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Walter WEER "Gilgamesch" - mit Texten von Michael KÖHLMEIER

Kunstbuch 104 Seiten mit 44 Bildern; Vierfarbdruck | Buchdeckel | Auflage 2021 - Preis € 35,00 Artbook 104 pages by 44 pictures; four color print |Hardcover | Editition 2021 - Price € 35,00 Achtung / Attention: Seiten / pages 8-15,24-99 sind ausgeblendet / are hidden

Kunstbuch 104 Seiten mit 44 Bildern; Vierfarbdruck | Buchdeckel | Auflage 2021 - Preis € 35,00
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WALTER <strong>WEER</strong><br />

GILGAMESCH<br />

MIT EINEM TEXT VON<br />

MICHAEL <strong>KÖHLMEIER</strong>


WALTER <strong>WEER</strong><br />

GILGAMESCH<br />

MIT EINEM TEXT VON<br />

MICHAEL <strong>KÖHLMEIER</strong>


MICHAEL <strong>KÖHLMEIER</strong><br />

GILGAMESCH<br />

Es war ein junger König in Uruk, der hieß Gilgamesch, der fasste <strong>mit</strong> der linken<br />

Hand seine rechte, und <strong>mit</strong> beiden Händen klopfte er sich auf die Schenkel, er<br />

strich sich über die Haare, kratzte sich am Bauch – dies alles war er, seine Haut,<br />

seine Haare, seine Augen, die Ohren, und alles, alles war zu zwei Drittel<br />

Mensch, warmer, milder, zorniger, trotziger Mensch und zu einem Drittel Gott.<br />

Wo war dieses eine Drittel? Wo war der Gott in ihm? Dachte der Gott wie die<br />

zwei Drittel Mensch? Oder waren Gott und Mensch so ineinander gemischt, dass<br />

niemand, kein Mensch, kein Gott sie trennen konnte? Wie sich ein Mensch<br />

benimmt, das wusste Gilgamesch. Er sah sie ja. Wie sie über den Markt gingen,<br />

wie sie handelten <strong>mit</strong>einander, wie sie sich liebten, wie sie sich hassten.<br />

Sie lachten und weinten, die Menschen, und wenn sie müde waren, legten sie<br />

sich nieder. Wenn die Hunger hatten, aßen sie, und jeder <strong>von</strong> ihnen liebte das<br />

frische kühle Wasser. Aber wie benimmt sich ein Gott? Woran würden die<br />

Menschen um ihn herum erkennen, dass ein Drittel in ihm göttlich war?<br />

Schon bevor er den Königsthron bestieg, gab sich Gilgamesch die Antwort:<br />

Es ist die Macht. Und zwar die absolute Macht. Manche Menschen mögen<br />

mächtig sein, absolut mächtig war nur ein Gott.<br />

Da beschloss Gilgamesch, absolut mächtig zu sein. Aber wie geht das?<br />

Zuerst war er gut zu den Menschen. Er wollte ein absolut guter Herrscher sein.<br />

Er beschenkte jeden, den er traf. Wenn in einem Rechtsstreit an ihn<br />

herangetreten wurde, ließ er Milde walten. Das Ergebnis: Die meisten Menschen<br />

meinten, er sei ihr Freund. Und viele behandelten ihn wie einen Kumpanen,<br />

das hieß, sie forderten <strong>von</strong> ihm. Und weil er ihnen begegnete, als wäre er nicht<br />

mehr als sie, verachteten sie ihn bald, denn sie meinten, einer wie sie verdiene<br />

3


nur Verachtung. Sie waren bald <strong>mit</strong> dem, was er ihnen schenkte, nicht mehr<br />

zufrieden. „Du schenkst mir zu wenig! Du bist sagenhaft reich, und was schenkst<br />

du mir? Nur einen winzigen Teil, <strong>von</strong> dem, was du besitzt. Freunde teilen.<br />

Weißt du das nicht?“<br />

Gilgamesch war noch jung, noch hatte er nicht gelernt zu unter scheiden.<br />

Gut war für ihn gut, schlecht war schlecht. Entweder Freund oder Feind.<br />

Dazwischen gab es nichts. Wer Gutes tut, das meinte er nun heraus gefunden<br />

zu haben, der ist ohnmächtig. Der wahre Mächtige, der absolut Mächtige,<br />

der ist ein Tyrann.<br />

Gilgamesch beschloss, ein Tyrann zu sein. Und wie geht das? Er sah die Männer<br />

und sah die Frauen, die Frauen vertrauten auf die Stärke der Männer, also, sagte<br />

er sich, sind die Männer stark. Der Starke kann seine Stärke nur an den Starken<br />

beweisen. Wenn ich die Männer tyrannisiere, dachte Gilgamesch, dann gewinne<br />

ich die absolute Macht. Also tyranni sierte er die Männer. Er machte aus ihnen<br />

Soldaten und Sklaven. Die Soldaten trieben die Sklaven aus ihren Häusern und<br />

befahlen ihnen, eine gewaltige Mauer um die Stadt Uruk zu bauen. Der Tyrann<br />

sitzt hinter Mauern.<br />

Gilgamesch er trieb es zu weit. Er brach den Stolz der Männer, er raubte ihnen<br />

die Kraft und die Würde. Er rechnete da<strong>mit</strong>, dass die Frauen <strong>von</strong> nun an ihre<br />

Männer verachteten und sich ihm, dem absolut Mächtigen zuwandten. Dass sie<br />

den Gott in ihm erkannten, dass sie vergaßen, dass er zu zwei Dritteln ein<br />

Mensch war. Dass sie ihm opferten und zu ihm beteten.<br />

Aber Gilgamesch irrte sich. Die Frauen liebten ihre Männer, sie hatten Mitleid<br />

<strong>mit</strong> ihren Männern, und sie hassten den Tyrannen. Sie beteten nicht zu<br />

Gilgamesch, sie beteten zu Istar, der großen Göttin, sie möge ihnen helfen, sie<br />

solle den bösen König stürzen. Istar besprach sich <strong>mit</strong> An, ihrem Vater, sie bat ihn<br />

um die Erlaubnis, Gilgamesch unter ihr Joch zu spannen, da<strong>mit</strong> er spüre, was es<br />

heißt, nur ein Drittel ein Gott zu sein, aber zwei Drittel ein Wesen, das leidet.<br />

An hörte sich die Argumente seiner göttlichen Tochter an, und er entschied<br />

anders, als sie es sich wünschte.<br />

„Du wirst den Unbändigen nicht <strong>mit</strong> Gewalt bändigen“, sagte er.<br />

„Er muss selbst ein Bändiger werden.“<br />

Und wie geht das?<br />

An schickte einen Traum. Der sollte sich in den Kopf des Gilgamesch schleichen<br />

und ihn ratlos machen, wenn er schlief, ratlos und furchtsam.<br />

Der Traum war aus Sand, so viel Sand, wie die Wüste enthielt, und er bäumte<br />

sich im Kopf des schlafenden Gilgamesch auf und hüllte ihn ein und drohte, ihm<br />

die Luft zu nehmen. Er wirbelte um ihn herum, und als Gilgamesch einatmete,<br />

mischte er sich unter die Luft und füllte <strong>von</strong> innen seinen Körper aus, und fuhr<br />

aus allen Löchern <strong>mit</strong> dem Schrei des Schlafenden, und gerade als Gilgamesch<br />

die Augen öffnen wollte, weil der Schlaf ihn verließ, da ballte sich der Sand zu<br />

einer Kugel, und aus der Kugel wühlte sich ein Gesicht, und das Gesicht blieb<br />

vor dem Gesicht des Gilgamesch stehen, bis die Lider sich öffneten, dann zerfiel<br />

es zu nichts. – Das war der Traum, den An geschickt hatte.<br />

4<br />

5


Gilgamesch ging zu seiner Mutter und weinte. Er erzählte ihr den Traum<br />

und bat sie, ihn zu deuten. Immer hatte er geträumt. Als er ein Kind gewesen<br />

war, hatten ihn die Träume gequält, und immer war er zur Mutter gelaufen und<br />

hatte geweint und hatte sie gefragt, was die Träume zu bedeuten hatten. Ninsun,<br />

die Mutter, hatte ihren Sohn nie belogen. Sie hatte ihn nicht getröstet, wenn er<br />

sich Trost wünschte, die Träume aber ohne Trost waren. Gilgamesch konnte<br />

sich auf das Urteil <strong>von</strong> Ninsun verlassen.<br />

Ninsun sagte: „Der Traum bedeutet, du wirst einen Freund finden.“<br />

„Und dieser Freund kommt wie ein grässlicher Sandsturm?<br />

Dann kann er doch kein Freund sein.“<br />

„Der Freund“, sagte sie, „ist ein Wilder.“<br />

„Was ist ein Wilder?“<br />

„Wie du zu zwei Drittel ein Mensch bist, so ist auch er zu zwei Drittel<br />

ein Mensch, aber wie du zu einem Drittel ein Gott bist, ist er zu einem Drittel<br />

ein Tier.“<br />

„Und wann werde ich den Freund treffen?“<br />

„Das weiß ich nicht“, sagte Ninsun.<br />

„Und woran werde ich ihn erkennen?“<br />

„Das weiß ich auch nicht.“<br />

Der große Gott An rief Aruru zu sich, die große Muttergöttin, und bat sie,<br />

aus Lehm ein Wesen zu formen, ein Drittel ein Tier, zwei Drittel ein Mensch.<br />

Das tat Aruru. Und sie gab ihm den Namen Enkidu und entließ ihn<br />

auf die Erde.<br />

Von nun an lebte Enkidu zusammen <strong>mit</strong> den Tieren. Er heulte wie ein Wolf,<br />

er brüllte wie ein Löwe, er konnte schwimmen wie eine Otter, und wenn er<br />

sich an eine Beute heranschlich, dann so leise wie eine Schlange.<br />

Er jagte <strong>mit</strong> den Hyänen und teilte sich das Aas <strong>mit</strong> den Geiern.<br />

Eines Tages kam er zu einem Zaun. Er wusste nicht, was ein Zaun ist.<br />

Es waren in den Boden gerammte Pfähle, höher, als ein Mann groß ist, und<br />

dieser Zaun umschloss ein großes Gebiet, und <strong>von</strong> außen konnte man nicht<br />

sehen, was dahinter war. Enkidu bat den Löwen, der ihn überallhin begleitete,<br />

er möge stillhalten. Er stieg auf seinen Rücken und blickte über den Zaun.<br />

Was sah er? Tiere sah er. Tiere, die einge sperrt waren. Kühe, Rinder, Pferde,<br />

Schafe, Ziegen Schweine.<br />

„Was macht ihr her?“, fragte er.<br />

„Wir sind nützlich“, war die Antwort.<br />

„Wem seid ihr nützlich?“<br />

„Unserem Herrn.“<br />

„Und wer ist euer Herr?“<br />

„Ein Mensch“, sagten sie.<br />

6 7


„Und was macht er <strong>mit</strong> euch?“<br />

„Er nimmt uns die Milch weg, und nimmt uns die Kälber weg. Aus der Milch<br />

macht er Butter und Käse, die Kälber tötet er und isst sie auf.“<br />

„Und das lasst ihr euch gefallen?“<br />

„Was sollen wir tun? Der Herr hat einen Zaun um uns herum gebaut.“<br />

„Den Zaun kann man einreißen“, sagte Enkidu.<br />

„Das wussten wir nicht“, war die Antwort.<br />

„Ich zeig euch, wie das geht“, sagte Enkidu, und gemeinsam <strong>mit</strong> seinem Löwen<br />

schlug er eine Lücke in den Zaun, breit genug, dass die Tiere fliehen konnten.<br />

Der Herr, der den Zaun erbaut hatte, war ein frommer Mann, der jeden Tag<br />

zu Istar betete und ihr alle sieben Tage ein Lamm oder ein Zicklein oder<br />

ein Kalb opferte.<br />

„Ich kann nicht glauben“, sprach er zu Istar, „dass ich mein Leben lang umsonst<br />

gebetet und umsonst geopfert habe. Hilf mir, da<strong>mit</strong> ich meine Herden<br />

zurückbekomme!“<br />

Istar wollte ihren treuen Diener nicht verlieren. Sie sprach <strong>mit</strong> der Dirne Samhat,<br />

beratschlagte <strong>mit</strong> ihr, was zu machen sein. Samhat beherrschte die Begierden,<br />

sie teilte aus und sie behielt ein, gerade, wie es ihr passte. Und oft teilte sie<br />

Unglück aus. Und das hieß, sie gab zu viel.<br />

Samhat sah sich Enkidu an. Er gefiel ihr. Diese Kraft. Diese Wildheit.<br />

Diese Hässlichkeit. Sie liebte die Hässlichkeit. Die Schönen waren langweilig,<br />

die Hässlichen waren frei. Samhat nahm sich den Enkidu vor. Einmal wenigstens<br />

wollte sie die Lust, die sie sonst immer austeilte, für sich haben. Sie verführte<br />

Enkidu. Das war leicht. Er hatte noch nie solche Schönheit gesehen. Sie lockte<br />

ihn in eine Höhle, und dort hielt sie ihn dreißig Tage fest. Das heißt, sie musste<br />

ihn nicht festhalten, er hielt sie fest. Er verliebte sich in sie, und weil er nicht<br />

wusste, wie Liebe geht, konnte er seine Gefühle nicht einteilen. Enkidu konnte<br />

nicht genug kriegen <strong>von</strong> Samhat, der Dirne.<br />

Während dieser dreißig Tage dauernden Liebesnacht lernte Enkidu zu sprechen<br />

wie ein Mensch und zu denken wie ein Mensch und ein bisschen zu fühlen wie<br />

ein Mensch. Er sah immer noch aus wie ein Tier, so viele Haare überall,<br />

am Rücken auf der Brust, im Gesicht, an Armen und Beinen, aber er wusste,<br />

was Schmerz ist, er wusste, was Lust ist, er wusste, was Sehnsucht ist, er wusste,<br />

was Glück ist – wie ein Mensch. In diesen dreißig Tagen sammelte der Herr seine<br />

Herde zusammen und baute den Wall um seinen Hof neu, größer und stärker.<br />

Als Samhat Ekidu verließ, wollte er nicht mehr zu den Tieren zurück kehren.<br />

Er wollte zu den Menschen.<br />

Und wie Enkidu über die Felder ging, allein, <strong>mit</strong> Unruhe im Herzen, kam er zu<br />

einem Brunnen. Er hatte Durst, großen Durst. Aber bei dem Brunnen war schon<br />

ein anderer, der ließ gerade den Schlauch hinunter, um Wasser zu schöpfen.<br />

8 9


„Ich will zuerst trinken“, sagte Enkidu. „Mein Durst ist gar zu groß!“<br />

„Mein Durst ist auch groß“, sagte der andere, „und ich war vor dir da.“<br />

„Aber ich bin stärker als du“, sagte Enkidu.<br />

„Das weiß man erst nach dem Kampf“, sagt der andere.<br />

Der andere war Gilgamesch.<br />

Die beiden kämpften. Um den ersten Schluck Wasser kämpften sie. Und der<br />

Kampf dauerte lange, denn sie waren gleich stark. Am Ende hielten sie einander<br />

fest und einer starrte dem anderen in die Augen. Da erkannte Gilgamesch das<br />

Traumgesicht. Er wusste: Dies ist der Freund. Er ließ ab <strong>von</strong> ihm und umarmte<br />

ihn und erzählte ihm <strong>von</strong> seinem Traum.<br />

Sie gingen gemeinsam in die Stadt, ein Drittel Gott, ein Drittel Tier und je zwei<br />

Drittel Mensch. Im Palast des Königs rief Gilgamesch den Barbier. Der rasierte<br />

Enkidu die Haare <strong>von</strong> Leib. Und da kam ein junger schöner Mann zum<br />

Vorschein.<br />

Von diesem Tag an waren Gilgamesch und Enkidu unzertrennlich.<br />

Gemeinsam wollten sie die Stadt Uruk neu und prächtig aufbauen.<br />

Die Mauer war schon fast fertig. Aus vornehmem Zedernholz sollten die<br />

Häuser geriegelt und geschnitzt werden. Das beste Zedernholz der Welt wuchs<br />

im Wald des EEE.<br />

Humbaba war ein mächtiger Mann. Niemand wusste, ob er auch ein Gott war.<br />

Oder ein Halbgott. Oder ein Drittelgott. Er war mächtig und bösartig.<br />

Er verspottete alle. Darum lebte er allein. Und er wollte allein leben. Er sprach<br />

den ganzen Tag über <strong>mit</strong> sich selbst. Über alles und jedes spottete er. Über die<br />

ganze Welt. Den Fluss verspottete er, weil er entweder zu wenig oder zu viel<br />

Wasser führte. Die Vögel am Himmel verspottete er, weil sie nicht schwimmen<br />

konnten. Die Fische verspottete er, weil sie nicht fliegen konnten.<br />

Alle Bäume, die keine Zedern waren, verspottete er, weil sie keine Zeder waren.<br />

Aber seine Zedern liebte er. Wenn er den Zedernwald betrat, wurde seine<br />

Stimme sanft und zärtlich. Mit der Hand strich er über die Rinde, er zupfte<br />

Grünes ab und zerrieb es zwischen seinen Fingern und roch daran und lobte<br />

den Baum, der ihm dieses wunderbarste aller Parfüms geschenkt hatte.<br />

So einer war Humbaba.<br />

Gilgamesch und Enkidu kamen <strong>mit</strong> guten Absichten. Sie wollten einen Handel.<br />

Sie wollten fünftausend Zedernstämme kaufen. Sie wollten Gold dafür geben.<br />

„Ich bin der König <strong>von</strong> Uruk“, sagte Gilgamesch.<br />

„Und ich bin der Freund des Königs <strong>von</strong> Uruk“, sagte Enkidu.<br />

Mehr hat es nicht gebraucht. Humbaba hatte schon sehr lange <strong>mit</strong> niemandem<br />

gesprochen. Alle, ob Mensch, ob Tier, alle gingen ihm aus dem Weg.<br />

Und gegen alle fluchte er, was aus einem Mund herauskam, und ließ es in<br />

die freie Luft hinaus. Zorn und Spott und Hass und Rachsucht, eine lange Liste<br />

<strong>von</strong> bösen Gefühlen könnte angeführt werden – das alles brüllte er in die<br />

Gesichter der beiden Freunde hinein.<br />

Und da haben sie ihn umgebracht und seinen Zedernwald gefällt.<br />

Keinen Baum ließen sie stehen.<br />

10 11


Der Göttin Istar gefiel das gar nicht. Nicht, dass ihr Humbaba leidtat, oder gar,<br />

dass sie um ihn trauerte. Der Hochmut der beiden Freunde missfiel ihr.<br />

Dieser Hochmut schrie zum Himmel. Aber eben das gefiel ihr auch. Sie hatte<br />

sich in Enkidu verliebt, als er noch zu einem Drittel ein Tier war. Nun verliebte<br />

sie sich in Gilgamesch – obwohl er zu einem Drittel ein Gott war. Sie warb um<br />

ihn. Sie verabscheute ihn und begehrte ihn in einem. Aber Gilgamesch wies<br />

sie zurück. Nur, um sich und der Welt und den Göttern zu beweisen,<br />

dass er größer war als alle.<br />

Aus Rache schickte Istar den Himmelsstier gegen die Stadt Uruk, und dieses<br />

Ungeheuer tötete Männer und Frauen und riss die schönen Häuser nieder,<br />

die aus dem edelsten Zedernholz erbaut worden waren. Aber Enkidu und<br />

Gilgamesch stellten sich Rücken an Rücken, <strong>mit</strong> Pfiffen lockten sie das gewaltige<br />

Tier zu sich, sie bespuckten es, reizten es, warfen ihm Sand in die Augen<br />

und erschlugen es.<br />

Das sah Anu, der Himmelsvater, und er war zornig, und sagte, es müsse etwas<br />

geschehen. Seine Tochter Istar forderte den Tod der beiden.<br />

„Solche Männer“, sagte sie, „dürfen nicht auf Erden bleiben. Sie werden zu<br />

Vorbildern, andere Männer werden ihnen nacheifern, die Frauen bewundern sie<br />

und spornen sie an, und bald wird sich kein Mensch mehr vor uns fürchten.<br />

Denn diese beiden, Gilgamesch und Enkidu, sie fürchten sich vor nichts.“<br />

„Vor dem Tod fürchten sie sich“, sagte Anu. „Zwei Drittel sind sie Mensch,<br />

und der Mensch, auch wenn er sich vor sonst nichts fürchtet, vor dem Tod<br />

fürchtet er sich.“<br />

„Dann erschlag sie“, sagte Istar.<br />

„Nein“, sagte Anu. „Nur einer <strong>von</strong> den beiden soll sterben.“<br />

Er schickte die Krankheit. Krankheit hatte es bis dahin nicht gegeben in Uruk.<br />

Die Menschen wurden geboren, sie lebten, liebten, arbeiteten, bekamen Kinder,<br />

taten, was Menschen tun, sie wurden alt und starben. Enkidu aber wurde krank.<br />

Und es war eine elende Krankheit, eine Krankheit, die niemand heilen konnte.<br />

Er wurde mager und schwach und weinerlich. Er konnte bald nicht mehr richtig<br />

denken, er wurde wie ein Tier, aber ohne ein Tier zu sein.<br />

Und dann starb Enkidu.<br />

Und niemand konnte Gilgamesch trösten. Auch seine Mutter nicht.<br />

Der Glanz der Stadt Uruk dringt nicht mehr bis ins Herz ihres Königs.<br />

Die Macht bedeutet ihm nichts mehr.<br />

„Was ist das für eine Macht, die den Tod nicht aufhalten kann!“, ruft er.<br />

„Das ist keine Macht, das ist nicht einmal ein Traum <strong>von</strong> der Macht!“<br />

Gilgamesch verlässt Uruk, er wandert durch die Welt. Er will das<br />

Ge heimnis des Lebens erforschen. Wer dieses Geheimnis kennt, so denkt er,<br />

der kennt auch das Geheimnis des Todes.<br />

Er ist zu zwei Dritteln Mensch, er wird die letzten Geheimnisse nicht ergründen.<br />

Gilgamesch begibt sich auf eine Heldenreise. Er ist der erste seiner Art. Viele<br />

werden es ihm nachtun. Herakles, Theseus, Odysseus, Aeneas, Jesus.<br />

12 13


Märchenhafte Wesen begegnen ihm, halb Skorpion, halb Mensch, durch einen<br />

zwölf Stunden langen Tunnel kriecht er. Gegen Ungeheuer muss er kämpfen. Am<br />

schlimmsten sind die Träume.<br />

Schließlich trifft er einen seiner Vorfahren. Der hat es geschafft. Er lebt allein,<br />

einsam, aber er lebt ewig.<br />

„Kann ich sein wie du?“, fragt Gilgamesch.<br />

„Wer will sein wie ich“, antwortet sein Vorfahr.<br />

„Jeder Mensch will unsterblich sein.“<br />

„Es ist das Schwerste.“<br />

„Ich will es tragen.“<br />

Zuerst, sagt der Vorfahr, muss Gilgamesch den kleinen Bruder des Todes<br />

besiegen, den Schlaf. Sieben Tage und sieben Nächte soll er wachen, dann wird<br />

er das Geheimnis des Lebens vor sich sehen. Von weitem aber wird er es nur<br />

sehen. Begreifen kann er es noch nicht. Erst muss er noch andere Aufgaben<br />

erfüllen.<br />

Aber Gilgamesch schafft nicht einmal die erste Aufgabe. Er schläft ein. Er schläft<br />

und träumt. Er träumt <strong>von</strong> einem See, und er träumt, am Grund des Sees wächst<br />

ein Kraut, das macht jung. Noch im Traum denkt Gilgamesch: Wenn ich schon<br />

nicht ewig leben kann, dann will ich wenigstens noch einmal jung sein.<br />

Er macht sich auf, sucht den See, findet ihn, taucht und rupft das Kraut aus.<br />

Er verbirgt das Kraut auf seiner Brust.<br />

Er ist traurig. Er ist alt geworden, nie wieder will er kämpfen. Er will noch<br />

einmal jung sein. Und dann will er leben, wie er nicht gelebt hat. In Frieden.<br />

Ohne Abenteuer, ohne Gier, ohne diese Unruhe im Herzen. In Eintracht <strong>mit</strong><br />

den Nachbarn will er leben, <strong>mit</strong> einer Frau und <strong>mit</strong> Kindern will er leben.<br />

Zufrieden. Noch einmal <strong>von</strong> vorne beginnen, das will er.<br />

Bei einem Brunnen sinkt er nieder. Er ist erschöpft. Ein bisschen Schlaf,<br />

nur ein bisschen Schlaf. Eine Schlange kommt gekrochen, sie lauert. Als sich die<br />

Augen des Helden schließen und er schläft, kriecht sie vorsichtig unter sein<br />

Hemd und stiehlt das Kraut.<br />

Ohne alles kehrt Gilgamesch nach Hause zurück. Er besteigt die Stadt mauer<br />

und schaut über das weite Land. Er sieht sein Land, aber er sieht es,<br />

als hätte er es nie zuvor gesehen.<br />

14 15


DIE GÖTTER BESCHLIESSEN, GILGAMESCH IN DIE WELT ZU SETZEN.<br />

16 / 17


ZU EINEM DRITTEL SOLL ER GOTT SEIN, ZU ZWEI DRITTEL MENSCH.<br />

18 / 19


AUSGESTATTET MIT ALLEN VORZÜGEN, WIE POWER, MUT UND MANNESKRAFT<br />

SOLL GILGAMESCH VOR SEINE UNTERTANEN TRETEN.<br />

20 / 21


ALS KÖNIG VON URUK BEGINNT ER SOGLEICH MIT DEM AUSBAU<br />

VON MAUERN UND TÜRMEN. DIE MENSCHEN SIND UNZUFRIEDEN<br />

UND BITTEN DIE GÖTTER, IHM EINEN EBENBÜRTIGEN<br />

WIDERSACHER ZU GEBEN.<br />

22 / 23


SO ENTSTEHT ENKIDU, EIN ZUNÄCHST TIERÄHNLICHES WESEN,<br />

DAS GRAS FRISST UND DIE MENSCHEN FLIEHT.<br />

24 / 25


MAN SCHICKT NACH URUK, UM DIE TEMPELDIRNE SCHAMCHAT ZU HOLEN.<br />

DIESE SOLL IHN DURCH SEX ZU EINEM MENSCHEN MACHEN.<br />

26 / 27


VIELE TAGE UND NÄCHTE GEBEN SIE SICH DEM LIEBESSPIEL HIN,<br />

BIS ENKIDU DER DIRNE ÜBERDRÜSSIG IST UND ZU VERSTAND KOMMT.<br />

28 / 29


SCHAMCHAT SOLL ENKIDU ZU GILGAMESCH BRINGEN.<br />

UNTERWEGS WERDEN SIE VON HIRTEN VERPFLEGT.<br />

SO LERNT ENKIDU BROT UND BIER KENNEN.<br />

30 / 31


EIN BARBIER BEFREIT ENKIDU VON SEINER TIERISCHEN HAARPRACHT.<br />

32 / 33


IN URUK ANGEKOMMEN, TRITT IHM GILGAMESCH ENTGEGEN<br />

UND SIE KÄMPFEN ERBITTERT MITEINANDER.<br />

34 / 35


DER KAMPF ENDET UNENTSCHIEDEN UND GILGAMESCH<br />

UND ENKIDU WERDEN FREUNDE.<br />

36 / 37


SIE BESCHLIESSEN IN DEN LIBANON ZU GEHEN UND FÄLLEN DORT<br />

OHNE DIE ERLAUBNIS DES WÄCHTERS ZEDERN IN GROSSER ZAHL.<br />

38 / 29


ALS SIE HUWAWA, DER WÄCHTER SIE ZUR REDE STELLT,<br />

KOMMT ES ZU EINEM HANDGEMENGE UND<br />

ENKIDU TÖTET HUWAWA.<br />

40 / 41


AUS EINEM STÜCK ZEDERNHOLZ OPFERN<br />

GILGAMESCH UND ENKIDU EINE TEMPELTÜRE<br />

FÜR DEN TEMPEL VON GOTT ENLIL.<br />

42 / 43


ISCHTAR, DIE GÖTTIN DER LIEBE UND DES KRIEGES,<br />

VERSUCHT GILGAMESCH ZU VERFÜHREN.<br />

ES SOLL EINE HEILIGE HOCHZEIT WERDEN.<br />

44 / 45


GILGAMESCH WEISS VON DEN VIELEN MÄNNERN,<br />

DIE ISCHTAR GETÖTET HAT, UND VERWEIGERT SICH DEM ANSINNEN.<br />

46 / 47


ERBOST VERLANGT ISCHTAR VON GOTT ANUM, IHREM VATER,<br />

DEN HIMMELSSTIER, DOCH ENKIDU TÖTET IHN.<br />

48 / 49


DIE GÖTTERN FINDEN, DASS DIE BEIDEN HELDEN<br />

ZU WEIT GEGANGEN SIND. SIE SENDEN ENKIDU EINE KRANKHEIT,<br />

AN DER ER SCHLIESSLICH STIRBT.<br />

50 / 51


GILGAMESCH IST VERZWEIFELT. ER LÄSST DEN LEICHNAM SEINES FREUNDES<br />

IN URUK AUFBAHREN UND BESTATTEN.<br />

52 / 53


GILGAMESCH WILL NICHT WIE ENKIDU ENDEN<br />

UND MACHT SICH AUF DEN LANGEN MARSCH,<br />

DIE UNSTERBLICHKEIT ZU ERLANGEN.<br />

54 / 55


SIDURI, EINE SCHENKIN, WILL GILGAMESCH VON SEINEM VORHABEN ABBRINGEN.<br />

ALS DAS NICHT GELINGT, WEIST SIE IHN WEITER ZUM ZWILLNGSGEBIRGE.<br />

56 / 57


DURCH DIESEN BERG FÜHRT EIN LANGER TUNNEL,<br />

DEN GILGAMESCH DURCHQUEREN MUSS.<br />

58 / 59


AM TUNNELEINGANG ERWARTEN IHN SKORPIONMENSCHEN,<br />

DIE IHM ERST NACH LÄNGEREM ZUTRITT GEWÄHREN.<br />

60 / 61


ENDLOSE 12 TAGE WANDERT GILGAMESCH DURCH<br />

DEN FINSTEREN TUNNEL, BIS ER ENDLICH DAS ENDE ERREICHT,<br />

WO IHN STRAHLENDES LICHT ERWARTET.<br />

62 / 63


GEBLENDET TRITT ER INS FREIE, WO DIE WELT IN<br />

KRISTALLEN UND EDELSTEINEN LEUCHTET.<br />

64 / 65


DOCH GILGAMESCH LÄSST SICH NICHT AUFHALTEN.<br />

ER KOMMT ZUM FLUSS DES TODES.<br />

WO ER IN UNKENNTNIS DIE STEINERNEN RUDER,<br />

DIE ER EIGENTLICH FÜR DIE FAHRT BRÄUCHTE, ZERTRÜMMERT.<br />

66 / 67


UTANABASHI, DER FÄHRMANN, VERANLASST GILGAMESCH,<br />

NEUE RUDER AUS HOLZ ZU BAUEN,<br />

MIT DENEN SIE DAS WASSER DES TODES BEFAHREN.<br />

68 / 69


DA GILGAMESCH DAS LETZTE RUDER, VON DENEN JEDES NUR EINMAL VERWENDET<br />

WERDEN DARF, VERLIERT, MUSS ER SEIN GEWAND ALS SEGEL EINSETZEN.<br />

70 / 71


AM ENDE DER FAHRT ERWARTET SIE UTANAPISCHITIM,<br />

DER ALS ÜBERLEBENDER DER SINTFLUT UNSTERBLICH IST.<br />

72 / 73


ER ERZÄHLT GILGAMESCH DIE SINTFLUTSAGA.<br />

GOTT EA HABE IHM HEIMLICH DEN AUFTRAG GEGEBEN,<br />

EINE ARCHE ZU BAUEN.<br />

74 / 75


ER UND SEINE FAMILIE, ABER AUCH ALLE TIERE SOLLTEN<br />

PAARWEISE IN DIE ARCHE STEIGEN.<br />

76 / 77


ES BEGANN SOGLEICH ZU REGNEN, WIE VORHERGESAGT WURDE.<br />

78 / 79


DIE WASSER SCHWOLLEN AN UND DIE ARCHE TRIEB IN DEN FLUTEN.<br />

80 / 81


SCHLIESSLICH WAR DIE GANZE WELT VON WASSERMASSEN EINGESCHLOSSEN.<br />

82 / 83


ERST AM SIEBTEN TAG WURDE ES STILL.<br />

84 / 85


DIE ARCHE LEGTE AM BERG NIMUSCH AN.<br />

86 / 87


ER, UTANAPISCHTIM, HABE ERST EINE SCHWALBE,<br />

DANN EINE TAUBE UND ZULETZT EINEN RABEN FLIEGEN LASSEN.<br />

DER RABE SEI NICHT MEHR ZURÜCKGEKOMMEN.<br />

88 / 89


JETZT ERST DURFTEN ALLE BEWOHNER DER ARCHE DAS SCHIFF VERLASSEN.<br />

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ER, UTANAPISCHTIM, BRACHTE EIN OPFER DAR<br />

UND ENLIL SEGNETE SIE UND MACHTE SIE UNSTERBLICH.<br />

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GILGAMESCH SOLL NUN SIEBEN TAGE LANG WACHBLEIBEN,<br />

WAS IHM NICHT GELINGT. DIE FRAU DES GASTGEBERS LEGT IHM JEDEN TAG<br />

EINEN LAIB BROT HIN – ALS BEWEIS.<br />

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GILGAMESCH BITTET UM EINE LETZTE CHANCE.<br />

UTANAPISCHTIM ERKLÄRT IHM, WO ER AM MEERESGRUND DAS KRAUT<br />

DER UNSTERBLICHKEIT FINDEN KÖNNE.<br />

GILGAMESCH GELINGT ES, DAS KRAUT ZU PFLÜCKEN.<br />

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ALS ER JEDOCH EINEN AUGENBLICK UNAUFMERKSAM IST,<br />

HOLT SICH EINE SCHLANGE DAS KRAUT<br />

DER UNSTERBLICHKEIT.<br />

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GILGAMESCH SIEHT EIN, DASS IHM DER WEG ZUR UNSTERBLICHKEIT<br />

VERWEHRT IST UND ER VERWENDET SEINE KRAFT<br />

AUF DEN AUSBAU DER STADT URUCK.<br />

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ALS KÖNIG VON URUK GEHT GILGAMESCH IN DIE GESCHICHTE EIN.<br />

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MICHAEL <strong>KÖHLMEIER</strong><br />

* 1949 in Hard, Vorarlberg, ist ein international anerkannter österreichischer Schriftsteller.<br />

Besonders begeistert er als Märchen- und Sagenerzähler.<br />

WALTER <strong>WEER</strong><br />

* 1941 in Wien, ist ein österreichischer Zeichner, Maler und Objektkünstler.<br />

Für ANNEMARIE<br />

1. Auflage 2021<br />

© 2021 BUCHER Verlag<br />

Hohenems – Vaduz – München – Zürich<br />

www.bucherverlag.com<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Herausgegeben <strong>von</strong> <strong>Walter</strong> Weer<br />

Texte: <strong>Michael</strong> Köhlmeier, <strong>Walter</strong> Weer<br />

Grafikdesign: Maria Anna Friedl<br />

Fotos: Heimo Watzlik<br />

Lithografie: pixelstorm, Wien<br />

Schrift: Optima<br />

Papier: GardaPat 13 Kiara 150 g/m 2<br />

Produktion: BUCHER Druck, Hohenems<br />

Bindung: Papyrus, Wien<br />

Printed in Austria<br />

ISBN 978-3-99018-600-8

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