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BOKU Magazin 1/2021

Inhaltsverzeichnis 3 Rektor Hasenauer zu Forschung für eine plastikarme Zukunft 4 Gastkommentar von EU-Kommissionsvertreter Martin Selmayr 6 Interview Werner Boote, Regisseur „Plastic Planet” 10 Lösen Biokunststoffe unser Plastikproblem? 12 Was Kunststoffe für die Kreislaufwirtschaft bedeuten 16 Enzyme als Retter in der Not? 18 Kunststoffe gewinnen 20 Mikroplastik überall nachweisbar 23 BOKU-Film „Plastic Age – Forever?” 24 Kenia: Weg mit dem Plastik! 26 „PlasticFreeDanube“: Die Spur der Flaschen 28 Interview Helmut Habersack zu Renaturierung 30 Forscherporträt: Fridolin Krausmann 33 „Kistl Kreisl“: Nachhaltigkeit To Go 34 Ein Jahr Lehre und Corona 37 Umbenennung KTWW 40 EPICUR: Interview mit Rektor Hasenauer 42 Das erste gemeinsames Seminar mit EPICUR-Partne Freiburg 44 Die Ziele von EPICUR 45 Studierende zu erster EPICUR-Lehrveranstaltung 46 Workshop: Werte und Nachhaltigkeit in der Lehre 48 Splitter 50 Forschung FAQ 51 Strategische Kooperation BOKU – Umweltbundesamt 52 Core Facilities: Multi Imaging und Mass Spectronomy 54 Forschungskennzahlen 54 BOKU-Technologietransfer: Erfolge 2020 56 Preisverleihungen: Erfinder*in des Jahres / Erfindung des Jahres / Start-up des Jahres / Innovation Award 58 Green Care: Forschungsprojekt IRMA

Inhaltsverzeichnis

3 Rektor Hasenauer zu Forschung für eine plastikarme Zukunft
4 Gastkommentar von EU-Kommissionsvertreter Martin Selmayr
6 Interview Werner Boote, Regisseur „Plastic Planet”
10 Lösen Biokunststoffe unser Plastikproblem?
12 Was Kunststoffe für die Kreislaufwirtschaft bedeuten
16 Enzyme als Retter in der Not?
18 Kunststoffe gewinnen
20 Mikroplastik überall nachweisbar
23 BOKU-Film „Plastic Age – Forever?”
24 Kenia: Weg mit dem Plastik!
26 „PlasticFreeDanube“: Die Spur der Flaschen
28 Interview Helmut Habersack zu Renaturierung
30 Forscherporträt: Fridolin Krausmann
33 „Kistl Kreisl“: Nachhaltigkeit To Go
34 Ein Jahr Lehre und Corona
37 Umbenennung KTWW
40 EPICUR: Interview mit Rektor Hasenauer
42 Das erste gemeinsames Seminar mit EPICUR-Partne Freiburg
44 Die Ziele von EPICUR
45 Studierende zu erster EPICUR-Lehrveranstaltung
46 Workshop: Werte und Nachhaltigkeit in der Lehre
48 Splitter
50 Forschung FAQ
51 Strategische Kooperation BOKU – Umweltbundesamt
52 Core Facilities: Multi Imaging und Mass Spectronomy
54 Forschungskennzahlen
54 BOKU-Technologietransfer: Erfolge 2020
56 Preisverleihungen: Erfinder*in des Jahres / Erfindung des Jahres / Start-up des Jahres / Innovation Award
58 Green Care: Forschungsprojekt IRMA

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<strong>BOKU</strong><br />

DAS MAGAZIN DER UNIVERSITÄT DES LEBENS<br />

Nr. 1 | März <strong>2021</strong><br />

ISSN: 2224-7416<br />

PLASTIK<br />

Wege aus der globalen<br />

Kunststoffhalde<br />

GASTKOMMENTAR<br />

MARTIN SELMAYR<br />

EU-KOMMISSION<br />

PFAND, RECYCLING, ENZYME<br />

<strong>BOKU</strong>-FORSCHUNG ZU<br />

PLASTIK UND ALTERNATIVEN<br />

„PLASTIC PLANET“<br />

FILMEMACHER WERNER<br />

BOOTE IM INTERVIEW


INHALT<br />

Adobe Stock (5)<br />

3 Rektor Hasenauer zu Forschung für<br />

eine plastikarme Zukunft<br />

4 Gastkommentar von EU-Kommissionsvertreter<br />

Martin Selmayr<br />

6 Interview Werner Boote,<br />

Regisseur „Plastic Planet“<br />

10 Lösen Biokunststoffe unser globales<br />

Plastikproblem?<br />

12 Was Kunststoffe für die Kreislaufwirtschaft<br />

bedeuten<br />

16 Retter in der Not? Enzyme für eine<br />

nachhaltige Plastik-Kreislaufwirtschaft<br />

18 Kunststoffe gewinnen<br />

20 Mikroplastik überall in der Umwelt<br />

nachweisbar<br />

23 <strong>BOKU</strong>-Film „Plastic Age – Forever?“<br />

24 Kenia: Weg mit dem Plastik<br />

26 „PlasticFreeDanube“:<br />

Die Spur der Flaschen<br />

28 Interview Helmut Habersack<br />

zu Renaturierung<br />

30 Forscherporträt: Fridolin Krausmann<br />

33 „Kistl Kreisl“: Nachhaltigkeit to go<br />

34 Ein Jahr Lehre und Corona<br />

37 Umbenennung KTWW<br />

40 EPICUR: Interview mit<br />

Rektor Hasenauer<br />

42 Das erste gemeinsame Seminar mit<br />

EPICUR-Partnerin Freiburg<br />

44 Die Ziele von EPICUR<br />

45 Studierende zu erster EPICUR-<br />

Lehrveranstaltung<br />

46 Workshop: Werte und Nachhaltigkeit<br />

in der Lehre<br />

48 Splitter<br />

50 Forschung FAQ<br />

51 Strategische Kooperation <strong>BOKU</strong>–<br />

Umweltbundesamt<br />

52 Core Facilities: Multiscale Imaging<br />

und Mass Spectronomy<br />

54 Forschungskennzahlen<br />

56 Preisverleihungen: Erfinder*in des<br />

Jahres – Erfindung des Jahres – Start-up<br />

des Jahres – Innovation Award<br />

58 Green Care: Forschungsprojekt IRMA<br />

pixabay<br />

6<br />

12<br />

30<br />

54<br />

20<br />

42


EDITORIAL<br />

Georg Wilke<br />

u FORSCHUNG FÜR EINE<br />

PLASTIKARME ZUKUNFT<br />

HUBERT HASENAUER<br />

Rektor<br />

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!<br />

Liebe Studierende!<br />

Wer von uns hat das nicht schon gesehen: Plastikflaschen,<br />

die am Straßenrand liegen sowie Plastikberge<br />

im Müll. Viele Kosmetika sowie Kleidungen enthalten<br />

ebenfalls Kunststoffe und durch die vermehrte Verwendung<br />

von Fertigprodukten steigt der Verpackungsanteil und damit<br />

der Plastikverbrauch weiter an.<br />

Der Vorteil von Plastik ist die Haltbarkeit, dies ist aber auch der<br />

große Nachteil, denn der Abbau, etwa von einem Plastiksack,<br />

dauert bis zu 20 Jahre, bei PET-Flaschen dauert es noch viel<br />

länger. Damit entstehen enorme globale Umweltprobleme, wie<br />

„Plastikinseln“ in unseren Ozeanen sowie Verunreinigungen in<br />

unseren Böden, Flüssen, Seen, bis hin zum Eis der Gletscher, wo<br />

Kunststoffe in Form von Mikroplastik die Umwelt belasten. In<br />

weiterer Folge werden Lebensmittel verunreinigt und Plastik<br />

gelangt in unsere Nahrungskette und damit in unsere Körper.<br />

Besonders problematisch sind beigemischte Zusatzstoffe, etwa<br />

Weichmacher, die unter anderem das Krebsrisiko erhöhen oder<br />

hormonell wirken.<br />

Der Langlebigkeit von Kunststoffprodukten steht ihre meist<br />

nur kurzzeitige Nutzung im Stoffkreislauf gegenüber. Das gilt<br />

es zu ändern. In Österreich wird gerade über ein Pfandsystem<br />

für Plastikflaschen diskutiert, mit Jahresbeginn ist ein EUweites<br />

Verbot von Einwegplastik in Kraft getreten. Übrigens<br />

hat – als eines der ersten Länder – Kenia im Jahre 2017 ein<br />

Verbot von Plastiksackerln eingeführt. Was häufig übersehen<br />

wird: Kunststoffe sind auch in vielen anderen Produkten beigemischt,<br />

was das Recycling deutlich erschwert beziehungsweise<br />

unmöglich macht. Unabhängig von diesen Risiken ist<br />

die Nachfrage ungebrochen und Prognosen gehen davon aus,<br />

dass die Kunststoffproduktion im Jahr 2025 auf 600 Millionen<br />

Tonnen ansteigen wird.<br />

Als Universität, die sich seit 1872 der Nachhaltigkeit widmet,<br />

arbeitet die <strong>BOKU</strong> beim Thema Kunststoff an Lösungen zum<br />

Ersatz von Plastikprodukten, um damit einen Beitrag zum<br />

Schutz der Umwelt zu leisten. Unser Ziel im Sinne der Nachhaltigkeit<br />

muss sein, den Plastikverbrauch zu verringern und<br />

durch abbaubare biologische Materialien zu ersetzen.<br />

In dieser Ausgabe des <strong>BOKU</strong>-<strong>Magazin</strong>s widmen wir uns dem<br />

Thema Plastik und freuen uns über einen Gastbeitrag von<br />

Prof. Dr. Martin Selmayr, dem Vertreter der EU-Kommission<br />

in Österreich. Ich danke allen Autor*innen für ihre Beiträge<br />

und wünsche uns allen eine plastikarme Zukunft.<br />

Mit freundlichen Grüßen, Ihr<br />

IMPRESSUM: Medieninhaberin und Herausgeberin: Universität für Bodenkultur Wien (<strong>BOKU</strong>), Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien Chefredaktion: Bettina Fernsebner-<br />

Kokert Redaktion: Hermine Roth Autor*innen: Peter Beigl, Florian Borgwardt, Michael Braito, Yvonne Cunia, Monika Debreczeny, Ines Fritz, Rebecca Gutkas, Hubert<br />

Hasenauer, Michael Hauser, Gerrit Hermann, Nicole Hochrainer, Stefanie Klose, Thomas Lindenthal, Ruzica Luketina, Christian Neubauer, Christian Obinger, Doris Ribitsch,<br />

Georg Sachs, Stefan Salhofer, Ruth Scheiber-Herzog, Hannelore Schopfhauser, Martin Selmayr, Katharina Sexlinger, Ingeborg Sperl, Silvia Sponza, Christian Zafiu Lektorat:<br />

Michaela Kolb Grafik: Patricio Handl Cover: Shutterstock Druck: Druckerei Berger Auflage: 7.000 Erscheinungsweise: 4-mal jährlich Blattlinie: Das <strong>BOKU</strong>-<strong>Magazin</strong><br />

versteht sich als Informationsmedium für Angehörige, Absolvent*innen, Freund*innen der Universität für Bodenkultur Wien und soll die interne und externe Kommunikation<br />

fördern. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Autorin oder des Autors wieder und müssen mit der Auffassung der Redaktion nicht übereinstimmen.<br />

Redaktionelle Bearbeitung und Kürzung von Beiträgen aus Platzgründen vorbehalten. Beiträge senden Sie bitte an:<br />

public.relations@boku.ac.at Bei Adressänderung wenden Sie sich bitte an: alumni@boku.ac.at<br />

Offenlegung: Offenlegung nach § 25 Mediengesetz: Medieninhaberin (Verlegerin): Universität für Bodenkultur Wien (<strong>BOKU</strong>),<br />

Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien, Tel.: (01) 47654-0, Universitätsratsvorsitzender: Dr. Kurt Weinberger, Rektor: Dr. Hubert<br />

Hasenauer; erscheint quartalsmäßig; Erscheinungsort: Wien<br />

UZ24<br />

„Schadstoffarme<br />

Druckerzeugnisse“<br />

UW 734<br />

PEFC/06-39-12<br />

Dieses Produkt<br />

stammt aus nachhaltig<br />

bewirtschafteten<br />

Wäldern und<br />

kontrollierten Quellen<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

3


Gegen Plastikmüllberge und für einen intelligenten<br />

Einsatz von Kunststoffen: Die EU macht ernst<br />

GASTKOMMENTAR VON PROF. DR. MARTIN SELMAYR, Leiter der Vertretung der Europäischen<br />

Kommission in Österreich<br />

Die Europäische Kommission hat eine Reihe von Initiativen angestoßen, um Kunststoffabfälle einzudämmen.<br />

Prominente Beispiele sind das Verbot bestimmter Einweg-Plastikprodukte und ein Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft.<br />

Das hilft nicht nur der Umwelt, sondern fördert auch Forschung und Innovation.<br />

Eine Welt völlig ohne Plastik ist<br />

weder machbar noch wünschenswert.<br />

Richtig eingesetzt, können<br />

Kunststoffe auf vielfältige Weise einen<br />

wertvollen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />

Beitrag leisten. Leichte und<br />

innovative Materialien in Autos oder<br />

Flugzeugen ermöglichen Kraftstoffeinsparungen<br />

und senken so CO 2<br />

-Emissionen.<br />

Hochwertige Isoliermaterialien<br />

helfen, Energiekosten zu sparen. Und<br />

leicht zu desinfizierende Medizingeräte<br />

aus Kunststoff gewährleisten gerade in<br />

der aktuellen Corona-Pandemie hohe<br />

Hygienestandards in Krankenhäusern<br />

und Arztpraxen.<br />

Aber: Die Art und Weise, in der Kunststoffe<br />

derzeit noch hergestellt, verwendet<br />

und entsorgt werden, hat allzu oft<br />

schwerwiegende Folgen für die Umwelt.<br />

Denn häufig werden die Vorteile einer<br />

stärker „kreislauforientierten“ Wirtschaft<br />

und die Möglichkeit von Alternativen<br />

ungenutzt gelassen. Ein dramatisches<br />

Zeugnis der gegenwärtigen Fehlentwicklungen<br />

sind die Millionen Tonnen<br />

von Kunststoffabfällen, die jährlich in<br />

den Meeren landen. Schätzungen zufolge<br />

sind 80 bis 85 Prozent der Abfälle<br />

in unseren Meeren Plastikmüll. 2050<br />

könnten in den Ozeanen mehr Plastikabfälle<br />

als Fische schwimmen. Das kann<br />

und darf so nicht weitergehen.<br />

VERBOT VON EINWEGPLASTIK<br />

Die Europäische Kommission hat deshalb<br />

mit mehreren Maßnahmen dem<br />

Plastikmüll den Kampf angesagt. Eine<br />

Europäische Kommission/Etienne Ansotte<br />

davon ist das Verbot von Einweg-Plastikprodukten,<br />

für die es eine nachhaltigere<br />

Alternative gibt. Das betrifft zum<br />

Beispiel Wattestäbchen, Plastikteller,<br />

Plastikbesteck, Strohhalme sowie Lebensmittelbehälter<br />

und Getränkebecher<br />

aus geschäumtem Polystyrol. Im Herbst<br />

2018, unter österreichischem EU-Ratsvorsitz,<br />

haben sich die EU-Mitgliedstaaten<br />

auf den entsprechenden Vorschlag<br />

der Kommission verständigt. Das Verbot<br />

wird ab Sommer <strong>2021</strong> greifen und rasch<br />

sichtbare Effekte haben, wenn nationale<br />

und lokale Behörden es überall in der<br />

EU entschieden umsetzen. Schließlich<br />

machen Einwegprodukte etwa die Hälfte<br />

des Plastikmülls an europäischen Stränden<br />

aus. Damit muss Schluss sein.<br />

Eine spezielle Maßnahme gibt es für Einweg-Getränkeflaschen:<br />

In der EU ist bis<br />

2025 eine Sammelquote von 77 Prozent<br />

und bis 2029 von 90 Prozent vorgesehen.<br />

In Österreich liegt die Quote derzeit<br />

bei 73 Prozent. Die engagierte Umweltministerin<br />

Leonore Gewessler kämpft an<br />

der Seite der Europäischen Kommission<br />

gegen den Plastikmüll. Durch Einwegpfand<br />

und Mehrweg will sie erreichen,<br />

dass wir auch in Österreich bis 2029<br />

neun von zehn Plastikflaschen getrennt<br />

sammeln.<br />

Ebenfalls auf Initiative der Europäischen<br />

Kommission haben sich die EU-Mitgliedstaaten<br />

im Juli 2020 auf die Einführung<br />

einer EU-Plastikabgabe geeinigt. Pro<br />

Kilogramm nicht recycelten Plastikmülls<br />

sollen 80 Cent fällig werden. Die<br />

Maßnahme wirkt zweifach: Erstens setzt<br />

sie umweltpolitische Anreize. Zweitens<br />

schafft sie eine neue Einnahmequelle<br />

für das gemeinsame EU-Budget – was<br />

zugleich die von allen Steuerzahler*innen<br />

finanzierten Beiträge der Mitgliedstaaten<br />

senkt. Das ist ökologisch intelligente<br />

Finanzpolitik!<br />

Im März 2020 hat die Europäische Kommission<br />

einen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft<br />

präsentiert. Vorschriften<br />

für eine nachhaltige Produktpolitik<br />

sollen die Lebenserwartung von Waren<br />

steigern. Produkte sollen so konzipiert<br />

sein, dass sie leichter wiederverwendet,<br />

repariert und recycelt werden können.<br />

Gleichzeitig müssen die Bürger*innen zuverlässige<br />

Informationen im Hinblick auf<br />

4 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Adobe Stock<br />

die Reparier- und Haltbarkeit erhalten.<br />

Kurzum: Es geht darum, den Konsum-<br />

Fußabdruck in der EU zu verringern. Innovation<br />

und Forschung, wie sie die Universität<br />

für Bodenkultur Wien betreibt,<br />

sind eine wichtige Voraussetzung, um<br />

dieses Ziel zu erreichen.<br />

Wie bei vielen Initiativen im Umweltschutz<br />

gilt auch bei der Kreislaufwirtschaft:<br />

Europa kann und muss mit<br />

gutem Beispiel vorangehen, auch um<br />

durch innovative Lösungen die Wettbewerbsfähigkeit<br />

unseres Kontinents zu<br />

stärken. Allerdings ist „Europa alleine“<br />

keine vollständige Antwort auf globale<br />

Herausforderungen. Es bedarf vielmehr<br />

weltweiter Allianzen, wie wir sie gemeinsam<br />

mit UN-Institutionen im Februar im<br />

Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft und<br />

nachhaltige Ressourcenverwendung ins<br />

Leben gerufen haben.<br />

Umweltschutz und eine wettbewerbsfähige<br />

Wirtschaft sind aus Sicht der Europäischen<br />

Kommission keine Frage von<br />

„entweder – oder“, sondern gehen Hand<br />

in Hand. Denn die dringend notwendige<br />

Änderung unserer Produktions- und Verbrauchsmuster<br />

schafft Nachfrage nach<br />

neuen Produkten und Dienstleistungen.<br />

Schätzungen zufolge wird die Kreislaufwirtschaft<br />

das Bruttoinlandsprodukt<br />

der EU bis 2030 um etwa 0,5 Prozent<br />

zusätzlich steigern und etwa 700.000<br />

Arbeitsplätze schaffen.<br />

EU-AUFBAUPLAN BIETET CHANCEN<br />

Gleichzeitig bietet der wirtschaftliche<br />

Neuanfang, wie er infolge der Corona-<br />

Krise notwendig ist, eine historische<br />

Chance, insgesamt einen nachhaltigeren<br />

Kurs einzuschlagen. In den kommenden<br />

Jahren werden massive Investitionen<br />

notwendig sein. Um diese mit EU-Mitteln<br />

zu unterstützen, haben die EU-Mitgliedstaaten<br />

und das Europäische Parlament<br />

auf Vorschlag der Kommission den größten<br />

EU-Haushalt aller Zeiten auf den Weg<br />

gebracht. Er umfasst 1,8 Billionen Euro in<br />

der Finanzperiode <strong>2021</strong>–2027, darin enthalten<br />

ist das Aufbauinstrument NextGenerationEU<br />

im Ausmaß von 750 Milliarden<br />

Euro. Mindestens 37 Prozent der<br />

Mittel sollen in den ökologischen Umbau<br />

fließen, und es spricht für Österreichs<br />

Vorreiterrolle, dass die österreichische<br />

Bundesregierung diese Mindestvorgabe<br />

national deutlich übertreffen will.<br />

Die Europäische Union und ihre 27<br />

Mitgliedstaaten haben gemeinsam beschlossen,<br />

dass wir der nächsten Generation<br />

keine Plastikmüllberge, sondern<br />

einen sauberen und gesunden Planeten<br />

hinterlassen wollen. Wir setzen deshalb<br />

starke finanzielle und regulatorische<br />

Anreize für Veränderungen im Großen,<br />

auf Ebene der Unternehmen und der<br />

öffentlichen Verwaltung, wie auch im<br />

Kleinen, auf Ebene der Bürger*innen.<br />

Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft<br />

und wirksames Recycling sind dafür von<br />

zentraler Bedeutung. Und es gibt viele<br />

Bereiche, in denen wir unser eigenes<br />

Verhalten recht schnell ändern und den<br />

Kunststoffkonsum relativ einfach reduzieren<br />

können: Unsere erste Party nach<br />

der Corona-Pandemie wird garantiert<br />

auch ohne Plastikbesteck ein Erfolg werden.<br />

<br />

•<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

5


Adobe Stock<br />

„Plastik ist eine der<br />

absurdesten Erfindungen“<br />

Interview: Bettina Fernsebner-Kokert<br />

Werner Boote hat mit seinem Film „Plastic Planet“ einen der weltweit erfolgreichsten<br />

Dokumentarfilme gedreht. Unsere Wegwerfkultur und die falsche Beruhigung, dass<br />

man Plastik ohnehin recyceln könne, würden dazu führen, dass wir das Problem mit<br />

dem Plastikmüll noch immer nicht im Griff haben.<br />

6 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


PLASTIK<br />

Wenn Sie „Plastic Planet“ noch einmal<br />

drehen würden, wie würde Ihr Film heute<br />

aussehen?<br />

Werner Boote: Nicht viel anders als 2009.<br />

Die Bedrohung durch Plastik – und damit<br />

meine ich immer herkömmliches Plastik<br />

– für unsere Gesundheit und unsere<br />

Umwelt ist gleich geblieben. Industrie<br />

und Handel überschwemmen uns weiterhin<br />

mit Plastikmüll und damit auch mit<br />

besorgniserregenden Substanzen. Die<br />

Situation ist dramatisch, würde ich sagen.<br />

Was sich jedoch geändert hat, ist, dass die<br />

Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gestiegen<br />

ist. Das ist ein wichtiger Punkt, der<br />

für mich während des Filmdrehs noch gar<br />

nicht so im Vordergrund gestanden ist.<br />

Zu diesem Bewusstsein für das Plastikproblem<br />

haben Sie mit Ihrem Dokumentarfilm<br />

allerdings stark beigetragen.<br />

Ich habe damals fälschlicherweise gedacht,<br />

wenn wir das alle verstehen und<br />

keine Plastikprodukte mehr kaufen, dann<br />

hat sich das Problem bereits erledigt.<br />

Aber es ist so, dass das Bewusstsein der<br />

Bevölkerung der entscheidende Punkt<br />

ist – und die Dinge, die bereits passiert<br />

sind, ins Rollen gebracht hat. Mittlerweile<br />

gibt es nur noch wenige Menschen,<br />

die nicht wissen, dass Plastik eine Bedrohung<br />

für die Umwelt und unsere Gesundheit<br />

ist. Wir haben den Film 2009<br />

präsentiert, gleichzeitig mit einer Studie,<br />

die gezeigt hat, dass BPA* aus Kunststoffen<br />

austritt – und 2011 schließlich in<br />

der EU für Babyschnuller und -flaschen<br />

verboten wurde. Und die Entrüstung der<br />

Menschen hat auch dazu geführt, dass<br />

Anfang des heurigen Jahres Einwegplastik<br />

EU-weit verboten wurde.<br />

Wie beurteilen Sie diese Maßnahme?<br />

Jede Art von Plastikverbot erachte<br />

ich als sehr wichtig. Das Plastiksackerl<br />

* BPA: Bisphenol A ist ein Weichmacher in<br />

Kunststoffen und Harzen<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

7


ist dabei ein Symbol, das aufgrund der<br />

Auseinandersetzung zu mehr Verständnis<br />

und Bewusstsein für die gesamte<br />

Problematik führt. Das Verbot von BPA<br />

in Babyfläschchen ist ein ähnliches Beispiel<br />

und war der erste große Schritt.<br />

Es gibt immer mehr Menschen, die sich<br />

Plastik verweigern und ich sage ganz<br />

bewusst „verweigern“, weil „auf Plastik<br />

verzichten“ hat für mich einen schlechten<br />

Beigeschmack. Denn wer will schon<br />

auf etwas verzichten? Verweigern ist<br />

ein Wort, bei dem man das Gefühl hat,<br />

es aktiv in der Hand zu haben. Es sind<br />

auch immer mehr Aktionen und Einzelinitiativen<br />

entstanden, dadurch sind Politiker*innen<br />

»<br />

auf das Thema Plastik aufmerksam<br />

geworden und es hat nach und<br />

nach sinnvolle Verbote und Regulierungen<br />

gegeben. Man darf aber auch nicht<br />

„Mittlerweile gibt es nur<br />

noch wenige Menschen,<br />

die nicht wissen, dass Plastik<br />

eine Bedrohung für die<br />

Umwelt und unsere<br />

Gesundheit ist.“<br />

Plastik findet sich überall auf unserem Planeten – Regisseur Werner Boote (re.) und der Umweltanalytiker<br />

Kurt Scheidl in einer Szene von „Plastic Planet“ auf dem Dachstein.<br />

„Plastic Planet“ / thomaskirschner.com (2)<br />

vergessen, dass die Kunststoffindustrie<br />

intensiv lobbyiert – die Unternehmen<br />

haben Hunderte Lobbyisten in Brüssel.<br />

Und man sieht ja auch, wie bei uns im<br />

Zuge der Diskussion um ein Pfandsystem<br />

für Plastikflaschen der Handel auf die<br />

Barrikaden steigt. Die Umstellung würde<br />

den Handel nicht einmal viel Geld kosten,<br />

sondern vor allem Mühe und dagegen<br />

wehrt man sich.<br />

Plastikmüll ist zu einer schweren Last für die Umwelt und die Menschen geworden.<br />

In welchen Bereichen finden Sie die Verwendung<br />

von herkömmlichem Plastik besonders<br />

problematisch?<br />

Auf jeden Fall in der Verpackungsindustrie,<br />

wo Lebensmittel mit Plastik in Kontakt<br />

kommen. Was ich als anrollendes<br />

Problem und Aufgabe für uns alle sehe,<br />

sind die Plastiktextilien – verstärkt durch<br />

eine Wegwerfkultur im Modebereich.<br />

Wenn diese Textilien gewaschen werden,<br />

gelangt durch den Abrieb Plastik<br />

in die Kläranlagen und damit ins Grundwasser,<br />

das wir dann wieder trinken. Ich<br />

habe deswegen vor einiger Zeit mit allen<br />

Waschmaschinenherstellern Kontakt<br />

aufgenommen und die Antwort erhalten,<br />

dass sie derzeit auch nicht wissen, wie sie<br />

dieses Problem in den Griff bekommen<br />

können. Kunststoff ist fast allen Textilien<br />

beigemischt, das geht hin bis zu den<br />

Farben. Neben Mikroplastik in Kosmetikartikeln<br />

und besorgniserregenden Chemikalien<br />

in Kinderspielzeug muss auch in<br />

der Landwirtschaft hinterfragt werden,<br />

ob die Plastikhüllen für die Strohballen<br />

nicht mitgeschnetzelt und an die Tiere<br />

verfüttert werden oder wieder auf den<br />

Feldern landen.<br />

Welche Aspekte des globalen Plastikproblems<br />

blenden wir hier in Europa nach wie<br />

vor aus?<br />

Die große Gefahr, die durch die Lobbyarbeit<br />

der Industrie entsteht, ist die Botschaft:<br />

„Kauft einfach ein, kümmert euch<br />

nicht darum, wichtig ist das Recycling.“<br />

8 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Das soll die Menschen beruhigen. Bei<br />

Plastik ist aber eben nur Down-Cycling<br />

möglich, die Erdölindustrie wusste bereits<br />

in den 1970er-Jahren, dass Recycling<br />

nicht funktioniert. Ich glaube, dass<br />

da noch mehr Bewusstsein geschaffen<br />

werden muss, damit die Menschen verstehen,<br />

dass es nicht darum geht, wie<br />

man entsorgt – wir müssen das Pro blem<br />

beim Ursprung anpacken. Das heißt<br />

einerseits Alternativmaterialien zu finden<br />

beziehungsweise die bereits vorhandenen<br />

zu nutzen. Auf der anderen Seite<br />

müssen Transport- und Distributionswege<br />

anders organisiert werden. In Österreich<br />

ist das Problem, dass der Handel ein<br />

dünner<br />

»<br />

Flaschenhals ist, weil es nur drei<br />

Unternehmen gibt, die die Konditionen<br />

bestimmen und sich dementsprechend<br />

gegen Änderungen wehren.<br />

„Industrie und Handel überschwemmen<br />

uns weiterhin<br />

mit Plastikmüll und damit<br />

auch mit besorgniserregenden<br />

Substanzen.“<br />

Die Hersteller von Kunststoffen verraten<br />

ja nicht gerne, welche Stoffe in ihren Produkten<br />

in welcher Konzentration enthalten<br />

sind, wie in „Plastic Planet“ zu sehen ist.<br />

Bei der Herstellung von Kunststoffen<br />

gibt es immer einen Restmassegehalt,<br />

der sogar dem Erzeuger unbekannt<br />

bleibt. Interessant wäre es zu wissen, wie<br />

viel Prozent unbekannt sind. Dagegen<br />

würde die Industrie natürlich Sturm laufen,<br />

weil dann müssten die Hersteller in<br />

Konkurrenz zueinander treten und nachweisen,<br />

wer weniger Anteil an unbekanntem<br />

Stoff in seinem Produkt hat. Plastik<br />

ist eine der absurdesten Erfindungen.<br />

Da hat man einen Stoff entwickelt, den<br />

man überall einsetzen kann und dann<br />

verwendet man ihn für Plastiksackerl,<br />

die durchschnittlich 22 Minuten verwendet<br />

werden – ein Material, das über<br />

Hunderte Jahre Schadstoffe abgibt und<br />

herumliegt.<br />

Wäre eine Plastiksteuer sinnvoll?<br />

Ich glaube, wir müssen ernsthaft in Angriff<br />

nehmen, dass man erdölbasierte<br />

Kunststoffe generell besteuert und das<br />

eingenommene Geld auch dafür verwendet,<br />

Schäden zu beheben, die Plastik<br />

anrichtet. Das heißt, es in Umweltschutz<br />

und Forschung investiert.<br />

Wie waren die Reaktionen auf Ihren Film?<br />

Zunächst war ich einmal froh, dass die<br />

Menschen das Thema Plastik überhaupt<br />

an sich herankommen ließen. Später<br />

wurde ich international von Politikern<br />

eingeladen, um über meinen Film zu<br />

sprechen und sie zu beraten. So waren<br />

wir maßgeblich daran beteiligt, dass es in<br />

Abu Dhabi ein Plastiksackerlverbot gibt.<br />

In Deutschland waren wir gerade im Zuge<br />

der Diskussion um Plastiksteuer unterwegs.<br />

Das Thema Plastik begleitet mich<br />

mittlerweile schon seit 20 Jahren. Was<br />

mich als Filmemacher natürlich freut, ist,<br />

dass „Plastic Planet“ zu den 100 erfolgreichsten<br />

Dokumentationen der Welt<br />

gehört – und sogar letztes Jahr noch<br />

einen weiteren Preis bei einem Filmfestival<br />

gewonnen hat.<br />

Inwiefern haben Sie Ihr persönliches Leben<br />

geändert, seit Sie sich mit dem Thema Plastik<br />

beschäftigen?<br />

Ich habe 1999 einen Zeitungsartikel gelesen,<br />

dass in der Nähe von Devon in<br />

England Fische gefunden wurden, die<br />

sich nicht mehr fortpflanzen, weil dort<br />

die Plastikindustrie besorgniserregende<br />

Chemikalien in das Wasser abgelassen<br />

hat. Und da habe ich mir gedacht: Das<br />

kann es doch nicht wirklich sein – und<br />

habe begonnen zu recherchieren. Als<br />

erstes habe ich vor mehr als 15 Jahren<br />

die Plastikflasche mit Wasser, die ich<br />

immer neben meinem Computer stehen<br />

hatte, gegen eine Glasflasche ausgetauscht.<br />

Denn je öfter man eine Plastikflasche<br />

befüllt, umso mehr besorgniserregende<br />

Chemikalien lösen sich<br />

aus dem Plastik. Auch Plastiksackerl habe<br />

ich bald keine mehr verwendet, man<br />

Nini Tschavoll<br />

ZUR PERSON<br />

Werner Boote wurde 1965 in Wien<br />

geboren, wo er heute nach mehreren<br />

Jahren in Amsterdam wieder<br />

lebt. Er studierte Theaterwissenschaft,<br />

Publizistik und Soziologie an<br />

der Universität Wien sowie an der<br />

Wiener Universität für Musik und<br />

darstellende Kunst, Abteilung Film<br />

und Fernsehen. Nach langjährigen<br />

Regieassistenzen (u. a. bei Robert<br />

Dornhelm und Ulrich Seidl) begann<br />

Werner Boote 1993 eigene Filme zu<br />

machen, zunächst vor allem Musikvideos,<br />

aber auch Opernverfilmungen.<br />

Mit seinem bisher bekanntesten<br />

Dokumentarfilm Plastic Planet<br />

(2009) gewann er zahlreiche internationale<br />

Preise. In seinem jüngsten<br />

Dokumentarfilm The Green Lie<br />

(2018) zeigt Boote auf, wie Unternehmen<br />

mit Green Washing die<br />

Konsument*innen in der Sicherheit<br />

wiegen, etwas Gutes für die Umwelt<br />

zu tun.<br />

kommt mit der Zeit immer mehr drauf, wie<br />

man im Alltag Plastikprodukte ersetzen<br />

kann.<br />

Ich habe ja im Film mein Blutplasma testen<br />

lassen, mit dem Ergebnis, das sehr<br />

hohe Werte an Chemikalien aus Kunststoffen<br />

nachgewiesen wurden. Vor Kurzem<br />

habe wieder diese Untersuchung<br />

gemacht und die Werte sind deutlich<br />

gesunken. Das heißt, wenn man Plastik<br />

bewusst meidet, tut man etwas Gutes für<br />

seine Gesundheit.<br />

•<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

9


Adobe Stock<br />

PLASTIK<br />

Lösen Biokunststoffe unser<br />

globales Plastikproblem?<br />

Der Begriff „Biokunststoff“ wird im Sprachgebrauch meist unpräzise verwendet und auch biologisch abbaubare<br />

Kunststoffe können nur ein Teil der Lösung des Plastikproblems sein.<br />

Von Ines Fritz<br />

Obwohl uns die Situation rund um<br />

die Covid-19-Pandemie aktuell ablenkt,<br />

verlieren wir dennoch die<br />

Bilder von den im Wasser treibenden<br />

Plastikteilen nicht aus den Augen. Welche<br />

Mengen insgesamt in allen Weltmeeren<br />

schwimmen und auf deren Gründen<br />

liegen, weiß niemand genau – dass es zu<br />

viel ist, ist uns allen bewusst. Und damit<br />

nicht genug, finden wir Plastikreste auch<br />

im Boden, in Feldern genauso wie an entlegenen<br />

Stellen im Gebirge und immer<br />

öfter erreichen uns Berichte über neue<br />

Nachweise von kleinen und kleinsten<br />

Plastikresten in unserer Nahrung.<br />

WIR HABEN ALSO EIN<br />

PLASTIKPROBLEM!<br />

Kunststoffe wurden entwickelt, um die<br />

begrenzte Haltbarkeit der Naturmaterialien<br />

zu überwinden. Holz verrottet, selbst<br />

Leder verschimmelt, Glas bricht, Metalle<br />

korrodieren und die meisten Naturstoffe<br />

verändern ihre Eigenschaften oder ihre<br />

Form, wenn sie nass werden. Kunststoffe<br />

bieten die Lösung für die meisten dieser<br />

Nachteile: Sie verrotten oder schimmeln<br />

nicht, brechen nicht zu scharfkantigen<br />

Scherben, rosten weder noch ändern<br />

sie nass ihre Form und obendrein lassen<br />

sie sich vergleichsweise leicht verarbeiten.<br />

Weil diese Eigenschaften so überzeugend<br />

sind, wurde Plastik rasch zum<br />

bevorzugten Material für nahezu jede<br />

Art von Produkt, vom massiven Möbel<br />

bis zur filigranen Folie.<br />

Mit stetig steigender Nachfrage bei zugleich<br />

laufend günstiger werdender Produktion<br />

verlor eine zuvor auf Reparatur<br />

und Rezyklierung ausgelegte Kreislaufwirtschaft<br />

an Boden, bis schließlich Ein-<br />

wegartikel dominierten, die sich dadurch<br />

auszeichnen, nach kürzester Zeit in gleicher<br />

Menge als Abfall anzufallen. Dort,<br />

wo nicht oder nicht in ausreichender<br />

Qualität gesammelt und verarbeitet wird<br />

(übrigens: das gilt auch für Europa), gelangen<br />

langlebige Kunststoffabfälle nach<br />

kurzer Verwendungsdauer in großen<br />

Mengen in die Natur und landen, früher<br />

oder später, in den Meeren. Vor diesem<br />

Hintergrund erscheinen Biokunststoffe<br />

als Hoffnungsträger.<br />

WANN „BIO“ NICHT ABBAUBAR IST<br />

Doch Halt! Im alltäglichen Sprachgebrauch<br />

verwenden wir den Begriff Biokunststoff<br />

sehr unscharf: Es können sowohl<br />

biologisch abbaubare als auch die<br />

aus biogenen Rohstoffen hergestellten<br />

Kunststoffe gemeint sein. Und das ist<br />

nicht notwendigerweise dasselbe.<br />

10 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Konventionelle Kunststoffe, wie Polyethylen,<br />

Polystyrol oder Polyethylenterephthalat<br />

aus biogenen Rohstoffen<br />

herzustellen, ändert nichts an den<br />

Eigenschaften des Polymers bzw. des<br />

daraus geformten Produkts. Ein bio-PE<br />

ist genauso nicht biologisch abbaubar wie<br />

es das aus Erdöl hergestellte ist. Selbst<br />

wenn damit die Abhängigkeit von Erdöl<br />

gelindert werden könnte, bleibt zu<br />

bedenken, dass die global verfügbaren<br />

biogenen Ressourcen nicht ausreichen,<br />

unseren aktuellen jährlichen Kunststoffbedarf<br />

von nahezu 400 Millionen Tonnen<br />

zu decken, ohne zugleich in einen<br />

schwerwiegenden ethischen Konflikt zu<br />

geraten. So ernst die Sache auch sein<br />

mag, sie ist nicht das Thema dieses Beitrags.<br />

Biologisch abbaubar ist ein Material, egal<br />

ob Natur- oder Kunststoff, wenn es von<br />

Organismen als Substrat, also als Kohlenstoff-<br />

oder Energielieferant fungieren<br />

kann (was konventionelle Kunststoffe<br />

vorsätzlich nicht können). Gelangt ein<br />

biologisch abbaubares Material in ein<br />

natürliches Habitat, wie in ein Gewässer,<br />

ins Meer oder in den Boden, werden es<br />

die lokal vorhandenen Organismen –<br />

darunter vorzugsweise, aber nicht ausschließlich<br />

Mikroorganismen – enzymatisch<br />

aufschließen und verwerten. Ein<br />

Teil davon wird jeweils zur Energiegewinnung<br />

umgesetzt und der Rest geht in den<br />

Anabolismus zum Aufbau neuer Zellen<br />

bzw. neuer Biomasse. Die Menge verfügbaren<br />

Wassers, die Umgebungstemperatur,<br />

aerobe oder anaerobe Verhältnisse<br />

und das Vorhandensein von Makro- und<br />

Mikronährstoffen bestimmen letztlich<br />

die Stoffwechselaktivität und damit die<br />

Abbaugeschwindigkeit. Und natürlich<br />

spielt auch die Attraktivität des Materials<br />

für die abbauenden Organismen eine<br />

entscheidende Rolle, schließlich gibt es<br />

unter ihnen zahlreiche Spezialisten, die<br />

im Zuge der Evolution ihre jeweiligen<br />

Nahrungsnischen optimiert haben.<br />

VIERSTUFIGE PRÜFUNG<br />

Konventionelles Plastik wird von Mikroorganismen<br />

abgebaut, wenn sie kein anderes<br />

Substrat vorfinden, was in einem<br />

natürlichen Habitat eher unwahrscheinlich<br />

ist. Deshalb bleiben die Polymere<br />

<strong>BOKU</strong>/Fritz<br />

Bodenmikroskopie eines Maisfeldes – viele<br />

mineralische Partikel, kaum Humus und eine<br />

Polyesterfaser. Durchlicht, Kantenlänge des<br />

Fotos repräsentiert ca. 150 µm.<br />

„Der Zerfall größerer Teile zu Mikroplastik, das<br />

mit freiem Auge nicht mehr sichtbar ist, wird<br />

oft als Abbau missverstanden.“<br />

Logo der TÜV Austria-<br />

Belgium Zertifizierung<br />

für Kunststoffe entsprechend<br />

EN 13432<br />

Logo der DINcertco<br />

Zertifizierung<br />

für Kunststoffe<br />

entsprechend<br />

EN 13432<br />

zumindest jahrhundertelang, aber eher<br />

noch länger, unverändert vorhanden.<br />

Der Zerfall größerer Teile zu Mikroplastik,<br />

das mit freiem Auge nicht mehr sichtbar<br />

ist, wird oft als Abbau missverstanden.<br />

Dies hat sich der Hersteller des sogenannten<br />

„oxo-abbaubaren“ Kunststoffs<br />

zunutzegemacht, indem er Polyethylen<br />

mit einem Katalysator versetzt, damit ein<br />

daraus hergestellter Gegenstand rasch<br />

spröde wird und zerfällt – abbaubar ist<br />

das PE deshalb aber nicht.<br />

In absehbar kurzer Zeit vollständig biologisch<br />

abbaubar und gemeinsam mit<br />

dem Bioabfall sammel- und verwertbar<br />

sind hingegen jene Kunststoffe, die nach<br />

der Europäischen Norm EN13432 zertifiziert<br />

wurden. Das vierstufige Prüfschema<br />

sorgt seit dem Inkrafttreten<br />

der Norm im Jahr 2001 dafür, dass die<br />

ihr entsprechenden Kunststoffe in einer<br />

landwirtschaftlichen oder industriellen<br />

Kompostieranlage störungsfrei und ohne<br />

Mikroplastik zu hinterlassen verwertet<br />

werden können. Das heißt aber nicht,<br />

dass sie nur so verwertet werden dürfen.<br />

Die in einer thermophilen Kompostmiete<br />

zu erwartenden hohen mikrobiellen Umsatzgeschwindigkeiten<br />

werden, den Regeln<br />

der Thermodynamik entsprechend,<br />

im Boden, in Gewässern oder auch im<br />

heimischen Gartenkompost nicht erreicht.<br />

Dort brauchen EN13432-zertifizierte<br />

Kunststoffe sehr viel länger für<br />

den vollständigen Abbau, was gerne zu<br />

Missverständnissen führt.<br />

Setzten wir auf vorsätzlich langlebige<br />

Produkte, auf Mehrfachverwendung<br />

und Reparatur, hielten wir die Stoffkreisläufe<br />

geschlossen und sorgten wir<br />

dafür, dass die in die Natur freigesetzten<br />

Kunststoffe (egal, ob vorsätzlich oder<br />

versehentlich) vollständig biologisch<br />

abbaubar sind, hätten wir kein Plastikproblem.<br />

Obwohl EN13432-zertifizierte<br />

Kunststoffe besondere Vorteile als Lebensmittelverpackung<br />

haben, können<br />

sie die aus der Massenproduktion von<br />

Einwegprodukten resultierenden Probleme<br />

nicht lösen!<br />

Ass.Prof. in DI in Dr. in Ines Fritz ist Universitätsassistentin<br />

am Institut für Umweltbiotechnologie.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

11


Adobe Stock<br />

PLASTIK<br />

Die großen Herausforderung,<br />

die Kunststoffe für die<br />

Kreislaufwirtschaft bedeuten<br />

Wie Pfandsysteme die Sammelquote von Kunststoffverpackungen erhöhen können, was „kompostierbar“ wirklich<br />

bedeutet und welche negativen Auswirkungen Additive in Kunststoffen im Wiederverwertungsprozess haben.<br />

Kunststoffe sind eine weitverzweigte<br />

Materialgruppe mit vielfältigen<br />

Eigenschaften. Geringes<br />

Gewicht und vergleichsweise geringe<br />

Kosten haben Kunststoffe zu einer der<br />

wichtigen Werkstoffgruppen gemacht.<br />

Allerdings werden zunehmend die negativen<br />

Effekte wie Akkumulation in den<br />

Ozeanen oder die Aufnahme in Nahrungsketten<br />

sichtbar. Aus dem großen<br />

Feld der Herausforderungen, mit denen<br />

wir beim Schließen der Kreisläufe von<br />

Kunststoffen konfrontiert sind, sollen<br />

hier drei Teilbereiche näher betrachtet<br />

werden: Pfandsysteme als Maßnahme<br />

zur Intensivierung der Sammlung von<br />

Kunststoffverpackungen, Abbaubarkeit<br />

von biologisch abbaubaren Kunststoffen<br />

sowie die Rolle der Additive beim Recycling<br />

von Kunststoffabfällen.<br />

Von Stefan Salhofer, Peter Beigl und Christian Zafiu<br />

PFANDSYSTEME<br />

Die EU-Richtlinie zur Verringerung von<br />

Einwegplastik sieht vor, dass Kunststoffgetränkeflaschen<br />

bis zum Jahr 2029 zu<br />

zumindest 90 % zum Zwecke des Recyclings<br />

getrennt gesammelt werden. Damit<br />

sollen insbesondere das achtlose Wegwerfen<br />

(Littering) hintangehalten und<br />

die Verschmutzung der Umwelt verringert<br />

werden. Parallel sind die Vorgaben<br />

12 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Stefan Salhofer<br />

Die EU-Richtlinie zur Verringerung von Einwegplastik zielt auf die Vermeidung von Kunststoffmüll ab.<br />

des EU-Kreislaufwirtschaftspakets zu<br />

beachten; Recycling von Kunststoffverpackungen<br />

zu zumindest 50 % bis 2025<br />

und 55 % bis 2030. An Kunststoffgetränkeflaschen<br />

werden in Österreich jährlich<br />

rund 1,6 Mrd. Stück mit einer Masse von<br />

etwa 49.000 Tonnen in Verkehr gesetzt.<br />

Die derzeitige Sammelquote von Kunststoffgetränkeflaschen<br />

beträgt 70 % und<br />

die Recyclingquote von Kunststoffverpackungen<br />

aus dem Haushaltsbereich<br />

beträgt 25 %.<br />

Im Auftrag des Bundesministeriums für<br />

Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität,<br />

Innovation und Technologie (BMK) wurde<br />

vom Institut für Abfallwirtschaft in<br />

Kooperation mit dem Technischen Büro<br />

HAUER und der Montanuniversität Leoben<br />

erarbeitet, wie eine Sammelquote<br />

von 90 % unter Berücksichtigung von<br />

Recyclingzielen für Kunststoff-Verpackungen<br />

erreicht werden kann.*<br />

In der vorliegenden Studie wurden Varianten<br />

zur Erreichung des 90 %-Sammelzieles<br />

beschrieben und hinsichtlich der zu<br />

erwartenden Auswirkungen untersucht.<br />

Dabei steht das Erreichen des Sammelzieles<br />

im Vordergrund. Mitbetrachtet<br />

wurden aber auch Auswirkungen auf die<br />

Erreichung der Recyclingziele für Kunststoffverpackungen.<br />

Zusammenfassend zeigte sich, dass ein<br />

Anheben der bestehenden Sammelquote<br />

der getrennten Sammlung von Kunststoffgetränkeflaschen<br />

gemeinsam mit<br />

anderen Leichtverpackungen (Gelbe<br />

Tonne, Gelber Sack) auf die geforderten<br />

90 % als nicht realistisch erscheint.<br />

Selbst unter der Annahme, dass eine sehr<br />

ambitionierte durchschnittliche Sammelquote<br />

von 82 % erreicht wird, fehlen<br />

8 %-Punkte auf die geforderten 90 %.<br />

Dazu wird erwogen, Kunststoffgetränkeflaschen<br />

aus gemischten Siedlungsabfällen<br />

auszusortieren. Ob dies in Übereinstimmung<br />

mit der Anforderung der SUP-<br />

Richtlinie nach „getrennt gesammelt<br />

zum Zwecke des Recyclings“ steht und<br />

zur Zielerreichung der 90 %-Sammlung<br />

beiträgt, muss noch geklärt werden.<br />

Aktuelle Entscheidungen der EU-Kommission<br />

deuten aber darauf hin, dass ein<br />

Aussortieren nicht als getrennte Sammlung<br />

gilt. Doch selbst, wenn ein Aus-<br />

*Zur Studie:<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

13


Christian Zafiu<br />

und können durch biotechnologische<br />

Prozesse hergestellt werden.<br />

Ob ein Produkt als biologisch abbaubar<br />

bezeichnet werden darf, muss auf Basis<br />

unterschiedlicher Normen untersucht<br />

werden, die die Abbaubarkeit in unterschiedlichen<br />

Umweltkompartimenten<br />

wie Boden, Süßwasser und Salzwasser<br />

simulieren. Die prinzipielle Abbaubarkeit<br />

des Polymers reicht dabei nicht aus. Vielmehr<br />

muss nachgewiesen werden, dass<br />

das Produkt, das neben dem Polymer<br />

noch aus einer Vielzahl anderer Komponenten<br />

besteht, in einem vorgegebenen<br />

Zeitraum und bei vorgegebener Temperatur<br />

abgebaut wird.<br />

Eine Versuchsmiete im Zuge des Projekts „Kompostierbarkeit von biologisch abbaubaren Vorsammelhilfen“.<br />

sortieren als Beitrag zur Zielerreichung<br />

gewertet werden kann, müssen auch<br />

bei einer 82 %-Sammelquote noch etwa<br />

800.000 Tonnen pro Jahr an gemischten<br />

Siedlungsabfällen sortiert werden.<br />

Ein wesentlicher Anreiz für Bürger*innen,<br />

gebrauchte Getränkeflaschen geordnet<br />

abzugeben, ist das Einheben eines Pfandes.<br />

Internationale Erfahrungen zeigen,<br />

dass dies die einzige realistische Maßnahme<br />

darstellt, Kunststoffgetränkeflaschen<br />

zu zumindest 90 % getrennt zu sammeln.<br />

Bereits in mehr als zehn europäischen<br />

Ländern werden Einweg-Pfandsysteme<br />

in verschiedenen Ausprägungen – zum<br />

Teil schon seit vielen Jahren – betrieben<br />

und hohe Sammelquoten weit über 80 %<br />

erreicht.<br />

Zur Einführung eines österreichischen<br />

Einwegpfandes auf Kunststoffgetränkeflaschen<br />

wird begleitend auch ein Einwegpfand<br />

auf Metallgetränkeverpackungen<br />

empfohlen, um Littering zu vermeiden<br />

und mögliche Substitutionseffekte<br />

zwischen bepfandeten bzw. nicht-bepfandeten<br />

Getränken zu reduzieren.<br />

Am 2. Juni 2020 fand ein Runder Tisch<br />

im BMK unter der Leitung von Bundesministerin<br />

Leonore Gewessler und<br />

Staatssekretär Magnus Brunner statt,<br />

um die Studie und die weitere Vorgehensweise<br />

zur Erreichung der Quoten<br />

zur getrennten Sammlung von Kunststoffgetränkegebinden<br />

zu diskutieren.<br />

Bei diesem Runden Tisch waren mehr als<br />

40 Vertreter*innen von NGOs, Handel,<br />

Abfallwirtschaft und politischen Parteien<br />

anwesend.<br />

Seit Juli des vergangenen Jahres findet<br />

ein Stakeholder-Dialog zu Kunststoffverpackungen<br />

statt, im Rahmen dessen<br />

in fach- und branchenspezifischen Kleingruppen<br />

eine mögliche Ausgestaltung<br />

des Einwegpfandes diskutiert wird.<br />

ABBAUBARKEIT VON KUNSTSTOFFEN<br />

Um die Verwitterungszeit zu verkürzen,<br />

wurden biologisch abbaubare Kunststoffe<br />

entwickelt. Diese Kunststoffe bestehen<br />

aus Polymeren, die im Gegensatz<br />

zu den geläufigen Materialien wie Polypropylen,<br />

Polyethylen etc. durch Enzyme<br />

von Mikroorganismen verdaut werden<br />

können. Durch den biologischen Abbauprozess<br />

kann das Material bereits innerhalb<br />

von wenigen Monaten abgebaut<br />

werden. Biologisch abbaubare Polymere,<br />

von denen die häufigsten Polymilchsäure<br />

(PLA), thermoplastische Stärke (TPS)<br />

oder Polyhydroxyalkanoate (PHA) sind,<br />

stammen häufig, aber nicht ausschließlich,<br />

aus nachwachsenden Rohstoffen<br />

So müssen im Boden biologisch abbaubare<br />

Kunststoffe in maximal zwei Jahren bei<br />

Umgebungstemperaturen von 20–25 °C<br />

zu mehr als 90 % abgebaut werden, während<br />

derselbe Abbaugrad für im Süßwasser<br />

abbaubare Kunststoffe bereits<br />

nach 56 Tagen erreicht werden muss. Im<br />

Salzwasser müssen Produkte bei 30°C in<br />

84 Tagen zu mehr als 90 % abgebaut werden,<br />

um als abbaubar zu gelten. Neben<br />

den Abbaubarkeitsnormen wurden auch<br />

Normen zur Untersuchung der Kompostierbarkeit<br />

in Kompostanlagen nach dem<br />

Stand der Technik entwickelt. Kunststoffe,<br />

die als kompostierbar gelten, müssen<br />

nach sechs Monaten bei 58 °C zu 90 %<br />

abgebaut werden und nach drei Monaten<br />

zu weniger als 10 % als Fragmente größer<br />

als 2 mm vorhanden sein (EN 13432).<br />

Kompostierbarkeit sorgt für viele Missverständnisse<br />

bei Konsument*innen, die<br />

aufgrund der Bezeichnung davon ausgehen,<br />

dass solche Kunststoffe über die<br />

Biotonne entsorgt werden sollen. Tatsächlich<br />

tragen diese Kunststoffe aber<br />

nicht zur Verbesserung der Kompostqualität<br />

bei.<br />

Additive in Kunststoffen und Recycling-<br />

Kunststoffe beinhalten eine Reihe von<br />

Additiven, von denen einige negative<br />

Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt<br />

zeigen. Sie werden als funktionelle<br />

Additive, Farbstoffe, Füller und als verstärkende<br />

Fasern eingesetzt. Füllstoffe<br />

und Verstärkungsfasern können einen<br />

hohen Anteil (bis zu 50 bzw. 30 %) haben,<br />

werden aber in Bezug auf Emissionen<br />

14 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Stefan Salhofer<br />

prozessbezogenen Emissionen. Bei Umschmelzverfahren<br />

werden Kunststoffe<br />

bei 200 bis 300 °C aufgeschmolzen und<br />

extrudiert. Dabei wird eine Reihe von<br />

Substanzen, wie toxische Metalle, flüchtige<br />

organische Verbindungen (VOC),<br />

Phtalate und Dioxine, freigesetzt. Dies<br />

zeigen beispielsweise Untersuchungen<br />

von Recyclinganlagen in China, bei denen<br />

die VOC-Emissionen analysiert wurden.<br />

Die höchsten Emissionen wurden bei der<br />

Extrusion von Acrylnitril-Butadien-Styrol<br />

festgestellt, gefolgt von der Verwertung<br />

von Polystyrol, Polypropylen und anderen<br />

Kunststoffen.<br />

Informelles Recycing von Kunststoffen in Südostasien.<br />

als weniger kritisch eingeschätzt. Allerdings<br />

sind faserverstärkte Kunststoffe,<br />

beispielsweise Rotoren von Windkraftanlagen,<br />

schwierig zu verwerten, da die<br />

typischen Zerkleinerungsaggregate wie<br />

Shredder oder Mühlen nicht eingesetzt<br />

werden können. Als Farbstoffe werden<br />

Azofarbstoffe, organische und anorganische<br />

Pigmente und eine Reihe von Metallionen<br />

eingesetzt, von denen manche<br />

eine Tendenz zur Migration zeigen.<br />

Funktionelle Additive sind die bei Weitem<br />

größte Gruppe. Sie umfassen<br />

Weichmacher wie Alkylsulfonsäureester,<br />

in PVC und Phthalsäureester in PET.<br />

Als Flammhemmer werden unter anderem<br />

bromierte oder phosphathaltige<br />

Verbindungen zugesetzt. Stabilisatoren<br />

verbessern die thermische Widerstandsfähigkeit<br />

von Kunststoffen. Dafür werden<br />

unter anderem Bisphenol A (BPA)<br />

und Kadmium- und Bleiverbindungen<br />

eingesetzt. Antioxidantien werden zugefügt,<br />

um den oxidativen Abbau von<br />

Kunststoffen unter Lichteinwirkung zu<br />

verzögern. Bei Lebensmittelverpackungen<br />

werden Arylamine am häufigsten<br />

eingesetzt, daneben auch Phenole und<br />

Organophosphite. Weitere Additive sind<br />

Gleitmittel, Kleber, Antistatika, Härter,<br />

Treibmittel und Biozide, die im Produktionsprozess<br />

zugefügt werden.<br />

Additive können in Recyclingprozessen<br />

negative Auswirkungen haben, insbesondere<br />

wenn einfache und veraltete Technologien<br />

zum Einsatz kommen, wie das<br />

typischerweise in Zusammenhang mit<br />

informellen Recyclingprozessen der Fall<br />

ist. Diese Technologien sind häufig ineffizient<br />

in Bezug auf die Energienutzung<br />

und zeigen hohe Emissionen. Die Qualität<br />

des Einsatzmaterials in Recyclingprozessen,<br />

insbesondere Umschmelzverfahren<br />

bei der stofflichen Verwertung im Sinne<br />

von Homogenität und Verunreinigungen<br />

(wie Etiketten, Aufdrucke oder Anhaftungen)<br />

hat wesentlichen Einfluss auf<br />

die Qualität des Output Materials und die<br />

Eine besondere Herausforderung stellt<br />

die Verwertung von Kunststoffen aus<br />

Elektroaltgeräten dar, da hier mit einem<br />

höheren Gehalt an Additiven, insbesondere<br />

Flammschutzmittel, zu rechnen ist.<br />

Das nichtkarzinogene Risiko wird auf<br />

Toluol, Ethylbenzol, Styrol, Methylenchlorid<br />

und Trichlorethen zurückgeführt,<br />

das Krebsrisiko auf Acrylnitril, Styrol,<br />

Ethylbenzol und 1,2 Dichlormethan. Die<br />

in der Literatur dokumentierten Fälle<br />

zeigen auch die Belastung im Umfeld<br />

von Recyclinganlagen, beispielsweise<br />

hohe PBDE-Belastungen im Umfeld von<br />

Kunststoffrecyclern in Südchina.<br />

Neben den Emissionen aus Recyclingprozessen<br />

zeigen manche Additive auch ein<br />

unerwünschtes Migrationsverhalten. So<br />

wurden beispielsweise bromierte Flammhemmer<br />

in Kinderspielzeug und Haushaltsprodukten<br />

nachgewiesen, die aus<br />

Recyclingmaterial hergestellt wurden.<br />

Für Phtalate wurde ebenfalls der Eintrag<br />

aus Recyclingmaterial nachgewiesen.<br />

Um die Kreisläufe von Kunststoffen zu<br />

schließen und die negativen Auswirkungen<br />

für Mensch und Umwelt gering zu<br />

halten, ist jedenfalls ein multiperspektivischer<br />

wissenschaftlicher Ansatz ebenso<br />

unerlässlich wie geeignete politische<br />

Rahmenbedingungen und die Mitwirkung<br />

von Handel, Industrie und nicht<br />

zuletzt der Konsument*innen.<br />

Ao. Univ.Prof. DI Dr. Stefan Salhofer ist Dozent am<br />

Institut für Abfallwirtschaft (ABF-<strong>BOKU</strong>), DI Mag.<br />

Peter Beigl und Mag. Dr. Christian Zafiu sind am<br />

ABF als Senior Scientists tätig.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

15


PLASTIK<br />

Retter in der Not? Enzyme für eine<br />

nachhaltige Plastik-Kreislaufwirtschaft<br />

Hocheffiziente Biokatalysatoren stellen zunehmend eine grüne Alternative für das Recycling von<br />

Kunststoffen dar.<br />

Von Doris Ribitsch<br />

Martin Künsting/Universität Greifswald<br />

Seit ihrer Einführung als Massenprodukt<br />

in den 1950er-Jahren haben<br />

Kunststoffe auf ihrem weltweiten<br />

Siegeszug unser tägliches<br />

Leben revolutioniert und maßgeblich<br />

zu einem hohen Lebensstandard beigetragen.<br />

Aufgrund ihrer vorteilhaften<br />

Eigenschaften wie der geringen Dichte,<br />

hohen Festigkeit, der Temperatur- und<br />

chemischen Beständigkeit sowie ihrer<br />

niedrigen Produktionskosten sind sie für<br />

die heutige Gesellschaft unverzichtbar<br />

geworden.<br />

Die unschlagbaren Vorteile spiegeln sich<br />

in den Produktionszahlen wider, und so<br />

wird prognostiziert, dass die weltweite<br />

Produktion im Jahr 2025 auf 600 Millionen<br />

Tonnen steigen wird. Da 99 % des<br />

Plastiks aus fossilen Brennstoffen wie<br />

Kohle, Öl und Gas hergestellt werden,<br />

reduziert der hohe Kunststoffverbrauch<br />

3-D-Kristallstruktur des Enzyms Cutinase aus<br />

dem Bakterium Thermobifida cellulosilytica mit<br />

modellierter Bindung von Polyester (PET – gelb)<br />

nicht nur drastisch die wertvollen fossilen<br />

Rohstoffreserven, sondern trägt<br />

auch signifikant zur Klimakrise bei.<br />

Doch Plastik hat noch eine andere<br />

Schattenseite, die bereits dramatische<br />

Auswirkungen auf unsere Gesundheit<br />

und die Ökosysteme hat, nämlich das<br />

Aufkommen von Plastikmüll. Aktuell<br />

werden in Europa jährlich 25 Millionen<br />

Tonnen Kunststoffabfälle produziert,<br />

jedoch nur 30 % davon rezykliert. Nachlässige<br />

Abfallentsorgung und unzureichende<br />

Kreislaufwirtschaft haben daher<br />

zu immensen Mengen an Kunststoffabfällen<br />

geführt, die sich in terrestrischen<br />

oder marinen Habitaten angesammelt<br />

haben. Dabei hat sich herausgestellt,<br />

dass sogenanntes Mikroplastik, also<br />

Plastikfragmente mit einer Größe < 5<br />

mm, den Hauptanteil der Verschmutzung<br />

ausmacht. Die derzeit verfügbaren<br />

Recyclingmethoden, die auf mechanischen<br />

und chemischen Methoden basieren,<br />

sind oft umweltbelastend, materialschädigend<br />

und vielfach nur für<br />

ausgewählte und sortenreine Kunststoffe<br />

anwendbar.<br />

16 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


In den letzten Jahren konnte gezeigt werden,<br />

dass Enzyme eine grüne Alternative<br />

für das Recycling von Kunststoffen im Sinne<br />

einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft<br />

darstellen. Die hocheffizienten Biokatalysatoren<br />

führen biochemische Reaktionen<br />

mit hoher Spezifität und Selektivität<br />

durch und spalten Polymere in Oligomere<br />

und Monomere – wertvolle Moleküle, die<br />

zur Herstellung neuer Kunststoffe und<br />

anderer Upcycling-Produkte verwendet<br />

werden können. Dabei ist die enzymatische<br />

Spaltung nicht auf spezifische und<br />

reine Polymere beschränkt, sondern auf<br />

alle abbaubaren Kunststofftypen sowie<br />

gemischte Polymere und Verbundstoffe<br />

anwendbar, die mit derzeitigen Methoden<br />

entweder gar nicht oder nur nach einer<br />

technisch aufwendigen und kostenintensiven<br />

Vorsortierung für ein Recycling zugänglich<br />

sind. Jedoch sind Enzyme hochspezifisch<br />

für bestimmte Polymere und<br />

so können auch aus Verbundmaterialien<br />

(z. B. Verpackungsmaterialien) oder gemischten<br />

Abfällen stufenweise Bausteine<br />

in reiner Form rückgewonnen werden.<br />

Darüber hinaus sind Enzyme als Proteine<br />

zu 100 % bioabbaubar.<br />

Am Institut für Umweltbiotechnologie,<br />

IFA Tulln, konnten in den vergangenen<br />

Jahren eine Reihe an Enzymen identifiziert<br />

werden, die in der Lage sind, auch in<br />

der Natur nicht vorkommende Polymere<br />

wie den Polyester Polyethylenterephthalat<br />

(PET) zu hydrolysieren. Die Enzyme<br />

wurden vor allem aus pflanzenpathogenen<br />

Bakterien und Pilzen isoliert, die<br />

über die Fähigkeit verfügen, die Esterbindungen<br />

des natürlichen Polyesters<br />

Cutin zu spalten, dem Hauptbestandteil<br />

der Cuticula, die Blätter, Früchte, Blüten<br />

und andere nicht verholzende Teile höherer<br />

Pflanzen bedeckt.<br />

Doris Ribitsch im Labor.<br />

Die effizientesten Enzyme, die aufgrund<br />

ihrer Aktivität am Cutin als Cutinasen bezeichnet<br />

werden, konnten aus Stämmen<br />

des Genus Thermobifida isoliert werden,<br />

der im Kompost dazu beiträgt, organisches<br />

Material abzubauen. Tatsächlich<br />

konnte nachgewiesen werden, dass die<br />

isolierten Cutinasen nicht nur das natürliche<br />

Cutin, sondern auch den synthetischen<br />

Polyester PET spalten können. Da<br />

sich PET jedoch strukturell stark von Cutin<br />

unterscheidet, waren die Aktivitäten<br />

gegenüber dem synthetischen Polyester<br />

wesentlich geringer. Die isolierten Cutinasen<br />

wurden daher mittels Methoden<br />

des Protein Engineerings strukturell<br />

so verändert, dass das aktive Zentrum,<br />

an dem die Spaltung des Kunststoffs<br />

im Enzym stattfindet, an die sperrigen<br />

Polymere angepasst und die Adsorption<br />

der Enzyme am Polyester verbessert<br />

wurden. Diese Modifikationen haben zu<br />

einer erheblichen Steigerung des Polymerabbaus<br />

geführt.<br />

Der große Vorteil von Enzymen, kunststoffhaltige<br />

Materialgemische schrittweise<br />

aufzutrennen und getrennt wiederzuverwerten,<br />

wurde am Department für<br />

Agrarbiotechnologie, IFA Tulln, in Kooperation<br />

mit Partner*innen aus der Industrie<br />

anhand eines Prozesses demonstriert, der<br />

für das Recycling von Textilien entwickelt<br />

und patentiert wurde. Nicht zuletzt durch<br />

die Fast-Fashion-Industrie trägt der Textilbereich,<br />

in dem der Anteil an synthetischen<br />

Fasern stetig zunimmt, dramatisch<br />

zur Umweltverschmutzung bei. So enden<br />

allein in der EU etwa 80 % der Altkleider<br />

in der Müllverbrennungsanlage oder<br />

auf der Deponie. Nicht zuletzt wird ein<br />

Recycling auch grundsätzlich durch einen<br />

hohen Anteil an Mischgeweben von über<br />

40 % erschwert. In dem FFG-geförderten<br />

Projekt „Tex2Mat“ wurde gemeinsam<br />

mit Partner*innen aus der Industrie ein<br />

Prozess entwickelt, in dem Textilien aus<br />

Misch geweben wie Hand- oder Leintücher,<br />

die durch den Gebrauch bereits<br />

stark geschädigt sind und daher nicht<br />

wiederverwendet werden können, im<br />

Pilotmaßstab mit Enzymen in die einzelnen<br />

Komponenten zerlegt werden.<br />

In diesem Prozess werden die Baumwoll-Polyester-Mischtextilien<br />

zunächst<br />

mit Cellulose hydrolysierenden Enzymen,<br />

sogenannten Cellulasen, behandelt<br />

und so die Baumwolle in Zucker<br />

aufgespalten, die als Ausgangsmaterial<br />

für Fermentationsprozesse beispielsweise<br />

zur Produktion von Bioethanol<br />

oder Milchsäure als Baustein zur Synthese<br />

des bio-basierten Polyester Polymilchsäure<br />

dienen. Die verbleibenden<br />

Polyesterbestandteile hingegen können<br />

wieder zu neuem Garn versponnen<br />

werden. In ähnlicher Weise ist es auch<br />

möglich, aus komplexen Abfallströmen<br />

und Mischgeweben stufenweise mittels<br />

Enzymen die Bausteine der einzelnen<br />

Komponenten (Cellulose, Polyester,<br />

Polyamid etc.) wiederzugewinnen, wie<br />

in dem EU-Projekt Resyntex erstmals<br />

gezeigt wurde. Mehrere <strong>BOKU</strong>-Institute<br />

von unterschiedlichen Departments<br />

arbeiten derzeit im Rahmen einiger<br />

EU-Projekte (Uplift, SCIRT, Enzycle) an<br />

der Weiterentwicklung von biotechnologiebasierten<br />

Strategien zum Recycling<br />

von Kunststoffen.<br />

•<br />

Mag. a Dr. in Doris Ribitsch ist Senior Scientist am<br />

Institut für Umweltbiotechnologie.<br />

www.Fischer-Media.at<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

17


Umweltbundesamt/B. Gröger<br />

Hohe Fehlwurfraten bei den getrennt gesammelten Kunststoffabfällen<br />

verursachen einen größeren Aufwand beim Recycling.<br />

PLASTIK<br />

Kunststoffe gewinnen<br />

Von Christian Neubauer, Umweltbundesamt<br />

Das Umweltbundesamt hat den Stand der Sortierung und des Recyclings von Kunststoffabfällen in<br />

Österreich analysiert. Das Fazit: Die neuen EU-Recycling-Ziele können mit der bestehenden Anlagenstruktur<br />

und unter den derzeitigen finanziellen Rahmenbedingungen nicht erreicht werden.<br />

Dazu braucht es veränderte Sammlung, bessere Sortierung und neue Technologien.<br />

Die Europäische Union gibt für die<br />

nächsten Jahre klare Ziele für den<br />

Umgang mit Kunststoffabfällen<br />

vor: Bis zum Jahr 2030 soll mehr als die<br />

Hälfte recycelt werden. Vor diesem Hintergrund<br />

hat das Umweltbundesamt das<br />

Kunststoffrecycling und die eingesetzten<br />

Sortier- und Recyclingtechniken in<br />

Österreich analysiert und vorhandene<br />

Hemmnisse und Treiber mit Anlagenbetreiber*innen<br />

identifiziert. Die Studie<br />

zeigt, dass es Investitionen und verbesserte<br />

Rahmenbedingungen braucht, um<br />

die EU-Ziele zu erreichen. Daher sollten<br />

der finanzielle und der rechtliche<br />

Rahmen angepasst und die Sortier- und<br />

Recyclingkapazitäten ausgebaut werden.<br />

Produzent*innen sollen mehr Verantwortung<br />

beim recyclinggerechten Produktdesign<br />

übernehmen.<br />

VOM ABFALL ZUM WERTSTOFF<br />

Österreich ist ein Land der Sammler*innen.<br />

Die Qualität der entsorgten Kunststoffe<br />

nimmt allerdings ab, während die<br />

Fehlwurfraten bei den Inputmaterialien<br />

in die Sortieranlagen steigen. Ein Beleg<br />

dafür, dass die Trennmoral in den<br />

vergangenen Jahren abgenommen hat.<br />

Um das Trennen zu fördern, braucht es<br />

Bewusstseinsbildung und Information,<br />

zum Beispiel durch Abfallberater*innen<br />

oder Abfallsammler*innen. Damit Kunststoffe<br />

künftig als Wertstoffe angesehen<br />

werden, sind alle Beteiligten gefordert:<br />

Konsument*innen, Abfallwirtschaftsverbände,<br />

Sortierer*innen, Recycler*innen,<br />

Gemeinden und Produktionsbetriebe.<br />

Hohe Fehlwurfraten bei den getrennt<br />

gesammelten Kunststoffabfällen verursachen<br />

einen größeren Aufwand beim<br />

Recycling und damit auch höhere Kosten.<br />

Abhilfe können einheitlichere Kennzeichnung,<br />

zum Beispiel bei der Farbgebung<br />

von Abfallbehältern oder Logos auf<br />

den Kunststoffprodukten, schaffen. Auch<br />

mit harmonisierten Sammelkategorien<br />

bei der getrennten Sammlung lässt sich<br />

gegensteuern, im Idealfall nach einem<br />

österreichweit einheitlichen Schema,<br />

über alle Systeme und Abfallwirtschaftsverbände<br />

hinweg.<br />

ÖSTERREICHISCHE ANLAGEN<br />

GUT AUFGESTELLT<br />

Das Umweltbundesamt untersuchte vier<br />

Sortier-, elf Recyclinganlagen und eine<br />

Pilotanlage. Der technische Standard der<br />

Recyclinganlagen befindet sich derzeit im<br />

europäischen Vergleich in einem guten<br />

18 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Themenfeld: Sortierung und Behandlung<br />

Bewusstseinssteigerung betreffend<br />

getrennter Sammlung<br />

0 5 10 15 20 25 30<br />

bestehenden Verfahrenstechnik und<br />

die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten<br />

wären zwar möglich, allerdings scheitert<br />

es aktuell an der dafür erforderlichen<br />

Finanzierbarkeit.<br />

Erhöhung der Sortiertiefe<br />

Unerwünschte Inhaltsstoffe/Anteile<br />

in Kunststoffabfällen<br />

Komplexe Verbundstoffe und Materialien<br />

Getrennthaltung von unterschiedlichen<br />

Abfallströmen aufgrund rechtlicher/<br />

normativer Erfordernisse<br />

Priorität<br />

Um die Recyclingausbeuten insbesondere<br />

bei Elektro- und Elektronikaltgeräten<br />

zu verbessern, müssen auch hier die Sortiertechnik<br />

optimiert oder Kunststoffteile<br />

vor der maschinellen Zerkleinerung<br />

vermehrt demontiert werden. Zudem ist<br />

es wichtig, die Forschung zu neuen Recyclingtechniken<br />

und Einsatzmöglichkeiten<br />

für Rezyklate zu stärken.<br />

Themenfeld: Marktsituation |-steuerung<br />

Stärkung Absatzmärkte<br />

Fehlende Inputmengen<br />

Qualität importierter Kunststoffabfälle<br />

Quelle: Umweltbundesamt<br />

Preisgestaltung<br />

Abfallverbringung<br />

Zustand. Einige Anlagen werden derzeit<br />

an den Stand der Technik angepasst oder<br />

planen solche Anpassungen in naher Zukunft.<br />

Zusätzlich wurden in Österreich<br />

in den vergangenen Jahren mehrere<br />

neue Recyclinganlagen errichtet, um<br />

die neuen Vorgaben der EU erfüllen zu<br />

können. Bei Sortieranlagen muss dafür<br />

nachgerüstet werden. Insgesamt nimmt<br />

Österreich aber bei der Entwicklung und<br />

Herstellung von Sortier- und Recyclingtechnologien<br />

für Kunststoffabfälle eine<br />

Vorreiterrolle ein und kann diesen Vorteil<br />

für aktuelle Herausforderungen nutzen.<br />

Das Potenzial zur Verwertung und zur<br />

Nutzung von Kunststoffabfällen ist noch<br />

nicht ausgeschöpft. Von den 0,95 Millionen<br />

Tonnen an Kunststoffen, die in<br />

Abfällen enthalten sind, wurden 2018<br />

circa 72 % thermisch verwertet. Mit<br />

ein Grund dafür sind die hohen Kosten,<br />

die eine Bereitstellung von sortenreinen<br />

recyclingfähigen Fraktionen durch<br />

zusätzliche Sortierung und Erfassung<br />

0 5 10 15 20 25 30 35<br />

Priorität<br />

erfordern. Kunststoffabfälle müssen<br />

teilweise importiert werden, damit das<br />

Recycling rentabel bleibt. Zudem ist das<br />

Kunststoffrecycling bei Elektro- und<br />

Elektronik altgeräten sowie Altfahrzeugen<br />

nach wie vor sehr komplex, die Quoten<br />

sind hier noch niedrig.<br />

MEHR SORTIEREN<br />

FÜR MEHR RECYCLING<br />

In den Sortieranlagen, die das Umweltbundesamt<br />

analysiert hat, werden überwiegend<br />

Verpackungskunststoffe aus der<br />

getrennten Sammlung von Kunststoffflaschen<br />

und der „Gelben Sack“-Sammlung<br />

sortiert. 30–40 % dieser Kunststoffabfälle<br />

werden für das Recycling abgetrennt,<br />

der Rest wird thermisch verwertet. Aus<br />

den Gesprächen mit den Anlagenbetreibern<br />

geht hervor, dass eine genauere<br />

Sortierung und eine intensivere Erfassung,<br />

zum Beispiel mit zusätzlichen Sammelsystemen,<br />

das Angebot an Kunststoffabfällen<br />

erhöhen kann. Ein Upgrade<br />

der Technologien, die Umstellung der<br />

VORAUSSETZUNGEN SCHAFFEN,<br />

UM EU-ZIELE ZU ERREICHEN<br />

Um die EU-Ziele zu erreichen, braucht es<br />

vor allem einen verbesserten rechtlichen<br />

Rahmen, lautete der Tenor im Workshop<br />

mit den Anlagenbetreibern. EU-Vorgaben<br />

sollen rasch auf nationaler Ebene umgesetzt<br />

werden, sodass sich Sammler*innen,<br />

Sor tierer*innen und Verwerter*innen<br />

auf die kommenden Änderungen zeitgerecht<br />

vorbereiten können. Im Sinne der<br />

Kreislaufwirtschaft sollte bereits bei der<br />

Produktgestaltung das Recycling mitgedacht<br />

werden. Auch eine Änderung der<br />

Tarifgestaltung für Lizenzgebühren, die<br />

Importeur*innen, Abpa cker*innen und<br />

Vertreiber*innen an die Sammel- und<br />

Verwertungssysteme entrichten müssen,<br />

wäre denkbar, etwa mit höheren Tarifen<br />

für schwer rezyklierbare Verpackungen.<br />

Verpflichtende Anteile für rezykliertes<br />

Material für Kunststoffprodukte, finanzielle<br />

Förderungen und eine verstärkte<br />

öffentliche Beschaffung von recyclingfähigen<br />

Produkten würden den Markt für<br />

Rezyklate zusätzlich stärken.<br />

Diese Maßnahmen sind wichtige Zwischenschritte<br />

auf dem Weg von der linearen<br />

zur zirkulären Wirtschaft. Sie sparen<br />

nicht nur Primärressourcen, sondern tragen<br />

auch dazu bei, nachhaltige Produktions-<br />

und Konsummuster zu etablieren.<br />

Studie<br />

www.umweltbundesamt.<br />

at/news201221<br />

DI Christian Neubauer ist Experte für den Bereich<br />

Abfall- und Stoffflussmanagement im Umweltbundesamt.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

19


Mikroplastik überall in<br />

der Umwelt nachweisbar<br />

Von Katharina Sexlinger, Umweltbundesamt<br />

20 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


In einer aktuellen Studie haben Expert*innen des Umweltbundesamtes<br />

den Stand der Forschung zum Thema Mikroplastik<br />

untersucht und kommen zu dem Schluss: Mikroplastik ist<br />

mittlerweile in allen Bereichen unserer Umwelt vorhanden.<br />

PLASTIK<br />

Zahlreiche Analysen rund um den<br />

Globus weisen Mikroplastik in Gewässern,<br />

Böden und Luft, aber auch<br />

in Lebensmitteln, Kosmetik- und Reinigungsprodukten<br />

nach. Doch warum ist<br />

Plastik derart präsent in der Umwelt? In<br />

der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

begann die Erfolgsgeschichte von Kunststoffen.<br />

Mit steigenden Produktions raten<br />

ging ein Wandel unseres Konsumverhaltens<br />

einher. Gebrauchsgegenstände aus<br />

Plastik wurden in ihrer Herstellung günstiger<br />

und dadurch für einen größeren<br />

Kund*innenkreis erschwinglich. Heute<br />

gibt es kaum ein Produkt, das nicht in<br />

Plastik verpackt wird. Gebrauchsgegenstände<br />

werden damit vor Transportschäden<br />

geschützt. Bei Lebensmitteln werden<br />

Plastikverpackungen eingesetzt, um die<br />

Haltbarkeit zu verlängern. Diese Entwicklungen<br />

zeigen Folgen. Mittlerweile<br />

finden wir Plastik in der Umwelt und im<br />

Menschen. Das fast unsichtbare Mikroplastik<br />

wird weltweit in den entlegensten<br />

Gebieten nachgewiesen.<br />

WIE KOMMT MIKROPLASTIK<br />

IN DIE UMWELT?<br />

Mikroplastik gelangt auf verschiedenen<br />

Wegen in die Umwelt. Wird es Produkten<br />

wie Kosmetika, Reinigungsmitteln oder<br />

Farben direkt zugesetzt, gelangt es häufig<br />

mit dem Spülwasser in die Kanalisation.<br />

In der Menge weitaus bedeutsamer<br />

sind Mikroplastikpartikel, die durch Abrieb<br />

oder Zerfall entstehen, etwa durch<br />

Reifenabrieb, der mit rund 6.800 Tonnen<br />

jährlich die größte Quelle für Mikroplastik<br />

darstellt. Es folgen Emissionen bei der<br />

Abfallentsorgung, Faserabrieb bei der<br />

Textilwäsche, Abrieb von Farben (Straßenmarkierung,<br />

Fassaden), Verwehungen<br />

von Kunstrasenplätzen und Freisetzung<br />

auf Baustellen. Die am häufigsten<br />

nachgewiesenen Kunststoffarten können<br />

mit der globalen Kunststoffproduktion in<br />

Verbindung gebracht werden.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

21


MIKROPLASTIK AUCH ABSEITS<br />

VON MEEREN NACHGEWIESEN<br />

Bisherige Untersuchungen von Trinkwasser<br />

zeigen, dass Leitungswasser aus<br />

Grund- und Oberflächenwasser nicht<br />

bzw. nur gering belastet ist. Abgefülltes<br />

Trinkwasser hingegen weist tendenziell<br />

mehr Mikroplastik auf. PET (Polyethylenterephthalat)<br />

ist dabei die häufigste<br />

nachgewiesene Kunststoffart, was auf<br />

den Abrieb von Verpackungsmaterial<br />

zurückzuführen ist. Auch Plastikmaterial,<br />

das bei Trinkwasseraufbereitung bzw.<br />

Transport eingesetzt wird, trägt zur Verunreinigung<br />

bei.<br />

Betroffen vom Mikroplastik-Eintrag ist<br />

auch das Abwasser. Durch das Waschen<br />

synthetischer Kleidung, falsch entsorgte<br />

Hygieneprodukte oder industrielle<br />

Einleiter gelangen große Mengen an<br />

Mikro plastik in das Abwasser. Kläranlagen<br />

sorgen zwar durch aufwendige Reinigungs-<br />

und Filterprozesse dafür, dass<br />

ein Großteil der Mikroplastikbelastung<br />

entfernt wird, dennoch landet ein Teil<br />

davon wieder in der Umwelt.<br />

AUCH BÖDEN BELASTET<br />

Internationale Daten zeigen, dass auch<br />

der Boden von Mikroplastik-Eintrag betroffen<br />

ist. Der Einsatz von Kunststofffolien<br />

oder Betriebsmitteln aus Kunststoffen<br />

sowie Klärschlamm, Kompost oder<br />

Gärrückständen spielt hier eine zentrale<br />

Rolle. In Österreich gibt es dazu bisher<br />

nur eine Studie aus Vorarlberg: Auf mehreren<br />

landwirtschaftlichen Flächen im<br />

Rheintal fanden Expert*innen des Umweltinstituts<br />

Land Vorarlberg Plastikteile<br />

im Boden.<br />

Vor allem Klärschlamm ist eine bedeutende<br />

Eintragsquelle von Mikroplastik<br />

in den Boden. In Untersuchungen<br />

fanden Expert*innen eine Mikroplastik-Konzentration<br />

von 1.500–170.000<br />

Partikeln pro Kilogramm Trockengewicht<br />

Klärschlamm. Die Kunststoffarten<br />

Polyester, PET, PE (Polyethylen) und PA<br />

(Polyamide) wurden dabei am häufigsten<br />

nachgewiesen. Da Klärschlamm häufig<br />

in der Landwirtschaft als Düngemittel<br />

und im Landschaftsbau verwendet wird,<br />

gelangen Kunststoffe auf diesem Weg<br />

in den Boden.<br />

»<br />

„Mittlerweile finden wir<br />

Plastik in der Umwelt und<br />

im Menschen. Das fast unsichtbare<br />

Mikroplastik wird<br />

weltweit in den entlegensten<br />

Gebieten nachgewiesen.“<br />

REIFENABRIEB ALS GRÖSSTE<br />

QUELLE FÜR MIKROPLASTIK<br />

Eine weitere Quelle für Mikroplastik<br />

in der Umwelt ist der Abrieb von Reifen.<br />

Eine Umweltbundesamt-Studie<br />

aus 2015 schätzt den Reifenabrieb für<br />

Österreichs Straßen auf 6.766 Tonnen<br />

pro Jahr. Im gesamten EU-Verkehr entstehen<br />

Schätzungen zufolge jährlich<br />

mehr als 500.000 Tonnen Mikroplastik<br />

durch Reifenabrieb. Im Vergleich dazu<br />

werden in der EU jährlich rund 50.000<br />

Tonnen Mikroplastik bewusst als Zusatz<br />

zu Produkten verwendet. Die Qualität<br />

von Reifen und Straßen, der Verkehrsfluss<br />

oder das Gewicht von Fahrzeugen<br />

beeinflussen die Menge an freigesetztem<br />

Abrieb.<br />

ERSTE NACHWEISE VON<br />

MIKROPLASTIK IN DER LUFT<br />

Trotz geringer Datenlage konnten Studien<br />

Mikroplastik in der Luft in städtischen<br />

und auch in abgelegenen Bergregionen<br />

feststellen. Durch seine geringe<br />

Größe und Dichte wird Mikroplastik über<br />

weite Strecken transportiert und somit<br />

auch in abgelegene Gebiete getragen.<br />

So wies eine kürzlich erschienene Studie<br />

Mikroplastik sowohl in Schnee aus<br />

Europa als auch der Arktis nach. Für<br />

den Menschen relevant und potenziell<br />

gesundheitsgefährdend sind Partikelgrößen<br />

kleiner als zehn Mikrometer, da<br />

sie Barrieren im menschlichen Körper<br />

überwinden können (z. B. Haut, Organe)<br />

und sie über die Atmung aufgenommen<br />

werden. Zehn Mikrometer entsprechen<br />

etwa dem Durchmesser von Bakterien.<br />

MIKROPLASTIK IM MENSCHEN<br />

In einer Pilotstudie von Umweltbundesamt<br />

und Medizinischer Universität Wien<br />

wurde 2018 Mikroplastik im menschlichen<br />

Stuhl entdeckt – bei allen der acht internationalen<br />

Teilnehmer*innen. Diese konsumierten<br />

in Plastik verpackte Lebensmittel<br />

oder Getränke aus PET-Flaschen,<br />

die Mehrzahl von ihnen verzehrte Fisch<br />

bzw. Meeresfrüchte. Dass Mikroplastik in<br />

Lebensmitteln wie Fisch, Meeresfrüchten<br />

oder Salz vorhanden ist, zeigen weitere<br />

Studien. Die Menge und Zusammensetzung<br />

von Mikroplastik in Lebensmitteln,<br />

aber auch die gesundheitlichen Auswirkungen,<br />

sind allerdings noch unklar. •<br />

„Mikroplastik in der Umwelt“<br />

www.umweltbundesamt.at/fileadmin/<br />

site/publikationen/rep0727.pdf<br />

Katharina Sexlinger, Msc, ist Expertin für Mikroplastik<br />

im Umweltbundesamt.<br />

22 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Plastic Age – Forever?<br />

PLASTIK<br />

<strong>BOKU</strong>-Medienstelle / „Plastic Age“<br />

Wird die Zeit, in der wir gerade<br />

leben, einmal „Plastic<br />

Age“ genannt werden?<br />

Und wie lange wird diese Periode<br />

der Menschheitsgeschichte andauern?<br />

Ewig?<br />

Dieser Frage geht die <strong>BOKU</strong>doku<br />

„Plastic Age – Forever?“ nach, die<br />

das Filmteam <strong>BOKU</strong> in Zusammenarbeit<br />

mit dem UBA produziert<br />

hat. Wissenschaftler*innen der<br />

Universität für Bodenkultur Wien<br />

und Expert*innen des Umweltbundesamtes,<br />

die für diese Ausgabe<br />

des <strong>BOKU</strong>-<strong>Magazin</strong>s ebenfalls<br />

Beiträge geschrieben haben,<br />

geben darin einen multiperspektivischen,<br />

aufrüttelnden Überblick<br />

über das globale Problem, zu dem<br />

Kunststoffe für die Umwelt und<br />

unsere Gesundheit geworden sind.<br />

Mikroplastikpartikel sind für das<br />

freie Auge nicht mehr sichtbar,<br />

aber wir atmen sie ein und trinken<br />

sie. Mikroplastik findet sich auf<br />

den höchstgelegenen Gletschern<br />

ebenso wie in den Böden und in<br />

unseren Lebensmitteln. Weltweit.<br />

Zur <strong>BOKU</strong>doku<br />

„Plastic Age“<br />

https://short.<br />

boku.ac.at/<br />

plasticage<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

23


Michael Hauser<br />

PLASTIK<br />

Kenia: Weg mit dem Plastik<br />

Wie der Übergang in eine Welt ohne Wegwerfkunststoff nach dem Vorbild Ruandas bewerkstelligt werden soll.<br />

Von Michael Hauser<br />

Vor dem World Agroforestry<br />

Center in Nairobi kontrollieren<br />

Sicherheitsbeamte Fahrzeuge<br />

auf Waffen und Sprengstoff. Seit 2020<br />

suchen die Beamten auch nach Einweg-<br />

Kunststoffflaschen. Diese sind aus dem<br />

Forschungszentrum verbannt, wie auch<br />

aus Nationalparks und von den kenianischen<br />

Stränden. Damit setzt nun auch<br />

Kenia Maßnahmen zur Reduktion von<br />

Einweg-Plastikmüll in Afrika, nach dem<br />

Vorbild von Ruanda, welches Einweg-<br />

Plastiktaschen bereits 2008 aus dem<br />

öffentlichen Leben verbannt hat.<br />

PLASTIKVERBOT<br />

In Kenia begann der Kampf gegen Einweg-Kunststoff<br />

mit dem Verbot der<br />

Herstellung, Nutzung und des Verkaufs<br />

von Einweg-Plastiktaschen im Jahr 2017.<br />

Darauf folgte im Jahr 2020 das selektive<br />

Verbot von Einweg-Plastikflaschen.<br />

Angesichts der Unmengen an Plastikmüll<br />

sind die Verbote von Einweg-Plastiktaschen<br />

und -flaschen nachvollziehbar. In<br />

Kenia findet man Plastik überall dort, wo<br />

es nicht hingehört – es liegt an Straßenkreuzungen,<br />

Spuren von Plastik finden<br />

sich in Meeresfrüchten, Süßwasserfischen<br />

und im Speisesalz. Plastik ist eine<br />

Tragödie für die kenianische Tierhaltung.<br />

Mit dem Konsum von Fleisch gelangt es<br />

in die menschliche Nahrungskette.<br />

Plastik ist nicht nur ein Problem der Lebensmittelindustrie,<br />

sondern auch der<br />

Landwirtschaft. Ein Beispiel ist Plastikmulch<br />

in der Gemüse- und Blumenindustrie.<br />

Auch davon ist das Verbot von<br />

Einweg-Plastik ausgenommen.<br />

Prekär ist das Plastikmüllproblem in den<br />

Armenvierteln der kenianischen Städte.<br />

Dort, wo die städtische Müllabfuhr<br />

nicht hingelangt, wird der Plastikmüll verbrannt,<br />

oder eben gestapelt. In manchen<br />

Stadtteilen stehen die Menschen auf Metern<br />

von Plastikmüll. In der Regenzeit wird<br />

dann das wahre Ausmaß der Katastrophe<br />

sichtbar: Abflüsse und Abwasserkanäle<br />

verstopfen, das stehende Wasser entlang<br />

von Fußwegen wird zur Quelle für<br />

Cholera, Gelbsucht und Typhus.<br />

AMBITIONIERTE ZIELE<br />

Ziel der kenianischen Regierung ist die<br />

Wiederverwertung von 80 % des Einwegplastik<br />

bis zum Jahr 2030. Gegenwärtig<br />

liegt Kenia bei einer Recyclingquote von<br />

15 %. Selbstverständlich könnte der Plastikmüll<br />

durch effiziente Müllsammlung<br />

und -trennung reduziert werden. Aber<br />

eine flächendeckende Abfallwirtschaft<br />

sowie eine umfassende Kreislauf- und<br />

Ressourcenpolitik fehlen in Kenia. Die<br />

Mülltrennung wird auf den Müllhalden<br />

vorgenommen.<br />

SCHWIERIGER ÜBERGANG<br />

Das genutzte Einweg-Plastik verliert unmittelbar<br />

nach der primären Nutzung<br />

seinen Wert, landet im Hausmüll oder auf<br />

der Straße. Plastikflaschen stellen einen<br />

zentralen Bestandteil des Einkommens<br />

für Menschen auf den Müllhalden dar,<br />

und es gibt keine Strategie zu Schaffung<br />

von alternativen Einkommensquellen<br />

für den informellen Müllsektor. Zuletzt<br />

stieg der Preis für Plastikmüll auf den<br />

Müllhalden – ein Ergebnis des sich verknappenden<br />

Angebots.<br />

24 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Am Land nutzen Menschen die Plastikflaschen<br />

für den Transport von Wasser,<br />

Speiseöl und Kerosin. Mit Einweg-Plastik<br />

werden aber auch Hauswände und Dächer<br />

geflickt. Straßenverkäufer könnten<br />

ihr Githeri (ein traditioneller Mais-Bohnen-Eintopf)<br />

nicht ohne Einweg-Plastiktüten<br />

anbieten.<br />

Umweltgruppen kritisierten zuletzt den<br />

Einfluss von wirtschaftlichen Interessen<br />

außerhalb Kenias auf die Umsetzung des<br />

Einweg-Plastikverbots in Kenia. In die<br />

Kritik geriet das American Chemistry<br />

Council, welches sich laut Berichten für<br />

Plastikmüllhandel mit Kenia einsetzte,<br />

insbesondere als Folge des Plastikimportbanns<br />

durch China. Kenia lehnte<br />

angeblich ab. Die Basel Konvention<br />

untersagt den Export von gemischten<br />

Kunststoffen in Länder mit geringem und<br />

mittlerem Einkommen.<br />

ERSTE ERFOLGE UND KRITIK<br />

Ich traf Billian Ochija, unseren Forschungspartner<br />

in Mathare, einem Armenviertel<br />

auf wenigen Quadratkilometern<br />

im Zentrum Nairobis. Billian begrüßte<br />

das Verbot von Einweg-Plastik. Seit<br />

dem Verbot sei die Plastikmüllbelastung<br />

in Mathare sichtlich zurückgegangen,<br />

sagt er.<br />

Immaculate Ede<br />

Gjenge Makers<br />

In Mathare, einem Armenviertel in Nairobi, leben die Menschen<br />

in, auf und viele auch vom Plastikmüll.<br />

Zur Unterstützung des Ausstiegs<br />

aus dem Einweg-<br />

Plastik initiierte Kenia die<br />

Gründung der Organisation<br />

PETCO, die kenianische Version<br />

des südafrikanischen<br />

Modells, mit dem Ziel, das<br />

Management und die Wiederverwertung<br />

von Einweg-<br />

Plastikprodukten flächendeckend<br />

einzuführen. PETCO<br />

wird von der Industrie finanziert,<br />

allerdings nach wie vor<br />

mit geringer Mitgliedschaft.<br />

KOOPERATIONEN<br />

Federführend in der Umsetzung<br />

des Verbots ist die<br />

kenianische Umweltbehörde<br />

NEMA, die National Environment<br />

Management<br />

Authority. Diese benötigt<br />

die Unterstützung der Gesellschaft,<br />

um nicht in bloßer<br />

Symbolpolitik steckenzubleiben.<br />

Notwendig ist ein nationaler<br />

Dialog. Dieser muss<br />

alle Interessensgruppen an<br />

den Tisch bringen, vor allem<br />

die Industrie und den Handel.<br />

Steuererleichterungen<br />

könnten ebenfalls helfen.<br />

Kritik an der Umsetzung des Verbots von<br />

Einweg-Plastikflaschen kommt von den<br />

kenianischen Umweltgruppen. Für sie<br />

müsste das Verbot auch die Erzeugung<br />

und den Vertrieb von Einweg-Plastikflaschen<br />

miteinschließen. Einweg-Besteck,<br />

-teller, Trinkhalme und Wegwerf-Essenbehälter<br />

aus Kunststoff sind nach wie vor<br />

im Umlauf. Auf Getränkebehälter aus<br />

Plastik gibt es kein Pfand. Letztendlich<br />

fehlt es an Detailvorgaben für Industrie,<br />

Gastronomie und Handel.<br />

INNOVATION<br />

Die Gesetzgebung im Kunststoffbereich<br />

ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Innovation<br />

ankurbeln lässt. Im Juni 2020<br />

gingen kenianische Start-ups mit der Entwicklung<br />

von Ziegeln für Fußwege aus<br />

Plastik-Ölbehältern und Getränkeflaschen<br />

auf den Markt. Gjenge Makers produziert<br />

Ziegel aus Wegwerfplastik, die „härter als<br />

Beton“ sind, wie die Hersteller sagen.<br />

Gjenge Makers produziert Ziegel aus Wegwerfplastik, die<br />

„härter als Beton“ sind, wie die Hersteller sagen.<br />

Mit der EU-Verordnung<br />

(„single Use plastic directive)<br />

kommen in Europa neue<br />

Vorgaben zum Verbot ausgewählter<br />

Kunststoffsorten,<br />

zur Kennzeichnung und Wiederverwertung<br />

von Plastikflaschen.<br />

Die Notwendigkeit<br />

zur technischen wie auch<br />

politischen Zusammenarbeit<br />

zwischen Europa und Afrika<br />

in der Suche nach globalen<br />

Lösungen zur Reduktion von<br />

Wegwerfkunststoffen liegt<br />

damit auf der Hand. •<br />

Michael Hauser ist Principal Scientist<br />

am International Crops Research<br />

Institute for the Semi-Arid Tropics in<br />

Kenia und Assoziierter Professor am<br />

Department für nachhaltige Agrarsysteme<br />

der <strong>BOKU</strong>.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

25


PLASTIK<br />

Die Spur der Flaschen<br />

Gudrun Obersteiner<br />

Das Projekt „PlasticFreeDanube“ ist abgeschlossen – und zeigt die Komplexität des Plastikproblems.<br />

Von Ingeborg Sperl<br />

Am Grunde der Donau wandern<br />

die Steine – und oben schwimmt<br />

das Plastik. Das Projekt „Plastic<br />

FreeDanube“, das auf drei Jahre ausgelegt<br />

war, wurde jetzt abgeschlossen.<br />

Insgesamt 15 Wissenschaftler*innen aus<br />

Österreich und der Slowakei, Mitarbeiter*innen<br />

von viadonau, dem Nationalpark<br />

Donauauen, freiwillige Helfer*innen<br />

und der <strong>BOKU</strong> unter der Leitung von<br />

Gudrun Obersteiner vom Institut für Abfallwirtschaft<br />

haben versucht herauszufinden,<br />

welche Art von Plastik wann und<br />

wo angeschwemmt wird.<br />

Untersucht wurde die Strecke zwischen<br />

Wien und Bratislava. Die Computermodellierungen<br />

zum Verhalten der<br />

Kunststoffe im Wasser und die Plastiktransportmessungen,<br />

die das Team des<br />

Instituts für Wasserbau, Hydraulik und<br />

Fließgewässerforschung (IWA) unter der<br />

Leitung von Marcel Liedermann durchgeführt<br />

hat, wurden einem Praxistest<br />

unterzogen. Eigentlich hofften die Forscher*innen<br />

in den vergangenen drei<br />

Jahren auf ein größeres Hochwasser,<br />

um die Computermodelle speziell auch<br />

in den für die Plastikakkumulation wichtigen<br />

Überflutungsbereichen zu verifizieren.<br />

Aber den Gefallen tat ihnen die<br />

Donau nicht, beziehungsweise nur in geringem<br />

Ausmaß. Heuer wird es wegen<br />

der heftigen Schneefälle vielleicht ein<br />

Hochwasser geben. Die Natur ist halt<br />

ein wenig unberechenbar.<br />

PLASTIK NACH WASSERSTAND<br />

Die Nationalpark-Ranger kennen Hotspots<br />

aus ihrer täglichen Erfahrung, was<br />

hilfreich für das Projekt war. Zusammen<br />

mit Freiwilligen wurde zu sammeln begonnen.<br />

Das klingt einfacher als es ist.<br />

Denn erstens surren in der Au bekanntlich<br />

Milliarden von Stechmücken und<br />

zweitens gibt es dort reichlich Unterwuchs.<br />

Bei zwei Meter hohen Brennnesseln<br />

merkt man bald, dass man da<br />

nicht sonderlich komfortabel arbeitet.<br />

Außerdem beschränken sich die Freiwilligensammlungen<br />

auf Littering-Hotspots,<br />

wo man mit dem Auto leicht hinkommt.<br />

Neben den Freiwilligensammlungen<br />

wurden daher 15 zufällig gewählte und<br />

fünf Meter breite Streifen am Donauufer<br />

zwischen Haslau und Regelsbrunn<br />

regelmäßig kontrolliert, um Erkenntnisse<br />

zu Häufigkeit und Art der Kunststoffanschwemmungen<br />

in Abhängigkeit vom<br />

Wasserstand zu gewinnen.<br />

Im Rahmen des Projektes wurde auch<br />

darüber nachgedacht, wie man „Fallen“<br />

für das Plastik anlegen kann. Da könnten<br />

speziell angeordnete Buhnen oder<br />

andere wasserbauliche Strukturen im<br />

Fluss nützlich sein. Es wurde der Frage<br />

nachgegangen: Wie könnte man Buhnen<br />

gestalten, damit dort möglichst viel Müll<br />

hängen bleibt?<br />

Fast ein Fünftel der Funde bei den freiwilligen<br />

Sammlungen waren PET-Flaschen,<br />

also 19 Prozent des Abfalls nach<br />

Gewicht. In Summe lagen PET-Flaschen<br />

an zweiter Stelle. Nur Gegenstände, die<br />

dem Haushalts- und Freizeitbereich zugeordnet<br />

wurden, machten mehr aus.<br />

Stückzahl, Gewicht, Volumen wurden –<br />

soweit möglich – ermittelt und sortiert.<br />

Aber vieles kann man gar nicht richtig<br />

erfassen beziehungsweise einer Verschmutzungsquelle<br />

zuordnen.<br />

WIND BRINGT STYROPOR<br />

Wer hätte auch daran gedacht, dass<br />

Dämmplatten von Baustellen oder<br />

Styroporschalen von Lebensmittelverpackungen<br />

ein gröberes Problem darstellen.<br />

Beim Grillen auf der Donauinsel<br />

fliegt schon einmal die leichte Styropor-<br />

26 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Quelle: PlasticFreeDanube<br />

DONAUINSEL RECHENGUT UFER HINTERLAND<br />

verpackung des Grillhendls weg. Der<br />

Wind trägt die Verpackung ins Wasser.<br />

Das Styropor zerlegt sich in winzige Brösel,<br />

die man kaum sammeln und schon<br />

gar nicht mehr zählen kann.<br />

Plastik kann hundert, eventuell bis zu<br />

mehrere hundert Jahre überdauern.<br />

„Oft werfen die Menschen gar nicht<br />

absichtlich etwas weg. Müllsäcke können<br />

von Krähen aufgehackt werden, Badeschlapfen<br />

oder Tennisbälle, die wir oft<br />

finden, gehen einfach verloren“, meint<br />

Obersteiner. Ein weiteres Ärgernis sind<br />

zum Beispiel Hüllen von Müsliriegeln,<br />

die einem einfach aus der Tasche fallen<br />

können.<br />

Einen dringenden Appell richtet Obersteiner<br />

vor allem an die Benutzer*innen<br />

von Hygieneartikeln: „Wattestäbchen,<br />

Tampons, Binden oder Feuchttücher gehören<br />

keinesfalls ins WC. Diese können<br />

nämlich in weiterer Folge (speziell bei<br />

Starkregenereignissen) über den Kanal<br />

in die Donau gelangen. Immerhin 9 %,<br />

gemessen an den Stückzahlen bei den<br />

Detailsammlungen am Ufer, waren dem<br />

Hygienebereich zuzuordnen. Man stelle<br />

sich bloß vor, im Wasser werden die Mikroteilchen<br />

von den Fischen gefressen<br />

und landen dann wieder auf unseren<br />

Tellern“. Gleiches gilt für Zigarettenstummel.<br />

Die zerbröckeln höchstens,<br />

sind aber sehr resistent. Also liegt es in<br />

unserem eigenen Interesse, dass diese<br />

Mikroteilchen nicht in unser Essen gelangen.<br />

EIGENER BEITRAG<br />

Abfallvermeidung ist zum öffentlichen<br />

Thema geworden. Gerade Abfallvermeidung<br />

und der sorgsame Umgang<br />

mit Abfällen ist etwas, wo jede*r Einzelne<br />

etwas tun kann und muss. Es liegt<br />

in unserer Hand, dass weniger Kunststoffe,<br />

etwa bei der Grillparty auf der<br />

Donauinsel in die Umwelt, von dort in<br />

die Flüsse und in letzter Konsequenz im<br />

Meer landen, und wenn es dadurch ist,<br />

dass wir uns sogar einmal nach einem<br />

Plastikbecher bücken, den gar nicht wir<br />

selber verloren haben und ihn in den<br />

nächsten Mistkübel werfen. Zusätzlich<br />

kann man aber natürlich am Anfang der<br />

Pipeline beginnen und bestimmte Materialien,<br />

etwa in Verpackungen, verbieten<br />

oder institutionelle Maßnahmen setzen.<br />

Über ein Einweg-Pfand für PET-Flaschen<br />

wird seit Längerem heftig diskutiert.<br />

Wann das beschlossen wird, steht jedoch<br />

in den Sternen.<br />

Während der Laufzeit des Projektes<br />

wurden Workshops mit Stakeholdern<br />

organisiert, und weitere Maßnahmen<br />

zur Öffentlichkeitsinformation überlegt.<br />

Sammelaktionen im Nationalpark wird es<br />

weiterhin geben, Materialien für Schulen<br />

wurden ebenfalls produziert.<br />

Immerhin, einen ganz kleinen Nutzen<br />

haben die PET-Flaschen für das Projekt.<br />

Einige Plastikflaschen wurden mit GPS-<br />

Sendern ausgestattet, um ihren Weg<br />

verfolgen zu können. Andere wurden<br />

zur Flaschenpost umfunktioniert. Wer<br />

sie findet, wird gebeten, sich bei der<br />

Adresse, die auf dem Zettel steht, zu<br />

melden. „Es wäre natürlich spannend zu<br />

hören, wie weit die Flaschen auf ihrem<br />

wohl vorbestimmten Weg zur Schwarzmeermündung<br />

gekommen sind“, sagt<br />

Obersteiner.<br />

•<br />

www.plasticfreeconnected.com<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

27


Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung<br />

Durch Bodenversiegelung gehen wertvolle Überflutungsflächen verloren, wodurch der Abfluss beschleunigt wird.<br />

„Ein Problem ist die Entfremdung<br />

der Menschen von den Flüssen“<br />

Interview: Ingeborg Sperl<br />

Viel Schnee verheißt viel Hochwasser. Von renaturierten Flüssen verspricht man sich weniger Hochwasserschäden,<br />

weil Überflutungen in renaturierten Abschnitten die Überschwemmung flussabwärts verringern.<br />

Helmut Habersack, Leiter des Instituts für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung (IWA), über<br />

Begrifflichkeiten, Umdenken und den Status quo.<br />

Renaturierung klingt einleuchtend, aber<br />

was heißt das genau?<br />

Habersack: Eigentlich bedeutet Renaturierung,<br />

sich die natürlichen Lebensräume<br />

und vor allem die Prozesse zurückzuholen.<br />

In Österreich wurden die<br />

Flüsse sehr eng reguliert. Die Donau war<br />

einmal drei Kilometer breit, dann wurde<br />

sie auf 300 Meter eingeengt. Die Mur<br />

hatte sich auf eineinhalb Kilometer ausgebreitet,<br />

dann ist sie vor Radkersburg<br />

auf 76 Meter reduziert worden.<br />

Warum hat man das gemacht?<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste<br />

man die Ernährung der Bevölkerung sicherstellen.<br />

Man gewann durch die Regulierung<br />

der Flüsse mehr Ackerland.<br />

Was Hochwasser betrifft, dachte man,<br />

dass die Fließgeschwindigkeit höher wird<br />

und das Hochwasser schneller weggeht.<br />

Natürlich hat man das Problem dadurch<br />

nach flussabwärts verlagert. Viele Überflutungsflächen<br />

verschwanden, das hat<br />

die Beschleunigung nochmals verstärkt.<br />

Es wurden Dämme errichtet, die Flächen<br />

daneben wurden für sicher gehalten und<br />

mit Häusern und Einkaufszentren bebaut.<br />

Der Effekt war, dass sich die Hochwassergefahr,<br />

das Schadenspotenzial und somit<br />

das Hochwasserrisiko bei Extremhochwässern<br />

über den Dimensionierungswerten<br />

erhöht haben, besonders wenn zum<br />

Beispiel das Wasser den Damm überflutet.<br />

Zukünftig kommen Klimawandel und<br />

Gletscherschmelze hinzu, was die Lage<br />

noch einmal verkompliziert.<br />

Die Versiegelung der Böden wird endlich<br />

auch als negativer Faktor erkannt?<br />

Zwischen 1950 und 2010 wurden am<br />

österreichischen Inn zum Beispiel bis zu 30<br />

Prozent der landwirtschaftlichen Flächen<br />

in Überflutungsflächen verloren, wobei<br />

Böden für Gebäude oder Infrastrukturen<br />

28 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Ingeborg Sperl<br />

„Einen hundertprozentigen<br />

Schutz gegen Hochwasser<br />

gibt es nicht, aber<br />

Überstromstrecken können<br />

die Gefahr abschwächen.“<br />

Helmut Habersack, Leiter des Instituts für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung (IWA).<br />

»<br />

asphaltiert und betoniert wurden. Österreichweit<br />

gehen derzeit insgesamt etwa<br />

zwölf Hektar pro Tag an unverbauten<br />

Flächen verloren. Durch den Verlust der<br />

Flächen wird der Abfluss beschleunigt.<br />

Die einfache Reaktion wäre dann, noch<br />

höhere Dämme zu bauen.<br />

Das macht man gerade in anderen Ländern.<br />

Was aus obigen Gründen problematisch<br />

ist, es gibt keinen hundertprozentigen<br />

Hochwasserschutz. Aber durch<br />

Überströmstrecken kann man das unkontrollierte<br />

Überfluten der Dämme zum Beispiel<br />

bei HQ 300 – das ist ein Hochwasser,<br />

welches alle 300 Jahre einmal erreicht<br />

oder überschritten wird – verhindern.<br />

Einengungen sind also hochproblematisch.<br />

Was passiert dabei noch?<br />

Die Breite und das Gefälle eines Flusses<br />

sind sehr wichtig, Verringerung der Breite<br />

und Erhöhung des Gefälles steigern<br />

die Transportkapazität. Flüsse graben<br />

sich ein, wenn die Abflussgeschwindigkeit<br />

steigt und es kein Geschiebe von<br />

flussauf gibt. Damit kommt es zu Sohleintiefungen,<br />

die Ufer werden unterspült,<br />

der Fluss wird breiter und holt sich<br />

quasi bei Extremhochwässern das Land<br />

zurück. Der Kamp hat sich beispielsweise<br />

beim Hochwasser 2002 bis zur 14-fachen<br />

Breite erweitert. Dabei sind auch die<br />

Bäume am Ufer und im Auwald wichtig,<br />

weil sie die Fließgeschwindigkeit reduzieren<br />

und auch die Ufer schützen. Der<br />

Nationalpark Donauauen ist in vieler Hinsicht<br />

von unschätzbarem Wert.<br />

Also wurde aus längerer Sicht nicht alles<br />

von dem erreicht, was man sich früher von<br />

einer Regulierung versprochen hat. Nochmal<br />

zurück zum Begriff „Renaturierung“….<br />

Renaturierung bedeutet nicht, eine Karte<br />

aus dem 19. Jahrhundert zu nehmen, um<br />

den früheren Zustand wiederherzustellen.<br />

Das geht gar nicht. Ein Gewässer ist<br />

als dynamisches System unter den heutigen<br />

klimatischen, hydrologischen und<br />

feststoffmäßigen Rahmenbedingungen<br />

zu betrachten. Wir brauchen Maßnahmen<br />

an einem Fluss, die eine eigendynamische<br />

Renaturierung fördern. Zur Planung werden<br />

Computermodelle eingesetzt, die<br />

künftig verbesserte Formeln verwenden,<br />

welche unter möglichst großem Maßstab<br />

im neuen Wasserbaulabor oder aus Naturmessdaten<br />

abgeleitet werden.<br />

An welchen Projekten wird gerade gearbeitet?<br />

Im Danube Floodplain Project werden 50<br />

große Überflutungsflächen der Donau<br />

vom Schwarzwald bis zur Mündung ins<br />

Schwarze Meer mit der von uns entwickelten<br />

Floodplain Evaluation Matrix<br />

FEM quantifiziert und simuliert, um konkrete<br />

Daten zu erhalten, wie diese auf<br />

das Hochwasser, die Ökologie und Sozioökonomie<br />

wirken.<br />

Wie haben sich die neu gebauten Buhnen<br />

in der Donau bewährt?<br />

Wir haben mit 3-D-Computermodellen<br />

neue Buhnentypen simuliert und experimentiert,<br />

bis wir zu einem guten Ergebnis<br />

gekommen sind. Für die Planung<br />

und Umsetzung ist die viadonau verantwortlich.<br />

Unter dem Schlagwort „Lernen<br />

vom Fluss“ konnten wir da aus der Anwendung<br />

in der Natur viel (dazu)lernen.<br />

Das Ergebnis der erfolgreichen Arbeit<br />

ist, dass der <strong>BOKU</strong>-Wasserbau z. B. in<br />

Deutschland bei Projekten in Rhein und<br />

Elbe eingebunden ist. Ein weiteres Projekt<br />

nennt sich DanubeSediment. Auf<br />

2.600 Donau-Kilometern ist der Sedimenthaushalt<br />

durch Kraftwerksbauten<br />

und Stauhaltungen, Regulierungen und<br />

Baggerungen gestört. Das bewirkt, dass<br />

im Delta 60 Prozent weniger Sedimente<br />

ankommen und die Küste Jahr für Jahr<br />

mehr erodiert.<br />

Als Kinder konnten wir noch an Bächen<br />

spielen und im Kleinen sehen, was wir gerade<br />

im großen Maßstab besprochen haben.<br />

Ein Problem ist die Entfremdung der<br />

Menschen von den Flüssen. Wir haben<br />

daher im gerade in Bau befindlichen neuen<br />

Wasserbaulabor ein Public Lab eingeplant.<br />

Schüler*innen, Lehrer*innen und<br />

Studierende können da „herumspielen“,<br />

dabei lernen und die wissenschaftlichen<br />

Zusammenhänge in verständlicher Form<br />

erfahren.<br />

•<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

29


pixabay<br />

Der Stoffwechsel<br />

der Gesellschaft<br />

Fridolin Krausmann leitet das Institut für Soziale Ökologie, das seit 2018 eine neue<br />

Heimat an der <strong>BOKU</strong> gefunden hat. In seinen Arbeiten verbindet der studierte<br />

Biologe natur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven miteinander. Von Georg Sachs<br />

Das Institut für Soziale Ökologie ist<br />

ein junges <strong>BOKU</strong>-Institut mit einer<br />

dennoch weit zurückreichenden<br />

Geschichte. In den 1980er-Jahren erkannten<br />

Vertreter unterschiedlicher wissenschaftlicher<br />

Fachrichtungen, dass drängende<br />

gesellschaftliche Probleme nur<br />

dann angemessen beschrieben und einer<br />

Lösung zugeführt werden können, wenn<br />

man die Grenzen zwischen den Disziplinen<br />

überwindet. Eine der Pionierinnen eines<br />

solchen Ansatzes war Marina Fischer-<br />

Kowalski. Die in Wien tätige Soziologin<br />

dachte an eine Sozialwissenschaft, die<br />

naturwissenschaftliche Zugänge ernst<br />

nimmt und an eine Form von Naturwissenschaft,<br />

die Anschlussstellen für<br />

sozialwissenschaftliche Theorien bietet.<br />

„Dabei sollten die verschiedenen Fachrichtungen<br />

nicht nur in einzelnen Projekten<br />

zusammenarbeiten, es brauchte<br />

vielmehr Forschungsfelder, die bereits als<br />

solche interdisziplinär angelegt sind“, erzählt<br />

Fridolin Krausmann, heute Professor<br />

für Nachhaltige Ressourcennutzung an<br />

der <strong>BOKU</strong>. Daraus entstand die spezielle<br />

Wiener Spielart der Sozialen Ökologie, die<br />

Fischer-Kowalski 1985 in eine eigene Arbeitsgruppe<br />

des damals neu gegründeten<br />

„Interuniversitären Forschungs instituts<br />

für Fernstudien“ (IFF) einbrachte. „Es<br />

war damals eine sehr progressive Idee,<br />

Problemlagen, für die Kompetenzen verschiedener<br />

Fakultäten erforderlich sind,<br />

in einer interuniversitären Einrichtung<br />

zu bearbeiten“, sagt Krausmann. Das IFF<br />

hatte Standorte in Wien, Graz, Innsbruck<br />

und Klagenfurt und bearbeitete Felder,<br />

die gemeinsam hatten, dass man interdisziplinär<br />

arbeiten und kontinuierlich im<br />

Fluss sein wollte, um auf gesellschaftliche<br />

Problemlagen reagieren zu können.<br />

30 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Pilo Pichler<br />

Der „gesellschaftliche<br />

Stoffwechsel“ und jener<br />

von Städten haben<br />

Auswirkungen auf die<br />

Umwelt und das Umland.<br />

Krausmann hatte an den Universitäten<br />

Salzburg und Wien Biologe studiert und<br />

kam nach seiner Diplomarbeit 1994 an<br />

das Institut. Was er hier vorfand, war<br />

genau das, was im Kern auch seine eigenen<br />

Interessen ausmachte: „Ich wollte<br />

nicht nur wissen, wie ökologische Systeme<br />

für sich betrachtet funktionieren,<br />

sondern vor allem, wie der Mensch die<br />

Natur verändert und wie das wieder auf<br />

die menschliche Gesellschaft zurückwirkt.“<br />

Den jungen Biologen faszinierte<br />

aber auch die Art der Zusammenarbeit,<br />

die hier gepflegt wurde: „Ich war beeindruckt<br />

davon, wie Wissenschaftler*innen<br />

mit ganz unterschiedlichen Hintergründen<br />

miteinander kommunizierten.“<br />

Seine Dissertation entstand bereits in<br />

Zusammenarbeit mit der Sozialen Ökologie<br />

am IFF und befasste sich mit dem<br />

Zusammenhang zwischen Landnutzung,<br />

Energieverbrauch und Industrialisierung<br />

zwischen 1830 und der Gegenwart.<br />

„Mittlerweile bin ich unter denen,<br />

die am längsten am Institut sind und die<br />

verschiedenen Transformationsprozesse<br />

mitgemacht haben“, sagt Krausmann<br />

schmunzelnd. 2004 war die Fortführung<br />

als interuniversitäre Einrichtung nicht<br />

mehr möglich, das IFF wurde zur „Fakultät<br />

für Interdisziplinäre Forschung und<br />

Fortbildung“ der Universität Klagenfurt.<br />

Das in diese eingebettete Institut für Soziale<br />

Ökologie behielt gleichwohl seinen<br />

Standort in der Wiener Schottenfeldgasse,<br />

wo es bis heute zu finden ist. Als<br />

an der Uni Klagenfurt 2018 entschieden<br />

wurde, sich von den nicht in Kärnten gelegenen<br />

Außenstellen zu trennen, suchte<br />

man nach einer neuen Heimat.<br />

„Inhaltlich war die <strong>BOKU</strong> dafür ideal<br />

geeignet – wir wurden am Department<br />

für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />

mit offenen Armen empfangen“,<br />

freut sich Krausmann. Der Prozess, das<br />

eigene Fachgebiet in die Strukturen<br />

der <strong>BOKU</strong> einzubringen, sei schon weit<br />

fortgeschritten. So wurde ein eigener<br />

Fachbereich „Soziale Ökologie“ im Masterstudium<br />

Umwelt- und Bioressourcenmanagement<br />

geschaffen, der im vergangenen<br />

Wintersemester zum ersten<br />

Mal angeboten wurde. „Das ging unter<br />

den derzeitigen Umständen natürlich<br />

nicht so interaktiv, wie wir uns das gewünscht<br />

hätten. Aber wir waren dennoch<br />

Fridolin Krausmann<br />

überrascht, wie gut das bei den Studierenden<br />

angekommen ist“, meint Krausmann.<br />

Derzeit wird an der Einrichtung<br />

einer departmentübergreifenden Doctoral<br />

School Social Ecology gearbeitet,<br />

die im Wintersemester starten soll, darüber<br />

hinaus gäbe es aber durchaus noch<br />

verfügbare Lehrkapazitäten am Institut,<br />

die man gerne nutzbar machen würde.<br />

„Wir bringen an einer doch hauptsächlich<br />

ingenieurwissenschaftlich orientierten<br />

Universität eine komplementäre Perspektive<br />

ein und können mit unserem<br />

systemischen Ansatz zu Problemfeldern<br />

wie Bioökonomie oder Globaler Landnutzungswandel<br />

einen größeren Kontext<br />

liefen“, ist Krausmann überzeugt.<br />

STOFF- UND ENERGIEFLÜSSE<br />

DURCH DIE GESELLSCHAFT<br />

Eines der Konzepte, die zentral für die<br />

Arbeit des Instituts für Soziale Ökologie<br />

wurden, ist die Idee des „Gesellschaftlichen<br />

Stoffwechsels“: „Durch eine<br />

menschliche Gesellschaft gibt es einen<br />

Fluss von Material und Energie, die es<br />

ermöglichen, Strukturen aufzubauen<br />

und zu erhalten, die dabei transformiert<br />

und als Abfall wieder an die Natur abgegeben<br />

werden. Dieser Stoffwechsel<br />

dient einerseits dazu, unsere physischen<br />

Grundbedürfnisse zu befriedigen, ist andererseits<br />

aber auch ein Hauptaspekt<br />

für globale Nachhaltigkeitsprobleme“,<br />

erläutert Krausmann. Das Konzept eines<br />

gesellschaftlichen Metabolismus lässt<br />

sich in unterschiedlichen Maßstäben anwenden<br />

– im globalen Rahmen ebenso<br />

wie auf bestimmte Regionen, es lässt zu,<br />

quantitative Aussagen zu machen, es verbindet<br />

aber auch natur- und humanwissenschaftliche<br />

Ansätze. „Das Konzept ist<br />

so entwickelt, dass es Anschlussstellen<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

31


für die verschiedenen Disziplinen bereithält:<br />

Mit dem Begriff des Stoffwechsels<br />

können Geowissenschaftler*innen oder<br />

Ökolog*innen etwas anfangen, er ist aber<br />

auch für Ökonom*innen gut verständlich,<br />

da es ja um die Abbildung gesellschaftlicher<br />

Aktivitäten geht“, streicht<br />

Krausmann hervor.<br />

Photocase<br />

Welche Rolle spielen<br />

Materialien, etwa aus<br />

aufgelassener Infrastruktur –<br />

für die Stoff- und<br />

Energieflüsse?<br />

Die aktuellen Projekte, an denen Krausmann<br />

beteiligt ist, beschäftigen sich<br />

auf unterschiedlichen räumlichen und<br />

zeitlichen Skalen mit nachhaltiger Ressourcennutzung<br />

und wenden dafür das<br />

Konzept des gesellschaftlichen Stoffwechsels<br />

an. Ein Schwerpunkt liegt dabei<br />

auf der Akkumulation von Material<br />

in Form bestimmter Bestände (wie die<br />

Wissenschaftler *innen das nennen), also<br />

von Infrastruktur, Maschinen oder Gebäuden.<br />

„Wir haben in den vergangenen<br />

Jahrzehnten viel über die verschiedenen<br />

Material- und Energieflüsse durch<br />

Gesellschaften gelernt. Doch erst die<br />

Kombination dieser Flüsse mit den aufgebauten<br />

Beständen ergibt jene Serviceleistungen,<br />

die von der Gesellschaft<br />

nachgefragt werden. Man spricht daher<br />

vom Stock-Flow-Service Nexus“, sagt<br />

Krausmann. Seine Arbeitsgruppe hat<br />

begonnen, die unglaublichen Mengen<br />

an Material, die hier angehäuft wurden,<br />

zu quantifizieren. Israelische Forscher<br />

haben vor kurzem aufbauend darauf berechnet,<br />

dass die Gesellschaft, in diesem<br />

Sinne verstanden, bereits so schwer ist<br />

wie die gesamte Biomasse der Biosphäre.<br />

„Die so geschaffenen Bestände wachsen<br />

exponentiell an, wir sehen hier keine Verlangsamung,<br />

in den letzten Jahrzehnten<br />

ist es sogar zu einer Beschleunigung gekommen“,<br />

gibt Krausmann zu bedenken.<br />

Aus dieser Perspektive betrachtet,<br />

werden Grenzen von Konzepten wie<br />

Bioökonomie oder Kreislaufwirtschaft<br />

sichtbar: Auch bei hohen Recyclingraten<br />

wächst der gesellschaftliche Materialbedarf<br />

weiter. Eine vollständige<br />

Umstellung des Energie- und Materialverbrauchs<br />

auf erneuerbare Quellen<br />

ohne den Gesamtverbrauch zu senken,<br />

greift nach Krausmanns Ansicht zu kurz,<br />

weil es – etwa auch angesichts der Nahrungsmittelversorgung<br />

einer wachsende<br />

Weltbevölkerung – Limitationen in dem<br />

gibt, was insgesamt zur Verfügung gestellt<br />

werden kann. Dabei müssten im<br />

globalen Süden erst noch Strukturen<br />

aufgebaut werden, um die von der UNO<br />

definierten nachhaltigen Entwicklungsziele<br />

zu erreichen. „In den Diskussionen<br />

um eine ‚circular ecomomy“ wird das<br />

bisher kaum thematisiert. Hier werden<br />

meist nur einzelne Prozesse betrachtet,<br />

aber es fehlt der systemische Rahmen“.<br />

MODELLE ALS WERKZEUGE<br />

DER INTERDISZIPLINARITÄT<br />

Eine andere Forschungsfrage, mit der<br />

sich Krausmann aktuell beschäftigt, ist<br />

dem Stoffwechsel von Städten gewidmet:<br />

Welche Ressourcen verbraucht eine<br />

Stadt wie Wien und woher kommen sie?<br />

Welche Auswirkungen hat das auf das<br />

Hinterland einer Stadt – beispielsweise<br />

was Biodiversität und Treibhausgasemissionen<br />

betrifft? „Wir spielen z. B. Szenarien<br />

für verschiedene urbane Ernährungsweisen<br />

durch und analysieren wie sich<br />

das auf die Landnutzung und Emissionen<br />

auswirkt oder wir quantifizieren das<br />

Recyclingpotential von Ressourcen, die<br />

in städtischer Infrastruktur gespeichert<br />

sind.“ Für ein solches Forschungsthema<br />

ist die <strong>BOKU</strong> ein ideales Umfeld: „Es ist<br />

schon ein großer Vorteil, wenn wir diese<br />

Fragen mit Kolleg*innen diskutieren<br />

können, die etwas von Landwirtschaft<br />

verstehen und analysieren können, welche<br />

ökonomischen Grundlagen sie hat“,<br />

streicht Krausmann die hier bestehenden<br />

Synergien hervor.<br />

Als wesentlichen Erfolgsfaktor für eine<br />

inter- und transdisziplinäre Forschung<br />

sieht Krausmann die Kommunikation zwischen<br />

den Vertreter*innen unterschiedlicher<br />

Fachgebiete an: „Es ist wichtig, bestimmte<br />

Grundklärungen vorzunehmen.<br />

Man darf nicht unterschätzen, welcher<br />

Aufwand das ist – vor allem, wenn man<br />

mit Kolleg*innen noch nie zusammengearbeitet<br />

hat.“ Eine wichtige Funktion<br />

spielen dabei auch die eingesetzten Modelle:<br />

„Modellierung ist eine sehr wichtige<br />

Thematik in unserer Arbeit. Modelle<br />

sind immer auch Kommunikationstechniken<br />

im interdisziplinären Dialog.“ Dabei<br />

bedient man sich ganz unterschiedlicher<br />

Verfahren – agendenbasierter Modelle,<br />

systemdynamischer Modelle, Input-Output<br />

Modelle – je nachdem, was für eine<br />

bestimmte Fragestellung angemessen<br />

ist. Bedarf für Weiterentwicklung sieht<br />

Krausmann etwa im wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Bereich: „Wichtig wäre etwa<br />

eine systematische Einbeziehung von sozial-metabolischen<br />

Prinzipien in die makroökonomischen<br />

Module von integrierten<br />

Bewertungsmodellen, wie sie etwa in<br />

der Klimaforschung eingesetzt werden;<br />

das würde deren Fähigkeit stärken, thermodynamische<br />

Rahmenbedingungen zu<br />

erfüllen und Rückkopplungen zwischen<br />

verschiedenen Ressourcen systematischer<br />

zu berücksichtigen“, so Krausmann.<br />

Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift Chemiereport/Austrian<br />

Life Sciences.<br />

32 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


„Kistl Kreisl“: Nachhaltigkeit to go<br />

Studierende gründen Start-up für wiederverwendbare Take-Away-Verpackungen und konzipieren im Rahmen<br />

der „Sustainability Challenge“ eine Online-Bestellplattform.<br />

Von Bettina Fernsebner-Kokert<br />

Seit die Corona-Pandemie das Land<br />

auch in einen gastronomischen<br />

Ausnahmezustand versetzt hat,<br />

erblühen allerorts Take-Away-Angebote.<br />

Vom Kaiserschmarrn aus der noblen<br />

Innenstadt-Konditorei bis zum Schnitzerl<br />

vom Stammwirten ums Eck holen viele<br />

Menschen ihr Essen ab und die Auswahl<br />

wächst täglich.<br />

Was unserem Wohlbefinden zuträglich<br />

ist, lässt gleichzeitig aber auch die Berge<br />

an Einwegverpackungen aus Plastik<br />

wachsen. Dem muss nicht so sein, finden<br />

Michael Hinterreiter, UBRM-Student an<br />

der <strong>BOKU</strong>, und Angelika Gutwirth, die an<br />

der Uni Wien Internationale Entwicklung<br />

studiert. Die beiden arbeiten derzeit im<br />

Rahmen der „Sustainability Challenge“<br />

gerade an einer Online-Bestellplattform<br />

für Take-Away-Menüs in wiederverwendbaren<br />

Bento-Boxen. Die Inspiration für<br />

sein nachhaltiges Geschäftsmodell holte<br />

sich Hinterreiter auf einer Reise nach<br />

Japan, der Heimat der Bento-Box. „Da<br />

kam mir die Idee, dass man die Essensboxen<br />

in Österreich doch auf nachhaltige<br />

Art und Weise einsetzen könnte, und<br />

ich habe mich damit bei der Sustainability<br />

Challenge beworben“, erzählt er.<br />

KEINE SCHEINLÖSUNG<br />

Die Frage der Nachhaltigkeit stand für<br />

sie beide im Vordergrund, betont auch<br />

Gutwirth, denn biologisch abbaubare<br />

Einwegverpackungen seien auch nur<br />

eine Scheinlösung. „Erst muss richtig<br />

getrennt werden, dann muss das Material<br />

lange gelagert werden, damit es<br />

auch richtig abgebaut wird.“ Zumindest<br />

auf dem österreichischen Markt sind die<br />

beiden mit ihrem Anspruch an eine nachhaltige<br />

Take-Away-Box für ein Kreislaufmodell<br />

nicht fündig geworden.<br />

Hinterreiter: „Daher stammt unsere Idee<br />

für eine Online-Plattform, wo man das<br />

Essen in unseren Kistln zum Abholen<br />

vorbestellen kann. Und zwar das gleiche<br />

Menü bei unterschiedlichen Restaurants,<br />

das überall dasselbe kostet.“ Der Vorteil:<br />

Man kann die Box bei jedem Partnerrestaurant<br />

wieder zurückgeben.<br />

Das beste Material, das Gutwirth und<br />

Hinterreiter für ihre Bento-Boxen gefunden<br />

haben, ist Polypropylen. Das mag<br />

zunächst vielleicht nicht sehr nachhaltig<br />

wirken, doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen.<br />

„Das Material ist mikrowellengeeignet,<br />

wärmeisolierend und spülmaschinentauglich“,<br />

erläutert Gutwirth,<br />

und es könne bis zu 300 Mal wiederverwendet<br />

werden.<br />

PRODUZENT GESUCHT<br />

Teil des Konzepts von „Kistl Kreisl“ sind<br />

auch Incentives, damit die Kund*innen<br />

die Boxen auch wieder zurückbringen –<br />

diese sollen von Rabatten über Gruppen-Challenges<br />

bis zu E-Mail-Remindern<br />

reichen. Wichtig ist auch Transparenz:<br />

Die künftigen Nutzer*innen sollen sehen<br />

können, wie viel Wasser, Energie und Müll<br />

sie einsparen, wenn sie die Kistln kreisen<br />

lassen. Die Ideen gehen Hinterreiter und<br />

Gutwirth jedenfalls nicht aus – irgendwann<br />

in weiterer Zukunft, so ihre Vorstellung,<br />

werden ihre Bento-Boxen auch<br />

von Fahrradkurieren geliefert, die die<br />

leeren Kistln von der letzten Bestellung<br />

gleich wieder mitnehmen. Doch zunächst<br />

sind die beiden Nachhaltigkeits-Entrepreneur*innen<br />

einmal auf der Suche nach<br />

Produzent*innen für ihre Mehrwegkistln,<br />

um bald mit einem ersten<br />

Pilotprojekt starten<br />

zu können. •<br />

www.kistl-kreisl.at<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

33


DIE LEHRE IN DEN ZEITEN VON COVID-19<br />

Wie die <strong>BOKU</strong> Herausforderungen der<br />

Pandemie im vergangenen Jahr begegnet ist<br />

Von Hanni Schopfhauser<br />

12.<br />

Jänner 2020: Die Welt hört<br />

von einer neuen Seuche, die<br />

in China ausgebrochen ist und<br />

die beginnt, sich ungewöhnlich rasch zu<br />

verbreiten. Um den 25. Jänner werden<br />

die ersten Fälle in Europa bekannt, einen<br />

Monat später werden in Norditalien bereits<br />

die Spitalsbetten knapp, warnen<br />

Autofahrerclubs vor Italienreisen. Dennoch<br />

gibt es bereits die ersten Infektionen<br />

in Österreich.<br />

Am 11. März 2020 erklärte die WHO die<br />

Ausbreitung der Krankheit zur Pandemie,<br />

zeitgleich erhielten alle <strong>BOKU</strong>-Angehörigen<br />

die erste Mitteilung über die<br />

Situation, der zahlreiche weitere folgen<br />

sollten. Ab 16. März galten in Österreich<br />

Maßnahmen, die wir rückblickend als den<br />

ersten Lockdown kennen. Das bedeutete<br />

für alle Wirtschaftszweige und Bereiche<br />

des öffentlichen wie auch privaten Lebens<br />

eine nie dagewesene Herausforderung:<br />

Wie kann verhindert werden, dass<br />

alles zum Stillstand kommt?<br />

Für die <strong>BOKU</strong> bedeutete das, rasche<br />

Entscheidungen zu fällen, Lösungen<br />

für Studierende und Mitarbeiter*innen<br />

zu finden: In zahllosen Stunden in der<br />

Lehrorganisation wurden Lehrveranstaltungs-<br />

und Prüfungstermine verschoben<br />

und adaptiert, in der <strong>BOKU</strong>-IT Videocall-<br />

Möglichkeiten geprüft und zur Verfügung<br />

gestellt, zusätzlicher Serverplatz<br />

geschaffen, in der Abteilung E-Learning<br />

und Didaktik fieberhaft Konzepte für die<br />

Online-Lehre entwickelt und der Support<br />

ausgeweitet.<br />

Auf der „E-Learning- und Didaktik-<br />

Couch“ trafen einander bald einige<br />

Hundert <strong>BOKU</strong>-Lehrende, um diese<br />

Kommunikations- und Austauschplattform<br />

in Form eines <strong>BOKU</strong>learn-Kurses zu<br />

nutzen. Dort werden unter anderem Informationen<br />

zur Gestaltung von Online-<br />

Lehre, zum Urheberrecht und Beispiele<br />

für Lehr-, Lern- und Prüfungsmodule in<br />

der „Moduldatenbank“ zur Verfügung<br />

gestellt. Diese digitale Vernetzungsmöglichkeit<br />

ist nur ein Beispiel für die<br />

nachhaltige Veränderung, die durch die<br />

„Corona-Krise“ ausgelöst wurde.<br />

34 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Benedikt Windorfer Medienstelle <strong>BOKU</strong><br />

Verwaiste Studierendenlabore während des Sommersemesters 2020: Prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen konnten während der Lockerungen<br />

in den Sommerferien nachgeholt werden, wenn es keine sinnvolle Möglichkeit für Ersatzleistungen gab.<br />

Distanzmodus an der Universität für<br />

Bodenkultur Wien“ veröffentlicht und<br />

ein „Lehrenden-Handbuch für Online-<br />

Prüfungen“ erstellt:<br />

Fuchs, C.; Huber, J.;<br />

Kallinger, M.; Krasser,<br />

A.; Strauss-Sieberth,<br />

A.; Zitek, A.<br />

(2020): E-Examinations<br />

im Großprüfungskontext:<br />

Rechtsprüfungen im Distanzmodus<br />

an der Universität für Bodenkultur Wien<br />

Virtuelle Plauder- und Fachsimpel-Ecke für <strong>BOKU</strong>-Lehrende.<br />

Das Fortbildungsprogramm für die<br />

<strong>BOKU</strong>-Lehrenden wurde um spezielle<br />

Angebote für die Online-Lehre ergänzt<br />

und mit videobasierten Online-Kursen<br />

begleitet, die ein adaptiertes Flipped-<br />

Classroom-Konzept verwendeten. Daraus<br />

entstand die Idee, eine immersive virtuelle<br />

Umgebung für den verbesserten<br />

sozialen Austausch bereitzustellen, die<br />

auch gleich an einer Lehrveranstaltung<br />

erfolgreich getestet wurde.<br />

Die Departments der <strong>BOKU</strong> konnten<br />

ein maßgeschneidertes Fortbildungsprogramm<br />

für ihre Bedürfnisse bestellen<br />

– zusätzlich zu individuellen didaktischen<br />

Coachings für die vielen individuellen<br />

Fragen der Vortragenden. Gemeinsam<br />

mit den Lehrenden sind spannende neue<br />

Formate entstanden, etwa virtuelle Exkursionen<br />

und Labore.<br />

Gemeinsam mit den Instituten und einzelnen<br />

Lehrenden gelang es der Abteilung<br />

E-Learning und Didaktik, die <strong>BOKU</strong><br />

in relativ kurzer Zeit fit für Online-Prüfungen<br />

zu machen. Durch die intensive<br />

Zusammenarbeit mit dem Studiendekan<br />

Hermann Peyerl entstand das neue Service<br />

„Online Prüfungsszenarien“, das besonderes<br />

Augenmerk auf die rechtlichen<br />

Aspekte, die Prüfungsdurchführung und<br />

die Prüfungsaufsicht bei der Erstellung<br />

von Online-Prüfungen legt. Dazu wurden<br />

ein Artikel „E-Examinations im Großprüfungskontext:<br />

Rechtsprüfungen im<br />

Die Lernplattform <strong>BOKU</strong>learn hat seit<br />

Mitte März 2020 nicht nur eine kontinuierliche<br />

massive Steigerung der Zugriffe<br />

erfahren; auch die Vielfalt der genutzten<br />

Aktivitäten ist enorm gestiegen, etwa<br />

die Videokonferenzlösung BigBlueButton,<br />

einige wurden gar neu geschaffen,<br />

wie das „Zoom Meeting“-Modul. Gesteigerte<br />

Nutzung bedeutet natürlich<br />

auch eine erhebliche Mehrbelastung<br />

für Hard- und Software, denen kontinuierliche<br />

Systemausbau- und -optimierungsmaßnahmen<br />

entgegenwirken<br />

sollen. Statt Vorlesungsaufzeichnung im<br />

Hörsaal gab es nun Tipps für Lehrende,<br />

wie sie sich selbst aufnehmen konnten<br />

– zuhause im Homeoffice oder in ihren<br />

Büros und Laboren an der <strong>BOKU</strong>.<br />

Seit dem ersten Lockdown stellten die<br />

Studienservices in Windeseile auf online-Abwicklungen<br />

für Studierende mit<br />

österreichischer Matura und gleichzeitig<br />

auf „Schichtbetrieb“ um, teilweise im<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

35


VIRTUELLER TAG DER OFFENEN TÜR<br />

Während der Sommerferien arbeiteten<br />

die Mitarbeiter*innen der Lehrorganisafen,<br />

sondern auch unsere Zukunft: die<br />

Studieninteressierten, also Schüler*innen,<br />

die sich für ein Studium im Herbst<br />

entscheiden mussten. Für sie gab es im<br />

Juni statt des traditionellen Studieninfotages<br />

vor Ostern virtuelle Tage der<br />

offenen Tür, gleich eine ganze Woche<br />

lang Vorträge und Diskussions- und<br />

Fragemöglichkeiten im Live-Stream mit<br />

<strong>BOKU</strong>-Lehrenden und Studierenden.<br />

Heuer wird es auch davon eine Neuauflage<br />

geben, diesmal wieder am traditionellen<br />

Termin – eine weitere genutzte<br />

Chance, die durch die Krise entstanden ist.<br />

Diesmal nur vier Tage, dafür aber noch mehr Videos, nämlich 33. Online-Studieninfotage <strong>2021</strong>,<br />

https://short.boku.ac.at/SIT<br />

Wilke<br />

Vizerektorin Sabine<br />

Baumgartner<br />

STRENGE SICHERHEIT<br />

„Better safe than sorry“ hat unter dem<br />

Einfluss von Covid-19 eine völlig neue<br />

Bedeutung bekommen. Vizerektorin Sabine<br />

Baumgartner hatte sich dies zu Herzen<br />

genommen und bereits für das Wintersemester<br />

2020/21 eine Beibehaltung<br />

der „Corona-Regelungen“ entschieden.<br />

Die Entwicklung gab ihr Recht: Sehr bald<br />

nach Semesterbeginn gab es bereits den<br />

nächsten Lockdown, aber die <strong>BOKU</strong> war<br />

vorbereitet. Für Präsenzprüfungen wurde<br />

das strenge Sicherheitskonzept angewandt,<br />

das mittlerweile<br />

entwickelt<br />

worden war, und für<br />

jede Lehrveranstaltung,<br />

die in Präsenz<br />

stattfinden musste,<br />

wurde ein eigenes<br />

Sicherheitskonzept<br />

von den Lehrenden<br />

erstellt und zentral<br />

überprüft – auch Sicherheitsbeauftragter<br />

Erik Griebl sah sich mit einem explosiven<br />

Anstieg seines Arbeitsvolumens<br />

konfrontiert.<br />

Homeoffice, teilweise im Gregor-Mendel-Haus,<br />

um mit einem rasch etablierten<br />

Online-Anmeldesystem jenen Studierenden<br />

und angehenden Studierenden den<br />

Zugang vor Ort zu ermöglichen, wo trotz<br />

zahlreicher digitaler Möglichkeiten deren<br />

persönliche Anwesenheit notwendig war.<br />

tion fieberhaft an einem komplett neuen<br />

„Stundenplan“ für die Bachelorstudien,<br />

damit vor allem neue Studierende auch<br />

prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen<br />

an der <strong>BOKU</strong> besuchen konnten,<br />

in Gruppen, und selbstverständlich mit<br />

mehr als nur dem erforderlichen Sicherheitsabstand,<br />

wie bei Prüfungen auch.<br />

Doch nicht nur Lehrende, Studierende<br />

und Verwaltungsangestellte der <strong>BOKU</strong><br />

waren von den Einschränkungen betrof-<br />

An der <strong>BOKU</strong> haben wir gemeinsam das<br />

Beste aus der Situation gemacht, viel dazugelernt<br />

und vieles umgesetzt, was ein<br />

Jahr davor noch unmöglich schien. Die<br />

meisten von uns können nicht ändern,<br />

wie sich die Situation weiterentwickelt;<br />

aber wir können entscheiden, wie wir<br />

damit umgehen.<br />

DI in Hanni Schopfhauser leitet die Stabsstelle Lehre:<br />

Kommunikation und Berichtswesen und ist damit für<br />

die Beratung und Information von Studieninteressierten<br />

verantwortlich.<br />

36 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Aus KTWW wird<br />

„Umweltingenieurwissenschaften“<br />

Ab dem Wintersemester <strong>2021</strong>/22 kann man dieses Bachelorstudium an der <strong>BOKU</strong> belegen.<br />

Aber was steckt dahinter?<br />

Von Hanni Schopfhauser<br />

<strong>BOKU</strong><br />

Ingenieurwissenschaftliche Lösungen für wasserbauliche Aufgaben sind eine Kernkompetenz, die dieses Studium vermittelt.<br />

Seit 1883 gibt es an der<br />

<strong>BOKU</strong> das Studium Kulturtechnik<br />

und Wasserwirtschaft,<br />

oder vielmehr „Culturtechnik“,<br />

wie es damals<br />

hieß. In 138 Jahren kann viel<br />

passieren, vieles ändert sich<br />

und in der Wahrnehmung der meisten<br />

Menschen handelt es sich bei „Kulturtechniken“<br />

um Dinge wie Lesen und<br />

Schreiben.<br />

Die Kulturtechniker*innen an der <strong>BOKU</strong><br />

und jene, die sie bereits als Absolvent*innen<br />

verlassen haben, sehen das<br />

naturgemäß anders. Sie wissen, dass der<br />

Begriff daher kommt, dass man Technik<br />

einsetzt, um Land zu kultivieren, also für<br />

die Landwirtschaft nutzbar zu machen.<br />

Genau das war die Intention, als das k.k.<br />

Landwirtschaftsministerium diese Ausbildung<br />

in Auftrag gab.<br />

RESSOURCEN NACHHALTIG NUTZEN<br />

Seither ist – man verzeihe mir die Plattitüde<br />

– viel Wasser die Donau hinuntergeflossen.<br />

Über die Jahrzehnte haben<br />

sich die Forschung und damit auch das<br />

Studium zu einer technisch anspruchsvollen<br />

Kombination aus unterschiedlichen<br />

umweltrelevanten Ingenieurwissenschaften<br />

entwickelt, das einen<br />

wesentlichen Teil des Zivilingenieurwesens<br />

ausmacht. Im Studium finden entsprechend<br />

dem Drei-Säulen-Prinzip der<br />

<strong>BOKU</strong>-Studien selbstverständlich auch<br />

die naturwissenschaftlichen Grundlagen<br />

ihren Platz, ebenso wie wirtschaftliche<br />

und juristische Aspekte. Das Studium<br />

verfolgt das Ziel, die effiziente Nutzung<br />

der natürlichen Ressourcen durch den<br />

Menschen zu ermöglichen.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

37


Fischaufstiegshilfe beim <strong>BOKU</strong>-Wasserbaulabor am Wiener Donaukanal.<br />

Nach den sechs Semestern des Bachelorstudiums<br />

Umweltingenieurwissenschaften<br />

(bisher: Kulturtechnik<br />

und Wasserwirtschaft) ist es den Absolvent*innen<br />

möglich, „Ressourcen<br />

nachhaltig zu nutzen und auf Basis vernetzten<br />

Denkens zu entwerfen, planen,<br />

bauen und zu erhalten“, so ist es im Studienplan<br />

nachzulesen.<br />

VIELFÄLTIGE FACHGEBIETE<br />

Aufgrund der Vielfalt der Fachgebiete,<br />

die in diesem Studium behandelt und<br />

im Begriff „Kulturtechnik“ leider nicht<br />

allgemeinverständlich subsummiert<br />

werden, hat sich die <strong>BOKU</strong> in enger<br />

Abstimmung mit dem Fachbereich dazu<br />

entschlossen, ab dem kommenden Wintersemester<br />

die Bezeichnung „Umweltingenieurwissenschaften“<br />

zu wählen, die<br />

den Zielen und Inhalten des Studiums<br />

auch abseits der „Eingeweihten“ auf<br />

verständlichere Weise gerecht wird.<br />

Diese Entscheidung war nicht leicht,<br />

aber notwendig: Bereits vor zehn Jahren<br />

betitelten Studierende eine Beschreibung<br />

ihres Studiums für interessierte<br />

Schüler*innen mit „KTWWas?“, im Bewusstsein,<br />

dass dies vielen, auch technikinteressierten,<br />

Jugendlichen kein<br />

Begriff war.<br />

Was aber lernen die Studierenden nun<br />

wirklich in diesem Studium? Der Studienplan<br />

(https://boku.ac.at/studienservices/studien/bakk/uh033231/studienplan)<br />

fasst die Fachinhalte in drei<br />

großen Blöcken zusammen:<br />

Im Bereich des Wassers und des Bodens<br />

erwerben Studierende grundlegende<br />

Kenntnisse aus der Hydrologie, der Wasserwirtschaftlichen<br />

Planung, des Kons<br />

truktiven Wasserbaus, des Flussgebietsmanagements,<br />

der Landeskulturellen<br />

Wasser- und Bodenwasserwirtschaft,<br />

der Siedlungswasserwirtschaft<br />

und des Gewässerschutzes, der Hydrobiologie<br />

und der Gewässerökologie<br />

sowie der Abfallwirtschaft.<br />

Im Bereich der Bautechnik erlernen<br />

sie die Grundlagen der Mechanik der<br />

Baumaterialien und des Bodens, der<br />

Geotechnik und des Konstruktiven Ingenieurbaus.<br />

ABSOLVENT*INNEN GEFRAGT<br />

In den Bereichen des Landmanagements,<br />

des Verkehrswesens und des<br />

Geodatenmanagements lernen sie,<br />

Instrumente zur Erfassung und Dokumentation<br />

von Naturräumen, zur umweltfreundlichen<br />

Entwicklung der Landnutzung<br />

sowie zur Infrastrukturplanung<br />

zukunftsorientiert anzuwenden.<br />

38 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Fotos: <strong>BOKU</strong><br />

In einem weiterführenden Masterstudium kann man sich auf Alpine Naturgefahren/Wildbach- und Lawinenverbauung spezialisieren.<br />

„Kulturtechniker*innen“ sind auf dem<br />

Arbeitsmarkt sehr gefragt. Dies betont<br />

auch der KT-Verband, dem auch viele<br />

Arbeitgeber*innen angehören. Sie<br />

würden sich sogar mehr Absolvent*innen<br />

wünschen. Aufgrund der breiten<br />

Fächerung der Inhalte des Bachelorstudiums<br />

können dessen Absolvent*innen<br />

in vielen verschiedenen Berufen aus<br />

den Bereichen Bauingenieurwesen, Vermessungswesen<br />

oder Landmanagement<br />

unterkommen. Arbeitsplätze finden sich<br />

sowohl im privatwirtschaftlichen (z. B.<br />

Zivilingenieur- oder Planungsbüros)<br />

als auch im öffentlichen Sektor (Bundesministerien,<br />

Landesbauämter oder<br />

Bezirksverwaltung, Forschungs- oder<br />

Prüfanstalten).<br />

Die Absolvent*innen finden laut Befragung<br />

der Abschlussjahrgänge 2012/13<br />

bis 2015/16 sehr rasch eine adäquate Anstellung:<br />

Ein gutes Viertel suchte nur einen<br />

Monat nach einem Job, weitere 55 %<br />

benötigten dazu bis zu drei Monate.<br />

Dabei verwendeten rund 60 % der Befragten<br />

ihre im Studium erworbenen<br />

Qualifikationen und rund 80 % fanden,<br />

dass ihre Aufgaben nahe an ihrem Studienfach<br />

waren – unabhängig davon, ob<br />

sie zu diesem Zeitpunkt noch weiter im<br />

Master studierten oder nicht.<br />

PRAXISNAHE<br />

Die befragten Absolvent*innen waren<br />

mit ihrer Studienwahl auch äußerst zufrieden:<br />

87 % würden sich wahrscheinlich<br />

wieder für dieses Studium entscheiden,<br />

lediglich drei Prozent hielten das<br />

für unwahrscheinlich. 61 % der befragten<br />

Bachelor-Absolvent*innen waren<br />

eineinhalb Jahre nach ihrem Abschluss<br />

noch immer im Bildungssystem, 42 %<br />

waren zugleich auch erwerbstätig. Das<br />

zeigt die enge Verknüpfung des Studiums<br />

mit der Praxis, aber auch, wie<br />

dringend die Qualifikationen dieser Absolvent*innen<br />

gebraucht werden, die<br />

weit über eine fundierte technische<br />

Ausbildung hinausgehen: Die Verknüpfung<br />

dieser Grundlagen mit der<br />

<strong>BOKU</strong>-Expertise in Umweltfragen, dem<br />

respektvollen Umgang mit natürlichen<br />

Ressourcen und der Bedeutung des<br />

menschlichen Faktors, die alle <strong>BOKU</strong>-<br />

Studien auszeichnet, macht die zukünftigen<br />

Umweltingenieurwissenschaftler*innen<br />

ebenso unentbehrlich wie die<br />

aktuellen Kulturtechniker*innen.<br />

Studium:<br />

https://short.boku.ac.at/uh033231<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

39


<strong>BOKU</strong>/Medienstelle<br />

„EPICUR wird die Sichtbarkeit der <strong>BOKU</strong><br />

im internationalen Kontext in eine andere<br />

Liga führen“<br />

Rektor Hubert Hasenauer über die Bedeutung der Teilnahme an „European<br />

Universities“ für die <strong>BOKU</strong> und welchen Mehrwert EPICUR künftig für die<br />

Studierenden besitzen soll.<br />

Interview: Bettina Fernsebner-Kokert<br />

Die <strong>BOKU</strong> war eine der ersten beiden heimischen<br />

Unis, die sich an einer Universitäten-Allianz<br />

im Rahmen von „European<br />

Universities“ beteiligt hat. Was war die<br />

Motivation, bei EPICUR mitzumachen?<br />

Hubert Hasenauer: Wir hatten Anfragen<br />

von zwei Konsortien, ob wir uns beteiligen<br />

möchten. Eine Kerngruppe von EPICUR<br />

hatte bereits eine längere Tradition der<br />

Zusammenarbeit und war auf der Suche<br />

nach einer Partneruniversität, die in<br />

Europa beim Thema Nachhaltigkeit führend<br />

ist und auch bereits Verbindungen<br />

zum Konsortium hat. Eine bibliometrische<br />

Analyse hat ergeben, dass die <strong>BOKU</strong><br />

diese Universität ist und ich muss sagen,<br />

dass es eine sehr gute Entscheidung war,<br />

an EPICUR teilzunehmen. Unser Kernthema<br />

ist nachhaltige Entwicklung und<br />

wir haben bei den Universitäten, die sich<br />

zu EPICUR zusammengeschlossen haben,<br />

das größte Potenzial gesehen, diese Entwicklung<br />

federführend mitzugestalten.<br />

Welche Rolle nimmt die <strong>BOKU</strong> bei<br />

EPICUR ein?<br />

Unsere Rolle war uns bei der Auswahl des<br />

Konsortiums sehr wichtig. An EPICUR<br />

sind größtenteils Volluniversitäten beteiligt,<br />

die auch in Europa in bestimmten<br />

Bereichen führend sind. Für uns war<br />

ausschlaggebend, dass wir unsere Ideen<br />

als Spezialuniversität so positionieren<br />

können, dass sie auch gehört werden.<br />

Gesellschaftliche Transformation, Nachhaltigkeit,<br />

Klimawandel sind alles Themen,<br />

die zunehmend auch für die Volluniversitäten<br />

an Bedeutung gewinnen.<br />

Für uns als <strong>BOKU</strong> war es wichtig, dass<br />

unsere Themen auch außerhalb unseres<br />

speziellen Wirkungsbereiches gehört<br />

werden. Nur so kann man auch im internationalen<br />

Wettbewerb in Zukunft bestehen<br />

und EPICUR wird die Sichtbarkeit<br />

der <strong>BOKU</strong> im internationalen Kontext in<br />

eine andere Liga führen.<br />

Welche wissenschaftlichen Schwerpunkte<br />

haben die Partneruniversitäten?<br />

Das Projekt „European Universities“ ist<br />

eine Initiative des französischen Präsidenten<br />

Emmanuel Macron und so wird<br />

auch EPICUR von der französischen Universität<br />

Straßburg koordiniert, die als<br />

größte Partnerin aus einem Zusammenschluss<br />

mehrerer Unis entstanden ist<br />

und aktuell knapp 70.000 Studierende<br />

hat. Eine weitere Partnerin ist die Universität<br />

Freiburg, die eine sehr starke<br />

naturwissenschaftliche Fakultät hat.<br />

Die <strong>BOKU</strong> hat mit Freiburg traditionell<br />

enge Beziehungen und man war dort sehr<br />

daran interessiert, uns als Partnerin zu<br />

gewinnen. Ebenso ist die Universität in<br />

Amsterdam eine ausgezeichnete Volluniversität,<br />

die sich der Sprachen als<br />

europäisches Kulturgut annimmt sowie<br />

das Karlsruhe Institute of Technology,<br />

das als eine der führenden Technischen<br />

Universitäten in Deutschland gilt. Dazu<br />

40 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


kommen noch die Universität in Thessaloniki,<br />

die etwa auch eine medizinische<br />

Fakultät hat, die Universität Poznan, als<br />

eine der größten Hochschulen in Polen<br />

sowie die Université Haute-Alsace.<br />

Welchen Mehrwert haben die<br />

Studierenden?<br />

Vorweg muss man vielleicht betonen,<br />

dass das Projekt „European University“<br />

ein Projekt in sich selbst und als ein<br />

Beitrag zur Integration der Regionen<br />

in Europa zu verstehen ist. Forschung,<br />

Entwicklung und Bildung sind dabei wichtige<br />

Aktivitäten, die die Regionalen Besonderheiten<br />

und Kulturen – Stichwort<br />

Sprachen – sichtbar machen, aber, und<br />

das ist hier wichtig, diese Unterschiede<br />

verbinden. Jedes Konsortium ist daher<br />

aufgerufen, Konzepte vorzulegen, wie<br />

das umgesetzt werden kann. Für den<br />

Austausch der Studierenden sind drei<br />

Dinge wichtig: Attraktive Themen, geringe<br />

bürokratische Hürden und Rechtssicherheit.<br />

Wenn ich als Studierender an<br />

eine andere Uni gehe, muss ich wissen,<br />

ob und welche Prüfungen anerkannt<br />

werden. Das wird derzeit entwickelt, damit<br />

die Idee eines Austauschs zwischen<br />

den Partneruniversitäten umgesetzt<br />

werden kann. Aus Sicht der <strong>BOKU</strong> ist es<br />

interessant, dass es innerhalb des EPI-<br />

CUR-Konsortiums Ausbildungsschienen<br />

gibt, die wir als Spezialuni nicht anbieten<br />

können, aber eine wichtige Ergänzung zu<br />

unseren Fächern zu sehen sind.<br />

Gibt es dazu bereits konkrete Aktivitäten?<br />

Ja, Freiburg und Amsterdam bieten einen<br />

Bachelor of Science and Art an, bei<br />

dem ein Teil des Curriculums Nachhaltigkeitsthemen<br />

sind, die die <strong>BOKU</strong> anbietet.<br />

Poznan und das Karlsruhe Institute of<br />

Technology bauen derzeit gerade ein<br />

Bachelorstudium auf. Für unsere Studierenden<br />

ist es im Gegenzug wiederum<br />

möglich, sich dort Fächer auszusuchen,<br />

die für ihr <strong>BOKU</strong>-Studium angerechnet<br />

werden.<br />

Welche Vorteile bietet eine<br />

Universitäten-Allianz für die Forschung?<br />

Die Positionierung einer Universität mit<br />

ihrem Know-how in der europäischen<br />

Forschungs- und Lehrlandschaft, aber<br />

auch umgekehrt, Zugang zu führenden<br />

Institutionen, die man anders so einfach<br />

nicht hätte.<br />

Liegt demnach die Zukunft der Unis in Europa<br />

in Zusammenschlüssen wie EPICUR?<br />

Ja, und das Thema hat eine gewisse<br />

politische Brisanz bekommen, weil es<br />

bisher nur zwei Calls für die European<br />

University gab. Daran haben sich 280<br />

Universitäten beteiligt und wie es aussieht,<br />

wird es keine weiteren Calls mehr<br />

geben. Für die erfolgreichen Konsortien<br />

wird es eigene Calls geben, damit kommt<br />

es automatisch zu einer Differenzierung<br />

in Unis, die erfolgreich waren, und jene,<br />

die es nicht geschafft haben.<br />

Für uns als <strong>BOKU</strong> ist die Teilnahme ein<br />

Meilenstein der Internationalisierung,<br />

denn wir sind mit unseren Themen Nachhaltigkeit,<br />

Klima Wandel, Bioökonomie,<br />

etc. im Kreis der Volluniversitäten angekommen.<br />

Ich erwarte mir davon völlig<br />

neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit<br />

und es entspricht unter anderem<br />

einem der wichtigsten Ziele unseres Entwicklungsplanes<br />

2027, die <strong>BOKU</strong> nach<br />

einer Phase des starken quantitativen<br />

Wachstums in eine Phase des qualitativen<br />

Wachstums und damit der internationalen<br />

Positionierung – Stichwort Verbesserung<br />

in den Rankings – zu führen. Dies wird nur<br />

mit starken internationalen Partner*innen<br />

gelingen und EPICUR bietet dafür,<br />

neben anderen neu etablierten Netzwerken,<br />

die idealen Voraussetzungen.<br />

An welchen internationalen Netzwerken<br />

ist die <strong>BOKU</strong> noch beteiligt?<br />

Weitere wichtige neue Netzwerke sind<br />

das Africa-Uni-Netzwerk, das unsere<br />

Tradition der Entwicklungsforschung<br />

weiter ausbaut und unter meiner Präsidentschaft<br />

aufgebaut wurde, sowie<br />

EBU – European Bio-Economy Universities,<br />

ein Zusammenschluss von fünf<br />

Universitäten mit dem Ziel, den Bereich<br />

Bioökonomie in Europa voranzutreiben.<br />

Damit ist es uns in den letzten beiden<br />

Jahren gelungen, ergänzend zu unserer<br />

traditionell führenden Rolle in den Life<br />

Science Netzwerken ICA-CASEE, neue<br />

Kooperationen aufzubauen, die unseren<br />

Studierenden und Mitarbeiter*innen<br />

neue Wege der Zusammenarbeit ermöglichen.<br />

•<br />

Die acht EPICUR-Allianz-<br />

Partner*innen:<br />

Adam-Mickiewicz-Universität<br />

Poznan, Polen<br />

Aristoteles-Universität Thessaloniki,<br />

Griechenland<br />

Universität Amsterdam, Niederlande<br />

Universität für Bodenkultur Wien,<br />

Österreich<br />

Universität Freiburg, Deutschland<br />

Universität Haute-Alsace, Frankreich<br />

Karlsruher Institut für Technologie,<br />

Deutschland<br />

Universität Strasbourg, Frankreich<br />

Die Allianz umfasst 307.000 Studierende,<br />

40.000 Mitarbeiter*innen<br />

(darunter 21.000 akademische Mitarbeiter*innen),<br />

118 Fakultäten und<br />

156 Forschungsgruppen.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

41


Erste gemeinsame Lehrveranstaltung der<br />

<strong>BOKU</strong> und der Universität Freiburg<br />

„Mediated Modelling for Sustainability“: Innovative Verknüpfung von Online-Tools für die interdisziplinäre<br />

kollaborative Wissenskonstruktion und dynamische Modellierung von Systemzusammenhängen<br />

mit dem Ziel der Nachhaltigkeit.<br />

Systemverständnis kann als eine der<br />

zentralen fachübergreifenden Kompetenzen<br />

in der Hochschullehre angesehen<br />

werden. Neue und innovative<br />

Online-Tools erlauben eine fächerübergreifende<br />

gemeinschaftliche Integration<br />

von Fakten und kausalen Beziehungen,<br />

um zukünftige Szenarien entwickeln zu<br />

können. Insbesondere im Bereich von<br />

Nachhaltigkeitsherausforderungen<br />

wird Systemverständnis benötigt, um<br />

in der Lage zu sein, globale und lokale<br />

Probleme zu verstehen und besser zu<br />

bewältigen. Daher wurde die hier beschriebene<br />

EPICUR-Lehrveranstaltung<br />

„Mediated Modelling for Sustainability“<br />

als zentrale Vorlesung für die Vertiefungsrichtung<br />

Natural and Societal Sustainability<br />

entwickelt. In dieser Vorlesung<br />

sollen Studierende in einem interdisziplinären<br />

Umfeld Nachhaltigkeitsherausforderungen<br />

mit einem theoretischen Ansatz<br />

zum Systemverständnis analysieren.<br />

18 Studierende von drei EPICUR-Universitäten<br />

(Albert-Ludwigs-Universität<br />

Freiburg, <strong>BOKU</strong>, Aristoteles-Universität<br />

Thessaloniki) hatten sich registriert.<br />

Der gesamte Kurs wurde als Online-Veranstaltung<br />

geplant und auf der E-Learning-Plattform<br />

der Universität Freiburg<br />

implementiert.<br />

Ausgangspunkt für die Erstellung der<br />

gemeinsamen Modelle war das Interesse<br />

der Studierenden an Themen rund um<br />

gesellschaftlich-ökologische Nachhaltigkeit.<br />

Nach einer im Vorfeld durchgeführten<br />

Umfrage und einer gemeinsamen<br />

Sammlung von Themen in der<br />

ersten Einheit auf einer eigens für den<br />

Kurs installierten Open-Source-Whiteboard-Software<br />

(Spacedeck, https://<br />

spacedeck.futurecampus.eu) konnten<br />

sechs Themen identifiziert werden. In der<br />

darauffolgenden Einheit wurde mittels<br />

Spatial Chat (https://spatial.chat/) ein<br />

interaktiver Austausch zur Gruppenbildung<br />

initiiert. Auf acht Feldern, die die<br />

Themen repräsentierten, konnten sich<br />

die Studierenden über ihre Ideen und Interessen<br />

austauschen (Abb. 1). Am Ende<br />

erfolgte dann die Registrierung für eine<br />

Themengruppe auf der E-Learning-Plattform<br />

der Universität Freiburg.<br />

Im Zuge der Vorbereitungen zur Lehrveranstaltung<br />

wurden von Andreas Zitek und<br />

Stefanie Klose gemeinsam die Grundlagen<br />

der Systemdynamik und der „Hierarchy<br />

Theory“, des „Concept Mappings“<br />

mit CMap (https://cmap.ihmc.us/*) sowie<br />

die Schritte und der Hintergrund qualitativer<br />

Modellbildung und Simulation<br />

mit DynaLearn (https://www.dynalearn.<br />

eu/) als Input für die Studierenden erarbeitet.<br />

Für das kollaborative Concept<br />

Mapping wurde eigens ein CMap-Server<br />

installiert, welcher nun für die Lehre<br />

ebenfalls frei verfügbar ist (https://<br />

cmap.futurecampus.eu/). Dieser erlaubte<br />

den Gruppen nach einer lokalen Installation<br />

der freien CMap-Software die<br />

kollaborative web-basierte Erstellung<br />

von Concept Maps (Abb. 2).<br />

Von Andreas Zitek und Stefanie Klose<br />

Abb. 1: Interaktive Gruppenbildung in Spatial Chat durch themenspezifischen Austausch und<br />

Diskussion.<br />

Die auf „Qualitative Reasoning“, einer<br />

Artificial Intelligence Technik, beruhende<br />

DynaLearn-Software erlaubt eine dynamische<br />

Simulation von Zusammenhängen<br />

ohne Zahlen nur anhand definierter<br />

kausaler Zusammenhänge und qualitativer<br />

Zahlenräumen mit wichtigen Systemzuständen<br />

und „tipping points“. Diese<br />

wurde im Rahmen eines FP7-EU-Projektes<br />

unter Beteiligung der <strong>BOKU</strong> durch<br />

Andreas Zitek mitentwickelt (https://ivi.<br />

fnwi.uva.nl/tcs/QRgroup/DynaLearn/<br />

software/), und in einem weiteren Schritt<br />

zu einer kollaborativen Online-Software<br />

weiterentwickelt.<br />

Die DynaLearn-Software wurde im<br />

EPICUR-Projekt entsprechend der Bedürfnisse<br />

der Lehrenden angepasst und<br />

erlaubt nun bereits auf einer einfacheren<br />

Ebene die Darstellung von Feedback-Schleifen.<br />

Grundsätzlich können<br />

mit DynaLearn sowohl einfache kausale<br />

Feedback-Diagramme (nur „+“ und „-“<br />

als kausale Zusammenhänge zwischen<br />

Quantitäten einzelner Entitäten) als<br />

auch komplexere Modelle mit Status-<br />

Variablen und Raten sowie Bedingungen<br />

erstellt werden (Abb. 3). Und das ganz<br />

42 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Abb. 2: Structural Concept Map der<br />

Rolle des Ozeans als CO 2<br />

-Puffer<br />

Hintergrund: Shutterstock: 1558850906, Billion Photos<br />

Abb. 3: Das Badewannenmodell<br />

der<br />

Systemdynamik<br />

mit unterschiedlich<br />

großen (>) direkten<br />

Einflüssen bzw.<br />

Raten (I’s), indirekten<br />

Einflüssen bzw.<br />

Proportionalitäten<br />

(P’s), korrespondierenden<br />

Statusvariablen,<br />

dargestellt<br />

mittels DynaLearn.<br />

durch unsere gemeinsamen Expertisen<br />

und unterschiedlichen Zugänge ist ein<br />

vollkommen neues Lehrveranstaltungskonzept<br />

entstanden. Letztlich haben wir<br />

uns auch aus den zum Teil über die Jahre<br />

schon etwas festgefahrenen eigenen<br />

Vorlesungsabläufen herausbewegt und<br />

haben eine neue, innovative, spannende<br />

und motivierende Vorgangsweise zur<br />

gemeinsamen Wissenskonstruktion geschaffen,<br />

die es ohne EPICUR nicht geben<br />

würde.<br />

•<br />

ohne Zahlen! Dabei unterstützt die Dyna-<br />

Learn-Software ebenfalls kollaboratives<br />

Arbeiten sowie den direkten Support<br />

durch die Lehrenden im Modell.<br />

Ergebnis der Arbeiten zu den Themen<br />

war eine gemeinsame abschließende<br />

Präsentation der entwickelten Modelle<br />

und ein kurzer Essay, der auch eine<br />

Reflexion des eigenen Lernens und der<br />

Erfahrungen mit den Modellierungstools<br />

beinhaltete. Das gemeinsame Schreiben<br />

wurde mittels einer an der <strong>BOKU</strong> verfügbaren<br />

– auf der Open Source Software<br />

Seafile beruhenden – Lösung für<br />

das kollaborative Erstellen von Word Dokumenten,<br />

Power-Point-Präsentationen<br />

usw. umgesetzt.<br />

Der spezielle Mehrwert der Zusammenarbeit<br />

auf Seiten der Lehrenden war die<br />

gemeinsame Entwicklung des neuen<br />

Formats, der gezielte Einsatz kollaborativer<br />

Online-Tools sowie die thematische<br />

Verknüpfung von hierarchischem<br />

Systemdenken und Nachhaltigkeit<br />

mittels Systemindikatoren. Für uns als<br />

Lehrende war dies sehr inspirierend und<br />

* Diese gemachten Erfahrungen fließen natürlich<br />

auch weiter in die Regellehre an der <strong>BOKU</strong> und<br />

der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ein und<br />

werden im Rahmen einer gemeinsamen Publikation<br />

zusammengefasst und veröffentlicht.<br />

Andreas Zitek ist an der Universität für Bodenkultur<br />

Wien sowohl in der Forschung als auch im<br />

didaktischen Service tätig. Sein Hauptfokus liegt<br />

auf Innovationen im Bereich E-Learning & Didaktik<br />

sowie der Anwendung von chemischen Fingerabdrücken<br />

zur Bewertung der Herkunft und Qualität<br />

von Lebensmitteln.<br />

Stefanie Klose ist an der Albert-Ludwigs-Universität<br />

Freiburg am University College im Project<br />

EPICUR als Managerin des Study Tracks Natural<br />

and Societal Sustainability tätig sowie an der Fakultät<br />

für Umwelt und Natürliche Ressourcen in der<br />

Forschung im Bereich Industrial Ecology.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

43


Grenzüberschreitend studieren,<br />

lehren und forschen<br />

EPICUR setzt die Vision eines gemeinsamen europäischen<br />

Bildungsraums um.<br />

Von Ruzica Luketina<br />

EPICUR startete Ende 2019 mit dem<br />

Ziel, europäische Regionen durch<br />

eine enge Zusammenarbeit zwischen<br />

acht Partneruniversitäten stärker<br />

zu vernetzen. In den ersten drei Jahren<br />

sollen Lösungen entwickelt werden, wie<br />

mehr Studierende mit weniger bürokratischem<br />

Aufwand Zugang zu hochwertiger<br />

Bildung in ganz Europa bekommen<br />

können. Exzellenz und Inklusion werden<br />

dabei zusammen gedacht.<br />

Für <strong>BOKU</strong>-Studierende eröffnet sich<br />

durch EPICUR ein Zugang zu Kursen aus<br />

wissenschaftlichen Disziplinen, die an der<br />

<strong>BOKU</strong> aufgrund der speziellen Ausrichtung<br />

nicht angeboten werden. Es gibt<br />

bereits jetzt Sprach- und Kulturkurse für<br />

<strong>BOKU</strong>-Studierende. Basierend auf den<br />

Erfahrungen der Universitäten Freiburg<br />

und Amsterdam wird ein Liberal Arts and<br />

Sciences (LAS) Bachelor mit Kursen von<br />

allen acht Partneruniversitäten angeboten.<br />

Dank der Beteiligung an EPICUR<br />

kann die <strong>BOKU</strong> durch die Integration<br />

eigener Lehrveranstaltungen in diesem<br />

Studium grundlegend zur nachhaltigen<br />

Entwicklung beitragen. Für Lehrende,<br />

aber auch Studierende, aller Universitäten<br />

bietet diese einzigartige Kooperation<br />

die Möglichkeit, die Lehre weiterzuentwickeln.<br />

Sich mit den Methoden der<br />

Liberal Arts and Sciences vertraut zu<br />

machen, ist für <strong>BOKU</strong>-Lehrende auch<br />

deswegen interessant, weil diese mit den<br />

Leitmotiven zur Qualitätssicherung der<br />

Lehre an der <strong>BOKU</strong> gut vereinbar sind.<br />

Alle Kurse werden über EPICUR Virtual<br />

Campus (gemeinsame Lernplattform<br />

und Registrierungssystem) angeboten,<br />

wo sie ohne zusätzliche bürokratische<br />

Hürden für alle Beteiligten zugänglich<br />

sind (https://learn.epicur.education). Der<br />

LAS Bachelor ist ein konkreter Beitrag,<br />

um der Vision eines gemeinsamen europäischen<br />

Bildungsraums mit flexiblem<br />

Studienangebot und höherer Studierenden-<br />

und Personalmobilität näherzukommen.<br />

EPICUR arbeitet auch daran,<br />

wie Micro Credentials im Bereich der<br />

Weiterbildung als Reaktion auf den sich<br />

schnell wandelnden Arbeitsmarkt genutzt<br />

werden könnten (re-/upskilling).<br />

Studierende mit unternehmerischem<br />

Geist lernen von Anfang an, Nachhaltigkeit<br />

bei ihren Ideen mitzudenken und<br />

Studierende, die ergänzend zur theoretischen<br />

Bildung praktische Erfahrungen<br />

im Ausland machen möchten, können<br />

die Praktikumsangebote bei zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen, Forschungseinrichtungen<br />

oder Start-ups<br />

nutzen. Damit der – reale und virtuelle<br />

– Austausch von Studierenden, Lehrenden,<br />

administrativem Personal und<br />

Forschenden noch einfacher wird, wird<br />

synergistisch mit dem EPICUR-Team an<br />

einer Language Policy gearbeitet, die<br />

teilweise auch in die Language Policy der<br />

<strong>BOKU</strong> aufgenommen werden wird. Die<br />

Erhaltung der kulturellen und sprachlichen<br />

Diversität Europas ist vereinbar mit<br />

grenzüberschreitender Kooperation in<br />

Lehre und Forschung. Leitende Themenbereiche<br />

von EPICUR sind die gesellschaftliche<br />

Transformation, nachhaltige<br />

Entwicklung, Klimagerechtigkeit und Öf-<br />

fentliche Gesundheit. Die Entwicklung<br />

einer gemeinsamen Forschungsagenda<br />

hat heuer gestartet und die <strong>BOKU</strong> ist<br />

maßgeblich daran beteiligt, das Thema<br />

Nachhaltigkeit strategisch einzubauen.<br />

EPICUR wird im Rahmen des Förderprogramms<br />

Erasmus+ European University<br />

Alliances durchgeführt und aus nationalen<br />

Erasmus+-Mitteln in der OeAD-<br />

GmbH zusatzfinanziert. Im Rahmen von<br />

EPICUR Research wird eine Forschungsagenda<br />

erarbeitet, die die EU im Rahmen<br />

von Horizon 2020 fördert. •<br />

DI Ruzica Luketina, MSc, ist EPICUR Project<br />

Officer – European Universities an der <strong>BOKU</strong>.<br />

Adobe Stock<br />

44 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


„Man bekommt einfach andere Sichtweisen“<br />

Die <strong>BOKU</strong>-Studierenden Jürgen und Ariane haben das virtuelle Seminar Mediated Modelling for<br />

Sustainability“ besucht und gemeinsam mit Studierenden aus anderen Ländern und Fachrichtungen<br />

in Gruppen gearbeitet.<br />

Interview: Yvonne Cunia<br />

Würden Sie EPICUR den <strong>BOKU</strong>-Studierenden weiterempfehlen?<br />

Jürgen: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, wenn man die Möglichkeit<br />

hat, in einem internationalen Kontext zu studieren,<br />

sollte man die auf jeden Fall nutzen. Durch Corona haben wir<br />

die Möglichkeit, dass das alles online abläuft, und man nicht<br />

gleich für ein ganzes Semester irgendwohin muss. Für mich<br />

war die Lehrveranstaltung auf jeden Fall ein Gewinn. Wenn<br />

ich noch ein wenig länger studiere, mache ich vielleicht noch<br />

mal so eine LV.<br />

Ariane: Durch die Tätigkeit in der ÖH habe ich vom EPICUR-<br />

Netzwerk erfahren und ein bisschen Einblick in die Ideen des<br />

Netzwerks erhalten. Da mir die methodische Ausrichtung<br />

sowie der Aufbau gut gefallen haben, würde ich die Lehrveranstaltung<br />

weiterempfehlen, sie sollte auf jeden Fall künftig<br />

weitergeführt und vielleicht noch internationaler ausgerichtet<br />

werden.<br />

Welchen persönlichen Gewinn sehen Sie in dieser europaweiten<br />

Uni-Allianz?<br />

Jürgen: Da nicht jeder die Möglichkeit hat, zu reisen oder Auslandssemester<br />

zu absolvieren, ist virtuelle Mobilität sicherlich<br />

eine zusätzliche Möglichkeit für viele Studierende. Und man<br />

kann bei EPICUR auch sagen, ich mache jetzt nur eine Lehrveranstaltung<br />

an einer anderen Uni und die kann ich dann online<br />

absolvieren, wenn mich nur diese eine bestimmte Sache<br />

interessiert. Von dem her ist die Idee gut, wenn du in deinem<br />

regulären Studium die Möglichkeit hast, eine LV in Thessaloniki<br />

zu machen oder zum Beispiel eine an der Uni in Freiburg.<br />

Ariane: Internationale Netzwerke zwischen Universitäten finde<br />

ich persönlich sehr wertvoll. Sie ermöglichen einen interdisziplinären<br />

Austausch über Landesgrenzen hinweg.<br />

Wie unterscheidet sich eine EPICUR-Lehrveranstaltung von anderen?<br />

Jürgen: Der Austausch – auch wenn er jetzt nur online stattfindet<br />

– ist ein Mehrwert für alle Studierenden. Es waren<br />

Studierende aus Griechenland, Österreich und vor allem aus<br />

Deutschland. Ich war mit drei Studierenden von der Uni Freiburg<br />

in einer Gruppe für die Gruppenarbeit. Andere Universitäten<br />

haben in ihren Studienplänen andere Schwerpunkte<br />

und man bekommt einfach andere Sichtweisen auf bestimmte<br />

Sachverhalte.<br />

Warum haben Sie Interesse an Lehrveranstaltungen mit transdisziplinärem<br />

Inhalt?<br />

Ariane: Problemstellungen werden bzw. sind immer komplexer<br />

geworden und lassen sich teilweise mit reinem Fachwissen<br />

nicht mehr lösen. <br />

•<br />

Yvonne Cunia, BA, ist Communication Officer für EPICUR an der <strong>BOKU</strong>.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

45


PEER-LEARNING-TREFFEN DER AG BNE – ERFAHRUNGSAUSTAUSCH UNTER <strong>BOKU</strong>-LEHRENDEN<br />

Workshop: Werte in der Lehre<br />

im Kontext mit Nachhaltigkeit<br />

Von Michael Braito<br />

und Thomas Lindenthal<br />

Welche Werte eine nachhaltige Entwicklung unterstützen und wie diese in der Lehre gefördert werden können.<br />

Am 18. Februar fand eine weitere<br />

Peer-Learning-Veranstaltung der<br />

<strong>BOKU</strong>-Arbeitsgruppe Bildung für<br />

Nachhaltige Entwicklung statt, diesmal zu<br />

dem Thema „Werte in der Lehre im Kontext<br />

mit Nachhaltigkeit“. Die Veranstaltung<br />

wurde von Michael Braito (Institut<br />

für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung)<br />

und Thomas Lindenthal (Zentrum für globalen<br />

Wandel) konzipiert und moderiert.<br />

Zudem stellte auch Barbara Schmetschka<br />

(Institut für Soziale Ökologie) eine ihrer<br />

Lehrveranstaltungen vor, in denen Werte<br />

direkt oder indirekt Einzug finden. Alexandra<br />

Strauss-Sieberth und Verena Vlajo<br />

von E-Learning und Didaktik haben die<br />

Organisation der Veranstaltung unterstützt<br />

und begleitet, besonders deren<br />

digitale Umsetzung im Online-Modus.<br />

Ziel der Workshops war:<br />

1. Werte bestehender gesellschaftlicher<br />

Strukturen aufzuzeigen. Dies umfasst<br />

explizite, aber vor allem auch verborgene,<br />

intrinsische kollektive Werte<br />

u. a. in Wirtschaft, Politik, Medien,<br />

Bildung, an Universitäten (im Besonderen<br />

der <strong>BOKU</strong>).<br />

2. Werte, die eine nachhaltigen Entwicklung<br />

beziehungsweise Werte, die eine<br />

Transformation in Richtung nachhaltiger<br />

Entwicklung fördern, darzustellen<br />

und zu diskutieren.<br />

3. Formen vorzustellen, wie (eigene) individuelle/kollektive<br />

Werten in Lehrveranstaltungen<br />

bewusst gemacht<br />

werden können und sich über Erfahrungen<br />

damit auszutauschen.<br />

4. Das Vorstellen von Wegen in der Lehre,<br />

wie Wertetoleranz unter den Studierenden<br />

und Lehrenden/Wissenschaftler*innen<br />

gefördert werden kann.<br />

Ein wichtiges Thema des Austauschs war<br />

– in Verbindung mit dem ersten Beitrag<br />

von Thomas Lindenthal (zu Werten einer<br />

nachhaltigen Entwicklung) – der Paradigmenwechsel,<br />

den eine Transformation in<br />

Richtung nachhaltiger Entwicklung erfordert.<br />

Nachhaltigkeits-orientierte Werte<br />

stehen zum Teil den Werten der neoliberalen<br />

Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen<br />

diametral gegenüber, die vielfach<br />

unsere derzeitigen westlichen Gesellschaften<br />

leiten. Für einen erforderlichen<br />

Wertewandel kommt gerade der (universitären)<br />

Bildung eine wichtige Rolle zu.<br />

Diese reicht von der Bewusstmachung<br />

und Reflexion gegenwärtiger Werte<br />

über das Fördern von solidarischen, kooperativen,<br />

verantwortungsvollen sowie<br />

gemeinschaftlichen Werten, aber auch<br />

von Werten der Verantwortungsethik,<br />

Lebensqualität (für alle) und Suffizienz.<br />

Zudem tragen die Förderung von individuellen<br />

Stärken und Selbstbestimmung,<br />

von Toleranz und Vielfalt sowie auch die<br />

Etablierung einer Fehlerkultur zu einem<br />

solchen Wertewandel bei.<br />

WERTETOLERANZ<br />

Barbara Smetschka hat in ihrem Beitrag<br />

vorgestellt, wie über Werte in einer Lehrveranstaltung<br />

ein fruchtbarer Austausch<br />

gefunden werden kann. Das Lehrbeispiel<br />

bezog sich auf das Seminar „Interdisziplinäre<br />

Forschung – Von der Projektidee<br />

bis zur Evaluation“. In diesem Impulsvortrag<br />

und der anschließenden Diskussion<br />

wurde zum einen die Bedeutung von<br />

Wertetoleranz und einer gegenseitigen<br />

Verständigung über verschiedene Erwartungen<br />

und Werte deutlich. Denn<br />

dadurch kann interdisziplinäres Arbeiten<br />

(v. a. die Kooperation von weit auseinanderliegenden<br />

Disziplinen z. B. Naturwissenschaften<br />

und Soziologie) in fundierter<br />

Weise gelingen. Zum anderen konnte am<br />

Beispiel dieser Lehrveranstaltung gezeigt<br />

werden, wie ein solcher Austausch<br />

46 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


WAS DENKEN SIE BEIM TITEL „WERTE IN DER LEHRE IM KONTEXT MIT NACHHALTIGKEIT“?<br />

screenshot: Michael Braito<br />

Ergebnis der partizipativen Einstiegsübung<br />

didaktisch konzipiert und durchgeführt<br />

werden kann, damit er wichtige Lernprozesse<br />

in diese Richtung fördert. Im<br />

Vordergrund steht dabei, dass sich die<br />

Studierenden eigener Erwartungen, Vorstellungen,<br />

Werte und „innerer Rucksäcke“<br />

bewusst werden, die letztlich die<br />

Meinung über die jeweils anderen Disziplinen<br />

stark beeinflussen.<br />

Im dritten Beitrag konnte Michael Braito<br />

darstellen, wie Studierende durch die<br />

Anwendung eines einfachen ressourcenorientierten<br />

Spiels mit Wertekonflikten<br />

sowie mit eigenen Werten im Hinblick<br />

auf individuelle und gemeinschaftliche<br />

Ziele konfrontiert werden. Die langjährige<br />

Anwendung dieses Spiels in der<br />

Übung „Übungen Umwelt- und Ressourcenökonomie“<br />

in Form von Kleingruppen<br />

führt zu immer wiederkehrenden charakteristischen<br />

Typen. Diese entsprechen<br />

gesellschaftlich beobachtbaren Typen<br />

und reflektieren, wie sich Menschen im<br />

Konflikt zwischen individuellem Profit<br />

und gemeinschaftlichen Zielen verhalten,<br />

wobei die – unterschiedlich ausgeprägte<br />

– individuelle Profitorientierung<br />

verhindert, dass das gemeinschaftliche/<br />

soziale Optimum in keinem Fall erreicht<br />

wird. Das Ergebnis des Spiels beziehungsweise<br />

der „Output“ der einzelnen Gruppen<br />

ist nebensächlich – die anschließende<br />

Reflexion steht im Mittelpunkt der<br />

Übung. Zunächst werden die Studierenden<br />

animiert, ihre inneren Konflikte zu<br />

reflektieren, um zu ergründen, warum<br />

sie sich so verhalten haben, obwohl<br />

sie wussten, dass sie sich anders verhalten<br />

hätten sollen und auch könnten.<br />

Anschließend werden zwei Fragen mit<br />

den Studierenden erörtert: (a) welche<br />

menschlichen und welche systemischen<br />

Faktoren haben das kooperative Verhalten<br />

erschwert, und (b), in welchem<br />

Dilemma haben sich die Studierenden<br />

befunden. Der Konflikt zwischen individuellem<br />

versus kollektivem Optimum,<br />

der in der Ressourcenökonomie beziehungsweise<br />

in der Nutzung der Natur<br />

und in der Mensch-Natur-Beziehung von<br />

zentraler Bedeutung ist, wird in dieser<br />

Weise den Studierenden in eindrücklicher<br />

Weise bewusst.<br />

LEHRE KANN MEHR<br />

Die beiden Beispiele zeigen, dass Lehre<br />

mehr kann als reine Wissensvermittlung<br />

zu sein. Einflussfaktoren von Sichtweisen,<br />

Meinungen oder Verhaltensent-<br />

scheidungen zu reflektieren, kann ein<br />

ebenso wichtiger und wertvoller Beitrag<br />

von Lehre sein, um Studierenden<br />

das Rüstzeug zu geben, die Gesellschaft<br />

reflektiert und im Sinne der Werte einer<br />

nachhaltigen Entwicklung zu gestalten.<br />

Allerdings hat die Diskussion mit den<br />

Teilnehmer*innen auch gezeigt, dass<br />

genau solch eine Reflexion nicht immer<br />

einfach ist, dass wir in unserer Lehre<br />

selbst auf Zielkonflikte stoßen. Eine gelebte<br />

Fehlertoleranz im Lehrbetrieb ist<br />

nicht immer vereinbar mit dem Auftrag/<br />

Wunsch/Ziel, Leistungen zu bewerten.<br />

Es hat sich gezeigt, dass die Zeit für den<br />

Workshop viel zu kurz bemessen war, um<br />

dieser Diskussion ausreichend Raum zu<br />

geben. Zudem musste Karin Schanes, die<br />

für einen weiteren Beitrag bei diesem<br />

Workshop eingeladen war, kurzfristig<br />

absagen. Darum ist geplant, den Workshop<br />

im kommenden Wintersemester<br />

erneut und dann mit einer Vertiefung<br />

anzubieten. <br />

•<br />

Mag. Dr. Michael Braito ist Senior Lecturer am<br />

Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung.<br />

DI Dr. Thomas Lindenthal ist Senior Scientist<br />

am Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

47


SPLITTER<br />

Adobe Stock<br />

Barbara Hinterstoisser<br />

Neubezeichnung<br />

der Ko-Stelle und<br />

Verabschiedung von<br />

der Stabsstelle<br />

„In echt“: Lawinenexkursion der<br />

<strong>BOKU</strong> zu Rax und Göller<br />

„Wir haben uns das erste Mal im Studium in echt gesehen“ – sagten Studierende,<br />

die im 2. Semester „Alpine Naturgefahren“ an der <strong>BOKU</strong> studieren – ein Studium,<br />

das unbedingt Praxiserfahrung benötigt – aber wie soll man das in diesen<br />

Zeiten bewerkstelligen? Dank zweier von der Lehrveranstaltungsleiterin Ingrid<br />

Reiweger penibel auf alle Corona-Maßnahmen abgestimmten Exkursionstage<br />

zur Rax und zum Göller wurde dies möglich. So wurden unter strenger Einhaltung<br />

aller Corona-Vorschriften zwei Exkursionen in den Schnee im Rahmen der<br />

Lehrveranstaltung „Schnee- und Lawinengefahren – Analyse und Bewertung“<br />

durchgeführt. Die äußerst engagierten, interessierten und wetterresistenten<br />

(es war beide Male sehr kalt, windig und mit Schneefall passend zum Thema<br />

garniert) Studierenden konnten – unter fachkundiger Anleitung von eingeladenen<br />

Expert*innen – Schneeprofile graben und bewerten (Ergebnisse sind in<br />

www.lawis.at nachzuschauen), Hänge beurteilen lernen, historische Lawinenereignisse<br />

und rezente Lawinensituationen diskutieren.<br />

Mit 1. 1. <strong>2021</strong> wurde die Koordinationsstelle<br />

für Gleichstellung und Gender<br />

Studies zur Koordinationsstelle für<br />

Gleichstellung, Diversität und Behinderung<br />

umgewandelt und hat sich dadurch<br />

nicht nur namentlich und inhaltlich erweitert,<br />

sondern ist auch personell durch<br />

Ela Posch, PhD, verstärkt worden, die<br />

nun für die Bereiche Gender und Diversität<br />

zuständig ist. Mag. a Eva Ploss bleibt<br />

als Leiterin für das Büro des Arbeitskreises<br />

für Gleichbehandlungsfragen (AKGL)<br />

der <strong>BOKU</strong> aber weiterhin erhalten und<br />

die Stabsstelle zu Betreuung<br />

von Menschen mit<br />

besonderen Bedürfnissen<br />

ist in die „neue Ko-Stelle“<br />

integriert worden.<br />

Umfrage zu alten<br />

Elektrogeräten<br />

Das Institut für Abfallwirtschaft führt<br />

eine Umfrage durch, bei der erhoben<br />

werden soll, warum nicht mehr benutzte<br />

Elektrogeräte oft jahrelang in den<br />

heimischen Haushalten aufbewahrt<br />

werden. Die Umfrageergebnisse sollen<br />

dazu dienen, gezielte Maßnahmen zu<br />

entwickeln, um diese Altgeräte<br />

schneller in den<br />

Kreislauf der Wiederverwendung<br />

und Verwertung<br />

zu bringen.<br />

48 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Robert Newald<br />

Ethikkommission hat<br />

Tätigkeit aufgenommen<br />

Die Ethikkommission der <strong>BOKU</strong> hat<br />

mit Oktober 2020 unter dem Vorsitz<br />

von O. Univ.-Prof. Dr. Josef Glößl ihre<br />

Tätigkeit aufgenommen. Das Gremium<br />

besteht aus zwölf Mitgliedern und wird<br />

für eine Dauer von vier Jahren bestellt.<br />

Neun Mitglieder werden auf Empfehlung<br />

der Departmentleiter*innen in die<br />

Kommission entsandt, je ein Mitglied<br />

wird vom Rektorat sowie dem Senat<br />

Josef Glößl<br />

und dem Universitätsrat nominiert.<br />

Die Ethikkommission verfasst Stellungnahmen zu<br />

1. Forschungsvorhaben an oder mit Menschen: Beispielsweise<br />

Untersuchungen (z. B. Interviews, Umfragen, Eye Tracking,<br />

Videobeobachtungen), die möglicherweise Rechte (z. B.<br />

Recht auf Privatsphäre, Persönlichkeitsrecht), die Sicherheit<br />

und das Wohlergehen der Versuchspersonen (z. B. physische<br />

oder psychische Integrität) oder wesentliche Interessen von<br />

Versuchspersonen beeinträchtigen könnten.<br />

2. Forschungsvorhaben an oder mit Tieren: Beispielsweise<br />

Untersuchungen, in denen Wirbeltiere in einer Weise eingesetzt<br />

werden, die über die reine Beobachtung oder medizinische<br />

Betreuung hinausgehen, oder wenn sie maßgeblich<br />

durch Eingriffe ins Ökosystem betroffen sein könnten. Die<br />

Ethikkommission ist nicht zuständig für Forschungsvorhaben<br />

an oder mit Tieren, für die ein Tierversuchsantrag<br />

gestellt wurde.<br />

In ihrer Stellungnahme hat die Kommission zu beurteilen, ob<br />

bei der Durchführung des Forschungsvorhabens der Schutz<br />

der Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen der Versuchspersonen<br />

(Abs. 1 Z 1) bzw. die Befolgung der Gebote des<br />

Tierschutzrechts (Abs. 1 Z 2) angemessen gesichert sind.<br />

Adobe Stock<br />

Faszinierende Pflanzen<br />

Der sechste internationale „Fascination of Plants Day“<br />

<strong>2021</strong> der Europäischen Organisation für Pflanzenwissenschaften<br />

(EPSO) findet am 18. Mai auch wieder in Österreich<br />

unter der Koordination von Univ.-Prof. in Dr. in Margit<br />

Laimer, Plant Biotechnology Unit (PBU), <strong>BOKU</strong>, statt.<br />

Ziel dieser Aktivität ist es, möglichst viele Menschen für<br />

Pflanzen zu interessieren und von der Bedeutung der<br />

Pflanzenwissenschaften für die Landwirtschaft und die<br />

nachhaltige Produktion nahrhafter Lebensmittel sowie<br />

für den Gartenbau, die Forstwirtschaft und die Herstellung<br />

von pflanzlichen Produkten wie Papier, Holz,<br />

Chemikalien, Energie und Pharmazeutika zu begeistern.<br />

Die Rolle der Pflanzen im Umweltschutz ist ebenfalls eine<br />

wichtige Botschaft.<br />

Es wird herzlich eingeladen, sich dieser Initiative anzuschließen!<br />

Die Veranstaltungen reichen von Weinbergwanderungen<br />

bis zum Besuch von Blühwiesen, der botanische Garten<br />

Klagenfurt beteiligt sich ebenso wie Künstler*innen.<br />

Neben Professorin Laimer nehmen weitere Forscher*innen<br />

der <strong>BOKU</strong> und der Universität Innsbruck sowie die<br />

HBLFAs Schönbrunn und Raumberg-Gumpenstein teil.<br />

Aufgrund der Covid-19-Situation werden heuer erstmals<br />

auch virtuelle Veranstaltungen angeboten!<br />

Sobald das Programm und alle Teilnehmer*innen<br />

feststehen, werden wir Sie auf der<br />

Homepage der <strong>BOKU</strong> darüber informieren.<br />

Fascination of Plants Day (2)<br />

Petr Jan Juracka (2)<br />

Fristen, Checklisten und das Online-Einreichformular<br />

finden Antragsteller*innen auf der<br />

<strong>BOKU</strong>-Homepage:<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

49


RESEARCH: FAQ<br />

Welcome Horizon Europe!<br />

WHAT IS HORIZON EUROPE?<br />

Horizon Europe is the new European funding programme for<br />

research and innovation. It has started at the beginning of<br />

<strong>2021</strong>, running till the end of 2027. The budget for the seven<br />

years is about 95.4 billion Euro.<br />

Horizon Europe is structed in three pillars,<br />

Pillar 1 Excellent Science<br />

Pillar 2 Global Challenges and European Industrial<br />

Competitiveness<br />

Pillar 3 Innovative Europe<br />

and with a transverse area related to Widening Participation<br />

and Strengthening the European Research Area.<br />

The first calls for project proposals are planned for spring<br />

<strong>2021</strong>.<br />

WHAT ARE THE CLUSTERS ABOUT?<br />

Each cluster has several areas of interventions.<br />

I HAVE HEARD ABOUT MISSIONS. WHAT IS IT ABOUT?<br />

A mission is a portfolio of actions across disciplines intended<br />

to achieve a bold, inspirational and measurable goal within a<br />

set timeframe, with impact for society and policy making as<br />

well as relevance for the European population.<br />

Von Silvia Sponza<br />

The five missions will be programmed within the Pillar 2, focusing<br />

on:<br />

u Adaptation to climate change including societal transformation<br />

u Cancer<br />

u Climate-neutral and smart cities<br />

u Healthy oceans, seas, coastal and inland waters<br />

u Soil health and food<br />

WHERE CAN I FIND THE CALLS?<br />

On the Funding & Tenders Portal you can find all the calls. This<br />

is your entry point for the electronic submission of your project<br />

proposals, as well as the services portal for managing your<br />

projects throughout their lifecycle.<br />

To submit your project proposal, you need an EU Login (tutorial<br />

on our webpage in „Downloadcenter“) and the Participant<br />

Identification Code (PIC number) of <strong>BOKU</strong>, which you can find<br />

on our webpage „FAQs“, too.<br />

WHO CAN HELP ME DURING THE<br />

PROJECT PROPOSAL PREPARATION?<br />

We support you with the proposal check, the budget review,<br />

with the internal approvals and with your questions.<br />

Your contact person is Silvia Sponza, PhD.<br />

LINKS<br />

Funding & Tenders Portal<br />

https://ec.europa.eu/info/funding-tenders/opportunities/portal/screen/home<br />

CLUSTERS<br />

Information (please, Log-in)<br />

https://boku.ac.at/fos/projektsupport/<br />

https://short.boku.ac.at/boku-daten-bestaetigungen<br />

https://boku.ac.at/fos/themen/faqs<br />

Downloadcenter https://short.boku.ac.at/k4wqoe<br />

AREAS OF INTERVENTIONS<br />

Structure of Horizon Europe<br />

https://ec.europa.eu/info/<br />

horizon-europe_en<br />

KONTAKT<br />

projektsupport@boku.ac.at<br />

1 Health u Health throughout the life course u Environmental and social health determinants<br />

u Non-communicable and rare diseases<br />

u Infectious diseases, including poverty-related<br />

u Tools, technologies and digital solutions for health<br />

and neglected disease<br />

and care, including personalised medicine<br />

u Health care systems<br />

2 Culture, creativity u Democracy and governance u Culture, cultural heritage and creativity<br />

and inclusive society u Social and economic transformations<br />

3 Civil security u Disaster-resilient societies u Cybersecurity<br />

for society<br />

u Protection and security<br />

4 Digital, industry u Manufacturing technologies u Key digital technologies, including quantum<br />

and space u Advanced materials technologies<br />

u Next generation internet<br />

u Artificial intelligence and robotics<br />

u Circular industries<br />

u Advanced computing and big data<br />

u Space, including earth observation<br />

u Low-carbon and clean industry<br />

u Emerging enabling technologies<br />

u Emerging enabling technologies<br />

5 Climate, energy u Climate science and solutions u Energy supply<br />

and mobility u Energy systems and grids u Buildings and industrial facilities in energy transition<br />

u Communities and cities<br />

u Clean, safe and accessible transport and mobility<br />

u Industrial competitiveness in transport<br />

u Energy storage<br />

u Smart mobility<br />

6 Food, bioeconomy, u Environmental observation u Biodiversity and natural resources<br />

natural resources, u Agriculture, forestry and rural areas u Seas, oceans and inland waters<br />

agriculture and u Circular systems u Bio-based innovation systems in the EU Bioeconomy<br />

environment<br />

u Food systems<br />

50 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


STRATEGISCHE KOOPERATION <strong>BOKU</strong>–UMWELTBUNDESAMT<br />

Aktuelles aus der Kooperation<br />

Von Florian Borgwardt<br />

Das EU-Forschungsprogramm Horizon<br />

2020 ist Anfang des Jahres mit<br />

den Ausschreibungen zum Green<br />

Deal ausgelaufen. Mit dem neuen mehrjährigen<br />

Finanzrahmen der EU für die<br />

Jahre <strong>2021</strong>–27 startet auch das neue<br />

Forschungsprogramm Horizon Europe,<br />

das eine Bandbreite an Forschungsförderungsmöglichkeiten<br />

bietet.<br />

Die großen gesellschaftlichen und sozialen<br />

Herausforderungen gliedern sich in<br />

fünf sogenannte „Mission Areas“:<br />

1 Conquering Cancer: Mission Possible<br />

2 Accelerating The Transition To A Climate<br />

Prepared And Resilient Europe<br />

3 Regenerating our Ocean and Waters<br />

4 100 Climate-Neutral Cities by 2030<br />

– by and for the citizens<br />

5 Caring for Soil is Caring for Life<br />

Diese werden dann über bestimmte Missionen<br />

thematisch bespielt. Die Mission<br />

Areas sollen gemeinsam mit Bürger*innen,<br />

Stakeholdern, dem Europäischen<br />

Parlament und Mitgliedsstaaten definiert<br />

werden, um eine noch stärkere Einbindung<br />

der Gesellschaft sowie eine noch<br />

deutlichere Kommunikation des Nutzens<br />

von Forschung und Innovation zu ermöglichen.<br />

Dementsprechend wird die Wirkungsorientierung<br />

von Forschung und Innovation<br />

in Horizon Europe weiter betont.<br />

Die internationalen Ausschreibungen<br />

bieten eine hervorragende Möglichkeit<br />

für eine Zusammenarbeit zwischen<br />

<strong>BOKU</strong> und Umweltbundesamt.<br />

Jürgen Pletterbauer<br />

Für Anfragen bezüglich Kooperation mit<br />

dem Umweltbundesamt stehe ich gerne<br />

zur Verfügung. <br />

•<br />

LINKS<br />

Aktuelle Informationen<br />

zu Horizon Europe<br />

www.ffg.at/horizoneurope<br />

https://ec.europa.eu/info/horizoneurope_en<br />

KONTAKT<br />

DI Dr. Florian<br />

Borgwardt<br />

+ 43 664 966 86 38<br />

<strong>BOKU</strong>: Mittwoch<br />

8.30–16.30<br />

Umweltbundesamt:<br />

Montag 8.30–16.30<br />

florian.borgwardt@boku.ac.at<br />

http://short.boku.ac.at/fos_<br />

stratkoopbokuu<br />

<strong>BOKU</strong>-Lehrveranstaltungen mit genderspezifischen<br />

Inhalten im Sommersemester <strong>2021</strong><br />

An der <strong>BOKU</strong> werden in der Lehre in mehreren Fachbereichen Lehrveranstaltungen angeboten, die Aspekte des Gender Mainstreamings<br />

in den Lehrinhalten bewusst berücksichtigen, die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Frauen<br />

und Männern beleuchten sowie Inhalte, Betrachtungsweisen und Methoden der Frauen- und Geschlechterforschung integrieren:<br />

LV-Nr. Titel der Lehrveranstaltung Art ECTS Vortragende*r<br />

112002 Soziale Kompetenzen in Theorie und Praxis II (Praxis) VU 3 Sabine Baumgartner; Ruth Scheiber-Herzog;<br />

(Helene Steiner)<br />

120999 Intercultural competence – Acting effectively in an VU 3 Ulrike Piringer; Agnes Liebl<br />

international environment (in Eng.)<br />

731387 Rurale Frauen- und Geschlechterforschung SE 3 Ulrike Tunst-Kamleitner<br />

733321 Organisational behaviour and gender issues (in Eng.) VU 3 Ika Darnhofer<br />

815326 Applied methods of rural water management in the SE 3 Willibald Loiskandl; Dominik Ruffeis<br />

tropics and subtropics (in Eng.)<br />

850106 Grundlagen zum universitären Arbeiten VO 1 Lisa Bohunovsky; Doris Damyanovic;<br />

Wolfgang Liebert; Gernot Stöglehner<br />

854320 Feministische Landschafts- und Freiraumplanung SE 3 Gerda Schneider<br />

931106 Landwirtschaftliche Arbeitswissenschaft VO 3 Elisabeth Quendler<br />

933110 Organic farming in tropical and subtropical regions (in Eng.) VO 3 Bernhard Freyer<br />

Vom ÖH-Frauenreferat der Universität Wien wird jedes Semester die sogenannte „Frauenforscherin“, ein kommentiertes Vorlesungsverzeichnis,<br />

das eine detaillierte Übersicht über alle an den Wiener Universitäten stattfindenden Lehrveranstaltungen zu feministischer Theorie und<br />

Gender Studies bietet, herausgegeben: www.oeh.univie.ac.at/vertretung/referate/frauenreferat<br />

KONTAKT Koordinationsstelle für Gleichstellung, Diversität und Behinderung https://short.boku.ac.at/kostelle<br />

DI in Ruth Scheiber-Herzog ruth.scheiber@boku.ac.at | B.Sc. Helene Steiner helene.steiner@boku.ac.at<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

51


<strong>BOKU</strong> Core Facility<br />

Multiscale Imaging<br />

Die <strong>BOKU</strong> Core Facility Multiscale<br />

Imaging (CF MSI) ist die Nachfolge<br />

des <strong>BOKU</strong>-VIBT Imaging Center,<br />

der ältesten zentralen Forschungseinrichtung<br />

unserer Universität. Es wurde im<br />

Jahr 2010 als wegweisende Forschungsplattform<br />

gegründet und bot von Anfang<br />

an allen Studierenden, Lehrenden und<br />

Wissenschaftler*innen unabhängig von<br />

ihrer Zugehörigkeit einen offenen Zugang<br />

zu verschiedenen „state-of-the-art“-<br />

Lichtmikroskopen. Die CF MSI befindet<br />

sich im Gebäudekomplex in der Muthgasse<br />

und beherbergt acht Spezialmikroskope.<br />

Obwohl alle Geräte Lichtmikroskope<br />

sind, gehören sie je nach Hardwarekomponenten<br />

und relevanten Anwendungsgebieten<br />

zu vier verschiedenen Gruppen:<br />

Laser-Präparationsmikroskope, Epifluoreszenzmikroskope,<br />

Konfokalmikroskope,<br />

und Mikroskope für markierungsfreie,<br />

chemische Mikrospektroskopie.<br />

Mit unserem Laser-Mikrodissektion-System<br />

(Präparationsmikroskop) können<br />

Gewebe- bzw. Zellteile aus mikroskopischen<br />

Schnitten für weitere molekularbiologische<br />

Untersuchungen herausgeschnitten<br />

werden. So können<br />

mikroskopisch definierte Teile aus Geweben,<br />

wie etwa Tumorzellen, gesammelt<br />

und weitere Analysen von Einzelzellen<br />

durchgeführt werden.<br />

Epifluoreszenzmikroskope dienen als<br />

Video-Kameras, um lange Filmaufnahmen<br />

von flachen Objekten (z. B. Zellkulturen)<br />

zu machen. Sie bieten eine ausgezeichnete<br />

zeitliche und strukturelle Auflösung,<br />

ohne dass durch einen intensiven Laser<br />

lebende Zellen gestört werden. Eines<br />

der beiden Videomikroskope ist mit einer<br />

internen Totalreflexionsbeleuchtung ausgerüstet<br />

und speziell für Untersuchungen<br />

an Oberflächen geeignet, da es ausschließlich<br />

Fluoreszenzsignale an Grenzflächen<br />

im Nanometerbereich detektiert.<br />

Das zweite Epifluoreszenzmikros kop<br />

enthält eine Inkubationskammer, damit<br />

die gewünschte Wachstumstemperatur,<br />

der CO 2<br />

-Gehalt und die Feuchtigkeit für<br />

lebende Proben optimiert und konstant<br />

gehalten werden können.<br />

Die Konfokalmikroskope stehen für Routineanalysen<br />

zur Verfügung, bei denen<br />

von dickeren Proben optische Schnitte<br />

erzeugt werden können, die man dann<br />

mit einer Softwareunterstützung zu<br />

3-D-Modellen zusammensetzt. So können<br />

zum Beispiel räumliche Verteilungen<br />

des Chromatins in Zellkernen, Gewebe<br />

und Zellen in Pflanzenwurzeln oder sogar<br />

ganze Organismen wie Würmer, Fischund<br />

Insektenlarven untersucht werden.<br />

Das neueste Konfokalsystem kann in ein<br />

Super-Auflösung-Laser-Rastermikroskop<br />

umgewandelt werden, indem man ein<br />

STED(Stimulated Emission Depletion)-<br />

Modul dazuschaltet. In Abhängigkeit von<br />

dem STED-Modul und der Probevorbereitung<br />

kann die vorgesehene Auflösung<br />

drei- bis sechsmal besser sein als bei herkömmlichen<br />

Fluoreszenz-Mikroskopen, es<br />

ist also auch eine Auflösung von 40 nm<br />

erreichbar. Somit macht die Super-Auflösung-Mikroskopie<br />

sogar Viren sichtbar.<br />

Mit dieser Ausstattung der CF MSI sind<br />

Wissenschaftler*innen in der Lage, sich<br />

ein genaueres Bild von verschiedensten<br />

– nicht notwendigerweise biologischen –<br />

Proben und Materialien zu machen, diese<br />

zu isolieren und deren feine Strukturen<br />

zu untersuchen. Man kann Mikroorganismen,<br />

Organellen oder sogar einzelne<br />

Moleküle zählen und deren Bewegungen,<br />

wie auch räumliche und zeitliche<br />

Veränderungen von Proteininteraktionen<br />

folgen.<br />

Die CF MSI hat bereits regelmäßige<br />

Nutzer*innen aus verschiedenen Departments<br />

der <strong>BOKU</strong>, aber auch von anderen<br />

Universitäten und Forschungseinrichtungen.<br />

Die Projekte stammen aus vielfältigen<br />

wissenschaftlichen Forschungsgebieten:<br />

Pflanzenbiologie, Zellbiologie<br />

von Säugetieren, Hefephysiologie, Studien<br />

an artifiziellen Membranen und<br />

Vesikeln. Auch Kolleg*innen, deren<br />

zukünftige Forschung vorwiegend auf<br />

Mikroskopie basieren soll, besuchen die<br />

CF MSI und bahnen weitere methodische<br />

Entwicklungen an. <br />

•<br />

LINK<br />

<strong>BOKU</strong> Core Facility Multiscale Imaging<br />

https://boku.ac.at/cf/msi<br />

KONTAKT<br />

Dr. in Monika<br />

Debreczeny<br />

monika.debreczeny@<br />

boku.ac.at<br />

Monika Debreczeny<br />

52 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Joseph Gasteiger<br />

<strong>BOKU</strong> (3)<br />

Team CF MS (im Urzeigersinn): Clemens Grünwald-Gruber, Daniel Maresch, Anna Urbanetz, Gerrit Hermann<br />

<strong>BOKU</strong> Core Facility<br />

Facility Mass Spectrometry<br />

M<br />

it der Core Facility Mass Spectrometry<br />

(CF MS) bietet die<br />

<strong>BOKU</strong> am VIBT internen und<br />

externen Nutzer*innen einen state-ofthe-art-Gerätepark<br />

zur Durchführung<br />

von Analysen im Bereich der Isotopen-,<br />

Element- und Molekülmassenspektrometrie.<br />

Messungen werden sowohl von den<br />

Mitarbeiter*innen der CF MS, als auch,<br />

nach entsprechender Einschulung, von<br />

den Nutzer*innen selbstständig durchgeführt.<br />

In der CF MS stehen Labore für die<br />

Probenvorbereitung, ein ICP-MS Reinraumlabor<br />

und mehrere Messplätze mit<br />

LC-MS- sowie GC-MS-basierten Großgeräten<br />

zur Verfügung. Der umfangreiche<br />

MS-Gerätepark kann auf der Homepage<br />

der <strong>BOKU</strong> Core Facility Mass Spectrometry<br />

(CF MS) eingesehen werden.<br />

Die CF MS wird von erfahrenen Mitarbeiter*innen<br />

betreut. Diese weisen<br />

eine hohe Kompetenz im Bereich der<br />

Probenvorbereitung, Chromatografie<br />

und Massenspektrometrie und auch<br />

ein breites Wissen im Bereich der Bio-,<br />

Lebensmittel- und Umweltwissenschaften<br />

auf. Diese Synergien stellen sicher,<br />

dass die bestehenden und zukünftigen<br />

Fragestellungen und Anforderungen der<br />

<strong>BOKU</strong>-Wissenschaftler*innen und der<br />

wissenschaftlichen Gemeinschaft insgesamt<br />

effizient und mit höchsten Qualitätsstandards<br />

erfüllt werden können.<br />

Die exzellente Ausstattung der CF MS<br />

ermöglicht die Entwicklung von fit-forpurpose-Methoden<br />

und deren Anwendung<br />

in der Routine. Das breite Methodenportfolio<br />

reicht von der gezielten<br />

absoluten und relativen Quantifizierung<br />

mittels Molekül- und Elementmassenspektrometrie<br />

und der Bestimmungen<br />

von Stabilisotopenverhältnissen mittels<br />

Multikollektor-ICP-MS über die Möglichkeit<br />

der ungezielten Analytik mittels<br />

hochauflösender Massenspektrometrie<br />

bis hin zu Proteomics, Glycomics<br />

und Metabolomics. Wissenschaftliche<br />

Unterstützung erhält die CF MS dabei<br />

Joseph Gasteiger<br />

vom Institut für Analytische Chemie und<br />

vom Institut für Biochemie am <strong>BOKU</strong>-<br />

Department für Chemie.<br />

Im Spätsommer <strong>2021</strong> wird die CF MS in<br />

einen neu ausgebauten Bereich mit hightech-Laborinfrastruktur<br />

auf über 400 m²<br />

in der Muthgasse 11 (MG III) übersiedeln<br />

und dort die einzigartige Kombination<br />

von Element-, Isotopen- und Molekülmassenspektrometrie<br />

an einem Standort<br />

ermöglichen. Interessierte Nutzer*innen<br />

sind jederzeit herzlich willkommen. •<br />

LINK<br />

<strong>BOKU</strong> Core Facility Mass<br />

Spectrometry (CF MS)<br />

https://boku.ac.at/cf/ms<br />

KONTAKT<br />

Dr. Gerrit Hermann<br />

ms@boku.ac.at<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

53


Adobe Stock<br />

Hervorragende Forschungskennzahlen<br />

der <strong>BOKU</strong><br />

Von Christian Obinger<br />

Die für internationale Rankings relevanten<br />

Forschungskennzahlen der<br />

<strong>BOKU</strong> haben sich in den letzten<br />

Jahren außergewöhnlich positiv entwickelt.<br />

Die bibliometrische Analyse der<br />

Publikationsleistung der <strong>BOKU</strong> zeigt,<br />

dass sich seit dem Jahr 2005 die Anzahl<br />

der in SCOPUS gelisteten Publikationen<br />

beinahe verdreifacht hat. Der größte<br />

Zuwachs erfolgte in den vergangenen<br />

Jahren (Abb. 1). Die Zunahme von 2017<br />

bis 2020 beträgt knapp 30 %. Ein ähnliches<br />

Bild zeigt auch ein Blick in das Web<br />

of Science. Etwa 98 % der SCI- und SSCI-<br />

Publikationen werden in Englisch verfasst<br />

und die Zahl der durchschnittlichen<br />

Zitierungen pro Veröffentlichung steigt<br />

pro Jahr um etwa 7 %. Noch deutlicher<br />

zeigt sich die Qualitätssteigerung bei jenen<br />

Publikationen, die in den besten 25 %<br />

der Zeitschriften des jeweiligen Fachgebietes<br />

publiziert werden. Deren Anteil<br />

hat sich in den vergangenen Jahren<br />

signifikant erhöht. Im Corona-Jahr 2020<br />

wurde ein neuer Rekordwert an SCI- und<br />

SSCI-Publikationen erzielt.<br />

Ein Blick in das Datawarehouse im Hochschulbereich<br />

des Bundesministeriums für<br />

Bildung, Wissenschaft und Forschung<br />

Abb. 1: SCOPUS-Einträge mit Nennung „Universität für Bodenkultur Wien“. Seit dem Jahr 2005<br />

hat sich die Anzahl der in SCOPUS gelisteten Publikationen beinahe verdreifacht. Der größte Zuwachs<br />

erfolgte in den letzten Jahren. Die Zunahme von 2017 bis 2020 beträgt knapp 30 %.<br />

Quelle: SCOPUS – Analyze search results.html<br />

zeigt zudem, dass in Österreich die<br />

<strong>BOKU</strong> seit Jahren den Spitzenplatz in<br />

der Kategorie SCI-/SSCI-Publikationen<br />

pro Professor*in & Äquivalente (basierend<br />

auf Wissensbilanzkennzahlen 3.B.1<br />

& 1.A.1) einnimmt. Mit ca. 5,1 SCI-/SSCI-<br />

Publikationen pro Professor*in & Äquivalente<br />

liegt die <strong>BOKU</strong> unangefochten<br />

an der Spitze, klar vor der Technischen<br />

Universität Wien (3,9), der Universität<br />

Wien (3,6) und der Montanuniversität<br />

Leoben (3,3).<br />

Vergleicht man sämtliche Publikationen<br />

(i. e. SCI-, SSCI-Publikationen<br />

sowie erstveröffentlichte Beiträge in<br />

54 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Sammelwerken, erstveröffentlichte<br />

Beiträge in sonstigen wissenschaftlichen<br />

Fachzeitschriften, Erstauflagen<br />

von Fach- und Lehrbüchern, sonstige<br />

wissenschaftliche Veröffentlichungen)<br />

gemäß Frascati-Klassifikation, so fällt<br />

auf, dass naturwissenschaftliche Publikationen<br />

(Physik, Chemie, Biologie,<br />

Geowissenschaften) mit 41,5 % dominieren,<br />

gefolgt von Agrarwissenschaften<br />

(Land- und Forstwirtschaft) mit 26,3 %,<br />

Technischen Wissenschaften (15,5 %)<br />

sowie Sozialwissenschaften (Wirtschaftswissenschaften,<br />

Soziologie, Rechts- und<br />

Politikwissenschaft) mit 13,9 %. Der Rest<br />

(2,8 %) umfasst Humanmedizin und Geisteswissenschaften.<br />

Abb. 2 zeigt eine Analyse sämtlicher<br />

<strong>BOKU</strong>-Publikationen seit 1903 in Fachzeitschriften,<br />

die in SCOPUS gelistet<br />

sind (ca. 18.000). Die meisten Publikationen<br />

erfolgten in Fachzeitschriften<br />

der Kategorien Agricultural and Biological<br />

Sciences (20,7 %), Biochemistry,<br />

Genetics and Molecular Biology (14,5 %),<br />

Environmental Science (13,2 %), Chemistry<br />

(7,1 %) sowie Engineering (5,7 %).<br />

Ein sehr ähnliches Bild zeigt das Web of<br />

Science (WoS). Mit Hilfe des auf WoS-basierten<br />

CWTS-Monitors (Leiden University)<br />

wird <strong>2021</strong> nun erstmals dieser Datensatz<br />

entsprechend der <strong>BOKU</strong>-typischen<br />

Fachbereiche und Departments zeitlich<br />

aufgelöst analysiert und mit Benchmark-<br />

Universitäten (z. B. Wageningen University,<br />

TU München usw.) verglichen<br />

werden.<br />

Abb. 2: Analyse sämtlicher SCOPUS-Einträge<br />

seit 1903 mit Nennung „Universität für Bodenkultur<br />

Wien“. Unter Sonstige fallen Social<br />

Sciences, Energy, Physics usw.<br />

Quelle: SCOPUS – Affiliation details –<br />

Universitat fur Bodenkultur Wien.html<br />

Neben hochrangigen SCI- und SSCI-Publikationen<br />

stellen die F&E-Erlöse sowie<br />

die Patentanmeldungen weitere wichtige<br />

Forschungskennzahlen dar. Mit einer<br />

Drittmittelquote von fast einem Drittel<br />

des Gesamtbudgets (Summe aus Globalbudget<br />

und F&E-Erlösen) gehört die<br />

<strong>BOKU</strong> zu den erfolgreichsten Universitäten<br />

Österreichs. Im Jahre 2019 wurde<br />

mit 51,6 Millionen Euro F&E-Erlösen ein<br />

neuer Rekord erzielt. Die wichtigsten<br />

Auftrag- bzw. Fördergeber*innen waren<br />

in diesem Jahr Unternehmen (12,3 Mio.<br />

Euro), EU (8,3 Mio. Euro), FWF (8,3 Mio.<br />

Euro), FFG (5,9 Mio. Euro), Stiftungen &<br />

Vereine (5,2 Mio. Euro), Ministerien (13,3<br />

Mio. Euro), sonstige öffentlich-rechtliche<br />

Einrichtungen (3,2 Mio. Euro), Länder<br />

(2,8 Mio. Euro) und andere. Aufgrund<br />

der Budgetwirksamkeit sind die zwischen<br />

2017 und 2019 erfolgten Steigerungen<br />

der Erlöse aus FWF-Projekten (+ 5,2 %)<br />

und EU-Projekten (+ 76 %) besonders<br />

erfreulich. Dieser positive Trend dürfte<br />

sich auch im Corona-Jahr 2020 fortgesetzt<br />

haben.<br />

Die Drittmittelstärke der <strong>BOKU</strong> wird<br />

auch durch den Vergleich mit den anderen<br />

österreichischen Universitäten<br />

widergespiegelt. Nach der Montanuniversität<br />

Leoben (60,1 %) ist der Anteil des<br />

Drittmittelpersonals am gesamten wissenschaftlichen<br />

Personal an der <strong>BOKU</strong><br />

mit 50,5 % am höchsten. Den dritten<br />

und vierten Platz in Österreich nehmen<br />

die TU Graz (46,6 %) und die TU Wien<br />

ein (38,0 %). Bei den F&E-Erlösen pro<br />

Jahr und pro Professor*in & Äquivalente<br />

nimmt die <strong>BOKU</strong> nach der Montanuniversität<br />

Leoben (529 k Euro) und der<br />

TU Graz (328 k Euro) den dritten Platz<br />

ein (258 k Euro), noch vor der TU Wien<br />

(245 k Euro). Die stetige Steigerung des<br />

Drittmittelvolumens spiegelt sich auch in<br />

der Tatsache wider, dass in den letzten<br />

Jahren der Anteil der Doktoratsstudierenden<br />

mit Beschäftigungsverhältnis zur<br />

Universität bezogen auf die Anzahl aller<br />

an der <strong>BOKU</strong> inskribierten Doktoratsstudierenden<br />

kontinuierlich gestiegen<br />

ist und 2020 erstmals die 50-%-Marke<br />

übersprungen hat.<br />

Bei den in den Wissensbilanzen der Universitäten<br />

gelisteten F&E-Erlösen ist<br />

festzuhalten, dass hier die Erlöse der<br />

Beteiligungen der Universitäten nicht<br />

berücksichtigt werden. An der <strong>BOKU</strong><br />

betrifft das hauptsächlich die COMET-<br />

Zentren acib, Wood K plus, FFoQSI und<br />

BEST. Betrachtet man die anteilig der<br />

<strong>BOKU</strong> zugerechneten Betriebsleistungen,<br />

so wurden in diesen vier Beteiligungsunternehmen<br />

2019 12,5 Mio. Euro<br />

erwirtschaftet.<br />

Eine weitere, sehr positive Entwicklung<br />

im Bereich Forschung betrifft die Anzahl<br />

der Patentanmeldungen an unserer Universität.<br />

Sie ist den vergangenen Jahren<br />

ebenfalls signifikant angestiegen (2017:<br />

14, 2018: 25, 2019: 44). Die Zahl an abgeschlossenen<br />

Lizenzverträgen bzw. Verkaufsverträgen<br />

pro Jahr ist hingegen relativ<br />

konstant geblieben (i. e. 8–9 pro Jahr).<br />

Zusammenfassend kann festgehalten<br />

werden, dass in den vergangenen Jahren<br />

im Bereich der Forschung an der <strong>BOKU</strong><br />

sehr große Fortschritte erzielt wurden.<br />

Weitere Details findet man in den jährlich<br />

erscheinenden Wissensbilanzen bzw. im<br />

Datawarehouse des BMBWF.<br />

Wie wirken sich nun diese Verbesserungen<br />

in den internationalen Hochschulrankings<br />

aus? An welchen nimmt<br />

die <strong>BOKU</strong> regelmäßig teil und welche<br />

Schlussfolgerungen kann man aus diesen<br />

Rankings ziehen? Dazu mehr im nächsten<br />

<strong>BOKU</strong>-<strong>Magazin</strong>.<br />

•<br />

LINKS<br />

SCOPUS<br />

https://boku.ac.at/bib/themen/scopus<br />

Web of Science<br />

https://boku.ac.at/bib/themen/<br />

web-of-science<br />

Datawarehouse im Hochschulbereich<br />

des Bundesministeriums für Bildung,<br />

Wissenschaft und Forschung<br />

https://unidata.gv.at/<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

55


<strong>BOKU</strong>-Technologietransfer:<br />

Erfolge 2020 & Best practice<br />

<strong>BOKU</strong>-ERFINDUNG – <strong>BOKU</strong>-ERFINDERIN – <strong>BOKU</strong>-START-UP<br />

Von Nicole Hochrainer<br />

Christoph Gruber | <strong>BOKU</strong>-IT<br />

V. l.: Daniel Paul Komuczki, Gordana Wozniak-Knopp, David Brunmayr (Organic Tools), Isabella Zangl, Christian Obinger, Michael Traxlmayr,<br />

Charlotte Zajc, Michael Moll (accent), Maria Georgiades, Raphaela Hellmayr.<br />

<strong>BOKU</strong>-ERFINDUNG 2020<br />

Die Idee und der innovative Charakter<br />

einer Erfindung werden mit der Verleihung<br />

des Preises <strong>BOKU</strong>-Erfindung 2020<br />

ausgezeichnet. Vor allem die herausragendste<br />

Leistung im Bereich schutzfähige<br />

Innovation wird damit gewürdigt.<br />

Aus den Erfindungsmeldungen der vergangenen<br />

drei Jahre wurde im Zuge einer<br />

Jurysitzung ein Gewinner*innen-Team<br />

ermittelt.<br />

Der Preis ging an die Erfinder*innen<br />

Michael Traxlmayr und Charlotte Zajc<br />

mit der Technologie „A lipocalin foldbased<br />

inducible dimerization system<br />

(,Lipocalin-Switch‘)“. Die Erfindung ist<br />

das Ergebnis exzellenter wissenschaftlicher<br />

Forschung in Kooperation mit der<br />

St. Anna Kinderkrebsforschung, zudem<br />

ermöglichte sie die Kooperation mit dem<br />

global agierenden Biotechnologie- und<br />

Biomedizin-Unternehmen Miltenyi Biotec.<br />

Sie zeichnet sich besonders durch<br />

die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten<br />

aus, die eine wirtschaftliche Verwertung<br />

in vielen Bereichen möglich<br />

macht. Mithilfe dieser Erfindung wird<br />

die Sicherheit und Tumorspezifität der<br />

CAR-T-Zelltherapie weiterentwickelt,<br />

sodass wirksamere Therapien in die breite<br />

klinische Anwendung gebracht und<br />

weltweit neue entscheidende Impulse<br />

für die Krebstherapie ermöglicht werden<br />

können.<br />

<strong>BOKU</strong>-ERFINDERIN 2020<br />

Für den Preis <strong>BOKU</strong>-Erfinderin des Jahres<br />

werden Erfinderinnen vor den Vorhang<br />

geholt, um anderen Wissenschaftlerinnen<br />

als Inspiration und Role model<br />

zu dienen, denn noch immer sind Frauen<br />

an Erfindungen unterdurchschnittlich<br />

häufig beteiligt. Gordana Wozniak-Knopp<br />

konnte die Jury überzeugen, da sie nicht<br />

nur an außergewöhnlich vielen Erfindungen<br />

und Patenten beteiligt ist, sondern<br />

hier auch noch mit einem hohen Erfindungsanteil<br />

beeindruckt. Die Forscherin<br />

war auch maßgeblich an dem Spin-off<br />

F-star beteiligt, das eines der erfolgreichsten<br />

Spin-offs der <strong>BOKU</strong> darstellt.<br />

Ihr Einsatz und ihre Vorbildwirkung<br />

für junge Wissenschaftlerinnen<br />

wird neben<br />

einem Geldpreis mit einem persönlichen<br />

Video belohnt.<br />

<strong>BOKU</strong>-START-UP-PREIS 2020<br />

Junge Unternehmen, die auf innovativen<br />

Geschäftsideen beruhen und einen<br />

<strong>BOKU</strong>-Bezug aufweisen, haben sich auf<br />

die Ausschreibung zum <strong>BOKU</strong>-Start-up<br />

des Jahres 2020 beworben. Unter den<br />

Einsendungen wurde von einer Jury das<br />

Start-up Organic Tools mit der Obstraupe<br />

gewählt. Die Organic Tools GmbH<br />

entwickelt und vertreibt smarte Werkzeuge<br />

für Bewirtschafter von Agroforstsystemen.<br />

Durch eine einfache und<br />

smarte Technologie hilft die Obstraupe<br />

dabei, die wirtschaftliche Rentabilität<br />

von Streuobstwiesen – als traditionelle<br />

Agroforstsysteme – zu erhöhen<br />

und so gleichzeitig<br />

ökologisch wertvolle Lebensräume<br />

nachhaltig zu<br />

sichern. <br />

•<br />

LINK<br />

Fotos und Video<br />

https://boku.ac.at/fos/technologietransfer/erfolge-best-practice<br />

56 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>


Christoph Gruber | <strong>BOKU</strong>-IT<br />

V. l. : Isabella Zangl, Maria Georgiades, Christian Obinger, Raphaela Hellmayr, Michael Moll (accent), Daniel Paul Komuczki.<br />

Innovation to market<br />

tecnet|accent Innovation Award an junge Forscher*innen der <strong>BOKU</strong> vergeben<br />

Der gemeinsam von der <strong>BOKU</strong>,<br />

tecnet equity und accent ausgeschriebene<br />

Innovation Award wurde<br />

im Dezember 2020 bereits zum zehnten<br />

Mal vergeben. Im Mittelpunkt des Innovation<br />

Awards steht die Frage nach der<br />

kommerziellen Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen.<br />

Die Kandidat*innen<br />

sollten hierzu erste eigene Überlegungen<br />

zur wirtschaftlichen Umsetzung ihrer Forschungsergebnisse,<br />

wie z. B. Kund*innenennutzen,<br />

Marktpotenzial oder Patentschutz<br />

auf einem Poster darstellen und<br />

vor einer Jury präsentieren.<br />

Den Sieg holten sich Maria Georgiades<br />

und Raphaela Hellmayr für ihr Projekt<br />

„Hemp Holds“ bringt die Natur in die<br />

Kletterhalle. „Hemp Holds“ sind Klettergriffe,<br />

die in Kletterhallen zum Einsatz<br />

kommen und bisher vorwiegend<br />

aus Kunststoff gefertigt werden. Die an<br />

der <strong>BOKU</strong> entwickelten Klettergriffe<br />

bestehen hingegen aus umweltfreundlichen<br />

Hanfreststoffen. Die neuartigen<br />

Klettergriffe können nachhaltig produziert<br />

werden, zeichnen sich durch einen<br />

längeren Lebenszyklus gegenüber konventionellen<br />

Klettergriffen aus Kunststoff<br />

aus und können nach Gebrauch<br />

wieder recycelt werden.<br />

Der 2. Platz ging an Daniel Komuczki für<br />

sein Poster „Dissolvr – Continuous Buffer<br />

Preperation Directly From Solids“.<br />

tecnet equity ist<br />

die Technologiefinanzierungsgesellschaft<br />

des Landes<br />

Niederösterreich.<br />

Über die Venture<br />

Capital Fonds investiert tecnet equity<br />

in wachstumsstarke, innovative, technologieorientierte<br />

Unternehmen. Mit<br />

dem „research-to-value“ (r2v)-Programm<br />

unterstützt tecnet NÖ Forscher*innen<br />

und Gründer*innen bei<br />

der Überführung ihrer Forschungsergebnisse<br />

in marktfähige Produkte<br />

und Dienstleistungen.<br />

www.tecnet.at<br />

Das accent ist der Hightech-Inkubator<br />

des Landes Niederösterreich. Ziel des<br />

accent ist es, eine fruchtbare Basis für<br />

hochinnovative Start-ups in NÖ zu<br />

schaffen und diese auf ihrem anfangs<br />

sehr schwierigen Weg erfolgreich zu<br />

begleiten. Dadurch sollen technologische<br />

Entwicklungen effektiv und<br />

nachhaltig wirtschaftlich umgesetzt<br />

werden. Neben der finanziellen Unterstützung<br />

gibt es auch ein intensives<br />

Coaching.<br />

www.accent.at<br />

Die immer weiter steigende Nachfrage<br />

nach Medikamenten führt zu immer<br />

aufwendigeren Herstellungs- und Lagerungsprozessen<br />

in der biopharmazeutischen<br />

Industrie. Um den steigenden Bedarf<br />

an Puffern für Herstellungsprozesse<br />

seitens der Industrie besser bedienen zu<br />

können, wurde an der <strong>BOKU</strong> nun ein Verfahren<br />

entwickelt, das eine einfache und<br />

kontinuierliche Produktion von Puffern<br />

ermöglicht und damit einen wichtigen<br />

Beitrag zur Stabilisierung der Arzneimittelversorgungskette<br />

liefern könnte.<br />

Den 3. Preis holte sich Isabella Zangl für<br />

die Präsentation ihres Posters „Highthroughput<br />

detection method for personalized<br />

probiotics“. Candidose ist eine<br />

durch Pilze der Gattung Candida hervorgerufene<br />

Infektionskrankheit der Haut<br />

und Schleimhäute (z. B. Scheidenpilz).<br />

Zur Behandlung werden Antimykotika<br />

(oftmals in Kombination mit Probiotika)<br />

eingesetzt. Jedoch nimmt die antimykotische<br />

Resistenz in Candidapilzen<br />

einerseits immer weiter zu, andererseits<br />

führen Antimykotika häufig auch zu Nebenwirkungen<br />

(z. B. Juckreiz, Durchfall,<br />

Hautausschlag). An der <strong>BOKU</strong> wurde nun<br />

ein spezielles Verfahren zur Identifikation<br />

von für den jeweiligen Candida-Stamm<br />

spezifischen Laktobazillen entwickelt, die<br />

gezielt (personalisierte Medizin) wirken.<br />

Damit steigt die Chance, Candidosen<br />

künftig zielgerichtet zu behandeln. •<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong><br />

57


Arbeitsschulung für Menschen mit<br />

Behinderung in Tagesstrukturen<br />

Das <strong>BOKU</strong>-Forschungsprojekt IRMA ging der Frage nach, wie Unterlagen gestaltet sein müssen, um Menschen<br />

mit Beeinträchtigungen in Tagesstrukturen, auch Beschäftigungstherapie genannt, optimal in die Gartenbauarbeit<br />

einzuschulen.<br />

Von Rebecca Gutkas 1 , Elisabeth Quendler 1 , Birgit Steininger 2<br />

Rebecca Gutkas<br />

Eine Möglichkeit, den eigenen Betrieb<br />

um ein Standbein zu erweitern<br />

und gleichzeitig Menschen in<br />

irgendeiner Form aufblühen zu lassen,<br />

ist Green Care. Eine Variante davon ist<br />

die Einbindung von Personen mit Behinderung<br />

in den landwirtschaftlichen<br />

Arbeitsalltag. Beeinträchtigte Menschen<br />

mit einem Behinderungsgrad von mehr<br />

als 50 Prozent in Tagesstrukturen gleichberechtigt<br />

am gesellschaftlichen Leben<br />

teilhaben zu lassen, gilt als Inklusion. Im<br />

Berufsleben ist dies verwirklicht, wenn<br />

die Rahmenbedingungen der Arbeit so<br />

angepasst sind, dass diese Personen als<br />

vollwertige Arbeitskräfte und nicht als<br />

„Fürsorgeobjekte“ angesehen werden.<br />

BESONDERE FÄHIGKEITEN<br />

ZUR GELTUNG BRINGEN<br />

Landwirtschaftliche Tätigkeiten in der<br />

Natur, mit Pflanzen und Tieren, können<br />

geistig oder körperlich behinderte Menschen<br />

mit Sinn und Freude erfüllen und<br />

gleichzeitig eine Unterstützung bei der<br />

Arbeitserledigung für bäuerliche Familienbetriebe<br />

darstellen. Menschen mit<br />

Behinderung brillieren oft bei Tätigkeiten,<br />

für die vielen von uns schlicht die<br />

Geduld und Ausdauer fehlt. Gerade der<br />

Gemüseanbau, der in Österreich kleinstrukturiert<br />

ist und über Wochen und<br />

Monate dieselbe oder ähnliche händische<br />

Arbeit erfordert, eignet sich sehr<br />

gut für derartige kooperative Arbeitserledigungen.<br />

Menschen mit Behinderung<br />

aus Tagesstrukturen benötigen hierfür,<br />

wie alle Mitarbeiter*innen, eine Einschulung,<br />

die ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen<br />

entspricht.<br />

PRAXISNAH, ANSCHAULICH,<br />

WERTSCHÄTZEND<br />

Die Kernfrage lautet: Wie muss das Schulungsmaterial<br />

gestaltet sein, damit die<br />

Botschaften optimal beim Menschen<br />

mit Behinderung ankommen und ein<br />

möglichst effizientes, sicheres und sozial<br />

nachhaltiges Arbeiten am Betrieb<br />

erreicht wird? Dieser Frage hat sich das<br />

Projekt IRMA – Sozial nachhaltige Inklusion<br />

von Menschen mit Behinderung<br />

– gewidmet, das von der Universität für<br />

Bodenkultur Wien in Kooperation mit<br />

der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik,<br />

dem Verein Green Care, der<br />

Landwirtschaftskammer Wien und dem<br />

Bundesministerium für Landwirtschaft,<br />

Regionen und Tourismus koordiniert<br />

wurde. Dabei zeigte sich, dass Praxisnähe,<br />

Anschaulichkeit, klare einfache<br />

Sprache, aber auch Wertschätzung entscheidend<br />

sind, um Mitarbeiter*innen<br />

optimal einzuschulen und für ihre neuen<br />

Aufgaben zu begeistern. Diese Erkenntnisse<br />

fließen in die Weiterentwicklung<br />

von künftigen Green Care-Vorhaben ein.<br />

Gemeinsames Ziel der Öffentlichkeit<br />

muss es sein, für ein gutes kooperatives<br />

Arbeitsleben mit Menschen mit Behinderung<br />

aus Tagesstrukturen zu sorgen.<br />

Jeder Mensch hat die Chance verdient,<br />

den jeweiligen Fähigkeiten entsprechend,<br />

einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten<br />

und als wertvolles Mitglied wahrgenommen<br />

und wertgeschätzt zu werden.<br />

Die Masterandin möchte für die Zuerkennung<br />

des Dirmhirn-Stipendiums<br />

danken, durch dessen Unterstützung die<br />

Masterarbeit erfolgreich abgeschlossen<br />

werden konnte. <br />

•<br />

LINKS<br />

Inge-Dirmhirn-Stipendium<br />

https://short.boku.ac.at/<br />

dirmhirn-stipendium.html<br />

Green Care<br />

www.greencare-oe.at<br />

1<br />

Department für Nachhaltige Agrarsysteme, Institut<br />

für Landtechnik, Universität für Bodenkultur Wien<br />

2<br />

Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in<br />

Wien<br />

58 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 1 | <strong>2021</strong>

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