Laboratorium
Bericht über Sigi Brüns bei der Arbeit am Zyklus I-IV 2017
Bericht über Sigi Brüns bei der Arbeit am Zyklus I-IV 2017
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Bericht aus dem Laboratorium
Sigi Brüns bei der Arbeit
Zyklus I-IV 2017
E-Katalog
© Kultur im Norden – KUNO e.V. 2017
Im Rahmen von
© Fotos: Sigi Brüns
2017
Bericht aus einem Laboratorium
„Sigi Brüns – ATELIERS“, die Online-Ausstellung vom November
2016 bis zum Februar des folgenden Jahres, stellte, wie bei
Kunst-ausstellungen üblich, fertige Arbeiten vor, die dann
gewöhnlich Werke, ja Kunstwerke genannt werden.
Und das in drei thematisch ausgerichteten Ateliers. Daneben
eröffnete zeitgleich noch ein viertes Atelier, das allerdings
zunächst weitgehend unbestückt war. Denn es sollte dem
gewidmet sein, was während der dreimonatigen Ausstellung von
der Künstlerin geschaffen werden würde. Am Ende waren es
rund fünf Dutzend Arbeiten, die jeweils Woche um Woche in
Echtzeit dem Publikum online vorgeführt werden konnten.
Alle vier Ateliers sind im Archiv auf der Internetseite von Kultur
im Norden – KUNO einzusehen (https://www.kunoweb.de/archiv-ausstellungenpublikationen-u-a/
)
Der Titel des vierten Ateliers „Versuche#Versuchungen“ verwies
auf so etwas wie eine Anordnung in einem Labor mit einer
gewissen Affinität zu den exakten Wissenschaften. Also:
experimentieren, proben und probieren, Neues erfahren und sich
damit auseinandersetzen. Was hieß, mit offenem Visier und
Ausgang arbeiten, das Risiko des Scheiterns bewusst
einkalkulierend. Den Vorgang der Produktion ins Zentrum stellen
ohne Fixierung auf das Endprodukt. Also suchen, versuchen.
Finden. Vielleicht. Oder eben auch nicht. Ad infinitum.
Das unterscheidet Kunst eben von Ideologie, die letzte
Gewissheiten verkündet. Die einzige, die die Kunst haben kann,
ist die des ungewissen Endes. Kunstproduktion liefert sich dem
open end aus. Anderenfalls besteht die Gefahr, sich an
Kunstfremdes, ökonomische und politische Instrumentalisierung
zu verlieren. Und dann wirklich das Spiel zu verlieren, die Lust
daran wie auch die ästhetische Qualität.
Ohne nachträglich einen theoretischen Überbau hinkünsteln zu
wollen, können hier doch einige Prämissen ausgemacht werden
für ein künstlerisches, kuratorisches und expositorisches
Unterfangen, das Sigi Brüns und mich auf Monate verband und
das ohne die gegenseitige Offenheit nicht so glücklich hätte ins
Ziel geführt werden können.
Sigi Brüns besitzt als Künstlerin ein ästhetisches Potential und
einen kreativen, intelligenten Blick auf Außenwelt und Alltag,
durchschaut Oberfläche und Schein, erfasst Details eines Seins,
das poetische Weiterverarbeitung anbietet und also sofort
fotografisch archiviert wird. Man könne ja nie wissen…
Und dabei kann mitunter selbst das eben Erblickte, Erfasste und
Fotografierte schon den Status des definitiven Abbilds erwerben.
Das ist dann nach Novalis einer jener glücklichen Zufälle, die von
Künstlern angebetet werden. Und schließt ja keineswegs aus,
digital und schließlich noch ausgedruckt weiterverarbeitet zu
werden.
So wird der Digitaldruck auf Papier selbst Grundlage weiteren
kreativen Schaffens. Indem er zur Arbeitsfläche wird, über die
sich ein weiterer Digitaldruck auf Transparentpapier oder
Plastikfolie legt, was alles nochmals fotografiert wird.
Oder zwei Druckverfahren werden kombiniert und das digital
bedruckte Papier unterzieht sich dann noch einmal traditioneller
Siebdrucktechnik.
Oder in einem etwas komplizierteren Vorgang wird auf den
Digital-druck weiße Acrylfarbe aufgetragen, nach dem Trocknen
per Abrieb wieder teilweise entfernt, um schließlich dank eines
Aceton- Transfers einen weiteren Bildabdruck aufzunehmen.
Das Handwerkliche spielt also bei der konkreten Arbeit und
ebenfalls in den Videos und Texten, die Sigi Brüns ihren Arbeiten
in diesem Laboratorium, dem Atelier ihrer Experimente
beisteuert, immer eine ganz zentrale Rolle. Und das mit
bestechend einfachen und klaren Erklärungen.
Nun führt ja, Goethe folgend,
handwerkliches Können überhaupt
erst zum Kunstwerk. Und wenn das
hier gelten soll, dann nur unter
unbedingter Beachtung der
besonderen Kompositionsgabe der
Künstlerin, die als studierte
Innenarchitektin stets um die
Schaffung von Räumlichkeit und
Tiefenwirkung bemüht ist.
Dies wird auch bei diesem glücklichen Schnappschuss der Detailansicht
eines Kunstwerks (S.V) deutlich. Gegenständliches,
wehender Schleier und Polsterung vielleicht, scheint sich zwar
behaupten zu können, jedoch wird eine konkrete Rückführung
auf verifizierbare Realien unmöglich. Ein Grad von Abstrahierung
schwebt durch den Raum, eine eigentümliche Faszination
evozierend, ein Gefühl der Behaglichkeit auch. Warm und weich
scheint sich hier die Flüchtigkeit des Augenblicks zu
manifestieren.
Dieser Digitaldruck auf
Papier (S. XVIII) nimmt ein
Motiv auf, das die
Künstlerin in einer
Wandinstallation aus
Messingelemeten aufspürte
und abfotografierte. Ein Motiv, das sich in einem Großteil der in
diesem Katalog vorgestellten Arbeiten wieder auffinden lässt.
Dank des Experimentierens mit weißer Farbe und Grattage-
Technik sowie der abschließenden spiegelverkehrten
Übertragung desselben Motivs mittels Aceton wird ein spezieller
chromatischer Effekt provoziert: ein reizvolles winterliches
Setting, kontrastiert durch schwarze Stachelelemente, die
Pflanzliches aufrufen und rosa umrandet sind. Disteln auf rötlich
getränkter Eisdecke? Spuren eines Versickerns? Oder
Aufscheinen einer Ahnung, Verkündigung einer
hoffnungsträchtigen Botschaft, eines Tauwetters, unterkühlt
natürlich, aber auch irgendwie fleischlich anmutend?
Eine der letzten Arbeiten (S. III) der
dreimonatigen Ausstellung ist ein
Unikat, ein Siebdruck dreifacher Art:
erst schwarz, dann golden und nach
Verwischungen feuchter Farbe
nochmals schwarz bedruckt. So
entsteht auf dem Papier jene Tiefe, die
sich die Künstlerin wünscht und
Räumlichkeit schafft, die anzieht,
hineinzieht ins Zentrum. Noch bestärkt
durch den Sog, der von einem kleinen
Schatten, exakt in der Bildmitte, ausgeht. Ein Höhlengang, kein
Höllengang. Denn deutlich ist das Versprechen hinauszuführen,
ins Freie, in eine lichtere Ferne.
Diese Arbeit beschließt den dreimonatigen Arbeitsprozess
zusammen mit den zwei „Schlusspunkten“, wie ich die beiden
Rundbilder (S. XXXI/XXXII) online genannt habe. Sie, aber
eigentlich alle drei Bildwerke des großen Finales nach zwölf
Wochen, sind weitgehend oder sogar ausschließlich im analogen
Raum und mit einfachen Techniken und Materialien hergestellt
worden.
Der Akt der Produktion von Schönheit, unter Verpflichtung auf
das Experimentieren mit Formen und Farben, Materialien und
Techniken, kann den Produzenten von Kunst ein hohes Maß an
Selbsterfahrung und vielleicht auch -erfüllung vermitteln.
Phantasie, Traum und Traumata ausleben zu können in
Brainstorming und Experiment, in den Spielen der Kunst, in
unglaublich individueller und ästhetischer Freiheit kann dann
dazu führen, was James Joyce „Epiphanie“ nannte, Pablo Picasso
schlicht „Finden“ oder Ingeborg Bachmann – bei der Übertragung
eines Gedichts von Giuseppe Ungaretti – so: „Ich erleuchte mich/
durch Unermessliches“. Es ist diese Erfahrung, etwas zu
entdecken, zu realisieren, zu materialisieren, was als Vorstellung,
als Idee im Raum schwebt, doch noch nicht greifbar ist – ein
wahrhaft sakraler Moment in der Kunst wie im Leben. Durch
nichts aufzuwiegen.
Dieser E-Katalog möchte – wie auch die Archivierung der
gesamten Ausstellung von Sigi Brüns – der Nachhaltigkeit ihres
künstlerischen Schaffens dienen. Seine Besonderheit erlangt er
dadurch, dass dank der Einteilung in vier Zyklen nach Motiven
und Arbeitstechniken gegenüber dem chronologischen
Aufbewahrungscharakter des Ateliers etwas Gültigkeit erlangt,
was in etwa Schaffung von Struktur durch Selektion genannt
werden könnte. Oder auch nur ganz simpel: eine Form möglicher
Interpretation dieser künstlerischen Arbeit.
Paul Kroker, März 2017
I
ZYKLUS I
Digitaldruck auf Papier und Transparentpapier, montiert
Digitaldruck auf Papier und Folie, montiert
II
Siebdruck auf Papier, Verwischung, 43x60 cm
III
IV
Digitaldruck auf Papier
V
Wenn nicht anders angegeben:
Druck auf Munken (130g), 28.7 x 28.7cm
VI
VII
ZYKLUS II
Je ein Digitaldruck auf Papier und Folie, montiert
Je ein Digitaldruck auf Papier und Folie, montiert
Siebdruck auf Digitaldruck auf Papier (bis S. XI)
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
ZYKLUS III
Digitaldruck auf Papier, Acryl, Grattage, Digitaldruck auf Folie, montiert
XIV
Je ein Digitaldruck auf Papier und Folie, montiert (bis S. XVI)
XV
XVI
XVII
XVIII
Digitaldruck auf Papier, Acryl, Grattage, Aceton-Transfer, 20x40 cm
XIX
XX
ZYKLUS IV
Digitaldruck auf Papier, z.T. zusätzlicher Siebdruck (bis S. XXIX)
XXI
XXII
XXIII
XXIV
XXV
XXVI
XXVII
XXVIII
XXIX
XXX
Tusche auf Braunpappe, Ø 120 cm
XXXI
Acryl und Tusche auf Graupappe, Ø 120 cm
XXXII
2017