Messezeitung 2012 (PDF) - Aachener Zeitung
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Seite 16<br />
„Wir sind im Wettbewerb um den Nachwuchs“<br />
Eine Wahl zwischen Klempner und Metzger? Falsch: Noch nie war das Angebot an Berufen im Handwerk so groß.<br />
VON FELIX LENNERTZ<br />
Eine kurze Geschichte des<br />
Handwerks geht zum Beispiel<br />
so: Sieben Weltwunder gebaut,<br />
Buchdruck erfunden,<br />
Milchstraße erforscht, Wackelkontakt<br />
behoben. Stimmt,<br />
oder? Ohne handwerkliche<br />
Fähigkeiten wäre wohl nichts<br />
daraus geworden. Mit flotten,<br />
manchmal auch vorlauten,<br />
im Kern aber immer wahren<br />
Sprüchen fährt das deutsche<br />
Handwerk zurzeit eine sehr erfolgreiche<br />
Image-Kampagne.<br />
Der Grundtenor: das Handwerk,<br />
die Wirtschaftsmacht<br />
von nebenan. Die ZAB-<strong>Zeitung</strong><br />
hat mit Georg Stoffels,<br />
Geschäftsführer der Handwerkskammer<br />
Aachen gesprochen.<br />
Er ist zuständig für das<br />
Thema Ausbildung<br />
Handwerk hat goldenen Boden,<br />
hieß es früher mal.<br />
Deutschlandweit steigt aber<br />
die Zahl der Insolvenzen, und<br />
so mancher kleine Betriebe<br />
kämpft tagtäglich um die<br />
blanke Existenz. Was ist noch<br />
dran an dem alten Spruch?<br />
Stoffels: Wer sich ins Zeug<br />
legt, hat nach wie vor die allerbesten<br />
Chancen auf einen erfüllenden<br />
Beruf und, wie man<br />
so sagt, das beste Handwerkszeug,<br />
um erfolgreich zu sein.<br />
Das Handwerk ist so vielfältig,<br />
Bei der Kammer zuständig für<br />
das Thema Ausbildung: Georg<br />
Stoffels. Foto: HWK<br />
dass für jeden jungen Menschen<br />
etwas dabei ist. Die Palette<br />
reicht von A wie Augenoptiker<br />
bis Z wie Zweiradmechaniker.<br />
Nicht nur das Leben<br />
und die Welt allgemein sind<br />
komplexer geworden. Das<br />
spiegelt sich auch der Vielzahl<br />
von Berufsbildern wieder.<br />
Die Spanne der Berufe ist riesig.<br />
Wie soll ein junger Mensch<br />
da überhaupt durchblicken,<br />
geschweige denn eine treffliche<br />
Entscheidung finden?<br />
Stoffels: Zum Beispiel, indem<br />
er oder sie zu uns kommt.<br />
Junge Menschen rennen bei<br />
den Handwerkskammern offene<br />
Türen ein. Wir sind ja<br />
nun Gott sei dank nicht nur<br />
eine Interessenvertretung, die<br />
die politischen Forderungen<br />
ihrer Mitglieder vertritt, sondern<br />
haben wirklich ein ziemlich<br />
umfassendes Repertoire,<br />
um Lust auf Handwerk zu machen<br />
und dem Nachwuchs zu<br />
vernünftigen Entscheidungen<br />
zu helfen.<br />
Wie sieht dieses Repertoire<br />
aus?<br />
Stoffels: Wir gehen in die<br />
Schulen, bei uns kann man in<br />
Ausbildungswerkstätten reinschnuppern,<br />
wir vermitteln<br />
Praktika und Lehrstellen, und<br />
wir schreiben Beratung durchgängig<br />
mit Großbuchstaben.<br />
So stehen den Jugendlichen<br />
drei Ausbildungsberater der<br />
Kammer zur Verfügung, die<br />
über Inhalt und Verlauf jedes<br />
Ausbildungsberufs im Handwerk<br />
bestens Auskunft geben<br />
können.<br />
Nehmen wir den fiktiven Fritz<br />
Fischer, 17, der die mittlere<br />
Reife in der Tasche hat, vielleicht<br />
das Fachabi anstrebt,<br />
keine Lust auf ein Studium und<br />
sonst wenig konkrete Vorstellungen<br />
hat.<br />
Stoffels: Fritz Fischer ist ein<br />
Kandidat für unser Matching-<br />
Projekt. Das hört sich hochtrabend<br />
an, bedeutet aber unter<br />
dem Strich, dass unsere<br />
zwei Matching-Berater sich<br />
Zeit für den jungen Menschen<br />
nehmen und ihm zuhören<br />
und einen den individuellen<br />
Wünschen entsprechenden<br />
Ausbildungsbetrieb zu finden.<br />
Welcher Handwerksberuf passt zu wem?<br />
Die Handwerkskammer Aachen<br />
ist auf der ZAB mit drei<br />
Ausbildungsberatern aus dem<br />
Bausektor, dem Elektro- und<br />
Metallbereich und dem Bereich<br />
Gesundheit/Friseur/Pflege vertreten.<br />
Vier Berufsbilder werden vorgestellt:<br />
Tischler, Friseur, Flei-<br />
scher und Elektroniker/Anlagenmechaniker.<br />
Die Berufe<br />
werden in einer realistischen<br />
Umgebung vorgestellt – inklusive<br />
der entsprechenden Berufskleidung<br />
und der Einladung,<br />
mal selber Hand anzulegen.<br />
Wer mag, kann sich in „seiner“<br />
Handwerksmontur in einer Fotobox<br />
ablichten lassen.<br />
Mit Hand und Köpfchen: Wer auf eine Ausbildung im Handwerk setzen will, hat derzeit beste<br />
Chancen. Foto: Stock/Blickwinkel<br />
Das wird sogar im Rahmen des<br />
Ausbildungspaktes vom Staat<br />
gefördert.<br />
Wie läuft so eine Matching-<br />
Beratung ab?<br />
Stoffels: Die Vermittler erfragen<br />
unter den jugendlichen<br />
Bewerbern die jeweiligen Neigungen,<br />
Kenntnisse und Kompetenzen<br />
ab, sichten die Bewerbungsunterlagen<br />
und versuchen,<br />
den passenden Betrieb<br />
zu vermitteln. Ich denke,<br />
dass hier die Erfolgsquote sehr<br />
viel höher ist als bei der klassischen<br />
Berufsberatung. Wir<br />
sitzen ja an der Schnittstelle<br />
zwischen den jungen Menschen<br />
und den Handwerksbetrieben.<br />
Wenn wir wissen, was<br />
der junge Mensch möchte,<br />
können wir ihn sehr gut vermitteln.<br />
Auch Handwerksbetriebe,<br />
die ausbilden wollen,<br />
können natürlich ihre Wünsche<br />
und Vorstellungen an<br />
unsere Vermittler richten. Das<br />
Projekt hat den etwas sperrigen<br />
Untertitel „Passgenaue<br />
Vermittlung von Jugendlichen<br />
an ausbildungswillige<br />
Betriebe“, erfreut sich aber<br />
wachsender Beliebtheit und<br />
hat seit 2008 aus 1500 Gesprächen<br />
schon mehr als 350<br />
junge Menschen vermittelt.<br />
Ist das eine hohe Zahl?<br />
Stoffels: Für sich allein genommen<br />
nicht. Aber wir feuern<br />
auf verschiedenen Kanälen.<br />
„Startklar“ beispielsweise<br />
– das ist ein anderes Projekt<br />
von uns, das wird ebenfalls<br />
sehr gut angenommen. Das<br />
findet in genau dieser für<br />
manche jungen Menschen<br />
kritischen Phase des Übergangs<br />
zwischen Schule und<br />
Beruf statt. Damit haben wir<br />
bisher seit 2009 rund 1000<br />
Schülerinnen und Schüler in<br />
zweiwöchigen Praktika in unseren<br />
Ausbildungswerkstätten<br />
mit verschiedenen Modulen<br />
betreut. Die Module teilen<br />
sich auf die Klassen 8 bis 10<br />
auf. Das ist ein guter Einstieg,<br />
um reale Bedingungen kennenzulernen.<br />
Mit echten Aufgaben<br />
und Acht-Stunden-Tagen.<br />
Nach den Sommerferien<br />
nehmen wieder hundert<br />
Schüler aus der zehnten Klassen<br />
aus dem Kammerbezirk<br />
teil.<br />
Junge Menschen brechen Ausbildungen<br />
und Studiengänge<br />
nicht gerade selten ab. Ein Zeichen<br />
von Orientierungslosigkeit?<br />
Stoffels: Sicherlich, ja. Wobei<br />
da den jungen Leuten der<br />
kleinste Vorwurf gemacht<br />
werden kann. Der Staat, der<br />
Bildungssektor, das Schulsystem<br />
und letztlich auch erziehende<br />
Eltern sind mit in der<br />
Verantwortung für die Ausbildungsreife<br />
der Jugendlichen.<br />
Und langsam, aber sicher sind<br />
die Akteure ja auch aufgewacht,<br />
man hat erkannt: Bildung<br />
ist zentral.<br />
Das ist doch jetzt eine Worthülse,<br />
oder?<br />
Stoffels: Moment mal, nein!<br />
Wir stehen doch vor riesigen<br />
Veränderungen! Wenn wir als<br />
Gesellschaft jetzt nicht die<br />
Kurve kriegen, wird es schwierig<br />
für Deutschland, für den<br />
Nachwuchs, für uns als Handwerk.<br />
Wir müssen unbedingt<br />
agil sein. Der doppelte Abiturjahrgang<br />
2013 ist vor allem<br />
auch eine Chance für das<br />
Handwerk, sich als Alternative<br />
zum Studium zu profilieren.<br />
Es gibt jedes Jahr allein in unserem<br />
Kammerbezirk eine<br />
Vielzahl von Lehrstellen, die<br />
aus den unterschiedlichsten<br />
Gründen nicht besetzt werden.<br />
Außerdem suchen jetzt<br />
schon zahlreiche Handwerksunternehmer<br />
qualifizierten<br />
Nachwuchs für die anstehende<br />
Inhabernachfolge.