ML_04//2021 Die neue Orgel in der Tonhalle Zürich (1)
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über e<strong>in</strong>hun<strong>der</strong>t Musiker aus <strong>der</strong> übrigen<br />
Schweiz als Hörer e<strong>in</strong>. 2<br />
Der Erfolg dieser und weiterer Konzerte<br />
br<strong>in</strong>gt es mit sich, dass «nach damaligem<br />
Musikverständnis e<strong>in</strong>e angemessene <strong>Orgel</strong><br />
h<strong>in</strong>ter dem Orchester zu stehen habe,<br />
um die richtige Aufführung <strong>der</strong> grossen<br />
Chorwerke […] zu gewährleisten». 3<br />
Im Jahr 1872 baut Johann Nepomuk Kuhn<br />
se<strong>in</strong> Opus 20 als Zürcher <strong>Tonhalle</strong>-<strong>Orgel</strong><br />
(II/P/31).<br />
Das erste Konzert mit <strong>der</strong> <strong>neue</strong>n<br />
<strong>Orgel</strong><br />
Es sche<strong>in</strong>t, dass die <strong>Orgel</strong> am «Charfreitag,<br />
den 29. März 1872, Abends 4 ½<br />
Uhr» ihren ersten E<strong>in</strong>satz hat. Angesagt<br />
ist e<strong>in</strong>e «Grosse Passionsmusik nach dem<br />
Evangelisten Matthäus, komponiert von<br />
J. S. Bach, aufgeführt vom Gemischten<br />
Chor <strong>Zürich</strong> unter Mitwirkung des Männerchors<br />
<strong>Zürich</strong> und e<strong>in</strong>er Anzahl von<br />
Mitglie<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>er Vere<strong>in</strong>e. Solisten s<strong>in</strong>d<br />
Frl. E. Rösl<strong>in</strong>g aus Berl<strong>in</strong>, Frl. K. Holmsen<br />
aus Christiania, Herr H. Vogel aus<br />
München, Herr E. Gura aus Leipzig und<br />
Herr Hartung <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> – <strong>Orgel</strong>: Herr Th.<br />
Kirchner, Flügel: Herr C. Attenhofer; F.<br />
Hegar, Leitung. Zur Nachricht: Es f<strong>in</strong>det<br />
am Ostersonntag zur gleichen Stunde e<strong>in</strong>e<br />
zweite Aufführung statt». 4<br />
<strong>Die</strong> Kritik fällt gut aus: «Wenn man nun<br />
bei näherer Betrachtung des Werkes noch<br />
sehen muss, dass jede e<strong>in</strong>zelne Stimme<br />
für sich e<strong>in</strong> lebendiges Ganzes ist, das<br />
auch se<strong>in</strong>en ganzen Mann for<strong>der</strong>t, so<br />
muss man mit Freude und Achtung auf<br />
die Zürcher Musikkräfte blicken, die im<br />
Stande gewesen s<strong>in</strong>d, mit Sammlung e<strong>in</strong>er<br />
Chormasse (ich schätze sie auf 250<br />
bis 300 Personen), mit Herstellung von<br />
zwei dabei mitwirkenden selbstständigen<br />
Orchestern und mit Herbeiziehung <strong>der</strong><br />
nöthigen Solokräfte das gewaltige Werk<br />
so darzustellen, dass nicht nur <strong>der</strong> Fachmusiker,<br />
son<strong>der</strong>n die ganze Zuhörerwelt<br />
<strong>in</strong> tiefster Seele davon ergriffen wurden.<br />
[…] Neben diesen aus dem Ganzen durch<br />
ihre Stellung und Leistung hervortretenden<br />
[Solist<strong>in</strong>nen und Solisten] müssen<br />
wir mit beson<strong>der</strong>er Achtung des festen<br />
und geschlossenen Auftretens des Chors<br />
gedenken, <strong>der</strong> immer wenn er e<strong>in</strong>trat,<br />
nicht verfehlte, e<strong>in</strong>en sichern und imposanten<br />
E<strong>in</strong>druck zu machen. Aber auch<br />
<strong>der</strong> <strong>in</strong>strumentale Theil des Werkes war<br />
würdig vertreten. – An <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Tonhalle</strong><br />
neu aufgestellten <strong>Orgel</strong> sass Hr. Kirchner,<br />
<strong>der</strong> das grosse und wegen se<strong>in</strong>er Ungeschicklichkeit<br />
als Begleiter oft mit Unrecht<br />
gescholtene Instrument so wirksam zu<br />
behandeln wusste, dass das Ganze erst<br />
dadurch rechte Farbe und Weihe erhielt.<br />
Auch das bescheidene Klavieraccompagnement<br />
des Hrn. Attenhofer wollen wir<br />
nicht vergessen zu erwähnen, das so<br />
schön mit den vom Quartett begleiteten<br />
Recitativen des Christus alternirte. – Ja,<br />
und wie schön klang die Quartettbegleitung<br />
<strong>der</strong> Recitative! Wir wissen nicht, ob<br />
wir es bloss unserm günstigen Platze zu<br />
verdanken haben, dass wir alles störende<br />
Mechanische, was dem Klange <strong>der</strong><br />
Saiten<strong>in</strong>strumente oft anhängt, ganz und<br />
gar nicht zu hören bekamen, son<strong>der</strong>n das<br />
ganze Orchester gab uns nur Ton, wenn<br />
auch <strong>in</strong> den verschiedensten Farben, aber<br />
eben auch immer <strong>in</strong> <strong>der</strong> richtigen Mischung<br />
und Abstufung». 5<br />
Neben <strong>der</strong> künstlerischen gibt es stets auch<br />
die fiskalische Seite. Hierzu ist ebenfalls<br />
alles im Lot: «Aus dem Verwaltungsbericht<br />
<strong>der</strong> <strong>Tonhalle</strong>-Gesellschaft vom 1. Mai<br />
1871 bis 1. Mai 1872, <strong>der</strong>en Vorstand aus<br />
den HH. Prof. K. Keller, Dr. Mousson, Dr.<br />
Schnei<strong>der</strong>, Lehrer Bosshard, Direktor Isler,<br />
E. H<strong>in</strong><strong>der</strong>mann und Zupp<strong>in</strong>ger-Zoll<strong>in</strong>ger<br />
besteht, ergibt sich, dass dieselbe für das<br />
gesellschaftliche und musikalische Leben<br />
<strong>Zürich</strong>s Grosses leistet und sich um die<br />
Hebung <strong>Zürich</strong>s <strong>in</strong> ihrer Weise durch<br />
Vermehrung <strong>der</strong> Annehmlichkeiten desselben<br />
wahrhaft verdient macht. […] Der<br />
Stand <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzen gestattete auch, die<br />
Gagen des Orchesters zu erhöhen. Als<br />
Glanzpunkt <strong>der</strong> letztjährigen Aufführung<br />
wird mit Recht diejenige <strong>der</strong> Bachschen<br />
Matthäus-Passion hervorgehoben; von<br />
ferner Bedeutung ist auch die Erstellung<br />
Friedrich Hegar verabschiedet sich als Kapellmeister vom <strong>Tonhalle</strong>-Orchester; <strong>in</strong>terne Postkarte vom 3.IV.1906<br />
Sammlung Mart<strong>in</strong> Hobi