Jahrbuch 2020
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DRK-Stuttgart Jahrbuch 2020 DRK-Stuttgart Jahrbuch 2020
Konventionsarbeit
Der Dokumentarfilm
Erstaufführung des Films
"Les Filles de l'escadron bleu" im
Haus der Geschichte in Stuttgart.
Das humanitäre Völkerrecht zu verbreiten, ist eine der
Kernaufgaben des Roten Kreuzes. Die im Frühjahr
nach Deutschland übergreifende Pandemie hat auch
in Folge die Konventionsarbeit massiv beeinträchtig
und geplante Projekte durcheinandergewirbelt.
Das besondere Projekt:
Rotkreuz-Film aus Frankreich
150 Jahre nach Beendigung des Deutsch-Französischen
Krieges, rund 100 Jahre nach dem ersten und
75 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges fand nun
im Zuge der deutsch-französischen Filmtage Tübingen
und ausgerichtet vom „Institut culturelle francoallemend“
die Erstaufführung des Dokumentarfilms
„L`escadron bleu“ zur Arbeit des französischen Roten
Kreuzes nach dem 2. Weltkrieg statt. Wir, das Rote
Kreuz in Stuttgart, konnten durch das Engagements
unseres Konventionsbeauftragten Christian B. Schad,
die deutsche Untertitelung ermöglichen, um so dem
Film ein breites Publikum zu verschaffen. Geplant
waren zahlreiche Aufführungen, unter anderem im
Rotkreuz-Landesmuseum in Geislingen. Letztendlich
konnte nur die Erstaufführung im Haus der Geschichte
einem begrenzten Publikum gezeigt werden.
Der Film « Les Filles de l´escadron bleu » ist ein eindrückliches
Dokument weiblicher Solidarität. Historisch
betrachtet waren es oftmals Frauen, die das
durch Männer im Krieg veranstaltet Grauen wieder in
vernünftige Bahnen zu lenken versuchten. Diese Erfahrung
machte schon Henry Dunant, als er 1859 in
der Schlacht von Solferino die Initiative ergriff, um
den Opfern von Krieg zu helfen. Er aktivierte Frauen
aus den Nachbardörfern, die ihm dabei halfen, wieder
zivilisierte Zustände herbeizuführen. Aufgrund dieser
Erfahrung wurde 1863 die bis heute größte, weltweit
tätige humanitäre Organisation gegründet: Das Rote
Kreuz. Mit der Verabschiedung der Genfer Konventionen
wurde 1864 auch das Humanitäre Völkerrecht eingeführt
und bis in die Gegenwart hinein fortentwickelt.
In allen folgenden Kriegen wurde das Rote Kreuz als
neutrale Organisation gebraucht, um die Folgen der
Barbarei für die Leitragenden zu mildern.
Die Premiere des Films fand am 1. November im Haus
der Geschichte Stuttgart statt. Dies war der passende
Ort, da sich Stuttgart rühmen darf, weltweit die erste
nationale Rotkreuz-Gesellschaft zu sein. Dreißig geladene
Gäste konnten an der einzigen Präsenzvorstellung
teilnehmen, bevor die Kinos coronabedingt
wieder schließen mussten. Alle weiteren geplanten
Vorstellungen mussten erst einmal abgesagt werden.
Im Anschluss an die Filmvorführung stand der Autor
und Co-Regisseur Philippe Maynial per Livestream
Rede und Antwort. Wie er berichtete, brauchte es zwei
Generationen, damit über die damaligen Ereignisse
gesprochen und gefilmt werden konnte. Der Einsatz
der französischen Rotkreuzlerinnen war ein Tabu, über
das man öffentlich nicht sprechen konnte. Maynial
ist der Neffe von Madleine Pauliac, der Hauptfigur. Er
hatte nicht nur ein persönliches Interesse an der Biographie
seiner Tante, ihm war es wichtig, dieses vergessene
Kapitel aus der Nachkriegsgeschichte einer
breiten Öffentlichkeit zu zeigen.
© Bildnachweis: R. Koch-Scheinpflug
Der Film „L`escadron bleu“ basiert im Wesentlichen auf den Aufzeichnungen von französischen
Rotkreuzlerinnen, die am Ende des 2. Weltkrieg den Auftrag bekommen, französische Internierte,
Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Verwundete zurück nach Frankreich zu bringen. An der Spitze
des weiblichen Geschwaders steht die französische Militärärztin Madeleine Pauliac. Sie hat eine
Mission: Es gilt möglichst viele Landsleute aus den zahlreichen Gefangenenlagern der Deutschen
zu retten. Durchsetzungsvermögen, Überzeugung und viel Diplomatie sind dabei notwendig. Eine
Aufgabe, die kaum zu bewältigen ist, angesichts des Ausmaßes der Not. Die Frauen gehen die Strapazen
trotzdem an. Fünf Rot-Kreuz-Ambulanzen sind zu Beginn der Dokumentation von Paris aus
auf den Weg Richtung Warschau. Ihre Fahrt führt zunächst über Dachau. Am 29. April 1945 sind sie
bei der Befreiung des Konzentrationslagers durch die US-Armee dabei. Danach fahren die Ambulanzen
rund um die Uhr dem Tode entronnene Franzosen in Krankenhäuser jenseits der deutschen
Grenze, nach Mulhouse und Straßburg – gut 50 Mal, bis sie die Route nach Warschau einschlagen.
Nachdem diese erste Aufgabe erledigt ist, gelangen die zehn Frauen weit nach Osten, bis hinter
Warschau. Es gilt, der Menschlichkeit wieder ihren Stellenwert zu geben. Die kleine Gruppe der
L‘escadron bleu ist unermüdlich auf Achse, angeführt von Madeleine Pauliac. Zu ihr gehören fünf
Krankenschwestern sowie fünf Sanitäterinnen mit Fahrerlaubnis. Die jungen Frauen haben Erfahrung
in der Résistance und an der Front gesammelt. Die schockierenden Bilder, die sie nun sehen,
übertreffen alles bisher Gesehene. Für ihre Fahrt nach Osten haben sie fünf Ambulanzfahrzeuge
vom Typ Austin, ein Geschenk aus England. Die blauen Uniformen stammen von US-Boys der
Army, deshalb der Name „bleu“. Viele der rückkehrwilligen Franzosen im Osten flüchten aus Lagern
nach Warschau, um von dort nach Westen zu gelangen. Viele sind zu schwach, um die Rückreise
alleine antreten zu können. Viele der schwerkranken Franzosen werden hierher transportiert und
erstversorgt, bevor sie dann per Flugzeug und Zug nach Frankreich gebracht werden können. Rund
300.000 Personen sind betroffen. Der Film zeigt das Gebäude, welches man heute noch in dem
damaligen Originalzustand antreffen kann.
Pauliac und ihr Geschwader helfen nicht nur den Franzosen. In Danzig und rund um Warschau sind
Nonnen in Klöstern von deutschen Soldaten wie auch von Rotarmisten überfallen und vergewaltigt
worden. Einige sterben, viele werden schwanger. Madeleine Pauliac hilft ihnen heimlich bei der
Niederkunft, kümmert sich um die Neugeborenen und gründet in einem Kloster ein Waisenhaus,
auch für polnische Kinder. So können die Nonnen ihre Babys bei sich behalten. 24 Kinder vermittelt
Pauliac zur Adoption nach Frankreich und lässt sie ausfliegen. Für diese unparteiliche Hilfe bekommt
Pauliac später den höchsten Rotkreuz-Orden des polnischen Roten Kreuzes.
Der Film basiert auf den Recherchen des Autoren und Koproduzenten Philippe Maynial. Emmanuelle
Nobécourts 52-minütiger Dokumentarfilm von 2020 ist ein eindrucksvolles Porträt weiblicher
Solidarität und Willensstärke. Es ist eine faszinierende, berührende Erzählung, ergänzt durch Archivaufnahmen,
Fotos und schriftliche Berichte der Protagonistinnen. Er zeigt, was es bis in die Gegenwart
bedeutet, die Werte des Roten Kreuzes zu leben.
Der Film kann über das DRK-Generalsekretariat für Ausbildungszwecke bezogen werden. Für die
Konventionsarbeit innerhalb des Roten Kreuzes ist der Film ein hervorragendes Medium, um den
Auftrag der Verbreitung der Grundsätze und des humanitären Völkerrechts zu erfüllen. Auch für die
DRK-Schwesternschaft ist dieser Film ein lehrreiches Dokument weiblichen Engagements. Dem
Film ist innerhalb des Roten Kreuzes in Deutschland eine weite Verbreitung zu wünschen.
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