Wir schreiten Seit an Seit
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Wir schreiten Seit an Seit, Schlaglichter aus der Geschichte der SPD
1863 wurde in Leipzig ein „Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein“ gegründet
und Ferdinand Lassalle zum Vorsitzenden gewählt.
1869 gründeten August Bebel und Wilhelm Liebknecht den deutschen
Arbeiterbund, die „Sozialistische Arbeiterpartei“. Ihr wichtigstes politisches Ziel
war die Aufrichtung des Volksstaates einer
deutschen Republik auf sozialistischer
Grundlage.
Ferdinand Lasalle
August Bebel
1875 vereinigten sich der „Allgemeine
Deutsche Arbeiterverein“ und die
„Sozialistische Arbeiterpartei“ in Gotha zur
„Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“,
die sich später in „Sozialdemokratische Partei
Deutschlands“ (SPD) umbenannte.
Wilhelm Liebknecht
1890 (August) veranstalteten die Sozialdemokraten im Regierungsbezirk Kassel
ihren ersten Parteitag in Eschwege. Auf diesem wurde beschlossen, neue
sozialdemokratische Wahlvereine in Nordhessen zu gründen, die
Parteiorganisation neu aufzubauen und eine regionale Parteizeitung mit dem
Namen „Volksblatt für Hessen und Waldeck“ zu schaffen. Das Parteiblatt
erschien ab 1891.
1893 (15. Juni) fanden die ersten Reichstagswahlen statt. Der Wahlkampf der
sozialdemokratischen Wahlvereine wurde einschneidend behindert. In den
meisten Orten hatten die Gastwirte sich geweigert, der SPD, Säle für ihre
Wahlversammlungen zur Verfügung zu stellen. Die Ablehnung erfolgte häufig auf
Drängen von bürgerlichen Parteien und Politikern, unter Druck von Stadt- und
Kreisbehörden, durch Drohung mit Verkehrsverbot für das Militär gegen
Wirtschaften, die SPD-Veranstaltungen duldeten oder - bei Gaststättenpächtern
- auf Anweisung der Brauerei. Nicht selten gaben die Wirte zunächst eine Zusage
für den Saal und zogen diese kurz vor Beginn der Wahlveranstaltung wieder
zurück. Öffentliche Versammlungen der SPD oder des sozialdemokratischen
Wahlvereins auf freien Plätzen wurden in der Regel von den kommunalen
Behörden wegen „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ nicht
genehmigt. Trotz der Behinderungen des SPD-Wahlkampfes nahm die
Wählerzahl der Sozialdemokraten zu.
1899 Großes Gewicht legten die Sozialdemokraten in der Stadt und im Landkreis
Kassel auf den Wahlkampf um die Mandate in den kommunalen Vertretungen.
Nach § 20 der Städte- und Gemeindeordnung schied alle zwei Jahre ein Drittel
der Stadtverordneten und Gemeindevertreter aus. Die führenden
Sozialdemokraten im Wahlverein hofften, durch intensive Wahlagitation bei den
Ersatzwahlen im November 1899 eine Reihe von Sitzen in den
Kommunalparlamenten zu gewinnen, obwohl die Arbeiterschaft und die
Anhänger der Sozialdemokratie aus dem unteren Bürgertum durch das
Dreiklassenwahlrecht benachteiligt waren. Sie konnten nur in der dritten Klasse
wählen und mussten dafür ein jährliches Einkommen von mehr als 660 Mark
nachweisen oder mit einem fiktiven Steuersatz von mindestens 4 Mark zur
Staatseinkommenssteuer veranlagt werden.
In ihrer Hochburg, dem Landkreis Kassel, war die SPD erfolgreich. Im Jahre 1900
waren in 18 Gemeinden des Kreises von 211 Gemeindevertretern schon 60
Sozialdemokraten.
Ergebnisse Reichtagswahl 1899
Politische
Richtung
Parteien Wählerstimmen Sitze im Reichstag
in Mio.
Anteil
gegenüber
1893
Absolut
Anteil
gegenüber
1893
Deutschkonservative
Partei (DKP)
0,859 11,1% -2,4% 56 14,1% -16
Konservative Deutsche
Reichspartei (DRP)
0,344 4,4% -1,3% 22 5,5% -6
Rechts-
Nationalliberale
Partei (NLP)
0,971 12,5% -0,5% 48 12,1% -4
Liberale
Freisinnige
gemäßigt Vereinigung (FVg)
0196 2,5% -0,9% 13 3,2% 0
links
Freisinnige
+5
0,558 7,2% -1,5% 29 7,3%
Volkspartei (FVp)
links
Deutsche
Volkspartei (DtVP)
0,109 1,4% -0,8% 8 2,0% -3
Katholiken Zentrumspartei 1,455 18,8% -0,3% 102 25,7% +6
Sozialisten
Sozialdemokraten
(SPD)
2,107 27,2% +3,9% 56 14,1% +12
unabhängige Regionalparteien 0,407 6,1% +0,1% 35 8,8% 0
unabhängige Bauernparteien 0,251 3,2% +2,3% 11 2,8% +7
unabhängige Antisemitenparteien 0,284 3,7% +0,3% 13 3,3% -3
Sonstige 0,148 1,9% -1,1% 0
Wahlprogramm 1900:
• gleiches, direktes, geheimes Wahlrecht für Männer und Frauen ab 20
Jahre,
• Wahlen an Sonn- oder Feiertagen, damit kein Verdienstausfall besteht,
• volle Selbstverwaltung der Gemeinden gegenüber den staatlichen
Verwaltungsbehörden,
• Gleichstellung der ländlichen Arbeiter, Beseitigung der Gesindeordnungen
mit ihren Freiheitsbeschränkungen,
• unentgeltliche Lehrmittel, unentgeltliche ärztliche Hilfe und
unentgeltliche Leichenbestattung für Unbemittelte,
• Verstaatlichung des Versicherungswesens (z.B. Vieh-, Hagel-,
Brandversicherung usw.),
• angemessene Entschädigung für Manöverschäden,
• Abschaffung des Bürgerrechtsgeldes (davon war u.a. die
Wahlberechtigung abhängig),
• Öffnung der Gemeindesäle für alle Versammlungen von Parteien und
Vereinen, Steuerbefreiung für niedrige Einkommen,
• Abschaffung indirekter Verbrauchs- und Vergnügungssteuern.
• Einführung progressiver Einkommens- und Vermögenssteuern,
• Bau von Wasserleitungen, Ausbau der Feuerwehr und des
Verkehrswesens,
• Pflege des Schul- und Unterrichtswesens, hinreichende Anstellung von
Lehrpersonal, Einrichtung von Fach- und Fortbildungsschulen sowie
Kindergärten, Verbesserung der Armenpflege und Unterstützung
Bedürftiger,
• Abschaffung behördlicher Bevormundung gegen Gastwirte und Publikum.
1909 Im neuen Rathaus der Stadt Kassel gab es erst 7 Stadtverordnete der SPD,
darunter Philipp Scheidemann. Er reimte den kritischen Spottvers in der
Kasseler Mundart:
Kasseler Dreiklassenhus!
Was hot das for´n Sinn?
Die armen Luder bliewen drus,
die Reichen kommen nin!
Philipp Scheidemann, Politiker (SPD), * Kassel
26.7.1865, + Kopenhagen 29.11.1939; Buchdrucker,
später Journalist; 1903-1918 MdR, seit 1911 im
Vorstand der SPD, seit 1913 einer der Führer der
sozialdemokratischen Fraktion im Reichstag, vertrat die
gemäßigte, von der Mehrheit seiner Partei getragene
politische Linie. Nach Ausbruch der
Novemberrevolution rief Stresemann am 9.11.1918 die
Republik aus und war Mitglied
Philip Scheidemann
des Rates der
Volksbeauftragten (November 1918 bis Januar 1919).
1919-20 gehörte er der Weimarer
Nationalversammlung, 1920-33 dem Reichstag an. Seit
Februar 1919 Ministerpräsident an der Spitze einer
Koalition aus SPD, Zentrum und DDP, trat Scheidemann
schon im Juni 1919 zurück, da er den Versailler
Friedensvertrag für unannehmbar hielt. 1920-25 war er
Gustav Stresemann
Oberbürgermeister von Kassel. Unter dem Eindruck der
einsetzenden nationalsozialistischen Diktatur ging er 1933 ins Exil.
Wie berechtigt diese Kritik war, ist an der Verteilung der Kasseler Bevölkerung
auf die Wählerklassen zu erkennen: zur ersten Wählerklasse gehörten ca. 5%,
zur zweiten etwa 12% und zur dritten rund 83% der Stadtbewohner.
Das Wahlrecht gewährleistete, dass die große Mehrheit der Bevölkerung in den
Gemeindevertretungen nur durch eine kleine Minderheit repräsentiert werden
konnte. Und diese Minderheit wurde regelmäßig von der bürgerlichen Mehrheit
der Gemeindevertreter überstimmt, wenn sie die Interessen der
Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen versuchte.
1912 Die nordhessischen Sozialdemokraten begannen in Kassel mit ihrer
politischen Frauenarbeit.
1913 50 Jahre Sozialdemokratie
1914 - 1918 Erster Weltkrieg
1918 (8./9. November) In zahlreichen hessischen Städten bilden sich
revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte. Auch in Kassel geben die in der Nacht
vom 8. zum 9. November 1918 eingetroffenen revolutionären Matrosen den
Anstoß zur Gründung eines SPD- geführten Arbeiter- und Soldatenrats. Ihm
ordnen sich noch am 9.11. Staats- und Stadtverwaltung sowie das
Generalkommando des 11. Armeekorps unter.
1918 (9. November) Der sozialdemokratische Minister Philipp Scheidemann ruft
die deutsche Republik aus.
1919 (1. Januar) Einführung des Achtstundentages.
1919 (11. August) Die neue deutsche Republik erhielt ihre Formung durch die
Weimarer Verfassung. Der erste Artikel war der grundlegende: Das Deutsche
Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Das
Dreiklassenwahlrecht wird aufgehoben und das Frauenwahlrecht eingeführt.
Das gleiche, geheime und direkte Wahlrecht steht allen über zwanzig Jahre alten
deutschen Männern und Frauen zu.
Die Organisation der Sozialdemokratie in Nordhessen
Der nordhessischen SPD lag eine revolutionäre Politik fern. Sie orientierte sich
hauptsächlich an den Reformzielen des Erfurter Programms (1869).
Die Arbeit in Nordhessen konzentrierte sich in den 1890er Jahren vor allem
darauf, ein Organisationsnetz aufzubauen, mit dem sie Mitgliederstärke,
Ausdehnung in der Region und politische Durchsetzungsfähigkeit zu erreichen
hoffte. In den noch von Landwirtschaft, Handwerk und Kleingewerbe geprägten
nordhessischen Kreisen gab es erst eine kleine Zahl von Sozialdemokraten, und
diese waren nicht in Vereinen zusammengeschlossen. Landarbeiter und Gesinde
konnten bis dahin nicht für die Arbeiterbewegung interessiert werden.
Die Organisationsmöglichkeiten der Sozialdemokratie waren durch das
„Verbindungsverbot“ der preußischen Vereinsgesetze eingeschränkt. Die
Parteiorganisation musste sich auf das Reichstagswahlgesetz stützen. Dieses
erlaubte gemäß § 17 Wahlvereine für die Reichstagswahlen. Ziel der
nordhessischen Sozialdemokraten war es, in allen Wahlkreisen ihres Gebietes
Wahlvereine zu gründen und zu wirkungsvollen Organisationen zu entwickeln.
Da neben dem Wahlverein keine lokale Parteiorganisation erlaubt war, musste
der örtliche Vertrauensmann die Verbindung zwischen den Parteimitgliedern
und der Parteileitung aufrechterhalten. Die Vertrauensmänner wurden, wo es
möglich war, in öffentlichen Versammlungen der Parteimitglieder, sogenannten
Volksversammlungen gewählt.
Auf dem Lande, wo es in vielen Orten nur wenige Sozialdemokraten gab, wurde
der Vertrauensmann von der Agitationskommission eingesetzt. Auf dem II.
Hessischen Parteitag der Sozialdemokraten, am 3. Januar 1892 in Melsungen,
mit 35 Delegierten aus 18 Orten, wurde eine zentrale dreiköpfige
Agitationskommission mit Sitz in Kassel gewählt.
Im Laufe der 1890er Jahre entwickelte die SPD ein lebendiges
sozialdemokratisches Vereinswesen, insbesondere in Kassel. Zu den sozialen,
kulturellen und geselligen Vereinen, die schon während des Sozialistengesetzes
in den 1880er Jahren entstanden waren, kamen eine Reihe Neugründungen.
Nach und nach bildete sich ein eigenes Kulturleben der Arbeiterschaft. Wie aus
ihren Namen ersichtlich, entstanden Vereine mit wirtschaftlichen, sozialen,
kulturellen und sportlichen Zielsetzungen. Konsum-, Spar- und Bauvereine
bezweckten, die wirtschaftliche Lage der Arbeiter verbessern zu helfen, z.B.
durch preisgünstigeren Einkauf von Lebensmitteln, Sparen für Anschaffungen
und Bau von Wohnungen zu erschwinglichen Mieten. Der Sanitätsverein sorgte
für die freie ärztliche Behandlung der Mitglieder. Zu den Kulturvereinen
gehörten Lesevereine sowie eine Vielzahl von Gesangvereinen. Die meisten
Gesangvereine der Arbeiterbewegung in Nordhessen schlossen sich 1893 zum
Hessischen Arbeiter-Sängerbund zusammen. Im Sängerbund wurden
gemeinsam Arbeiterlieder geübt, die auf größeren Festlichkeiten der SPD und
der Gewerkschaften im Freien oder in großen Sälen vorgetragen werden sollten.
Die populärsten Arbeiter-Sportvereine waren in dieser Zeit die Arbeiter-
Turnvereine sowie der „Arbeiter-Radfahrer-Verein“.
Sozialdemokratische Vereine waren die organisatorische Grundlage der SPD in
der Stadt und im Kreis. Sie hatten zugleich gesellschafts- und kulturpolitische
Bedeutung für die Arbeiterschaft. Sie wollten die Arbeiter vom Alkohol weg- und
aus den Kneipen herausbringen, die vorher für manche die einzige gesellige
Ausfüllung ihrer kargen Freizeit am Wochenende boten. Die freie Zeit der
Arbeiter sollte mit Bildung und politischer Aufklärung, aber auch mit
Unterhaltung und Geselligkeit ausgefüllt werden. Anders als die reinen
Wahlvereine, die im engeren Sinne politisch waren, sprachen die Bildungs-,
Kultur- und Sportvereine nicht nur die Männer, sondern alle Mitglieder der
Arbeiterfamilien an. Sie stärkten so den familiären Zusammenhalt und förderten
ein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Arbeiterbevölkerung.
Zudem war es Absicht der sozialdemokratischen Vereine, die Arbeiter aus den
örtlichen bürgerlich, bäuerlich oder kirchlich geprägten Land-, Kultur-,
Vergnügungs- und Sportvereinen herauszuhalten. Sie wollten vielmehr selbst
über die Industriearbeiterschaft hinaus, die nur eine Minderheit der
nordhessischen Bevölkerung ausmachte, auch Handwerksgesellen,
Kleinmeister, Landarbeiter sowie Angehörige kleinbäuerlicher und
kleinbürgerlicher Schichten für die Vereinsaktivitäten gewinnen und schließlich
an die Politik der Sozialdemokratie heranführen.
Auf der Grundlage des vom Parteitag in Jena (1905) angenommenen
Organisationsstatus beschlossen die sozialdemokratischen Agitationsbezirke
Frankfurt und Kassel, in der Provinz Hessen-Nassau und dem Fürstentum
Waldeck eine gemeinsame Parteiorganisation zu bilden. Am 28.11.1905 wurde
auf dem Provinzialparteitag für Hessen-Nassau und Waldeck in Frankfurt die
„Landesorganisation der sozialdemokratischen Partei in Hessen-Nassau“
gegründet. Die Neuorganisation des Agitationsbezirks Kassel wurde auf dem 15.
Hessischen Parteitag am 10.12.1905 in Kassel beschlossen. Aus dem locker
verbundenen Agitationsbezirk Kassel sollte ein straffer organisierter
leistungsfähiger nordhessischer Bezirksverband mit einem hauptamtlichen
Parteisekretär werden. An die Spitze des Bezirksverbands trat die gewählte
Agitationskommission. Die Organisationsebene unter dem Parteibezirk bestand
aus den sozialdemokratischen Kreiswahlvereinen in jedem der sechs Wahlkreise.
Die Basis der Parteiorganisation sollten die Ortsvereine bilden, die als Filialen des
Wahlvereins in allen Orten gegründet werden sollten, wo es mindestens zehn
Genossen gab. Bürgervereine sollten nicht länger als sozialdemokratische
Organisationen gelten. Ab Anfang November 1905 wurden bereits
Bürgervereine (so der Bürgerverein Niederzwehren) aufgelöst bzw. in SPD-
Ortsvereine umgewandelt.
Der Kreiswahlverein Kassel- Melsungen - und darin die Kasseler
Parteiorganisation - war mit fast zwei Drittel aller Parteimitglieder das politische
Zentrum des nordhessischen Agitationsbezirks. Das war einerseits Ergebnis der
intensiven Agitationsarbeit der Kasseler Sozialdemokraten, andererseits war
auch die Arbeiterschaft in der Stadt Kassel und ihrem Umland durch die
zunehmende Industrialisierung und die Zuwanderung von Arbeitskräften aus der
Provinz und anderen Gebieten beträchtlich gewachsen. Im Jahre 1907 nach der
Eingemeindung von Bettenhausen, Rothenditmold, Kirchditmold und
Wahlershausen (1907) war nur ein Viertel der in Kassel Arbeitenden in dieser
Stadt geboren. Etwa ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung in Kassel waren
Nahwanderer. Die große Mehrheit der nordhessischen Arbeiter kam aus dem
ländlichen Bereich und war in ihrer Mentalität durch die sozialen
Lebensverhältnisse des Heimatortes geformt. Die Arbeiter in den mehr ländlich
geprägten nordhessischen Kleinstädten und Dörfern hatten zum Teil
landwirtschaftlichen Kleinstbesitz und fühlten sich nicht als entwurzelte und
besitzlose Proletarier. Die Einbindung der Arbeiterschaft in die ländlich-dörfliche
Sozialstruktur zeigte sich auch daran, dass selbst gewerkschaftlich organisierte
Arbeiter, ja sogar Sozialdemokraten, Mitglieder von Kriegervereinen waren.
Immer wieder mahnten die sozialdemokratische Führung des Agitationsbezirks,
die Reichstagskandidaten, die Gewerkschaftsvorsitzenden und das Volksblatt
der Arbeiter, nicht den Militärvereinen anzugehören. Ein weiteres Kennzeichen
der Arbeiterschaft in Nordhessen war die traditionelle Wanderarbeit, sei es als
Nahwanderung zur nächsten Stadt oder zur immer mehr industrialisierten
Großstadt Kassel (seit 1900)), sei es als Fernwanderung in Industriegebiete, z.B.
nach Rheinland-Westfalen. Ländliche Herkunft und Prägung, Bindung an das
soziale Leben im Dorf oder in der Kleinstadt, an die Kirchengemeinde und die
ländlichen Vereine sowie hohe Fluktuation in der Arbeiterschaft können
Ursachen dafür sein, dass die nordhessischen Sozialdemokraten vor allem der
praktisch-reformistischen Politik und einer gewerkschaftlichen Orientierung
zuneigten und weniger der Beschäftigung mit politischen und ökonomischen
Theorien und dem revolutionären Klassenkampf.
Bis zum Anfang des Ersten Weltkrieges war die sozialdemokratische
Parteiorganisation im nordhessischen Agitationsbezirk ständig stärker
geworden. Schon nach 1900 waren neue Ortsvereine und Untergliederungen
der Kreiswahlvereine gegründet worden, so 1902 in Oberkaufungen, 1903 in
Nieste, 1906 in Oberzwehren, 1907 in Harleshausen, 1908 in Heiligenrode, 1909
in Altenbauna, 1917 in Vollmarshausen.
Wahlplakate der SPD
1919
1920
1924
1928
1930
1932
1945 – 1949
1949
1953
Um 1955
1957
1961
1965
1969
1973
1976
1980
1983
1987
1990
1994
1998
2002
2005
2009
2013
2017