällt es Ihnen, Fehler<br />

zu zugeben?<br />

Anschober: Ich habe die Erfahrung<br />

gemacht, dass es extrem einfach ist.<br />

Das wird wertgeschätzt, wird akzeptiert.<br />

Ich glaube auch, dass in<br />

Österreich eine neue Fehlerkultur<br />

am Entstehen ist. Denn niemand ist<br />

fehlerfrei. Ich glaube, es gibt eine<br />

Sehnsucht nach normal und authentisch<br />

handelnden Menschen, gerade<br />

in der Politik.<br />

Scheuer: Fehler kann man nur dort<br />

leicht zugeben, wo man ein grundsätzliches<br />

Wohlwollen spürt und<br />

nicht fürchten muss, verurteilt oder<br />

gar blamiert zu werden. Ich erlebe<br />

in diesem Sinne aber nicht alle als<br />

lernfähig und manche auch nicht als<br />

lernbereit. Wobei, das – glaube ich –<br />

haben die letzten Monate gezeigt:<br />

Diese Optimierungsgeschichten, die<br />

wir in den letzten Jahren betrieben<br />

haben oder wo wir hineingetrieben<br />

wurden, dieser Zwang zur Perfektionierung,<br />

dass wir keine Fehler haben<br />

dürfen, auch nicht verzeihen können<br />

– das bringt uns nicht weiter. Man<br />

muss schon auch einmal verzeihen,<br />

was aushalten, was stehen lassen …<br />

Anschober: Ja, dieses Immer-höher,<br />

Immer-schneller, Immer-mehr. Ich<br />

glaube, dass viele Menschen sich<br />

seit langer Zeit wieder einmal darüber<br />

unterhalten haben, was eigentlich<br />

das Wichtige im Leben ist. Was<br />

brauche ich, damit ich ein gutes,<br />

»Ich glaube, es geht<br />

darum, dass Frauen<br />

bei uns Leitungsverantwortung<br />

übernehmen,<br />

dass sie ihre<br />

Qualitäten leben<br />

können. Dass es im<br />

Hinblick auf die Amtsfrage<br />

eine Schräglage<br />

gibt, das ist offenkundig.<br />

Wir sind hier<br />

durchaus in einer<br />

Zerreißprobe.«<br />

Manfred Scheuer<br />

Stresstest. Zweimal am Tag mit dem<br />

Hund gehen, das Handy bleibt daheim.<br />

So bewahrt Rudi Anschober die Ruhe.<br />

ein glückliches, ein zufriedenes<br />

Leben führe? Das ist unglaublich<br />

viel wert, diesen Diskurs wieder<br />

miteinander zu beginnen.<br />

Wollen wir noch etwas tiefer in die<br />

Seele der beiden Herren blicken?<br />

Wir wollen. Was ist Ihnen von<br />

Ihrem Kindheitsgott geblieben?<br />

Anschober: Ich bin dankbar, dass<br />

ich als Kind den <strong>Gott</strong> der Liebe<br />

kennenlernen durfte. Nicht den strafenden.<br />

Das hat stark mit meinem<br />

Elternhaus zu tun, mit der Kirche, die<br />

ich damals erlebt habe, mit Priestern,<br />

die unfassbar unterstützend und<br />

tolerant waren, auch wenn ich damals<br />

oft ein Dickkopf war. Ich bin<br />

später nach schwierigen Erfahrungen<br />

– Stichwort Krenn-Groër-Phase – aus<br />

der Kirche ausgetreten, habe aber<br />

wieder zurückgefunden durch ein<br />

sehr positives Erlebnis mit einem<br />

Priester, der mir im Bereich Asyl<br />

und Integration geholfen hat.<br />

Spricht <strong>Gott</strong> mit Ihnen? Josef<br />

Hader hat einmal gemeint,<br />

er kann mit keinem reden,<br />

der nicht zurückredet.<br />

Anschober: Ja, ich kann schon verstehen,<br />

was er damit meint. (Lacht.)<br />

Wenn ich in der Kirche sitze und<br />

in eine Meditation hineinkippe, dann<br />

ist das eher ein Gespräch mit mir<br />

selbst. Für mich sind Kirchen, insbesondere<br />

wenn sie leer sind, ganz<br />

besondere Orte.<br />

Scheuer: Ich war erst vor kurzem<br />

wieder in Ramersberg, in der Gemeinde<br />

Kleinzell. Als Kind haben<br />

wir dorthin Wallfahrten gemacht,<br />

und mir ist aufgefallen, wie genau<br />

58


ich diese Szenen noch im Kopf habe.<br />

Aber auch andere Szenen: die Feste,<br />

das Ministrieren und natürlich die<br />

Orgel, die mein Vater in der Kirche<br />

gespielt hat. In meiner Kindheit<br />

hatte ich aber eher eine Beziehung<br />

zu Jesus und weniger zu <strong>Gott</strong>vater.<br />

Jetzt gehen wir aufs Ganze: Welche<br />

Eigenschaften von Jesus sind Ihnen<br />

besonders nachahmenswert?<br />

Anschober: Toleranz auf jeden Fall.<br />

Ja, und Liebe ohne Angst. Und natürlich<br />

alles, was in der Bergpredigt vermittelt<br />

wird. Ich möchte hier nicht<br />

über Parteipolitik reden, aber grüne<br />

Werthaltungen – die erkenne ich in<br />

der Bergpredigt. Das ist Solidarität,<br />

aufeinander schauen, liebevoller<br />

Umgang miteinander.<br />

Scheuer: Da fallen mir drei Sätze<br />

ein. Erstens: „Sorgt euch nicht.“<br />

Das ist verbunden mit einem Grundvertrauen<br />

ins Leben. Zweitens:<br />

„Fürchtet euch nicht.“ Und der dritte<br />

Satz heißt: „Komm und geh!“ Jesus<br />

meinte damit: Komm, ich gewähre<br />

dir Gastfreundschaft. Und er sagt:<br />

Geh! Also geh hinaus, geh an Grenzen,<br />

geh in fremde Welten.<br />

Die Schlussfrage gebe ich an Sie<br />

beide weiter: Was wollten Sie Ihr<br />

Gegenüber schon immer fragen?<br />

Anschober: Ich habe eine sehr<br />

banale politische Frage. Thema<br />

Gleichstellung von Mann und Frau,<br />

wie geht’s weiter in der Kirche?<br />

Scheuer: Wie es weitergeht, kann<br />

ich nicht sagen, weil ich die kirchliche<br />

Großwetterlage nicht prognostizieren<br />

kann. Ich glaube, es geht<br />

Engstelle. Beim Gang über die Fußgängerbrücke werden wir zum Verkehrshindernis,<br />

weil Anschober und Scheuer alle Blicke auf sich ziehen. Die beiden nehmen’s gelassen.<br />

darum, dass Frauen bei uns Leitungsverantwortung<br />

übernehmen, dass<br />

sie ihre Qualitäten leben können.<br />

Dass es im Hinblick auf die Amtsfrage<br />

eine Schräglage gibt, das ist<br />

offenkundig. Wir sind hier durchaus<br />

in einer gewissen Zerreißprobe. Da<br />

gibt es ganz unterschiedliche Traditionen<br />

innerhalb der Kirche, auch<br />

weltweit. Und ich merke, dass uns<br />

das unheimlich viel Energie kostet.<br />

So, jetzt muss ich mir auch eine<br />

Frage überlegen … Herr Anschober,<br />

was lässt Sie staunen?<br />

Anschober: Schöne Frage. Staunen<br />

ist etwas Besonderes. Zum Staunen<br />

bringt mich etwas Überraschendes,<br />

was ich an Menschen entdecke, über<br />

die ich eine andere Vorstellung gehabt<br />

hätte und die mich dann positiv<br />

überraschen. Und ja, das bewegt. Da<br />

ist viel Emotion dabei beim Staunen.<br />

Noch Fragen? Nein. Also dürfen<br />

die beiden Herren ab sofort wieder<br />

Bischof und Minister sein.<br />

59


SAKRAMENT<br />

WIE WIR GEMEINSAM DAS LEBEN FEIERN<br />

Sie dienen unserem Leben als Wegweiser<br />

und Orientierungspunkte: Rituale, die wir<br />

gemeinsam erleben und feiern. Vom Ausblasen<br />

der Kerzen am Geburtstagskuchen bis zum<br />

Sakrament in der Kirche.<br />

FOTO: FOTO FLEISCHMANN<br />

60


Raum zum Abschiednehmen.<br />

2015 hat die Künstlerin Margit<br />

Hartnagel ein Segmentbogengewölbe<br />

im Altbau des Linzer<br />

St. Barbara Friedhofs neu gestaltet.<br />

Mittelpunkt dieses neuen<br />

Barbara-Raums ist eine gotische<br />

Figur der heiligen Barbara. Der<br />

Rest ist sanftes Licht und andächtige<br />

Stille. Ein eindrucksvoller<br />

(Feier-)Ort für das Ritual des<br />

Abschiednehmens.<br />

61


SAKRAMENT<br />

HIMMLISCHE<br />

RAUCHZEICHEN<br />

Weihrauch steht im Zentrum vieler Rituale –<br />

nicht nur in der Kirche. Denn sein Duft hat eine<br />

besondere Wirkung: Er kann uns an längst<br />

vergessene Orte führen und tiefe Emotionen wecken.<br />

62


FOTO: STEFAN PFEIFFER<br />

Es gibt Bräuche, die uralt sind und<br />

immer wieder eine Renaissance<br />

erleben. Vielleicht, weil sie uns<br />

Menschen helfen, mit den Wechselfällen<br />

des Lebens besser zurechtzukommen? Wir<br />

machen immer wieder die Erfahrung, dass<br />

wir nicht alles im Griff haben, dass unser<br />

Leben, unsere Beziehungen, unsere Gesundheit<br />

nicht so heil sind, wie wir uns das<br />

wünschen. Bräuche und Rituale verdeutlichen<br />

unsere Wünsche, Ängste und Hoffnungen.<br />

Und kein anderer Sinn spricht diese<br />

tief sitzenden Emotionen so an wie unser<br />

Geruchssinn. Gerüche können uns auch an<br />

Orte der Vergangenheit führen, selbst wenn<br />

die Erinnerung daran schon fast verblasst<br />

ist. „So roch es bei meiner Oma“, sagen wir<br />

dann plötzlich, oder: „Riecht eindeutig nach<br />

Schule!“ So geht es mir auch beim Geruch<br />

von Weihrauch, der mich in meine Kindheit<br />

zurückversetzt. Ein Highlight waren für<br />

mich die Maiandachten: inbrünstig gesungene<br />

Lieder, die Geschichten von frommen<br />

Frauen und Männern, die Monstranz auf<br />

dem Altar und der Priester, der das Weihrauchfass<br />

in die Hand nimmt …<br />

Wegen seines einzigartigen Dufts war<br />

Weihrauch schon immer ein kostbares Harz.<br />

In der Weihnachtsgeschichte gehört er zu<br />

den Gaben der drei Weisen aus dem Morgenland<br />

an das Jesuskind in der Krippe. Auch<br />

in der Liturgie hat Weihrauch eine zentrale<br />

Bedeutung. Er symbolisiert Reinigung, Verehrung,<br />

zu <strong>Gott</strong> aufsteigende Gebete und<br />

<strong>Gott</strong>es liebevolle Gegenwart, die uns einhüllt<br />

wie der Duft des Weihrauchs.<br />

Auch in anderen Religionen gibt es sie,<br />

die Räucherstäbchen, -fässer und -schalen.<br />

Um Böses zu vertreiben, um der Verehrung<br />

Ausdruck zu verleihen, um zur Gesundung<br />

beizutragen. Und mittlerweile ist Weihrauch<br />

auch außerhalb der Kirche im Trend: Unzählige<br />

Weihrauchvarianten werden zum<br />

Kauf angeboten, Seminare zum Thema<br />

Räuchern sind sehr beliebt.<br />

Doch nicht alle können sich für Weihrauch<br />

begeistern. Manche bringt er zum<br />

»Bald durchzogen ganze<br />

Schwaden an Rauch die Kapelle.<br />

Da begann meine Kleine zu<br />

husten und äußerte ihren<br />

Unmut lautstark: ›Das stinkt!‹«<br />

Edeltraud Addy-Papelitzky<br />

Husten, andere bekommen davon Kopfschmerzen.<br />

Das musste ich erfahren, als ich<br />

mit meiner jüngeren Tochter beim Studienbeginn<br />

meiner großen Tochter dabei war.<br />

Mit <strong>Gott</strong>esdienst, wie es sich gehört bei<br />

einem Theologiestudium. Viele Bitten gab<br />

es am Beginn dieses Studienjahres: für<br />

die Hungernden, die Traurigen; jene, die<br />

neu starten, jene, die Verluste zu beklagen<br />

haben … Und bei jeder Fürbitte wurde ein<br />

Weihrauchkörnchen in eine Schale gelegt.<br />

So durchzogen bald ganze Schwaden an<br />

Rauch die kleine Kapelle. Da begann meine<br />

Kleine zu husten und äußerte ihren Unmut<br />

lautstark: „Das stinkt!“<br />

Das war natürlich peinlich, für mich und<br />

für die große Schwester – und das an ihrem<br />

ersten Tag! Da erreichte mich der Blick eines<br />

mir bekannten Priesters. Ein Schmunzeln<br />

mit Blick auf meine Kleine, und er dämpfte<br />

mit dem Sand der Schale die Weihrauchkörner<br />

und öffnete die Tür.<br />

Mittlerweile hat auch meine Jüngere<br />

den Duft von Weihrauch liebgewonnen.<br />

Wenn wir drei Frauen nun am Weihnachtsabend<br />

und zu Silvester durch die Räume<br />

unseres Familienhauses gehen, mit der<br />

Rauchpfanne gefüllt mit Rosenweihrauch,<br />

dann erfüllt der Geruch jedes Eckchen. Wir<br />

bitten um Gesundheit und Wohlergehen für<br />

das Haus und alle, die da ein und aus gehen.<br />

Inzwischen begleitet uns dabei auch meine<br />

kleine Enkelin. Und wer weiß, vielleicht<br />

wird auch sie einmal sagen: „Das erinnert<br />

mich an meine Kindheit!“, wenn ihr der<br />

Duft von Weihrauch in die Nase steigt.<br />

EDELTRAUD ADDY-PAPELITZKY<br />

ist Theologin, Psychotherapeutin und<br />

Leiterin des Diözesanen Personalservice.<br />

63


EIN ORT<br />

DER TRAUER UND<br />

DER HOFFNUNG<br />

Warum gehen Menschen auf den Friedhof? Woran denken<br />

sie, wenn sie am Grab stehen? Und was erhoffen sie sich?<br />

Wir haben uns auf dem St. Barbara Friedhof in Linz umgehört.<br />

TEXT: NIKI NUSSBAUMER<br />

FOTOS: RAPHAEL GABAUER<br />

Stille in der Stadt.<br />

Zwischen Bahngleisen<br />

und viel befahrenen<br />

Straßen gelegen, ist<br />

er ein willkommener<br />

Ruhepol: der Linzer<br />

St. Barbara Friedhof.<br />

64


SAKRAMENT<br />

Es tut den Menschen gut<br />

zu wissen, wo ihre Toten<br />

bestattet sind. Die letzte<br />

Ruhestätte ist ein Ort des Gedenkens<br />

und des Erinnerns. Am Grab kann<br />

man Schmerz und Verlust überwinden,<br />

und oft ist Grabpflege auch eine<br />

Form der Trauerarbeit.<br />

Schon im frühen Christentum<br />

war es üblich, verstorbene Menschen<br />

zu bestatten. Rund um Kirchen und<br />

heilige Plätze errichtete man Grundstücke,<br />

die man „einfrieden“ ließ,<br />

also mit einer Mauer oder einer<br />

Hecke umgab. Daher stammt der<br />

Name Friedhof. Die Nähe zu <strong>Gott</strong>eshäusern<br />

hatte zwei Gründe: Der<br />

Verstorbene sollte erstens Teil der<br />

Gemeinde bleiben und zweitens am<br />

Tage der Auferstehung möglichst<br />

nahe bei seinem Herrn sein. Das<br />

Grab wurde nur als vorübergehender<br />

Aufenthaltsort verstanden.<br />

So ist der Friedhof im Christentum<br />

eine Stätte der Trauer, aber<br />

auch der Hoffnung: Das Leben siegt<br />

über Dunkelheit und Tod und mündet<br />

in ein Weiterleben im Jenseits.<br />

Gedenken. „Der Friedhof zeigt, dass unsere<br />

Verstorbenen nicht vergessen sind.“<br />

Aus Liebe zu den Verstorbenen<br />

Der Friedhof ist ein wichtiger Ort für mich geworden.<br />

Mittlerweile betreue ich drei Gräber, die ich zwei- bis<br />

dreimal pro Woche besuche. Ich komme aus Liebe zu<br />

meinen Eltern und meiner Frau auf den Friedhof. Ich<br />

bete ein Vaterunser, spreche mit den Verstorbenen und<br />

gieße die Blumen. Im Christentum gibt es die Tradition,<br />

die Grabstelle in Ordnung zu halten – und das wird<br />

auch in tausend Jahren noch so sein. Ein Besuch auf<br />

dem Friedhof beruhigt mich. Im Lärm der Großstadt<br />

ist er ein Ort der Erholung und der Besinnung. Er zeigt,<br />

dass unsere Verstorbenen nicht vergessen sind und im<br />

Gedenken weiterleben. Leben und Tod gehören zusammen,<br />

auch wenn der Verlust eines lieben Menschen nur<br />

sehr, sehr schwer verkraftbar ist.<br />

Helmut Nopp<br />

65


Bewältigung.<br />

„Die ersten drei<br />

Jahre kam ich<br />

jeden Tag zu<br />

seinem Grab.“<br />

Der Friedhof als Kraftplatz<br />

Ich bin immer schon gerne auf den Friedhof<br />

gegangen. Die Ruhe und die vielen Bäume<br />

haben eine positive Wirkung auf mich.<br />

Manchmal treffe ich mich hier sogar mit<br />

einer Freundin. Letztens war ich vier Stunden<br />

lang auf dem Friedhof. Hier liegt auch<br />

mein geliebter langjähriger Partner. 14 Jahre<br />

waren wir zusammen. Er starb völlig unerwartet<br />

an einer Lungenembolie und Herzversagen.<br />

Ich habe ihn tot im Schlafzimmer<br />

gefunden. Er war erst 46 Jahre alt. Die ersten<br />

drei Jahre kam ich jeden Tag zu seinem<br />

Grab. Das hat mir gutgetan und war meine<br />

Form der Trauerbewältigung. Anfangs habe<br />

ich ihm jeden Tag erzählt, was ich erlebt<br />

habe, aber das hat sich im Lauf der Zeit aufgehört.<br />

15 Jahre ist sein Tod mittlerweile<br />

her. Weil seine Mutter schon 85 Jahre alt<br />

ist, liegt es an mir, mich um sein Grab zu<br />

kümmern. Und das mache ich sehr gerne.<br />

Rosemarie Spießberger<br />

Das Grab gibt Trost<br />

Ich stehe vor dem sogenannten Kindergrab auf dem St. Barbara Friedhof.<br />

Hier finden Kinder, die im Mutterleib oder nach der Geburt sterben,<br />

ihre letzte Ruhe. So eine Gedenkstätte gibt es in meiner Heimat<br />

im Mühlviertel leider nicht. Mein großer Traum war es immer, einmal<br />

Mutter zu werden. Vier Mal trug ich ein Kind im Bauch. Keines der<br />

Babys hat die Schwangerschaft überlebt. Die Ärzte sagten, ich hätte<br />

zu viele Thrombozyten im Blut. Ich musste blutverdünnende Mittel<br />

schlucken und spritzen. Dennoch kamen meine Kinder tot zur Welt<br />

und landeten im Krankenhaus im Müll. Erst ab einem gewissen Gewicht<br />

gibt es die Pflicht, sie bestatten zu lassen. Aber das Schlimmste<br />

für mich ist: Ich bin kinderlos geblieben, ich durfte nicht Mutter werden.<br />

Oft bin ich deshalb traurig und wütend. Wenn ich hier an dem<br />

Kindergrab stehe, spüre ich: Anderen geht es so wie mir, die haben<br />

das auch durchgemacht. Das gibt mir Halt und Trost.<br />

Renate Höglinger<br />

66<br />

Geteiltes Leid. „Wenn ich am<br />

Kindergrab stehe, spüre ich:<br />

Anderen geht es so wie mir.“


SAKRAMENT<br />

Gedanken an schöne Zeiten<br />

In dem efeubewachsenen Familiengrab<br />

liegen mein Opa, meine Oma<br />

und meine Mama. Für mich ist dies<br />

kein Ort der Trauer mehr, sondern<br />

ein Ort der Erinnerung. Mama wollte<br />

immer mit 80 Jahren sterben, und<br />

14 Tage vor ihrem Geburtstag ging<br />

ihr Wunsch in Erfüllung. Damals war<br />

sie schon schwer krank. Am Grab<br />

denke ich an die schöne Zeit mit ihr<br />

zurück, vor allem an meine glückliche<br />

Kindheit. Mama war für meine<br />

zwei Geschwister und mich da, sie<br />

ging nicht arbeiten und hatte immer<br />

Zeit für uns. Bevor ich das Grab verlasse,<br />

bete ich jedes Mal: „Hilf bitte<br />

allen, die einen Odem, einen Atem,<br />

und eine Seele haben.“<br />

Eva Reitner<br />

Ort der Erinnerung. „Am Grab denke ich an die schöne Zeit mit<br />

meiner Mama zurück, vor allem an meine glückliche Kindheit.“<br />

Auf ein Gespräch mit Papa<br />

Ich besuche Mama und Papa alle drei<br />

Wochen einmal. Nur im Sommer, wenn<br />

es heiß ist und man das Grab bewässern<br />

muss, komme ich öfter. Die Grabpflege<br />

– also Blumen setzen, gießen, Unkraut<br />

jäten – ist mir wichtig. Ich finde, das ist<br />

eine Frage der letzten Ehre, die man<br />

den Verstorbenen erweist. Den richtigen<br />

Blumenschmuck auf dem Barbarafriedhof<br />

zu finden ist eine Herausforderung,<br />

denn es gibt hier viele Hasen.<br />

Margeriten und Chrysanthemen sind<br />

ungeeignet, deren Blüten fressen die<br />

Hasen sofort auf. Lavendel mögen die<br />

Hasen nicht. Für mich ist der Friedhof<br />

ein Ort der Kommunikation, für Gebete<br />

und Gespräche mit den Toten. Manchmal<br />

ertappe ich mich dabei, dass ich am<br />

Grab stehe und sage: „Hallo Papa, heute<br />

ist mir etwas Tolles gelungen!“<br />

Thomas Forster<br />

Reden im Stillen. „Für mich ist der Friedhof ein Ort der<br />

Kommunikation, für Gebete und Gespräche mit den Toten.“<br />

67


Sonntagsgefühl.<br />

Karin Peschka in<br />

der Küche ihres<br />

alten Elternhauses,<br />

wo sie mit ihrer<br />

Schwester das<br />

„Eferdinger Gastzimmer“<br />

betreibt.<br />

AM SIEBTEN TAG<br />

Sieben Tage, sieben Fragen, die zur Reflexion<br />

einladen. Diesmal haben wir sie der in Linz<br />

geborenen Autorin Karin Peschka gestellt.<br />

FOTOS: RAPHAEL GABAUER<br />

68


SAKRAMENT<br />

FOTOS: BPK/ABISAG TÜLLMANN, HABRINGER<br />

Was ist<br />

1. Ihnen heilig?<br />

Die spontane Antwort: nichts.<br />

Allerdings fällt mir beim<br />

Nachdenken über die vielen<br />

Bedeutungen des Wortes<br />

sanctus doch einiges ein. Zu<br />

diesen Bedeutungen ge hören<br />

neben anbeten auch unverletzlich,<br />

unantastbar und<br />

erhaben. Unantastbar ist für<br />

mich zum Beispiel das Recht,<br />

Autorität zu hinter fragen und<br />

Autorität, die sich dem verweigert,<br />

zu misstrauen.<br />

Wie definieren Sie<br />

2. ein gutes Leben?<br />

Den kommenden Tag nicht<br />

mit Sorge zu erwarten, sondern<br />

gelassen schlafen gehen<br />

zu können.<br />

Welche Eigen-<br />

3. schaft von Jesus<br />

erscheint Ihnen<br />

nachahmenswert?<br />

Vor vielen Jahren (im größten<br />

Zweifel) las ich Adolf Holls<br />

Buch „Der letzte Christ“<br />

über Franz von Assisi. Es gab<br />

mir die Sicherheit, mich auf<br />

die humanistischen Grundzüge<br />

zu verlassen, die (auch)<br />

in der Lehre Jesu überliefert<br />

sind. Die Zuwendung zum<br />

anderen über den Umweg –<br />

oder den Filter – der Zuwendung<br />

zu sich selbst, das ist<br />

eine gute Orientierung.<br />

Sich um andere zu kümmern<br />

ohne Aufhebens, ohne Erwartung<br />

des Ordens erster Klasse<br />

am roten Band.<br />

Wo und wann<br />

4. finden Sie Ruhe?<br />

Wenn ich mich mit einem Text<br />

beschäftige, mit dem neuen<br />

Roman, dann fokussiert sich<br />

meine Aufmerksamkeit – und<br />

das kann ein sehr schönes,<br />

ruhiges Gefühl sein. Außerdem<br />

im Alleinsein, im ziellosen<br />

Denken. Vor kurzem<br />

habe ich zum ersten Mal die<br />

Karl-Borromäus-Kirche auf<br />

dem Wiener Zentralfriedhof<br />

besichtigt. Ich habe dort eine<br />

Ruhe gefunden, die ich gar<br />

nicht gesucht hatte. Und mich<br />

gewundert und mir gedacht,<br />

davon bräuchte ich mehr.<br />

Wenn Sie für<br />

5. einen Tag<br />

allmächtig wären,<br />

was würden Sie tun?<br />

Mit meiner Macht hadern.<br />

Was war das<br />

6. größte Wunder<br />

in Ihrem Leben?<br />

Ist es nach wie vor: mein<br />

ganzes bisheriges Leben in<br />

diesem reichen Teil der Welt<br />

gelebt zu haben. Keine Errungenschaft,<br />

keine Selbstverständlichkeit,<br />

nichts, auf das<br />

ich stolz sein könnte. Es hätte<br />

auch anders kommen können.<br />

7. gelungenen<br />

Was macht<br />

für Sie einen<br />

Sonntag aus?<br />

Ich gehöre schon lang keiner<br />

religiösen Gemeinschaft mehr<br />

an, bin aber im katholisch geprägten<br />

Umfeld aufgewachsen<br />

und kenne den Kirchgang, als<br />

KARIN PESCHKA,<br />

53, lebt in Wien<br />

und Eferding. Die<br />

Autorin hat 2014<br />

ihren Debütroman<br />

„Der Watschenmann“<br />

veröffentlicht,<br />

der mit mehreren<br />

Literaturpreisen<br />

ausgezeichnet<br />

wurde.<br />

Ihr aktueller Roman<br />

„Putzt euch,<br />

tanzt, lacht“<br />

(Otto Müller Verlag,<br />

€ 23) ist für<br />

den Österreichischen<br />

Buchpreis<br />

<strong>2020</strong> nominiert.<br />

Darin lässt die Protagonistin<br />

Fanni<br />

mit 57 Jahren ihr<br />

altes Leben zurück<br />

und landet in einer<br />

ungewöhnlichen<br />

Wohngemeinschaft.<br />

Ein Buch<br />

über Solidarität,<br />

Zuwendung und<br />

Akzeptanz.<br />

kleines Kind an der Seite der<br />

Großeltern, als Jugendliche in<br />

der Samstagabend-Messe, wo<br />

ich aber eher Anschluss suchte<br />

als religiöse Erfüllung.<br />

Denn als Tochter von Wirtsleuten<br />

war der Sonntag für<br />

mich und meine Geschwister<br />

vor allem ein fixer Arbeitstag.<br />

Ein ruhiges Wochenende<br />

mit einem ebensolchen Sonntag<br />

gab es nicht. Es gab allerdings<br />

einen Sperrtag – ganz<br />

früher war es der Mittwoch,<br />

dann der Freitag. Da war das<br />

Haus still, Gastzimmer und<br />

Küche lagen in einer Art Dämmer,<br />

so war es auch an den<br />

Nachmittagen von Sonn- und<br />

Feiertagen. An diesen hatten<br />

wir zwei, drei Stunden geschlossen.<br />

Diese Stunden, dieser<br />

Dämmer, die Stille in den<br />

Räumen, die wir zuvor sauber<br />

gemacht hatten, Tische frisch<br />

gedeckt, Boden gekehrt, Geschirr<br />

und Gläser und Töpfe<br />

abgewaschen, Herd geputzt –<br />

diese Ruhe liebte ich. Ich saß<br />

oft allein beim Kachelofen<br />

und lauschte und dachte an<br />

nichts Besonderes. Manchmal<br />

sitze ich so in meiner winzigen<br />

Wiener Küche. Manchmal<br />

in unserem alten Haus in<br />

Oberösterreich, wo wir –<br />

meine Schwester und ich –<br />

nun zwar kein Wirtshaus<br />

mehr betreiben, aber dafür<br />

das „Eferdinger Gastzimmer“.<br />

Der Raum ist anders, aber<br />

der Kachelofen derselbe,<br />

die Fenster dieselben und die<br />

Ruhe ist es auch. Das gibt mir<br />

ein sonntägliches Gefühl.<br />

69


BETREFF: GRÜSS GOTT!<br />

Ein Auszug aus hunderten positiven und konstruktiven<br />

Rückmeldungen zur zweiten Ausgabe. Wir sagen DANKE!<br />

Die Corona-Krise hat unsere<br />

Wertvorstellungen ins Wanken<br />

gebracht und zeigt uns,<br />

wie angewiesen wir aufeinander<br />

sind. Vielleicht macht<br />

dieses Bewusstsein zugänglicher<br />

für religiöse Themen. Ihr<br />

Magazin lädt ein, sich unverbindlich<br />

damit auseinanderzusetzen.<br />

Gute Worte haben<br />

Kraft, richten den Blick neu<br />

aus, bauen auf, regen an und<br />

begleiten. Ich finde, all das<br />

ist Ihnen in Ihrem Magazin<br />

hervorragend gelungen!<br />

Waltraud Pühringer,<br />

Ernsthofen<br />

Dieses Magazin zaubert mir<br />

ein Lächeln ins Gesicht und<br />

belüftet meine Seele. Danke!<br />

Christine Michlmayr, Steyr<br />

Ich habe jetzt bewusst jede,<br />

wirklich jede Zeile des neuen<br />

„Grüß <strong>Gott</strong>!“ gelesen, und<br />

ich möchte euch sagen: ein<br />

wunderbares Magazin mit<br />

vor züglichem Layout und<br />

aus gezeichneten Fotos!<br />

Jeden Beitrag, vom Editorial<br />

des Bischofs bis zur Haderer-<br />

Karikatur, könnte ich nennen<br />

und besonders hervorheben!<br />

Die Seite 2 mit dem Zitat von<br />

Clemens Sedmak habe ich<br />

bereits mehrfach per Whats-<br />

App verschickt. Ich freue mich<br />

über dieses neue Magazin für<br />

alle Haushalte. Offensichtlich<br />

ist es vor Corona produziert<br />

worden – spontan vermisste<br />

ich dazu einen Beitrag, ein<br />

Statement. Doch dann war<br />

ich erleichtert, endlich einmal<br />

nichts von Corona lesen zu<br />

müssen. Nochmals: Herzlichen<br />

Dank – auch im Namen<br />

meiner Frau!<br />

Dr. Wilhelm Achleitner, Wels<br />

Als (tätowierter) Gefängnisseelsorger<br />

weiß ich sehr wohl<br />

um die Macht der Präsentation,<br />

der Bilder, des Layouts<br />

und der kirchlichen Haltung<br />

dazu. Mit diesem Magazin<br />

haben Sie etwas vorgelegt,<br />

was ich gerne meinen Klienten<br />

anbieten möchte, etwas,<br />

wo auch ich dahinterstehen<br />

kann. Die Spur ist verdammt<br />

geil! Weiter so!<br />

Jonathan Werner,<br />

St. Jakob am Thurn<br />

Der Bericht über die 24-Stunden-Pflegekräfte<br />

aus Osteuropa<br />

ließ mich auch im Urlaub<br />

an der Adria nicht los. Ich bin<br />

gewohnt, dass in meinem Heimatort<br />

alle möglichen Anlässe<br />

für ein Pfarr-Café wahrgenommen<br />

werden, umso mehr hat<br />

mich diese Initiative aus Leonstein<br />

überrascht und angeregt,<br />

ob nicht auch in unserer<br />

Gemeinde eine solche Möglichkeit<br />

geschaffen werden<br />

kann. Denn wenn die Leistung<br />

der Pflegekräfte anerkannt<br />

wird, wird dies sicher die Beziehung<br />

zu den Pflegebedürftigen<br />

vertiefen und so für beide<br />

Seiten vorteilhaft werden.<br />

Franz Eder, Kronstorf<br />

Ich gratuliere euch zum neuen<br />

Magazin. Es ist überaus gelungen<br />

und geht in die Tiefe. Ich<br />

freue mich darüber, denn damit<br />

versucht die Kirche, ein<br />

bisschen zu den Menschen zu<br />

kommen und nicht zu warten,<br />

bis sie von selber kommen.<br />

Monika Hofer, Waldburg<br />

Ich habe heute Ihre Zeitung<br />

mit der Post bekommen. Vorweg<br />

– ich bin evangelisch,<br />

aber ich habe selten mit so<br />

viel Interesse und Durchhaltevermögen<br />

ein neu erschienenes<br />

Druckwerk gelesen. Diese<br />

Zeitung ist Ihnen wirklich sehr<br />

gut gelungen – vielfältig, anregend<br />

und optisch auch ausgezeichnet<br />

gestaltet. Ich habe<br />

sie aufgrund der ohnehin<br />

eingeschränkten Betätigungsfelder<br />

von vorne bis hinten<br />

mit Freude gelesen.<br />

Waltraud Schinko,<br />

Haid/Ansfelden<br />

Die Qualität der Artikel und<br />

die behandelten Themen<br />

haben mir heute meinen<br />

Sonntagskaffee außerordentlich<br />

aufgewertet. Ich bin vor<br />

Jahren aufgrund einiger negativer<br />

Entwicklungen in der katholischen<br />

Kirche, die ich mit<br />

mir nicht vereinbaren konnte,<br />

aus ihr ausgetreten. Seither<br />

war ich meinem „Christ-Sein“<br />

nicht mehr so nahe wie jetzt<br />

nach der Lektüre des Magazins.<br />

Vielen Dank dafür, dass<br />

Sie mich meiner eigenen Spiritualität<br />

wieder einen kleinen<br />

Schritt nähergebracht haben.<br />

Klaus Gasser,<br />

Engerwitzdorf<br />

Zuerst skeptisch („Was flattert<br />

denn da schon wieder ins<br />

Haus?“), dann neugierig<br />

(„So schlecht is es ja gar nit“),<br />

schließlich zufrieden und<br />

begeistert! („Dös haben s’<br />

ganz gut hinkriegt!“). Danke!<br />

Ekkehard Oberhammer,<br />

St. Florian am Inn<br />

Möchten Sie uns auch eine Rückmeldung geben? Bitte per E-Mail an: gruessgott@dioezese-linz.at<br />

Eine Auswahl Ihrer Rückmeldungen finden Sie in Auszügen beziehungsweise,<br />

sofern es der Platz erlaubt, zur Gänze in einer der nächsten Ausgaben.<br />

70


HADERER<br />

ILLUSTRATION: GERHARD HADERER<br />

71


KULTURELLES &<br />

SPIRITUELLES<br />

Im Zeichen der Besinnlichkeit und des<br />

Gedenkens: unsere Veranstaltungs-Tipps<br />

in Linz und Umgebung.<br />

ACHTUNG: VERANSTALTUNGEN KÖNNEN WEGEN COVID-MASSNAHMEN KURZFRISTIG ABGESAGT WERDEN.<br />

13. 12. <strong>2020</strong>, 19 Uhr<br />

STERNENKINDER – UNVERGESSEN<br />

Weltweit gedenken Familien<br />

am „Wordwide Candle<br />

Lighting Day“ ihrer „Sternenkinder“,<br />

die vor, während oder<br />

kurz nach der Geburt gestorben<br />

sind. Dazu stellen sie um<br />

19 Uhr eine Kerze ins Fenster,<br />

die Erinnerung und Hoffnung<br />

zugleich symbolisiert: Erinnerung<br />

an eine viel zu kurze Zeit<br />

und Hoffnung, dass sich das<br />

Dunkel der Trauer wandelt.<br />

Rund um den 13. Dezember<br />

finden in vielen Pfarren, auf<br />

Friedhöfen und in Krankenhäusern<br />

Gedenkfeiern für<br />

Sternenkinder statt.<br />

Im Linzer Mariendom wird am<br />

13. Dezember <strong>2020</strong> um 15 Uhr<br />

ein Gedenkgottesdienst mit<br />

Bischof Manfred Scheuer<br />

gefeiert.<br />

www.dioezese-linz.at/<br />

sternenkinder<br />

1./2. 11. <strong>2020</strong><br />

GEDENKEN ZU ALLERHEILIGEN<br />

UND ALLERSEELEN<br />

Am 1. November feiert die<br />

katholische Kirche das Fest<br />

Allerheiligen. Wie der Name<br />

schon sagt, wird an diesem<br />

Tag „aller Heiligen“ gedacht.<br />

Einen Tag später, am 2. November,<br />

begehen Christinnen<br />

und Christen den Allerseelentag,<br />

an dem sie ihrer Verstorbenen<br />

gedenken. In den<br />

Pfarren in ganz Oberösterreich<br />

werden zu Allerheiligen<br />

<strong>Gott</strong>esdienste und Friedhofsandachten<br />

gefeiert. Zentrum<br />

des Festes Allerseelen ist das<br />

Requiem, der <strong>Gott</strong>esdienst<br />

zum Gedächtnis der Toten.<br />

An beiden Tagen besuchen<br />

viele Menschen die Gräber<br />

ihrer Lieben, verzieren sie<br />

mit Grabschmuck und stellen<br />

Seelenlichter auf. Das gemeinsame<br />

Gedenken spendet Kraft<br />

und Trost – und nährt die<br />

Hoffnung auf ein Wiedersehen<br />

bei <strong>Gott</strong>.<br />

Mehr Informationen zu<br />

<strong>Gott</strong>esdiensten und Friedhofsfeiern<br />

in ganz Oberösterreich<br />

finden Sie unter:<br />

www.dioezese-linz.at/<br />

allerheiligen<br />

9./16./23. 12. <strong>2020</strong>, jeweils ab 18 Uhr<br />

ORGELMEDITATIONEN<br />

IM ADVENT<br />

Ein musikalisches Jubiläum in<br />

der Vorweihnachtszeit: Bereits<br />

zum zehnten Mal finden in der<br />

Ignatiuskirche – dem Alten<br />

Dom in Linz – Orgelmeditationen<br />

im Advent statt.<br />

Unter dem Motto „Die Kraft<br />

der Stille“ laden sie an drei<br />

Mittwochabenden dazu ein,<br />

mitten im adventlichen<br />

Rummel der Stadt diesen<br />

besonderen Ort zu betreten,<br />

um eine halbe Stunde lang<br />

innezuhalten und zur Ruhe zu<br />

kommen. Bernhard Prammer,<br />

Caroline Atschreiter und<br />

andere Organistinnen und<br />

Organisten spielen auf der<br />

historischen Brucknerorgel<br />

adventlich-meditative Musik<br />

– vertieft durch kurze textliche<br />

Impulse, die zum<br />

Nachdenken anregen.<br />

Freie Spende erbeten.<br />

www.dioezese-linz.at/<br />

ignatiuskirche<br />

FOTOS: RAPHAEL GABAUER, BRUCKNERBUND FUER OOE, MARIA NOISTERNIG, KLAUS MITTERMAYR<br />

72<br />

Aktuelle Termine finden Sie auf www.dioezese-linz.at/termine


Karussell der Schätze:<br />

Aus Fundstücken und<br />

Alltagsgegenständen<br />

gezimmert, erfreut<br />

das Domkarussell den<br />

jüngsten Teil des Publikums<br />

beim Adventmarkt.<br />

27. 11. bis 23. 12. <strong>2020</strong><br />

ADVENT AM DOM<br />

Auf dem Linzer Domplatz findet heuer erstmals ein Adventmarkt<br />

statt. Der stillere Advent lädt zu einer Auszeit vom<br />

Vorweihnachtstrubel und setzt ganz auf Besinnlichkeit.<br />

Die Wochen vor Weihnachten<br />

gehören der Einkehr und der<br />

Vorfreude auf das Christkind.<br />

In dieser schönen Zeit versteht<br />

sich „Advent am Dom“ als<br />

Gelegenheit zum Innehalten<br />

und bietet regionale Qualität<br />

– kitschfrei und vor der einzigartigen<br />

Kulisse der größten<br />

Kirche Österreichs. An den<br />

30 Marktständen auf dem<br />

Domplatz gibt es ausschließlich<br />

Kunsthandwerk und<br />

Kulinarik aus der Region zu<br />

kaufen. Der Dom selbst strahlt<br />

in der Mitte des Geschehens<br />

seine angenehme Ruhe aus<br />

und wird unter anderem ein<br />

Kinderprogramm beherbergen.<br />

Spirituelle Impulse und<br />

Aktionen lenken den Blick auf<br />

den Kern der Weihnachtsbotschaft.<br />

Beim EngelFotoShooting<br />

können sich Besucherinnen<br />

und Besucher etwa mit<br />

Engelsflügeln fotografieren<br />

lassen und somit zu Engeln<br />

füreinander werden. Ein<br />

Highlight des Marktes ist<br />

außerdem das von zwei<br />

Fahrrädern angetriebene<br />

Domkarussell, bei dem<br />

Rund um den Mariendom eröffnet am letzten Freitag im<br />

November mit „Advent am Dom“ der stillere Advent.<br />

Fundstücke aus dem Dom<br />

und ausrangierte Alltagsgegenstände<br />

Kinderaugen<br />

zum Leuchten bringen. So<br />

steht der neue Adventmarkt<br />

auf dem Linzer Domplatz ganz<br />

im Zeichen von Handarbeit<br />

und Regionalität und setzt auf<br />

Qualität statt Quantität, auf<br />

Originalität statt Mainstream<br />

und auf Stil statt Lautstärke.<br />

www.adventamdom.at<br />

Der stillere Advent<br />

am Linzer Domplatz<br />

27. Nov. – 23. Dez. <strong>2020</strong><br />

täglich außer Montag<br />

11.00 – 20.00 Uhr<br />

Gutschein<br />

für eine<br />

Fahrt mit dem<br />

Karussell der<br />

Fundgegenstände<br />

www.adventamdom.at einzulösen bei Advent am Dom <strong>2020</strong>


LESENSWERT<br />

Unsere Buch-Empfehlungen<br />

zum Schmökern in der kalten Jahreszeit.<br />

Bibelwerk Linz<br />

DIE GROSSE<br />

HAUSBIBEL<br />

Hans Dieter Mairinger<br />

WAUN FAUNGT<br />

WEIHNACHTN AU?<br />

Bergwelten<br />

ES GIBT EINEN BERG<br />

FÜR JEDES ALTER<br />

Melanie Wolfers<br />

ENTSCHEIDE DICH<br />

UND LEBE!<br />

Die Familienbibel des Bibelwerks<br />

Für die einen kann das Christ-<br />

Während Kletterlegende<br />

Solange wir leben, treffen wir<br />

Linz als Prachtausgabe: Neben<br />

kind nicht früh genug kommen,<br />

Alexander Huber die Grenz-<br />

kleine und große Entscheidun-<br />

dem Text in Großdruck enthält<br />

während die anderen Weih-<br />

erfahrung in der Antarktis<br />

gen: Weißbrot oder Vollkorn-<br />

die Hausbibel 90 Seiten mit<br />

nachtslebkuchen Ende Sep-<br />

sucht, lässt es Bischof Manfred<br />

müsli? Mehr Geld verdienen<br />

Hinweisen für einen guten<br />

tember eher kritisch sehen.<br />

Scheuer lieber ruhiger angehen.<br />

oder doch beim netten Team<br />

Einstieg in die Heilige Schrift<br />

Und wieder andere suchen<br />

So unterschiedliche Persönlich-<br />

bleiben? Familie oder Weltreise?<br />

sowie über 60 ganzseitige<br />

in der Weihnachtszeit Einkehr<br />

keiten wie Barbara Stöckl, Sepp<br />

In der Freiheit zu wählen liegen<br />

Farbbilder aus den Ländern<br />

und Stille. Hans Dieter Mairinger<br />

Forcher und Wolfgang Schüssel<br />

gleichzeitig Lust und Last.<br />

der Bibel. Großformatige<br />

geht in seinen mundartlichen<br />

erzählen von der Reise, die man<br />

Anhand zahlreicher Beispiele,<br />

Land karten geben Einblick<br />

Weihnachtstexten auf die vielen<br />

beim Wandern und Bergsteigen<br />

praktischer Tipps und Übungen<br />

in die biblische Welt.<br />

Gesichter des Festes ein<br />

im Inneren durchläuft, und<br />

behandelt die Bestseller-Autorin<br />

und entlockt beim Lesen so<br />

bringen humorvoll zu Papier,<br />

Melanie Wolfers systematisch<br />

Bibelwerk Linz; 90 + 1.492 Seiten;<br />

manches Schmunzeln und<br />

welche Beweggründe sie in die<br />

die Kunst, kluge Entscheidun-<br />

€ 61,70 (portofrei), bei Vorlegen<br />

viele besinnliche Gedanken.<br />

Berge führen.<br />

gen zu treffen.<br />

des Bildungsgutscheins<br />

(Kirchenbeitrag) nur € 41,70.<br />

Kral Verlag; 192 Seiten;<br />

Bergwelten Verlag; 214 Seiten;<br />

Verlag bene!; 256 Seiten;<br />

www.dioezese-linz.at/hausbibel<br />

€ 19,90<br />

€ 20,00<br />

€ 19,00<br />

Lösung des Kirchenrätsels auf Seite 13:<br />

Es handelt sich um die Filialkirche Loibichl in Innerschwand am Mondsee.<br />

IMPRESSUM<br />

HERAUSGEBER: Wilhelm Vieböck, Diözese Linz, Herrenstraße 19, 4021 Linz, E-Mail: gruessgott@dioezese-linz.at, Telefon: 0732 / 76 10-1170 PROJEKTGESAMTLEITUNG DIÖZESE LINZ:<br />

Michael Kraml, Kommunikationsbüro Diözese Linz PROJEKTKOORDINATION: Barbara Eckerstorfer, Christine Grüll, Ursula Schmidinger MEDIENINHABERIN: Diözese Linz, Herrenstraße 19,<br />

Postfach 251, 4021 Linz, vertreten durch Dr. Manfred Scheuer, Diözesanbischof, ATU59278089 HERSTELLER: Red Bull Media House GmbH VERLAGSORT: Red Bull Media House Publishing,<br />

1140 Wien HERSTELLUNGSORT: Druckerei Berger, Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., 3580 Horn ANZEIGENLEITUNG: Elisabeth Staber CHEFREDAKTION: Raffael Fritz CHEF VOM<br />

DIENST: Thomas Hammerschmied ART DIRECTOR: Dominik Uhl FOTOREDAKTION: Matti Wulfes REDAKTION: Martin Foszczynski, Robert Maruna, Holger Potye GRAFIK: Steffi Werth<br />

ILLUSTRATION: Anita Brunnauer (studio nita.), Gerhard Haderer, Steffi Werth TEXTE: Edeltraud Addy-Papelitzky, Valentin Ladstätter, Janina Lebiszczak, Sabrina Luttenberger, P. Christian<br />

Marte, Nikolaus Nussbaumer, Karin Peschka, Clemens Stachel FOTOS: Raphael Gabauer, Christoph Liebentritt, Gregor Kuntscher (ASA12), Robert Maybach, Thomas Straub HERSTELLUNG:<br />

Veronika Felder PRODUKTION: Friedrich Indich, Walter O. Sádaba, Sabine Wessig LEKTORAT: Hans Fleißner (Ltg.), Petra Hannert, Monika Hasleder, Billy Kirnbauer-Walek, Belinda Mautner,<br />

Vera Pink LITHOGRAFIE: Clemens Ragotzky (Ltg.), Nenad Isailovic, Josef Mühlbacher EXECUTIVE CREATIVE DIRECTOR: Markus Kietreiber MANAGING DIRECTOR: Stefan Ebner<br />

HEAD OF CO-PUBLISHING: Susanne Degn-Pfleger ANZEIGENSERVICE: Manuela Brandstätter, Monika Spitaler ASSISTENZ DER GESCHÄFTSFÜHRUNG: Patricia Höreth<br />

GESCHÄFTSFÜHRER RED BULL MEDIA HOUSE PUBLISHING: Andreas Kornhofer<br />

FOTOS: PR


Die nächste Ausgabe erscheint im Mai 2021.<br />

HIMMEL<br />

Wie wir ein Stück davon<br />

schon auf Erden schaffen.<br />

[HERR]GOTT<br />

Wie wir ihn in allen<br />

Dingen finden.<br />

SAKRAMENT<br />

Wie wir gemeinsam<br />

das Leben feiern.<br />

FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCK<br />

WIR FEIERN 75 JAHRE KIRCHENZEITUNG<br />

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