Gruess Gott - Herbst 2020
Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt
Wenn die Welt Kopf steht - Das Magazin über Gott und die Welt
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[HERR]GOTT<br />
gerettet. Wenn man von klein auf gelernt<br />
hat, mit Disziplin und Struktur zu leben,<br />
war es heilend zu sehen, dass man daraus<br />
ausbrechen kann. Und zum Thema Spiritualität:<br />
Ich schaffe es beim Tanzen, mich<br />
mehr in meiner Seele zu spüren – vor allem<br />
wenn ich mich mit dem, was um mich herum<br />
ist, verbinde. Nicht nur mit den Menschen.<br />
Das kann im Endeffekt alles sein,<br />
was mich umgibt. Beim Wiener Kultursommer<br />
habe ich eine Performance gemacht,<br />
in der sehr viele hypnotische, rhythmische<br />
Elemente dabei waren. Da verbindest du<br />
dich so stark mit der Welt, dass du dich fast<br />
entkörperst. Eins zu sein mit allem, einfach<br />
mit der Welt mitzuschwingen, das hat eine<br />
wahnsinnige Kraft. Das ist der ultimative<br />
Seelenfrieden.<br />
Kostet das nicht auch viel Kraft?<br />
Ich habe diese unglaubliche Möglichkeit,<br />
zu machen, was ich liebe, und davon zu leben.<br />
Das kostet mich keine Kraft, sondern<br />
gibt sie mir. Selbst im Lockdown, da habe<br />
ich Konzepte für Performances geschrieben.<br />
Zum Beispiel „Sitzlust“, gemeinsam<br />
mit <strong>Gott</strong>hard Wagner, das hat bereits stattgefunden.<br />
Alle performen dabei sitzend,<br />
und das hat gut funktioniert. Ansonsten<br />
bin ich mit meiner Familie so oft wie möglich<br />
in der Natur unterwegs. Da ist man<br />
dem Himmel bekannterweise am nächsten.<br />
Was bedeutet Erfolg für Sie?<br />
Für viele Tänzerinnen und Tänzer ist der<br />
Cirque die Endstation, aber ich wollte da ja<br />
gar nie hin, es ist mir einfach passiert. Es<br />
geht mir karrieretechnisch nicht darum,<br />
dass mich besonders viele Leute gesehen<br />
haben. Wenn ich in den Spiegel schauen<br />
kann und mich auf den Moment konzentrieren,<br />
ihn spüren kann – dann bin ich erfolgreich.<br />
Als ich damals angefangen habe,<br />
habe ich so sehr dafür gekämpft: für sich<br />
selbst einstehen, Wertschätzung bekommen.<br />
Das versuche ich weiterzugeben und<br />
Motivation.<br />
„Ich mache, was<br />
ich liebe, und kann<br />
davon leben. Das<br />
kostet mich keine<br />
Kraft, sondern<br />
gibt sie mir.“<br />
arbeite darum gerne mit jungen Frauen,<br />
zum Beispiel beim Projekt „B-Girl Circle“.<br />
Ich brauche keine braven Schülerinnen und<br />
Schüler, ich war ja auch nicht brav. Ich<br />
habe versucht, kreative Lösungen zu finden,<br />
meinen eigenen Weg zu gehen, und<br />
dazu will ich auch die Kids animieren.<br />
Aber nicht alle tun sich so leicht mit dem<br />
Tanzen. Wie kann man Menschen die Berührungsängste<br />
vor dem Tanz nehmen?<br />
Jeder Mensch kann tanzen! Das ist einfach<br />
etwas, was in uns liegt. Es geht nur darum,<br />
wie sehr es gefördert wird. Tanz ist eine<br />
Möglichkeit, sich in seinem Körper zu finden<br />
und ihn gleichzeitig auch zu verlassen.<br />
Und die meiste Angst haben die Menschen<br />
ja nicht vor sich selbst, sondern vor der<br />
Reflexion im Außen. Bin ich schön genug,<br />
toll genug, bewege ich mich gut – aber<br />
wenn du in dir selbst ein bisschen Ehrlichkeit<br />
spürst, merkst du, dass es nicht darum<br />
geht, was das Außen mit dir macht. Dann<br />
kannst du zulassen, berührbar zu werden.<br />
Du kannst auch irgendwo herumstehen und<br />
in dir drinnen tanzen und keiner sieht es.<br />
Tanz ist überall und immer – in jeder<br />
Alltags bewegung.<br />
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