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n FAKE NEWS
Reconquista Internet
Neue Studie zeigt Wirksamkeit
von Gegenrede im Netz *
von Daniel Laufer
Forschende haben an einem Institut
in den USA erstmals in großem
Umfang untersucht, wie sich Gegenrede
im Netz auf Hassrede auswirkt.
Dazu trainierten sie zuerst
anhand von Reconquista Germanica und
Reconquista Internet einen Algorithmus –
und erforschten mit diesem, wie Gegenrede
den Diskurs verändert.
Eine neue Studie deutet darauf hin, dass
organisierte Gegenrede tatsächlich ein
wirksames Mittel gegen Hass im Netz sein
könnte. Wissenschaftler:innen aus dem
Umfeld des Santa Fe Institute haben untersucht,
wie sich Gegenrede in den s ozialen
Medien auf Hassrede auswirkt. Grundlage
für die Erkennung von Hassrede und Gegenrede
waren deutschsprachige Tweets
aus den Netzwerken der rechten Trollarmee
Reconquista Germanica sowie deren Gegenentwurf
Reconquista Internet, der von
Fernsehmoderator Jan Böhmermann initiiert
wurde.
„Die Studie belegt erstmals empirisch,
was wir mit ‚Reconquista Internet‘ praktisch
erfahren haben: Wer organisierten
Hass, rassistische Hetze oder die cleveren
* Erstveröffentlichung: netzpolitik.org, 08. Juni 2020
Diskursverschiebungskampagnen rechtsextremistischer
Netzwerke im Internet
erfolgreich bekämpfen will, muss wissen,
wie diese verdeckten Manipulationsnetzwerke
arbeiten, sie analysieren und gegen
sie aktiv werden“, sagt Böhmermann
netzpolitik.org.
Wirksamkeit von Gegenrede war
bislang kaum erforscht
Der Informatiker Keyan Ghazi-Zahedi hat
während seiner Zeit am Max-Planck-Institut
in Leipzig an der Studie gearbeitet,
gemeinsam mit vier Kolleg:innen aus
den USA – unter ihnen auch eine Soziologin
und sogar ein Epidemienforscher. Am
Santa Fe Institute in New Mexico, an dem
Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichen
Disziplinen zusammenkommen und
vor allem sogenannte komplexe Systeme
erkunden. „Unsere zentrale Frage war:
Bringt Gegenrede im Internet etwas?“, sagt
Ghazi-Zahedi.
Bis zu der Studie, die seit Anfang Juni
als Preprint vorliegt, war dies kaum erforscht.
Es habe hierzu schlichtweg keine
groß angelegten Untersuchungen gegeben,
schreiben die Forschenden.
Hassrede kann ein Algorithmus noch
vergleichsweise leicht erkennen, womöglich
schon anhand des verwendeten
Schimpfwortvokabulars. Doch bei Gegenrede
ist dies deutlich schwieriger. Die Datensätze,
um eine KI wirksam trainieren zu
können, hätten gefehlt. Dieses Problem
wollen die Wissenschaftler:innen nun gelöst
haben.
Fündig geworden sind sie dabei in
Deutschland. „Neben organisierten rechten
Troll-Gruppen gab es hier erstmals
eine organisierte Gegenrede-Gruppe“, so
Ghazi-Zahedi. Dies ermöglichte es den
Wissenschaftler:innen, die Wechselbeziehung
zwischen Hass- und Gegenrede zu erforschen.
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GEGENREDE
Der rechte Mob bläst zum Trollsturm
Die Geschichte dieser der Studie zufolge
einzigartigen Situation geht zurück bis in
die Zeit vor der Bundestagswahl 2017. Damals
bildete sich über den Chatanbieter
Discord das rechte Netzwerk Reconquista
Germanica. Angeführt von einem Mann,
der sich Nikolai Alexander nannte und als
„Oberbefehlshaber“ inszeniert hatte, organisierten
Rechtsextremist:innen hier über
Monate hinweg sogenannte Trollstürme.
In konzertierten Aktionen fluteten sie
die sozialen Medien mit zum Teil menschenverachtender
Propaganda, posteten
massenhaft Kommentare voller Hass unter
den YouTube-Videos politisch Andersdenkender.
Einige Hashtags brachten sie in die
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