19.10.2020 Aufrufe

Gruess Gott - Herbst 2020

Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt

Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

FOTO: STEFAN PFEIFFER<br />

Es gibt Bräuche, die uralt sind und<br />

immer wieder eine Renaissance<br />

erleben. Vielleicht, weil sie uns<br />

Menschen helfen, mit den Wechselfällen<br />

des Lebens besser zurechtzukommen? Wir<br />

machen immer wieder die Erfahrung, dass<br />

wir nicht alles im Griff haben, dass unser<br />

Leben, unsere Beziehungen, unsere Gesundheit<br />

nicht so heil sind, wie wir uns das<br />

wünschen. Bräuche und Rituale verdeutlichen<br />

unsere Wünsche, Ängste und Hoffnungen.<br />

Und kein anderer Sinn spricht diese<br />

tief sitzenden Emotionen so an wie unser<br />

Geruchssinn. Gerüche können uns auch an<br />

Orte der Vergangenheit führen, selbst wenn<br />

die Erinnerung daran schon fast verblasst<br />

ist. „So roch es bei meiner Oma“, sagen wir<br />

dann plötzlich, oder: „Riecht eindeutig nach<br />

Schule!“ So geht es mir auch beim Geruch<br />

von Weihrauch, der mich in meine Kindheit<br />

zurückversetzt. Ein Highlight waren für<br />

mich die Maiandachten: inbrünstig gesungene<br />

Lieder, die Geschichten von frommen<br />

Frauen und Männern, die Monstranz auf<br />

dem Altar und der Priester, der das Weihrauchfass<br />

in die Hand nimmt …<br />

Wegen seines einzigartigen Dufts war<br />

Weihrauch schon immer ein kostbares Harz.<br />

In der Weihnachtsgeschichte gehört er zu<br />

den Gaben der drei Weisen aus dem Morgenland<br />

an das Jesuskind in der Krippe. Auch<br />

in der Liturgie hat Weihrauch eine zentrale<br />

Bedeutung. Er symbolisiert Reinigung, Verehrung,<br />

zu <strong>Gott</strong> aufsteigende Gebete und<br />

<strong>Gott</strong>es liebevolle Gegenwart, die uns einhüllt<br />

wie der Duft des Weihrauchs.<br />

Auch in anderen Religionen gibt es sie,<br />

die Räucherstäbchen, -fässer und -schalen.<br />

Um Böses zu vertreiben, um der Verehrung<br />

Ausdruck zu verleihen, um zur Gesundung<br />

beizutragen. Und mittlerweile ist Weihrauch<br />

auch außerhalb der Kirche im Trend: Unzählige<br />

Weihrauchvarianten werden zum<br />

Kauf angeboten, Seminare zum Thema<br />

Räuchern sind sehr beliebt.<br />

Doch nicht alle können sich für Weihrauch<br />

begeistern. Manche bringt er zum<br />

»Bald durchzogen ganze<br />

Schwaden an Rauch die Kapelle.<br />

Da begann meine Kleine zu<br />

husten und äußerte ihren<br />

Unmut lautstark: ›Das stinkt!‹«<br />

Edeltraud Addy-Papelitzky<br />

Husten, andere bekommen davon Kopfschmerzen.<br />

Das musste ich erfahren, als ich<br />

mit meiner jüngeren Tochter beim Studienbeginn<br />

meiner großen Tochter dabei war.<br />

Mit <strong>Gott</strong>esdienst, wie es sich gehört bei<br />

einem Theologiestudium. Viele Bitten gab<br />

es am Beginn dieses Studienjahres: für<br />

die Hungernden, die Traurigen; jene, die<br />

neu starten, jene, die Verluste zu beklagen<br />

haben … Und bei jeder Fürbitte wurde ein<br />

Weihrauchkörnchen in eine Schale gelegt.<br />

So durchzogen bald ganze Schwaden an<br />

Rauch die kleine Kapelle. Da begann meine<br />

Kleine zu husten und äußerte ihren Unmut<br />

lautstark: „Das stinkt!“<br />

Das war natürlich peinlich, für mich und<br />

für die große Schwester – und das an ihrem<br />

ersten Tag! Da erreichte mich der Blick eines<br />

mir bekannten Priesters. Ein Schmunzeln<br />

mit Blick auf meine Kleine, und er dämpfte<br />

mit dem Sand der Schale die Weihrauchkörner<br />

und öffnete die Tür.<br />

Mittlerweile hat auch meine Jüngere<br />

den Duft von Weihrauch liebgewonnen.<br />

Wenn wir drei Frauen nun am Weihnachtsabend<br />

und zu Silvester durch die Räume<br />

unseres Familienhauses gehen, mit der<br />

Rauchpfanne gefüllt mit Rosenweihrauch,<br />

dann erfüllt der Geruch jedes Eckchen. Wir<br />

bitten um Gesundheit und Wohlergehen für<br />

das Haus und alle, die da ein und aus gehen.<br />

Inzwischen begleitet uns dabei auch meine<br />

kleine Enkelin. Und wer weiß, vielleicht<br />

wird auch sie einmal sagen: „Das erinnert<br />

mich an meine Kindheit!“, wenn ihr der<br />

Duft von Weihrauch in die Nase steigt.<br />

EDELTRAUD ADDY-PAPELITZKY<br />

ist Theologin, Psychotherapeutin und<br />

Leiterin des Diözesanen Personalservice.<br />

63

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!