Gruess Gott - Herbst 2020
Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt
Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
SAKRAMENT<br />
FOTOS: BPK/ABISAG TÜLLMANN, HABRINGER<br />
Was ist<br />
1. Ihnen heilig?<br />
Die spontane Antwort: nichts.<br />
Allerdings fällt mir beim<br />
Nachdenken über die vielen<br />
Bedeutungen des Wortes<br />
sanctus doch einiges ein. Zu<br />
diesen Bedeutungen ge hören<br />
neben anbeten auch unverletzlich,<br />
unantastbar und<br />
erhaben. Unantastbar ist für<br />
mich zum Beispiel das Recht,<br />
Autorität zu hinter fragen und<br />
Autorität, die sich dem verweigert,<br />
zu misstrauen.<br />
Wie definieren Sie<br />
2. ein gutes Leben?<br />
Den kommenden Tag nicht<br />
mit Sorge zu erwarten, sondern<br />
gelassen schlafen gehen<br />
zu können.<br />
Welche Eigen-<br />
3. schaft von Jesus<br />
erscheint Ihnen<br />
nachahmenswert?<br />
Vor vielen Jahren (im größten<br />
Zweifel) las ich Adolf Holls<br />
Buch „Der letzte Christ“<br />
über Franz von Assisi. Es gab<br />
mir die Sicherheit, mich auf<br />
die humanistischen Grundzüge<br />
zu verlassen, die (auch)<br />
in der Lehre Jesu überliefert<br />
sind. Die Zuwendung zum<br />
anderen über den Umweg –<br />
oder den Filter – der Zuwendung<br />
zu sich selbst, das ist<br />
eine gute Orientierung.<br />
Sich um andere zu kümmern<br />
ohne Aufhebens, ohne Erwartung<br />
des Ordens erster Klasse<br />
am roten Band.<br />
Wo und wann<br />
4. finden Sie Ruhe?<br />
Wenn ich mich mit einem Text<br />
beschäftige, mit dem neuen<br />
Roman, dann fokussiert sich<br />
meine Aufmerksamkeit – und<br />
das kann ein sehr schönes,<br />
ruhiges Gefühl sein. Außerdem<br />
im Alleinsein, im ziellosen<br />
Denken. Vor kurzem<br />
habe ich zum ersten Mal die<br />
Karl-Borromäus-Kirche auf<br />
dem Wiener Zentralfriedhof<br />
besichtigt. Ich habe dort eine<br />
Ruhe gefunden, die ich gar<br />
nicht gesucht hatte. Und mich<br />
gewundert und mir gedacht,<br />
davon bräuchte ich mehr.<br />
Wenn Sie für<br />
5. einen Tag<br />
allmächtig wären,<br />
was würden Sie tun?<br />
Mit meiner Macht hadern.<br />
Was war das<br />
6. größte Wunder<br />
in Ihrem Leben?<br />
Ist es nach wie vor: mein<br />
ganzes bisheriges Leben in<br />
diesem reichen Teil der Welt<br />
gelebt zu haben. Keine Errungenschaft,<br />
keine Selbstverständlichkeit,<br />
nichts, auf das<br />
ich stolz sein könnte. Es hätte<br />
auch anders kommen können.<br />
7. gelungenen<br />
Was macht<br />
für Sie einen<br />
Sonntag aus?<br />
Ich gehöre schon lang keiner<br />
religiösen Gemeinschaft mehr<br />
an, bin aber im katholisch geprägten<br />
Umfeld aufgewachsen<br />
und kenne den Kirchgang, als<br />
KARIN PESCHKA,<br />
53, lebt in Wien<br />
und Eferding. Die<br />
Autorin hat 2014<br />
ihren Debütroman<br />
„Der Watschenmann“<br />
veröffentlicht,<br />
der mit mehreren<br />
Literaturpreisen<br />
ausgezeichnet<br />
wurde.<br />
Ihr aktueller Roman<br />
„Putzt euch,<br />
tanzt, lacht“<br />
(Otto Müller Verlag,<br />
€ 23) ist für<br />
den Österreichischen<br />
Buchpreis<br />
<strong>2020</strong> nominiert.<br />
Darin lässt die Protagonistin<br />
Fanni<br />
mit 57 Jahren ihr<br />
altes Leben zurück<br />
und landet in einer<br />
ungewöhnlichen<br />
Wohngemeinschaft.<br />
Ein Buch<br />
über Solidarität,<br />
Zuwendung und<br />
Akzeptanz.<br />
kleines Kind an der Seite der<br />
Großeltern, als Jugendliche in<br />
der Samstagabend-Messe, wo<br />
ich aber eher Anschluss suchte<br />
als religiöse Erfüllung.<br />
Denn als Tochter von Wirtsleuten<br />
war der Sonntag für<br />
mich und meine Geschwister<br />
vor allem ein fixer Arbeitstag.<br />
Ein ruhiges Wochenende<br />
mit einem ebensolchen Sonntag<br />
gab es nicht. Es gab allerdings<br />
einen Sperrtag – ganz<br />
früher war es der Mittwoch,<br />
dann der Freitag. Da war das<br />
Haus still, Gastzimmer und<br />
Küche lagen in einer Art Dämmer,<br />
so war es auch an den<br />
Nachmittagen von Sonn- und<br />
Feiertagen. An diesen hatten<br />
wir zwei, drei Stunden geschlossen.<br />
Diese Stunden, dieser<br />
Dämmer, die Stille in den<br />
Räumen, die wir zuvor sauber<br />
gemacht hatten, Tische frisch<br />
gedeckt, Boden gekehrt, Geschirr<br />
und Gläser und Töpfe<br />
abgewaschen, Herd geputzt –<br />
diese Ruhe liebte ich. Ich saß<br />
oft allein beim Kachelofen<br />
und lauschte und dachte an<br />
nichts Besonderes. Manchmal<br />
sitze ich so in meiner winzigen<br />
Wiener Küche. Manchmal<br />
in unserem alten Haus in<br />
Oberösterreich, wo wir –<br />
meine Schwester und ich –<br />
nun zwar kein Wirtshaus<br />
mehr betreiben, aber dafür<br />
das „Eferdinger Gastzimmer“.<br />
Der Raum ist anders, aber<br />
der Kachelofen derselbe,<br />
die Fenster dieselben und die<br />
Ruhe ist es auch. Das gibt mir<br />
ein sonntägliches Gefühl.<br />
69