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Bildbeschreibungen zu den Konfbildern aus dem Verlag SVKK

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Abendmahl — Bauernmalerei <strong>aus</strong> Nicaragua<br />

Bauern malen in Nicaragua<br />

Dieses farbige und klare Abendmahlsbild kommt <strong>aus</strong><br />

Nicaragua, einem kleinen Land in Mittelamerika. Ich<br />

weiss nicht, wer es gemalt hat, <strong>den</strong>n <strong>den</strong> Namen kann<br />

ich nicht entziffern. Darunter aber steht «Solentiname<br />

1980», und das sagt viel.<br />

Da hat also ein Bauer oder eine Bäuerin <strong>aus</strong> Solentiname<br />

<strong>zu</strong> Pinsel und Farbe gegriffen, ein Künstler <strong>aus</strong> <strong>dem</strong><br />

Volk. Er wohnt auf einer der Inseln von Solentiname,<br />

mitten im grossen See von Nicaragua. Abgeschie<strong>den</strong><br />

von der Welt leben hier nur t<strong>aus</strong>end Menschen in ihren<br />

strohbedeckten Hütten am Ufer des Sees, fangen<br />

Fische, bebauen die Äcker, besuchen sich mit ihrem<br />

Boot. Kleine Inseln, wie die vor <strong>dem</strong> Fenster, sind<br />

unberührt: tropisches Paradies. Ich bin gewiss: unser<br />

Maler kennt Ernesto Car<strong>den</strong>al, <strong>den</strong> weltbekannten Priester und Dichter, heute Kulturminister des Landes. Denn<br />

Car<strong>den</strong>al hat viele Jahre in Solentiname gelebt, inmitten einer christlichen Lebensgemeinschaft, und mit <strong>den</strong><br />

Bauern das Evangelium neu entdeckt. Ich <strong>den</strong>ke, unser Maler war wohl auch dabei, in diesen Gottesdiensten<br />

unter <strong>dem</strong> Palmdach, voll offener Gespräche und froher Gemeinschaft. Ich fürchte aber, er hat auch das andere<br />

miterlebt: die Warnungen an Car<strong>den</strong>al, seine Abreise ins Exil und im Oktober 1977 <strong>den</strong> Überfall der Nationalgarde<br />

auf die Bruderschaft, jene Nacht, in der viele starben oder verschwan<strong>den</strong> und die Häuser in Flammen<br />

aufgingen. Ja, es ist noch nicht lange her, dass die Schreckensherrschaft einer einzigen Familie über Nicaragua<br />

ein Ende hat – <strong>dem</strong> Künstler sind die Nächte der Angst noch nahe, wo keiner sicher war vor Verhaftung,<br />

Folterung und Ermordung. Und ich bin gewiss: er erinnert sich in klaren Farben des 19. Juli 1979, als nach<br />

der Flucht des Diktators die Befreiungsarmee des Volks in der Hauptstadt einzog und <strong>den</strong> Sieg über Unrecht<br />

und Gewalt <strong>aus</strong>rief.1980, ein Jahr danach, malt er das Bild von der Familie Gottes auf Er<strong>den</strong>, das Abendmahl.<br />

Abendmahl, das Fest der Gerechtigkeit<br />

Auf der Insel im grossen See sitzen alle um einen Tisch. Die leeren Teller schauen uns wie grosse Augen fragend<br />

an: hat es für alle genug? Die Jünger Jesu wussten und die Bauern von Nicaragua wissen: Ja, es reicht für alle,<br />

wenn wir teilen. Jesus nahm damals in Jerusalem in jener Nacht das Brot und verteilte es unter alle, und so<br />

beginnt das Abendmahl bis heute. Unter Christen teilen wir das Brot, <strong>den</strong> Besitz, das Leben.<br />

Abendmahl, das Fest der Liebe<br />

Teilen gelingt nur, wenn wir einander lieben. Da<strong>zu</strong> brauchen wir Jesus in unserer Mitte, sagt der Maler mit<br />

seinem Bild. Am Abendmahl ist uns seine Gegenwart versprochen – <strong>den</strong>n damals sagte er doch bei Brot und<br />

Wein: «Das ist mein Leib, das ist mein Blut». Wenn wir Brot und Wein teilen, ist er unsichtbar da. Er hat uns alle<br />

geliebt, er war sogar bereit, sein Leben für uns <strong>zu</strong> opfern. Grössere Liebe gibt es nicht. Erinnern wir uns: sein<br />

Abendmahl war das letzte Mahl, am Tag danach starb er am Kreuz – ermordet wie ein Verbrecher.<br />

Davon re<strong>den</strong> seine Worte auch. Und was war <strong>den</strong>n sein Verbrechen? Er wollte die Welt verändern in ein Reich<br />

der Liebe, der Gerechtigkeit und der Verehrung Gottes. Das Tischtuch ist rot gemalt – das ist die Farbe des Blutes,<br />

aber auch der Liebe und des Kampfes. Dar<strong>aus</strong> soll auch unser Leben gewoben sein: <strong>aus</strong> Liebe und Kampf<br />

und <strong>dem</strong> Willen, das eigene Leben ein<strong>zu</strong>setzen.<br />

Abendmahl, die Sehnsucht nach <strong>dem</strong> Himmel<br />

Könnten wir, im Teilen und Lieben, nicht schon <strong>den</strong> Himmel auf Er<strong>den</strong> haben? Zu schön wäre es. Nein, auch<br />

Judas sitzt unter uns, leuchtend gelb, und sein Teller tanzt <strong>aus</strong> der Reihe. Bis heute wird unsere Gemeinschaft<br />

verwundet von <strong>dem</strong>, der enttäuscht ist, sich abwendet, Jesus und uns verrät.<br />

Den Himmel schon auf Er<strong>den</strong>? Greifen wir nicht <strong>zu</strong> hoch! Der Maler verweist uns unter <strong>den</strong> selbstgebauten<br />

Himmel <strong>aus</strong> Palmblättern, auf die Erde – der blaue Gotteshimmel bleibt weit und fern. Genügen muss uns die<br />

Gegenwart des unsichtbaren Jesus, das kleine weisse Licht mitten unter uns. Aber wir sind doch alle Teile des<br />

Lichts, jeder von uns mit seiner kräftigen Farbe, und bil<strong>den</strong> <strong>den</strong> Regenbogen Gottes auf dieser Welt! Genügen<br />

muss uns die Welt, die wir selber bauen können – mit der Kraft des lieben<strong>den</strong>, teilen<strong>den</strong> Gottes, der mit uns am<br />

Tische sitzt. Wir dürfen <strong>zu</strong>frie<strong>den</strong> sein: sie ist Abglanz des Gotteshimmels und leuchtet jetzt schon in allen Farben.<br />

2


Das grosse Gastmahl<br />

So hat es noch keiner gewagt, das Gleichnis vom grossen<br />

Gastmahl (Lukas 14, 16 - 24) ins sichtbare Bild um<strong>zu</strong>setzen, wie<br />

Willy Fries das hier tut. So schockierend, so anstössig, so her<strong>aus</strong>fordernd.<br />

Da ist nichts Schönes, nichts fromm Erbauliches,<br />

nichts was unseren Gefallen erregen könnte. Im Gegenteil, wir<br />

möchten protestieren und uns entsetzt abwen<strong>den</strong> von so viel<br />

Elend, Blösse, Krankheit und Hilflosigkeit, aber auch von so<br />

viel Stolz, Hochmut und Verschlossenheit, die hier auf einmal<br />

offenbart wer<strong>den</strong>.<br />

Aber dann müssen wir nachlesen, wie Jesus selber sein<br />

Gleichnis erzählt hat und müssen <strong>zu</strong>gleich wissen, für welch<br />

besonderen Raum Willy Fries seine Auslegung des Gleichnisses<br />

gemalt hat. Das Bild befindet sich jetzt im selben Raum in Berlin,<br />

in <strong>dem</strong> in <strong>den</strong> letzten Kriegsjahren jüdische Christen kurz vor<br />

ihrem Abtransport ins Konzentrationslager <strong>zu</strong>m letztenmal das<br />

Abendmahl gefeiert haben.<br />

Und jetzt lasst uns versuchen, auf die Sprache des Bildes <strong>zu</strong><br />

l<strong>aus</strong>chen. Da ist der riesige Tisch inmitten des Bildes. Es liegt<br />

Brot darauf und sind Becher bereitgestellt. Brot des Lebens wird<br />

hier gereicht und Becher wer<strong>den</strong> angeboten mit erquicken<strong>dem</strong><br />

Trank für alle Dürsten<strong>den</strong>. Es ist das grosse Gastmahl, <strong>zu</strong> <strong>dem</strong><br />

wir eingela<strong>den</strong> sind. Kommt, <strong>den</strong>n es ist alles bereit! Aber nicht<br />

die Gaben sind das Wesentliche. Er selber ist die Mitte, der im<br />

Auftrag des Gastgebers seine Gäste bewirtet. Zu ihm hin streben<br />

von unten herauf alle Linien des Bildes. Ihn meinen die<br />

<strong>aus</strong>gestreckten Hände derer, die seiner Einladung folgen. Seine<br />

gebeugte Gestalt ist ganz <strong>dem</strong> Nächsten <strong>zu</strong>gewandt, der jetzt<br />

seiner Stärkung und Hilfe bedarf. Zugleich ist sie wie der geheimnisvolle Magnet, der die Blicke und Gebär<strong>den</strong><br />

der Herbeikommen<strong>den</strong> anzieht.<br />

Aber nicht alle lassen sich rufen an seinen Tisch. Am oberen Bildrand sehen wir jene andern, die vorübergegangen<br />

sind. Man kann die Einladung überhören. Man kann sie auch bewusst <strong>aus</strong>schlagen. Im Gleichnis selber<br />

wer<strong>den</strong> triftige Gründe namhaft gemacht von <strong>den</strong>en, die nicht kommen wollen. Willy Fries malt sie von hinten.<br />

Sie haben ihre Chance verpasst. Wir übersehen nicht, dass die meisten von ihnen gut gekleidet sind. Sie haben<br />

Erfolg. Trotz<strong>dem</strong> wandern sie ziellos wie Schattengestalten <strong>dem</strong> Dunkel des Waldes entgegen. Nur das fahle<br />

Licht eines weltlichen Gestirns begleitet ihren Weg. Es sind lauter einzelne. Jeder ist sich selbst der Nächste. Jesus<br />

spricht im Gleichnis mit grossem Nachdruck vom Zorn des H<strong>aus</strong>herrn über die, die seine Einladung mit ihren<br />

durchsichtigen Ausflüchten abgelehnt haben. Aber der Gastgeber will seinen Tisch voll haben. Darum ruft er<br />

die Armen und Krüppel, die Blin<strong>den</strong> und Lahmen, die auf <strong>den</strong> Landstrassen und an <strong>den</strong> Zäunen herbei. Willy<br />

Fries sagt in einer Einführung <strong>zu</strong> diesem Bild: «Alle sind eingela<strong>den</strong>, jeder hat hier seine grosse Chance. Er hat<br />

keinen Ausweis mit<strong>zu</strong>bringen. Die Liebe des Herrn <strong>zu</strong> <strong>den</strong> Verachteten bricht auf wie ein Vulkan.» Sehen wir sie<br />

jetzt nicht mit andern Augen, wie sie herbeikommen, die einen mit eigener Kraft, andere auf Krücken oder von<br />

Brüdern gestützt. Nichts hält sie <strong>zu</strong>rück. Ein einziger Aufbruch ist es <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Dunkel ins Licht. Kranke reissen ihre<br />

Bettücher her<strong>aus</strong> und bringen sie als Unterpfänder ihrer Erlösung. Halb Verhungerte schieben sich mit letzter<br />

Kraft an <strong>den</strong> Tisch. Zum Skelett Verkümmerte, wie sie uns millionenfach bekannt sind <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Lagerbaracken<br />

und Massengräbern unserer Zeit, haben noch eine Hoffnung. Hände, Hände und wieder Hände strecken sich<br />

ihm entgegen. Es sind schwarze, weisse, braune, gelbe und rote Hände. «Hier geht es um die Welt schlechthin,<br />

um die baufällige, morbide Welt, von der nur Weinen und Schluchzen, Resignation und Todesschreie bekannt<br />

sind. Dies ist kein Tisch einer geschlossenen Gesellschaft, einer feierlich sakralen Zeremonie, einer <strong>aus</strong>gewiesenen<br />

Klasse und Rasse. Hier geht es um radikale Hilfe an die, die ihres leiblichen Hungers wegen <strong>den</strong> Hunger<br />

nach Erlösung verloren haben», sagt Willy Fries.<br />

Und nun sehen wir sie am Tisch und um <strong>den</strong> Tisch her, die grosse Bruderschaft derer, die sich von Christus<br />

rufen liessen. Es sind Menschen unserer Zeit, Frauen und Männer, Alte und Junge, Menschen jeglicher Rasse<br />

und Sprache, Arbeiter und Intellektuelle, Kranke und Gesunde. Sie sind wie verwandelt. Sie leben im Licht, das<br />

über der ganzen Tafelrunde liegt und das von ihm <strong>aus</strong>geht, der Mitte und Ziel, Anfang und Ende, Geber und<br />

Helfer, Retter und Erlöser ist. Noch ist der Zutritt offen <strong>zu</strong>m grossen Gastmahl. Wir sind erwartet. Kommt, <strong>den</strong>n<br />

es ist alles bereit!<br />

3


Das Leben<br />

Ölbild 1964 / Monumentalgemälde im Format 4 x 3 Meter / Fondation Maeght St-Paul de Vence, Frankreich<br />

Marc Chagall (1887-1985), genialer Malerpoet<br />

<strong>aus</strong> Witebsk (Weissrussland), der in Frankreich<br />

eine zweite Heimat fand, malte als 77jähriger<br />

unser Bild. Man kann es nicht mit einem Blick<br />

umfassen, sondern hat <strong>den</strong> Eindruck, einer<br />

vielgestaltigen Bildergeschichte gegenüber <strong>zu</strong><br />

stehen. Auf mich wirkt es wie die Einladung <strong>zu</strong><br />

einem Fest: Es wird gesungen, getanzt, gejubelt,<br />

gespielt und geliebt. Es könnte auch «Lobgesang<br />

auf unser Leben» oder «Mein Leben» heissen,<br />

<strong>den</strong>n dieser Gruss des alten, heiteren Mannes,<br />

der es gemalt hat, ist <strong>aus</strong> seinem ganz persönlichen<br />

Lebensweg her<strong>aus</strong> entstan<strong>den</strong>.<br />

In der rechten oberen Hälfte fällt als erstes jenes<br />

Zentrum in <strong>den</strong> Blick, welches das Ganze beherrscht:<br />

Der lebendige rote Kreis, der die Mitte<br />

eines Sternes bildet und in einen Gestirnball von<br />

run<strong>den</strong> Farbkreisen <strong>aus</strong>mündet. Unser Maler besingt hier die unablässigen und gna<strong>den</strong>haften Zuwendungen<br />

des Schöpfers <strong>zu</strong> seinen Geschöpfen.<br />

Rot, die Liebesfarbe, gelb und orange, die Farben des Lichts, des Bundes und der Freude Gottes, verstärken<br />

<strong>zu</strong>sammen mit <strong>dem</strong> Hoffnungsgrün die Symbolkraft des in unsre Welt hineinstrahlen<strong>den</strong> Gestirns. Die zwei<br />

Frauen, der geigende Mann und das gelbköpfige Tier antworten auf diese Zuwendung. Der Fisch, Chagalls<br />

Zeichen für Tiefe, Unbewusstes der Seele und Bedrohliches, erinnert daran, dass dies eine teuer erworbene<br />

Botschaft ist, alles andere als selbstverständlich.<br />

Gottes Zuwendung allein gibt unserm Leben Sinn. Diese Erfahrung spiegelt sich für mich im Farbgrund des<br />

Bildes. Der ganze Lobreigen menschlichen Lebens spielt sich auf silberweissem, hellem Grund ab, der manchmal<br />

sanft ins Bläulich-Grün hinüberspielt, aber überraschend hell vibriert. Weiss ist Zeichen für Gottes ungeschaffenes<br />

Licht. Es ist auch die Farbe der Wolke, die verhüllt und entrückt. Chagall hat Gottes Herrlichkeit immer<br />

durch eine Wolke <strong>aus</strong>gedrückt: Gott ist grösser und heiliger als alle menschlichen Ausdrucksversuche es sagen<br />

können. Weiss ist ebenso Farbe der Auferstehung und so zweites Sinnbild für das Geheimnis der Zuwendung<br />

Gottes. Chagall weist uns damit darauf hin, vor welchem letzten, tragen<strong>den</strong> Grund unser Leben geschieht:<br />

Alles ist Liebe und Gnade Gottes.<br />

Des alten Mannes Botschaft ist teuer erworben. Er hat die Höhen und Tiefen unseres Jahrhunderts durchschreiten<br />

müssen. Eine erste Lebensdarstellung schrieb er 1922 noch in Moskau, musste aber bald nach Paris<br />

fliehen. 1915 hatte er Bella Rosenfeld geheiratet. Das lebenslange Glück immer neuer Zweisamkeit, die liebende<br />

Partnerschaft als geschöpflicher Abglanz der göttlichen Liebe, ist in alle seine Bilder geflossen. Auf unserm Werk<br />

steht das Brautpaar unter <strong>dem</strong> Trauhimmel, welcher die strahlen<strong>den</strong> Farben des Gestirns übernimmt. Geiger,<br />

Sonne, Mond und eine Kuh mit Sabbatleuchter nehmen an der ungeheuren Verheissung teil, die über der<br />

Entstehung und Stiftung menschlicher Frie<strong>den</strong>szellen leuchtet. Verfolgung, Weltruhm und Flüchtlingsschicksal<br />

lagen für die Chagalls dicht beisammen. Die linke Bildhälfte spricht davon:<br />

Kleines Interieur <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Ghetto <strong>zu</strong> Witebsk: Jemand liegt im Bett. Anklang an Chagalls Geburt, bei welcher<br />

das ganze Viertel brannte. Unter der Petrollampe sitzt ein Mann, eine Frau bringt das Essen. Kurze Momente des<br />

Geborgenseins. Daneben flieht schon wieder einer in <strong>den</strong> Winter hin<strong>aus</strong>. Das Fenster an der Wand erinnert an<br />

Noah in der Arche, der die bange Frage stellt: Kommen wir da je wieder lebend her<strong>aus</strong>? Die Pendule-Uhr, das<br />

Zeichen für Zeit, liegt beim Schwanz des grossen Vogels ganz quer: Die Zeit ist <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Fugen, wenn Menschen<br />

fliehen müssen. Der blaue Vogel selber aber ist eines jener Zeichen Chagalls dafür, dass Himmel und Erde, trotz<br />

allem Schrecklichen, <strong>zu</strong>sammengehören. In seinem Innern zwitschert ein kleiner Vogel ein Hoffnungslied. Daneben<br />

rettet ein Rabbi sein Kostbarstes, die Bibelrolle, das einzige, woran er sich noch halten kann.<br />

Unten links spaltet einer Holz, um die Stube ein wenig warm <strong>zu</strong> kriegen. Erinnerung ans enge, beschei<strong>den</strong>e<br />

Leben daheim. Frauen bringen vom Markt etwas Nahrung. Ein älterer Jude in rotem Kleid schaut voller Freude<br />

jenem Jugendlichen <strong>zu</strong>, der im gelben Rund tanzt und lobt.<br />

Wiederum spielt daneben ein Geiger das nie verstummende Lied der ewig Heimatlosen. Die in die Wolke<br />

entrückten Brautleute zeigen, wo auch hier Heimat möglich wird. Neben der Tanzgruppe weist der blaue doppelgesichtige<br />

Harlekin auf Paris hin, <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Chagalls Lebensbaum neu erwachsen darf: Dank an die zweite<br />

Heimat. Die Figur trägt als Maske jenes Tiergesicht, Esel-Lamm-Ziegenbock in einem, welches Chagalls Frie<strong>den</strong>shoffnung<br />

verkörpert. Er hat sich oft als Esel, das gewaltlose Tier, gemalt, während ihm Bella über die Achsel<br />

4


guckt. Beide sind rechts <strong>zu</strong> sehen, wo der Künstler vor der Staffelei steht, Bella auf <strong>den</strong> Knien, die ihn umarmt.<br />

Er hat ihr, der schon Verewigten, zwei gelbliche Flügel gemalt. Sie, sein guter Genius, war am neuen Exilort,<br />

in New York, anno 1944 plötzlich verstorben. «Vor meinen Augen ist es dunkel gewor<strong>den</strong>», sagte er damals.<br />

Auf der Staffelei steht als Bild der Cello spielende Harlekin. Aus der Palette wächst ein Blumenstr<strong>aus</strong>s, auch dies<br />

Zeichen der Liebe. Schalkhafter Humor hat gerade bei Gottes Befreiten Raum, Seiltänzerin und drei vergnügte<br />

Burschen im Handstand zeigen es. Das grosse gelbe Instrument auf der Staffelei spielt da<strong>zu</strong> die getroste, immer<br />

neu hoffende Musik, die von der Ewigkeit her in unser Leben hineinklingt. Hoffnungszeichen auch über Bella:<br />

Blume, Vogel und Instrument deuten auf die endliche Verwandlung der irdischen Gr<strong>aus</strong>amkeiten und Rätsel<br />

in Gottes Welt hin.<br />

Und nun öffnet sich das Bild in seinem Zentrum <strong>zu</strong>r menschlichen Antwort, <strong>zu</strong>m Tanz vor Gott, auch angesichts<br />

allen Leides. Chagalls Verwandte und Bekannte kamen ja alle in <strong>den</strong> Pogromen und Gaskammern der grossen<br />

Verfolgungen um! Die Leiter des <strong>zu</strong> ihren Füssen träumen<strong>den</strong> Jakob wird vom Fisch durchkreuzt. Dennoch ist<br />

sie Zeichen dafür, dass Himmel und Erde <strong>zu</strong>sammengehören und verbun<strong>den</strong> bleiben.<br />

Als Engel-Boten tanzen fröhliche Wesen auf und um diese Himmelsleiter. Einer hat anstelle des Kopfes <strong>den</strong> Vogel,<br />

damit auf das Schwebende und Fröhliche der Liebe Gottes hinweisend. Der Nebentänzer trägt Flügel, während<br />

er <strong>den</strong> in <strong>den</strong> Armen geborgenen Vogel in Gottes Himmel fliegen lässt. Der Grüngekleidete verwechselt gar<br />

vor hüpfender Freude <strong>den</strong> Fuss mit der Hand, so stark begeistert ihn die Schalommusik.<br />

Am oberen Ende der Leiter erscheint Mose, ganz in weiss, unmittelbar <strong>aus</strong> der erschreckend-herrlichen Begegnung<br />

mit Gott kommend, die Zeichen der Zuwendung, des Bundes als zwei Tafeln in der Hand. Die Bibel<br />

erzählt, sein Gesicht habe durch diese Gottesbegegnung so hell gestrahlt, dass er inskünftig sein Antlitz verhüllen<br />

musste, wenn er unter Mitmenschen trat.<br />

Bei Chagall erfasst das Strahlende des Glaubens <strong>den</strong> ganzen Menschen. Auch unten im Mittelteil hüpfen und<br />

springen die Menschen, musizieren die Spielleute Gottes, ja fliegt einer wie im Zirkus übers Pferd, das ihm sein<br />

Schalomgesicht <strong>zu</strong>wendet. Dass es Tänzer, Sänger und Musiker sind, welche mit allen Sinnen Gott auf seinen<br />

Liebesruf antworten, ist nicht <strong>zu</strong>fällig bei Marc Chagall, der als Kind davon träumte, Sänger, Tänzer oder Dichter<br />

<strong>zu</strong> wer<strong>den</strong> und <strong>zu</strong>m Maler ward, dessen Farben singen und loben.<br />

Wie sagt er selber: «Türen öffnen, das ist gut – was versuche ich anderes?» Eine Türe öffnen <strong>den</strong>en, die das Leben<br />

suchen wie Ertrinkende. Das rot gemalte Boot neben Mose, Erinnerung an die «Exodus», die im Mittelmeer<br />

kreuzen muss, bis sie endlich mit ihren jüdischen Flüchtlingen lan<strong>den</strong> konnte, ist dafür Zeichen, dass Chagall<br />

wirklich mit brennen<strong>dem</strong> Herzen Zeichen der Errettung für unsere Welt erbittet. Sein Bild kann uns in unserm<br />

eigenen Leben auf die stärkste und letzte Hoffnung hinweisen, auf <strong>den</strong> Sinn<strong>zu</strong>sammenhang allen Lebens im<br />

Schalom Gottes, der im Kommen ist.<br />

Dein Angesicht suche ich<br />

Gruppencollage von Schülern des Gymnasiums in Péronne, Frankreich, ungefähr 1980.<br />

Eines Tages rief Jesus ein Kind <strong>zu</strong> sich, stellte es mitten unter die Jünger<br />

und sagte <strong>zu</strong> ihnen: Wer ein solches Kind aufnimmt in meinem<br />

Namen, der nimmt mich auf (Matthäus 18,1-5).<br />

Geheimnisvolle I<strong>den</strong>tifikation… Jesus ist also durch die kleinsten und<br />

unscheinbarsten menschlichen Wesen unter uns gegenwärtig. Haben<br />

Sie das gewusst? Man kann es nämlich nur mit <strong>den</strong> Augen des Glaubens<br />

erkennen, und Jesus hat es so gewollt. Dies lässt Jesus in seiner<br />

grossartigen Darstellung des jüngsten Gerichtes (Matthäus 25, 3146)<br />

besonders deutlich wer<strong>den</strong>. Am eindrucksvollsten in dieser Geschichte<br />

ist das grosse Erstaunen auf allen Seiten, bei <strong>den</strong> Auserwählten wie<br />

bei <strong>den</strong> Verdammten, als der Menschensohn <strong>zu</strong> ihnen sagt: Ich bin<br />

durstig und hungrig gewesen, bin ein Fremder und nackt gewesen,<br />

war krank und im Gefängnis, und ihr habt mir nicht geholfen.<br />

Aber wann ist das geschehen? protestieren seine Zuhörer. Die Antwort<br />

kommt ohne Zögern und souverän: Wahrlich, ich sage euch:<br />

Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr<br />

mir auch nicht getan. Jesus ist somit gegenwärtig, je<strong>den</strong> Tag, mitten<br />

unter uns, im Antlitz der Kleinsten, der Ausländer, der Kranken, der<br />

von der Gesellschaft Ausgeschlossenen. Es kommt nur darauf an, ihn<br />

<strong>zu</strong> erkennen und sich diesen gegenüber so <strong>zu</strong> verhalten, als wären<br />

5


sie Jesus selbst… unerkannte Gegenwart Christi in <strong>den</strong> Gesichtern, <strong>den</strong>en wir täglich auf der Strasse begegnen.<br />

Eigentlich sollte uns nichts mehr davon abhalten können, stets in besonderer Weise auf die Kleinen, die Ausländer,<br />

die Kranken und die Aussenseiter acht<strong>zu</strong>haben. Aber warum hat Jesus gerade sie <strong>aus</strong>erwählt?<br />

Jesus hätte seine Grösse als Sohn Gottes geltend machen können, um in der Welt <strong>zu</strong> herrschen. Aber er selbst<br />

hat einen anderen Weg gewählt: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich <strong>zu</strong><br />

sein, sondern entäusserte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward <strong>den</strong> Menschen gleich und der Erscheinung<br />

nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis <strong>zu</strong>m Tode, ja <strong>zu</strong>m Tode am<br />

Kreuz (Philipper 2, 6-8). Wir wissen, dass durch seinen Tod allen Menschen, die an ihn glauben, neues Leben<br />

geschenkt wird.<br />

Um die geheimnisvolle Gegenwart des gekreuzigten Christus mitten unter uns <strong>zu</strong>m Ausdruck <strong>zu</strong> bringen, haben<br />

die Schüler eines französischen Gymnasiums (in Péronne) diese grosse Poster-Collage mit <strong>dem</strong> Titel «Dein Angesicht<br />

suche ich» angefertigt. Bei näherem Betrachten entdeckt man eine Vielzahl von Gesichtern; Menschen,<br />

die sich durch ihr Alter, Geschlecht, ihre Rasse und ihre Hintergründe unterschei<strong>den</strong>. Wenn man jedoch das<br />

Ganze von weitem betrachtet, kann man die Züge des Antlitzes Jesu erkennen, der eine Dornenkrone trägt.<br />

Durchscheinend erkennen wir in diesem Gesichtergefüge, einer Darstellung besonderer menschlicher Verbun<strong>den</strong>heit,<br />

das Angesicht des Gekreuzigten. Jeder einzelne möge nun für sich das Geheimnis dieser Gegenwart<br />

in diesem Bilde entdecken.<br />

Es sind jedoch alle Gesichter erforderlich – bekannte und unbekannte, jedes einzelne wird gebraucht! –, damit<br />

der lebendige Christus mitten unter uns erscheinen kann, über alle Grenzen, Schranken und Unterschiede<br />

hinweg: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; <strong>den</strong>n<br />

ihr seid allesamt einer in Christus Jesus (Galater 3, 28).<br />

Hier ist eine Porträtgalerie von Menschen, <strong>den</strong>en Jesus begegnet ist (Menschen aller Art, mit ihren Zweifeln<br />

und/oder ihrer Begeisterung, ihrer Zustimmung oder ihrem Widerspruch). Jesus bleibt offen, er schreckt nicht<br />

vor <strong>dem</strong> Kontakt mit <strong>den</strong> unterschiedlichsten Menschen <strong>zu</strong>rück:<br />

Maria, Lukas 1, 38 / Simeon, Lukas 2, 29 / Die Einwohner von Nazareth, Lukas 4, 28-29 / Die Menschenmenge,<br />

Lukas 5, 26 / Martha und Maria, Lukas 10, 41/ Die verkrümmte Frau, Lukas 13,13 / Der <strong>aus</strong>sätzige Samariter,<br />

Lukas 17,16 / Der reiche Mann, Lukas 18, 21 und 23 / Menschen mit schlechtem Leben, Lukas 5, 32 Der römische<br />

Hauptmann, Lukas 7, 9 / Die Pharisäer, Lukas 5, 21; 7, 39 / Die Frau mit <strong>dem</strong> Parfüm, Lukas 7, 47 /<br />

Die Ausländerin, Markus 7, 28 / Die Jüngerinnen, Lukas 8,1-3 / Die Angst der Jünger, Lukas 8, 25 / Herodes,<br />

Lukas 9, 9 und Matthäus 2,16 / Der ungläubige Thomas, Johannes 20, 29 / Die Kinder, Lukas 18,16 / Zächäus,<br />

Lukas 19, 6 / Judas, Lukas 22, 4 / Petrus verleugnet, Lukas 22, 60-62 / Pilatus, Lukas 23, 24-25 / Der römische<br />

Hauptmann, Lukas 23, 47 / Die Frauen am Grab, Lukas 24, 9 / Die Emm<strong>aus</strong>jünger, Lukas 24, 32 / Die feindlich<br />

gesinnten Menschen, Lukas 9, 53<br />

Der Baum<br />

«Aus einem jahrhundertealten Baum, <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> alten Stamme Isais, spriesst im strengen Winter ein neuer Zweig hervor.»<br />

Hinter der Aussage dieses alten französischen Weihnachtsliedes<br />

steht eine Kraft, die Jahrhunderte überdauert hat: Aus einem alten,<br />

abgestorbenen Baumstamm, der vor sich hin modert, aber auch <strong>aus</strong><br />

einem Menschengeschlecht, für das keine Hoffnung mehr besteht,<br />

kann Gott neues Leben entstehen lassen! Dem Kirchenlied <strong>aus</strong> <strong>dem</strong><br />

16. Jahrhundert liegt die Prophezeiung Jesajas <strong>zu</strong>grunde: «Und<br />

es wird ein Reis hervorgehen <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Stamm Isais (Vater Davids)<br />

und ein Zweig <strong>aus</strong> seiner Wurzel Frucht bringen» (Jesaja 11,1).<br />

Unter prophetischer Eingebung verkündet Jesaja das Kommen des<br />

Messias und die neuen Zeiten, die mit ihm anbrechen wer<strong>den</strong>. Er<br />

fährt fort: «Da wer<strong>den</strong> die Wölfe bei <strong>den</strong> Lämmern wohnen und<br />

die Panther bei <strong>den</strong> Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber<br />

und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben» (Jes. 11, 6).<br />

Ja, Gott wird einen neuen David hervorrufen! Die ersten Christen<br />

haben sich nicht geirrt: Sie haben in Jesus <strong>den</strong> Messias erkannt, <strong>den</strong><br />

neuen David, der von <strong>den</strong> Propheten angekündigt wor<strong>den</strong> war, <strong>den</strong><br />

Friedefürst. Beim Ein<strong>zu</strong>g nach Jerusalem am Palmsonntag jubelte<br />

ihm die Menge <strong>zu</strong>: «Hosianna <strong>dem</strong> Sohn Davids!» (Matth. 21, 9).<br />

Tod und Leben — Tod und Auferstehung: die ungeheure Verhei-<br />

6


ssung, die am Ostermorgen <strong>zu</strong>r Erfüllung gelangt, eröffnet der ganzen Menschheit einen neuen Weg der<br />

Hoffnung. Aus Dingen und Umstän<strong>den</strong>, die bereits ersterben und der Zerstörung anheim gefallen sind und an<br />

<strong>den</strong>en der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen hat, lässt Gott eine völlig neue Hoffnung hervorsprudeln:<br />

«Christus ist auferstan<strong>den</strong>! Er ist wahrhaftig auferstan<strong>den</strong>!»<br />

Mitten <strong>aus</strong> einem zerklüfteten Stumpf, der <strong>zu</strong> nichts mehr nütze ist, wächst ein junger, kräftiger Baum. Handelt<br />

es sich hier nicht um ein gerade<strong>zu</strong> einzigartiges Abbild der Auferstehung, die <strong>zu</strong>allererst Jesus <strong>zu</strong>teil gewor<strong>den</strong><br />

ist? Sehen wir hier nicht die Verheissung erfüllt, dass Gott <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Alten Neues aufwachsen lassen kann? Das<br />

Bild des «neuen Zweiges» bildet <strong>den</strong> Kern der gesamten biblischen Hoffnungsbotschaft. Die ersten Christen<br />

behielten das Alte Testament als heilige Schrift bei, weil es die Geschichte der Stammväter enthält – <strong>den</strong> Mutterbo<strong>den</strong>,<br />

in <strong>dem</strong> der Zweig des neuen Lebens in Christus verwurzelt ist.<br />

Das Bild des Baumes spielt in der ganzen Bibel eine wichtige Rolle. Bei der Schöpfung setzte Gott <strong>den</strong> Mann<br />

und die Frau in einen Garten, in <strong>dem</strong> er Bäume mit verschie<strong>den</strong>en Früchten gepflanzt hatte (1. Mose 1 und 2),<br />

und vor <strong>dem</strong> Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen wird <strong>dem</strong> Menschen klar, wie er vor Gott dasteht (1.<br />

Mose 3, 1-7). Auch die Propheten nehmen das Bild des Baumes <strong>zu</strong>r Hilfe, um die Gläubigen auf<strong>zu</strong>fordern, sich<br />

von Gott die Kraft schenken <strong>zu</strong> lassen, die sie <strong>zu</strong>m Wachstum benötigen (Hes. 17, 24; Jer.17, 7-8). Hiob drückt<br />

es mit folgen<strong>den</strong> Worten <strong>aus</strong>: «Denn ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann wieder<br />

<strong>aus</strong>schlagen, und seine Schösslinge bleiben nicht <strong>aus</strong>. Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im<br />

Bo<strong>den</strong> erstirbt, so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige wie eine junge Pflanze»<br />

(Hiob 14, 7-9). Und schliesslich begegnet uns der Baum des Lebens im neuen Jerusalem (Offb. 22, 2), der das<br />

ganze Jahr über Früchte trägt; Gottes Verheissung, uns am Ende der Zeiten neues Leben <strong>zu</strong> schenken, erscheint<br />

hier in einer neuen, umfassen<strong>den</strong> Dimension.<br />

Das Bild des Baumes ist der Natur entnommen und von daher für jedermann verständlich. Es hilft uns, unsere<br />

Resignation angesichts des Todes und des Bösen, von <strong>dem</strong> die Welt durchdrungen ist, hinter uns <strong>zu</strong> lassen,<br />

verhärtete Fronten im Generationenkonflikt <strong>zu</strong> überwin<strong>den</strong> und uns <strong>zu</strong> öffnen für eine Zukunft, in der Gott<br />

Überraschungen für uns bereithält… neues Leben!<br />

«Aus <strong>dem</strong> alten Stamme Isais… spriesst ein neuer Zweig hervor.»<br />

Der Sämann<br />

Erste Eindrücke<br />

Die ungeheuer intensiven Farben sind wohl das Erste, was<br />

einem Betrachter dieses Gemäldes auffällt. Mit schwarzer<br />

Farbe eingefasste Konturen teilen das Bild klar und grosszügig<br />

in einfache Flächen ein. Dann sind es aber wahrscheinlich<br />

drei Dinge, welche wie lebendige Wesen <strong>den</strong><br />

Beschauer packen: Die Sonne, der Sämann und der Baum.<br />

Die gelbe, untergehende Herbstsonne überstrahlt <strong>den</strong> ganzen<br />

Himmel, der ihre Farbe annimmt. Der erdverbun<strong>den</strong>e<br />

Mensch ist ganz <strong>dem</strong> Säen hingegeben. Dunkel hebt er sich<br />

im Gegenlicht vom Hintergrund ab und lässt die Saatkörner<br />

auf Hoffnung hin in die brachliegen<strong>den</strong> Ackerfurchen fallen.<br />

Noch dunkler steht der Baum da. Der immerwährende Wind<br />

des südlichen Frankreich, der Mistral hat ihn im Laufe seines<br />

Lebens gebeugt. Ein Ast wurde abgesägt, ein paar welke<br />

Herbstblätter sind noch da. Kahle junge Triebe reckt er in<br />

die klare Luft, in allem Gebeugtsein ungebrochen <strong>dem</strong> Licht entgegenwachsend.<br />

Am fernen Horizont verschmelzen Himmel und Erde. Ein Bild voller Gegensätze (helldunkel/gelber Himmel<br />

— blaue Erde) und <strong>den</strong>noch in starker Intensität von einer Vision <strong>zu</strong>sammengehalten, die mächtig auf uns<br />

eindringt.<br />

Der Künstler<br />

«Wenn man getreulich fortfährt, lieb <strong>zu</strong> haben was wahrlich der Liebe würdig ist, und wenn man seine Liebe<br />

nicht verschwendet an unbedeutende, nichtige und feigherzige Dinge, dann wird man nach und nach stets<br />

mehr Liebe empfangen und stärker wer<strong>den</strong>.» (Brief des Fünfundzwanzigjährigen an seinen Bruder Theo, 3.<br />

April 1878) — «Du weisst wohl, dass eine der Wurzeln oder Grundwahrheiten nicht allein des Evangeliums,<br />

sondern sogar der ganzen Bibel dies ist: Licht, welches in der Finsternis aufgeht. Durch Finsternis <strong>zu</strong>m Licht.»<br />

(Brief an Theo vom 15. November 1878.)<br />

Die brennende Liebe <strong>zu</strong> allen Mitgeschöpfen und die verzehrende Suche nach <strong>dem</strong> stärksten und höchsten<br />

7


Licht haben <strong>den</strong> Holländer Vincent van Gogh <strong>zu</strong> jenem eminent menschlichen Maler gemacht, dessen tragisches<br />

Leben bis heute überstrahlt bleibt von <strong>den</strong> überströmen<strong>den</strong> Kräften seines warmen Herzens. Und dass<br />

er diesem Leben solche Kräfte abgerungen hat, wie seine Bilder sie verströmen, das wird besonders in Zeiten<br />

grosser Erschütterungen und Unsicherheiten gerade auch junge Menschen immer wieder die innerste Pulsader<br />

seines und ihres Suchens fin<strong>den</strong> lassen, auch hundert Jahre darnach.<br />

Die bei<strong>den</strong> Briefzitate stammen <strong>aus</strong> einer Zeit, da der einsame und verschlossene junge Vincent mit der ihm<br />

eigenen Radikalität als freier Prediger unter belgischen Grubenarbeitern lebt, bis <strong>zu</strong>r Erschöpfung Kranke pflegt<br />

und ein Leben in äusserster Solidarität mit <strong>den</strong> Armen und Entrechteten seiner Zeit führt. Er wird weitere zehn<br />

Jahre verzweifelt und gequält seine wirkliche Berufung suchen, um erst im Jahre, da er unser Bild malt (1888),<br />

<strong>zu</strong> <strong>dem</strong> <strong>zu</strong> fin<strong>den</strong>, was sein Lebensauftrag war: Mit einsamem Herzen lei<strong>den</strong> und endlich durch die Malerei das<br />

Licht selber <strong>zu</strong> fin<strong>den</strong>.<br />

Mit ungeheurer Passion geht er seinen Weg, ein anderer Rembrandt, und bezahlt in der Verströmung aller<br />

Kräfte jene tiefe Wahrheit mit <strong>dem</strong> eigenen Leben: «… durch Finsternis <strong>zu</strong>m Licht.» Erst im Todesjahr gelang<br />

es seinem Bruder erstmals, ein Bild (Rote Reben) für Fr. 400.-– <strong>zu</strong> verkaufen, im selben Zeitraum er folgt eine<br />

erste Würdigung seines Werks. Bis dahin aber hatte er zeitlebens kein Werk verkauft noch irgendwelche Anerkennung<br />

gefun<strong>den</strong>, sondern war als einsamer Sonderling, <strong>zu</strong>letzt in der Nervenklinik, und an sich zweifelnder<br />

Autodidakt seinen Kreuzweg gegangen.<br />

Das Bild<br />

Nach einem für van Gogh reichen Sommer und Herbst in Arles, in welchem er die Ernte seines Lebens eingebracht<br />

hat, malt er <strong>den</strong> Sämann. Zwischen Erde und Himmel schreitet die Gestalt übers Feld, ein Symbol für<br />

<strong>den</strong> Künstler selber, ja für <strong>den</strong> Menschen überhaupt. Direkt hinter seinem Haupt leuchtet die untergehende<br />

Sonne. Sie adelt seine einfache, geduldige, ja mühsame Arbeit und ihn selber. Van Gogh hat <strong>zu</strong> mehreren<br />

Malen seine Liebe <strong>zu</strong>m Gelb <strong>aus</strong>gesprochen, das für ihn <strong>zu</strong>m Symbol des Glaubens und des Sieges wird. In<br />

unserer Fassung des Bildes, es gibt mehr als eine, hat der schwerblütige nordische Maler die Sonne besonders<br />

intensiv gemalt: «Ich wollte das innere Feuer eines Menschen durch die Leuchtkraft der untergehen<strong>den</strong> Sonne<br />

<strong>aus</strong>drücken.» Er dringt damit von der Oberfläche in die Tiefe, ins Wesen der Dinge und verströmt sich selber<br />

auf der dringen<strong>den</strong> Suche nach <strong>dem</strong>, was unsere Welt <strong>zu</strong>sammenhält. Der knorrige dunkle Baum, seit alters<br />

Symbol für <strong>den</strong> Menschen, gibt <strong>den</strong> Durchblick in die durchglühte Landschaft frei, eine Vision, ein inneres Bild<br />

voller Wärme und Licht. Allerdings, diese Botschaft wurde vom Maler wahrhaftig unter Lei<strong>den</strong> erkämpft. Auf<br />

die Frage nämlich, welche Bedeutung <strong>den</strong> schwarzen Konturen <strong>zu</strong>komme, hat er geantwortet, dass dahinter<br />

ein Gefühl von Angst verborgen sei.<br />

Es ist ein tief religiöses Bild, das uns van Gogh mit <strong>dem</strong> «Sämann» geschenkt hat. Er steht damit in der Nachfolge<br />

eines anderen Kreuzträgers, der selber als Sämann gelebt und gewirkt hat. Ich meine Jesus von Nazareth, dessen<br />

Geschichte vom spen<strong>den</strong> Bauern (Matthäusevangelium Kapitel 13, Vers I ff.) <strong>zu</strong>m Gleichnis seines ganzen<br />

Tuns gewor<strong>den</strong> ist: Trotz Dornen und Disteln, trotz steinigem Bo<strong>den</strong>, trotz Not und Schrecken wächst Frucht.<br />

Es kann wohl sein, dass Bild und Gleichnis einen Menschen auch heute begleiten, durch alles hindurch: Saat<br />

auf Hoffnung, <strong>dem</strong> Licht entgegen.<br />

Der Weinstock<br />

Was ich sehe:<br />

An einer Steinhalde wächst eine Rebe. Ich staune darüber, was für<br />

eine Kraft in dieser Pflanze steckt. Aus <strong>dem</strong> <strong>zu</strong>rückgeschnittenen<br />

Holz treiben die hellgrünen Schosse. Die sonnenbeschienenen<br />

Blätter streben <strong>dem</strong> Licht <strong>zu</strong>. Die oberste Knospe entfaltet sich wie<br />

ein frisch geschlüpfter Schmetterling. Der Hintergrund lässt mich<br />

an <strong>den</strong> Erdbo<strong>den</strong> <strong>den</strong>ken, welcher <strong>dem</strong> Wurzelstock Nahrung und<br />

Halt gibt. Ich blicke lange ins dunkle Blaugrün, vor welchem sich<br />

die gelbroten jungen Triebe und Blätter abheben.<br />

Was ich empfinde:<br />

Welch ein Wunder des Wachsens. Jeder Frühling bringt es von<br />

neuem. Welche Kraft des Lebens. Ein lichtes Symbol für Hoffnung<br />

und Entfaltung, für Lebensentwurf und Neubeginn. Vor ein paar<br />

Jahren habe ich an unsere H<strong>aus</strong>mauer eine Rebe gesetzt. Ich<br />

war erstaunt, wie kräftig sie emporwuchs. Wie schnell war sie <strong>zu</strong>r<br />

8


mächtigen Ranke gewor<strong>den</strong>. Ich hatte nichts getan <strong>aus</strong>ser sie ein<strong>zu</strong>pflanzen. Heute ist der Wurzelstock dick und<br />

verzweigt sich, in mehreren Girlan<strong>den</strong> bis weit hinauf. Das Zurückschnei<strong>den</strong> regt sein Wachstum offenbar nur<br />

noch mehr an. Es ist jedesmal ein Fest, wenn im Frühling die Knospen springen, wenn Ranken und Blüten treiben<br />

und die Bienen darin summen. Im Herbst aber ernte ich sorgfältig und glücklich die grossen süssen Trauben.<br />

Woran mich das Bild erinnert:<br />

Die farbige Photographie erinnert mich an das tiefste Geheimnis und Wunder meines eigenen Lebens. Ein<br />

Bibelwort taucht vor mir auf. Im Johannes-Evangelium, Kapitel 15, Vers 5. Es ist für mich eines der herrlichsten<br />

Worte überhaupt. Jesus selber sagt dort: «Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich<br />

in ihm, der bringt viel Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts tun.»<br />

Andere Überset<strong>zu</strong>ngen lassen dieses Wort noch näher an unser Bild heranrücken: «Wer an mir bleibt und in<br />

wem ich wirke, der bringt reiche Frucht. Ohne mich aber bleibt ihr unfruchtbar.» (J. Zink) –«Wer mit mir fest<br />

verbun<strong>den</strong> bleibt, der bringt reiche Frucht. Löst ihr euch aber von mir, so vermögt ihr nichts.» (F. Pfäfflin). Die<br />

Schosse hängen ganz und gar vom Rebstock ab. Sie sind aufs Innigste mit ihm verbun<strong>den</strong>. Aus ihm strömt ihnen<br />

der Lebenssaft <strong>zu</strong>. Diese Lebensbeziehung in der Natur wird von Jesus übertragen ins Leben der Christuszeugen.<br />

Hierin steckt, so will mich dünken, ungemein viel an Hilfe für uns heutige Menschen. Gemeinschaft mit Christus<br />

als Lebensinhalt, als Schutzkreis und Kraftquelle kann kaum intensiver beschrieben wer<strong>den</strong> als in dieser königlichen<br />

Verheissung. Immer von neuem packt mich die Stärke dieses Bildes: Christus der Weinstock, wir die Schosse.<br />

Unwillkürlich erinnere ich mich ans Abendmahl. Beim Brotbrechen und Trinken geht Jesu Wort in Erfüllung.<br />

Dort geschieht es, dass Nahrung vom Weinstock <strong>zu</strong>r Rebe kommt. Nach<strong>den</strong>klich sinne ich darüber nach. Der<br />

Zweck der Schosse besteht ja darin, Frucht <strong>zu</strong> tragen. Im Gebet, im Gespräch mit Jesus wird mir jene Verbindung<br />

<strong>zu</strong>teil, kommt jene Kraft in mein Leben, die <strong>zu</strong> Früchten führt. An mir ist es, seinem Wirken mich dar<strong>zu</strong>halten.<br />

Wie ich damit lebe:<br />

Während längerer Zeit hänge ich das Farbposter an eine Wand in meinem Zimmer. Mein Blick fällt oft darauf.<br />

Täglich bleibe ich kürzer oder länger davor. Ich betrachte still und gesammelt die Pflanze und <strong>den</strong> Grund. Dabei<br />

sage ich in mir drin das Wort Jesu vom Weinstock. Ich schliesse die Augen und lasse Bild und Text auf mich<br />

wirken. Nach einiger Zeit (Tage, Wochen, Monate) spüre ich, wie beides in mich hinein<strong>zu</strong>gehen beginnt. Ich<br />

trage etwas davon in mir. Immer neue Schichten öffnen sich. Später lese ich in meiner Bibel das ganze Kapitel<br />

Johannes 15. Ich notiere auf einem Blatt Papier meine auftauchen<strong>den</strong> Gedanken.<br />

Während meiner Arbeit, unterwegs auf der Strasse, mitten in Lärm und Betrieb kann es sein, dass ich mich<br />

an jene Ecke <strong>zu</strong>h<strong>aus</strong>e erinnere, wo der «Weinstock» hängt und auf mich wartet. Ich spüre ein Geborgensein<br />

und das Wachsen einer tiefen Wahrheit. Schritt um Schritt, wie das Wachsen einer Pflanze, entfaltet es sich in<br />

mir drin: «Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.» Ich beginne, damit <strong>zu</strong> leben.<br />

Die Brücke<br />

Kontraste an der Melezza im Tessin. Gegensätze zwischen starken<br />

Felsblöcken und hervorsprudeln<strong>dem</strong> Wasser, leblosem Gestein und<br />

der sich stets verändern<strong>den</strong> Pflanzenwelt, hellem Sonnenlicht und<br />

Halbschatten, tiefem Abgrund und verbin<strong>den</strong><strong>dem</strong> Brückenschlag.<br />

Gleichzeitig heftig sanft, zerbrechlich und massiv, wirken die zarten<br />

Silhouetten der Frühlingsblätter <strong>zu</strong>r Rauheit der Felsen.<br />

Ein anschauliches Bild für biblische Aussagen! Zuerst der Fels, als<br />

Symbol von Stabilität im Gegensatz <strong>zu</strong>r Hektik des Lebens. Gott<br />

ist der Fels, so singen die Psalmdichter, und seine Treue hört nie<br />

auf. Weiter erinnert mich der Fels an das Wasser, das in die Wüste<br />

sprudelte nach<strong>dem</strong> Mose auf <strong>den</strong> Fels geschlagen hatte (2. Mose<br />

17, 6). Dieser Fels war Christus, interpretierte Paulus diese Szene<br />

(1. Korinther 10, 4.5). Gott ist nicht nur ein solides Fundament, er<br />

ist auch Geist, der in unseren Herzen eine lebendige Quelle sein<br />

möchte.<br />

Zuletzt bleiben meine Augen an der Brücke haften. Die einzige<br />

Zeugin menschlicher Entwicklung und Technik. Auf der rechten<br />

Seite leicht abwärts neigend, verliert sie sich ins Unsichtbare. Ob<br />

sie noch tragfähig ist? Zerbrechlich hängt sie in der Schlucht. Und<br />

doch erleichtert sie es <strong>den</strong> Menschen, <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>kommen und<br />

sich <strong>zu</strong> begegnen. Sie erinnert uns an die höchste Berufung des<br />

Menschen, in Gemeinschaft, Harmonie und in Frie<strong>den</strong> mit <strong>dem</strong><br />

Schöpfer und mit <strong>den</strong> Mitmenschen <strong>zu</strong> leben.<br />

9


Die Quelle<br />

Dornenkrone<br />

Welche Ruhe und welchen Frie<strong>den</strong> strahlt dieses Bild des biblischen<br />

Landes <strong>aus</strong>! Die Quelle des lebendigen Wassers, die mitten<br />

in der Wüste entspringt… In Palästina ist der Sommer in der Regel<br />

so trocken, dass die meisten Wasserläufe Ende Frühjahr nach der<br />

Regensaison versiegen. Wo kein Wasser ist, ist kein Leben, da ist der<br />

Tod. Das Überleben der Völker, die nacheinander <strong>den</strong> Mittleren<br />

Orient bewohnt haben, war immer von der Wasserversorgung<br />

abhängig. Das ist der Grund, weshalb das Wasser, und ganz besonders<br />

fliessendes, lebendiges Wasser, in zahlreichen biblischen<br />

Geschichten eine wichtige Rolle spielt. Der gute Hirte ist derjenige,<br />

der seine Herde an <strong>den</strong> Punkt führt, wo er sie im Überfluss tränken<br />

kann. An Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen zwischen Hirten, die um das<br />

lebensnotwendige Wasser ihrer Her<strong>den</strong> kämpften, fehlt es im<br />

Alten Testament nicht.<br />

Das Wasser ist auch Symbol eines Lebens, das irdische Realitäten<br />

übersteigt. Die Taufe von Johannes im Fluss Jordan öffnet <strong>den</strong>en,<br />

die im Namen ihres Lehrers <strong>zu</strong> Jüngern Jesu Christi gemacht<br />

wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Heilsweg und das ewige Leben. Er ist es, der vor<br />

<strong>dem</strong> Jakobsbrunnen in Sychar einer Samariterin geantwortet hat:<br />

«Jeder, der dieses Wasser trinkt, wird bald wieder durstig sein. Wer<br />

aber von <strong>dem</strong> Wasser trinkt, das ich ihm gebe, der wird nie wieder<br />

Durst bekommen. Dieses Wasser wird in ihm <strong>zu</strong> einer Quelle, die<br />

bis ins ewige Leben hinein fliesst.» Joh. 4.13-14).<br />

Bei der Betrachtung dieses Bildes des 1911 in Saint Quén<br />

(Frankreich) geborenen Alfred Manessier kann man mit<br />

Freu<strong>den</strong> wieder einmal lernen, dass weder zwischen Wort<br />

und Bild noch zwischen «gegenständlicher» und «abstrakter»<br />

Malerei ein Gegensatz besteht. Die «ungewöhnliche farbige<br />

Sensibilität», welche Knaurs Lexikon moderner Kunst unserem<br />

Franzosen attestiert, kommt in der «Couronne d’épines» (Dornenkrone)<br />

ganz besonders <strong>zu</strong>m Ausdruck. Das Originalgemälde<br />

hat die Masse 57,5x47,5 cm. Wer es betrachtet, möge<br />

<strong>zu</strong>nächst diese Masse an irgendeiner Wand nachmessen und<br />

sich das Bild im Geiste in der Originalgrösse vorstellen. Dann<br />

wird er noch eher geneigt sein, sich von der Intensität seiner<br />

Aussage packen <strong>zu</strong> lassen.<br />

Wie jedes Bild, so will auch dieses erlebt sein; ja es möchte,<br />

dass man mit ihm lebt. Gute Bilder können einem ein Leben<br />

lang etwas sagen, und jedesmal ergibt das Gespräch mit<br />

ihnen etwas Neues, Tieferes, eine Erfahrung, ein Geschenk<br />

mehr. So setze sich der junge oder ältere Betrachter der Wirkung<br />

dieses vor zwanzig fahren entstan<strong>den</strong>en Gemäldes mit<br />

Freu<strong>den</strong> <strong>aus</strong>. Ich schlage folgendes Vorgehen vor:<br />

Man versuche Manessiers Ölbild <strong>zu</strong>nächst in zwei Ebenen<br />

<strong>zu</strong> sehen. Da ist einmal der dunkle, schwärzliche Raster im<br />

Vordergrund, durch welchen wir, wie bei einer Glasscheibe, in die Farben im Hintergrund blicken. Und da sind<br />

diese Farben selber. Während unser Auge <strong>den</strong> Raster fixieren will, schieben sich die Farben immer mehr durch<br />

diesen hindurch: Rot dominiert, Blau, Violett, Grün sind spärlich dazwischen gestreut.<br />

Wieder versuchen wir <strong>den</strong> dunklen Raster figürlich <strong>zu</strong> erforschen, und jetzt entdecken wir <strong>den</strong> Kreis, die «Couronne»,<br />

die Krone, <strong>den</strong> Kranz in der Mitte. Ganz deutlich fallen uns die Dornen auf. Eine im Original überdimensioniert<br />

grosse Dornenkrone. Merkwürdig unbestimmte schwarze Zeichen umgeben sie rundum, irgendwie<br />

beginnt die Krone diese Zeichen in ihren Kreis herein<strong>zu</strong>nehmen, hinein<strong>zu</strong>ziehen ins Rund.<br />

10


Hier ist vielleicht der Moment, wo man <strong>den</strong> Bibeltext <strong>zu</strong>r Stelle (Matthäus 27, 27 bis 30) nachliest («Sie flochten<br />

einen Kranz <strong>aus</strong> Dornengestrüpp») oder <strong>den</strong> Psalm 22 in der Nachdichtung Ernesto Car<strong>den</strong>als (<strong>aus</strong>: «Zerschneide<br />

<strong>den</strong> Stacheldraht», Lateinamerikanische Psalmen). Oder man kann still und gesammelt die Plattenseite<br />

«Zuschauer am Kreuzweg» <strong>aus</strong> der Hörfolge-Trilogie der Credo-Schallplatten <strong>zu</strong> Passion und Ostern anhören.<br />

Je<strong>den</strong>falls beginnt die dunkle Krone vor <strong>den</strong> roten Farben, die wie pulsierendes Blut durch sie hindurch <strong>zu</strong><br />

leuchten scheinen, <strong>zu</strong> uns <strong>zu</strong> re<strong>den</strong>: Das Bild überlässt es <strong>dem</strong> Beschauer, wie weit er hineindringen will. Ob er<br />

durch diesen Raster, die Dornenkrone hindurch in sein, ins menschliche Leben sehen kann? Ob er <strong>den</strong> üblen<br />

Soldatenscherz, der <strong>zu</strong>m dorngekrönten Haupt Christi geführt hat, <strong>zu</strong>m Anlass nimmt, tiefer über diese Symbolik<br />

nach<strong>zu</strong><strong>den</strong>ken: Ein blutendes Antlitz, der geschun<strong>den</strong>e Nazarener wird durchscheinend für das Osterlicht<br />

Gottes, für die heimliche, aber mächtige Umwäl<strong>zu</strong>ng, die hier geschieht?<br />

Manessier je<strong>den</strong>falls ist überzeugt, dass diese Krone Eingangstor ins Licht, in die Macht Gottes ist. Auf solchem<br />

Grund liegt der Dornenkranz: auf <strong>dem</strong> roten Grund der hoffnungsvollen Zuwendung Gottes. Der Maler sagt es<br />

mit Behntsamkeit, der Betrachter lasse sich führen, vielleicht sieht er plötzlich das Gesicht vor sich, welches die<br />

Krone trägt. Dann lese er die Novelle «Heute noch» von Manfred H<strong>aus</strong>mann, wo es <strong>dem</strong> 24jährigen Matrosen<br />

Norre Schmitt in seiner letzten Lebensstunde, da er am dahinjagen<strong>den</strong> Schnell<strong>zu</strong>g hängt und erfriert, ebenso<br />

ergeht: «Ist <strong>den</strong>n alles ganz anders? Hängt <strong>den</strong>n noch einer mit mir am Zuge?»<br />

Das Bild Manessiers kann warten, bis wir es wieder und wieder ansehen, ja mit ihm leben. Es will Hinweis sein<br />

auf die in Christus geschehene Umkehrung aller Dinge. Ich wünsche ihm viele wache, bereite, stille, intensive<br />

Betrachter, vielleicht auch fröhliche Kreuzträger im Osterlicht.<br />

Zerbrochenes Fenster — zerbrochene Hoffnung?<br />

Der Innenraum schwarz und finster. Eingesperrt in sich selbst.<br />

Keine Verbindung nach dr<strong>aus</strong>sen. Eine Scheibe ist zwischen<br />

mir und <strong>dem</strong> Leben, wie eine bläuliche Haut schliesst sie ab.<br />

Zelle, Kerker, allein, einsam.»<br />

«Links ist ein merkwürdiges Loch in der Scheibe: Hier ist Ausblick<br />

möglich, die Luft kann herein. Durch die untere Hälfte<br />

des Loches: Blick in grüne Blätter, Ranke, Weintraube, sonnenbeschienen,<br />

Leben, Licht, Luft, Frühling, Freude, Hoffnung.<br />

Die Zweige leben ja von der Sonne.»<br />

«In der rechten Fensterhälfte erblicke ich jetzt zwei runde Löcher,<br />

sie sind wie von Steinen <strong>aus</strong>geschlagen: Ob jemand von<br />

<strong>aus</strong>sen mir das Fenster einschlug? Mir kommen Menschen in<br />

<strong>den</strong> Sinn, deren Leben eingeschlagen ist, die etwas <strong>zu</strong> tragen<br />

haben… Aber: Hat der mit <strong>den</strong> Steinwürfen von <strong>aus</strong>sen mir<br />

nicht geholfen? Jetzt sehe ich hin<strong>aus</strong>! »<br />

«Das Ganze ist im Gegenlicht, ich blicke durchs bläuliche<br />

Glas. Dort, wo die Scheibe fehlt, oben rechts und unten links,<br />

kommt weissliches Licht herein, blicke ich in <strong>den</strong> Himmel.<br />

Mir kommt in <strong>den</strong> Sinn, dass das Glas ja alle anderen Farben<br />

her<strong>aus</strong>filtert und nur diese bläuliche Farbe hindurchlässt. Das<br />

Chlorophyll der Blätter trinkt alle anderen Farben und lässt<br />

für mich das Grün in meine Augen kommen. Wenn ich die<br />

Augen schliesse, ist alles schwarz!»<br />

«Das Gemäuer ist alt, die Blätter und Zweige sehe ich nur<br />

verschwommen. Ist es nicht fast wie ein Spinnennetz, das<br />

gesprungene rechte Fensterteil?»<br />

«Fensterkreuz. Ich betrachte lange das schwarze Kreuz, die Kreuzform in der Mitte. Wenn alle Farben weg sind,<br />

gibt es schwarz. Wenn alles Leben gewichen ist, bedeutet das Tod am Kreuz. Herr, begegnest Du mir so? Zeit<strong>aus</strong>,<br />

neben<strong>aus</strong>; in diesem Fenster? Bist Du am Kreuz, damit Luft und Leben <strong>zu</strong> mir komme? Gelten die Steine<br />

Dir, die dieses Glas einschlugen?»<br />

«Freiheit, Befreiung durchs Kreuz? Ich sehe durch dieses Kreuz in die Welt, in die Natur, ins Grün, ins Blau hinein.<br />

Hast du mir diese Bresche geschlagen? Blick in <strong>den</strong> Himmel, ist er nur durch dich möglich? Wäre mein Raum<br />

sonst fensterlos? Wäre meine Welt sonst hoffnungslos? Symbol und Hinweis auf Christus?»<br />

«Im Glas sind Narben, nur der Rahmen, nur das Kreuz halten es noch. Es ist ein Blick <strong>aus</strong> einem Fenster. Andere<br />

Ausblicke, <strong>aus</strong> anderen Fenstern kommen mir in <strong>den</strong> Sinn. Ich möchte <strong>den</strong> Blick durchs Fensterkreuz meiner<br />

Lebtag behalten. Fenster-Kreuz. Das Kreuz als Fenster, Blick in meine, in unsere Zukunft: Durch Christus hindurch<br />

in unsere Welt blicken, alle Tage!»<br />

11


Himmelwärts<br />

Hoch oben in einem Frühlingshimmel steigt eine Taube hinan,<br />

mit regelmässigem Flügelschlag steigt sie und steigt, <strong>dem</strong> Zenith<br />

entgegen.<br />

So wie sie einst Noah sah, nach<strong>dem</strong> er nach vierzig Tagen und vierzig<br />

Nächten in seiner auf <strong>den</strong> Wellen der Sintflut dahingleiten<strong>den</strong><br />

Arche eingeschlossen, die Taube durch die Luke seiner wundersamen<br />

Barke freigelassen hatte. Der von Gott vor <strong>den</strong> Wassern der<br />

Sintflut bewahrte Noah hatte in seinem Schiff alle Gattungen der<br />

Tiere mit sich geführt, so wie es Gott ihn geheissen hatte: durch ihn<br />

wurde somit die ganze Schöpfung vor <strong>dem</strong> Untergang bewahrt.<br />

Dank dieser tiefen Verpflichtung des Menschen gegenüber der<br />

Natur kann Noah die Taube entsen<strong>den</strong>, um gleichsam für ihn <strong>den</strong><br />

Zustand der Erde <strong>zu</strong> besichtigen. Eines Tages wird sie <strong>zu</strong>rückkommen,<br />

ihm Kunde von möglichem Leben bringen und <strong>zu</strong>m Zeichen<br />

von Hoffnung und Versöhnung mit Gott einen Olivenzweig im<br />

Schnabel tragen. Die Rettung ist gewährleistet. Dann wird Gott<br />

<strong>den</strong> Regenbogen schaffen, dieses himmlische Symbol für <strong>den</strong> Bund,<br />

<strong>den</strong> Gott mit <strong>den</strong> Menschen besiegelt: «Darum soll mein Bogen in<br />

<strong>den</strong> Wolken sein, dass ich ihn ansehe und <strong>den</strong>ke an <strong>den</strong> ewigen<br />

Bund zwischen Gott und allen lebendigen Seelen in allem Fleisch,<br />

das auf Er<strong>den</strong> ist» (1. Mose 9,16).<br />

Künftig wird der Mensch durch <strong>den</strong> Bund mit Noah vor Gott für die ganze Schöpfung Eigenverantwortung<br />

tragen. Sein Schicksal ist eng an dasjenige der Natur geknüpft. Auf diese Weise ist in diesen Anfangskapiteln<br />

der Bibel der Aufruf an <strong>den</strong> Menschen nach verantwortungsvollem Umgang mit der Natur vorgezeichnet. Die<br />

in die Lüfte steigende Taube zeigt dies mit einer besonderen Anmut.<br />

Robert Hainard, der1906 geborene Genfer Künstler, verfügt nach langem Studium der Natur über eine <strong>aus</strong>seror<strong>den</strong>tliche<br />

Gabe der Beobachtung. Jedes seiner Werke – vor allem die Blätter, welche wildlebende Tiere<br />

wiedergeben – ist das Resultat einer minutiösen Naturbeobachtung, die nicht selten mehrere durchwachte<br />

Nächte hintereinander lang währte. Robert Hainard liebt die Natur. «In der Tat ist nur das Wirkliche das einzig<br />

Mögliche. In meiner instinktiven Weigerung, nur das Geringste an <strong>dem</strong>, was geschaffen wor<strong>den</strong> ist, <strong>zu</strong> verändern,<br />

liegt die höchste Verehrung, ein selber Zurückstehen vor dieser unfassbaren Volikommenheit, die letztlich<br />

Gott selber ist.»<br />

Die aufmerksame Naturbeobachtung ist der erste Schritt, <strong>den</strong> der Mensch machen kann und muss, wenn er<br />

am allgemeinen Bemühen um die Rettung der Schöpfung teilhaben will, einer Rettung, <strong>zu</strong> der heute die ganze<br />

Menschheit aufgerufen ist. «Jedes meiner Bilder», erklärt Robert Hainard, «ist die Frucht eines langen Strebens,<br />

von langen Fussmärschen und auf der Lauer-Liegen, von vielen Träumen. Diese Träume mussten so oft gebogen<br />

und verändert wer<strong>den</strong>, bis sie von der Wirklichkeit übernommen wer<strong>den</strong> konnten, und sei es auch nur, um<br />

sie durch ein ganz ungewohntes Geschenk <strong>zu</strong> ersetzen. Ich habe oft gesagt, es gäbe überhaupt keine Kompositionen<br />

in meinen Bildern. Diese Behauptung stimmt nur ganz oberflächlich. Ihre Komposition ist vielmehr<br />

eine Absprache zwischen Gott und mir, wobei er <strong>den</strong> wichtigsten Anteil daran hat. Seinen Teil würde ich nie<br />

<strong>zu</strong> berühren wagen. Mir kommt es nur <strong>zu</strong> <strong>aus</strong><strong>zu</strong>wählen, weil ich in der göttlichen Fülle nicht alles fassen kann.<br />

Es gibt Menschen, welche unter <strong>dem</strong> Diktat ihres Unterbewussten schreiben; ich tue es unter <strong>dem</strong>jenigen der<br />

Natur. Sie fabuliert weniger.»<br />

Das Bild des Vogelfluges entgeht <strong>dem</strong> Auge des Naturbeobachters nicht: in der Tat handelt es sich um <strong>den</strong><br />

«Hochzeitsflug der Turteltaube». Diese durch die Türken <strong>aus</strong> Indien eingeführten Turteltauben wur<strong>den</strong> in der<br />

Nähe der Moscheen <strong>aus</strong>gesetzt; von hier <strong>aus</strong> sollten sie später ihren Weg nach Europa antreten. Heute sind<br />

sie auch bei uns in der Schweiz fast überall an<strong>zu</strong>treffen.<br />

Um das vorliegende Blatt <strong>aus</strong><strong>zu</strong>führen, übte sich Robert Hainard in einer Technik, die er gut kennt: der sich an<br />

japanischen Werken inspirierende, farbige Holzschnitt. Jede Farbe – auf unserem Holzschnitt sind es fünf verschie<strong>den</strong>e<br />

Töne – wird auf je einer separaten Holzplatte festgehalten. Die Ganzheit des Bildes entsteht durch<br />

das Übereinanderdrucken der verschie<strong>den</strong>en Töne. «Ich geize nicht mit der Anzahl meiner Tafeln. Meistens sind<br />

es 7 bis 12. Aber ich mag auch die Strenge, die in der Farbenwahl herrschen muss. Jeder meiner Holzschnitte<br />

klingt wie Musik: 7,10,12 Töne, von <strong>den</strong>en jeder seine bestimmte Wirkung hat, die untereinander ihre Intervalle<br />

haben. Diese Töne webe ich, durchkreuze ich und lege sie übereinander.» Mittels dieser Technik, die viel<br />

Geduld erfordert, hat der Künstler im Laufe seiner 60 Jahre währen<strong>den</strong> Schaffenszeit ungefähr 800 graphische<br />

Blätter verwirklicht.<br />

Wer heute behauptet, an <strong>den</strong> Schöpfer <strong>zu</strong> glauben, muss <strong>dem</strong> Mass seiner Möglichkeiten entsprechend an<br />

der Bewahrung der Schöpfung aktiv teilnehmen. Robert Hainard sagt es auf seine Weise: «Die Macht hat all<br />

12


<strong>den</strong>jenigen, die sie gesucht und sogar erreicht haben, Unglück gebracht. Denn dieses Streben ist das ruhelose<br />

Eingeständnis der Ohnmacht, <strong>zu</strong> besitzen. Der moderne Mensch kann immer mehr besitzen, jedoch tut er fast<br />

nichts. Die wahrheitsliebende Kunst und die Liebe <strong>zu</strong>r wil<strong>den</strong> Natur vermitteln in meinen Augen <strong>dem</strong> Menschen<br />

eine der wichtigsten Wertvorstellungen: nach Besitz der Natur und nicht nach deren Beherrschung begierig<br />

<strong>zu</strong> sein.»<br />

Wenn wir Gottes Diener sein wollen, so müssen wir auch im Dienste der Schöpfung stehen, um ihr unser ganzes<br />

Leben <strong>zu</strong> widmen, sich an ihr <strong>zu</strong> erfreuen und <strong>aus</strong> ihr unsere Kraft <strong>zu</strong> schöpfen, aber auch um sie für kommende<br />

Generationen so intakt als auch nur immer möglich <strong>zu</strong> erhalten. «Das Programm meines Lebens steht fest: <strong>den</strong><br />

Glanz der Natur auf<strong>zu</strong>zeigen und unsere Abhängigkeit von ihr bewusster <strong>zu</strong> machen; <strong>den</strong>n nichts ist überzeugender<br />

als das Bild, und nichts gibt die vielfältigen Wünsche der Menschen besser wieder als die Schönheit.»<br />

Hingabe<br />

Diese Illustration von Bryan Pollard stellt die Begegnung mit<br />

Jesus Christus dar. Auf eindrückliche Art und Weise führt sie<br />

uns Gottes Geschenk an <strong>den</strong> Menschen vor Augen: die Hingabe<br />

seines einzigen Sohnes in <strong>den</strong> Tod.<br />

Der dornengekrönte Jesus hängt am Kreuz, das nur durch helle<br />

Lichtbalken angedeutet wird und die Bildfläche horizontal und<br />

vertikal teilt. Bei dieser stilisierten Darstellung konzentriert sich<br />

alles auf die Mitte des Bildes.<br />

Die Dramatik des Erlösungsgeschehens wurde in schnellen<br />

Strichen hinskizziert, doch die Details verraten stille Tiefe. Die<br />

Dornenkrone ist exakt um das wirre Haar des Gekreuzigten<br />

geschlungen und scheint die zerberstende, diagonal <strong>aus</strong>einandergezogene<br />

Zeichnung <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>halten. Im langsam vom<br />

Haupt Jesu tropfen<strong>den</strong> Blut, das <strong>den</strong> Menschen einhüllt und ihn<br />

von Schuld reinigt, widerspiegelt sich das Licht.<br />

Die letzten Stun<strong>den</strong> von Jesu Leben sind gekennzeichnet von<br />

unbeschreiblichem Schmerz, von körperlichen und seelischen<br />

Lei<strong>den</strong>. Sein Gesichts<strong>aus</strong>druck ist verzerrt und entstellt, die<br />

Augen <strong>zu</strong>sammengepresst, als durch<strong>zu</strong>ckte ihn gerade ein<br />

wahnsinniger Schmerz.<br />

Die untere Gesichtspartie wird verdeckt durch einen Menschen,<br />

der sich verzweifelt die Hände vors Gesicht schlägt. Er hat soeben<br />

erkannt, was Jesus für ihn getan hat und seinem Mund<br />

entweicht ein stummer Schrei: «Was habe ich getan? Oh Gott,<br />

was habe ich dir angetan?»<br />

Wer genau hinschaut, bemerkt noch ein drittes Gesicht. Unterhalb des verzweifelten Menschen lässt sich links<br />

das Profil und der <strong>aus</strong>gestreckte Arm Jesu erkennen, der <strong>zu</strong> sagen scheint: «Komm her <strong>zu</strong> mir, mein Kind, ich<br />

habe alles auf mich genommen, weil ich dich lieb habe!»<br />

13


Hoffnung trotz allem<br />

Millionen Menschen sind im Lauf der Jahrt<strong>aus</strong>ende schon gefoltert<br />

und getötet wor<strong>den</strong> – nicht für ein Verbrechen, sondern<br />

nur für ihre Überzeugung. Es waren oft die Besten, bis auf <strong>den</strong><br />

heutigen Tag: etwa Mahatma Gandhi, Dietrich Bonhoeffer, John<br />

F. Kennedy, Martin Luther King.<br />

Auf unserem Bild steht für sie alle einer, Jesus von Nazareth. Wir<br />

sehen ihn ermordet, schon <strong>zu</strong>m Schatten zerfallen, kein Mensch<br />

mehr. Ein erschütterndes Bild. Der Mensch fehlt nun, der eine<br />

bessere Menschheit vor sich sah und anfing! Und nur, weil die<br />

Lieblosen die Liebe dieses Menschen nicht ertragen und die<br />

Liebhaber von Macht und Gewalt es nicht <strong>aus</strong>halten wollten,<br />

dass Jesus allein die Macht überzeugen<strong>den</strong> Re<strong>den</strong>s und Lebens<br />

anerkannte!<br />

Die Welt ohne <strong>den</strong> Besten – wie kann das weitergehn? Erschütterung<br />

hat die ganze Welt ergriffen: die Mordwerkzeuge<br />

– Kranz, Leiter, Kran, Stacheldraht – sind <strong>zu</strong>m Chaos verflochten;<br />

<strong>aus</strong> friedlichen Häusern wur<strong>den</strong> Ruinen. Die Welt vor <strong>dem</strong><br />

Untergang? Entsetzliche Leere: kein Mensch ist mehr da. Die<br />

Mächtigen flüchten vor ihrer eigenen Bosheit ins Festen und<br />

Essen – die Ruhe um je<strong>den</strong> Preis ist erreicht. Und die Freunde<br />

des guten Menschen flüchten <strong>aus</strong> Todesangst. Das gab es nicht<br />

nur einst in Israel, das hat sich wiederholt bis auf <strong>den</strong> heutigen<br />

Tag: in unserm Jahrhundert in Russland, Deutschland, Spanien,<br />

Griechenland, Jugoslawien… Unser Bild ist Spiegelbild unserer<br />

Welt, Welt ohne Hoffnung.<br />

Kein Wunder, dass heute auch mancher Mensch in seinem Innern so zerrissen ist: das Beste ist in ihm gestorben,<br />

ermordet durch die Anforderungen, die Hetze und die Vereinsamung in der «hochentwickelten» Welt. Unser<br />

Bestes: das Vertrauen in <strong>den</strong> Menschen, die Hoffnung, die schöpferische Kraft. Wir sehen in das Spiegelbild<br />

auch unserer Seelen!<br />

Muss es immer so weitergehen? Wer<strong>den</strong> alle, die sich der heutigen rasen<strong>den</strong> technischen Entwicklung, der<br />

chaotischen Ausbeutung der Erde und <strong>dem</strong> lieblosen Eigennutz in der Welt entgegenstellen, wieder überrollt<br />

wie Jesus und die andern? Hat Gott sich verborgen?<br />

Nein! Der Künstler lässt – sehen wir genau <strong>zu</strong> – der Hoffnung einen Spielraum. Das netzhaft gemalte Chaos:<br />

ist es letztlich nicht nur Staffage; stürzt nicht gleich das Kreuz und alles mit; brauchten wir nicht nur das Chaos<br />

wie ein eisernes Tor <strong>zu</strong> öffnen – und stän<strong>den</strong> in einer schönen Welt? Und die Sonne geht vor, nicht hinter<br />

<strong>dem</strong> Horizont unter, rot und warm; sie steckt die Erde nicht in Brand, taucht Hügel und Ebene im Gegenteil in<br />

warmes Licht. Also Hoffnung – trotz allem; Hoffnung für die Menschheit und Hoffnung für je<strong>den</strong> Menschen<br />

– trotz seiner Bosheit und seiner jahrt<strong>aus</strong>endealten Geschichte! Das Gute im Menschen kann niemand töten.<br />

Jesus konnte in Wahrheit auch nicht getötet wer<strong>den</strong>: er lebt neu, von Gott bestätigt, in vielen Menschen. So<br />

ist der mutige Weg des Jesus, <strong>den</strong> Unzählige fortsetzen bis auf <strong>den</strong> heutigen Tag, <strong>den</strong>noch der richtige. Wer<br />

hätte nicht Freude, mit diesem Bild <strong>zu</strong> leben? Stets vor Augen Hoffnung für die zerrissene Seele: Hoffnung auf<br />

eine bessere, wärmere Menschenwelt – trotz allem!<br />

Wer ist der Künstler, der dieses eindrückliche Bild geschaffen hat? Ge Gessler, 1924 in Zürich geboren, jetzt<br />

wiederum in der Nähe Zürichs, lebte viele Jahre im Tessin. Dort fand er seinen eigenen Stil: meisterhaft verband<br />

er die Liebe <strong>zu</strong>r intensiven Farbe mit <strong>dem</strong> Willen <strong>zu</strong>r klar gestalteten Form. Davon zeugen auch die sieben andern<br />

Gemälde <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> 1960 entstan<strong>den</strong>en Zyklus «Passion», <strong>dem</strong> unser Bild entnommen ist, und viele andere<br />

Werke. Wohl möchte er uns in seinen Bildern mit der Harmonie von Form und Farbe beglücken, aber vor allen<br />

Dingen möchte er uns <strong>zu</strong> tiefem Nach<strong>den</strong>ken führen – über uns selbst. Das ist ihm gelungen. Der Wille <strong>zu</strong>r<br />

unbedingten Wahrheit bestimmt Ge Gesslers Kunst.<br />

14


In meines Vaters H<strong>aus</strong> sind viele Wohnungen<br />

Bronze-Relief von Werner Hilber, um 1970 (48 x 60 cm)<br />

Zum Küns tler<br />

Der Bildhauer und Maler Werner Hilber (28.8.1900-5.11.1989) wuchs in Wil SG, im H<strong>aus</strong> <strong>zu</strong>m Pelikan auf und<br />

lebte seit 1945 in Zürich. Der vitale, urwüchsige und feinsinnige Künstler hatte einen unbändigen Unabhängigkeitsdrang<br />

und folgte seiner Doppelbegabung in unaufhörlichem Horchen und Suchen: «Wenn ich bildhauere,<br />

sollte ich besser malen. Wenn ich male, sollte ich besser bildhauern!» (7.3.1972).<br />

Wenn man sein Atelier an der Chorgasse inmitten der<br />

verwinkelten Altstadthäuser betrat, empfing einen ein<br />

über<strong>aus</strong> wacher und liebreicher Zeitgenosse, umgeben<br />

von seinen Arbeiten. Im kleinen Hinterhofgärtchen <strong>zu</strong><br />

sitzen und ihm <strong>zu</strong><strong>zu</strong>hören, <strong>zu</strong><strong>zu</strong>sehen, wie noch der alte<br />

Mann mit weit<strong>aus</strong>holen<strong>den</strong> Gesten und blitzen<strong>den</strong> Augen<br />

ins Gespräch mit <strong>dem</strong> Gegenüber trat, das war Labsal für<br />

Leib und Seele. Sein Werk harrt immer noch der Entdeckung.<br />

Dass wir hier, quasi als kleines Vermächtnis des<br />

Neunzigjährigen und im Ge<strong>den</strong>ken an ihn, eine seiner entschei<strong>den</strong><strong>den</strong><br />

Plastiken veröffentlichen dürfen, geschieht<br />

in ökumenischer Verbun<strong>den</strong>heit und in der Freude der<br />

gemeinsamen Auferstehungshoffnung.<br />

Das Werk selber<br />

Den Guss des Reliefs hat der Bildhauer selber noch in<br />

<strong>den</strong> achziger Jahren veranlasst. Nun wird es posthum<br />

der Öffentlichkeit <strong>zu</strong>gänglich. Es findet mehr als 20 Jahre<br />

nach seiner Entstehung einen Platz an der Aussenmauer<br />

der Friedhofkapelle in Wil SG, unweit von der Ruhestätte<br />

des Künstlers.<br />

Es gibt im Werk von Werner Hilber verschie<strong>den</strong>e Reliefs<br />

ähnlicher Art. In diesem einen haben sie ihr Ziel gefun<strong>den</strong>.<br />

Er hat ihm bewusst <strong>zu</strong>m Titel das Jesuswort gegeben: «In<br />

meines Vaters H<strong>aus</strong> sind viele Wohnungen» (Johannesevangelium<br />

14,2). Werner Hilber hielt sich selber an diese<br />

Worte des Auferstan<strong>den</strong>en und hoffte, für ihn sei dort in<br />

Gottes Wirklichkeit auch ein Plätzchen. Wie schrieb er anno<br />

1982: «Im Zentrum sitzt Gott. In ihm sind viele Wohnungen. Was dir die innere Stimme suggeriert, das ist seine<br />

Sprache, und die ist <strong>zu</strong> befolgen… Gott helfe dir, <strong>den</strong> von ihm vorgezeichneten Weg durch<strong>zu</strong>stehen, du kannst<br />

ihm nicht entwischen. Gib dich Ihm ganz <strong>zu</strong>rück, so wie er dich für Ihn geschaffen hat!»<br />

Was ist <strong>zu</strong> sehen? Mein erster Eindruck bei <strong>dem</strong> relativ kleinen Ding ist, dass es wächst. Es ist nicht fertig. Es<br />

steht auf <strong>dem</strong> Bo<strong>den</strong> und wächst weiter nach links und nach rechts und nach oben. Das Tor ist offen, es kommt<br />

richtig auf einen <strong>zu</strong> und hat gar keine Türe mehr, die geschlossen wer<strong>den</strong> könnte. Das Weihnachtslied fällt mir<br />

ein: «Heut schleusst er wieder auf die Tür <strong>zu</strong>m schönen Paradeis…»<br />

Ich habe mich immer schon daran gefreut, dass in der himmlischen Stadt die zwölf Tore offenstehen (Offenbarung<br />

21, 25). Und nun die originellen Wohnungsfenster im Relief! Wie verschie<strong>den</strong> sie sind. Immer wieder<br />

sehe ich Neues. Ich entdecke <strong>zu</strong> Kreuzen <strong>zu</strong>sammengefasste Formen. Besonders das Kreuz in der oberen Mitte<br />

zieht meinen Blick immer neu auf sich. In <strong>den</strong> offenen Himmel schauen dürfen, das hat ja Jesu Leben gekostet.<br />

Gol<strong>den</strong> glänzt das Ganze. Oben ist es wie gekrönt.<br />

Wirklich, da herrscht keine Wohnungsnot, da sind gewiss auch keine teuren Mieten <strong>zu</strong> bezahlen, da herrscht<br />

Platz. Und was ist dahinter? Ich blicke durch die Öffnungen hindurch wie in eine grosse Laterne hinein. Dahinter<br />

ist die Ewigkeit, Ziel meines Lebens. Ich <strong>den</strong>ke an Menschen, die diesen Schritt gegangen sind. Ganz nahe<br />

kommen sie <strong>zu</strong> mir, Eltern, Verwandte, Bekannte. Die Wohnungen bevölkern sich. Ich schaue und werde ganz<br />

still. Dann summe ich leise das Kanonlied in mir: «Ein Tag, der sagt <strong>dem</strong> andern, mein Leben sei ein Wandern<br />

<strong>zu</strong>r grossen Ewigkeit!»<br />

15


Jona<br />

Kennst du Jona? Kennst du die Geschichte jenes<br />

Propheten, von <strong>dem</strong> die Bibel in einem eigens geschriebenen<br />

kleinen Büchlein erzählt?<br />

1. Nach einer Notiz im 2. Buch der Könige (14, 25)<br />

scheint er im 8. Jahrhundert vor Christus gelebt<br />

<strong>zu</strong> haben. Aber er ist ein merkwürdiger Prophet,<br />

voll Widerspruch gegen das, was Gott von ihm<br />

will. Er soll nach Ninive gehen, der Hauptstadt des<br />

assyrischen Reiches im nördlichen Mesopotamien,<br />

um <strong>den</strong> Bewohnern jener Stadt das Gericht Gottes<br />

an<strong>zu</strong>sagen, um sie <strong>zu</strong>r Umkehr <strong>zu</strong> bewegen. Aber<br />

Jona will nicht. Hat er Angst vor diesem Auftrag?<br />

Fürchtet er, in Ninive verlacht oder verspottet oder<br />

gar umgebracht <strong>zu</strong> wer<strong>den</strong>? Oder scheut er bloss<br />

die Strapazen der Reise durch die unendliche Weite<br />

der Wüste? Das alles wäre verständlich. Aber er unternimmt<br />

eine viel grössere und gefahrvollere Reise. Statt nach Osten auf<strong>zu</strong>brechen, sucht und besteigt er ein<br />

Schiff, das nach Westen fährt, nach Tharsis, in jene berühmte Stadt im südwestlichen Spanien, ans andere Ende<br />

der damals bekannten Welt. Nur eines will er, «hinweg <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Augen des Herrn», wie die Bibel sagt (Jona 1, 3).<br />

Das also ist Jona: Einer, mit <strong>dem</strong> Gott etwas vor hat, weigert sich, darauf ein<strong>zu</strong>gehen. Kennst du Jona?<br />

2. Kaum aber ist das Schiff <strong>aus</strong>gelaufen ins offene Meer, wird es eingeholt von einem gewaltigen Sturm, der es<br />

beinahe <strong>zu</strong>m Kentern bringt. Die heidnischen Schiffsleute <strong>den</strong>ken an einen Racheakt der Götter und suchen<br />

nach <strong>dem</strong> Schuldigen. Bald ist Jona gefun<strong>den</strong>, der auch selber weiss, wem der Sturm gilt. Wenn das Schiff nicht<br />

untergehen soll mit allen, die darauf unterwegs sind, muss Jona geopfert wer<strong>den</strong>. «Werft mich ins Meer», sagt<br />

er, «so wird das Meer ruhig wer<strong>den</strong> und von euch ablassen» (Jona 1, 12). Er weiss jetzt, dass es nichts hilft, vor<br />

Gott <strong>zu</strong> fliehen. Sein Wille ist stärker als der Widerstand des Jona.<br />

Auch das ist Jona: Einer der sich Gott verweigert hat wird von ihm eingeholt.<br />

3. Jona wird tatsächlich ins Meer geworfen. Und nun erzählt die Bibel jene berühmte Geschichte vom Fisch,<br />

der Jona verschlungen und ihn nach drei Tagen und drei Nächten lebendigen Leibes wieder ans Land gespien<br />

hat. Die Frage ist nicht, ob du glauben kannst, dass sich das genau so <strong>zu</strong>getragen hat, wie es die Bibel erzählt.<br />

Auch wenn bei Gott kein Ding unmöglich ist, verlangt er doch nicht, dass du etwas glauben sollst, was du nicht<br />

glauben kannst. Das eigentliche Wunder ist nicht die Geschichte mit <strong>dem</strong> Fisch, sondern die Tatsache, dass<br />

Jona, der sein Leben schon verloren gab, in seiner äussersten Not <strong>zu</strong> Gott geschrien hat und von ihm gerettet<br />

wird. Wie das geschehen ist, bleibt sein Geheimnis, aber dass es geschehen ist, hat Jona selber bezeugt in <strong>dem</strong><br />

ergreifen<strong>den</strong> Gebet, das uns im zweiten Kapitel seines Büchleins überliefert ist.<br />

Das ist noch einmal Jona: Einer, der sich von Gott losgesagt hat, wird <strong>den</strong>noch von ihm nicht preisgegeben.<br />

Sein Beten ist der Anfang eines neuen Lebens.<br />

4. Ist es nicht dieser Augenblick des staunen<strong>den</strong> Erwachens des Jona, <strong>den</strong> Celestino Piatti auf <strong>dem</strong> so eindrücklichen<br />

Blatt festgehalten hat? Da ist der grosse Fisch inmitten des noch immer aufgewühlten Meeres. Er fürchtet<br />

die Wellen nicht. Sie sind sein Element. Der offene noch triefende Schlund erinnert an das Geheimnis der<br />

wunderbaren Errettung des Jona. Und nun wird der Leib des Fisches auf einmal durchsichtig für die Gestalt des<br />

Propheten, der in seiner abgerissenen Hose hingekauert <strong>den</strong> Kopf erhebt und <strong>zu</strong> ahnen beginnt, dass ihm das<br />

Leben noch einmal geschenkt ist. Nicht ein Leben auf der Flucht vor Gott, sondern ein Leben mit ihm und für<br />

ihn. Das freundlich blitzende Auge des Fisches und die siegreich <strong>aus</strong> seinen Nüstern aufsteigende Wasserfontäne<br />

lassen erkennen, dass auch er sich seiner Rolle bewusst ist und weiss, was in diesem Augenblick in seinem<br />

Innern geschieht. Und im Hintergrund, am Ufer des Meeres, grüsst Ninive, die Stadt am Rand der Wüste, die<br />

<strong>den</strong> Propheten erwartet und sich seiner Botschaft öffnen wird.<br />

Das ist Jona: Einer, der <strong>den</strong> Sinn seines Lebens gefun<strong>den</strong> und angenommen hat, stellt sich Gott <strong>zu</strong>r Verfügung<br />

und wird <strong>zu</strong>m Boten der Liebe Gottes für seine Mitmenschen. Kennst du jetzt Jona?<br />

16


Kreuz und Taube<br />

Auf grünem Grund – Farbe der Hoffnung – lädt die flüchtige Taube<br />

ein <strong>zu</strong>m Flug in die Freiheit: «Kommt und ihr werdet sehen!»<br />

(Joh. 1, 39). Ohne Taube wür<strong>den</strong> die Gitterstäbe an das Gefängnis<br />

erinnern; durch ihre Anwesenheit aber – Symbol des Heiligen<br />

Geistes – wird das Gitter Zeichen des frei machen<strong>den</strong> Kreuzes:<br />

«Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit» (2. Kor. 3,17).<br />

Fotografiert auf der Wartburg, dort, wo Martin Luther das Neue<br />

Testament übersetzt hat, sagt diese Taube auf ihre Weise auch,<br />

dass «die ganze Schrift von Gott eingegeben ist» (2. Tim., 3,16).<br />

Ein symbolisches Bild, das <strong>zu</strong> vielen verschie<strong>den</strong>en Deutungen<br />

einlädt:<br />

Das Äussere, das Innere…<br />

Wer<strong>den</strong> die Gitterstäbe von innen gezeigt? Von <strong>aus</strong>sen? Lassen<br />

sie an ein Gefängnis <strong>den</strong>ken? An ein Kreuz?…<br />

Die Mauer: Verfallen? Rissig? Breit? Fest? Einla<strong>den</strong>d?<br />

Die Taube: Sie kommt an? Sie bleibt? Sie ist abflugbereit? Sie ist<br />

ein Zeichen für…<br />

Der verschwommene Hintergrund lässt <strong>den</strong>ken an: Die Unsicherheit?<br />

Die Trennung? Die Schöpfung? Die Hoffnung?<br />

Wo ist das Licht?<br />

Wo bin ich? Innen? Aussen? Unten? Was empfinde ich dabei?<br />

Bibeltexte <strong>zu</strong>m Lesen<br />

Noah und die Taube (1. Mose 8, 6-12)<br />

Die Taufe Jesu (Lukas 3, 21-22; Johannes1, 32-34) Pfingsten (Apg. 2,1-4)<br />

Psalm 55, 7-9<br />

Lesen eines der vorgeschlagenen Texte, Verbindungen herstellen <strong>zu</strong> <strong>dem</strong>, was im ersten Teil <strong>zu</strong>r Taube gesagt<br />

wor<strong>den</strong> ist. Bei der Sintflut: Thema Hoffnung, Frie<strong>den</strong> und Versöhnung. Bei der Taufe: der Heilige Geist kommt<br />

auf Jesus herab, die Freude Gottes im Lukasevangelium. Bei Pfingsten: Gottes Geist wird <strong>den</strong> Gläubigen geschenkt.<br />

Bei Psalm 55: Freiheit und Sicherheit.<br />

Eine Legende<br />

«Sag’ mir, wieviel eine Schneeflocke wiegt», fragt die Meise die Taube. – «Sie hat gar kein Gewicht», lautet die<br />

Antwort.<br />

Daraufhin erzählt die Meise der Taube eine Geschichte:<br />

«Ich sass auf einem Tannenzweig, und es fing an <strong>zu</strong> schneien. Nein, kein Unwetter: es schneite ganz sanft,<br />

überhaupt nicht heftig. Weil ich nichts Besseres <strong>zu</strong> tun hatte, fing ich an, die Schneeflocken <strong>zu</strong> zählen, die auf<br />

meinen Zweig fielen. Es fielen 3 751952. Als die 3 751 953ste Flocke auf <strong>den</strong> Zweig fiel – ein gewichtsloses<br />

Nichts, wie du gesagt hast – zerbrach er.» – Mit diesen Worten flog die Meise davon.<br />

Die Taube, seit der Zeit eines gewissen Noah Expertin in Frie<strong>den</strong>sangelegenheiten, dachte einen Augenblick<br />

nach und sagte sich: «Vielleicht braucht die Welt nur einen einzigen Menschen, damit alles verändert wird und<br />

die Menschheit in Frie<strong>den</strong> leben kann.»<br />

17


Reifendes Korn<br />

Das Bild berührt mich. Ich sehe die vielen Halme, dicht beisammen,<br />

mit schweren Ähren. Ihr warmes Gelb strahlt, als ob sie die Sonne<br />

eingefangen hätten – sie sind reif. Geheimnisvoll leuchtet dazwischen<br />

der rote Mohn. Ich habe das Gefühl, mittendrin <strong>zu</strong> sein, in diesem<br />

feinen Gewebe des Lebens.<br />

Bin ich nicht selbst wie einer dieser Gerstenhalme? Ich wachse auf,<br />

<strong>zu</strong>erst grün hinter <strong>den</strong> Ohren, dann langsam reifend durch Erfahrungen<br />

und Einsichten, bis ich das Licht des Lebens einfange und<br />

selber etwas <strong>aus</strong>strahlen kann – wie das reife Korn. Und wächst nicht<br />

auch bei mir Frucht: Körner, die wieder andern Nahrung geben,<br />

wie an diesen Halmen? Frucht könnte sein: eine Erfahrung, die ich<br />

gewonnen habe; eine Einsicht, die mir aufgegangen ist – in <strong>den</strong><br />

Sonnentagen oder <strong>den</strong> Stürmen meines Lebens.<br />

Jesus hat einmal gesagt: «Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich<br />

habe euch erwählt und da<strong>zu</strong> bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht<br />

tragt und dass eure Frucht bleibe. » (Johannes 15,16). So ist nach Jesu<br />

Meinung das Fruchtbringen überhaupt der Sinn des Lebens. Frucht<br />

ist da<strong>zu</strong> bestimmt, auf neuen Bo<strong>den</strong> <strong>zu</strong> fallen und dort auf<strong>zu</strong>gehen.<br />

Es wäre ja auch schade, wenn ich eine Einsicht, die in mir gereift ist,<br />

für mich behalten würde! Ich kann Wesentliches weitergeben: das<br />

Vertrauen auf Gott, das in mir gewachsen ist; die Einsicht, dass Jesus<br />

recht hatte, als er die Liebe <strong>zu</strong>m Nächsten ins Zentrum der Welt rückte, auch <strong>den</strong> Hunger nach Gerechtigkeit<br />

und die Sehnsucht nach Frie<strong>den</strong>.<br />

Mir fällt auf, dass die Gerstenpflanze ihre Frucht durch lange Stacheln schützt. Raubvögel sollen abgeschreckt<br />

wer<strong>den</strong>. So muss ich wohl meine Früchte gegen <strong>den</strong> Feind meiner Seele schützen: gegen <strong>den</strong> Gedanken, ich<br />

sei mir doch selbst der Nächste und nieman<strong>dem</strong> etwas schuldig. Oder gegen die aufkeimende Resignation, bei<br />

allem guten Willen sei ja doch nichts für Gerechtigkeit und Frie<strong>den</strong> <strong>zu</strong> erreichen!<br />

Jesus hat aber Mut gemacht und gesagt, die Körner seien da<strong>zu</strong> bestimmt, in gute Erde <strong>zu</strong> fallen und auf<strong>zu</strong>gehen,<br />

dreissigfach, sechzigfach oder sogar hundertfach (Markus 4, 8).<br />

Mittendrin steht der rote Mohn, wie <strong>aus</strong> einer andern Welt. Er könnte das Sinnbild für Christus sein, der für uns<br />

alle in die Welt kam und <strong>aus</strong> Liebe <strong>zu</strong> gestorben ist. Trotz<strong>dem</strong> ist er noch gegenwärtig – mit seinem Mut, seinen<br />

Gedanken, unsichtbar in unserm Innern, als unsere, als meine Innerste Kraft.<br />

Die Halme stehen dicht beisammen – ist nicht auch das ein Lehrstück für uns Menschen?<br />

Wenn wir dicht <strong>zu</strong>sammenstehen, kann uns nichts umwerfen, können wir die Welt wärmer machen und Gottes<br />

Gedanken in die Landschaft unserer bedrohten Erde hineinbringen. Beharrlich setzen wir Nächstenliebe, Gerechtigkeit<br />

und Frie<strong>den</strong> gegen das Unkraut auf der Welt: gegen allen Eigennutz, alles Unrecht und alle Gewalttat.<br />

Wenn das Kornfeld reif ist, wird einmal der Schnitter kommen und ernten. Auch das fällt mir jetzt ein. Irgendwann<br />

einmal wird auch für mich der Tod kommen. Dann ist es schön, mit Frucht da<strong>zu</strong>stehen und sagen <strong>zu</strong> können:<br />

ich habe versucht, meine Bestimmung <strong>zu</strong> erfüllen. Nichts <strong>zu</strong> hinterlassen aber wäre bitter.<br />

Römische Treppe <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Tagen Jesu in Jerusalem<br />

Ein Weg tut sich vor mir auf. Steinstufen führen nach oben. Dazwischen entdecke ich immer wieder Absätze.<br />

Viereckige Steinblöcke sind <strong>zu</strong> einzelnen Stufen <strong>zu</strong>sammengefügt.<br />

Im Vordergrund sehe ich ein paar ebene, von der Sonne hell beschienene Steinplatten. In Gedanken trete ich<br />

darauf und spüre die Wärme. Die Treppe lädt mich ein, <strong>den</strong> Weg unter die Füsse <strong>zu</strong> nehmen. Nach drei Stufen<br />

ist wieder ein kleiner Absatz. Dann zähle ich einen, zwei, drei, vier, fünf und mehr Tritte. Immer weitere Steinstufen<br />

führen empor. Bäume spen<strong>den</strong> Schatten, dann folgt wiederum ein Stück im Sonnenlicht. Dort weiter<br />

hinten scheint die Treppe beschädigt <strong>zu</strong> sein. Schliesslich wer<strong>den</strong> Mauern <strong>aus</strong> Quadersteinen sichtbar. Ganz<br />

im Hintergrund fällt nochmals Sonnenlicht auf eine H<strong>aus</strong>wand. Der Weg scheint nach links weiter <strong>zu</strong> führen.<br />

Was ich vor mir sehe, scheint eine sehr alte Treppe <strong>zu</strong> sein. Viele Menschen sind hier wohl schon die Stufen<br />

hinauf- und hinuntergestiegen: Erwachsene, Kinder, Jugendliche. Ich möchte gerne erfahren, was eine solche<br />

Treppe im Verlauf der Jahre oder gar Jahrhunderte erlebt hat.<br />

18


Eine besondere Treppe<br />

Unser Farbfoto ist die Aufnahme einer Treppe <strong>aus</strong> römischer Zeit. Sie liegt in Palästinas Hauptstadt Jerusalem.<br />

Dicht daneben steht die Kirche St. Peter in galli Canto (St. Peter des Hahnenschreis). Die Altertumsforscher<br />

haben her<strong>aus</strong>gefun<strong>den</strong>, dass diese Kirche in der Nähe des Platzes erbaut wurde, wo früher der Palast des Hohenpriesters<br />

Kaiaphas stand. Ebenfalls nahe ist der Ort, wo nach christlicher Oberlieferung das erste Abendmahl<br />

gefeiert wurde.<br />

Die Treppe liegt an der Stelle, wo man von der Nordostseite<br />

der Stadt Jerusalem her ins Kidrontal hinuntergehen kann. Von<br />

dort ist der ÖIberg mit <strong>dem</strong> Garten Gethsemane erreichbar.<br />

Also sehen wir hier die Treppe, über welche Jesus von Nazareth<br />

oft gegangen ist. Ganz besonders sein letzter Gang kommt<br />

mir in <strong>den</strong> Sinn, wie ihn der Evangelist Matthäus darstellt:<br />

Nach <strong>dem</strong> Abendmahl kam er mit seinen Jüngern diese<br />

Treppe hinunter und schritt <strong>zu</strong>m Garten Gethsemane (Matthäusevangelium,<br />

Kapitel 26, Vers 30 und folgende). Dort<br />

wurde er gefangen genommen und hernach, gefesselt, von<br />

<strong>den</strong> Kriegsknechten <strong>zu</strong>rück und über dieselbe Treppe <strong>zu</strong>m<br />

Palast des Hohepriesters Kaiaphas gebracht (Matthäus 26,<br />

47 ff. und 57 ff.).<br />

Gedanken, die in mir beim Betrachten wach wer<strong>den</strong>:<br />

Zunächst packt mich der Gedanke, dass hier Jesus gegangen<br />

ist. Auch er hat die Sonne Israels auf <strong>den</strong> vordersten Platten<br />

gespürt. Auch er ist öfters diese Treppe hinuntergestiegen,<br />

um im Garten jenseits des Tals ein wenig Erholung <strong>zu</strong> fin<strong>den</strong>.<br />

Aber jetzt ist es das letzte Mal, und daran <strong>den</strong>ke ich. Es ist sein<br />

Schicksalsweg, wir nennen ihn Passion.<br />

Bevor er diese Stufen abends hinuntergeschritten ist, hat Jesus<br />

das Abendmahl gefeiert. Bei diesem letzten Mal im Kreise<br />

seiner Jünger hat er jene so persönlichen Worte gesprochen:<br />

«Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.» Offenbar fuhr dies <strong>den</strong><br />

Seinen so ins Herz, dass sie es in der Erinnerung behalten und später aufgeschrieben haben. Seither ist jedes<br />

Abendmahl die Feier der Gemeinschaft mit Jesus und miteinander. Ich freue mich jedesmal darauf, wenn wir<br />

es feiern. Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Kreis um <strong>den</strong> Tisch, wo er unsichtbar Gastgeber und Mitte<br />

ist. Ich möchte es als erste und auch einmal als letzte Mahlzeit feiern, in solcher Bruderschaft.<br />

Nach<strong>dem</strong> sie das Kidrontal erreicht hatten, nahm Jesus drei seiner Freunde in die Tiefe des Gartens Gethsemane<br />

mit. Dort bricht jene Nacht an, die ihn in tiefste Dunkelheit führen wird. Er bittet Gott inständig, <strong>den</strong> Kelch des<br />

Lei<strong>den</strong>s und Ausgestossenwer<strong>den</strong>s an ihm vorübergehen <strong>zu</strong> lassen. «Doch nicht wie ich will, sondern wie Du<br />

willst! » Mit diesem inhaltsschweren Satz betritt Jesus endgültig <strong>den</strong> Weg der Passion. Er wird sich dabei bis <strong>zu</strong>r<br />

Hölle hinab beugen. Und so erlebe ich seine Gefangenschaft und <strong>den</strong> Rückweg über unsere Treppe empor<br />

der Verurteilung und Kreuzigung entgegen.<br />

Die alten, 2000jährigen Steine zeugen von diesem Leben und diesem Weg. Die Bewegung, welche Jesus von<br />

Nazareth <strong>aus</strong>gelöst hat, kommt auf diese Weise bis <strong>zu</strong> uns, bis <strong>zu</strong> mir. So konkret ist das, wenn Gott Mensch<br />

wird und uns begegnet. Aus <strong>dem</strong> hellen Licht der Zuwendung Gottes tritt Jesus ins Dunkel, wird er solidarisch<br />

mit unserem menschlichen Leben, Fühlen und Sein.<br />

Die alte harte Treppe sagt es mir ein wenig ungewohnt: Jesus war armer Leute Kind. Der Vater war offenbar<br />

früh verstorben. So hat er, der Älteste, bis <strong>zu</strong> seinem 27. Lebensjahre als Zimmermann für Mutter und Geschwister<br />

sorgen müssen. Dann konnte er knappe drei Jahre als Messias, als Christus wirken – und schon muss er die<br />

letzten Schritte über unsere Treppe tun.<br />

Aber welche Wirkungen sind von ihm bis heute <strong>aus</strong>gegangen. Es fällt mir plötzlich auf, dass <strong>zu</strong>hinterst auf <strong>dem</strong><br />

abgebildeten Wegstück Jesu ein hell erleuchtetet Wandstück sichtbar ist, ja dass der Weg überhaupt nur dort<br />

weiterführt, wo ich Lichtspuren entdecke. Mir wird dies <strong>zu</strong>m Zeichen für seine Auferstehung, für Jesu Durchbruch<br />

durch Hölle und Tod.<br />

Dies Kostbarste fährt mir ins Herz: Unsre Welt rollt keinem Weltuntergang, keiner letzten Nacht entgegen. Durch<br />

alle damaligen, heutigen und morgigen Sonnenfinsternisse und Zusammenbrüche hindurch weiss ich: Jesu<br />

Passion findet ihren Sinn, ihre Erfüllung am Ostermorgen, in Gottes Licht.<br />

Dort erst, nach seinem diesseitigen Wirken beginnt der Weg, auf welchem mir durch die Jahrhunderte viele<br />

vorangegangen sind. Ich kann hinten anschliessen. Auf <strong>dem</strong> Weg Jesu von Nazareth. Ich höre seine Einladung:<br />

«Ich bin der Weg…!» Das Bild beginnt <strong>zu</strong> mir <strong>zu</strong> re<strong>den</strong>.<br />

19


Schöpfung<br />

Schöpfung (1. Mose Kapitel 1, Verse 1-25): Von links oben<br />

fallen weisse Strahlen ins Dunkel ein: Gottes ungeschaffenes<br />

Licht drängt das Chaos <strong>zu</strong>rück, es spiegelt sich<br />

links unten in <strong>den</strong> Schaumkronen auf <strong>dem</strong> Meer, während<br />

eine weisse Lichtbahn sich rechts unten im Wasser<br />

fortsetzt, wo sich Fische tummeln. Das Wunder von Tag<br />

und Nacht entfaltet sich im oberen Teil mit Mond, Sternen<br />

und Sonne: Abend und Morgen. Eine weisse Taube<br />

schwingt sich ins Gelb der aufgehen<strong>den</strong> Sonne empor.<br />

Darunter breiten sich die sattgrünen Bäume und Wiesen<br />

<strong>aus</strong>: Lebensfülle, Zeit und Mitwelt als Geschenk. Was wird<br />

der Spätling Mensch mit Gottes guter Schöpfung tun?<br />

Das Bild kann uns gerade heute nach<strong>den</strong>klich machen:<br />

Mir fällt auf, dass weit und breit kein Mensch darauf <strong>zu</strong><br />

sehen ist. Unsre Mitwelt kommt sehr gut ohne uns Menschen<br />

<strong>aus</strong>, aber wir nicht ohne sie. Es fällt mir gerade vor<br />

einem so strahlen<strong>den</strong> Bild schwer aufs Herz, wie sehr<br />

die Schöpfung um uns her schreit, fleht, seufzt und stirbt. Es gibt Forscher, welche die Gattung Mensch «die<br />

verheerendste Aussterbe-Ursache in der Erdgeschichte» nennen.<br />

Nach <strong>dem</strong> biblischen Schöpfungsbericht ist eben nicht der Mensch Ziel oder Krone der Schöpfung. Erfüllung<br />

und Mitte ist im 1. Mosebuch vielmehr der siebte Tag: Gott lädt als Ziel der Schöpfung <strong>zu</strong> einem Sabbath, <strong>zu</strong><br />

einem grossen Aufatmen und Feiern ein. Die geschaffene Welt wird erst am 7. Tag vollendet, an welchem der<br />

Schöpfer sich seiner Schöpfung in Freude und Wohlgefallen <strong>zu</strong>wendet. Zu solchem Sabbath lädt Gott seine<br />

Geschöpfe samt und sonders ein (1. Mose 2,1-4).<br />

Wir müssen heute diese Lesart des alten Textes einander, gerade als junge Menschen, neu einprägen und dar<strong>aus</strong><br />

leben, solange wir es noch können. Mich dünkt, Hanns Studers Bild lädt da<strong>zu</strong> ein. Wo Gott aufatmet, atmet<br />

auch das hinterste und letzte Geschöpf auf, an welchem er seine Freude hat: «Am 7. Tag sollst du feiern, damit<br />

dein Rind und dein Esel (die bei<strong>den</strong> Lasttiere der Antike) ruhen und der Sohn deiner Sklavin und der Fremdling<br />

aufatmen können» (2. Mose 23,12).<br />

Später formuliert das 3. Buch Mose, das biblische Gesetzbuch, <strong>aus</strong>drücklich: «Das Land soll <strong>dem</strong> Herrn einen<br />

Sabbath feiern» (25,2) und «Grund und Bo<strong>den</strong> darf nicht für immer verkauft wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n das Land ist mein,<br />

und ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir.» (25, 23). Ein Aufatmen des Lebewesens Erde mit all seinen<br />

Arten, Pflanzen, Tieren und Bo<strong>den</strong>schätzen wird hier direkt als Gesetz formuliert.<br />

Wir haben in der Mitwelt neu unsern beschei<strong>den</strong>en Platz <strong>zu</strong> suchen, unterwegs jenem grossen Sabbath Gottes<br />

entgegen, welchen der Erstling der neuen Schöpfung, der auferstan<strong>den</strong>e Jesus schon <strong>zu</strong> Lebzeiten gelebt und<br />

angezeigt hat. Hanns Studers Bild weist uns auf das herrliche Geschenk der uns anvertrauten Mitwelt hin und<br />

lädt uns heute <strong>zu</strong>m Einsatz für jenes Aufatmen von Erde, Pflanzen und Tieren ein. Ein lohnender Lebenseinsatz<br />

im Zeichen der Hoffnung.<br />

Unterwegs<br />

Bist du auch schon einen solchen Weg gegangen, in <strong>den</strong> Bergen? Stetig aufwärts in der frischen Morgenluft –<br />

mit einem Ziel vor Augen? Es ist anstrengend und doch leicht. Wie von selbst setzt sich Fuss vor Fuss. Du sch<strong>aus</strong>t<br />

dann und wann gespannt auf: Was kommt wohl hinter der nächsten Wegbiegung – welcher Blick ins Tal und<br />

auf die Berggipfel wird dir gewährt, welch neue Sicht der Welt geschenkt? Links und rechts des Weges grünt die<br />

Erde, gol<strong>den</strong>e Blüten leuchten auf, kleine Schönheiten offenbaren sich bis weit hinauf in die Felsenlandschaft.<br />

Vieles kann dir beim Aufstieg durch <strong>den</strong> Kopf gehen. Jesus ging auch solche Wege. Er liebte es, ganz allein auf<br />

einen Berg <strong>zu</strong> steigen, um Gott nahe <strong>zu</strong> sein. Er brauchte die Stille, das Gespräch mit Gott ganz allein; hier fand<br />

er neue Kraft. Aber er liebte es auch, mit Freun<strong>den</strong> auf <strong>den</strong> Berg <strong>zu</strong> steigen: um ihnen seine Weisheit mit<strong>zu</strong>teilen<br />

und sie das Leben <strong>zu</strong> lehren. Einmal erlebte er eine Verklärung durch Gott auf einem Berg. Schliesslich, am<br />

Ende seines Lebens, schritt er nochmals auf <strong>den</strong> Berg, dr<strong>aus</strong>sen vor Jerusalem, begleitet von Fein<strong>den</strong>, die ihn<br />

ans Kreuz schlugen.<br />

Wie verläuft wohl dein Leben? Ist es ein Aufstieg? Welche Freunde findest du im Leben, welche Feinde? Was<br />

wartet hinter der nächsten Wegbiegung auf dich? Es gilt, <strong>den</strong> rechten Weg im Leben <strong>zu</strong> fin<strong>den</strong>, nicht einen<br />

20


falschen. Es gilt, das rechte Ziel <strong>zu</strong> stecken,<br />

nicht ein falsches. Der Weg ist für <strong>den</strong> Christen,<br />

für die Christin klar vorgezeichnet. Er ist<br />

nicht all<strong>zu</strong>breit, nicht all<strong>zu</strong>viele gehen ihn. Er<br />

ist steinig. Du kannst stolpern und Fehltritte<br />

machen. Er ist anstrengend manchmal und<br />

manchmal leicht. Aber eines ist er gewiss:<br />

Aufstieg <strong>zu</strong>m richtigen Ziel.<br />

Einer hat <strong>den</strong> rechten Weg für uns <strong>aus</strong>gedacht:<br />

Gott selbst. Jesus hat ihn auf dieser<br />

Welt eingezeichnet und ist ihn gegangen. Er<br />

sagt: «Folge mir nach!» Viele haben seither<br />

diese Aufforderung angenommen, sind<br />

Wege gegangen, haben an ihm gearbeitet,<br />

ihn gangbarer gemacht; viele wer<strong>den</strong> ihn<br />

nach uns gehen. Nun bist auch du unterwegs.<br />

Welchen Aufstieg suchst du in deinem Leben?<br />

Willst du Erfolg haben im Beruf, locken dich Ziele wie Schönheit, Liebe zwischen Mann und Frau, Geltung<br />

und Ehre unter <strong>den</strong> Menschen, Geld und Macht? Jesus hat andere Ziele gesteckt, leuchtende Wegzeichen an<br />

die Felsen gemalt und göttliche Schritte getan. Wahres Leben und wahrer Aufstieg beginnt dort, wo du Schritte<br />

wie Jesus tust, wo du <strong>zu</strong>erst und immer von neuem die Nähe Gottes suchst, ganz allein und ganz persönlich <strong>zu</strong><br />

ihm betest, ihn liebst und ihm vertr<strong>aus</strong>t; wo du um Vergebung deiner Schuld bittest und um Bewahrung vor<br />

Fehltritten auf <strong>dem</strong> schwierigen Weg. Dann erhältst du die nötige Kraft <strong>zu</strong> jeder Zeit. Jesus lehrt uns, in welchen<br />

Disziplinen wir uns üben sollen auf <strong>dem</strong> langen Weg des Lebens: Liebe <strong>zu</strong>m Nächsten und Liebe <strong>zu</strong>m Feind,<br />

Kampf gegen das Unrecht und für die Gerechtigkeit. Stiftung von Frie<strong>den</strong> und Mut <strong>zu</strong>r Wahrheit.<br />

Der Weg ist nicht einfach. Das Wetter kann auch umschlagen, Nebel aufkommen, Gewitter und Sturm. Aber du<br />

bist nicht allein. Jederzeit kannst du Gott anrufen; jederzeit findest du auch Weggefährten. Es gilt, beschei<strong>den</strong><br />

von <strong>den</strong> Älteren und Erfahreneren <strong>zu</strong> lernen. Es gilt, die Augen offen<strong>zu</strong>halten nach <strong>dem</strong> nächsten Wegzeichen,<br />

nicht <strong>zu</strong> schnell, sondern überlegt und ruhig <strong>zu</strong> gehen in dieser steinigen Welt.<br />

Du kannst einem, der nicht mehr weiterkommt, sein Leid abhören, eine Weile seinen Rucksack tragen helfen, ein<br />

guter Kamerad, eine gute Kameradin sein. Ein andermal wirst du lei<strong>den</strong>, wunde Füsse haben oder ein wundes<br />

Herz, auch einmal daran zweifeln, ob dieser Weg wirklich der göttliche ist und <strong>zu</strong>m Ziel führt. Dann bist du froh<br />

um andere, die dich einholen und dir gute Nächste wer<strong>den</strong>. Auf diesem Weg trägt jeder einmal sein Kreuz.<br />

Aber auf diesem Weg stechen dich nicht nur Disteln. Immer wieder leuchten auch kleine Lichter auf wie Blumen<br />

am Wegrand: kleine Erfolge des Guten in der Welt, die dir gelingen; Liebe, die du erlebst; Freude am Leben,<br />

die du spürst; Frie<strong>den</strong> und Gerechtigkeit, die aufblühen. Immer wieder einmal tun sich dir hinter der nächsten<br />

Wegbiegung neue Erkenntnisse auf; eine grössere Sicht des Lebens wird dir geschenkt, die Hoffnung auf<br />

Gottes Herrschaft in der Welt gestärkt. Es lohnt sich doch, diesen Weg <strong>zu</strong> gehen und <strong>den</strong> Aufstieg <strong>zu</strong> wagen.<br />

Nicht umsonst hat Jesus gesagt: «Folge mir nach!» und «Ich bin der Weg die Wahrheit und das Leben; niemand<br />

kommt <strong>zu</strong>m Vater <strong>aus</strong>ser durch mich.»<br />

21


Wasserfall am Jordan<br />

Wasser <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Quellen des Heils (Jesaja 12, 3)<br />

Zum Bild<br />

Wasser, frisches Wasser! Wir ahnen heute wieder, wie unersetzlich es ist. In Palästina, woher unser Bild stammt,<br />

weiss man es seit alten Zeiten. Wo Wasser hinkommt, da ist Leben, wo es fehlt, ist Wüste. Ich bin einmal einen<br />

ganzen Tag in der Wüste Juda gewandert und habe mit andern <strong>zu</strong>sammen versucht, ein wenig nach<strong>zu</strong>empfin<strong>den</strong>,<br />

was es heisst: staubig, verschwitzt und durstig endlich <strong>zu</strong> einer Quelle, <strong>zu</strong> einer Oase, <strong>zu</strong> einem Brunnen<br />

<strong>zu</strong> kommen und frisches Wasser trinken <strong>zu</strong> können. Wasser ist lebensnotwendig. Besonders heute wissen wir<br />

neu um diese Kostbarkeit, die es <strong>zu</strong> erhalten gilt.<br />

Der so eindrücklich fotografierte Wasserfall gehört <strong>zu</strong> einem<br />

der drei Quellflüsse des Jordan, die am Hermongebirge entspringen<br />

und sich im nördlichen Galiläa <strong>zu</strong>m nach Sü<strong>den</strong><br />

drängen<strong>den</strong> Strom vereinigen. Auf unserem Bild ist sein zweifaches<br />

Herunterbr<strong>aus</strong>en, das Aufschäumen im natürlichen<br />

Becken, in das er fällt – mit <strong>dem</strong> dunkel aufragen<strong>den</strong> Stein in<br />

der Mitte – und das Weiterfliessen über die Stromschnellen<br />

<strong>zu</strong> sehen: ein kräftiges lebendiges Gewässer. Östlich dieses<br />

Wasserfalls liegt Baniyas, die nördliche Jordanquelle, welche<br />

viel aufgesucht wird. Ich habe dort in heisser Julizeit die Füsse<br />

gekühlt, das klare Wasser gespürt und in der Stille <strong>dem</strong><br />

nachgesonnen, was dieser Fluss Ju<strong>den</strong> und Christen bedeutet.<br />

Nebenan liessen sich schwarzhäutige Menschen <strong>aus</strong> Haiti<br />

taufen, und ich erinnerte mich an Jesus, der ganz in der Nähe,<br />

in Caesarea Philippi, seinen Jüngern mitteilt, er müsse nach<br />

Jerusalem gehen. Dabei ahnen einige unter ihnen schon, welche<br />

Passion am Ende jenes Weges auf ihn wartet (Matthäus<br />

16,13-23). So lasse ich jetzt in Gedanken das Wasser des Jordan<br />

nochmals beim Betrachten des Bildes über meine Füsse<br />

laufen und summe <strong>den</strong> so oft gesungenen, musizierten und<br />

bewegten Wassertanz <strong>zu</strong>m Bibelwort: «Uschavtem mayim<br />

besasson mimayne ha jeschua!» (Hebräisch) <strong>aus</strong> Jesaja 12, 3:<br />

«Ihr werdet mit Freu<strong>den</strong> Wasser schöpfen <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Quellen<br />

des Heils!» Das Bild lädt ein, <strong>zu</strong>r Quelle, <strong>zu</strong> <strong>den</strong> Ursprüngen<br />

unseres Glaubens <strong>zu</strong> kommen.<br />

Wasser des Lebens<br />

Der Jordan, welcher nach einer Strecke von rund 600 km schliesslich am tiefsten Punkt der Erde (-394m) ins<br />

Tote Meer fliegst, hat auch eine eminent religiöse Bedeutung: Den Jordan überschreiten, das hiess, <strong>aus</strong> der<br />

Wüste ins verheissene Land kommen. Der Durch<strong>zu</strong>g unter Josua (Josua 3 und 4), der Kampf Jakobs mit <strong>dem</strong><br />

Engel an einer der Furten (1. Mose 32, 22-32), das reinmachende Wasser beim <strong>aus</strong>sätzigen Syrer Naemann<br />

(2. Könige 5, 10) und das Taufen Johannes des Täufers (Matthäus 3, 5) sind einige der wichtigsten Stationen.<br />

Der Bericht von der Taufe Jesu im Jordan schliesslich ist dessen eigentliche Berufung <strong>zu</strong>m Christus (Matthäus<br />

3,13-17 / Markus 1, 9-11 / Lukas 3, 21 und 22). Ich <strong>den</strong>ke an meine eigene Taufe auf Jesu Namen, der selber<br />

Wasser des Lebens schenkt (Johannes 4,13 und 14).<br />

Quellen des Heils<br />

Am nördlichsten Punkt seiner Heimat, dort bei <strong>den</strong> Quellen und Wasserfällen des Jordans, eröffnet Jesus seinen<br />

Freun<strong>den</strong>, dass er noch eine ganz andere Taufe, nämlich das Todeslei<strong>den</strong> auf sich nehmen muss (Matthäus16,<br />

21). Er zieht anschliessend <strong>dem</strong> ganzen Jordanlauf folgend nach Jerusalem hinauf und hat dabei wahrscheinlich<br />

ein altes Lied in <strong>den</strong> Ohren (Psalm 42 und 43). Es ist das Lied eines in <strong>den</strong> Hermon Verbannten, der an <strong>den</strong><br />

Wassern des Jordan sitzt und sein Heimweh nach Gott <strong>aus</strong> sich her<strong>aus</strong>singt: «Wie der Hirsch nach Wasser, so<br />

schreit meine Seele nach Gott!» (Psalm 42, 2). Jesus hat das Lied sicher viel gesungen. Die Evangelisten zitieren<br />

es, da er verzweifelt im Garten Gethsemane mit seinem Vater ringt (Matthäus 26, 38 / Markus14, 34). Das Bedrohliche,<br />

das Wasser auch haben kann, kommt darin vor (Psalm 42, 8). Aber auch der dreimalige Refrain wird<br />

gesungen: «Gott ist meines Angesichts Hilfe» (42, 6 und 12 / 43, 5).<br />

Der im Jordan getaufte Jesus hat ja dann in Jerusalem auch diesen Refrain, diesen Liedschluss erfahren dürfen:<br />

Seine Auferweckung von <strong>den</strong> Toten ist Gottes Antwort, ist Lebenswasser der Rettung gewor<strong>den</strong>. Nach<strong>den</strong>k-<br />

22


lich erinnere ich mich nochmals an meine eigene Taufe: Dreimal wurde mir damals ein Kreuz mit Wasser auf<br />

die Stirn gezeichnet, dreimalige Bestätigung, dass Gott auch mich <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Tode her<strong>aus</strong>gezogen hat und ins<br />

Leben, sein ewiges Leben bringen wird. So gehe ich getrost meinen Weg und bitte ihn täglich um das Wasser<br />

des Lebens, dass ich neugeboren, täglich ein neu getaufter Oster- und Pfingstmensch werde, der auf diesem<br />

Erdbo<strong>den</strong> seinen befreien<strong>den</strong> Ruf hört: «Folge auch du mir nach!» Ich engagiere mich z. B. für die Erhaltung<br />

des vom Schöpfer geschenkten Wassers und danke für je<strong>den</strong> Tropfen, <strong>den</strong> ich davon trinke. Er taufe uns, Junge<br />

und Alte, mit seinem lebenspen<strong>den</strong><strong>den</strong> Geist, auf dass unsere Mitwelt erfahre, <strong>aus</strong> welcher Quelle wir uns<br />

nähren: «Bei Dir ist die Quelle des Lebens!» (Psalm 36,10).<br />

Weg in Galiläa<br />

Olivenbäume, rotbraune Erde, trockene Felder, ein in <strong>den</strong><br />

Stoppeln Futter suchender Esel, ein staubiger einfacher Weg<br />

in Ober-Galiläa.<br />

Wenn ich genau hinsehe, entdecke ich hinter <strong>dem</strong> rechten<br />

Baum einen zweiten Esel. Geht eigentlich ein Pfad links ins<br />

Feld und führt der Weg, von Steinen flankiert, nach rechts<br />

weiter? Ich ahne <strong>den</strong> terrassierten, sanft ansteigen<strong>den</strong> Hügel<br />

im Hintergrund. Durch die silbern schimmern<strong>den</strong> Ölblätter<br />

hindurch blicke ich in <strong>den</strong> unwahrscheinlich hellen blauen<br />

Himmel. Es ist Sommer und damit Trockenzeit, die Sonne Palästinas<br />

lädt <strong>zu</strong>m Verweilen im Freien ein. Schatten und Licht<br />

wechseln auf <strong>dem</strong> Pfad. In Gedanken lasse ich mich unter<br />

der vordersten Olive nieder und blicke <strong>den</strong> Weg entlang:<br />

Ich bin in der Heimat Jesu, in der Nähe des Drusendorfes<br />

Hurfeish, wo auch muslimische und christliche Familien<br />

leben. Die Bewohner verdienen ihren Lebensunterhalt mit<br />

Oliven, Obstanbau, Tabakfeldern und durch die Ertragnisse<br />

zweier grosser Nähstuben. Fünf Kilometer östlich liegt der<br />

nächste israelische Kibbuz: Sasa. Gegen Nor<strong>den</strong>, wo sich<br />

über <strong>dem</strong> Dorf der Aussichtsberg Har-Addir (1006 m. ü.<br />

M.) als Teil des Gebirges Ephraim erhebt, stösst man schon<br />

nach 5 km auf die heutige Grenze <strong>zu</strong>m Libanon. Im Südosten<br />

befindet sich in 25 km Entfernung Kapernaum am See<br />

Genezareth, jenem grossartigen funkeln<strong>den</strong> Auge <strong>zu</strong>r Jordanaue<br />

hin. Im Westen sind es 27 km bis <strong>zu</strong>r einstigen Kreuzritterstadt Akko am Mittelmeer, und von Nazareth<br />

im Sü<strong>den</strong> trennen mich gerade nur 35 km. Dort hat Jesus als Zimmermann gearbeitet und in <strong>den</strong> letzten kurzen<br />

Lebensjahren seine Berufung als Christus <strong>zu</strong> leben begonnen.<br />

Ich bin auf seinen Namen getauft und im Glauben an ihn konfirmiert. Deshalb sitze ich hier am Wegrand und<br />

lasse mich von der galiläischen Umwelt anrufen: Da sind <strong>zu</strong>nächst die Ölbäume, welche zwar langsam wachsen,<br />

dafür aber ungeheuer alt wer<strong>den</strong> können und immer wieder überraschend <strong>aus</strong>schlagen. Auf dürrem, steinigem<br />

Bo<strong>den</strong> sind sie besonders fruchtbar, aber es braucht Geduld: Der Mensch, der einen Ölbaum setzt, tut dies für<br />

die nächste Generation, erst diese wird Oliven ernten können. Seit Noahs Taube mit <strong>dem</strong> Ölblatt im Schnabel<br />

<strong>zu</strong>rückkehrte (1.Mose 8,11), ist der Ölbaumzweig <strong>zu</strong>m Sinnbild des Frie<strong>den</strong>s gewor<strong>den</strong>. Auch dieser bedarf eines<br />

langen Wachstums. Und lag nicht Jesus in Gethsemane unter alten Ölbäumen (Matthäus 26, 36-39)? Blut hat<br />

er geschwitzt, allein mit seiner Angst. Wahrhaftig, sein Frie<strong>den</strong>sdienst uns <strong>zu</strong>gut forderte ihn ganz. Gethsemane<br />

mit <strong>den</strong> Ölbäumen ist für mich seither jener Ort, da es keinen Platz oder Raum, keine Zeit und kein Geschöpf<br />

mehr gibt, und wäre es <strong>zu</strong>unterst, wo Jesus nicht auch ist und daneben liegt.<br />

Aus seinem Frie<strong>den</strong>stiften leben, was heisst das heute für mich? Ein langes Nachsinnen beginnt bei mir: „Ich<br />

will <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> <strong>zu</strong> deiner Obrigkeit machen und die Gerechtigkeit <strong>zu</strong> deiner Regierung!» (Jesaja 60,17). Dafür<br />

lohnt es sich <strong>zu</strong> leben. Ein anderes Prophetenwort steigt vor mir auf, das Jesus sicher gekannt hat: «Sie wer<strong>den</strong><br />

ein jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen, ohne dass einer sie aufschreckt!» (Micha<br />

4, 4). Vieles davon kommt mir in Jesu Leben und Wirken entgegen. Und im Geist sehe ich die obergaliläische<br />

Landschaft auf unserm Bild verwandelt durch <strong>den</strong> Frühjahrsregen. Dann sprossen hier rote Anemonen, Veilchen,<br />

blaue Iris, rote Tulpen und Mohn, Glockenblumen, Orchideen, gelbe Margueriten, Malven, gelbe und lila<br />

Disteln. So verwandelnd, dünkt mich, wirkt noch heute Jesu Botschaft. Ich möchte ihn um Seinen Geist bitten,<br />

um selber ein Frie<strong>den</strong>smensch <strong>zu</strong> wer<strong>den</strong>.<br />

Ich wende meine Blicke <strong>dem</strong> Esel <strong>zu</strong>. Wieviele dieser geduldigen und genügsamen Tiere habe ich in Palästina<br />

angetroffen. Besonders die Kinder verstehen sich mit ihnen sehr gut. Für Araberjungen ist der Esel wie für<br />

23


unsere Jugend das Velo: Zu zweit, <strong>zu</strong> dritt sitzen sie darauf, und das Grauohr ist ihr Spielkamerad. Der Esel ist<br />

das Reit- und Lasttier des kleinen Mannes. Auf <strong>dem</strong> Maultier ritten <strong>zu</strong> König Davids Zeiten (1000 vor Christus)<br />

die Vornehmen. Während ich <strong>dem</strong> Eselchen <strong>zu</strong>schaue, wie es an ein paar vertrockneten Disteln rupft, <strong>den</strong>ke<br />

ich nochmals an Jesus:<br />

Ein Esel hat ihn als Kind auf der Flucht getragen. Auf <strong>dem</strong> gewaltlosen Esel ritt er am Palmsonntag in Jerusalem<br />

ein. Nicht auf einem Pferd, sondern auf <strong>dem</strong> Esel: Der Frie<strong>den</strong>skönig reitet der Verurteilung entgegen, während<br />

die Menge noch «Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn» singt (Matthäus 21, 1-11). So ist auch der Esel<br />

ein Hinweis auf Jesu Frie<strong>den</strong>sarbeit und Frie<strong>den</strong>sverheissung.<br />

Ich komme nochmals tief ins Nachsinnen: Unter <strong>dem</strong> hellen Himmel Galiläas, in der Nähe eines Dorfes, in welchem<br />

drei Religionen <strong>zu</strong>sammenleben, sitze ich getaufter und konfirmierter Europäer und <strong>den</strong>ke an Jesu zarte<br />

und helle, befreiende und beglückende Botschaft, die er so von ganzem Herzen lebte. Still bitte ich ihn in der<br />

Tiefe meines Herzens darum, dass er mich berühre, dass ein Glanz von seinem Wirken und Wollen auch auf<br />

meine Lebensschritte falle, dass er mitten im Auf und Ab meines Lebens mit seinem «Schalom» bei mir sei. Ich<br />

stehe vom Wegrand auf und beginne hinter Ihm her<strong>zu</strong>gehen. Auch und gerade bei Jesus gilt: Weg wird Weg<br />

im Gehen. Schritt vor Schritt. Ich fange damit an.<br />

Die blaue Schöpfung<br />

Beim ersten Blick auf dieses Bild sieht man blau – und <strong>den</strong>kt sofort an<br />

Himmel, Wasser, Erfrischung, Freizeit, Tiefe, cool! Blau symbolisiert <strong>zu</strong><strong>dem</strong><br />

Kraft: aber nicht die rote, feurige – auch nicht die grüne, organische und<br />

nicht die still verborgene Kraft der braunen Erde. Blau symbolisiert das<br />

Unendliche. Das Meer mit seinen endlosen Wellen ist blau – wie auch<br />

der Himmel, der uns einen Blick ins Univer sum tun lässt. Blau ist die Farbe<br />

der Tiefe, wo Sehn sucht und Lebensdurst wohnen. Diesem innersten<br />

Wunsch nach Leben, Geborgenheit und einem echten Lebenssinn kann<br />

nur Gott in seiner Treue entsprechen. Sein uneingeschränktes «Ja» steht<br />

über je<strong>dem</strong> Menschenleben.<br />

In der Farbharmonie des Künstlers mischt sich so mancher Ton, mit Pinsel<br />

und Scanner aufgetragen. Das Blau der rissigen Jeans und die originellen<br />

Buchstaben erinnern an Kreativität und Freiheit – aber auch daran, dass<br />

sich jugendliches Leben nicht einfach anpassen will. Die einzelnen Buchstaben,<br />

etwa so verschie<strong>den</strong> wie auch wir Menschen, bil<strong>den</strong> <strong>zu</strong>sammen<br />

eine Einheit und wei sen, wie jede Kreatur des Universums, auf <strong>den</strong> Schöpfer<br />

hin: «God is creator of the earth», Gott ist der Schöpfer der Erde.<br />

In seiner unermesslichen Kreativität hat Gott <strong>den</strong> schönen, blauen Planeten<br />

mit seinen Elementen geschaffen. Er ist aber nicht nur Herr der sichtba ren,<br />

sondern auch der unsichtbaren Welt: Er kennt unsere tiefsten Wünsche, Fragen, Gedanken und Gefühle. Er ist<br />

der Gott der Tiefe und der Weite, weit über unseren Dimensionen – aber auch der Gott der Treue, symbolisiert<br />

durch die Farbe blau.<br />

Ruhe nach <strong>dem</strong> Sturm<br />

(nach Markus 4.35-41) von Helmut J. Hehl<br />

Diese Aufnahme erinnert an die Geschichte im Neuen Testament, wo Jesus Christus die tobende See <strong>zu</strong>m<br />

Schweigen brachte. Seine Jünger, erfahrene Fischer, kamen in Seenot. Durch Sturm und hohe Wellen bedroht,<br />

gerieten sie in panische Todesangst. In ihrer Ohnmacht und Hilflosigkeit weckten sie Jesus, der mit dabei war<br />

und schlief, und baten ihn um Hilfe. «Er stand auf, sprach ein Machtwort <strong>zu</strong> <strong>dem</strong> Sturm und befahl <strong>dem</strong> toben<strong>den</strong><br />

See: ‘Schweig! Sei still!’ Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still» (Vers 39).<br />

Die Gegensätze in dieser biblischen Geschichte widerspiegelt auch unser Bild: Dunkelheit – und doch triumphiert<br />

das Licht, panische Angst – und doch Zuversicht, spannungsgela<strong>den</strong> – und doch still, zeitlos – und doch aktuell.<br />

Sind nicht wir alle, gen<strong>aus</strong>o wie die Fischer damals, mit diesen Spannungsfeldern konfrontiert? Sind wir in der<br />

heutigen Zeit nicht auf ähnliche Art und Weise Sturm und Wellen <strong>aus</strong>gesetzt wie die Fischer damals in diesem<br />

alten hölzernen Kahn? Symbolisiert sie nicht auch die Situation der Kirche, die oft genau so hilflos und ohnmächtig<br />

scheint – angesichts der persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Probleme und Unsicherheiten?<br />

Aber vergessen wir nicht, Jesus hatte noch rechtzeitig eingegriffen, als die Jünger ihn darum baten. Souverän<br />

24


Jesus<br />

Helena Backmark<br />

Abendmahl<br />

Helena Backmark<br />

sprach er ein Machtwort und erwies sich als Herr der<br />

Lage: «… und es wurde ganz still». Diese Ruhe nach <strong>dem</strong><br />

Sturm ist beim Betrachten dieses Bildes spürbar. Die<br />

Bedrohung, die durch die Gewalten der Natur <strong>aus</strong>ging,<br />

lässt sich noch erahnen, aber die Stille überwiegt und<br />

das Licht dominiert die noch vorhan<strong>den</strong>e, aber besiegte<br />

Dunkelheit. Dieser Sieg gilt heute noch, auch wenn alles<br />

<strong>zu</strong> wanken scheint und manchmal nicht der kleinste Hoffnungsschimmer<br />

am Horizont <strong>zu</strong> sehen ist. Gott ist auch<br />

heute noch Herr der Lage, wenn wir ihn Herr sein lassen<br />

und ihn um Hilfe bitten. «Warum habt ihr solche Angst?»<br />

fragte Jesus (damals die Jünger). «Habt ihr <strong>den</strong>n immer<br />

noch kein Vertrauen?» (Vers 40). Wir tun gut daran, uns<br />

dieser Frage immer wieder <strong>zu</strong> stellen – in <strong>den</strong> Stürmen<br />

des Lebens, beim Treffen wichtiger Entscheidungen und<br />

auf der Suche nach Ruhe und Erfüllung.<br />

Es ist mehr als ein einfaches, technisch gelungenes Bild von Jesus. Jesus<br />

steht vor dir und schaut geradewegs in deine Augen, er bringt die Botschaft<br />

der Barmherzigkeit. Sein Blick berührt die Tiefe deines Herzens.<br />

Seine Füsse, seine Hände, sein ganzes Sein bewegt sich dir <strong>zu</strong>, bahnt<br />

einen Weg des Lichts in der Finsternis, Finsternis wie Verlet<strong>zu</strong>ngen, Angst,<br />

Scham, «geliebte Sün<strong>den</strong>», Krankheiten, auch wenn all dies vorerst goldig<br />

erscheint. Seine Hände, seine Arme und sein Gesicht sind bereit, dich <strong>zu</strong><br />

umgeben, mit seiner Zärtlichkeit dich <strong>zu</strong> schützen, dir Leben <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>geben.<br />

Seine Verlet<strong>zu</strong>ngen wer<strong>den</strong> im Hintergrund dunkelrot dargestellt. Im<br />

Vordergrund – hell beleuchtet durch das Licht – sein Gesicht, seine Hände,<br />

Arme, Füsse und Beine. Es ist wie Jesus durch die Mauer seiner Kammer<br />

schreitet um die Jünger <strong>zu</strong> treffen. Der Auferstan<strong>den</strong>e kommt durch deine<br />

Mauer deines Selbstschutzes um dir <strong>zu</strong> sagen: «Friede sei mit Dir». Dies<br />

hat er schon damals <strong>zu</strong> Thomas gesagt und ihm die Wundmale gezeigt.<br />

«Fürchte dich nicht, <strong>den</strong>n ich bin bei dir bis ans Ende der Welt.»<br />

Oben links im Hintergrund ist das dunkle, leere Kreuz mit <strong>dem</strong> Licht des<br />

Vaters, der Jesus sendet, dir <strong>zu</strong> begegnen.<br />

Und auf <strong>dem</strong> Herzen Jesus’ im dunkelroten Teil entdeckst du ein kleines<br />

Fenster mit <strong>den</strong> hebräischen Worten: «Vater, vergib ihnen, <strong>den</strong>n sie wissen<br />

nicht, was sie tun». Das sind seine Schmerzen, verursacht durch unsere<br />

Verfehlungen. Gleichzeitig offeriert er dir sein Erbarmen, seine Vergebung, seinen Schutz. Sein Friede, der all<br />

unseren Verstand übersteigt. Sein Leben, dein ewiges Leben. Dein Jetzt und Hier wird <strong>zu</strong>r Gegenwart Gottes.<br />

Wie S. Augustin sagte: «Werde der du bist!»<br />

Abendmahl, 2000 Jahre alt? Nein. Es ist der Herr, der dich ganz persönlich einlädt, jetzt und immer wieder die<br />

Gemeinschaft mit ihm <strong>zu</strong> teilen. Erkennst du unter all <strong>den</strong> Inschriften <strong>den</strong> an dich adressierten Einladungsbrief?<br />

Dieser lei<strong>den</strong>de, blutende Herr ist der Auferstan<strong>den</strong>e. Das Dreieck in der Bildmitte stellt das Licht der Welt dar,<br />

das er vom Vater erhält. Von seinem Zentrum <strong>aus</strong> (gemeint ist damit der «goldige» Bauchnabel) reflektieren<br />

diese Strahlen in seine Umgebung bis ans Ende der Welt, dargestellt durch die zwei Kreisbogen. Das Leben von<br />

Christus durchschreitet <strong>den</strong> ganzen Globus: Unten links ist die lkone «Jungfrau der Zärtlichkeit», Symbol seiner<br />

Kindheit bis hin <strong>zu</strong>r Auferstehung, gekennzeichnet durch das leere Grab ganz rechts.<br />

Der Auferstan<strong>den</strong>e lädt dich ein <strong>zu</strong>m Mahl der Vergebung und der Versöhnung, des Wiedersehens, des Bündnisses,<br />

die Anfänge der «Hochzeit des Lammes».<br />

25


Rechts von Jesus sitzt Petrus, die Augen<br />

verdeckt durch die «Scham seines Verrates»,<br />

der Einladungsbrief genau diesen Schleier<br />

berührend. Petrus antwortet, in<strong>dem</strong> er die<br />

Einladung annimmt und dabei ist. Gott lädt<br />

alle Petrus’ ein, die Masken nieder<strong>zu</strong>legen<br />

und das Licht auf<strong>zu</strong>nehmen. Links von Jesus<br />

ein anderer Jünger, Judas: Im Gegensatz<br />

<strong>zu</strong> der geben<strong>den</strong> Geste von Jesus eher in<br />

sich gebeugt, etwas bedrängt durch einen<br />

anderen Jünger. Der Herr teilt <strong>aus</strong>, aber<br />

Judas kann nicht warten. Er muss nach<br />

seinen eigenen Ideen handeln. Er nimmt das Brot und <strong>den</strong> Wein, ohne dass er gesegnet und es ihm <strong>aus</strong>geteilt<br />

wurde. Gott lädt auch die Judas’ ein. Er lädt sie ein <strong>zu</strong> warten, <strong>den</strong> Segen <strong>zu</strong> erhalten bevor eine Gabe und<br />

einen Segen für andere <strong>zu</strong> sein.<br />

Und dann hat es noch die anderen. Die, die verkrampft beten, solche die stehen, bereit <strong>zu</strong> handeln (rechts),<br />

und diese wie Johannes, links, ganz nahe bei Jesus. Sie warten. Die Trinkschalen sind auf <strong>dem</strong> Tisch, auch jene<br />

von Jesus. Sie erwarten die Zeit des Herrn, seinen Segen.<br />

Dein Leben ist berufen, ein Abendmahl <strong>zu</strong> sein: <strong>aus</strong>erwählt, gesegnet, zerbrochen, dann wieder <strong>aus</strong>geteilt und<br />

multipliziert. Du trägst mit Jesus die Schmerzen, die Zerrissenheit, die Blindheit unserer Welt, auf dass das Licht<br />

der Auferstehung <strong>aus</strong>gebreitet wird. Die Liebe, das Leben.<br />

Transformation<br />

Urs Lüthi<br />

Gestein, geformt und geschliffen durch Wassermassen,<br />

die während Jahrt<strong>aus</strong>en<strong>den</strong> ihren Weg durch<br />

diese Slot Canyons suchten. Ecken und Kanten wur<strong>den</strong><br />

<strong>zu</strong> run<strong>den</strong> Bogen und schwungvoll gestalteten<br />

Formen. Wie mögen diese Felswände vorher <strong>aus</strong>gesehen<br />

haben?<br />

Licht und Dunkelheit prägen als Gegensätze dieses<br />

Bild – ein eindrücklicher Vergleich <strong>zu</strong> unserem Leben.<br />

Kennen wir sie nicht auch, die dunklen Schattenseiten?<br />

Vielleicht sind es Ängste, Einsamkeiten, Gedanken,<br />

die wir nieman<strong>dem</strong> sagen können, unser eigenes<br />

Versagen oder das Gefühl, weit weg von Gott <strong>zu</strong> sein.<br />

Wir können diese Dunkelheiten nicht einfach <strong>aus</strong> unserem<br />

Leben verbannen. Es geht auch nicht darum,<br />

sie <strong>zu</strong> verdrängen oder <strong>zu</strong> ignorieren. Viel wichtiger ist<br />

es, die Chance <strong>zu</strong> ergreifen, ehrlich mit sich selber <strong>zu</strong><br />

sein, die persönlichen «Ecken» und «Kanten» schleifen<br />

<strong>zu</strong> lassen und Veränderung <strong>zu</strong> wagen. Und dies ist ein langer, nicht immer einfacher Prozess, gibt <strong>dem</strong> Leben<br />

jedoch eine ganz neue Perspektive. Dabei ist nicht die Leistung gefragt, sondern die Offenheit gegenüber uns<br />

vielleicht noch frem<strong>den</strong> Gedanken.<br />

Wenn wir Jesus Christus in die Probleme und Nöte miteinbeziehen, haben wir die Hoffnung, dass Licht in unser<br />

Leben dringt. Denn er sagt von sich selbst: «Ich bin das Licht der Welt.» Als Sohn Gottes hat er uns mit seinem<br />

Leben und Sterben auf dieser Welt <strong>den</strong> Weg <strong>zu</strong>m himmlischen Vater gebahnt. Nicht eine Rennbahn, aber einen<br />

gehbaren Weg. Dieser Weg ist einmal geheimnisvoll, einmal dunkel und mit Schwierigkeiten verbun<strong>den</strong> und<br />

einmal hell beleuchtet. Niemand kennt alle Einzelheiten <strong>zu</strong>m vor<strong>aus</strong>, vieles bleibt verborgen. Aber die Verheissung,<br />

dass der Herr uns Menschen ans Ziel führt, ist allen gewiss, die ihm vertrauen. Und hören wir doch auf<br />

sein Wort in Micha 7, 9: «Er wird uns <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Dunkel ins Licht führen. Wir wer<strong>den</strong> es erleben, dass er uns rettet.»<br />

26


Blick nach oben<br />

Stephan Zwygart / Ulrike Schillmeier<br />

Ein wunderschöner, sonniger Tag mit strahlend blauem Himmel – ich<br />

laufe etwas entfernt von <strong>den</strong> anderen – und plötzlich stehe ich vor<br />

drei Birken. Ihre glatten Stämme ziehen meinen Blick nach oben. Ich<br />

lege mich ins Gras, meine Arme verschränke ich hinter <strong>dem</strong> Kopf,<br />

meine Füsse berühren <strong>den</strong> mittleren Stamm.<br />

Später erzähle ich meinen Freun<strong>den</strong>, was ich gesehen habe. Es<br />

war mehr als nur eine Formation von drei wunderschönen, gerade<br />

gewachsenen Birkenstämmen, deren hoch ansetzende, gelbgrüne<br />

Laubkronen sich vor <strong>dem</strong> tiefen A<strong>zu</strong>rblau abhoben und durch die<br />

ein sanfter Wind strich.<br />

Ich habe ein Kreuz gesehen. Das Zeichen, das als Symbol dafür<br />

steht, dass Jesus Christus die Schuld der Welt gesühnt hat und so<br />

die Verbindung von der «Erde» <strong>zu</strong>m «Himmel» wieder hergestellt<br />

ist. Ich habe an das Kreuz gedacht, an <strong>dem</strong> Jesus Christus für meine<br />

Sün<strong>den</strong> gestorben ist.<br />

Und dann die drei einzelnen Birken, deren Kronen sich <strong>zu</strong> einem Kreis<br />

schliessen. Ein Bild dafür, dass Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist ist,<br />

genannt die Dreieinigkeit. Drei einzelne «Personen» mit verschie<strong>den</strong>en<br />

Funktionen, und doch gehören sie <strong>zu</strong>sammen und bil<strong>den</strong> eine<br />

unzertrennliche, vollkommene Einheit. Licht und Schatten treffen<br />

sich – mitten auf <strong>den</strong> Stämmen. Wie war das nur schon beim soeben erwähnten Kreuz? Hat nicht gerade das<br />

Sterben und Auferstehen von Jesus eine scharfe Trennung von Licht und Finsternis bewirkt?<br />

Der Hintergrund: Blau. Blau, die Farbe, die für die Hoffnung steht. Wir haben Hoffnung. Noch mehr: Wir sind<br />

<strong>zu</strong>r Hoffnung berufen, wie es in Epheser 1.18 steht: «Er öffne euch die Augen, damit ihr seht, wo<strong>zu</strong> ihr be-rufen<br />

seid, worauf ihr hoffen könnt und welch unvorstellbares Erbe auf alle wartet, die an Christus glauben.» Es ist<br />

gerade der «Blick nach oben», der uns diese neue Hoffnung schenkt.<br />

Was ich erzähle, löst unterschiedliche Reaktionen <strong>aus</strong>. «Was für eine Idee, es waren doch nur drei Birken», rief<br />

einer, ein anderer Freund war tief bewegt und sagte: «Nun begreife ich, was gemeint ist, wenn in Römer 1<br />

Vers 20 steht: Gott ist zwar unsichtbar, doch an seinen Werken, der Schöpfung, haben die Menschen seit jeher<br />

seine göttliche Macht und Grösse sehen und erfahren können.»<br />

Hören<br />

Farbfenster von Felix Hoffmann (1911-1975)<br />

In der reformierten Kirche Bellach im Kanton Solothurn sind seit <strong>dem</strong><br />

Jahre 1957 in die rechte vor dere Stirnwand vier Scheiben von Felix<br />

Hoffmann, <strong>dem</strong> bekannten Aarauer Künstler, eingefügt. Die Kirche<br />

hat einen fünfeckigen Grundriss und empfängt durch diese Glasfenster,<br />

die in die hell graue Wand eingelassen sind, eine Atmosphäre der<br />

Sammlung und Stille. Alle vier Quadrate sind sehr hell gehalten und<br />

stehen auf der Innenseite der Wand, so dass eine Tiefenwirkung bis <strong>zu</strong>r<br />

äusseren Fensterscheibe entsteht. Bei unserm Farbdruck ist deshalb an<br />

<strong>den</strong> Rändern (<strong>aus</strong> ser links) ein dunkler Schatten <strong>zu</strong> sehen.<br />

Unsere vorliegende Scheibe eröff net <strong>den</strong> Zyklus und befindet sich links.<br />

Neben ihr folgt <strong>zu</strong>m Stich wort «Sehen» ein Kelch und ein Frauenantlitz,<br />

hernach die Scheibe «Beten» mit einem kleinen Mäd chen und dessen<br />

Mutter und ganz rechts das vierte Fenster «Helfen» mit einem Gesicht,<br />

das von der Hand eines Mitmenschen gestützt wird und <strong>aus</strong> einer<br />

Schale <strong>zu</strong> trin ken erhält.<br />

Wir wen<strong>den</strong> uns der Scheibe «Hö ren» <strong>zu</strong>, die wir mit besonderer Freude und im nochmaligen Ge <strong>den</strong>ken an<br />

<strong>den</strong> verstorbenen Felix Hoffmann hiermit ein wenig be kannt machen möchten.<br />

Zwei Wesen sind darauf abgebil det: Ein Mensch und ein Vogel. Um sie herum ist in bräunlichen, graublauen<br />

und weisslichen Farb tönen das Gehäuse angedeutet, in welchem sich dieser Mensch befindet und in das der<br />

27


Vogel von oben her hineinstösst. Wir wollen <strong>zu</strong>nächst das mensch liche Antlitz und die sprechende Gebärde<br />

dieses Menschen ein we nig näher betrachten und auf uns wirken lassen:<br />

In gesammelter Aufmerksamkeit scheint hier jemand etwas <strong>zu</strong> hö ren. Die bei<strong>den</strong> Hände verstärken die Schale<br />

und das Hinhalten des Ohres wie bei einem Menschen, der ganz, ganz genau hinhören will. Damit nichts von<br />

<strong>aus</strong>sen stö ren kann und um diesen Eindruck noch <strong>zu</strong> erhöhen, sind beide Augen geschlossen. Auch der Mund<br />

ist <strong>zu</strong>. Ein Mensch hört. Felix Hoff mann hat in diese Geste <strong>den</strong> In begriff allen Hörens hineingelegt, das Hören<br />

an sich spricht <strong>aus</strong> die ser Farbscheibe <strong>zu</strong> uns. Dem ruhigen, gesammelten Ge sicht ist an<strong>zu</strong>sehen, was es hört.<br />

Die Farbe Grün in der linken Gesichtshälfte weist darauf hin, dass hier etwas Hoffnungsvolles, etwas Leben<br />

und Zuversicht Schaffendes vernommen wird. – Damit sind wir beim zweiten Le bewesen, beim taubenartigen<br />

Vo gel. Er stösst mit grosser Kraft von oben her pfeilartig nach unten. Eine so grosse Zielgerichtetheit spricht<br />

dar<strong>aus</strong>, als gäbe es nur gerade diesen einen Menschen, <strong>zu</strong> welchem er fliegen will. Gleich zeitig breitet er <strong>den</strong><br />

einen Flügel so weit <strong>aus</strong>, dass er <strong>den</strong> Menschen damit schirmt und dieser sich dar unter <strong>zu</strong> bergen vermag. Der<br />

kühne Vogel ist in blauer Farbe gehalten. Blau ist die Farbe des Himmels und gleichzeitig auch des Glaubens.<br />

Rund um <strong>den</strong> Vogel<br />

sind an ein paar Stellen kleine rot aufleuchtende Flecken: Hinweis auf das Feuer, das <strong>den</strong> Vogel an treibt und<br />

als Boten <strong>zu</strong>m Men schen <strong>aus</strong>schickt. Unser Bild ist eine symbolische Darstellung. Es geht darin um ein ganz<br />

besonderes Hören. Die Taube ist ja seit alters Symbol und Sinn bild für <strong>den</strong> Heiligen Geist. Es ist die Stimme<br />

Gottes, auf welche dieses Menschengesicht in seiner Versenkung so intensiv <strong>zu</strong> hören versucht. Und deshalb<br />

haben wir das Werk Hoffmanns unter die Konfirman<strong>den</strong>scheine aufgenom men. Wir wünschen ihm da und dort<br />

in einem Zimmer einen guten, stillen Platz an einer Wand, wo der Blick eines jungen oder älteren Menschen<br />

darauf fallen kann.<br />

Man muss mit diesem Bild lange <strong>zu</strong>sammenleben. Immer wieder kann man es betrachten. Immer neu fällt mein<br />

Blick darauf. Ich freue mich daran. Ich kann mich hineinversenken. Ich darf mich selber darin sehen. In diesem<br />

hö ren<strong>den</strong>, empfangen<strong>den</strong> Menschen stecke ich selber. Durch das Ge wirr von Stimmen und Geräu schen, durch<br />

Lärm und wirre Töne vernehme ich die Stimme meines Schöpfers.<br />

Ein dauerndes Bedürfnis spricht <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Bild, ein lebenslanges Be mühen: «Rede, lieber Herr, dein Geschöpf<br />

hört!» Erstaunt und be glückt sehe ich, wie die blaue Taube dicht ans Ohr geflogen kommt und mir die frohe<br />

Nach richt <strong>zu</strong>flüstert und <strong>zu</strong>zwitschert: «Du gottgeliebter Mensch bist le benslang bei ihm geborgen.» Eigentlich<br />

beginnt erst jetzt die Zwiesprache mit dieser Farbschei be. Ich wünsche <strong>dem</strong> Betrachter, dass er hierbei immer<br />

neu jene fröhliche Folge erlebt: Hören - Sehen - Beten - Helfen.<br />

Helfen<br />

Farbfenster <strong>aus</strong> einem Bilderzyklus von Felix Hoff mann (1911-1975) in der reformierten Kirche in BeI lach (Kt. Solothurn).<br />

Am Südfuss des Jura, zwischen Solothurn und Gren chen, liegt das kleine<br />

Dorf Bellach, für dessen moder ne reformierte Kirche der Aargauer Künstler<br />

Felix Hoffmann vier Farbfenster geschaffen hat. Schon ihre formale<br />

und farbliche Gestaltung deutet auf ihren inneren Zusammenhang, der<br />

<strong>den</strong>n auch in ihrer inhaltlichen Aussage klar <strong>zu</strong>m Ausdruck kommt. Dargestellt<br />

sind: Ein Hörender (1. Bild), ein Kelch und ein Frauenantlitz (2.<br />

Bild), ein betendes Mädchen (3. Bild) und ein Hilfsbedürftiger mit seinem<br />

Helfer (4. Bild).<br />

HÖREN – SEHEN – BETEN – HELFEN heissen die Stichworte, mit <strong>den</strong>en<br />

die Botschaft der vier Fenster signalisiert wird. Wer sie in Ruhe über<strong>den</strong>kt<br />

und die Bilder auf sich wirken lässt, entdeckt auf einmal, dass hier nicht<br />

nur das Grundthema des reformierten Got tesdienstes anklingt, sondern<br />

des christlichen Lebens überhaupt. Christsein ist keine moralische Qualität,<br />

durch die Christen sich von andern Menschen unter schei<strong>den</strong>. Christen sind Menschen wie alle andern, mit<br />

ihrem Auf und Ab, mit ihren Vorzügen und Schat tenseiten, mit ihren Gaben und ihren Grenzen. Was sie von<br />

andern unterscheidet, ist die Beziehung, in der sie stehen und <strong>aus</strong> der sie <strong>zu</strong> leben versuchen. Christus hat sie<br />

in seine Nachfolge gerufen und nimmt Einfluss auf ihren Weg, auf <strong>dem</strong> sie <strong>zu</strong>sam men mit ihren Mitmenschen<br />

unterwegs sind.<br />

Um sich auf diesem Weg <strong>zu</strong> orientieren, hören sie auf Gottes Stimme, wie sie uns im Wort der Bibel und auch im<br />

Zeugnis der Gemeinde entgegenkommt. Sie beginnen auch, etwas <strong>zu</strong> sehen von <strong>den</strong> Spuren sei nes Wirkens,<br />

nicht nur dort, wo Gutes gelingt, auch in <strong>den</strong> Tiefen des eigenen Versagens, <strong>dem</strong> das Angebot der Versöhnung<br />

gilt, wie es uns durch die Gaben des Abendmahls vermittelt wird. Vor allem beten sie – für sich selbst und für<br />

andere, für unsere bedrohte Welt und für <strong>den</strong> Weg der Kirche – um offen <strong>zu</strong> sein für Gottes Weisung und Hilfe.<br />

Dar<strong>aus</strong> entsteht dann auch eine neue Beziehung <strong>zu</strong> <strong>den</strong> Mitmenschen, die sich äussert im gegenseitigen helfen<br />

28


mit <strong>den</strong> Möglich keiten und Kräften, die uns gegeben sind.<br />

Von diesem HELFEN redet das hier vorliegende vierte Bild <strong>aus</strong> der Serie von Felix Hoffmann. Mit seinen einfachen<br />

Formen und seiner sparsamen Farbgebung spricht es unmittelbar <strong>zu</strong> uns. Der Blick fällt <strong>zu</strong>erst auf <strong>den</strong><br />

grossen fast waagrecht liegen<strong>den</strong> Kopf mit <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> so auffallend verschie<strong>den</strong>en Gesichtshälften. Eine Hand<br />

stützt ihn von unten; eine andere Hand bringt ein mit Wasser gefülltes Gefäss in seine Nähe.<br />

Wer mag dieser auf seinen Kopf und ein kleines Stück Hals reduzierte Mensch sein? Deuten vielleicht die bei<strong>den</strong><br />

Gesichtshälften – die dunkle und die helle – auf verschie<strong>den</strong>e Seiten seines Wesens? Oder spie gelt sich darin<br />

seine soziale, gesellschaftliche oder gar rassische Eigenart? Ist es Zufall, dass die braune Haut dominiert? Der<br />

hier Liegende braucht Hilfe, das ist keine Frage. Seine geschlossenen Augen, sein kaum geöffneter Mund, auch<br />

die auf seine Stirn fallende Haarsträhne unterstreichen seine Unfähigkeit, sich selber <strong>zu</strong> helfen. Denkt Hoffmann<br />

vielleicht an das Urbild des Hilflosen, von <strong>dem</strong> Jesus im Gleichnis erzählt hat, der auf der Strasse von Jerusalem<br />

nach Jericho Räubern in die Hände fiel, die ihn schlugen und halbtot liegen liessen (Lukas 10,30)? Oder <strong>den</strong>kt<br />

er an jene Rede Jesu vom Endgericht, wo er von Hun gern<strong>den</strong> und Dürsten<strong>den</strong>, von Fremdlingen und Nackten,<br />

von Kranken und Gefangenen spricht und von <strong>dem</strong>, was wir für sie getan oder nicht getan haben (Matthäus<br />

25,31ff)? Sind sie nicht alle unter uns? Liegen sie nicht genau so am Wegrand unserer Zeit als Frage nach unserem<br />

Helfen, nach <strong>dem</strong> Mut und der Fanta sie unserer Liebe?<br />

Der Helfende ist auf <strong>dem</strong> Bild nicht <strong>zu</strong> sehen. Nur seine Hände sind da. Auf sie kommt es an. Hände machen<br />

keine Worte. Hände handeln. Sie greifen <strong>zu</strong>. Sorgsam beide, ohne jede Zudringlichkeit. Und doch bestimmt,<br />

weil sie wissen, was hier nottut. Die Rechte hat <strong>den</strong> Kopf des Darniederliegen<strong>den</strong> unterfangen. Sie versucht, ihn<br />

auf<strong>zu</strong>richten. Die Linke hält in einem Gefäss laben<strong>den</strong> Trank an seine Lippen. Er wird <strong>den</strong> Dürsten<strong>den</strong> erquicken<br />

und ihm neuen Lebensmut geben. Beide Hände sind Zeichen der konkreten Zuwendung, der Überwindung<br />

der Resi gnation, einer echten Mitmenschlichkeit<br />

Solche Hände sind gefragt, auch Herzen und Gedan ken, die sie in Bewegung setzen. Sie können viel ver ändern.<br />

Sie schaffen Vertrauen. Sie geben Hoffnung. Nicht nur auf der Ebene von Mensch <strong>zu</strong> Mensch, auch im Spannungsfeld<br />

der sozialen und politischen Fragen, in der bedrohten Welt, in der wir miteinander unterwegs sind.<br />

Freiheit<br />

Der freiheitsliebende Mensch ist im Mittelpunkt der<br />

Schöpfung, umgeben vom Sonnenlicht der Dämmerung<br />

und der Dunkelheit.<br />

Das Bild lässt viele Interpretationen offen. Hören<br />

wir <strong>den</strong> Menschen sagen: «Herr, wer bin ich? Hineingestellt<br />

in eine Welt, die so riesig <strong>zu</strong> sein scheint,<br />

so un endlich, wie das Universum selbst. Und doch<br />

gibt es Wegweiser. Da steht ein Baum rechts und<br />

ein anderer links von mir. Ich stehe auf der Erde und<br />

habe die Sonne vor mir, <strong>den</strong> Himmel über mir. Woher<br />

komme ich und wohin soll ich gehen?»<br />

Es sieht so <strong>aus</strong>, als ob die Suche nach <strong>dem</strong> richti gen<br />

Weg eine Sache der Entscheidung des Men schen ist.<br />

Immer. Nichts geschieht einfach nur so. Am Anfang<br />

der Bibel spricht Gott von <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> Bäumen im<br />

Paradies. Den einen Baum nannte er <strong>den</strong> Baum der Erkenntnis und meinte damit die Fähig keit, das Gute vom<br />

Bösen unterschei<strong>den</strong> <strong>zu</strong> kön nen. Es war eine Erkenntnis, welche die Menschen <strong>zu</strong> Sklaven von Gesetzen, Denk-<br />

und Wertesyste men machte. Der andere war der Baum des Le bens. Wer von dessen Früchten ass, wurde heil<br />

und gesund. Der Baum des Lebens als Symbol für Je sus Christus, der <strong>aus</strong> Gnade erlöst, nicht weil wir ein Gesetz<br />

befolgen. Wir stehen im Spannungsfeld zwischen Gesetz und Freiheit, Religion und Evan gelium. Es geht nicht<br />

in erster Linie darum, das «Buch <strong>aus</strong>wendig <strong>zu</strong> lernen», wovon Gott spricht, sondern es geht um eine lebendige<br />

Beziehung <strong>zu</strong> <strong>dem</strong> lebendigen Gott, von <strong>dem</strong> die Bibel erzählt.<br />

Hören wir das Gebet des Menschen vor uns: «Herr, Du hast mich als Wesen geschaffen, das einen freien Willen<br />

hat. Doch ich weiss, dass in mir selber nicht nur Gutes ist. Ich brauche Deine Hilfe, um meinen Weg im Leben<br />

<strong>zu</strong> fin<strong>den</strong> und <strong>zu</strong> gehen. Deshalb stehe ich vor Dir, um mich von Dir umar men <strong>zu</strong> lassen und Deine Liebe in<br />

mich auf<strong>zu</strong>neh men. Das ist meine Entscheidung für Dich. Segne mich! Denn Jesus Christus, Du hast es selbst<br />

ge sagt: Wer in dir bleibt und du in ihm, der ist wie ein Baum, der Früchte hervorbringt. Gute Früchte. Amen.»<br />

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Go for it<br />

Für uns eine bekannte Situation: Als Einzelkämpfer oder als Mannschaft<br />

beginnt man ein Spiel oder ei nen Wettkampf. Alle haben dasselbe Ziel<br />

und für alle ist klar: jeder will gewinnen, jeder will der Erste sein, jeder will<br />

<strong>den</strong> Siegespreis: die Goldmedaille. Einmal gestartet gibt jeder das Beste,<br />

ganz nach <strong>dem</strong> Motto: Al les oder nichts! Nie mand lässt sich ablen ken,<br />

was rechts oder links geschieht – nur noch das Ziel ist von Bedeutung.<br />

Das Bild zeigt eine Gruppe Inline-Skatern. Auffallend nahe an einander<br />

folgt einer <strong>dem</strong> andern – im Wis sen, dass man im Windschatten der<br />

Vorangehen<strong>den</strong> Kräfte sparen kann. Dies setzt aber vor<strong>aus</strong>, dass sie sich<br />

als Gruppe auf ein Tempo einigen. Sie bewältigen <strong>den</strong> Lauf gemeinsam,<br />

und trotz<strong>dem</strong> bleibt jeder ein Indivi duum. Dafür spricht die Tatsache,<br />

dass jeder eine andere Sportbekleidung trägt.<br />

Die folgen<strong>den</strong> Verse <strong>aus</strong> Philipper 3,12-15 weisen darauf hin, dass bereits<br />

der Apostel Paulus dieses Bild in der Bibel gebraucht hat: «Dabei ist mir<br />

klar, dass ich dies alles noch lange nicht erreicht habe, dass ich noch nicht<br />

am Ziel bin. Doch ich setze alles daran, das Ziel <strong>zu</strong> erreichen, da mit der<br />

Siegespreis einmal mir gehört, wie ich jetzt schon <strong>zu</strong> Christus gehöre.<br />

Aber eins steht fest, dass ich alles vergessen will, was hinter mir liegt. Ich<br />

konzentriere mich nur noch auf das vor mir liegende Ziel. Mit aller Kraft laufe ich darauf <strong>zu</strong>, um <strong>den</strong> Sie gespreis<br />

<strong>zu</strong> gewinnen, das Leben in Gottes Herr lichkeit. Denn da<strong>zu</strong> hat uns Gott durch Jesus Chri stus berufen.»<br />

Im Leben sind wir immer wieder her<strong>aus</strong>gefordert, unsere Zielset<strong>zu</strong>ng neu <strong>zu</strong> über<strong>den</strong>ken. Ist es eine berufliche<br />

Karriere, ist es eine eigene Villa oder viel Geld auf <strong>dem</strong> Konto? Oder möchte ich berühmt wer<strong>den</strong> und <strong>zu</strong> <strong>den</strong><br />

«Prominenten» gehören? Es ist offensichtlich, dass Paulus nicht solche Ziele gemeint hat. Er meint damit ganz<br />

einfach: nahe bei Christus sein.<br />

Und was ist mit <strong>dem</strong> Preis? Verspricht Gott auch eine Goldmedaille oder einen Pokal? Auch in die ser Hinsicht<br />

wer<strong>den</strong> wir mit ganz anderen Dimen sionen konfrontiert: Hier geht es um Gerechtigkeit und ewiges Leben –<br />

um weit mehr als um ein Stück Gold oder Edelmetall.<br />

Unser Leben ist kein Spaziergang. Immer wieder gibt es Her<strong>aus</strong>forderungen, die es <strong>zu</strong> überwin<strong>den</strong> gilt. Und<br />

– wie packen wir es an? Versuchen wir, al les alleine <strong>zu</strong> meistern oder nehmen wir die Gele genheit wahr, die<br />

Hilfe von anderen Menschen in Anspruch <strong>zu</strong> nehmen und <strong>den</strong> Lauf des Lebens ge meinsam <strong>zu</strong> bestreiten? Die<br />

Familie, eine Gemeinde oder die Gemeinschaft mit anderen Christen bie tet uns das nötige Umfeld da<strong>zu</strong>. Sind es<br />

nicht oft gerade die schwierigen Zeiten, in <strong>den</strong>en wir erfah ren, dass wir auf andere angewiesen sind? Nehmen<br />

wir doch bereits während der Jugendzeit die Gele genheit wahr und nützen wir das Potential, welches in einer<br />

Gruppe Menschen <strong>zu</strong> fin<strong>den</strong> ist!<br />

«Jesus Christus – derselbe gestern, heute und in Ewigkeit.»<br />

Zeitlos! Der Künstler Frank Baumann hat im Bild weggelassen, was immer<br />

man weglassen kann, – geblieben ist das Kreuz. Grün übrigens, in der<br />

Hoffnungsfarbe. Jesus hat auf der Via Dolorosa, <strong>dem</strong> Kreuzweg durch die<br />

Stadt, <strong>zu</strong> <strong>den</strong> Frauen gesagt, die ihn trösten wollten: «Wenn solches schon<br />

am grünen Holz geschieht, was wird erst mit <strong>dem</strong> dürren wer<strong>den</strong>?» Also<br />

kein schwarzes Kreuz, nicht das Rote, das Blaue, nicht das Weisse, sondern<br />

Frühlingskraft. Leben im Ringen mit <strong>dem</strong> Tod, Leben selbst im Sterben für<br />

andere.<br />

Diesem Weg, <strong>den</strong> Jesus vorangegangen ist, gehört nach wie vor auch die<br />

Zukunft; er ist weg weisend und bahnbrechend und ist der unver zichtbare<br />

Widerstand gegen <strong>den</strong> Trend, wonach der Mensch nicht mehr über sich<br />

hin<strong>aus</strong>sieht (und sehen soll), weil das ach so arme und bedrohte Ich der<br />

Wohlstandsverwahrlosten sich selber unbedingt braucht, in Selbstbestätigung<br />

und Nabelschau. Dagegen nun das kraftvolle Grün des Verzichts,<br />

der Hingabe an ein Reich, das uns übersteigt. Und noch blau. Blau hat<br />

der Künstler als Hintergrund gewählt, weil es die Farbe des Bleiben<strong>den</strong><br />

ist. Warum? Grün vergeht je<strong>den</strong> Herbst, und sogar rot verblutet einmal,<br />

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Verliebtheit flacht ab, Rosen verblühen. Aber der Himmel bleibt blau, Sommer und Winter, abgese hen von<br />

vorüberziehen<strong>den</strong> Wolkenfeldern. Das Bleibende der Liebe, die Treue also (in alter Sprache «Amen») ist die<br />

Grundlage von allem, was Jesus getan hat: Er hat uns nie aufgegeben, auch nicht in der letzten Nacht. In diesem<br />

Blau ist die bewegte «Bahn» verborgen. Sie führt vor wärts und aufwärts <strong>zu</strong>m Vater. Jesus ist diese Bahn,<br />

bei ihm lernen wir Treue kennen.<br />

Zeitlos? Wie gesagt: In Ewigkeit, in Treue, unwan delbar. Trotz<strong>dem</strong> nicht zeitlos. Gerade die expres sive Darstellung<br />

und Wahl der Farbe zeigt etwas von der Video-Clip-Kultur. Fast hingeworfen, ein Blitzlicht, ein Schnappschuss,<br />

ein Impuls – für Leute von heute. Denn Christus ist ja auch für heute derselbe, für eine impulsbewegte Gesellschaft.<br />

Das Sujet war ursprünglich als Briefmarke geplant – man wollte sich damit einen Gruss <strong>zu</strong>schicken. Dies<br />

ist nicht <strong>zu</strong>standegekom men. Dafür kann der Impuls nun <strong>aus</strong> irgendeinem Winkel der Wohnung kommen, z.<br />

B. in der Nähe der Garderobe, bevor man das H<strong>aus</strong> in Eile ver lässt: in gol<strong>den</strong>en Buchstaben ein Name, eine<br />

Zuflucht, eine Geborgenheit für jede Situation, die heute auf mich <strong>zu</strong>kommt …<br />

Loslassen<br />

Eine Blütezeit ist vorbei. Vom Löwenzahn, der einmal gelb<br />

geleuchtet hat, sind nur noch verblühte Samen übrig. Einer<br />

nach <strong>dem</strong> andern wird vom Wind weggetragen. Wie <strong>dem</strong><br />

Zufall überlassen, fallen sie wieder auf <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> – niemand<br />

weiss genau wohin. Jeder Einzelne ist da<strong>zu</strong> bestimmt, selber<br />

Wurzeln <strong>zu</strong> schlagen. Alle Vor<strong>aus</strong>set<strong>zu</strong>ngen sind vorhan<strong>den</strong>,<br />

später selber als neue Blume <strong>zu</strong> wachsen und <strong>zu</strong> blühen.<br />

Kennen wir solche Situationen in unserem Leben? Ein neuer<br />

Abschnitt, eine neue Phase beginnt. Es gilt, das Altbekannte<br />

<strong>zu</strong> verlassen, <strong>den</strong> Sprung ins Ungewisse <strong>zu</strong> wagen, <strong>zu</strong> neuen<br />

Ufern auf<strong>zu</strong>brechen. Grenzen wer<strong>den</strong> gesprengt, Horizonte<br />

erweitert. Das sind in der Regel nicht einfache Prozesse. Oft<br />

wer<strong>den</strong> diese durch Ängste und Unsicherheiten begleitet.<br />

Was wird die Zukunft bringen? Werde ich Entscheide bereuen?<br />

Haben meine Träume und Visionen eine Chance, Wirklichkeit <strong>zu</strong> wer<strong>den</strong>? Schaffe ich <strong>den</strong> Sprung in<br />

die Selbständigkeit? Bin ich <strong>den</strong> Anforderungen, welche mein Leben an mich stellt, gewachsen? Wir realisieren<br />

plötzlich, wie Sicherheiten, <strong>den</strong>en wir vertrauen, auf einmal <strong>den</strong> erwarteten Schutz nicht mehr bieten. In solchen<br />

Zeiten dürfen wir darauf bauen, dass wir nicht alleine dastehen. Wenn wir Gott darum bitten, wird er unsere<br />

Schritte führen und uns versorgen mit allem, was wir brauchen. Das Bild erinnert uns unmissverständlich daran,<br />

dass jede Blume einmal verwelkt, jeder Mensch einmal stirbt. Doch Gott schenkt neues Leben. Er vergleicht uns<br />

mit einem Samenkorn, das in die Erde fällt und – wenn es gestorben ist – <strong>zu</strong> neuem Leben erwacht: «Denn<br />

Gott wird uns vom Tod <strong>zu</strong>m ewigen Leben auferwecken, so wie er Christus durch seine Kraft auferweckt hat.»<br />

(1. Korinther 6, 14)<br />

Regenbogen<br />

Stefan Zwygart<br />

Wow — ein Regenbogen! Er weckt viele Erinnerungen<br />

in mir. Ich kenne nieman<strong>den</strong>, der beim Anblick dieses<br />

Naturwunders in eine schlechte Gefühlslage gerät,<br />

<strong>den</strong>n unter allen Himmelszeichen ist der Regenbogen<br />

Symbol für Harmonie und Verbindung. Er ist unglaublich<br />

erhaben und doch beschei<strong>den</strong> —fängt unten<br />

an, geht bis oben ans Himmelszelt, kommt wieder nach<br />

unten. Er ist nichts für Streber. Er ist auch nicht gotisch,<br />

kein Spitzbogen. Er betont keinen Abschnitt. Dafür hält<br />

er eben alles <strong>zu</strong>sammen. Es ist dieses Wahr zeichen der<br />

Hoffnung, welches Gott Noah nach der grossen Katastrophe<br />

der Sintflut gab: Nie mehr sollen die Wassermassen<br />

die Welt in eine Arche von Überleben<strong>den</strong> und in<br />

einen riesigen Friedhof zerteilen. Selbst wenn ein Kind<br />

31


die Geschichte von Noah nicht kennt, versteht es die tiefe Botschaft des freundlichen Bogens.<br />

Er könnte auch ein Bogen <strong>aus</strong> gewöhnlichem Licht wie eine grosse gekrümmte Neonröhre am Himmel sein.<br />

Man stelle sich eine solche Lichtwurst vor. Nun aber ist der Regenbogen als Anfang aller Ma lerei selbst schon<br />

ein unübertreffliches Farbbild. Die Physiker erklä ren uns, warum sich das Licht in diese sechs Farben aufteilt: Es<br />

wird in Wassertröpfchen gespiegelt und «gebrochen». Es wird sogar «zerlegt» in seine verschie<strong>den</strong>en Wellenlängen,<br />

von rot bis violett. Das Licht beginnt, von sich selber <strong>zu</strong> erzählen, wenn es auf Wasser trifft. Es offenbart<br />

sein buntes, reiches Innenleben. Es erzählt von Liebe (rot), Treue (blau), Hoffnung (grün), Freude (gelb) und<br />

noch viel mehr. Und wenn Jesus sagt: «Ich bin das Licht der Welt», sollte man nicht an eine Glühbirne <strong>den</strong>ken<br />

oder an eine Neonröhre, schon eher an ein Kerzenlicht, aber ganz bestimmt an <strong>den</strong> Regenbogen. Hier zeigt<br />

sich der Reichtum des Lichts.<br />

Als ich sechs Jahre alt war, wollte ich mit einem meiner jüngeren Brüder unter <strong>dem</strong> Regenbogen durchlaufen.<br />

Wir starteten in Rich tung des bewaldeten Hügels, über <strong>dem</strong> der Bogen in der Abendsonne stand. Aber keine<br />

Chance, der Bogen wanderte mit! Nun stellt euch vor, der Regenbogen stünde fix an einem Ort. Er würde<br />

seinen ganzen Charme der Übernatürlichkeit verlieren. Das Ge heimnis liegt im persönlichen Versprechen des<br />

Schöpfers an seine Geschöpfe, sie nicht im Stich <strong>zu</strong> lassen. Deshalb hat jeder Mensch seinen eigenen Bogen,<br />

einen Bogen speziell für ihn, <strong>den</strong> er mit seiner persönlichen Perspektive wahrnehmen darf.<br />

Was für ein Zeichen für <strong>den</strong> kommen<strong>den</strong> Lebensweg. Gott wird dir nicht hin und wieder irgendeinen Bogen<br />

geben, mal klein, mal oval, mal schön, mal schräg. Nein, er wird dir deinen Bogen geben, als Zeichen zwischen<br />

ihm und dir — dir ganz persönlich, als einen Gruss an dich. Mit dieser Freude will er dich an seinen Bund mit<br />

dir erin nern. Wie viele Leute haben mir schon erzählt, dass sie genau im richtigen Augenblick, wie ein Zeichen<br />

vom Himmel, einen Regenbogen sahen. Manchen <strong>zu</strong>r Ermutigung, anderen <strong>zu</strong>m Trost. Oder so wie an unserer<br />

Hochzeit, als es ohne Unterlass regnete. Alles war «verhangen». Aber für Minuten riss der graue Vorhang auf,<br />

und über <strong>dem</strong> Gürbetal stand ein prächtiger Regenbogen. Sonne und Regen — das wird es beides im Leben<br />

geben — aber dass es <strong>zu</strong>sam mengehört als etwas Ganzes, das erzählt der Bogen am Himmel, und das bestätigt<br />

das Leben von Jesus, der diesen Bogen erfun<strong>den</strong> hat.<br />

Neues Erwachen<br />

Urs Lüthi<br />

Ein Vulkan bricht <strong>aus</strong>. Es zischt und donnert. Begleitet von<br />

imposanten, mächtigen Rauchwolken steigt tief <strong>aus</strong> <strong>dem</strong><br />

Erdinneren heisses, flüssiges Gestein nach oben. Die Gesteinsschmelze,<br />

das Magma, kann bis <strong>zu</strong>r Erdoberfläche<br />

vordringen und als Lava <strong>aus</strong>strömen. Gelangt diese Masse<br />

mit 1150°C ins Meer, beginnt selbst das Meerwasser <strong>zu</strong><br />

brodeln. Ob wir ein solches Ereignis als «Naturspektakel»<br />

oder «Katastrophe» bezeichnen, hängt von der Perspektive<br />

ab. Sind wir als Bewohner betroffen oder Beobachter <strong>aus</strong><br />

der Ferne? Furcht und Faszination sind nahe beisammen.<br />

Die Medien berichten von mehreren zehnt<strong>aus</strong>end <strong>zu</strong>r Evakuation<br />

gezwungenen Menschen und nicht selten ist eine<br />

grosse Anzahl Opfer <strong>zu</strong> beklagen.<br />

Unser Bild zeigt die Spuren eines soeben beschriebenen<br />

Vulkan<strong>aus</strong>bruchs. Zurück bleiben die wellenartigen Struk turen. Sie sind Zeugen eines Lavastromes, der mit seiner<br />

zerstörerischen Hitze über dieses einst fruchtbare Land <strong>den</strong> Tod gebracht hat. Seither ist viel Zeit vergangen.<br />

Durch die Abkühlung sind die Spalten grösser gewor<strong>den</strong>, doch mes serscharf ist das Gestein geblieben. Zerfetzte<br />

Schuhsohlen und offene Schürfungen sind keine Seltenheit.<br />

Und doch — welch ein Wunder — plötzlich spriesst Leben hervor! Ganz zart, aber unmissverständlich trotzt die<br />

blü hende Blume <strong>dem</strong> Tod und proklamiert das Leben. Das Unvorstellbare ist wahr gewor<strong>den</strong>. Sie ist Symbol<br />

für Hoff nung, Fruchtbarkeit und für eine Neuschöfpung.<br />

Kennen wir solche Situationen <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Alltag? Ein einziger Schicksalsschlag deckt wie ein Lavastrom alles Leben<br />

<strong>zu</strong>. Angst, Schmerz, Rebellion lassen uns erstarren. Der Tod will <strong>zu</strong>m Nachbar wer<strong>den</strong>.<br />

«Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt», sagte<br />

Jesus Christus von sich (Johannes 11,25).<br />

Was braucht es nun, damit auch in unserem Leben eine neue Blume <strong>zu</strong>m Blühen kommt?<br />

Achten wir auf die Botschaft der Bibel, merken wir, dass Gott diese Hoffnungslosigkeit, diese Zerstörung kennt<br />

und auch <strong>dem</strong>entsprechend gehandelt hat. Genau deswegen kam Jesus auf die Welt, lebte unter uns bis er<br />

gekreuzigt wurde. Mehr noch: Derselbe, welcher der Blume die Kraft gibt <strong>zu</strong> blühen, bringt Licht in die Dunkelheit.<br />

Sie muss weichen. Ist das nicht Grund genug, mit neuem Mut auf<strong>zu</strong> stehen?<br />

32


Gipfelkreuz<br />

Franz Kühni<br />

Der Geist Gottes schwebte über <strong>dem</strong> Wasser. Und Gott<br />

sprach: «Es werde Licht!» Und es ward Licht. (1. Mose 1,2f).<br />

So könnte es <strong>aus</strong>gesehen haben, damals, ganz am Anfang,<br />

als der Schöpfer das Urlicht <strong>aus</strong> der Finsternis hervorrief und<br />

Sein Geist über <strong>dem</strong> Wasser schwebte. Eine Stimmung voller<br />

Harmonie und Frie<strong>den</strong> muss geherrscht haben, nach<strong>dem</strong> der<br />

Ewige sich ent schloss, seine Ewigkeit und Allgegenwart ein<br />

Stück weit <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>nehmen, um seiner Schöpfung Zeit und<br />

Raum <strong>zu</strong> schenken. In seiner unendlichen Liebe hat Er sich<br />

in der Schöpfung ein Gegenüber geschaffen, das ein Abbild<br />

seiner Liebe und Harmonie, seiner Voll kommenheit und<br />

Herrlichkeit sein sollte. Wie das Licht der Sonne <strong>den</strong> Himmel<br />

gol<strong>den</strong> und rötlich färbt, über <strong>dem</strong> Nebelmeer schwebt und<br />

es sanft berührt, so sollte fortan Sein Geist alles Geschöpfliche<br />

durchwirken und in Beziehung <strong>zu</strong> Ihm halten. Als alles vollendet war, schaute Er sich seine Schöpfung an und<br />

sah: «Es war sehr gut!» (1. Mose 1,31).<br />

Wer diese Spuren des Schöpfers in der ungetrübten Pracht der Natur betrachten will, steige an einem nebligen<br />

Tag von Eriz (BE) <strong>aus</strong> auf <strong>den</strong> Westgipfel des Hohgants (2062 m ü. M). Der Wanderer wird inner halb von<br />

zweieinhalb Stun<strong>den</strong> alles Neblige und Kalte, alles Undurchsichtige und Trübe hinter sich im Tal <strong>zu</strong>rücklassen<br />

und mit je<strong>dem</strong> Schritt ein Stück näher der Klarheit im Licht entgegengehen. Zuoberst, auf <strong>dem</strong> Gipfel, wird<br />

er sich dann im Schatten des Kreuzes <strong>aus</strong>ruhen und mit der glühen<strong>den</strong> Abendstimmung voller Frie<strong>den</strong> und<br />

Harmonie eins wer<strong>den</strong>.<br />

Im Schatten des Kreuzes dürfen wir <strong>aus</strong>ruhen von aller Mühseligkeit des Alltags. Das glühende Licht der Sonne<br />

hinter <strong>dem</strong> Kreuz steht symbolisch für das himmlische Licht, welches unaufhörlich durch alle persönlichen Kreuze<br />

hindurch scheint. Hinter all un seren Kreuzen, die wir selbst verschul<strong>den</strong>, unverschul det <strong>zu</strong> tragen haben und<br />

nicht selten anderen aufbür <strong>den</strong>, steht das eine Kreuz Christi, das der Ewige selbst in unserer Welt aufgerichtet<br />

hat — damals, vor 2000 Jahren, auf <strong>dem</strong> Felsen Golgatha. Dieses Kreuz er möglicht einen Frie<strong>den</strong>, wie ihn die<br />

Welt nicht geben kann.<br />

Wer im Schutze dieses Kreuzes ruht, fühlt sich wie die Bergdohle, die ihre Flügel <strong>aus</strong>breitet und in unendli cher<br />

Freiheit <strong>dem</strong> ewigen Licht entgegen schwebt.<br />

The whole world<br />

Frank Baumann<br />

Auf dass sie alle eins seien.<br />

«Auf dass sie alle eins seien gleich wie du, Vater, in mir und ich in dir»<br />

(Johannes 17,21).<br />

Aus der Welt eine einzige Familie machen. Das ist der Traum des Vaters.<br />

Das ist das Gebet, das der Mensch gewor<strong>den</strong>e Sohn sprach, bevor er<br />

sein Leben hingab, um alle Menschen <strong>zu</strong> sich <strong>zu</strong> ziehen. Das ist auch der<br />

entschei<strong>den</strong>de Wunsch im Leben eines je<strong>den</strong> Menschen. Ein Wunsch,<br />

<strong>den</strong> Gott uns allen ins Herz gelegt hat und der nur noch brennender wird<br />

durch alle Widerstände: Zurückgezogenheit, Verachtung, Gewalt. Die<br />

Men schen sind mit ihren so verschie<strong>den</strong>en Gesichtern und Kulturen nicht<br />

<strong>zu</strong>r Zwietracht geschaffen, sondern <strong>zu</strong>r gemeinsamen Bereicherung der<br />

Schönheit und Harmonie der Schöpfung durch ihre Verschie<strong>den</strong>heit.<br />

Mir scheint, dass dieser Traum <strong>aus</strong> diesen lächeln<strong>den</strong> Gesich tern spricht.<br />

Das Lächeln ist eine spezifische Eigenschaft des Menschen. Wir sind füreinander<br />

geschaffen, als Geschenk. Dem anderen <strong>zu</strong>lächeln bedeutet,<br />

<strong>den</strong> anderen als Geschenk von Gott anerkennen, der uns nur Gutes will.<br />

Unser Lächeln ist die Antwort auf das Lächeln Gottes, der «sein Angesicht<br />

über uns leuchten lässt», um uns <strong>zu</strong> segnen (4. Mose 6,25). Ist es nicht<br />

unser höchster Ruf, <strong>dem</strong> Leben <strong>zu</strong><strong>zu</strong>lächeln, je<strong>dem</strong> Menschen, weil Gott<br />

33


uns eines Tages <strong>zu</strong>erst <strong>zu</strong>gelächelt hat, in<strong>dem</strong> er Mensch wurde?<br />

Auf diesem Bild sehe ich auch die Pupille eines blauen Auges. Ich stelle mir die Pupille Gottes vor, in der sich die<br />

nach seinem Bilde geschaffene Menschheit widerspiegelt. Gott sieht uns alle, als würde er eine einzige Person<br />

sehen. Gott sieht uns durch Jesus Christus, der wie seine Pupille ist. Durch ihn erhellt er je<strong>den</strong>, der <strong>zu</strong>r Welt<br />

kommt. Durch seinen Tod hat er alle Finsternis und Zwietracht auf sich genommen. Durch seine Auferstehung<br />

ruft er in unseren Herzen eine der Welt unbe kannte Freude hervor.<br />

Diese Pupille ist auch deine und meine. Auch du und ich sind da<strong>zu</strong> berufen, die anderen mit <strong>den</strong> Augen Christi <strong>zu</strong><br />

sehen. Das bedeutet, je<strong>den</strong> Menschen als jeman<strong>den</strong> <strong>zu</strong> sehen, der die ewige Freude vor sich hat; das bedeutet,<br />

die gesamte Mensch heit in deinem Herzen <strong>zu</strong> tragen, damit sie das Lächeln Gottes kennen lernt. So können wir<br />

<strong>den</strong> ersten Schritt auf die anderen <strong>zu</strong> tun, ohne jeman<strong>den</strong> <strong>aus</strong><strong>zu</strong>schliessen, das Lächeln der Liebe des Vaters<br />

auch unseren Fein<strong>den</strong> schenken; wir können sogar diejenigen segnen, die ihre Blicke von uns abwen<strong>den</strong> und<br />

sich uns gegenüber verschließen.<br />

So können wir <strong>zu</strong>r Verwirklichung des Traums des Vaters beitragen, die ganze Menschheit im Lächeln des<br />

Segens <strong>zu</strong> verei nen.<br />

Leuchtturm<br />

Jean Guichard<br />

Der Leuchtturm steht auf felsigem Grund. Er ist Symbol<br />

für Sicherheit, Geborgenheit. Er beruhigt, er steht, ihm<br />

kann nichts passieren. An ihm orientieren sich nachts<br />

die Schiffe. Er ist da, damit nichts passiert. Ziel ist es, dass<br />

die Schiffe auch bei schlechter Sicht und Dunkelheit<br />

<strong>den</strong> Weg in <strong>den</strong> sicheren Hafen fin<strong>den</strong>.<br />

Gen<strong>aus</strong>o kann es uns Menschen ergehen. In jungen Jahren<br />

zeigt sich der Himmel von der orange-rosaroten Seite,<br />

alles scheint in Ordnung <strong>zu</strong> sein. Wir steigen ins Boot und<br />

fahren hin<strong>aus</strong> aufs weite Meer. Es ist ruhig, das Leben<br />

zeigt sich von der sonnigen Seite. Der Leuchtturm wird<br />

langsam kleiner bis er ganz vom Horizont verschwindet.<br />

Es ist Abend gewor<strong>den</strong>, Wolken ziehen auf, der Wind<br />

wird immer stärker. Pechschwarze Nacht umklammert einem. Angst kommt auf, Sehnsucht nach <strong>dem</strong> Tag wo<br />

alles in Ordnung war. Nur ein kleiner Hoffnungsschimmer würde jetzt wunder wirken. Verloren, <strong>aus</strong>gestossen,<br />

abgelöscht, fix und fertig am Ende. Muss ich jetzt sterben?<br />

Da plötzlich ganz weit weg ein Lichtstrahl. Hilfe. Und schon ist er wieder weg. Fatamorgana? Ich schliesse die<br />

Augen. Mir ist schlecht. Die Wellen bringen mich ganz durcheinander. Mir kommt das Wort in <strong>den</strong> Sinn. Ich bin<br />

der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wie das alles <strong>zu</strong>sammenpasst. Diesen Weg möchte ich gehen. Wenn es<br />

dich Gott gibt und du mir das Leben nochmals schenkst, will ich dich suchen. Während ich so dahin dämmere,<br />

dringt Licht <strong>zu</strong> meinen Pupillen, blen<strong>den</strong>des Licht. Es kommt und geht, immer von neuem. Ich sehe in welche<br />

Richtung sich der Weg bewegt. Das Licht wird immer grösser, ich auf <strong>dem</strong> Weg in <strong>den</strong> Hafen, wo die Wahrheit<br />

auf mich wartet. Mein Glück ist grenzenlos. Gerettet, geborgen in Sicherheit, ich weiss wo ich bin, wer ich bin<br />

und wohin ich gehe. Mein Leben macht Sinn. Ich bin gewollt, geliebt, ich darf mit ewigem Leben rechnen. Gott<br />

hat offensichtlich einen Lichtplan für mich, wenn Jesus <strong>zu</strong> seinen Jüngern sagte: «Ihr seid das Licht der Welt».<br />

Dieses Licht will ich sein.<br />

Tankstelle<br />

Michael Ziegler<br />

Endlich eine Tankstelle! Schon in früheren Zeiten, als man noch von Hand pumpen musste, war die Tankstelle<br />

manchmal wie eine Rettung. Je<strong>den</strong>falls wenn jemand schon einige Meilen auf Reserve gefahren war. Doch<br />

halt: Der Fahr<strong>aus</strong>weis wird noch nicht mit der Konfirmation <strong>aus</strong>gehändigt. Leider, <strong>den</strong>ken einige. Die Zeit geht<br />

aber schnell vorbei, und schon bald sitzen viele selber am Steuer, die jetzt noch mit <strong>dem</strong> Lenker Vorlieb nehmen<br />

müssen. Und ihr werdet es sehen: Immer wieder muss man an einer Zapfstelle anhalten; die Autos haben Durst.<br />

Und sie sind sehr ehrlich: Gibt man ihnen nicht ihren Most, dann bleiben sie irgendwo stehen. Es kümmert<br />

sie nicht, ob der Fahrer pressiert ist oder nicht. Und auch wenn er oder sie nun kräftig <strong>aus</strong>ruft, lässt sich das<br />

34


Fahrzeug nicht erweichen. Es macht keinen Kompromiss,<br />

es fährt keinen Meter mehr. Ich selber und andere haben<br />

da schon ihre Erfahrungen gemacht. Darum sieht man sich<br />

lieber vor, bevor es <strong>zu</strong> spät ist. Tut man das auch gegenüber<br />

<strong>dem</strong> eigenen, inneren Durst? Als die Reformatoren die<br />

Konfirmation erfan<strong>den</strong>, dachten sie auch an eine Tankstelle<br />

(obschon Luther und Zwingli noch mit Pferdekutschen<br />

fuhren): Es sollte doch etwas geben, das <strong>den</strong> Tank füllt,<br />

bevor die Leute ins Lehrlings- und Berufsleben einsteigen!<br />

Die ganze Konfirmationsvorbereitung ist der Versuch der<br />

Verantwortlichen, <strong>den</strong> Liebestank der Jugendlichen mit<br />

Annahme, Verständnis und Wertschät<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> füllen. Aber<br />

schon in Reformationszeiten galt die Meinung, dass so ein<br />

Konf-Tank nicht bis ans Lebensende <strong>aus</strong>reicht. Nochmals ein Blick auf unser Bild: Die Tankstelle ist ein Sinnbild<br />

für wiederkehrende Benüt<strong>zu</strong>ng. Der Kirchensprit hat einen Namen: «JESUS SAVES» — Jesus rettet. Steht man<br />

auf <strong>dem</strong> Pannenstreifen der Lebensbahn und fühlt sich allein, stehen gelassen, verraten, <strong>aus</strong>gepumpt oder als<br />

Versager, so ist diese Liebe von Gott die wirkliche Rettung. Jesus hat sie sichtbar gemacht. Er kommt, kümmert<br />

sich, füllt ein, auch wenn wir an <strong>den</strong> letzten Tankstellen vorbeigefahren sind: Schon vor <strong>den</strong> Problemen wäre<br />

Gott da gewesen, und man hätte von ihm die Kraft erhalten, die weit trägt. Das Bild spricht davon, nicht an<br />

Jesus Christus vorbei<strong>zu</strong>s<strong>aus</strong>en. Aber es spricht auch davon, dass wie <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Nichts eine Hilfe kommt, wenn<br />

wir seinen Namen in Not anrufen.<br />

«This little Iight of mine – I'm gonna let it shine»<br />

Judith Müller<br />

Der alte Gospelsong kommt mir in <strong>den</strong> Sinn, <strong>zu</strong> Deutsch: «Dies kleine Licht<br />

von mir, hell soll es leuchten dir». Und tatsächlich: Das Auge wird sofort<br />

auf <strong>den</strong> hellsten Punkt im Bild gelenkt: die Flamme. Die Wirkung eines so<br />

kleinen weissen Fleckens ist eigentlich erstaunlich. Denn er macht nur ein<br />

Promille der Gesamtfläche des Bildes <strong>aus</strong>. Ein Promille Alkohol im Blut ist<br />

schon über<strong>aus</strong> schlecht, aber ein Promille Licht im Raum ist schon über<strong>aus</strong><br />

gut. So wirkt auch das simpelste Kerzlein: Es vertreibt das T<strong>aus</strong>endfache an<br />

Finsternis. Der Flamme ist es dabei «wurst», ob unten eine teure Boutique-<br />

Kerze steht oder das billigste Warenh<strong>aus</strong>-Lichtlein. Feuer ist Feuer, und<br />

Licht ist Licht. Sobald es einmal entzündet ist, wiederholt sich das, was wir<br />

schon anfangs im Schöpfungsbericht lesen: «Gott sprach: Es werde Licht,<br />

und es ward Licht». Vielleicht fühlst du dich nicht gerade als Edelkerze mit<br />

seltenem Design. Möglicherweise siehst du dich selber als ganz normales<br />

Kerzlein. Vergiss Design und sei Licht!<br />

Gott sprach also damals, und es wurde Licht. Und auch heute, wenn es<br />

irgendwo wirklich hell wird und wenn wieder einmal so ein Promille-<br />

Flämmlein eine ganze Menge von Finsternis vertreibt, dann geht dies<br />

auf Gott <strong>zu</strong>rück, der sprach: «Es werde Licht». Er sprach, und es wurde<br />

Weihnacht. Er sprach, und es wurde Ostern. Von daher kommt das Licht in unserer Welt. Jesus gibt sein Licht<br />

weiter, am liebsten an normale Durchschnittsmenschen. Ein ganz normales Leben soll ein Licht wer<strong>den</strong>. Deshalb<br />

gab es ganze Konfirmationsvorbereitungen und verschie<strong>den</strong>ste Einführungen in unseren christlichen Glauben.<br />

Dort konnte man hören, was Jesus getan hat, und man konnte sehen, was er noch heute tut. Und jedes konnte<br />

Jesus Christus seinen eigenen Docht entgegenstrecken: «Da, zünde an, ich bin es.»<br />

Sehr gut, es hat Feuer gefangen, das kleine Kerzlein. Aber damit ist noch nicht alles getan. Schliesslich gibt<br />

es dr<strong>aus</strong>sen im Leben Wind. Der kann die Flamme <strong>aus</strong>pusten. Doch gerade das sollte nicht geschehen. Licht<br />

braucht eben einen Schutz. Schau also, dass die Kerze der Hoffnung, die Gott in dir angezündet hat, auch in<br />

einem netten und nützlichen Gefäss weiter brennen kann. Gute Beziehungen bieten einen solchen Schutz.<br />

Man kann dort ehrlich über Glaubensfragen re<strong>den</strong>, ohne <strong>aus</strong>gelacht <strong>zu</strong> wer<strong>den</strong>. Und auch ruhige Momente<br />

mit Gott allein, wo kein fremder Wind droht, schützen dein kleines Licht — es ist übrigens heller als du <strong>den</strong>kst.<br />

Das alles ist gut und recht, aber was, wenn…? Was, wenn das Schicksal <strong>zu</strong>schlägt? Was, wenn deine Pläne nicht<br />

<strong>zu</strong>stande kommen? Wenn ein Sturm die Kerze samt Gefäss weg<strong>zu</strong>pusten droht? Hast du es gesehen? Unser Bild<br />

zeigt noch eine andere Dimension: du bist nicht allein. Gott hat diese Flamme nicht nur angezündet, sondern<br />

er hält auch seine Hände um «dies kleine Licht von dir».<br />

Paul Veraguth, Pfarrer<br />

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Die Heimkehr des verlorenen Sohnes<br />

Rembrandt (1668/69, heute in Leningrad, Museum Eremitage)<br />

Das monumentale Gemälde, das im Original über zweieinhalb Meter hoch<br />

ist, gehört in die letzte Schaffensperiode des grossen holländischen Malers.<br />

Dass er eine der stärksten und vielseitigsten Künstlerpersönlichkeiten des<br />

17. Jahrhunderts gewesen ist, steht wohl <strong>aus</strong>ser Frage. Sein Schaffen<br />

umfasst beinahe alle Stoffgebiete seiner Zeit. Vor allem hat ihn sein reformierter<br />

Glaube, <strong>dem</strong> er sich schon in jungen Jahren <strong>zu</strong>gewandt hat,<br />

immer wieder veranlasst, sich mit der Bibel <strong>zu</strong> beschäftigen. Ungezählte<br />

Gemälde, Zeichnungen und Radierungen Rembrandts sind biblischen<br />

Themen gewidmet. Wie sehr ihn das Gleichnis vom verlorenen Sohn<br />

fasziniert haben muss, belegt allein schon die Tatsache, dass kein anderer<br />

Künstler diese Szene der Heimkehr so oft und so eindrücklich gestaltet hat,<br />

wie er. Von der ersten Radierung, die der knapp Dreissigjährige 1636 in<br />

die Kupferplatte eingraviert hat, reicht sein immer neues Bemühen bis <strong>zu</strong><br />

diesem reifen Werk der Spätzeit, das uns wie ein Vermächtnis <strong>zu</strong> Umkehr<br />

und Heimkehr ruft.<br />

Eigentlich braucht das Bild keine Erklärung. Wer das Gleichnis Jesu (Lukas<br />

15, 11-32) kennt und die Deutung, die Rembrandt ihm gegeben hat in<br />

Ruhe auf sich wirken lässt, wird unwiderstehlich hingezogen <strong>zu</strong> der Gruppe<br />

von Vater und Sohn, die <strong>den</strong> ganzen Bildraum beherrscht. Soeben ist der<br />

Vater <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> dunklen Torbogen seines H<strong>aus</strong>es her<strong>aus</strong>getreten. Dort hat er immer wieder gestan<strong>den</strong> und<br />

Ausschau gehalten nach seinem jüngeren Sohn, der eines Tages aufgebrochen war in die Fremde, um sein<br />

Leben selber in die Hand <strong>zu</strong> nehmen, fern <strong>den</strong> Augen des Vaters, fern seiner Fürsorge, fern auch, wie er wohl<br />

meinte, seiner Kontrolle. Alle Brücken der Familie, der Heimat, der vertrauten Arbeit, auch des Herkommens und<br />

der gesellschaftlichen Ordnung hatte er hinter sich gelassen, um endlich frei und unabhängig, wie er glaubte,<br />

seine eigene Zukunft <strong>zu</strong> gestalten. Dass er dabei in neue Abhängigkeit geriet und nicht nur seine Freiheit, sondern<br />

auch seine Menschenwürde verlor, macht das Gleichnis Jesu mit aller wünschbaren Deutlichkeit offenbar.<br />

Aber nun ist er da, in seinen letzten Lumpen, die ihm noch geblieben sind, mit zerrissenem Schuhwerk und<br />

leeren Taschen, ein Bild der Armut, der Verkommenheit, wohl auch der Verzweiflung, einer der an seinem<br />

Leben und seinen Zielen gescheitert ist. Noch hat er <strong>den</strong> Mund nicht geöffnet, um jene Worte im Gleichnis<br />

<strong>zu</strong> sagen: «Vater, ich habe mich versündigt gegen <strong>den</strong> Himmel und gegen dich, ich bin nicht mehr wert, dein<br />

Sohn <strong>zu</strong> heissen» — da hat ihn der Vater schon an sein Herz gezogen. Keine Spur eines Vorwurfes zeigt das<br />

Antlitz des Vaters, keine noch so leise moralische Entrüstung, kein Zögern hält ihn <strong>zu</strong>rück. Seine ganze Haltung<br />

ist Zuwendung, Offenheit, verstehende Liebe für <strong>den</strong>, der heimgekehrt ist. Mit bei<strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> drückt ihn<br />

der Vater an sich, so dass Vater und Sohn auf <strong>dem</strong> Bild <strong>zu</strong> einer Einheit verschmelzen, jener Einheit, die nur<br />

grenzenlose Liebe möglich macht, die <strong>aus</strong> vollkommener Vergebung her<strong>aus</strong>wächst und <strong>dem</strong> Heimgekehrten<br />

neues Vertrauen schenkt. Diesen Augenblick des Neubeginns im Leben des verlorenen Sohnes hält Rembrandt<br />

auf seinem Bild fest. Dass die anderen Anwesen<strong>den</strong>, auch der rechts im Bild herbeigekommene ältere Bruder,<br />

seltsam befremdet <strong>zu</strong>sehen und nicht <strong>zu</strong> begreifen scheinen, was hier vor sich geht, entspricht nicht nur der<br />

Fortset<strong>zu</strong>ng des Gleichnisses Jesu, sondern auch unserem eigenen Erleben, <strong>dem</strong> das Geheimnis der vergeben<strong>den</strong><br />

Zuwendung Gottes so lange verschlossen bleibt, bis wir als selber Betroffene, Gescheiterte, und doch<br />

von Gottes Liebe Gesuchte Heimkehr in die Arme des Vaters wagen.<br />

Werner. Pfendsack, Pfarrer<br />

Überrascht am Feuer<br />

Ruben Ung<br />

Da muss Moses gestaunt haben! Nichts ahnend steigt er auf einen Berg — die Gedanken bei <strong>den</strong> Schafen und<br />

Ziegen seines Schwiegervaters, die er gerade am Hüten ist, als er plötzlich vor einem brennen<strong>den</strong> Busch steht.<br />

Er will näher treten, doch unüberhörbar ruft eine Stimme: «Komm nicht näher! Zieh deine Schuhe <strong>aus</strong>, <strong>den</strong>n<br />

du stehst auf heiligem Bo<strong>den</strong>!» Moses zieht die Schuhe <strong>aus</strong>, tritt näher ans Feuer und horcht. Ein spezieller Moment,<br />

<strong>den</strong>n es ist nicht irgendjemand, der <strong>zu</strong> ihm spricht, es ist Gott persönlich. Und er sagt nicht irgendetwas,<br />

sondern gibt Moses seinen Auftrag, nämlich: das Volk Israel <strong>aus</strong> Ägypten <strong>zu</strong> führen (2. Moses 3 ff)!<br />

Hat uns diese alte Geschichte heut<strong>zu</strong>tage überhaupt noch etwas <strong>zu</strong> sagen? Die Zeiten ändern sich. Doch Gott<br />

ändert sich nicht. Und auch typisch menschliche Eigenheiten bleiben die gleichen. Mag sein, dass wir das Re<strong>den</strong><br />

Gottes heute nicht in dieser Form erleben, <strong>zu</strong>mindest «nicht so spektakulär». Aber er spricht — auch heute noch.<br />

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Es ist zwar nicht immer einfach, seine Stimme <strong>zu</strong> hören und seinen<br />

Willen <strong>zu</strong> erkennen. Oft sind es Ideen, Gedanken. Manchmal<br />

ganz spontan oder über längere Zeit und immer wiederkehrend.<br />

Nicht selten spricht Gott direkt durch sein Wort, die Bibel oder<br />

durch Menschen, die uns begleiten. Es gibt auch Momente, da<br />

redet er durch Bilder, Träume und Visionen. Entschei<strong>den</strong>d ist,<br />

dass wir offen sind für das, was Gott uns sagen will, auch wenn<br />

dies nicht unseren Vorstellungen entspricht. Was bei Moses<br />

ganz überraschend geschah, braucht bei uns Zeit. Manchmal<br />

geht es einfach darum, eine P<strong>aus</strong>e ein<strong>zu</strong>schalten. Es braucht<br />

oft Geduld, wenn eine Antwort nicht sofort kommt. Gott spricht<br />

von «heiligem Bo<strong>den</strong>»: Wenn er spricht, ist das ein einzigartiger,<br />

eben «heiliger» Moment, der unsere besondere Aufmerksamkeit verdient. Es lohnt sich, solchen Augenblicken<br />

die nötige Bedeutung bei<strong>zu</strong>messen.<br />

Die Geschichte geht weiter: Moses wehrt sich — mehr oder weniger erfolglos. Er sucht Ausre<strong>den</strong> und Einwände<br />

wie «wer bin ich schon?» und «die wer<strong>den</strong> mir sowieso nicht glauben — und überhaupt — ich bin eh kein guter<br />

Redner» …! Kennen wir solche Gefühle und Gedanken? Doch er ist gehorsam und tut, was Gott sagt, ob es nun<br />

verstandesmässig nachvollziehbar ist oder nicht. Der Herr seinerseits gibt ihm Antwort, in<strong>dem</strong> er ihm verspricht,<br />

bei ihm <strong>zu</strong> sein (sein Name lautet: «Ich bin für euch da!», 2. Moses 3,14) und ihm konkret Anweisungen gibt (2.<br />

Moses 4 ff). Feuer — einerseits Symbol für Wärme, Gemütlichkeit, Geborgenheit und lei<strong>den</strong>schaftlicher Liebe.<br />

Feuer bringt Licht in Dunkelheit und Orientierungslosigkeit. Anderseits verbrennt es gna<strong>den</strong>los alles, was der<br />

vernichten<strong>den</strong> Hitze nicht standhalten kann. Welch eine Spannweite!<br />

Nehmen wir die Her<strong>aus</strong>forderung an: Still wer<strong>den</strong>, hören — und tun! Wenn wir das wagen, wird unser Leben<br />

eine spannende Angelegenheit!<br />

Valérie Wassmer-Aebersold<br />

Standfest<br />

Jean Guichard<br />

Er steht. Eine unvorstellbare Wassermasse brandet gegen seine<br />

Turmmauer. Doch sie verteilt sich wie ein Hemdskragen und<br />

schwappt ins wilde Meer <strong>zu</strong>rück, woher sie kam. Tonnen von<br />

Salzwasser — stell dir vor, jeder Kubikmeter eine Tonne. Und<br />

dies seit Jahren, seit Jahrzehnten. Es wird wohl nicht die letzte<br />

Welle gewesen sein. Wahrscheinlich wer<strong>den</strong> sogar noch grössere<br />

kommen.<br />

Das Bild hat mir auf Anhieb gefallen. Als ich es <strong>zu</strong>m ersten Mal<br />

sah, im Büro eines Kollegen, dachte ich nur: «Wow!» Mehr dachte<br />

ich nicht. Aber als ich heimging, sah ich immer noch diese bei<strong>den</strong><br />

Elemente im Widerstreit, die vergebliche Woge, <strong>den</strong> standfesten<br />

Turm. Das Bild ist in Bewegung, auch wenn es nach 10 Jahren<br />

immer noch haargenau <strong>den</strong>selben Moment festhält. Wenn du es aber länger als einen Moment ansch<strong>aus</strong>t,<br />

dann fällt die Welle vor deinem inneren Auge <strong>zu</strong>sammen. Du weisst, dass sie keine Sekunde so aufgetürmt<br />

bleiben kann.<br />

Niemand muss lang rätseln, was die Bild<strong>aus</strong>sage ist. Darum gibt es in dieser Bildbeschreibung keinen langen<br />

Sermon über die Kraft eines solchen Leuchtturms. Da und dort auf der weiten Welt mag mal ein solches Bauwerk<br />

eingestürzt sein. Ich selber aber habe noch nie davon gehört, du wahrscheinlich auch nicht. Für <strong>den</strong> Betrachter<br />

oder die Betrachterin gibt es jetzt aber noch ein Detail: Bevor du wieder wegsch<strong>aus</strong>t, hast du das Auge geschärft<br />

und dieses kleine Männlein angeschaut. In der Tat, ein Mensch steht dort — gleich wird die Gischt ihn<br />

einhüllen. Er ist nicht sonderlich beeindruckt, er rennt nicht ins Innere, die Tür hinter sich <strong>zu</strong>schlagend. Er weiss:<br />

«Der Grosse da, er hinter meinem Rücken, hält das Gröbste von mir fern.» Was von der Wellenwucht noch auf<br />

die Rückseite kommt, ist schon gebrochen, ist schon zerronnen. Die Füsse wer<strong>den</strong> wohl nass, wahrscheinlich<br />

auch die Kleider vom Wasserstaub. Wenn du am richtigen Ort stehst, kann es zwar her<strong>aus</strong>fordernd und beängstigend<br />

sein. Aber umbringen wird dich die ganze Sache nicht. Doch du würdest nicht auf die andere Seite<br />

stehen wollen, da mache ich jede Wette. Und tatsächlich, nur einer ist dort hingestan<strong>den</strong>. Von ihm heisst es<br />

in der Bibel: «Alle deine Wogen gingen über mich». Das ist die Geschichte, welche die Taufe erzählt. Seit Jesus<br />

Christus dies für uns hinter sich gebracht hat und auferstan<strong>den</strong> ist, steht er für dich als der Leuchtturm dort, wo<br />

Gefahren, Zerstörung, Gericht und Tod das Leben bedrohen. Warum solltest du nicht auch standfest wer<strong>den</strong>,<br />

wenn der Grosse da, er hinter deinem Rücken, das Gröbste (nicht alles!) von dir fernhält?<br />

Paul Veraguth, Pfarrer<br />

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Osterlicht<br />

Katja Gottschewski<br />

Ostern 2002. Katja Gottschewski fotografiert in BodØ<br />

im Nor<strong>den</strong> Norwegens ein einmaliges Nordlicht. Sieben<br />

Jahre später findet die Konfbilder-Kommission das<br />

fantastische Bild im Internet. Stun<strong>den</strong>lang hatte man<br />

gesurft und Hunderte von Nordlichtern angeschaut:<br />

Eine Welt, in die der Betrachter unwiderstehlich hineingesogen<br />

wird; es soll sogar nordlichtsüchtige Menschen<br />

geben, sagt Katja. Die gewaltigen, schweben<strong>den</strong> Lichtvorhänge<br />

bewegen sich still durch die langen Winternächte<br />

der Polargebiete. Sie ändern ihre Farben und<br />

Formen und zaubern in die kalte Dunkelheit einen himmlischen Mantelsaum. Ist es der Mantel des Schöpfers,<br />

sind es die Bänder von tanzen<strong>den</strong> Engeln? Für die Einheimischen gehören die Lichterscheinungen von Klein auf<br />

<strong>zu</strong>m Leben. Leute <strong>aus</strong> südlicheren Breitengra<strong>den</strong> können für einen Moment Gänsehaut kriegen, wenn sie das<br />

kosmische Farbenspiel betrachten. Unsere schönsten Feuerwerke verpuffen dagegen in Bedeutungslosigkeit.<br />

Gelegentlich ist der Lichtgruss vom Himmel auch in der Schweiz sichtbar; dies gilt als selten und sensationell.<br />

Die wirkliche Pracht entfaltet sich aber nur an <strong>den</strong> Polen: Der Sonnenwind kann dort in unser Magnetfeld eindringen<br />

— kleinste Sonnenteilchen lösen durch Ionisation elektromagnetische Strahlung <strong>aus</strong>. Während einer<br />

solchen «Licht-Show» auf einer Höhe von 100 bis 1000 km entlädt sich mehr Energie, als alle Kraftwerke der<br />

Erde in der gleichen Zeit produzieren. Man schätzt sie auf über 100 Mio. Kilowatt! Das Licht selber ist nur ein<br />

winziger Bruchteil dieser gesamten Energie.<br />

Das sind alles wissenswerte Dinge, die ihr aber in <strong>den</strong> Physikstun<strong>den</strong> vielleicht schon gehört habt. Licht, Energie,<br />

Faszination, Schönheit: Ist es nicht ein verblüffendes Zeichen, dass der gigantische Ring <strong>aus</strong>gerechnet an Ostern<br />

erschien, über <strong>den</strong> Bergen der Insel Landegode? Der Schöpfer des Alls hat in der Osternacht gezeigt, dass seine<br />

Kraft und Liebe die Finsternis und <strong>den</strong> Tod bei Weitem übertrifft. Er hat seinen Sohn <strong>aus</strong> der Unterwelt her<strong>aus</strong>geholt.<br />

Viele junge Menschen fühlen sich heute <strong>zu</strong> schwarz hingezogen, und ihr Lebensgefühl verbindet sich<br />

mit «gothic», einer beschwerlichen Welt voll von Gefahren und Abgrün<strong>den</strong>. Genau da landet nun auch das<br />

Osterlicht, das in der Nacht erglüht — schon jetzt wie ein Band, ein Ring, ein Bundeszeichen. Dahinter kündet<br />

ein Sonnenaufgang ein noch grösseres Licht an, wie das Unser Vater sagt: «Dein Reich komme»!<br />

Paul Veraguth, Pfarrer<br />

Amazing Grace<br />

Ruben Ung<br />

Eine Welt ohne Musik? Da würde etwas fehlen! Musik<br />

bereichert unser Leben, schenkt uns Freude, wischt <strong>den</strong><br />

Staub von unserer Seele und bringt uns <strong>zu</strong>m Tanzen.<br />

Auch wenn nicht alle die gleiche Musik hören, je nach<br />

Kultur und Geschmack hat doch jeder Mensch einen<br />

Stil, der ihn anspricht. Und wenn Musik nicht nur da<strong>zu</strong><br />

dient, eine Geräuschkulisse <strong>zu</strong> bil<strong>den</strong>, sondern Gott <strong>zu</strong><br />

ehren, entsteht eine ganz neue Dimension: die Anbetung.<br />

Die Bibel spricht oft von Musik. Vor allem im Alten<br />

Testament fin<strong>den</strong> wir viele Erlebnisberichte, in <strong>den</strong>en<br />

Musik eine zentrale Rolle spielt. Da ist kein Aufwand <strong>zu</strong><br />

gross, Gott <strong>zu</strong> loben (1. Chronik 23), oder es schwin<strong>den</strong><br />

Depressionen (1. Samuel 16, 14-23). Manchmal fallen<br />

auch Mauern in sich <strong>zu</strong>sammen (Josua 6, Apostelgeschichte<br />

16, 25 + 26). In <strong>den</strong> Psalmen fin<strong>den</strong> wir viele «Lieder», die uns ermutigen, ihm <strong>zu</strong> singen. Lobpreis und<br />

Anbetung ist unsere Antwort auf sein Handeln und Wesen.<br />

Und offenbar muss es die Musik schon immer gegeben haben, noch bevor die Welt geschaffen wurde (Hiob<br />

38, 4-7). Mit Musik können wir Gott loben und danken. Sie hilft uns, vor ihn <strong>zu</strong> kommen, still <strong>zu</strong> wer<strong>den</strong>, über<br />

unser Leben nach<strong>zu</strong><strong>den</strong>ken und besinnliche Momente <strong>zu</strong> erleben.<br />

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Amazing Grace, how sweet the sound,<br />

Erstaunliche Gnade (unverdientes Geschenk), wie lieblich der Klang,<br />

that saved a wretch like me!<br />

der mich armen Kerl errettete!<br />

I once was lost, but now l'm found,<br />

Einst war ich verloren, aber nun bin ich gefun<strong>den</strong> wor<strong>den</strong>,<br />

was blind but now I see!<br />

war blind, doch nun kann ich sehen!<br />

Der altbekannte Gospel «Amazing Grace» bringt dies auf <strong>den</strong> Punkt: Jesus ist für uns am Kreuz gestorben, damit<br />

wir leben können. Ist das nicht Grund genug, ihm <strong>zu</strong> danken und ihn <strong>zu</strong> ehren? Das Kreuz im Zentrum zwischen<br />

Mensch und Gott erinnert uns an dieses Ereignis. Der Altar — im Hintergrund nur schwach erkennbar — steht<br />

als Symbol für Hingabe, Ehrerbietung, Vergebung, Versöhnung und für die Gegenwart Gottes.<br />

Durch Dankbarkeit kommt Licht in unser Leben. Wir erkennen uns, so wie Gott uns sieht: Angewiesen auf seine<br />

Gnade, angenommen, so wie wir sind, geliebt durch seine Liebe.<br />

Valérie Wassmer-Aebersold<br />

Entscheidung<br />

Ro Hegner<br />

Jetzt mal s<strong>aus</strong>en lassen — es geht ja herrlich bergab. Als wir als Velo-Gruppe<br />

in Griechenland <strong>den</strong> höchsten Pass überquerten, konnten auch wir es<br />

anschliessend über mehr als 2000 Höhenmeter s<strong>aus</strong>en lassen, und das<br />

ging so über eine Stunde lang. Konfirmiert, jetzt auf <strong>den</strong> Guido liegen und<br />

ab die Post, talwärts? Eine Hürde ist genommen, eine nächste wartet um<br />

die Ecke. Ist es der kleine Weg, der links steil hochgeht? Sieht so die Lehre<br />

<strong>aus</strong>, die Berufsschule, der Gymer?<br />

Mag sein, dass auch anstrengende Jahre kommen. Aber wir können<br />

verraten: Das ist es nicht, was das Bild sagen will. Das hübsche Poster<br />

heisst ja «Entscheidung», und Berufswahl ist wohl kaum gemeint. Schau<br />

es darum mit mir <strong>zu</strong>sammen noch einmal gut an: Die Voralpenlandschaft<br />

zeigt sich von ihrer luftigen und erdigen Seite. Dort drüben, wo die Wolke<br />

<strong>den</strong> Horizont küsst, wäre ich auf der geteerten Strasse im Nu. Aber wohin<br />

führt der andere Weg? Steinig, steil. Er ist Zufahrt <strong>zu</strong> einem Bergheimet.<br />

Hier gibt es Äpfel, Korn, im Winter die warme Stube. Hier ist Gemeinschaft,<br />

Leben, auch wenn dieses Nest nicht so leicht <strong>zu</strong>gänglich ist. Ist dies vielleicht<br />

gerade das Geheimnis?<br />

Ja, es ist ein Geheimnis. Jesus sagte einmal <strong>zu</strong> <strong>den</strong> Jüngern (und auch die stan<strong>den</strong> oft an Wegverzweigungen):<br />

«Wie steinig und steil ist der Weg, der <strong>zu</strong>m Leben führt!» Er sagte dann noch etwas anderes, was man nicht so<br />

gern hört, wenn man im Schuss ist: «Wenige sind es, die da abzweigen, wenige, die ihn fin<strong>den</strong>, die ihn gehen.»<br />

Die breite und gerade Bahn, mit raschen Optionen ständig lockend, ist nicht Leben.<br />

Leben ist schmal, weil es immer nur Etwas ist, und nie Alles: Mal eine Richtungsänderung, mal der schattige<br />

Fruchtbaum <strong>zu</strong>m Ruhen, und schon wieder geht's weiter, diesmal andersherum. Einmal gilt es <strong>zu</strong> re<strong>den</strong>, dann<br />

wieder <strong>zu</strong> schweigen. Einmal sich für Andere <strong>zu</strong>m Geschenk machen, am nächsten Tag eine Hilfe gern annehmen.<br />

Sorglos und doch sorgsam sein. Das alles kostet viel Aufmerksamkeit und Beweglichkeit. Für diesen<br />

engen Weg braucht es eine Entscheidung, und es wird nicht die letzte sein. Jesus hat sich immer wieder als<br />

Meister der Nebenstrassen gezeigt.<br />

Paul Veraguth, Pfarrer<br />

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