Gruess Gott - Herbst 2020
Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt
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FOTO: STEFAN PFEIFFER<br />
Es gibt Bräuche, die uralt sind und<br />
immer wieder eine Renaissance<br />
erleben. Vielleicht, weil sie uns<br />
Menschen helfen, mit den Wechselfällen<br />
des Lebens besser zurechtzukommen? Wir<br />
machen immer wieder die Erfahrung, dass<br />
wir nicht alles im Griff haben, dass unser<br />
Leben, unsere Beziehungen, unsere Gesundheit<br />
nicht so heil sind, wie wir uns das<br />
wünschen. Bräuche und Rituale verdeutlichen<br />
unsere Wünsche, Ängste und Hoffnungen.<br />
Und kein anderer Sinn spricht diese<br />
tief sitzenden Emotionen so an wie unser<br />
Geruchssinn. Gerüche können uns auch an<br />
Orte der Vergangenheit führen, selbst wenn<br />
die Erinnerung daran schon fast verblasst<br />
ist. „So roch es bei meiner Oma“, sagen wir<br />
dann plötzlich, oder: „Riecht eindeutig nach<br />
Schule!“ So geht es mir auch beim Geruch<br />
von Weihrauch, der mich in meine Kindheit<br />
zurückversetzt. Ein Highlight waren für<br />
mich die Maiandachten: inbrünstig gesungene<br />
Lieder, die Geschichten von frommen<br />
Frauen und Männern, die Monstranz auf<br />
dem Altar und der Priester, der das Weihrauchfass<br />
in die Hand nimmt …<br />
Wegen seines einzigartigen Dufts war<br />
Weihrauch schon immer ein kostbares Harz.<br />
In der Weihnachtsgeschichte gehört er zu<br />
den Gaben der drei Weisen aus dem Morgenland<br />
an das Jesuskind in der Krippe. Auch<br />
in der Liturgie hat Weihrauch eine zentrale<br />
Bedeutung. Er symbolisiert Reinigung, Verehrung,<br />
zu <strong>Gott</strong> aufsteigende Gebete und<br />
<strong>Gott</strong>es liebevolle Gegenwart, die uns einhüllt<br />
wie der Duft des Weihrauchs.<br />
Auch in anderen Religionen gibt es sie,<br />
die Räucherstäbchen, -fässer und -schalen.<br />
Um Böses zu vertreiben, um der Verehrung<br />
Ausdruck zu verleihen, um zur Gesundung<br />
beizutragen. Und mittlerweile ist Weihrauch<br />
auch außerhalb der Kirche im Trend: Unzählige<br />
Weihrauchvarianten werden zum<br />
Kauf angeboten, Seminare zum Thema<br />
Räuchern sind sehr beliebt.<br />
Doch nicht alle können sich für Weihrauch<br />
begeistern. Manche bringt er zum<br />
»Bald durchzogen ganze<br />
Schwaden an Rauch die Kapelle.<br />
Da begann meine Kleine zu<br />
husten und äußerte ihren<br />
Unmut lautstark: ›Das stinkt!‹«<br />
Edeltraud Addy-Papelitzky<br />
Husten, andere bekommen davon Kopfschmerzen.<br />
Das musste ich erfahren, als ich<br />
mit meiner jüngeren Tochter beim Studienbeginn<br />
meiner großen Tochter dabei war.<br />
Mit <strong>Gott</strong>esdienst, wie es sich gehört bei<br />
einem Theologiestudium. Viele Bitten gab<br />
es am Beginn dieses Studienjahres: für<br />
die Hungernden, die Traurigen; jene, die<br />
neu starten, jene, die Verluste zu beklagen<br />
haben … Und bei jeder Fürbitte wurde ein<br />
Weihrauchkörnchen in eine Schale gelegt.<br />
So durchzogen bald ganze Schwaden an<br />
Rauch die kleine Kapelle. Da begann meine<br />
Kleine zu husten und äußerte ihren Unmut<br />
lautstark: „Das stinkt!“<br />
Das war natürlich peinlich, für mich und<br />
für die große Schwester – und das an ihrem<br />
ersten Tag! Da erreichte mich der Blick eines<br />
mir bekannten Priesters. Ein Schmunzeln<br />
mit Blick auf meine Kleine, und er dämpfte<br />
mit dem Sand der Schale die Weihrauchkörner<br />
und öffnete die Tür.<br />
Mittlerweile hat auch meine Jüngere<br />
den Duft von Weihrauch liebgewonnen.<br />
Wenn wir drei Frauen nun am Weihnachtsabend<br />
und zu Silvester durch die Räume<br />
unseres Familienhauses gehen, mit der<br />
Rauchpfanne gefüllt mit Rosenweihrauch,<br />
dann erfüllt der Geruch jedes Eckchen. Wir<br />
bitten um Gesundheit und Wohlergehen für<br />
das Haus und alle, die da ein und aus gehen.<br />
Inzwischen begleitet uns dabei auch meine<br />
kleine Enkelin. Und wer weiß, vielleicht<br />
wird auch sie einmal sagen: „Das erinnert<br />
mich an meine Kindheit!“, wenn ihr der<br />
Duft von Weihrauch in die Nase steigt.<br />
EDELTRAUD ADDY-PAPELITZKY<br />
ist Theologin, Psychotherapeutin und<br />
Leiterin des Diözesanen Personalservice.<br />
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