18.11.2021 Aufrufe

POPSCENE Dezember 12/21

Das total umsonste Popkulturmagazin

Das total umsonste Popkulturmagazin

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

GENUSS<br />

KEIN GRUND ZUR<br />

SCHNITZELPANIK<br />

EINE ABHANDLUNG<br />

23<br />

Schnitzel mit Rahmsoße, Schnitzel aus der Fritteuse,<br />

Schnitzel Hawaii: Sensible Österreicherinnen<br />

und Österreicher könnte ein Restaurantbesuch<br />

in Deutschland in Angst und Schrecken<br />

versetzen. Der Begriff „Schnitzelpanik“ wäre<br />

in diesem Zusammenhang zwar treffend, aber<br />

falsch. Das Wort tauchte vor wenigen Wochen<br />

erstmals in deutschsprachigen Medien auf und<br />

bezeichnet die Reaktion auf die Angst, kein<br />

Schnitzel mehr zu bekommen. In Österreich ließen<br />

sich Anfang November schnitzelpanische<br />

Menschen gegen Corona impfen, damit sie<br />

weiterhin ins Wirtshaus gehen und das Nationalgericht<br />

der Alpenrepublik genießen dürfen.<br />

Nicht nur dort, sondern auch hierzulande muss<br />

selbstverständlich zwischen „Wiener Schnitzel“<br />

und „Schnitzel Wiener Art“ unterschieden werden.<br />

Das eine wird aus Kalbfleisch hergestellt,<br />

das andere aus Schweine-, Hühner- oder Putenfleisch.<br />

Die Panade und die Zubereitung sind<br />

gleich: erst klopfen, dann mit Mehl, Eier und<br />

Semmelbrösel panieren, anschließend in heißem<br />

Öl schwimmend ausbacken.<br />

Wenn die Qualität der Zutaten und der Kochkunst<br />

hoch ist, dann steht dem Schnitzelgenuss<br />

nichts mehr im Wege: innen saftig, außen goldgelb<br />

und zart-knusprig. Dazu schmecken den<br />

Deutschen Pommes und Ketchup, den Österreichern<br />

Kartoffelsalat und Preiselbeeren. Ob es<br />

hier oder dort erfunden worden ist, ist unklar.<br />

Historikerinnen und Historiker streiten, ob Feldmarschall<br />

Radetzky es von einem Feldzug nach<br />

Italien oder eine byzantinische Prinzessin im 19.<br />

Jahrhundert an den österreichischen Kaiserhof<br />

gebracht haben. Ernährungsexpertinnen und<br />

-experten sind sich hingegen einig, dass das<br />

Schnitzel nicht in der Rubrik „Gesundes“ einzuordnen<br />

ist.<br />

Eines der liebsten deutschen Kantinengerichte,<br />

Schnitzel mit Pommes und Salat, schlägt mit<br />

rund 1000 Kilokalorien zu Buche. Über den<br />

volkswirtschaftlichen Schaden, der durch das<br />

anschließende „Schnitzelkoma“ entsteht, lässt<br />

sich nur mutmaßen – ebenso, welche vegetarische<br />

oder vegane Alternative die gesündere,<br />

nachhaltigere oder schmackhaftere ist.<br />

So oder so: Schnitzel machen nicht nur satt,<br />

sondern beflügeln auch den Geist. Unter anderem<br />

wurde die Schriftstellerin Lilli U. Kreßner<br />

von der Fleischspeise zu klugen Worten inspiriert:<br />

„Das Schnitzel ist bei so manchem leider<br />

das Einzige, das über den Tellerrand schaut.“<br />

Der Germanist und Philosoph Sigbert Latzel<br />

beschreibt die „ehrliche“ Arbeitsteilung in einer<br />

Beziehung: Sie klopft Schnitzel, er Sprüche.<br />

Und der russische Dramatiker Maxim Gorki erklärt,<br />

warum Journalisten keinen Grund zur<br />

Schnitzelpanik haben müssen: „Man muss nicht<br />

in der Bratpfanne gelegen haben, um über<br />

Schnitzel zu schreiben.“<br />

Text: Katharina Rolshausen | Bild: pexels.com<br />

GENUSS

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!