18.02.2021 Aufrufe

Zeitschrift quer ver.di Frauen Bayern (1/2021) Ausbeutung steht uns nicht

Weltweit arbeiten in der Textilindustrie ca. 75 Millionen Menschen, der größte Teil davon Frauen. Die Arbeitsbedingungen waren bereits vor Corona verheerend, Hungerlöhne, fehlender Arbeitsschutz, Kinderarbeit sind nur einige Stichworte.

Weltweit arbeiten in der Textilindustrie ca. 75 Millionen Menschen, der größte Teil davon Frauen. Die Arbeitsbedingungen waren bereits vor Corona verheerend, Hungerlöhne, fehlender Arbeitsschutz, Kinderarbeit sind nur einige Stichworte.

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Nach Protesten reagierte <strong>di</strong>e Regierung im letzten<br />

Jahr mit der größten Repressionswelle seit<br />

Jahren. Mehr als 11.000 Arbeiter*innen wurden<br />

entlassen, gegen mehr als 3.000 laufen willkürliche<br />

Verfahren, 69 „Rädelsführer*innen“ wurden<br />

<strong>ver</strong>haftet.<br />

Gängige Praxis ist auch das Verschwinden<br />

von Gewerkschafter*innen, <strong>di</strong>e Vorsitzende<br />

der Textilarbeiter*innengewerkschaft<br />

wurde 2018 in Isolationshaft genommen.<br />

Auch <strong>di</strong>e NGWF (National Garment Workers Federation)<br />

sieht klare Verstöße gegen geltendes<br />

Arbeitsrecht. Es wird gegen Arbeiter*innen vorgegangen,<br />

<strong>di</strong>e sich organisieren und in den Fabriken<br />

für Arbeitsrechte engagieren. Beim Versuch,<br />

Betriebsgewerkschaften zu bilden, gibt es<br />

gezielte Entlassungen.<br />

Dagmar Fries,<br />

Kolleginnen des AK Heinz Huber<br />

Nazia Lahiri*<br />

Ich bin Nazia Lahiri aus Brahmanbaria im Norden von Bangladesch. Seit fast zwei Jahren arbeite ich in der<br />

Textilfabrik in Dhaka. Die Busreise von zu Hause nach Dhaka dauert 7 Stunden und kostet so viel, wie ich in<br />

zwei Tagen <strong>ver</strong><strong>di</strong>ene, deshalb habe ich meine Familie in der ganzen Zeit nur zweimal besuchen können. Mein<br />

Kind ist bei der Familie, ich arbeite in der Fabrik, damit Sa<strong>di</strong>a einmal ein besseres Leben hat. Ich <strong>ver</strong>misse<br />

sie <strong>di</strong>e ganze Zeit. Meine Familie hat große Schulden, weil meine Mutter krank geworden ist und wir das<br />

Geld für den Arzt bei Kre<strong>di</strong>thaien leihen mussten – ich nähe praktisch gegen <strong>di</strong>e Schulden meiner Eltern an.<br />

[…]<br />

Ich bin jeden Tag 14 Stunden in der Fabrik, außer sonntags. Wenn jemand einen Fehler macht oder<br />

eine Panne passiert, müssen wir umsonst Überstunden machen, weil <strong>di</strong>e Zielvorgaben erreicht werden<br />

müssen. So kommen manchmal 80 Stunden in der Woche zusammen. Nachtarbeit ist zwar eigentlich<br />

für <strong>Frauen</strong> <strong>ver</strong>boten, aber weil <strong>di</strong>e Schulden bezahlt werden müssen, gehe ich wenn möglich zur Nachtschicht.<br />

Die Maschinen rattern rund um <strong>di</strong>e Uhr, da <strong>ver</strong>gisst der Aufseher manchmal das Nachtarbeits<strong>ver</strong>bot.<br />

Und er ist <strong>nicht</strong> so schlimm wie sein Vorgänger, der für Vergünstigungen immer Sex haben wollte.<br />

[…]<br />

Krank werden dürfen wir eigentlich gar <strong>nicht</strong>, denn wir haben alle keine richtigen Arbeits<strong>ver</strong>träge, und wer<br />

krank wird, wird sofort entlassen. Auch wenn bei der Arbeit ein Unfall passiert, bekommen wir keine Unterstützung<br />

– und es passieren viele Unfälle. Meine Cousine Parvin hat in der Fabrik Rana Plaza gearbeitet, <strong>di</strong>e<br />

2013 eingestürzt ist. Durch <strong>di</strong>e Trümmer ist ihr Bein zerquetscht worden, und sie kann <strong>nicht</strong> mehr arbeiten.<br />

Bis heute hat sie keine Entschä<strong>di</strong>gung erhalten, auch kein Geld für <strong>di</strong>e me<strong>di</strong>zinische Versorgung. Das heißt,<br />

<strong>di</strong>e Schulden wachsen, und ihre Familie hat keinen Ernährer mehr.<br />

[…]<br />

Sanjana Kumar*<br />

Ich bin Sanjana Kumar aus einem kleinen Dorf<br />

in In<strong>di</strong>en. Ich bin siebzehn Jahre alt und arbeite<br />

seit fast zwei Jahren in einer Kleiderfabrik in Tamil<br />

Nandu. Als der Werber in <strong>uns</strong>er Dorf kam, hat er<br />

<strong>uns</strong> <strong>ver</strong>sprochen, dass wir für <strong>uns</strong>ere Arbeit einen<br />

guten Lohn bekommen und nach drei Jahren eine<br />

Abfindung, <strong>di</strong>e wir als Mitgift in <strong>di</strong>e Ehe nehmen<br />

können. Meine Familie ist sehr arm, <strong>di</strong>e Aussicht,<br />

für <strong>di</strong>e nächsten drei Jahre dafür sorgen zu können,<br />

dass meine Eltern und meine jüngeren Geschwister<br />

genug zu essen haben, war Grund genug,<br />

den Vertrag zu unterschreiben.<br />

Seitdem bin ich in der Fabrik eingesperrt und<br />

kenne <strong>nicht</strong>s anderes als Arbeit und Schlafen.<br />

Aller<strong>di</strong>ngs nie genug Schlaf – Überstunden sind<br />

<strong>ver</strong>pflichtend, um das Soll zu erfüllen. Wer müde<br />

ist, bekommt eine Spritze. Sogar wenn wir auf <strong>di</strong>e<br />

Toilette gehen, kontrollieren <strong>uns</strong> <strong>di</strong>e Aufseher. Die<br />

Aufseher sind alles Männer, und schon zweimal<br />

hat einer mir unter den Rock gefasst. Was nützt<br />

mir eine Mitgift, wenn mich vor der Ehe so ein<br />

Mann entehrt? Viele von <strong>uns</strong> wurden auch schon<br />

geschlagen.<br />

Dafür, dass wir auf dem Fabrikboden schlafen und<br />

schlechtes Essen bekommen, wird <strong>uns</strong> von dem<br />

<strong>ver</strong>sprochenen Lohn so viel abgezogen, dass im<br />

Jahr nur etwas mehr als 300 Euro bezahlt werden.<br />

Viele der Mädchen, <strong>di</strong>e mit mir angekommen<br />

sind, sind <strong>nicht</strong> mehr hier. Einige haben sich bei<br />

der Arbeit mit den Maschinen <strong>ver</strong>letzt und wurden<br />

gefeuert, ein paar sind weggelaufen, weil sie es<br />

<strong>nicht</strong> mehr ausgehalten haben, und drei haben<br />

sich umgebracht.<br />

* Beide Beiträge wurden auf der Grundlage realer<br />

Erfahrungsberichte zusammengestellt von Kolleginnen<br />

des AK Heinz Huber zu einer Theateraufführung<br />

am Internationalen <strong>Frauen</strong>tag 2019.<br />

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