Gruess Gott - Herbst 2020
Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt
Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
[HERR]GOTT<br />
Starke Gefühle.<br />
Wenn tiefreligiöse<br />
Menschen<br />
beten, werden<br />
die Areale im<br />
Hirn aktiviert, die<br />
mit intensiven<br />
Emotionen verbunden<br />
sind.<br />
Zudem zeigt sich immer wieder, dass<br />
religiöse Erfahrungen nicht nur unseren<br />
Geist beeinflussen, sondern Auswirkungen<br />
auf den ganzen Körper haben. Regelmäßige<br />
religiöse Rituale, etwa das tägliche Gebet,<br />
führen zu einer erhöhten Ausschüttung<br />
des Glückshormons Serotonin.<br />
Solche Erkenntnisse haben gezeigt, dass<br />
es unmöglich ist, den Geist vom Körper zu<br />
trennen. Rosenberger: „Hier sehe ich auch<br />
den Fehler der Neurotheologie Ende der<br />
1990er-Jahre: Sie hat in vielen Fällen den<br />
Geist gegen den Körper ausgespielt. Wo<br />
die Religion den Geist zu stark betont hat,<br />
betonte die Neurotheologie den Körper<br />
zu stark“, sagt er und plädiert dafür, den<br />
Menschen ganzheitlich zu betrachten. Dem<br />
kann auch Michael Blume viel abgewinnen:<br />
„Theologinnen und Theologen sind gut beraten,<br />
sich Grundlagen der Hirnforschung<br />
anzueignen. Wenn man davon ausgeht,<br />
dass der Mensch <strong>Gott</strong>es Geschöpf ist, gehört<br />
das eben auch dazu. Und die Hirnforschung<br />
sollte vor dem Thema Religiosität nicht<br />
zurückschrecken. <strong>Gott</strong> ist keine Krankheit<br />
oder gar Betrug, sondern ein erfolgreicher<br />
Teil der menschlichen Naturgeschichte.“<br />
Ein Talent für Religion<br />
<strong>Gott</strong> als Teil der Naturgeschichte – so sehen<br />
es auch Lionel Tiger und Michael McGuire.<br />
Der Anthropologe Tiger und der Neurologe<br />
McGuire sind der Überzeugung, dass Religion<br />
ihren Ursprung im Gehirn hat. Doch<br />
sei sie nichts anderes als eine Illusion, mit<br />
der wir uns selbst beruhigen. In ihrem viel<br />
diskutierten Buch „God’s Brain“ schreiben<br />
sie, nichts belaste uns stärker als Ungewissheit.<br />
Denn unser Hirn sei nicht zum Denken<br />
da, sondern zum Tun. Das kann es aber<br />
nicht, wenn es die ganze Zeit offene Fragen<br />
gibt, die das Hirn vom Handeln abhalten:<br />
Woher kommen wir? Warum gibt es etwas<br />
und nicht nichts? Was passiert, wenn wir<br />
sterben? Unser Kopf braucht befriedigende<br />
Antworten auf Fragen, die nicht zu beantworten<br />
sind. Und darum ist Religion entstanden,<br />
argumentieren Tiger und McGuire<br />
»Theologinnen und Theologen sind gut beraten,<br />
sich Grund lagen der Hirnforschung<br />
anzueignen. Und die Hirnforschung sollte<br />
vor dem Thema Religiosität nicht zurückschrecken.<br />
<strong>Gott</strong> ist keine Krankheit, sondern<br />
Teil der menschlichen Naturgeschichte.«<br />
Michael Blume, Religionswissenschaftler<br />
50