Leseprobe zu "Wenn Tote weinen"

wolle sie damit überspielen, wie sehr sie diese Tatsache
berührte.
Der Tod hatte ein so verdammt hässliches Gesicht. Aber
junge Menschen entstellte er doch noch viel mehr, als er
dies ja ohnehin immer tat.
Schnell sprach sie weiter. „Sein Hals zeigt ganz typische
Hautabschürfungen. Zu solchen Verletzungen kommt es,
wenn das Seil durch das plötzliche Herunterfallen des
Körpers am Hals ganz hochrutscht und dort dann zur
Strangulation führt. Dazu noch die Petechien …“
Pauls leerer Gesichtsausdruck veranlasste sie, sich näher
zu erklären. „… punktförmige Einblutungen sind das. Ich
konnte sie in seinen Augen und Ohren sogar nur mit der
Taschenlampe sehen. Ganz typisch fürs Erhängen.“
„Selbstmord? Echt jetzt? Aber, wie, zum Teufel, soll
der denn das …?“
„Nein, Paul, das habe ich nicht gesagt“, reagierte
Sonja sofort. „Ein Suizid kann’s nicht sein, es sei denn, er
hätte zu Lebzeiten schon Flügel bekommen. Falls dem
nicht so ist“, der Anflug eines Lächelns glitt über Sonjas
ernstes Gesicht, „dann muss ihn irgendwer aufgeknüpft
haben. Ich seh’ nämlich nirgends einen Stuhl oder eine
Leiter. Ihr vielleicht? Und, mal ganz ehrlich. Auch
Lebensmüde wollen gefunden werden, wenn sie tot sind.
Kein Mensch hängt sich irgendwo auf, wo man ihn
wahrscheinlich nie entdeckt. Wer will denn schon an
einem Seil vermodern oder aufgefressen werden, was in
diesem Stall durchaus hätte passieren können. Außer
Wildschweinen kommt hier nämlich niemand rein. Da
kannste lang warten.“
„So weit waren wir auch schon“, entfuhr es Paul.
Prompt fing er sich einen strengen Blick seiner Frau ein,
die es gar nicht mochte, in ihrem Bericht unterbrochen zu
werden. „Entschuldige, Sonja.“