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Rahlstedter Leben April 2021

Das Stadtteilmagazin in Hamburg Rahlstedt

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Alexander Posch<br />

Im Wendehammer<br />

Flammend blühen die Fuchsien im Sonnengleiß“ rezitiert<br />

Wuttke.<br />

„Oh! Rainer Maria Rilke!“, sage ich. „Das habe ich lange<br />

nicht mehr gehört.“<br />

„Der olle Rilke“, lächelt Wuttke. Wuttke ist ein Studienfreund<br />

meiner Frau.<br />

Wir stehen im Wendehammer am Ende unserer Straße. Im<br />

Hammerrund blühen die großartigsten Forsythien des Hamburger<br />

Ostens. Ein Traum in Gelb. Davor die beiden schwarz ausgebrannten<br />

Autos. Die haben sich im vergangenen Monat zu einem<br />

Ich lege sie nicht in Salz,<br />

sondern in Zucker ein: Kandierte<br />

Nacktschnecke zum Tee.<br />

kleinen Hype auf Instagramm entwickelt. Jugendliche fotografieren<br />

sich vor den Autoleichen, Jogger, Großmütter mit Hunden.<br />

Einige kommen aus Schleswig-Holstein angereist. Weltgeschichte<br />

en miniature.<br />

Trotz des Feuers, der Löschspuren und des Polizeiabsperrbands<br />

sind die Fabrikate leicht zu identifizieren: Ein Porsche Cayenne<br />

und ein Ford Mustang. Das Kühlerpferd ist noch gut zu erkennen.<br />

Beide gehören dem Radiologen Dr. Islinghausen. In den letzten<br />

Jahren zogen immer mehr Wohlhabende an den Ostrand der<br />

Stadt.<br />

Wuttke, meine Frau und ich beobachten einen Zaunkönig, wie<br />

er etwas Füllung aus der schräg in den Himmel ragenden, unversehrten<br />

Heckklappe von Islinghausens Porsche pickt.<br />

„Zaunkönige bauen jedes Frühjahr bis zu neun Nester. Ihre<br />

Weibchen sind sehr wählerisch“, sagt Wuttke. „Die Autos - war<br />

das ein gelangweilter Feuerwehrmann?“<br />

„Ich glaube, das ist nur ein Kollateralschaden“, sage ich. „Erst<br />

hat das Schilf gebrannt, dann hat das Feuer auf die Autos übergegriffen.“<br />

„Hier gibt´s überhaupt kein Schilf“, sagt meine Frau. „Und warum<br />

sollte etwas, das es gar nicht gibt, gebrannt haben?“<br />

„Die Behörde brennt die <strong>Rahlstedter</strong> Schilfbestände ab. Denn<br />

das Schilf ist der Ort, in den sich die Wildschweine gerne zurück<br />

ziehen. Und um die Afrikanische Schweinegrippe einzudämmen,<br />

wird es abgebrannt“, sage ich.<br />

Geschichten aus Rahlstedt<br />

Text: Alexander Posch Foto: pixabay<br />

„Ich sehe hier nur Forsythien“, unterstützt Wuttke meine Frau.<br />

„War ja nur so`ne Idee“, sage ich. „Jedenfalls weiß niemand,<br />

wer das gewesen ist. Seit einem Monat suchen die schon. Bei<br />

uns haben die auch geklingelt. Aber die Autos brannten nachts,<br />

und da haben wir geschlafen“, erzähle ich Wuttke.<br />

Wir haben ein Jugendhaus in unserer Straße, in dem die Polizei<br />

den Täter vermutete. G20 und so. Außerdem durchsuchte sie<br />

die Wohnungen einiger ortsbekannter Neonazis. Zwar hätte man<br />

denen die Anschläge nicht zugetraut, aber man wollte deutlich<br />

machen, dass man sie auf dem Schirm hat. So stand es in der<br />

Zeitung. Gefunden hat die Polizei in vier Wochen nichts.<br />

Wuttke geht zu einem der Laternenpfähle im Wendehammer.<br />

Dort hängt ein Plakat: „<strong>Rahlstedter</strong>, Mitbürger, Freunde!“, liest<br />

er vor. „Wir, ihre Polizei, wussten von einem möglichen Brandanschlag<br />

in der Stadt. Aber dass der Plan soweit abseits des Zentrums<br />

umgesetzt werden würde, überraschte uns. Wer Angaben zu<br />

den Tätern machen kann, melde sich. Herzlich Ihre Polizei. Und<br />

dann eine Telefonnummer. Wer hat das denn formuliert?!“<br />

Inzwischen ist wieder eine Gruppe Fahrradfahrer angekommen,<br />

die sich vor den Autos verewigt. Und wie jeden Tag spaziert<br />

der alte Herr mit seinem Spaniel durchs Wendehammerrund. Ein<br />

Anwohner, der seinen Hund täglich die angeschmolzene Felge<br />

markieren lässt.<br />

Wir gehen rüber in unseren Garten. Es ist sonnig, es hat genügend<br />

geregnet. Ideal für ein Erblühen des Gartens - allein: Wir<br />

haben eine Nacktschneckenplage. Alles Angepflanzte ist bis auf<br />

wenige Zentimeter abgenagt.<br />

Wuttke weiß ein Rezept gegen Nacktschnecken, hatte mir meine<br />

Frau gesagt. Deshalb ist er zu Besuch gekommen. Während er<br />

zur Bestandsaufnahme in unser abgefressenes Staudenbeet tritt,<br />

erzählt mir meine Frau: „Wuttkes Rezept sind nicht die üblichen<br />

indischen Laufenten. Die vertilgen zwar die Schnecken, aber die<br />

verunreinigen unseren Garten mit ihrem gipsartigen Kot. Keine<br />

Ornithologin wird dir jemals indische Laufenten empfehlen“,<br />

zwinkert sie mir zu. „Thomas´ Methode stammt von dem Stamm,<br />

bei dem er gelebt hat. Wo warst du nochmal, Thomas?!“<br />

Wuttke kommt aus dem Kahlfraßbeet zurück auf den Rasen.<br />

„Ich war ein Jahr im Hochland von Neuguinea bei den Enga. Einige<br />

von denen lassen einen Wurm für sich jagen. Den Neuguinea-<br />

Plattwurm. Aber der frisst dann wirklich ALLE Schnecken. Und<br />

dann muss man dem Wurm die Schnecken wieder irgendwie<br />

abjagen. Kein Spaß! Na, jedenfalls fangen die<br />

Enga Schnecken und lassen die dann vier Tage lang hungern,<br />

damit sich der Darm entleert. Später salzen sie sie ein<br />

und verspeisen sie bei Ritualen in der Gruppe. Eine Delikatesse!<br />

Ich lege sie nicht in Salz, sondern in Zucker ein: Kandierte Nacktschnecke<br />

zum Tee.“<br />

„Oder zum Espresso?“, schlage ich vor. Wuttke nickt und holt<br />

eine Plastikdose aus seinem Rucksack.<br />

„Ein hermaphroditisches Wesen / wär’ mir was Apartes gewesen,/da<br />

fand ich ’n Ding / das bei mir nicht verfing, /an diesem<br />

befremdlichen Wesen“, rezitiert er schon wieder ein Gedicht.<br />

„Wieder Rilke?“, frage ich.<br />

„Shakespeare“, antwortet er und lächelt schelmisch. „Wollt ihr<br />

mal probieren?!“ Mit spitzen Fingern nimmt er etwas Ingwerwurzelartiges<br />

aus der Dose.<br />

„Ich mach uns mal schnell ‚nen Espresso“, sage ich und verschwinde<br />

im Haus.<br />

Abends sehen meine Frau und ich wie immer die Regionalfernsehsendung<br />

‚Der Tag in Hamburg‘.<br />

„Guck mal, unser Wendehammer“, sage ich. Eine Stimme aus<br />

dem Off sagt, dass ein 67 Jahre alter Rentner im <strong>Rahlstedter</strong> Supermarkt<br />

mit seinen Taten geprahlt hat. So ist man dem Täter auf<br />

die Spur gekommen. Aus Neid hat er die Autos angezündet.<br />

Vor der gelb glühenden Blütenwand, vor der wir heute selbst<br />

mit Wuttke standen, wird eine alte Dame interviewt. Die Stimme<br />

aus dem Off sagt: Der Brandstifter von Rahlstedt ist gefunden und<br />

hier ist seine Frau im Exklusivinterview.<br />

„Wie konnte es dazu kommen?“, wird die Frau von einem Reporter<br />

gefragt. Sie antwortet: „Unverdient sei Dr. Islinghausen an<br />

den Porsche gekommen, hat mein Mann gesagt. Der ist doch korrupt,<br />

der Islinghausen, hat er gesagt. Wie kann der sich denn ständig<br />

neue Luxuskarossen leisten?! Der ist doch auch nur Arzt. Und<br />

als er mit Karl-Gustav, unserem Spaniel, die nächtliche Runde<br />

machte, und dabei im Wendehammer schon wieder neue Modelle<br />

stehen sah, da ist es wohl über ihn gekommen. Aber er hat es<br />

mir auch erst eine Woche später gestanden.“ Die Frau schüttelt<br />

den Kopf. „Dass er sich auch immer mit den anderen vergleichen<br />

muss. Und dann vom Gefühl her schlecht abschneidet. Ich habe<br />

nur den alten Daimler und immer dieselbe graue Frau, statt junger,<br />

blonder Freundinnen, sagt er immer. Ich dachte, dass er das so im<br />

Spaß sagen würde. Manfred ist doch immerhin Ingenieur. Uns<br />

geht es doch gut!“<br />

Dann sieht man den Reporter mit dem Sprecher der Polizei.<br />

„Die Verhandlung über den bislang nicht Vorbestraften wird voraussichtlich<br />

im nächsten Monat stattfinden“, sagt der Polizeisprecher.<br />

Als meine Frau den Fernseher ausschaltet, frage ich sie, ob ich<br />

noch eine von den Zuckerschnecken haben kann.<br />

„Was für ein apartes Ding sich bei mir verfing“, zitiert meine<br />

Frau Shakespeare oder Wuttke und reicht mir die geöffnete<br />

Dose. n<br />

ALExanDER<br />

Posch<br />

gebürtiger Hamburger, Jahrgang<br />

'68, Autor und Familienvater<br />

aus Rahlstedt<br />

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Buchtipp<br />

von<br />

RAMona nIcKLAUS:<br />

"Totenweg"<br />

Autorin: Romy Fölck<br />

www.kielfeder-blog.de<br />

Ich las lange Zeit lieber Thriller, als Krimis. Sie waren<br />

für mich spannender, abwechslungsreicher, fesselnder<br />

und vor allem überraschender. Und dann entdeckte<br />

ich die Krimis von Romy Fölck. Da ich euch ja immer<br />

nur ein Buch empfehlen kann, beginne ich bei ihr<br />

mit Teil 1 ihrer Elbmarsch-Krimis. Mittlerweile gibt<br />

es schon 4 Bände. Die Bücher spielen alle in und um<br />

Hamburg und einige Ecken erkennt ihr bestimmt<br />

sofort beim Lesen. Totenweg habe ich verschlungen.<br />

Mir brannten nachts die Augen, denn ich konnte<br />

einfach nicht aufhören. Die Stimmung ist düster und<br />

die Geschichte mitreißend und sie konnte mich sogar<br />

als geübte Leserin überraschen. Ich warte seither<br />

immer sehnsüchtig auf neue Fälle und wenn ihr gerne<br />

Spannung lest, dann müsst ihr Romy Fölck unbedingt<br />

kennen!<br />

Ich verrate euch an dieser Stelle nicht, welcher<br />

Elbmarsch-Krimi mein Lieblingsband ist. Schreibt mir<br />

gerne, wenn ihr euren Lieblingsband gefunden habt,<br />

dann können wir uns austauschen.<br />

Lübbe, 416 Seiten, 11 Euro<br />

Literatur<br />

StUBEnhocKER<br />

Die Kunstzeitschrift mit<br />

sieben neuen Geschichten<br />

von Lars Dahms und Alexander<br />

Posch und Illustrationen<br />

von Thomas Tannenberg<br />

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32 <strong>Rahlstedter</strong> <strong>Leben</strong> 02/<strong>2021</strong><br />

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