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Gruess Gott - Herbst 2020

Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt

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Bewältigung.<br />

„Die ersten drei<br />

Jahre kam ich<br />

jeden Tag zu<br />

seinem Grab.“<br />

Der Friedhof als Kraftplatz<br />

Ich bin immer schon gerne auf den Friedhof<br />

gegangen. Die Ruhe und die vielen Bäume<br />

haben eine positive Wirkung auf mich.<br />

Manchmal treffe ich mich hier sogar mit<br />

einer Freundin. Letztens war ich vier Stunden<br />

lang auf dem Friedhof. Hier liegt auch<br />

mein geliebter langjähriger Partner. 14 Jahre<br />

waren wir zusammen. Er starb völlig unerwartet<br />

an einer Lungenembolie und Herzversagen.<br />

Ich habe ihn tot im Schlafzimmer<br />

gefunden. Er war erst 46 Jahre alt. Die ersten<br />

drei Jahre kam ich jeden Tag zu seinem<br />

Grab. Das hat mir gutgetan und war meine<br />

Form der Trauerbewältigung. Anfangs habe<br />

ich ihm jeden Tag erzählt, was ich erlebt<br />

habe, aber das hat sich im Lauf der Zeit aufgehört.<br />

15 Jahre ist sein Tod mittlerweile<br />

her. Weil seine Mutter schon 85 Jahre alt<br />

ist, liegt es an mir, mich um sein Grab zu<br />

kümmern. Und das mache ich sehr gerne.<br />

Rosemarie Spießberger<br />

Das Grab gibt Trost<br />

Ich stehe vor dem sogenannten Kindergrab auf dem St. Barbara Friedhof.<br />

Hier finden Kinder, die im Mutterleib oder nach der Geburt sterben,<br />

ihre letzte Ruhe. So eine Gedenkstätte gibt es in meiner Heimat<br />

im Mühlviertel leider nicht. Mein großer Traum war es immer, einmal<br />

Mutter zu werden. Vier Mal trug ich ein Kind im Bauch. Keines der<br />

Babys hat die Schwangerschaft überlebt. Die Ärzte sagten, ich hätte<br />

zu viele Thrombozyten im Blut. Ich musste blutverdünnende Mittel<br />

schlucken und spritzen. Dennoch kamen meine Kinder tot zur Welt<br />

und landeten im Krankenhaus im Müll. Erst ab einem gewissen Gewicht<br />

gibt es die Pflicht, sie bestatten zu lassen. Aber das Schlimmste<br />

für mich ist: Ich bin kinderlos geblieben, ich durfte nicht Mutter werden.<br />

Oft bin ich deshalb traurig und wütend. Wenn ich hier an dem<br />

Kindergrab stehe, spüre ich: Anderen geht es so wie mir, die haben<br />

das auch durchgemacht. Das gibt mir Halt und Trost.<br />

Renate Höglinger<br />

66<br />

Geteiltes Leid. „Wenn ich am<br />

Kindergrab stehe, spüre ich:<br />

Anderen geht es so wie mir.“

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