04.05.2021 Aufrufe

Künstler-Magazin 02-2021

Fachmagazin für die Show- und Eventbranche

Fachmagazin für die Show- und Eventbranche

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Showszene aktuell<br />

www.gedu.com<br />

Kollateralschaden<br />

Kulturtod ohne Trauernde<br />

Chronik einer Krankheit<br />

Corona macht krank,<br />

Corona kann töten.<br />

Corona ist schlimm, verändert die<br />

Gesellschaft und das Leben. Darüber<br />

berichten wir. Geschichten,<br />

die es nicht in die Medien schaffen.<br />

Wir geben Zahlen einen Namen<br />

und eine Seele. Die Serie<br />

„Kollateralschaden“ basiert auf<br />

Berichten Betroffener der Coronapolitik.<br />

Damit keiner sagen kann:<br />

„Das haben wir nicht gewusst!“<br />

Kulturtod ohne Trauernde<br />

Von Johanna und Frank Wahlig<br />

Die Beerdigung findet digital statt.<br />

Diese Oper ist ein Hit und Hits<br />

gehören auf die große Bühne.<br />

Mozarts Le Nozze di Figaro an<br />

der Berliner Staatsoper gibt es im<br />

Coronajahr nur für die Fernsehkameras,<br />

für die Beleuchter vielleicht<br />

auch noch. Publikum gibt es<br />

keines. Hochkultur vor leeren Reihen.<br />

Figaro im Internet. Ein Singstück<br />

unter vielen. Das ist Marionettentheater<br />

– allenfalls. Eine<br />

Farce, ganz sicher.<br />

Hochkultur der Corona-Gegenwart.<br />

Ist das noch Kunst oder<br />

schlicht Feigheit oder kann das<br />

weg? Es kann weg. Diese Aufführung<br />

ist Beschäftigungstherapie<br />

für Sänger und Musiker – damit<br />

es scheint, als hätten sie zu<br />

tun. Einzig die Kulturpolitiker applaudieren<br />

– virtuell. „Seht her,<br />

hört zu: Wir sind für die Kultur!“<br />

Der Finanzminister wirft mit<br />

Konfettigeld<br />

Der Finanzminister verspricht Milliarden<br />

für eine Kultur, die es nicht<br />

mehr gibt. Bevor die sensiblen<br />

<strong>Künstler</strong> dem Murren verfallen,<br />

werden sie mit Konfettigeld beworfen.<br />

„Wir wollen kleinere Kulturveranstaltungen<br />

finanziell fördern,<br />

die aufgrund der Hygienevorgaben<br />

mit deutlich weniger<br />

Publikum stattfinden müssen“,<br />

so Finanzminister Olaf Scholz.<br />

Es finden überhaupt keine Kulturveranstaltungen<br />

statt, Herr Minister.<br />

Die Symphonie der Großstadt<br />

besteht aus Vogelgezwitscher<br />

und dem Heulen der Sirenen<br />

und den atonal quietschenden<br />

Straßenbahnen.<br />

Die <strong>Künstler</strong> halten weitgehend<br />

still und hoffen auf Staatsknete.<br />

Lebenslange Ausbildung<br />

und arbeitslos<br />

Marta Murvai ist eine international<br />

bekannte Geigerin. Eine Ausnahmekünstlerin.<br />

Sie lebt in Berlin,<br />

hat nichts zu tun und übt, damit<br />

sie so brillant bleibt, wie sie es vor<br />

Corona einmal war. Seit November<br />

keine Auftritte, auch keine<br />

Aussicht auf Konzerte in der Zukunft.<br />

„Meine Ausbildung dauerte<br />

15 Jahre – und ich darf nicht arbeiten.<br />

Ich habe seit meinem<br />

sechsten Lebensjahr täglich mehrere<br />

Stunden geübt… und mein<br />

Beruf wird als nicht notwendige<br />

Tätigkeit eingestuft“, sagt Marta.<br />

Für Marta Murvai ist Kunst, Leben<br />

und Spielen eins. Musik ist Berufung<br />

und Lebenshaltung.<br />

„Ein <strong>Künstler</strong>, der nur vor dem<br />

Spiegel spielt, wird schlecht. Wir<br />

brauchen Publikum“, sagt Marta<br />

Murvai.<br />

Im Lockdown hat Marta Stücke<br />

eingeübt, Konzerte erarbeitet in<br />

der Hoffnung, dass die Zeiten sich<br />

ändern. Vergeblich. „Die Kulturpolitiker<br />

halten uns wie der Katze ein<br />

Spielzeug vor die Nase und es<br />

wird immer wieder weggezogen.“<br />

Die Politik spielt Friseure und<br />

<strong>Künstler</strong> gegeneinander aus. Die<br />

einen dürfen aufmachen, die anderen<br />

bleiben arbeitslos. Im Februar<br />

ist Marta Murvai nach Bukarest<br />

geflogen und hat ein Konzert<br />

gegeben. Vor Publikum. Applaus.<br />

Die Menschen waren dankbar, ein<br />

Konzert miteinander erleben zu<br />

können. In Bukarest, nicht in<br />

Deutschland, dem Land mit dem<br />

meisten Opern- und Konzerthäusern<br />

weltweit. Musik ist hörbare<br />

Bildung, Kultur der Jahrhunderte.<br />

<strong>Künstler</strong> verklagen die<br />

Regierung<br />

„Aufstehen für die Kunst“ heißt die<br />

Initiative prominenter Musiker im<br />

Rechtsstreit mit der bayerischen<br />

Regierung. „Wir wurden unserer<br />

Berufe beraubt“, so die Begründung<br />

von Stargeigerin Anne-Sophie<br />

Mutter. Die Musikerin ist<br />

Mitinitiatorin der Klage beim<br />

bayerischen Verfassungsgerichtshof.<br />

Eine Popularklage für die<br />

Kunstfreiheit. Grundlage sei Artikel<br />

5 des Grundgesetzes für<br />

die Kunstfreiheit. Anne-Sophie<br />

Mutter und 23 weitere prominente<br />

<strong>Künstler</strong> klagen auf Öffnung der<br />

Konzerthäuser.<br />

Freie Musiker sitzen an der Supermarktkasse,<br />

weiß Marta Murvai:<br />

“Psychisch sind viele Kollegen<br />

am Ende.“ Wer dann kritisiert,<br />

wird diffamiert. Der bekannte Pianist<br />

und Wagner-Erklärer Stefan<br />

Mickisch starb im Februar 2<strong>02</strong>1<br />

aus ungeklärter Ursache. Mit den<br />

Nerven am Ende. Er hatte die Regierungspolitik<br />

als „Coronafaschismus“<br />

bezeichnet. Der öffentlich-rechtliche<br />

Rundfunk bezeichnete<br />

den 58-Jährigen daraufhin<br />

als „Verschwörungstheoretiker“.<br />

Der Chef der „Villa Wahnfried“ in<br />

Bayreuth erteilt ihm Hausverbot,<br />

kündigt die Freundschaft öffentlich<br />

auf Facebook und legt in der<br />

Lokalpresse nach.<br />

Beerdigung der Hochkultur<br />

Eine breite „Wir-machen-auf-Bewegung“<br />

gibt es nicht. Die Kulturpolitik<br />

vergisst die Kultur. „Mund-<br />

Nasenschutz und eine Belüftungsanlage<br />

und schon ist eine<br />

Infektion so gut wie ausgeschlossen.“<br />

So eine Untersuchung des<br />

Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts<br />

in Zusammenarbeit mit dem<br />

Umweltbundesamt. Ziel der Studie<br />

war, wissenschaftlich fundierte<br />

Entscheidungsgrundlagen zu<br />

schaffen, denn die benötigt die<br />

Politik dringend, um über Maßnahmen<br />

beim Infektionsschutz in<br />

Kulturstätten zu entscheiden,<br />

kommentiert der Intendant des<br />

Konzerthauses in Dortmund, Raphael<br />

von Hoensbroech, die Studie.<br />

Eine ähnliche Untersuchung<br />

haben die Bamberger Symphoniker<br />

durchgeführt. Doch die Bühnen<br />

bleiben so leer wie die Orchestergräben,<br />

wie die Ränge.<br />

Eine Kultur stirbt, wenn sie nicht<br />

mehr gespielt und nicht mehr gekannt<br />

wird. Die Politik steuert das<br />

Geld für die Beerdigung bei.<br />

Einen Auftritt allerdings hatte Marta<br />

in Berlin. Sie spielte in der Kita<br />

ihrer Tochter – coronasicher versteht<br />

sich. Auf höchstem Niveau.<br />

Wer aus seinem beruflichen oder<br />

privaten Leben einen „Kollateralschaden“<br />

melden möchte: Vertraulich<br />

und persönlich, per E-Mail<br />

an wahlig@reitschuster.de<br />

Kritischer Journalismus. Ohne<br />

"Haltung". Ohne Belehrung. Ohne<br />

Ideologie. https://reitschuster.de<br />

8

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!