18.02.2021 Aufrufe

Zeitschrift quer ver.di Frauen Bayern (1/2021) Ausbeutung steht uns nicht

Weltweit arbeiten in der Textilindustrie ca. 75 Millionen Menschen, der größte Teil davon Frauen. Die Arbeitsbedingungen waren bereits vor Corona verheerend, Hungerlöhne, fehlender Arbeitsschutz, Kinderarbeit sind nur einige Stichworte.

Weltweit arbeiten in der Textilindustrie ca. 75 Millionen Menschen, der größte Teil davon Frauen. Die Arbeitsbedingungen waren bereits vor Corona verheerend, Hungerlöhne, fehlender Arbeitsschutz, Kinderarbeit sind nur einige Stichworte.

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Sweatshops in Europa<br />

Sklavenarbeit in der Textilbranche gibt es <strong>nicht</strong> nur in Schwellenländern, sondern auch in<br />

Europa. Im Kontext der Corona-Pandemie gerieten <strong>di</strong>e katastrophalen Arbeitsbe<strong>di</strong>ngungen<br />

in den Ausbeuterbetrieben (Sweatshops) in den Blick: zwei Beispiele aus Italien und<br />

Großbritannien.<br />

Prato und Leicester sind tra<strong>di</strong>tionelle Zentren<br />

der Tuch- und Textilindustrie. Nachdem <strong>di</strong>e<br />

Produktion in den 90er Jahren in Billiglohnländer<br />

<strong>ver</strong>lagert wurde, kehrte sie im Zuge der<br />

Globalisierung zurück, als vor allem chinesische<br />

Fabrikbetreiber leerstehende Hallen, Läden<br />

und Keller anmieteten und kauften. Vor Ort<br />

und billig produziert, kann sich <strong>di</strong>e „schnelle<br />

Mode“, <strong>di</strong>e wir als Fast Fashion oder Pronta<br />

Moda kennen, noch rascher den neuesten<br />

Trends anpassen. Das steigert den Profit<br />

großer Modeketten und Online-Händler, für <strong>di</strong>e<br />

meist illegale Textilarbeiter*innen unter elenden<br />

Be<strong>di</strong>ngungen schuften: ungeschützte, prekäre<br />

Arbeits<strong>ver</strong>hältnisse, skandalöse Stundenlöhne,<br />

menschenunwür<strong>di</strong>ge Unterkünfte. Aufgedeckt<br />

werden <strong>di</strong>e Zustände meist nur, wenn<br />

Nichtregierungsorganisationen wie „Clean<br />

Clothes“ oder „Labour Behind the Labels“ oder<br />

kritische Zeitungsartikel sie öffentlich machen.<br />

Feuertod in Prato<br />

Am 1. Dezember 2013 starben im Textilbetrieb<br />

„Teresa Moda“ fünf Männer und zwei <strong>Frauen</strong><br />

bei einem Brand, der sie nachts im Schlaf<br />

überraschte. Das Feuer hatte auf ihre Kojen aus<br />

Karton und Gipswänden übergegriffen, bevor<br />

das Dach der Halle einstürzte, in der sämtliche<br />

Sicherheitsbestimmungen außer Acht gelassen<br />

wurden und es keinen Fluchtweg gab. Sie <strong>di</strong>ente<br />

den illegalen chinesischen Textilarbeiter*innen<br />

als Produktionsstätte, Stofflager und Schlafraum.<br />

Mit Betroffenheit und „völlig überrascht“<br />

reagierten <strong>di</strong>e offiziellen Behörden auf <strong>di</strong>e<br />

Tragö<strong>di</strong>e. Schuld sei allein <strong>di</strong>e chinesische<br />

Betreiberin. Sicherheits- und Arbeitsschutz-<br />

Kontrollen durch italienische Behörden gab es<br />

<strong>nicht</strong>. Stattdessen staatlicherseits gelockerte<br />

Sozial- und Lohnstandards. „Niemand kann<br />

ernsthaft behaupten, er wisse <strong>nicht</strong>, was in<br />

Prato vor sich geht“, sagt ein Vertreter der linken<br />

Gewerkschaft CGIL.<br />

Von der Sklavenarbeit der rund 50.000<br />

Chinesen in der 250.000-Einwohner-Stadt<br />

profitieren <strong>nicht</strong> nur Firmen wie H&M, Zara<br />

und Primark, sondern auch Luxusmarken wie<br />

Armani, Valentino oder Max Mara. Seit 2014<br />

haben sich durch den Regionalen Plan für<br />

Sichere Arbeit einige Verbesserungen der<br />

Schutzvorkehrungen ergeben: „Heute sterben<br />

zwar weniger Menschen bei der Arbeit, doch in<br />

vielen Fällen wird <strong>di</strong>e Menschenwürde <strong>ver</strong>letzt<br />

und mit Füßen getreten“, lautet das Fazit eines<br />

Arbeitsrichters im Dezember 2019.<br />

Corona-Skandal in Leicester<br />

Leicester ist ein Zentrum der britischen Textilindustrie<br />

mit ca. 1.500 Betrieben und rund 10.000<br />

Beschäftigten, mehrheitlich <strong>Frauen</strong>. Die meisten<br />

arbeiten ohne Vertrag über ein System der<br />

Unterauftrags<strong>ver</strong>gabe, das sich der Kontrolle<br />

durch Zoll und Gewerbeaufsicht entzieht. Sie<br />

produzieren Billigmode für Firmen wie Boohoo<br />

zu Stundenlöhnen, <strong>di</strong>e mit 3,50 Pfund weit unter<br />

dem Mindestlohn (8,72 Pfund) liegen. Dass<br />

<strong>nicht</strong> korrekt abgerechnet und ausstehende Gelder<br />

<strong>nicht</strong> bezahlt wurden, ist der Regierung seit<br />

Jahren bekannt. Neu war in <strong>di</strong>esem Jahr nur,<br />

dass <strong>di</strong>e Textilarbeiter*innen während des Corona-Lockdowns<br />

noch mehr schuften mussten,<br />

um <strong>di</strong>e gestiegene Zahl der Online-Bestellungen<br />

zu bewältigen. Ohne selber gesundheitliche<br />

Vorsichtsmaßnahmen, Maskenpflicht und<br />

Abstandsregeln einhalten zu können. Daher<br />

grassierte <strong>di</strong>e Infektion ähnlich wie in Schlachtbetrieben.<br />

Doch warum arbeiten Menschen unter <strong>di</strong>esen<br />

Be<strong>di</strong>ngungen? Für viele ist es <strong>di</strong>e einzige Möglichkeit,<br />

ihren Lebensunterhalt zu <strong>ver</strong><strong>di</strong>enen.<br />

Hinzu kommt, dass illegale Migranten und Geflüchtete<br />

zur „Abschreckung“ keine staatliche<br />

Unterstützung erhalten und keine Arbeitserlaubnis<br />

haben. „Wenn <strong>di</strong>e Regierung sicherstellen<br />

würde, dass jeder genug Geld zum Überleben<br />

der Pandemie hätte, wäre niemand in <strong>di</strong>e Fabriken<br />

gegangen“, erklärt eine Betroffene.<br />

Quellen:<br />

Walburga Rempe<br />

Prato: Holger Diedrich in „Peppermynta“ 16.3.20/<br />

Tobias Piller, FAZ-Net 2.12.13<br />

Leicester: Clau<strong>di</strong>a Webbe, Labournet 5.8.20/Archie<br />

Bland, The Guar<strong>di</strong>an 28.8.20/Bettina Schulz, ZEIT<br />

8.7.20<br />

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