Journalistische Verantwortung in der digitalen Gesellschaft
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
n FAKE NEWS
Damals waren die Dortmunder Neonazis
ebenfalls beteiligt, sogar an der Organisation.
Ein juristisches Nachspiel gab es offenbar
nicht. Wenigstens taucht die widerliche
Parole jetzt im Auflagenbescheid der
Polizei auf, sodass sie künftig nicht mehr
skandiert werden darf. Mittlerweile stehen
viele andere Geschmacklosigkeiten und
Verrohungen mit Verbalangriffen und Verhöhnungen
von Opfern von NS-Gewalt, politisch
Andersdenkender oder der Polizei
auf der „Sperrliste“.
Reißerische Reichweitenbeiträge in
überregionalen Medien
Nicht nur die Stadtgesellschaft in Dortmund
nervt es gewaltig, dass Neonazis es
immer wieder schaffen, für bundesweite
oder sogar internationale
Schlagzeilen zu
sorgen. Nicht wenige
Journalist*innen durchschauen
die Strategie
nicht, es ist ihnen
egal oder sie
sind nur auf Schlagzeilen und Klicks aus.
Der Mechanismus ist immer derselbe: Geplante
Provokationen sorgen für erwartbare
mediale Reaktionen. „SS-Siggi“ als
Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl
schaffte es gar bis in die New York Times.
Anderes wurde bundesweit thematisiert:
Das 25-Punkte-Programm (Anleihe
bei der NSDAP), der „Stadtschutz Dortmund“
als Reaktion auf die groteske
„Scharia-Polizei“ in Wuppertal, die in mehreren
Bundesländern eingesetzten Wahlplakate
mit dem juristisch nicht zu beanstandenden
Spruch „Wir hängen nicht nur
Plakate“, der zu erwartende Aufschrei bei
zahlreichen Ratsanfragen zu Juden, Aidskranken
und Minderheiten, die Kirchturmbesetzung
oder die bekannte Holocaust-Leugnerin
Ursula Haverbeck als
Spitzenkandidatin für die Europawahl. Die
Reihe ließe sich endlos fortsetzen.
Die Splitterpartei, die bei der Kommunalwahl
am 13. September gerade 2.369
Stimmen (1,12 Prozent) bei der Ratswahl
erreichte, kann regelmäßig bundesweit in
verschiedenen Medien auf „dicke
Hose“ machen. Die optischen
und verbalen Provokationen
sind geplant, Demos von den
Führungskadern choreografiert.
So der Pyrotechnikeinsatz
bei der „Antisemit“-Aktion:
Die medialen Reaktionen
waren „so gut“, dass
sie auf ihre Demo am Folgetag verzichteten.
Mehr Öffentlichkeit ging nicht.
„Dortmund Echo“ ist Geschichte –
Neonazis machen in den (a)sozialen
Netzwerken weiter
Ihre Medien-Strategie haben sie übrigens
in den Jahren geändert. Der Nazi-Blog
„DortmundEcho“ wurde kürzlich
am seinem 8. Jahrestag eingestellt.
Das hat verschiedene
Gründe. „Wie kein zweites Medium
deutschlandweit, berichtete
das DortmundEcho aus
rechter Sicht über lokale Nachrichten,
Ereignisse und gab insbesondere
auch den Aktivitäten
der Partei DIE RECHTE Öffentlichkeit,
die in anderen Medien nahezu gänzlich
verschwiegen wurden“, heißt es auf
der Seite.
Allerdings hatte der Blog über Jahre kein
Impressum – auch wenn es offensichtlich
war, konnte man die Macher juristisch nicht
haftbar machen. Erst in jüngster Zeit – nach
Löschung alter Artikel – wurde die Seite
„legalisiert“ und als offizieller Kanal der
Partei genutzt. Damit ist seit dem 14. September
Schluss: „Traditionelle Blogs, das
sogenannte ,Internet 1.0’, wurden durch soziale
Medien ersetzt, deren Reichweiten um
ein vielfaches höher lagen und letztendlich
sogar noch einfacher zu betreuen waren“,
ziehen sie ein ernüchtertes Fazit.
Dabei waren die Neonazis anfangs
selbst die großen Profiteure von asozialen
Netzwerken. Sie erreichten vor allem via
Facebook ein großes Publikum – bis ihre
Präsenz im Jahr 2016 endgültig von der
Plattform nach Nutzer*innen-Beschwerden
gelöscht wurde. Mehr als 12.000
Nutzer*innen folgten der Partei „Die
Rechte“ in Dortmund. Zum Vergleich: Die
meisten demokratischen Dortmunder Parteien
hatten fast nur dreistellige Followerzahlen.
Und selbst die AfD-Fraktion kam
damals auf 1475 Fans.
Der Mechanismus ist
immer derselbe:
Geplante Provokationen
sorgen für erwartbare
mediale Reaktionen
Auch ohne FB geht es für die Rechte online
weiter: Denn der Trend zu Netzwerken
wie Instagram, WhatsApp oder Telegram
schafft hohe Verbreitungsmöglichkeiten.
Aber die Zugriffe auf externe Links sind vergleichsweise
gering, oft werden nur noch
Bilder und Überschriften konsumiert – „das
ist keine erfreuliche Entwicklung, aber eine
Realität, der sich gestellt werden muss“,
schreiben die Neonazis. „In den letzten
zwei Jahren stagnierten die Besucherzahlen
und das DortmundEcho wurde eher
zum Nachschlagwerk für Linke, Journalisten
und Behörden, als zu einem tagesaktuellen
Medium, das in angemessener Form abgerufen
wird.“
36
37