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Landschaft Westfalen 01/2022

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AUSGABE 1 / FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

www.landschaft-westfalen.de<br />

Einzelpreis: 2,40 Euro<br />

Regional lesen, entscheiden, bewegen!<br />

Tierheime:<br />

Betreuung zwischen<br />

Mangel und Fülle<br />

Seite 3<br />

Landwirtschaft:<br />

Beauftragter für den<br />

Dialog der Akteure<br />

Seite 7<br />

Mobilität:<br />

Bangen zwischen Stau<br />

und Brückenabriss<br />

Seite 8<br />

Sport:<br />

Bob-Athletin auf dem<br />

Weg nach Olympia<br />

Seite 11<br />

Förderprojekte:<br />

Bewerbungsrunde für<br />

Leader-Regionen<br />

Seite 12<br />

Ärzte sorgen sich<br />

um ihre Zukunft<br />

Münster. Die Ärzte in <strong>Westfalen</strong>-<br />

Lippe geben der Zukunftsfähigkeit<br />

des Gesundheitswesens keine<br />

guten Noten. Nach einer anonymen<br />

Onlineumfrage der Ärztekammer<br />

unter den rund 48.000 Medizinern<br />

gab es im Durchschnitt bei dieser<br />

Frage die Note 4,0 (ausreichend).<br />

Rund 10 Prozent der Kammermitglieder<br />

hatten sich an der<br />

Befragung beteiligt, wie Präsident<br />

Johannes Albert Gehle mitteilte.<br />

Bei der Frage, welche Themen die<br />

Ärztekammer am dringendsten<br />

anpacken muss, lag das Thema<br />

Nachwuchs vorne. 71,9 Prozent der<br />

Befragten nannten diese Frage<br />

„sehr wichtig“. Das Thema Pandemie<br />

rangiert deutlich dahinter. dpa<br />

Mehr Geld für den<br />

Nahverkehr<br />

Düsseldorf. Um den Nahverkehr<br />

zu verbessern, stellt das Land<br />

Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> in den Jahren<br />

bis 2031 insgesamt 568 Millionen<br />

Euro bereit. Für 18 entsprechende<br />

Projekte sei nun „die notwendige<br />

finanzielle Vorsorge getroffen“<br />

worden, heißt es in einem Brief von<br />

Landesverkehrsministerin Ina<br />

Brandes (CDU) an die drei NRW-<br />

Verkehrsverbünde VRR, NWL<br />

und NVR.<br />

Es geht um mehr Züge, etwa auf der<br />

Linie RE 60.2 zwischen Rheine<br />

und Braunschweig ab 2024 und bei<br />

der RB 64 zwischen Münster und<br />

Enschede ab 2026. Zudem sollen<br />

Strecken reaktiviert werden,<br />

etwa die Röhrtalbahn von Neheim-<br />

Hüsten nach Sundern im Hochsauerlandkreis.<br />

dpa<br />

LPV GmbH Hülsbrockstraße 2–8 48165 Münster<br />

ZKZ 32935 PVst+4 DPAG Entgelt bezahlt<br />

Vier Monate nach dem desaströsen<br />

Abschneiden<br />

bei der Bundestagswahl<br />

hat die CDU sich eine<br />

neue Führung gegeben.<br />

Nach dem Votum des Parteitags lässt<br />

sich sagen: Die Impulse für die Neuausrichtung<br />

der Partei werden maßgeblich<br />

von zwei <strong>Westfalen</strong> kommen.<br />

Der Sauerländer Friedrich Merz steht<br />

als Parteichef an der Spitze. Derweil<br />

soll der Paderborner Bundestagsabgeordnete<br />

Carsten Linnemann als einer<br />

seiner Stellvertreter die Programmund<br />

Grundsatzkommission leiten.<br />

Der frühere Chef der Mittelstandsund<br />

Wirtschaftsunion MIT will die<br />

Chance nutzen, der Partei seinen<br />

Stempel aufzudrücken, wie er im Interview<br />

mit <strong>Landschaft</strong> <strong>Westfalen</strong><br />

klarmacht.<br />

„In vielen Bereichen sind wir inhaltlich<br />

nicht gut aufgestellt. Es ist<br />

nicht klar, wofür die Union steht und<br />

wofür nicht“, moniert Linnemann, der<br />

sich für einen „modernen Konservatismus“<br />

starkmacht. „Gerade eine<br />

Volkspartei braucht eine Erkennungsmelodie.<br />

Und die ist bei der Union<br />

nicht mehr zu hören“, so die düstere<br />

Diagnose des 44-Jährigen. Eine Warnung<br />

schiebt er gleich hinterher:<br />

Wenn die Union es nicht schaffe, auch<br />

ihre konservative Wurzel wieder<br />

sichtbar zu machen, werde sie ihren<br />

Status als Volkspartei verlieren.<br />

Was Linnemann unter „modernem<br />

Konservatismus“ versteht, illustriert<br />

er am Beispiel Migration – einem<br />

Thema, das für die Union seit der<br />

Flüchtlingskrise 2<strong>01</strong>5 ähnlich traumatisch<br />

ist wie für die SPD die Hartz-<br />

1316 erstmals urkundlich erwähnt: Wildpferde im<br />

Merfelder Busch. Foto: Shutterstock<br />

Impulsgeber<br />

aus <strong>Westfalen</strong><br />

Carsten Linnemann soll die CDU erneuern<br />

Von Manuel Glasfort<br />

Klare Vorstellung von konservativ: Carsten Linnemann. Foto: Julia Steinigeweg/Agentur Focus<br />

Gesetze. Wenn sich Parallelgesellschaften<br />

bildeten und die gemeinsame<br />

Wertebasis der Gesellschaft erodiere,<br />

könne das gefährlich werden für den<br />

Sozialstaat. „Daher ist es wichtig, dass<br />

wir kontrollieren, wer zu uns ins Land<br />

kommt. Ohne Grenzschutz geht das<br />

nicht.“ Seinen humanitären Pflichten<br />

solle Deutschland mit Kontingentlösungen<br />

nachkommen.<br />

Bleibt wild!<br />

Dülmen. Wildpferde hinter einem<br />

Zaun, das ist ein Widerspruch in sich.<br />

In Dülmen wird es wohl so kommen,<br />

denn man befürchtet, dass zukünftig<br />

dort lebende Wölfe die 400 Pferde<br />

starke Herde aus dem Merfelder Busch<br />

auf die nahe Autobahn A 43oder auf<br />

die Bundesstraße B 67n hetzen könnten.<br />

Nun soll ein zehn Kilometer langer<br />

Zaun Pferde und Autofahrer<br />

schützen. Der Naturschutzbeirat des<br />

Kreises Coesfeld hat zugestimmt, dass<br />

dafür die Bauverbote in den Naturschutzgebieten<br />

aufgehoben werden.<br />

Wölfe gibt es in der Gegend übrigens<br />

noch nicht. Doch schon Sokrates<br />

wusste: Prävention ist besser als Intervention.<br />

nri<br />

Nach der Bundestagswahl wurde Linnemann<br />

mitunter als Laschet-Nachfolger<br />

gehandelt. Von einer eigenen<br />

Kanzlerkandidatur in vier Jahren will<br />

der Paderborner nichts wissen. Das sei<br />

„Quatsch“, sagt Linnemann. Er wolle<br />

sich auf die Erneuerung seiner Partei<br />

konzentrieren. „Dieser Aufgabe muss<br />

ich gerecht werden.“<br />

Mehr auf den Seiten 4 und 5<br />

„Nach der Rückkehr<br />

des Wolfes<br />

bleibt das Ziel,<br />

Naturschutz<br />

sowie Herdenschutz<br />

in Einklang<br />

zu bringen.“<br />

Ursula Heinen-Esser, NRW-Ministerin<br />

für Landwirtschaft und Umwelt<br />

Nageln Sie den<br />

Minister<br />

doch mal fest!<br />

Neulich fuhr ich im Dunkeln mitten<br />

durch den Windpark Asseln auf<br />

der Paderborner Hochfläche. Es war<br />

etwas neblig, die Szenerie erinnerte<br />

mich an die Bilder, die wir als Kinder<br />

in den 1970er-Jahren malten, wenn<br />

wir uns unser Leben im Jahr 2000 vorstellten.<br />

Den Windpark Asseln gibt es<br />

seit 1997, damals war dies die größte<br />

Onshore-Anlage Europas. Wer heute<br />

dort vorbeikommt, sieht immer noch<br />

ein Stück Zukunft. Denn Windkraft<br />

wird ein wesentlicher Baustein sein,<br />

um den bevorstehenden Energiehunger<br />

klimafreundlich zu gestalten.<br />

Der neue Wirtschafts- und Klimaschutzminister<br />

Robert Habeck hat bei<br />

seiner Eröffnungsbilanz Mitte Januar<br />

mit Grafiken auf Pappen gezeigt, dass<br />

es mit dem Ausbau deutlich schneller<br />

vorangehen muss. Viele Menschen<br />

würden Windkraftanlagen als Veränderungen<br />

von Heimat ansehen und sie<br />

nicht da haben wollen, wo sie „immer<br />

mit ihrem Waldi spazieren gehen“.<br />

Eine nicht ganz neue, aber gute Idee,<br />

wie man es den Menschen etwas leichter<br />

machen könnte, einen anderen<br />

Spazierweg zu suchen, hat er auch<br />

gleich mitgebracht: Die neue Bundesregierung<br />

will Bürgerenergieanlagen<br />

stärker fördern. Wenn das Geld nicht<br />

in die Taschen von Projektierern fließt,<br />

sondern in der Bürgerschaft bleibt,<br />

lebt es sich mit dem Windrad vor der<br />

eigenen Haustüre leichter.<br />

Minister Habeck will übrigens bis<br />

zum Sommer als Waldi-Versteher<br />

durchs Land reisen und für seine Energiepläne<br />

werben. Vielleicht führt ihn<br />

sein Weg ja auch ins Westfälische.<br />

Da könnte man mit ihm gleich noch<br />

eine paar andere Themen diskutieren:<br />

dass seine Regierung bei der Förderung<br />

des ländlichen Raumes anscheinend<br />

vor allem die strukturschwachen<br />

Regionen Ostdeutschlands vor<br />

Augen hatte, zum Beispiel. Wie er<br />

sich das nun wirklich vorstellt mit<br />

dem klimafreundlichen Umbau der<br />

Landwirtschaft, dem Flächenverbrauch<br />

für erneuerbare Energien wie<br />

Solarpanels. Und wie sich das alles auf<br />

Bodenpreise auswirkt. Und dann nageln<br />

Sie ihn ruhig mal fest, damit er<br />

sich nicht darauf zurückziehen kann,<br />

was nicht nur für den Grünen Habeck,<br />

sondern für uns alle eine Katastrophe<br />

wäre: dass das nichts wird mit der<br />

Energiewende.<br />

Nicole Ritter<br />

KOLUMNE


BUCH EINS<br />

2 | Akzente<br />

AUSGABE 1 / FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

KOMMENTARE<br />

DIE WAHRHEIT ÜBER …<br />

PERSÖNLICH<br />

… ERFINDERINNEN in Ruhrgebiet und<br />

Münsterland untersucht ein Forschungsteam<br />

der Westfälischen Hochschule.<br />

Frauen kämen zu wenig vor,<br />

wenn es um Innovationen gehe, so die<br />

leicht zu belegende Ausgangsthese:<br />

Nur 4 Prozent der Patente in Deutschland<br />

werden von Frauen angemeldet.<br />

Das soll sich ändern.<br />

Kerstin Ettl befasst sich mit der Rolle von Frauen<br />

als Innovatorinnen. Foto: WH/Julia Voß<br />

Die Leiterin des Forschungsteams, Kerstin<br />

Ettl, ist seit dem vergangenen Jahr<br />

Professorin für Betriebswirtschaftslehre<br />

mit dem Schwerpunkt Gender und<br />

Diversity an der Westfälischen Hochschule<br />

Gelsenkirchen. Sie muss nicht<br />

wirklich auf die berühmte Mathematikerin<br />

Ada Lovelace verweisen, die als<br />

erste Programmiererin der Welt gilt,<br />

nachdem sie erste Programme für die<br />

„analytische Maschine“ vorgelegt und<br />

den Unterschied der Maschine zu einer<br />

bloßen Rechenmaschine aufgezeigt hat.<br />

Denn es gibt die Erfinderinnen und<br />

Innovatorinnen auch in <strong>Westfalen</strong>. In<br />

der eigenen Hochschule wurde das<br />

Team bereits fündig: Heike Beismann,<br />

Professorin aus Bocholt, ließ sich von<br />

der menschlichen Anatomie zu einem<br />

neuartigen Federelement inspirieren,<br />

das heute in der Automobilindustrie<br />

zum Einsatz kommt. Vorbild waren<br />

die Puffereigenschaften des Brustkorbs.<br />

„Derartige Innovationen und<br />

die Erfinderinnen selbst sichtbar zu<br />

machen und vorzustellen, soll andere<br />

innovative Frauen ermutigen, ähnliche<br />

Wege einzuschlagen und ihre<br />

Ideen durchzusetzen“, erläutert Projektleiterin<br />

Ettl. „Zusätzlich soll mit<br />

dem Projekt die Innovationskraft des<br />

Hochschulumfeldes Ruhrgebiet und<br />

Mün ster land gestärkt werden.“ Ziel<br />

sei es auch, aus dem Verständnis für<br />

die Rolle und den Beitrag von wissenschaftlich<br />

tätigen Frauen entsprechende<br />

Förderinstrumente abzuleiten.<br />

Innovatorin in der deutschen Forschung:<br />

Emmanuelle Charpentier erhielt 2020 den<br />

Nobelpreis für Chemie. Foto: Kay Nietfeld/dpa<br />

„Dabei geht es auch um Macht- und<br />

soziale Strukturen in regionalen Innovationsökosystemen“,<br />

sagt Ettl, womit<br />

sie die Lebenswirklichkeit und den Alltag<br />

innovativer Frauen in ihren jeweiligen<br />

privaten wie auch beruflichen<br />

Umfeldern meint. Das Forschungsprojekt<br />

„WE!“ läuft insgesamt drei<br />

Jahre und erhält Fördermittel vom<br />

Bundes ministerium für Bildung und<br />

Forschung.<br />

„Motor des Wandels“<br />

Der Münsteraner Oberbürgermeister Markus Lewe<br />

sieht die Städte in einer Schlüsselrolle<br />

Ein neues Jahr liegt frisch vor uns. Ein neues<br />

Jahr birgt Chancen und neue Herausforderungen.<br />

Das gilt auch für die Städte. Denn<br />

hier wird sich entscheiden, wie wir die großen<br />

gesellschaftlichen Themen unserer Zeit<br />

bewältigen: Klimaschutz, Mobilitätswende, Digitalisierung,<br />

Wohnungsbau, Chancengleichheit – all das wird<br />

vor Ort konkret.<br />

Diesen Wandel zu gestalten, ist die Aufgabe, die vor uns<br />

liegt. Als Oberbürgermeister von Münster bedeutet das für<br />

mich, dass wir gemeinsam mit der Stadtgesellschaft, mit<br />

den Bürgerinnen und Bürgern, mit Wirtschaft, Wissenschaft<br />

und Kulturszene eine nachhaltige und soziale Stadt<br />

schaffen möchten. Auf diesem Weg sind<br />

wir nicht allein. Alle Städte in Deutschland<br />

stellen sich diesen Herausforderungen.<br />

Wichtig ist, die Menschen bei tiefgreifenden<br />

Veränderungen aktiv einzubeziehen.<br />

Das ist unser Job als kommunale Profis.<br />

Und deswegen ist die Zusammenarbeit und<br />

der Erfahrungsaustausch im Deutschen<br />

Städtetag so wertvoll. Ich freue mich, das<br />

Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen<br />

bekommen zu haben und als Städtetagspräsident<br />

für die Städte bei Bund und Ländern in<br />

den kommenden eineinhalb Jahren zu streiten. Denn das<br />

ist direkter Einsatz für die Lebensqualität der Menschen<br />

in unseren Städten.<br />

Drei große Themen sind mir besonders wichtig. Als<br />

Erstes Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Über<br />

Bildung können wir Zukunftschancen für alle sichern. Kita,<br />

schulische Ganztagsangebote, lebenslanges Lernen, aber<br />

auch die Angebote der Jobcenter – all das gibt es in den<br />

Städten und wollen wir noch besser machen. Gerade für<br />

Kinder. Es kann doch nicht sein, dass die Schulen digital<br />

immer noch hinterm Mond sind. Wir brauchen einen Masterplan<br />

für digitale Bildung.<br />

Als erstes Bundesland will Nordrhein-<strong>Westfalen</strong><br />

die Digitalisierung<br />

der Schulen im Gesetz verankern.<br />

So sieht es die Novelle vor, die<br />

Ministerin Yvonne Gebauer noch vor<br />

der Landtagswahl verabschieden lassen<br />

will. Das klingt innovativ, doch ist<br />

es das auch? Angesichts der Zustände<br />

in den Schulen, die landauf, landab<br />

beklagt werden, sind Zweifel angebracht.<br />

Es ist schön, so etwas im Gesetz<br />

zu verankern und ein paar Millionen<br />

für die Fortbildung der Lehrerinnen<br />

und Lehrer bereitzustellen,<br />

übrigens rein rechnerisch rund 1000<br />

Euro pro allgemeinbildender Schule.<br />

Pro Schule, nicht pro Lehrkraft. Wer<br />

eine grobe Ahnung hat, wie groß der<br />

Kreativkai Münster: ein Beispiel für Strukturveränderungen. Foto: Henrik Dolle/Adobe Stock<br />

Markus Lewe ist Präsident<br />

des Deutschen Städtetages.<br />

Foto: PPBraun<br />

Zweitens: Wohnen wird immer teurer. Für Menschen mit<br />

niedrigem Einkommen fehlen Wohnungen. Wir brauchen<br />

bezahlbare Mieten und den sozialen Wohnungsbau in den<br />

Städten. Wir brauchen kommunale Bodenfonds, mit denen<br />

wir vor Ort steuern können, was und wann und wo<br />

gebaut wird. Städte sind nicht irgendein Investor, sondern<br />

betreiben Daseinsvorsorge – wir haben die notwendigen<br />

rechtlichen Zügel in unseren Händen, etwa beim Zugriff<br />

auf Grundstücke.<br />

Und drittens: die Transformationen bei Klima, Mobilität,<br />

Innenstädten, Digitalisierung. Jedes für sich ist ein<br />

Riesenthema. Die Pandemie und der Klimawandel zeigen<br />

uns jeden Tag, dass wir krisenfester werden müssen. Wir<br />

wollen nicht im Nachhinein die Stadt reparieren,<br />

sondern vorbereitet, also resilient<br />

sein. Städte müssen Klimawandel meistern<br />

können; das muss gesetzlich verankert werden.<br />

Wir brauchen mehr Unterstützung zur<br />

Vorsorge vor Hochwasser und Starkregen,<br />

zum Umbau zur Schwammstadt und für<br />

mehr Grün in der Stadt.<br />

Energetische Sanierung von Quartieren,<br />

klimafreundliche Energieversorgung, neue<br />

Busse und Bahnen, Ausbau des Radwegenetzes,<br />

neue Konzepte für Innenstädte, digitale<br />

Bürgerservices – an all diesen Baustellen arbeiten die Städte.<br />

Was die Ampel-Parteien dazu in den Koalitionsvertrag<br />

geschrieben haben, macht Hoffnung. Wir nehmen<br />

die neue Bundesregierung beim Wort, wir wollen mehr<br />

Wandel wagen. Die Städte wollen Motor des Wandels sein.<br />

Eine Handvoll Förderprogramme helfen allerdings<br />

nicht weiter. Die Städte brauchen mehr frei verfügbare<br />

Mittel durch einen größeren Anteil am Steueraufkommen.<br />

Bund und Länder müssen das in die Bahn bringen. Förderprogramme<br />

sind stets die zweitbeste Lösung – denn die<br />

Städte wissen gut, was zu tun ist. Und wir wollen starke<br />

und handlungsfähige Städte sein.<br />

Bildung gut gemeint: Das reicht nicht<br />

Von Nicole Ritter<br />

Fortbildungsbedarf ist und was solche<br />

Maßnahmen kosten, darf sich jetzt ein<br />

wenig wundern. Weiter geht es mit<br />

der Ausstattung der Schulen mit digitalem<br />

Gerät und der entsprechenden<br />

Infrastruktur. Es ist kein Geheimnis,<br />

dass es auch da vorne und hinten<br />

klemmt. Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> ist<br />

nicht ohne Grund Schlusslicht bei den<br />

Investitionen in die Primarbildung.<br />

Doch es geht nicht nur um Geld.<br />

Aufrechter Gang gehe nicht mit Handynacken,<br />

kommentierte jemand in<br />

einem Pädagogenforum. Und genau<br />

da liegt das eigentliche Problem. Natürlich<br />

sollen Kinder und Jugendliche<br />

in den Schulen digitale Kompetenzen<br />

erlernen. Aber reicht das? Was ist mit<br />

vielen anderen Kompetenzen, die sie<br />

zukünftig benötigen werden? Wir<br />

müssen gar nicht auf die Folgen der<br />

Corona-Pandemie für Kinder und Jugendliche<br />

schauen, denen wertvolle<br />

Lernerfahrungen vorenthalten wurden<br />

und werden.<br />

Wenn sie für das, was auf die<br />

Menschheit zukommt, gerüstet sein<br />

sollen, geht es um viel mehr als ein<br />

paar Freiräume, die Schulen jetzt mit<br />

dem neuen Gesetz noch bekommen<br />

sollen. Es geht darum, dass man junge<br />

Menschen nicht mit Konzepten von<br />

vorgestern auf die Welt von morgen<br />

vorbereiten kann. Wenn es sein muss,<br />

auch mit einem neuen Schulgesetz,<br />

vor allem aber mit richtig guten Ideen.<br />

Umwelt kaputt,<br />

aber Haushalt<br />

ausgeglichen?<br />

„Es bringt doch überhaupt nichts,<br />

wenn ich in 20 Jahren den heute<br />

geborenen Kindern sage: Du hast zwar<br />

keinen Schulabschluss, und deine<br />

Umwelt ist kaputt, aber unser Haushalt<br />

ist ausgeglichen“, sagte der SPD-<br />

Spitzenkandidat für die Landtagswahl<br />

in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong>, Thomas<br />

Kutschaty, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur<br />

dpa. Bei Investitionen<br />

in zusätzliche Lehrer und eine bessere<br />

Ausstattung der Schulen zeige sich<br />

der Mehrwert nicht immer sofort.<br />

„Aber wenn wir gut ausgebildete<br />

Kinder in einigen Jahren haben, dann<br />

ist das die höchste Rendite, die<br />

ein Staat haben kann.“ Kinder aus<br />

benachteiligten Stadtteilen aus<br />

Armutsspiralen he raus zureißen,<br />

spare langfristig aber auch Kosten –<br />

etwa für Arbeitslosengeld. „Ich wäre<br />

auch bereit, notfalls Kredite dafür<br />

aufzunehmen, um diese wichtigen<br />

Investitionen in das Bildungs- und<br />

Gesundheitssystem zu finanzieren“,<br />

sagte Kutschaty. dpa<br />

Thomas Kutschaty, SPD<br />

Foto: dpa<br />

Impressum<br />

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v.i.S.d.P.), Nicole Ritter (Stellv. Chefredak teurin,<br />

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FEBRUAR <strong>2022</strong> / AUSGABE 1<br />

BUCH EINS<br />

Agenda | 3<br />

WESTFALEN<br />

Fundsache Fellnase: wenig Platz<br />

für Hund und Katz<br />

Die befürchtete Abgabewelle an<br />

Tier heime aufgrund von Corona blieb<br />

aus. Die meisten betreuten Tiere<br />

sind Fundtiere.<br />

Viele Tierschutzvereine kämpfen<br />

dennoch mit finanziellen Problemen<br />

Von Stefan Legge<br />

Die Zahl der Hunde, die in den Tierheimen abgegeben wurden, stieg im vergangenen Jahr an.<br />

Auch der illegale Welpenhandel aus Osteuropa hat dazu beigetragen. Foto: Getty Images<br />

Mitte des Jahres 2021 schlugen die Tierschutzverbände<br />

Alarm. Die Lockerung<br />

der Corona-Maßnahmen und die<br />

beginnenden Sommerferien führten zu<br />

einem Anstieg der Neuankömmlinge<br />

in den Tierheimen. Hunde, Katzen und andere Haustiere,<br />

die während des Lockdowns für willkommene<br />

Abwechslungen im tristen Alltag zwischen Homeschooling<br />

und Homeoffice gesorgt hatten, wurden vielen Menschen<br />

nun wieder lästig. „Die befürchtete Riesenwelle ist<br />

ausgeblieben, sie war letztlich kleiner als befürchtet“, sagt<br />

Ralf Unna, Vizepräsident des Landestierschutzverbandes<br />

in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong>, bei dem die meisten Tierschutzvereine<br />

organisiert sind.<br />

Viele Tierheime in <strong>Westfalen</strong> hätten aber wohl<br />

mit einer größeren Welle auch gar nicht umgehen können.<br />

Personal, Platz und Geld sind knapp. „Wir sind voll<br />

belegt“, sagt Karin Keuter vom Tierheim Paderborn,<br />

das vom Tierschutzverein Tiere in Not e. V. betrieben wird.<br />

Zu Beginn des ersten Lockdowns seien viele Tiere vermittelt<br />

worden. Tatsächlich habe das Angebot oft nicht die Nachfrage<br />

decken können. „Da haben wir von Corona profitiert“,<br />

sagt Keuter. Mittlerweile müsse man bei Abgabeanfragen<br />

von Tierhaltern auf eine Vermittlung ohne Aufnahme verweisen.<br />

„Weil wir keinen Platz haben, können wir nur anbieten,<br />

Abgeber und Aufnehmer zueinanderzubringen“,<br />

erklärt Keuter. Viele Tierheime in <strong>Westfalen</strong> machen das<br />

über ihre Homepage, auf der dann Fotos und Daten der Tiere<br />

zu sehen sind.<br />

Sondereffekte durch Corona<br />

Vor allem bei Hunden setzte zu Beginn der Corona-Pandemie<br />

eine Fehlentwicklung ein, die die Tierheime nun zu<br />

spüren bekommen. „Zum einen ist die Entscheidung für<br />

ein Tier oft zu schnell und zu unüberlegt gefallen“, sagt<br />

Ralf Unna ist Tierarzt<br />

und Vizepräsident des<br />

Landestierschutzverbandes<br />

NRW. Foto:<br />

Cornelis Gollhardt<br />

Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund.<br />

Unerfahrene Hundehalter seien dann schnell überfordert.<br />

„Viele Menschen haben sich zudem über Online-Angebote<br />

Welpen von illegalen Händlern aus Osteuropa bestellt“, berichtet<br />

Pommerening. Diese Tiere seien unter schlechten<br />

Bedingungen geboren, oft nicht geimpft und unterernährt<br />

in Deutschland angekommen. Auch diese Tiere kommen<br />

nun teilweise in den Tierheimen an.<br />

Verantwortungsvolle Tierhalter, die sich ihre Überforderung<br />

eingestehen und Tiere zum Tierheim bringen, sind<br />

aber nach wie vor eine Ausnahme. „Mehr als zwei Drittel<br />

der Tiere in unseren Tierheimen sind Fundtiere“, erklärt<br />

Ralf Unna. Ausgesetzt, verstoßen, manchmal sogar weggeworfen.<br />

Da für Fundsachen die Kommunen zuständig<br />

sind und auch dafür aufkommen müssen, geht es hier ums<br />

Geld. Die wenigsten Kommunen in <strong>Westfalen</strong> leisten sich<br />

wie Unna oder Dortmund ein eigenes<br />

Tierheim. Die allermeisten haben<br />

Verträge mit Tierschutzvereinen geschlossen,<br />

in denen die Konditionen<br />

für die Unterbringung der Fundsachen,<br />

also der Tiere, geregelt sind.<br />

„ES GIBT TIERSCHUTZVEREINE,<br />

DIE KÖNNEN VOR KRAFT<br />

KAUM LAUFEN, UND DANN<br />

GIBT ES WELCHE, DIE HABEN<br />

SCHON IM AUGUST<br />

IHR JAHRESBUDGET<br />

FÜR FUTTER VERBRAUCHT.“<br />

Ralf Unna,<br />

Landestierschutzverband NRW<br />

Keine einheitlichen Standards<br />

„Die Spannweite der Konditionen ist<br />

enorm“, sagt Ralf Unna. Da die<br />

meisten Tierheime von Tierschutzvereinen<br />

betrieben werden, hat der<br />

Landesverband hier einen guten Überblick.<br />

Er unterstützt auch hin und<br />

wieder bei den Verhandlungen. „Seit<br />

Jahren kämpfen wir für einheitliche<br />

Standards“, so Unna. Bisher vergeblich. Was kostet die<br />

Unterbringung eines Hundes pro Tag? Was kostet sie in<br />

einem Tierheim auf dem Land oder in der Stadt? „Diese<br />

Zahlen sind ja kein Geheimnis. Sie liegen zwischen 15 und<br />

22 Euro. Das müsste auch nicht verbindlich, sondern lediglich<br />

als Richtwert etwa vom Landesamt für Natur, Umwelt<br />

und Verbraucherschutz veröffentlicht werden. Dann hätten<br />

alle Beteiligten eine Diskussionsgrundlage bei den Vertragsverhandlungen“,<br />

sagt Unna.<br />

Trotz runder Tische beim Bundesministerium für Ernährung<br />

und Landwirtschaft und bei anderen Initiativen<br />

kann der Tierschutzbund diese Forderung aber bisher<br />

nicht durchsetzen. Der Städte- und Gemeindebund<br />

verweist auf die Vertragsfreiheit und die rechtlichen<br />

Grauzonen bei der Beurteilung von Fund- und Abgabetieren.<br />

Das Ergebnis ist ein Flickenteppich mit unterschiedlichsten<br />

Konstellationen. „Es gibt Tierschutzvereine,<br />

die können vor Kraft kaum laufen, und dann gibt es<br />

welche, die haben schon im August ihr Jahresbudget für<br />

Futter verbraucht“, sagt Unna.<br />

Ohne Spenden geht es nicht<br />

Eine Einschätzung, die Hester Pommerening bestätigt:<br />

„Wir sehen, dass es oft dieselben Vereine sind, die im<br />

Herbst um Hilfe rufen.“ Wenn beispielsweise das Heizöl<br />

knapp wird, hat der Tierschutzbund einen „Feuerwehr-<br />

Fonds“, und auch das Land Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> fördert<br />

Tierheime jährlich mit einer Summe von 500.000 Euro.<br />

Da für die oft ehrenamtlichen Helfer das Wohl der<br />

Tiere im Vordergrund steht und das Geld knapp ist,<br />

befinden sich viele Heime in keinem guten Zustand. Auch<br />

bauliche Erweiterungen sind trotz Platzknappheit oft<br />

nicht zu stemmen. Mehr Tiere als<br />

üblich aufzunehmen, geht dann einfach<br />

nicht.<br />

Einige Vereine gehen transparent<br />

mit ihren Einnahmen und Ausgaben<br />

um. So gibt das Tierheim in Paderborn<br />

an, etwa 420.000 Euro im Jahr für Personal,<br />

Futter, Einstreu, Tierarzt und<br />

Energie aufzuwenden. Allein 224 Säcke<br />

(2400 Kilogramm) Katzenstreu<br />

würden jeden Monat verbraucht. Ein<br />

Drittel der Kosten bekomme man<br />

über die Rechnungen, die man der<br />

Stadt Paderborn und den umliegenden<br />

Kommunen für Fundtiere in<br />

Rechnung stellen kann, wieder rein.<br />

„Der Rest muss aus Spenden, Abgabe gebühren und Veranstaltungen<br />

kommen“, sagt Karin Keuter vom Tierheim<br />

Paderborn. In Zeiten von Corona eine besondere Herausforderung.<br />

„Von fünf geplanten Festen sind uns im letzten<br />

Jahr zwei geblieben.“<br />

So wie in Paderborn machen es auch andere. Sommerfeste<br />

oder Nikolausfeiern mit Kuchenverkauf und einem<br />

Basar sind wichtige Einnahmequellen für die Vereine.<br />

Bis zu einem gewissen Grad sei der Einsatz von Spendengeldern<br />

auch sinnvoll, findet Ralf Unna. „Wenn allerdings<br />

die Betreuung von Fundtieren so schlecht vergütet wird,<br />

dass die Vereine dafür Spendengelder einsetzen müssen,<br />

dann passt etwas grundsätzlich nicht. Dann finanzieren<br />

die Spender eine hoheitliche Aufgabe.“ Die Diskussion um<br />

die Finanzierung der Tierheime bleibt also angespannt, die<br />

Situation in den Heimen ist es sowieso.


BUCH EINS<br />

4 | Schwerpunkt<br />

AUSGABE 1 / FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

Wechsel vom Fraktionsvorstand der Union ins Konrad-Adenauer-Haus: Carsten Linnemann ist einer der Stellvertreter von CDU-Chef Friedrich Merz und will seiner Partei als Leiter der<br />

Programm-und Grundsatzkommission ein neues inhaltliches Profil geben. Die inhaltliche Positionierung sei in der Ära Merkel vernachlässigt worden, meint Linnemann. Foto: Julia Steinigeweg/Agentur Focus<br />

„Eine Volkspartei braucht<br />

eine Erkennungsmelodie“<br />

CDU-Vize Carsten Linnemann über modernen<br />

Konservatismus und den Umgang mit der AfD<br />

Von Manuel Glasfort<br />

Herr Linnemann, Sie wollen als Chef der Grundsatzkommission<br />

unter dem neuen CDU-Chef<br />

Friedrich Merz ein neues Programm für die CDU<br />

ausarbeiten. Ihren Posten als Chef der Mittelstandsunion<br />

haben Sie abgegeben. Was hat Sie zu<br />

diesem Schritt bewogen?<br />

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass politische Ämter<br />

wie die Kanzlerschaft zeitlich begrenzt sein sollten.<br />

Das gilt auch für Spitzenämter in den Parteien, damit diese<br />

nicht ermatten und regelmäßig ein frischer Wind<br />

reinkommt. Deswegen war für mich klar, dass nach acht<br />

Jahren an der Spitze der Mittelstandsunion Schluss ist<br />

und ich eine neue Herausforderung suche. Wer mich<br />

kennt, weiß, dass Programmatik genau mein Ding ist.<br />

Deshalb freue ich mich auf die Leitung der Programmund<br />

Grundsatzkommission.<br />

Vielfach war von konservativer Seite zu hören, die<br />

CDU habe unter Merkel ihr Profil verloren, sei<br />

inhaltlich ausgezehrt. Teilen Sie diese Diagnose?<br />

In vielen Bereichen sind wir inhaltlich nicht gut aufgestellt.<br />

Es ist nicht klar, wofür die Union steht und wofür<br />

nicht. Gerade eine Volkspartei braucht eine Erkennungsmelodie.<br />

Und die ist bei der Union nicht mehr zu hören.<br />

Wir haben mit Angela Merkel Wahlen gewonnen,<br />

aber wir haben uns zu sehr auf die Person Angela Merkel<br />

gestützt und die Inhalte vernachlässigt. Das fällt uns heute<br />

auf die Füße. Wir müssen nicht nach rechts oder links<br />

rücken, sondern unser Profil schärfen. Wenn wir das<br />

dann noch verbinden mit den richtigen Persönlichkeiten,<br />

dann können wir in Bereiche kommen von 35 Prozent<br />

Wählerzuspruch und mehr.<br />

Die CDU hat drei Wurzeln: eine konservative, eine<br />

christlich-soziale, eine liberale. Vom Konservativen<br />

war zuletzt wenig zu spüren. Wie wollen Sie allen<br />

dreien in einem neuen Programm wieder Geltung<br />

verschaffen?<br />

Wenn wir das nicht schaffen, allen drei Wurzeln wieder<br />

Geltung zu verschaffen, wird die Union ihren Status als<br />

Volkspartei verlieren. Das ist meine feste Überzeugung.<br />

Wir haben ein starkes Fundament mit der sozialen<br />

Marktwirtschaft und der christlichen Soziallehre. Darauf<br />

aufbauend müssen die Positionen jetzt sehr deutlich<br />

formuliert werden. Konservativ zu sein, heißt übrigens<br />

auch, Haltung zu zeigen und Stil zu bewahren. Öffentlich<br />

übereinander herzufallen, ist damit nicht vereinbar. Und<br />

was in vertraulicher Runde besprochen wird, darf nicht<br />

an die Öffentlichkeit durchgestochen werden. Das sind<br />

Tugenden, die wir zuallererst wieder beherzigen müssen.<br />

Wie müsste nach Ihrer Ansicht ein moderner<br />

Konservatismus im 21. Jahrhundert aussehen?<br />

Wir dürfen der konservativen Wurzel nicht das Etikett<br />

„rückwärtsgewandt“ oder „altbacken“ aufkleben, wie es<br />

zu oft geschieht. Konservativ zu sein, heißt, das menschliche<br />

Bedürfnis nach Sicherheit, Beständigkeit und<br />

Zugehörigkeit politisch zu adressieren. Wir müssen<br />

bewahren, was sich bewährt hat, ohne uns dem Neuen<br />

zu verschließen, wenn es sich als besser erweist.<br />

„IN VIELEN<br />

BEREICHEN<br />

SIND WIR<br />

INHALTLICH<br />

NICHT GUT<br />

AUFGE-<br />

STELLT.“<br />

Carsten Linnemann<br />

Zugleich müssen wir große Veränderungen stärker als<br />

früher mit inhaltlichen Debatten verknüpfen.<br />

Die Aussetzung der Wehrpflicht beispielsweise war<br />

zwar richtig, weil nur noch 15 Prozent eines Jahrgangs<br />

eingezogen wurden. Allerdings haben wir nicht<br />

ausreichend darüber debattiert. Am Ende einer solchen<br />

Debatte hätten wir dann vielleicht ein verpflichtendes<br />

Gesellschaftsjahr für alle jungen Menschen eingeführt.<br />

Was bedeutet ein moderner Konservatismus beispielsweise<br />

konkret in der Europapolitik? Wie stellt<br />

sich die CDU die Zukunft des Nationalstaats in der<br />

EU vor?<br />

Die EU muss sich auf die Aufgaben beschränken,<br />

bei denen es einen europäischen Mehrwert gibt. Das gilt<br />

zum Beispiel in der Außen-, Verteidigungs- und<br />

Handelspolitik. Aber sicher nicht in der Sozialpolitik,<br />

denn der Sozialstaat in Deutschland ist ein ganz anderer<br />

als beispielsweise in Rumänien oder Bulgarien. Wir müssen<br />

aufpassen, dass die EU nicht schleichend immer mehr<br />

Kompetenzen an sich zieht.<br />

Und was bedeutet ein moderner Konservatismus in<br />

Ihren Augen in der Migrations- und Asylpolitik?<br />

Der moderne Konservative weiß, dass es in einer Gesellschaft<br />

eine gemeinsame Wertebasis braucht.<br />

Denn ansonsten bilden sich Parallelgesellschaften,<br />

die sich absondern. Das fördert das Misstrauen in einer<br />

Gesellschaft, die Bindekräfte lassen nach, die Solidarität<br />

schwindet. Für einen Sozialstaat, der genau auf dieser


FEBRUAR <strong>2022</strong> / AUSGABE 1<br />

BUCH EINS<br />

Schwerpunkt | 5<br />

Solidarität fußt, kann so etwas gefährlich werden. Daher<br />

ist es wichtig, dass wir kontrollieren, wer zu uns in Land<br />

kommt. Ohne Grenzschutz geht das nicht. Und da müssen<br />

wir mit einem Missverständnis aufräumen. Manche<br />

glauben, wir haben die Grenzen abgeschafft. Das ist aber<br />

nicht der Fall, wir haben die Grenzen nur an die Außengrenze<br />

der Europäischen Union beziehungsweise an die<br />

Schengen-Grenze verschoben. Dort muss also kontrolliert<br />

werden. Wenn das nicht passiert, droht ein Staatsversagen<br />

wie 2<strong>01</strong>5, als wir den Überblick verloren haben, wer sich<br />

in Deutschland aufhält und wer nicht. Für einen modernen<br />

Konservatismus können offene Grenzen keine Lösung<br />

sein. Stattdessen müssen wir unseren humanitären<br />

Pflichten mit Kontingentlösungen nachkommen. So können<br />

wir den wirklich Bedürftigen helfen.<br />

Die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder<br />

hat zusammen mit dem Mainzer Historiker und<br />

CDU-Mitglied Andreas Rödder einen Thinktank<br />

für bürgerliche Politik gegründet. Werden Sie den<br />

Input des Thinktanks in die Programmarbeit einfließen<br />

lassen?<br />

Natürlich werde ich Herrn Rödder eng einbinden in die<br />

Arbeit der Programmkommission. Er zählt zu den<br />

he raus ragenden Historikern Deutschlands und kann<br />

einen wertvollen Beitrag leisten.<br />

Muss die CDU nach den langen Jahren an der Macht<br />

das inhaltliche Debattieren erst wieder neu lernen?<br />

Nicht nur die Union, sondern auch die Gesellschaft insgesamt<br />

muss das wieder lernen. Die Aufmerksamkeitsspanne<br />

ist bei vielen Menschen heute sehr kurz, das hat<br />

auch mit den sozialen Medien zu tun. Die Frustrationstoleranz<br />

gegenüber anderen Meinungen nimmt in den<br />

Echokammern, die sich dort bilden, immer weiter ab.<br />

Viele haben dabei verlernt, auf ein Argument des Gegenübers<br />

einzugehen und auch kurz darüber nachzudenken,<br />

ob der andere vielleicht recht hat. Aber ja, in der CDU<br />

müssen wir die Debattenkultur wieder stärken.<br />

Der Niedergang der Mitte-rechts-Parteien ist in<br />

anderen Ländern Europas schon weit fortgeschritten.<br />

In den sechs Gründungsländern der EU<br />

regiert inzwischen kein Konservativer mehr.<br />

Was gibt Ihnen da Zuversicht?<br />

Die CDU hat meiner Meinung nach noch die Chance,<br />

sich als konstruktive Opposition zu erneuern. Damit wir<br />

uns nicht selbst marginalisieren, müssen wir nicht nur<br />

die Breite der CDU wieder abbilden, sondern auch<br />

entsprechende Persönlichkeiten nach vorne bringen.<br />

Biedenkopf, Geißler und Blüm sind echte Typen gewesen,<br />

und die wurden innerhalb der Partei akzeptiert. Wenn<br />

wir das wieder schaffen, wird es uns nicht so ergehen wie<br />

unseren Schwesterparteien in Italien und Holland.<br />

Die Außengrenzen der Europäischen Union – hier ein polnischer Soldat<br />

an der Grenze zu Belarus – müssten besser kontrolliert werden,<br />

findet Carsten Linnemann. Seinen humanitären Pflichten solle Deutschland<br />

mit Kontingenten nachkommen. Foto: Wojtek Jargilo/dpa<br />

Friedrich Merz dürfte allerdings vor allem ältere<br />

Semester ansprechen. Hat die CDU mit ihrem neuen<br />

Parteichef einen guten Griff getan?<br />

Wenn wir denselben Fehler machen wie in den letzten<br />

zehn Jahren und uns nur auf eine Person konzentrieren,<br />

dann war es das mit der CDU als Volkspartei. Das weiß<br />

auch Friedrich Merz. Und er wird viele Menschen überraschen,<br />

indem er nicht sich in den Vordergrund stellt,<br />

sondern die CDU. In den nächsten vier Jahren müssen<br />

fünf bis zehn Persönlichkeiten so hervorkommen,<br />

dass auch junge Menschen sagen: Ja, das ist meine Partei.<br />

Die Union sitzt im Bundestag nun zwischen der<br />

FDP auf der linken und der AfD auf der rechten<br />

Seite. Wie wollen Sie sich programmatisch von der<br />

einen wie der anderen Partei abgrenzen?<br />

Indem wir erstens das Abstimmungsverhalten der AfD<br />

ignorieren. Unser Abstimmungsverhalten darf einzig<br />

von unserem Kompass abhängen und nicht von dem,<br />

was andere Parteien wie die FDP oder die AfD machen.<br />

Zweitens müssen wir uns durch unsere Sprache von der<br />

ressentimentgeladenen Rhetorik der AfD abgrenzen.<br />

Drittens müssen wir in den Bundesländern, in denen wir<br />

regieren, zeigen, dass wir Probleme auch anpacken.<br />

Ein Beispiel: In NRW schieben wir islamistische Gefährder<br />

konsequent ab. So bekommen wir Glaubwürdigkeit.<br />

Die Ampel dagegen adressiert das Thema<br />

überhaupt nicht.<br />

Bleiben wir kurz bei der AfD. Die anderen Parteien<br />

haben bisher jeden Kandidaten der AfD für das<br />

Bundestagspräsidium abgelehnt, obwohl ihr laut<br />

Geschäftsordnung ein Vizeposten zusteht.<br />

Ist das aus Ihrer Sicht richtig?<br />

Nein. Die AfD ist eine demokratisch legitimierte Partei,<br />

die nicht verboten ist. Ich schaue mir die Kandidaten an<br />

und mache die Abstimmung von der Person abhängig.<br />

Wenn jemand dabei ist, den ich für geeignet halte, dann<br />

spricht aus meiner Sicht nichts gegen eine Zustimmung.<br />

Andernfalls lehne ich ab. Wir machen die AfD sonst nur<br />

größer, als sie tatsächlich ist, und geben ihr Gelegenheit,<br />

sich als Opfer zu inszenieren.<br />

Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft in der<br />

CDU: Kanzlerkandidat in vier Jahren?<br />

Ach, das ist doch Quatsch. Die Frage ist doch vielmehr,<br />

ob wir in vier Jahren überhaupt einen Kanzlerkandidaten<br />

stellen können, der eine reelle Chance hat zu gewinnen.<br />

Ich kandidiere als stellvertretender Parteivorsitzender und<br />

mache mir im Moment viele Gedanken um diese<br />

Programmkommission. Ich habe angeprangert, was in<br />

den letzten zehn Jahren falsch gelaufen ist, und will nun<br />

dabei helfen, das Ruder herumzureißen. Dieser Aufgabe<br />

muss ich gerecht werden.<br />

In Paderborn – hier der Neptunbrunnen auf dem Marktplatz – kam Carsten Linnemann zur<br />

Welt, hier hat er seinen Wahlkreis. Foto: Shutterstock<br />

KURZBIOGRAFIE<br />

Ein waschechter<br />

Ostwestfale<br />

Der CDU-Politiker Carsten Linnemann<br />

kam am 10. August 1977 in Paderborn<br />

zur Welt. Dort eröffneten seine Eltern<br />

im selben Jahr eine Buchhandlung, die<br />

sie bis 2<strong>01</strong>9 führten. „Früh haben mein<br />

Bruder und ich gelernt, was unternehmerische<br />

Selbstständigkeit bedeutet“,<br />

schreibt Linnemann auf seiner Homepage.<br />

In Paderborn und seinem nahe<br />

gelegenen Heimatort Schwaney sei er<br />

auch heute noch zu Hause. „Hier leben<br />

meine Familie und Freunde. Hier bekomme<br />

ich beim Skat in meiner Stammkneipe<br />

den Kopf frei und kann beim<br />

Joggen auftanken.“<br />

Nach dem Abitur am Reismann-Gymnasium<br />

Paderborn und dem Wehrdienst<br />

arbeitete Linnemann ein Jahr<br />

lang in der elterlichen Buchhandlung,<br />

ehe er ein Studium der Betriebswirtschaftslehre<br />

an der Fachhochschule<br />

der Wirtschaft in Paderborn aufnahm,<br />

das er als Diplom-Kaufmann beendete.<br />

An der TU Chemnitz erwarb er anschließend<br />

seinen Doktortitel. Von<br />

2007 bis 2009 arbeitete Linnemann als<br />

Volkswirt bei der IKB Deutsche Industriebank.<br />

Bei der Bundestagswahl 2009<br />

holte der Katholik das Direktmandat für<br />

die CDU im Wahlkreis Paderborn mit<br />

52,1 Prozent der Erststimmen. Seinen<br />

Wahlkreis hat er seither bei allen Bundestagswahlen<br />

verteidigt.<br />

Von 2<strong>01</strong>3 bis 2021 führte Linnemann die<br />

Mittelstands- und Wirtschaftsunion<br />

(MIT), eine Vereinigung der Unionsparteien.<br />

Seit 2<strong>01</strong>8 war er stellvertretender<br />

Fraktionsvorsitzender für die Bereiche<br />

Wirtschaft, Mittelstand und Tourismus.<br />

Dem neuen Fraktionsvorstand gehört<br />

er nicht mehr an, stattdessen wurde er<br />

zum stellvertretenden Parteichef gewählt.<br />

Der sportbegeisterte Linnemann<br />

hat außerdem die Stiftung Lebenslauf<br />

gegründet, die benachteiligten Jugendlichen<br />

durch Sportprojekte helfen<br />

will. Seit 2<strong>01</strong>8 ist er Vizepräsident des<br />

SC Paderborn 07.


BUCH EINS<br />

6 | Berichte AUSGABE 1 / FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

Weniger Apotheken<br />

in <strong>Westfalen</strong><br />

Münster. Die Apothekerkammer<br />

<strong>Westfalen</strong>-Lippe (AKWL) hat im 17. Jahr<br />

in Folge einen Rückgang auf<br />

nunmehr nur noch 1797 Betriebsstätten<br />

registriert. Vier Neueröffnungen<br />

standen im vergangenen Jahr<br />

34 Schließungen gegenüber. Zugleich<br />

gebe es eine große Nachfrage nach<br />

neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.<br />

Über 1000 unbesetzte Stellen<br />

gebe es im Kammergebiet – und zwar<br />

in allen Berufsgruppen. AKWL-Hauptgeschäftsführer<br />

Andreas Walter erklärt:<br />

„Wir sehen einen klaren Trend<br />

zu größeren Betriebsstätten, die mit<br />

mehr Personal mehr Patientinnen<br />

und Patienten versorgen.“ Mehr als<br />

jede vierte Apotheke in <strong>Westfalen</strong>-<br />

Lippe werde inzwischen als Filiale<br />

geführt (474, Stand 31.12.2021). Somit<br />

stünden hinter den 1797 Apotheken<br />

nur noch 1323 Inhaber. „Das wiede rum<br />

ist der niedrigste Wert an Selbstständigen<br />

seit fast 60 Jahren”, so Walter.<br />

Im Durchschnitt versorgt eine Apotheke<br />

in <strong>Westfalen</strong>-Lippe gut 4700 Patientinnen<br />

und Patienten. Das sind laut<br />

AKWL etwa 10 Prozent mehr als im<br />

Bundesdurchschnitt. Die geringe<br />

Apothekendichte korrespondiere mit<br />

der im Bundesdurchschnitt geringen<br />

Hausarztdichte in den Regierungsbezirken<br />

Arnsberg, Detmold und<br />

Münster.<br />

Zeche Blumenthal<br />

wird umgestaltet<br />

Recklinghausen. Das Projekt<br />

„ Heimat-Ruhr: B7.lab – Kultur, Co-<br />

Working, Technik auf Blumenthal 7“<br />

hat einen Förderbescheid über<br />

294.197 Euro für die Umgestaltung der<br />

ehemaligen Zeche General Blumenthal<br />

erhalten. Die Münsteraner Regierungspräsidentin<br />

Dorothee Feller sagte<br />

bei der Übergabe: „Fragmente der<br />

Bergbaugeschichte zu erhalten, vor<br />

allem jedoch weiterzuentwickeln<br />

und für die heutige Zeit nutzbar zu<br />

machen, ist ein wichtiger Baustein<br />

des Strukturwandels.“ Das Projekt hat<br />

das Ziel, die historische Zeche zu<br />

erhalten und einen Ort für soziale<br />

Begegnungen, Wissenstransfer und<br />

den kreativen Umgang mit Tech nik<br />

zu verwandeln. Eine Bürgerwerkstatt,<br />

ein Co-Working-Space, Platz für Startups,<br />

Vereine und für kulturelle Aktivitäten<br />

sind die wichtigsten Bausteine.<br />

Getragen wird das Projekt vom Verein<br />

Blumenthal 7 e.V. in Recklinghausen.<br />

Selbstständig leben trotz<br />

Einschränkung<br />

Münster. Immer mehr Menschen<br />

mit einer wesentlichen Behinderung<br />

leben in <strong>Westfalen</strong>-Lippe in ihren<br />

eigenen vier Wänden. Das teilt der<br />

<strong>Landschaft</strong>sverband <strong>Westfalen</strong>-Lippe<br />

(LWL) mit. Demnach lebten im Jahr<br />

2020 rund 62 Prozent der insgesamt<br />

57.000 Menschen mit wesentlichen<br />

Behinderungen in einer eigenen<br />

Wohnung. Fünf Jahre zuvor waren es<br />

nur 56 Prozent. LWL-Direktor Matthias<br />

Löb freut sich über die Entwicklung.<br />

„Ein wichtiger Schlüssel für eine inklusive<br />

Gesellschaft sind selbstverständliche<br />

Begegnungen von Menschen mit<br />

und ohne Behinderungen. Das gelingt<br />

aber nur dann, wenn auch Menschen<br />

mit schwereren Beeinträchtigungen<br />

mitten im Dorf oder im Stadtteil in<br />

ihrer Wohnung leben können.“<br />

LWL-Sozialdezernent Matthias Münning<br />

ergänzt: „Zu einem selbstbestimmten<br />

Leben gehört auch die<br />

Art, wie ich wohne. Das wollen wir<br />

den Menschen mit wesentlichen<br />

Behinderungen nicht vorschreiben.<br />

Sie sollen möglichst selbst entscheiden.”<br />

MÜNSTER<br />

Bauern fordern<br />

klare Perspektive<br />

WLV-Präsident appelliert an<br />

die neue Bundesregierung<br />

Von Manuel Glasfort<br />

Die Landwirte in <strong>Westfalen</strong>-Lippe<br />

wollen das neue Jahr nutzen, um<br />

gemeinsam mit anderen Kräften in der<br />

Gesellschaft neue Perspektiven für ihre<br />

Betriebe zu schaffen. Dieses Ziel für<br />

<strong>2022</strong> gab Hubertus Beringmeier, Präsident<br />

des Westfälisch-Lippischen<br />

Landwirtschaftsverbands (WLV), im<br />

Rahmen des Jahrespressegesprächs des<br />

Verbands in Münster aus. Trotz teilweise<br />

sehr schwieriger Rahmenbedingungen<br />

sieht der Verband im neuen<br />

Jahr auch Chancen für eine neue Wertschätzung<br />

der Landwirtschaft. Der<br />

Bundesregierung bot er an, konstruktiv<br />

an der Lösung aktueller Herausforderungen<br />

zu arbeiten. Er unterstrich, dass<br />

die Bauern zu Veränderungen bereit<br />

seien. Allerdings dürften sie nicht auf<br />

den Kosten für neue Auflagen im Bereich<br />

Tierwohl oder Umweltschutz<br />

sitzen bleiben.<br />

Die wirtschaftliche Situation der<br />

Bauernfamilien in <strong>Westfalen</strong>-Lippe sei<br />

je nach Produktionsschwerpunkt er-<br />

nüchternd bis dramatisch, sagte Beringmeier.<br />

Rinderhalter hätten nach<br />

langer Durststrecke zwar wieder<br />

Grund zu Optimismus, und auch die<br />

heimischen Ackerbauern könnten aktuell<br />

gute Preise für Getreide und Raps<br />

erzielen, kämpften allerdings mit explosionsartig<br />

gestiegenen Kosten für<br />

Energie und Düngemittel. Schlicht<br />

dramatisch sei nach Einschätzung des<br />

WLV-Präsidenten dagegen die Lage in<br />

der Schweinehaltung. Hier habe die<br />

Corona-Pandemie dazu geführt, dass<br />

die Absatzzahlen und in der Folge<br />

auch die Erzeugerpreise so stark eingebrochen<br />

seien, dass immer mehr<br />

Johannes Schulte-Althoff:<br />

Ein Urgestein geht von Bord<br />

Münster. Mit Finanzvorstand Johannes<br />

Schulte-Althoff ist zum Jahresende<br />

bei der Agravis ein echtes genossenschaftliches<br />

und westfälisches Urgestein<br />

in den Ruhestand verabschiedet<br />

worden. Angefangen als Auszubildender<br />

bei einer Raiffeisengenossenschaft<br />

legte der heute 64-Jährige eine beachtliche<br />

Karriere hin. Über den Westfälischen<br />

Genossenschaftsverband kam<br />

er zur damaligen Raiffeisen Central-<br />

Genossenschaft. Seit Gründung der<br />

Agravis Raiffeisen AG im Jahr 2004<br />

war er Mitglied des Vorstandes.<br />

„Der künftige Finanzvorstand Hermann<br />

Hesseler übernimmt ein Unternehmen<br />

mit guter Eigenkapitalausstattung<br />

und einer hohen Liquidität. Beides<br />

ist für die nächsten Jahre gesichert“,<br />

sagte Schulte-Althoff bei seiner Verabschiedung.<br />

Die genossenschaftliche<br />

Struktur habe sich als sehr stabil und<br />

robust erwiesen. Es zahle sich aus, dass<br />

sich die Genossenschaften und die<br />

Agravis selbst direkt und indirekt im<br />

Eigentum von Landwirtinnen und<br />

Landwirten befänden. „Wenn der Wille<br />

zur beiderseitigen vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit weiter bestehen<br />

bleibt und auch gelebt wird, dann ist<br />

der genossenschaftliche Verbund im<br />

Markt unschlagbar. Das ist meine feste<br />

Überzeugung“, so Schulte-Althoff.<br />

Die Agravis werde sich in Zukunft<br />

zum Digitalisierungsführer entwickeln.<br />

„Mit unserer umfangreichen<br />

Produktpalette und lösungsorientierten<br />

Dienstleistungsangeboten sind<br />

wir auch in zehn und mehr Jahren<br />

weiter der starke Partner für Genossenschaften<br />

und die Landwirtschaft.“<br />

Persönlich wünscht sich der begeisterte<br />

Jäger vor allem mehr Zeit für<br />

die Familie: „Ich habe bereits viele<br />

Hobbys, denen ich intensiver nachgehen<br />

möchte. Und ich habe sieben Enkelkinder,<br />

die gern noch mehr Zeit mit<br />

ihrem Opa verbringen wollen.“ sle<br />

Der Aufsichtsratsvorsitzende Franz-Josef Holzenkamp und seine Stellvertreterin<br />

Friederike Brocks verabschiedeten Johannes Schulte-Althoff (links). Foto: Agravis<br />

Vieles in der Landwirtschaft liegt derzeit weit jenseits von Idylle. Die wirtschaftliche Lage ist schwierig. Foto: Adobe Stock<br />

Betriebe die Schweinehaltung aufgäben.<br />

Die Preise seien „jenseits von Gut<br />

und Böse und nicht annähernd kostendeckend“,<br />

sagte Beringmeier.<br />

Münster. Aus Großstadtredaktionen<br />

betrachtet ist das Leben auf dem Land<br />

wahlweise idyllisch oder öde. Die<br />

spannende Wahrheit dazwischen<br />

nimmt der neue Landbrief der Wochenblatt-Redaktion<br />

in den Blick: gut<br />

recherchiert, unabhängig und verständlich.<br />

Ob Digitales, Garten oder Energie,<br />

ob ländliche Infrastruktur, Ehrenamt<br />

oder Dorfkultur: Wer auf dem Land<br />

wohnt, hat besondere Fragen, besondere<br />

Themenwünsche und besondere<br />

Interessen. Um diese Themen kümmert<br />

sich jetzt ein neues Medienformat<br />

aus dem Landwirtschaftsverlag:<br />

der Landbrief.<br />

Das neue Medienformat wird ausschließlich<br />

digital erscheinen. Er ist<br />

kein schnell am Rechner zusammengebastelter<br />

Newsletter, wie es sie zu<br />

Tausenden gibt. Sondern: Er ist ein<br />

Brief. Er greift also eine allseits bekannte<br />

und persönliche Form der Mitteilung<br />

auf und interpretiert sie neu:<br />

journalistisch und digital.<br />

Scharfe Kritik am Handel<br />

Grundsätzlich kritisierte der WLV-<br />

Präsident, dass von jedem Euro, den<br />

Verbraucherinnen und Verbraucher<br />

heute für Nahrungsmittel ausgeben,<br />

im Durchschnitt nur noch 20 Cent bei<br />

den Bauernfamilien ankämen. Durch<br />

die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels<br />

und die Kürzungen der<br />

EU-Agrarzahlungen ab 2023 sieht er<br />

die Landwirtschaft unter wachsendem<br />

Druck. Beringmeier sparte nicht<br />

mit Kritik am Lebensmitteleinzelhandel.<br />

Dieser habe angesichts hoher Inflation<br />

den Slogan ausgegeben: „Alles<br />

wird teurer, nur wir bleiben günstig.“<br />

Das funktioniere so nicht, sagte der<br />

WLV-Präsident und monierte, die<br />

großen Händler wie Edeka, Rewe und<br />

Aldi hätten in der Corona-Krise Rekordumsätze<br />

und teils auch -gewinne<br />

eingefahren.<br />

Der neuen Ampelregierung bot er<br />

Kooperation an, sowohl beim Umbau<br />

der Landwirtschaft zu mehr Tierhaltung,<br />

als auch beim Ausbau der erneuerbaren<br />

Energien.<br />

Landbrief: Digitales Medium<br />

für das Land gestartet<br />

Marit Schröder und<br />

Gisbert Strotdrees vom<br />

Wochenblatt wenden<br />

sich jede Woche neu<br />

mit einem Brief an ihre<br />

Leser innen und Leser.<br />

Foto: LV<br />

Medien, die aus dem Land, mit dem<br />

Land und für das Land sprechen, die<br />

also aus einer regionalen, ländlichen<br />

Perspektive die großen Themen aus<br />

Politik, Wirtschaft und Kultur aufgreifen,<br />

sind Mangelware. Wer sollte<br />

das auch tun? Viele Tageszeitungen<br />

leiden unter Auflagenschwund und<br />

ziehen sich aus der Fläche zurück. Lokalredaktionen<br />

werden zusammengelegt,<br />

manche sogar ganz aufgelöst.<br />

Und die großen sogenannten Leitmedien<br />

– egal, ob gedruckt, gesendet oder<br />

online verbreitet? Aus deren Sicht<br />

scheint sich das wahre Leben in den<br />

Metropolen abzuspielen: in München,<br />

Hamburg, Berlin, Frankfurt oder<br />

Köln. Dabei mangelt es nicht an Themen<br />

– über einstürzende Windräder,<br />

schließende Geburtsstationen oder<br />

warum Kultur als Identifikationsfaktor<br />

auf dem Land so wichtig ist.<br />

Eine Anmeldung ist unter www.<br />

landbrief.de kostenfrei möglich. Dann<br />

bekommen Sie den Landbrief immer<br />

mittwochs per E-Mail zugeschickt. nri


FEBRUAR <strong>2022</strong> / AUSGABE 1<br />

BUCH EINS<br />

Berichte | 7<br />

MÜNSTER<br />

„Ich habe eine Scharnierfunktion“<br />

Der Landwirtschaftsbeauftragte der Stadt Münster<br />

über seine Aufgaben und Ziele<br />

Von Stefan Legge<br />

Herr Pröbsting, seit einem halben<br />

Jahr sind Sie der erste Landwirtschaftsbeauftragte<br />

der Stadt Münster.<br />

Warum gibt es diese Stelle?<br />

Als zweitgrößte Kommune in NRW<br />

mit über 300 Quadratkilometer Fläche<br />

hat die Stadt Münster viele Berührungspunkte<br />

mit den etwa 600 Landwirten.<br />

Das Verhältnis zwischen den<br />

Bäuerinnen und Bauern und der Stadtverwaltung<br />

ist nicht immer einfach<br />

und reibungslos. Es ist gut und wichtig,<br />

dass Münster wächst, aber der<br />

Flächenverbrauch birgt eine Menge<br />

Zündstoff. Auf Initiative des landwirtschaftlichen<br />

Ehrenamtes und des<br />

Oberbürgermeisters hat man diese<br />

Stelle geschaffen, um das Verhältnis<br />

zwischen der Stadtverwaltung und<br />

den Landwirten weiter zu verbessern.<br />

Was bringen Sie mit für diesen Job?<br />

Ich habe Landwirtschaft gelernt und<br />

studiert. Danach war ich 20 Jahre bei<br />

der Landwirtschaftskammer NRW als<br />

Unternehmensberater in den Kreisen<br />

Warendorf und Steinfurt und in der<br />

Stadt Münster unterwegs. Ich habe ein<br />

stabiles Netzwerk und viel Erfahrung<br />

im Umgang mit landwirtschaftlichen<br />

Unternehmern. Zudem weiß ich um<br />

die Sorgen und Nöte der landwirtschaftlichen<br />

Familienbetriebe.<br />

Stefan Pröbsting vermittelt zwischen<br />

landwirtschaftlichen und kommunalen<br />

Interessen. Foto: Stadt Münster<br />

Wo ist die Stelle angesiedelt, und<br />

was sind Ihre Aufgaben?<br />

Die Stelle ist direkt im Dezernat des<br />

Oberbürgermeisters angesiedelt. Hier<br />

berate ich die Verwaltungsleitung und<br />

deren Ämter in allen landwirtschaftlichen<br />

Sachfragen. Des Weiteren<br />

werde ich projektbezogen vom Bauordnungsamt,<br />

dem Amt für Immobilienmanagement<br />

oder zu anderen<br />

Vorgängen hinzugezogen. Hier bin<br />

ich häufig in der Vermittlerrolle, bringe<br />

mich aber auch mit meinem Fachwissen<br />

ein und arbeite zu. Manchmal<br />

sind Verhandlungen festgefahren,<br />

und man braucht jemanden, der eine<br />

Scharnierfunktion übernimmt, damit<br />

man einen Schritt weiterkommt. Ziel<br />

ist es für mich, die beidseitigen gesellschaftlichen,<br />

politischen und landwirtschaftlichen<br />

Belange übereinzubringen.<br />

Damit dieses reibungsärmer<br />

funktioniert, ist eine gemeinsame<br />

strategische Planung in allen Bereichen,<br />

die die Landwirtschaft betreffen,<br />

von hoher Priorität.<br />

Wie fällt Ihr erstes Fazit aus?<br />

Mittlerweile bin ich sehr zufrieden und<br />

habe das Gefühl, sowohl im Job als<br />

auch bei den Landwirten gut angekommen<br />

zu sein! Die ersten Wochen habe<br />

ich genutzt, um mich in der Stadtverwaltung<br />

bekannt zu machen. Da bin<br />

ich durchaus auch auf Skepsis gestoßen.<br />

Vieles hat sich aber schon gut eingespielt.<br />

Einige Gespräche und Verhandlungen,<br />

die ich begleiten konnte,<br />

nehmen einen positiven Verlauf und<br />

sind zum Teil auch abgeschlossen.<br />

Sind Sie auch Ansprechpartner für<br />

die Landwirte?<br />

Ausdrücklich ja. Da, wo Vorstellungen<br />

und Interessen nicht auf einer gemeinsamen<br />

Linie sind oder die Fronten verhärtet<br />

sind, kann ich hoffentlich das<br />

Eis brechen. Zwar habe ich die Interessen<br />

der Stadt Münster zu vertreten,<br />

aber ich habe auch ein offenes Ohr für<br />

die Betriebe. Aus meiner vorherigen<br />

Tätigkeit weiß ich, dass die Landwirte<br />

dankbar sind, wenn man ihnen eine<br />

Perspektive aufzeigen kann oder praxisorientierte<br />

Lösungsansätze einbringt.<br />

Dann ist in manchen Fällen der<br />

Druck schon raus. Ziel ist es für mich,<br />

die beidseitigen politischen und landwirtschaftlichen<br />

Belange übereinzubringen<br />

und Prozesse für beide Seiten<br />

gewinnbringend zu begleiten!<br />

Zahl der Milchbetriebe<br />

geht weiter zurück<br />

Krefeld. Weniger Betriebe, weniger<br />

Kühe, weniger Milch: Die Milchwirtschaft<br />

Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> hat im<br />

vergangenen Jahr deutliche Rückgänge<br />

verzeichnet. Die Zahl der<br />

Milchviehhalter sank um 3,5 Prozent<br />

und damit erstmals unter die Marke<br />

von 5000 Betrieben, teilte die Landesvereinigung<br />

der Milchwirtschaft NRW<br />

mit. Die bislang relativ stabile Zahl der<br />

Milchkühe nahm zugleich laut der<br />

Novemberzählung um 2,3 Prozent auf<br />

gut 384.200 ab. Geschäftsführer<br />

Rudolf Schmidt sprach von einer<br />

Trendumkehr bei der Milchkuhzahl.<br />

Die Milchmenge schrumpfte um<br />

2,2 Prozent auf 2,7 Millionen Tonnen.<br />

Immer weniger Landwirte halten<br />

Milchkühe. Dieser Trend ist bereits<br />

seit vielen Jahren zu beobachten.<br />

Allerdings ging dieser Prozess bisher<br />

mit immer größeren Tierbeständen<br />

bei den Landwirten einher, die an der<br />

Milchproduktion festhalten.<br />

Im Durchschnitt sind das aktuell<br />

77 Milchkühe je Betrieb.<br />

Unterdessen hat Aldi den Preis für<br />

Frischmilch in der untersten Preislage<br />

um 3 Cent je Liter angehoben.<br />

Frischmilch mit 1,5 Prozent Fett kostet<br />

jetzt 75 Cent je Liter und mit<br />

3,5 Prozent Fett 83 Cent je Liter, wie<br />

Aldi Nord mitteilte. Zugleich kündigten<br />

Aldi Nord und Aldi Süd an, in absehbarer<br />

Zeit bei ihren Eigenmarken auf<br />

Milch verzichten zu wollen, bei deren<br />

Herstellung nur die gesetzlichen<br />

Mindestanforderungen an die Tierhaltung<br />

erfüllt werden. Die Umstellung<br />

soll bis 2024 erfolgen. Edeka will diesen<br />

Schritt schon <strong>2022</strong> gehen.<br />

Regional. Original<br />

Herzblut, Handwerk und<br />

Heimatliebe: unsere Tipps für<br />

besondere regionale Produkte<br />

<strong>Westfalen</strong>-Tipp auf Seite 15.


BUCH EINS<br />

8 | <strong>Westfalen</strong> in Zahlen<br />

AUSGABE 1 / FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

Verkehr und Mobilität<br />

Wie wir uns fortbewegen<br />

Das Auto ist das<br />

Mittel der Wahl<br />

20 Tsd. 4,7 Mio. 24 Tsd. 6300<br />

Trotz ausgerufener Mobilitätswende:<br />

In <strong>Westfalen</strong> ist das Auto unangefochten<br />

das Fortbewegungsmittel der<br />

Wahl. Laut Deutschem Mobilitätspanel<br />

des BMDV werden über die Hälfte<br />

der Wege mit dem Pkw zurückgelegt.<br />

In ländlichen Räumen ist der Anteil<br />

aufgrund fehlender Alternativen noch<br />

höher. Hier ist das Auto oft die einzige<br />

Möglichkeit, in einer angemessenen<br />

Zeit den Arbeitsplatz zu erreichen.<br />

Mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen<br />

in NRW ist selbst im Corona-Jahr 2020<br />

täglich zur Arbeit gependelt.<br />

Fahrzeuge schwerer<br />

als 12 Tonnen<br />

passieren täglich die A 2 zwischen<br />

Porta Westfalica und Bad Oeynhausen.<br />

Damit ist dieser Autobahnabschnitt<br />

der am stärksten beanspruchte in<br />

<strong>Westfalen</strong>.<br />

Tonnen Güter<br />

im Jahr<br />

werden am Hafen Gelsenkirchen<br />

umgeschlagen. Er ist damit vor Hamm<br />

(3,8 Mio. Tonnen) und Dortmund<br />

(1,7 Mio. Tonnen) der größte Binnenhafen<br />

in <strong>Westfalen</strong>. Etwa 75 Prozent der<br />

Güter werden in NRW per Lkw transportiert.<br />

Verkehrsunfälle<br />

mit Verletzten<br />

gab es im Jahr 2020 in <strong>Westfalen</strong>.<br />

Der Regierungsbezirk Arnsberg führt<br />

mit 9811 erfassten Karambolagen die<br />

Statistik an. Im Münsterland ereigneten<br />

sich 8304 Unfälle mit Verletzten,<br />

in Ostwestfalen waren es 5840.<br />

Kilometer<br />

Eisenbahnstrecke<br />

gibt es in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong>.<br />

780 Kilometer davon dienen dem<br />

Straßenbahnverkehr. An etwa<br />

2000 Haltestellen können die<br />

Menschen ein- und aussteigen.<br />

4,7 Mio.<br />

Autos<br />

sind in <strong>Westfalen</strong> zugelassen. An der<br />

Spitze liegt mit 1,98 Millionen Pkw der<br />

Regierungsbezirk Arnsberg. In Ostwestfalen<br />

(1,16 Mio.) und im Münsterland<br />

(1,48 Mio.) gibt es etwas weniger<br />

Autos.<br />

2,3 Mrd.<br />

Fahrgäste<br />

Pit Clausen, Oberbürgermeister der Stadt Bielefeld und Vorsitzender des Städtetages NRW:<br />

„Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, muss die Verkehrswende richtig durchstarten.<br />

Damit viele Menschen auf das eigene Auto verzichten, müssen die Angebote stimmen:<br />

moderne Busse und Bahnen, dichter Takt, gute Anbindungen von Stadt ins Umland und<br />

mehr Rad- und Pooling-Anbieter für kurze Strecken.“<br />

Pendlerquoten nach Regierungsbezirken<br />

in Prozent<br />

Detmold<br />

50,3<br />

49,8<br />

in Bussen und Bahnen zählt das Statistische<br />

Bundesamt in NRW pro Jahr.<br />

Sie legen zusammen etwa 19 Milliarden<br />

Kilometer an Fahrstrecke zurück.<br />

Das beliebteste Verkehrsmittel im<br />

ÖPNV ist der Bus, gefolgt von<br />

Straßenbahnen und Eisenbahnen.<br />

Münster<br />

Arnsberg<br />

53,7<br />

54,3<br />

54,5<br />

51,1<br />

644<br />

Pkw<br />

Auspendlerquote<br />

(Anteil der Auspendler an allen in<br />

der Gemeinde wohnhaften<br />

Erwerbspersonen)<br />

Einpendlerquote<br />

(Anteil der Einpendler an allen in<br />

einer Gemeinde Beschäftigten)<br />

je 1000 Einwohner zählen die Statistiker<br />

im Kreis Olpe. Das ist der höchste<br />

kreisweite Wert in <strong>Westfalen</strong>. Auf der<br />

Ebene der Regierungsbezirke liegt<br />

Detmold (590) hier vor Arnsberg (564)<br />

und Münster (556).<br />

Straßen in Kilometern je Regierungsbezirk<br />

2962<br />

1,3 %<br />

2183 2183<br />

2155<br />

reine Elektroautos<br />

Das war der Anteil am gesamten<br />

Pkw-Bestand in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong><br />

im Jahr 2021. Bei den Neu zulas sungen<br />

lag der Anteil bei über 7 Prozent –<br />

Tendenz stark steigend.<br />

227<br />

774<br />

2382 2262<br />

356<br />

756<br />

464<br />

1091<br />

Autobahnen<br />

Bundesstraßen<br />

Landstraßen<br />

Kreisstraßen<br />

Quellen: IT.NRW, BMDV, VM NRW<br />

Detmold<br />

Münster<br />

Arnsberg


AUSGABE 1 / FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

www.landschaft-westfalen.de<br />

BUCH ZWEI<br />

Münster: Westfälischer Heimatbund sieht Denkmalschutz gefährdet Seite 10 | Unna: Medaillenhoffnung in Peking Seite 11 |<br />

Ahaus-Heek-Legden: Leader geht in eine neue Runde Seite 12 | Gütersloh: Schüttgut per Mausklick Seite 14<br />

UNNA<br />

Gold<br />

im Visier<br />

Bobpilotin Laura Nolte darf<br />

sich Hoffnungen auf eine<br />

Medaille bei den Olympischen<br />

Winterspielen machen<br />

Von Stefan Legge<br />

Auch wenn sie den Gesamtsieg im Weltcup knapp<br />

verpasst hat: Laura Nolte ist eine ganz heiße<br />

Kandidatin auf olympisches Edelmetall. Bei den<br />

Winterspielen in Peking (4. bis 20. Februar)<br />

zählt sie zu den großen Favoritinnen in den Bobwettbewerben<br />

der Damen. Die 23-Jährige aus Unna fuhr in diesem<br />

Winter in 18 Rennen dreizehnmal aufs Podest, elfmal<br />

landete sie dabei auf den Rängen eins oder zwei.<br />

Die Kristallkugel für den Gesamtsieg im Weltcup ist<br />

ihr vor allem deshalb durch die Lappen gegangen, weil die<br />

deutschen Pilotinnen den Wettkampf in Sigulda kurz nach<br />

dem Jahreswechsel ausgelassen hatten. So reichten Laura<br />

Nolte und ihrer Anschieberin Deborah Levi der dritte Platz<br />

im abschließenden Rennen in St. Moritz nicht mehr, um<br />

an der führenden Amerikanerin Elana Meyers Taylor in<br />

der Gesamtwertung vorbeizuziehen. Ihre volle Konzentration<br />

gilt in diesem Winter aber ohnehin den Olympischen<br />

Spielen.<br />

Dass sie dort im Zweierbob- und auch im erstmals stattfindenden<br />

Monobob-Wettbewerb an den Start geht, ist der<br />

vorläufige Höhepunkt eines echten Senkrechtstarts. Als<br />

Quereinsteigerin aus der Leichtathletik gab ihr der Bundestrainer<br />

René Spies gleich als Pilotin eine Chance. Sie enttäuschte<br />

ihn nicht. Bereits in ihrem ersten Jahr wurde sie<br />

Jugend-Olympiasiegerin in Lillehammer. Nun mischt sie<br />

seit zwei Jahren auf der großen Weltcupbühne mit, aufgrund<br />

ihres Alters formell immer noch als Juniorin. Wie<br />

sie den Weg zum Bobsport gefunden hat, wie ihr Alltag<br />

aussieht und was sie bei den Olympischen Spielen erwartet:<br />

weiter auf Seite 11<br />

Laura Nolte will bei den Olympischen Winterspielen an ihre Erfolge im Weltcup anknüpfen. Foto: Matthias Schrader/dpa<br />

Potenzial ländlicher Räume<br />

Höxter wird Standort des neuen Thünen-Instituts<br />

Von Stefan Legge<br />

Das neue Thünen-Institut wird unweit des historischen Rathauses in der Altstadt von Höxter<br />

angesiedelt sein. Foto: Adobe Stock<br />

Höxter. Mit einem neuen Standort im<br />

ostwestfälischen Höxter will das<br />

Thünen-Institut seine Forschung zu<br />

den ländlichen Räumen ausbauen.<br />

Das neue Fachinstitut für Innovation<br />

und Wertschöpfung im ländlichen<br />

Raum ist bereits gegründet und wird<br />

in das Marktquartier der Kreisstadt<br />

ziehen. Zu den Beweggründen<br />

schreibt das Thünen-Institut in einer<br />

Mitteilung: „Mehr als die Hälfte der<br />

Bevölkerung Deutschlands lebt in<br />

ländlichen Räumen. Die Situation<br />

und das Potenzial ländlicher Räume<br />

sind in den letzten Jahren zunehmend<br />

in den Fokus der Politik des Bundes<br />

gerückt. Um den steigenden Forschungs-<br />

und Beratungsbedarf zu decken,<br />

stärkt das Bundesministerium<br />

für Ernährung und Landwirtschaft<br />

(BMEL) seine Kapazitäten.“<br />

Gab es bislang ein Fachinstitut,<br />

das in aller Breite zu ländlichen Räumen<br />

forscht, so sind es künftig zwei<br />

Institute mit unterschiedlichem, sich<br />

ergänzendem Fokus. In Höxter wird<br />

das ökonomisch ausgerichtete Institut<br />

für Innovation und Wertschöpfung in<br />

ländlichen Räumen aufgebaut. Komplementär<br />

hierzu konzentriert sich<br />

das bisherige Fachinstitut für Ländliche<br />

Räume künftig stärker auf sozialwissenschaftliche<br />

Fragestellungen. Es<br />

wird in Institut für Lebensverhältnisse<br />

in ländlichen Räumen umbenannt,<br />

personell ausgebaut und mittelfristig<br />

nach Höxter verlegt. Mit der gestärkten<br />

Forschungskraft könne die Politik<br />

künftig noch besser beraten und der<br />

Wissensstand über diese wichtigen<br />

Bereiche erweitert werden.<br />

Neuer Leiter des Thünen-Instituts<br />

für Innovation und Wertschöpfung in<br />

ländlichen Räumen ist Christian<br />

Hundt. Er hatte sich in einem gemeinsam<br />

durchgeführten Berufungsverfahren<br />

des Thünen-Instituts und der<br />

Leibniz Universität Hannover durchgesetzt<br />

und erhält in Hannover nun<br />

gleichzeitig eine Professur für Wirtschaft<br />

in ländlichen Räumen. „Ich<br />

freue mich darauf“, so der gebürtige<br />

Ostwestfale, „in Höxter das neue Institut<br />

aufzubauen.“


BUCH ZWEI<br />

10 | Wir in <strong>Westfalen</strong><br />

AUSGABE 1 / FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

DÜSSELDORF<br />

Erosion des baukulturellen Erbes<br />

Die Neufassung des Gesetzes weicht den Denkmalschutz auf<br />

Von Silke Eilers, Geschäftsführerin des Westfälischen Heimatbundes<br />

Foto: Stadt Münster/Münsterview<br />

Proteste begleiten das Gesetzgebungsverfahren.<br />

Foto: Federico Gambarini/dpa<br />

Architektur ist der Produktionsversuch<br />

menschlicher Heimat“, hat Ernst Bloch einmal<br />

formuliert. Die gebaute Umwelt hat Einfluss auf<br />

unsere Lebensqualität und wirkt sich auf unser<br />

Wohlbefinden aus. Die Alltagsarchitektur trägt zur<br />

Identifikation mit der Umgebung bei. Dies meint,<br />

sich den Ort anzueignen, sich zugehörig zu fühlen.<br />

Baukultur in ihrer Vielschichtigkeit – mit ihren<br />

Denkmälern, dem Altbestand ortsbildprägender<br />

Gebäude und aktuellen Architekturen – prägt<br />

das Erscheinungsbild der Kulturlandschaftsräume.<br />

Als architektonisches Gedächtnis, als historischer,<br />

künstlerischer, technikbezogener oder städtebaulicher<br />

Wissensspeicher ist die überlieferte Bausubstanz<br />

Teil der kollektiven Erinnerung. Damit ist sie<br />

zugleich relevanter Standortfaktor, dies auch mit<br />

Blick auf ihre sozialen, ökologischen und ökonomischen<br />

Dimensionen. Auch hinsichtlich der Klimakrise<br />

liegt die Zukunft im Bestand – denn Denkmalpflege<br />

ist Ressourcenschutz und Nachhaltigkeit.<br />

Doch werden bei der Energiebilanz von Bestandsbauten<br />

Nutzungszyklen und die in ihnen gebundene<br />

graue Energie noch zu wenig berücksichtigt.<br />

In Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> hat der Schutz von<br />

Denkmälern Verfassungsrang. Seit 1980 existiert<br />

ein Denkmalschutzgesetz. Das Land zeichnet<br />

sich aus durch einen guten fachlichen Standard im<br />

Denkmalschutz. Dieser wird jedoch nun ohne<br />

Not durch eine Gesetzesneufassung aufs Spiel gesetzt,<br />

welche die Denkmallandschaft, mit 90.000<br />

Bauwerken gerade einmal 1,5 Prozent des gesamten<br />

Baubestandes, gefährdet und den Schutz des<br />

baukulturellen Erbes aus den Augen verliert. Vielmehr<br />

scheinen politisch motivierte und wirtschaftliche<br />

Interessen Vorfahrt zu erhalten. Weisungsfreie<br />

Fachlichkeit wird beschnitten, um<br />

vorgeblich Verfahren zu beschleunigen. Doch sind<br />

hier Arbeitsverdichtung und Überforderung in<br />

vielfach personell wie fachlich schlecht aufgestellten<br />

und widerstreitenden Ansprüchen ausgesetzten<br />

kommunalen Behörden die Folge.<br />

Ohne ein Korrektiv lassen sich künftig vor Ort<br />

leichter Fakten schaffen. Demnach wird es wohl<br />

einfacher, sich „unbequemer“ Gebäude zu entledigen,<br />

Bauwerke etwa, die keine vermeintlichen<br />

Leuchtturmprojekte sind oder einem lukrativen<br />

Neubau im Wege stehen. Bereits heute setzt die<br />

Denkmalpflege auf intelligente Nutzungskonzepte.<br />

Den Druck zur Nutzung um jeden Preis zu<br />

erhöhen, ist das falsche Signal, auch über das Land<br />

hinaus. Bedarf es etwa einer Freigabe der wenigen<br />

Denkmäler im Land für energetische Sanierungen<br />

ohne Augenmaß? Dem Gleichheitsgrundsatz entgegen<br />

steht die vorgesehene Privilegierung bestimmter<br />

Denkmalgruppen wie jener in kirchlichem<br />

Besitz. All dies stößt auf breite Kritik.<br />

Rund 24.000 Menschen haben sich in einer Petition<br />

gegen das Gesetzesvorhaben ausgesprochen.<br />

Gegenüber den Zeugnissen der Vergangenheit<br />

besteht gesellschaftliche Verantwortung. Eine<br />

Verantwortung, die uns alle betrifft. Nur gemeinsam<br />

kann dieses reichhaltige kulturelle Erbe auch<br />

für künftige Generationen bewahrt werden. Damit<br />

die Denkmallandschaft in unserem Land eine Zukunft<br />

hat, sollte kein Gesetz in Kraft treten, das den<br />

Namen Denkmalschutzgesetz nicht verdient hat.<br />

Münsters erste<br />

Generalintendantin<br />

… ist die Opernspezialistin Katharina<br />

Kost-Tolmein. Sie folgt auf Ulrich Peters,<br />

der das Theater Münster seit<br />

2<strong>01</strong>2 leitete. Kost-Tolmein war zuletzt<br />

am Theater Lübeck tätig, davon<br />

sieben Jahre lang als Operndirektorin.<br />

Das Theater bekomme eine erfahrene<br />

und renommierte Theaterfrau an die<br />

Spitze, freut sich Münsters Kulturdezernentin<br />

Cornelia Wilkens und kündigt<br />

neue Sehgewohnheiten an. Ein<br />

großes Einstiegsprojekt der neuen<br />

Generalintendanz wird die Beteiligung<br />

des Theaters am Jubiläumsprogramm<br />

zum Westfälischen Frieden<br />

sein – 2023 jährt sich der Friedensschluss<br />

zum 375. Mal.<br />

… Daniela Niestroy- Althaus<br />

Zukunftsnetz Mobilität NRW<br />

Niestroy-Althaus leitet beim Zukunftsnetz<br />

die Koordinierungsstelle <strong>Westfalen</strong>-Lippe.<br />

Foto: Nahverkehr <strong>Westfalen</strong>-Lippe<br />

Was wurde in fünf Jahren Zukunftsnetz<br />

Mobilität NRW erreicht?<br />

Mit dem Beitritt zum Zukunftsnetz verpflichten<br />

sich alle Mitgliedskommunen<br />

dazu, die nachhaltige Mobilitätsentwicklung<br />

durch kommunales Mobilitätsmanagement<br />

zu fördern. Dass alternative<br />

Mobilitätsangebote einen immer höheren<br />

Stellenwert bekommen, machen<br />

stetig steigende Mitgliederzahlen deutlich:<br />

Landesweit setzen mittlerweile über<br />

270 Kommunen auf die Unterstützung<br />

des Zukunftsnetzes Mobilität NRW, 130<br />

davon in <strong>Westfalen</strong>-Lippe. Diese positive<br />

Entwicklung zeigt uns, dass das Bewusstsein<br />

für den Mehrwert nachhaltiger<br />

Mobilität nicht nur vorhanden ist, sondern<br />

auch weiterwächst.<br />

Welche Projekte wurden in <strong>Westfalen</strong><br />

mit Ihrer Hilfe auf den Weg gebracht?<br />

Als Unterstützungsnetzwerk, das Kommunen<br />

bei der Entwicklung und Umsetzung<br />

von Mobilitätskonzepten berät<br />

und begleitet, ist die Vernetzung einer<br />

DREI FRAGEN AN …<br />

unserer größten Erfolgsfaktoren. Dass<br />

zum Beispiel Höxter als erster Kreis in<br />

<strong>Westfalen</strong>-Lippe flächendeckend auf<br />

unsere Unterstützung setzt, eröffnet<br />

große Chancen, das Thema Klimaschutz<br />

über Stadtgrenzen hinaus voranzutreiben.<br />

Gemeinsam mit dem Nahverkehr<br />

<strong>Westfalen</strong>-Lippe als Aufgabenträger und<br />

Fördermittelgeber bieten wir den Kommunen<br />

mit unserer Beratungsleistung<br />

ein maßgeschneidertes Gesamtpaket.<br />

So haben wir beispielsweise Rheda-<br />

Wiedenbrück bei der Errichtung der<br />

dortigen Mobilstation unterstützt.<br />

Setzt der Koalitionsvertrag der Ampel<br />

mit dem „Aufbruch in der Mobilitätspolitik“<br />

die richtigen Akzente?<br />

Politik ist ein starker Treiber, wenn es<br />

darum geht, nachhaltige Mobilitätskonzepte<br />

bedarfsgerecht in die Tat umzusetzen.<br />

Denn um ehrgeizige Ziele hin zu<br />

weniger CO 2 -Ausstoß und mehr Klimaschutz<br />

erreichen zu können, ist es<br />

wichtig, an einem Strang zu ziehen. Auf<br />

kommunaler Ebene unterstützt das Zukunftsnetz<br />

Mobilität NRW diesen Prozess<br />

mit Know-how und Beratungsleistungen.<br />

Denn nur wenn alternative<br />

Mobilitätskonzepte vor Ort erlebbar<br />

werden, schaffen wir es, mehr Menschen<br />

dauerhaft zum Umstieg vom privaten<br />

Auto auf klimafreundlichere Angebote<br />

zu bewegen. Dazu ist neben<br />

klaren Zielsetzungen vor allem ein Umdenken<br />

in den Köpfen nötig.<br />

IN DEN SCHUHEN VON …<br />

… Britta Haßelmann<br />

Mit Herz und Hirn für<br />

mehr Demokratie kämpfen<br />

Viele Bürgerinnen und Bürger haben<br />

uns bei der Bundestagswahl ihr<br />

Vertrauen gegeben in der Erwartung,<br />

dass wir Veränderung auf den Weg<br />

bringen. Unsere grüne Fraktion im<br />

Bundestag ist deutlich gewachsen<br />

und nimmt diese Verantwortung an.<br />

Gemeinsam mit Katharina Dröge<br />

leite ich unsere 118-köpfige Fraktion,<br />

die nun fast doppelt so groß und<br />

deutlich jünger ist als zuvor. Nach<br />

16 Jahren in der Opposition sind<br />

wir Grünen zudem wieder in Regierungsverantwortung.<br />

Mit unseren<br />

Koalitionspartnern SPD und FDP<br />

haben wir einen Koalitionsvertrag<br />

vorgelegt, in dem wir die Jahrhundertaufgaben<br />

der sozial-ökologischen<br />

Transformation, des klimaneutralen<br />

Umbaus unserer Wirtschaft und des<br />

Schutzes unserer Lebensgrundlagen<br />

angehen. Jetzt müssen wir die vielen<br />

Projekte, die wir uns vorgenommen<br />

haben, in konkretes Regierungshandeln<br />

umsetzen.<br />

Die dramatische Corona-Krise<br />

beschäftigt uns intensiv im Parlament,<br />

in den Diskussionen, in den Fraktionen,<br />

persönlich. Entscheidungen über<br />

die Bekämpfung der Corona-Krise<br />

werden die Fraktionen der Ampel-<br />

Koalition transparent und umfassend<br />

im Parlament beraten und zur Abstimmung<br />

bringen. Es braucht klare<br />

und konsequente Maßnahmen. Die<br />

Bundesregierung hat zudem die Be-<br />

ratungen mit den Ländern verstärkt,<br />

um die Umsetzbarkeit der Corona-<br />

Maßnahmen zu sichern. Wir müssen<br />

bei allem, was wir tun, vorsichtig<br />

bleiben und uns immer weiter um die<br />

Impfbereitschaft der Menschen bemühen,<br />

um das Boostern und darum,<br />

dass die Menschen weiter sehr sorgsam<br />

mit dieser Situation umgehen.<br />

Weiterhin behalten wir natürlich<br />

die drängenden Aufgaben unserer<br />

Zeit im Blick: die Lage der Kinder<br />

und jungen Menschen, die He rausforderungen<br />

in den Kommunen bei<br />

der Sicherung der Daseinsvorsorge<br />

in Stadt und Land, den Ausbau des<br />

öffentlichen Verkehrs, die Gestaltung<br />

der Energiewende und die Digitalisierung,<br />

um nur einige zu nennen.<br />

All das wird unsere Arbeit in den<br />

kommenden vier Jahren leiten. Wir<br />

haben uns viel vorgenommen, und<br />

ich freue mich darauf, es mit auf den<br />

Weg zu bringen.<br />

Die Bielefelderin Britta Haßelmann führt die<br />

Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.<br />

Foto: Simon Thon<br />

Foto: Achim Scheidemann/dpa<br />

NRW-Fußballer<br />

des Jahres 2021<br />

… ist Simon Terodde von Schalke 04.<br />

Der Stürmer der Königsblauen setzte<br />

sich in einem öffentlichen Voting der<br />

Fans durch. Den „Felix-Award“ für<br />

Sportlerinnen und Sportler, die sich<br />

besonders hervorgetan haben, hat sich<br />

der geborene Bocholter redlich verdient:<br />

Mit 154 Toren in der 2. Bundesliga<br />

hält er den Rekord noch vor der<br />

Zweitliga-Legende Dieter Schatzschneider<br />

(153 Tore). Die Trophäe<br />

wurde vom Landessportbund und dem<br />

Land NRW zum 14. Mal vergeben.<br />

Foto: <strong>Westfalen</strong>-Blatt<br />

Ein westfälisches<br />

Urgestein<br />

... war Friedel Schütte. Die Pressebüros<br />

der westfälischen Genossenschaftsbanken<br />

haben seit 1972 in der<br />

PR Maßstäbe gesetzt. Friedel Schütte<br />

aus Löhne hat sie gemeinsam mit seinem<br />

Kollegen Karl-Heinz Vockel aus<br />

Paderborn aus den Korrespondentenbüros<br />

der Zeitung Westkurier heraus<br />

aufgebaut. Er schrieb über Jahrzehnte<br />

für Tageszeitungen, lange fürs Landwirtschaftliche<br />

Wochenblatt. Beim<br />

Landwirtschaftsverlag war er Buchautor.<br />

Friedel Schütte konnte erzählen<br />

und wurde gehört. Am 15. Januar ist<br />

er im Alter von 88 Jahren verstorben.


FEBRUAR <strong>2022</strong> / AUSGABE 1<br />

BUCH ZWEI<br />

Porträt | 11<br />

Highspeed durch den Eiskanal: dritter Durchgang bei der Weltmeisterschaft in Altenberg (Sachsen) 2021. Fotos: Sebastian Kahnert/dpa<br />

UNNA<br />

Medaillenhoffnung aus <strong>Westfalen</strong><br />

Laura Nolte geht bei den Olympischen Winterspielen<br />

in Peking als Favoritin ins Rennen<br />

Von Stefan Legge<br />

Von Unna über Winterberg und Lillehammer nach Peking – das<br />

ist die Kurzversion der Antwort auf die Frage, wie es Laura Nolte<br />

zu den Olympischen Winterspielen <strong>2022</strong> gebracht hat. Bevor die<br />

23-Jährige im Februar den Eiskanal von Yanqing im Bobfinale<br />

hinuntersausen wird, werden ihr die Stationen ihrer noch kurzen<br />

Karriere vielleicht noch einmal im Traum erscheinen. Denn ein bisschen<br />

unwirklich klingt der Verlauf ihrer bisherigen Laufbahn schon.<br />

„Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt sie rückblickend. In ihrer<br />

Heimatstadt Unna kam sie zur Leichtathletik. Als 16-Jährige traf sie dann<br />

beim Stützpunkttraining in Dortmund mit anderen Wintersportlern zusammen.<br />

„Da es beim Anschieben des Bobs auf Schnellkraft ankommt,<br />

ist es nicht ungewöhnlich, dass Sprinter im Bobsport landen.“ Dass Laura<br />

aber nach nur einem Sommertrainingstag in Winterberg gleich in die Pilotinnenrolle<br />

schlüpfte, war dann doch eher eine glückliche Fügung. „Ich hatte<br />

so was vorher noch nie gemacht. Aber der Bundestrainer René Spies gab mir<br />

eine Chance“, erinnert sich Laura Nolte.<br />

Erfolgreich im Weltcup<br />

Nachdem sie im thüringischen Oberhof ihre erste Fahrt an den Lenkseilen absolviert<br />

hatte, ging alles ganz schnell. Noch im selben Jahr fuhr sie bei der<br />

Jugendolympiade in Lillehammer im Monobob auf den ersten Platz. Seitdem<br />

ist sie im Rennzirkus des Bobsports dabei; erst im Europacup, jetzt schon<br />

im dritten Jahr im Weltcup. „Mein Alltagsrhythmus wird seitdem vom Sport<br />

bestimmt“, sagt sie.<br />

Laura Nolte legt dabei eine beachtliche Schlagzahl vor. Sie wohnt in Dortmund,<br />

wo sie ihr Leichtathletiktraining absolviert. Zum Bobtraining fährt sie<br />

nach Winterberg. Als Sportsoldatin ist sie in Warendorf stationiert, und<br />

außerdem studiert sie Wirtschaftspsychologie an der Ruhr-Universität in Bochum.<br />

Ein strammes Programm. „Im Weltcup oder für Trainingslager bin ich<br />

oft wochenlang gar nicht zu Hause“, sagt sie. Das alles unter einen Hut zu<br />

kriegen, sei manchmal nicht einfach. „Meine wenige freie Zeit verbringe ich<br />

mit Freunden und Familie“, so Nolte.<br />

Ein gutes Team<br />

Für ihr großes Ziel Olympia kämpft sie aber nicht allein. Seit drei Jahren ist<br />

Deborah Levi ihre Anschieberin im Zweierbob. „Wir sind ein starkes und<br />

eingespieltes Team“, sagt Laura Nolte. „Das wollen wir auch bei den Spielen in<br />

Peking unter Beweis stellen.“ Der Anschub ist im Bobsport extrem wichtig.<br />

„DIE GROSSE<br />

HERAUSFORDERUNG<br />

BEI OLYMPIA<br />

IST DIE BAHN.“<br />

Laura Nolte<br />

Zum Sieg im Gesamtweltcup fehlten nur<br />

wenige Punkte. Foto: Caroline Seidel/dpa<br />

Am Start wird häufig schon das Rennen entschieden. Schließlich geht es am<br />

Ende oft nur um Hundertstelsekunden. Dafür muss jedes Detail stimmen.<br />

„Ein Drittel Anschub, ein Drittel Material und ein Drittel Fahrerleistung.“<br />

Das sei die Faustformel für den Erfolg, sagt Nolte.<br />

In puncto Material werde man zwar von den Mechanikern unterstützt,<br />

beim Schleifen und Polieren der Kufen seien die Sportler allerdings auch<br />

selbst gefordert. Die Abstimmung der Komponenten aufeinander ist eine<br />

wahre Wissenschaft für sich. Der Rekordweltmeister und Doppelolympiasieger<br />

Francesco Friedrich aus Pirna gilt dabei in der Szene als Maß der Dinge.<br />

„Er ist ein echter Tüftler und geht sehr akribisch vor“, sagt Laura Nolte über<br />

ihren Teamkollegen im Nationalteam. Bei den Athletinnen und Athleten mit<br />

mehr Erfahrung können sie sich da noch einiges abschauen.<br />

Starke Konkurrenz<br />

Mit Blick auf Olympia und den Kampf um die Medaillen lauert die Konkurrenz<br />

auch im eigenen Team: Die Wiesbadenerin Kim Kalicki und Mariama Jamanka<br />

aus dem thüringischen Oberhof, Olympiasiegerin von 2<strong>01</strong>8, dürfen sich aufgrund<br />

ihrer gezeigten Leistungen im Weltcup ebenfalls Hoffnungen auf das<br />

Podest in Peking machen. Auch die Amerikanerin Kaillie Humphries und die<br />

Kanadierin Christine de Bruin haben Siegchancen. Als wenn das noch nicht<br />

genug wäre, kommt eine weitere große Unbekannte hinzu.<br />

„Die große Herausforderung bei Olympia ist die Bahn“, weiß Laura Nolte.<br />

Sind die Bob-Piloten es gewohnt, im Weltcup in bestens bekannten Eiskanälen<br />

wie Winterberg, Altenberg oder Königssee unterwegs zu sein, wartet in Yanqing<br />

ein Neubau. „Ich war bisher erst einmal dort, und auch unmittelbar vor<br />

dem Wettkampf werden wir nur wenige Trainingsläufe dort absolvieren können“,<br />

sagt Nolte. Ein klarer Wettbewerbsnachteil gegenüber den Chinesinnen.<br />

Diese sind seit Monaten dort und können jeden Tag auf der Anlage trainieren.<br />

Doch davon will sich die Senkrechtstarterin Laura Nolte nicht irritieren<br />

lassen. Auch die Corona-Pandemie soll die Vorfreude auf das Großereignis<br />

Olympia nicht trüben. „Wir werden in einem kleinen olympischen Dorf untergebracht<br />

sein, zusammen mit Athletinnen und Athleten aus den Sportarten<br />

Skeleton, Rodeln und Ski alpin. Darauf freue ich mich“, sagt Nolte.<br />

Wer die Monobob-Wettbewerbe der Damen im deutschen Fernsehen live<br />

verfolgen möchte, muss am 13. und 14. Februar übrigens früh aufstehen.<br />

Ab 2 Uhr 30 geht es hier um olympische Ehren. Beim Zweierbob ist es eine<br />

Woche später einfacher. Hier heißt es ab 13 Uhr deutscher Zeit Daumen<br />

drücken für die Medaillenhoffnung aus <strong>Westfalen</strong>.


BUCH ZWEI<br />

12 | Feature<br />

AUSGABE 1 / FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

WESTFALEN<br />

Wer will<br />

noch mal,<br />

wer hat<br />

noch nicht?<br />

Die Leader-Regionen<br />

wollen ihren Status erhalten,<br />

andere bewerben sich<br />

um eine Aufnahme in die<br />

nächste Förderperiode.<br />

Was kann das Programm,<br />

was kann es nicht?<br />

Von Stefan Legge<br />

N<br />

Aus<br />

achdem sich die Landespolitik zunächst viel Zeit gelassen<br />

hat, soll jetzt alles ganz schnell gehen: Bis zum 4. März<br />

haben ländliche Regionen in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> die<br />

Möglichkeit, sich als Leader-Region für die nächste<br />

Förderperiode von 2023 an zu bewerben. 46 Bewerber<br />

halten dazu gerade Workshops und Konferenzen ab,<br />

denn: Bürgerbeteiligung im Bewerbungsprozess ist Pflicht.<br />

Bereits im April sollen dann Ergebnisse des Auswahlprozesses<br />

einer Jury aus Experten verkündet werden.<br />

Es scheint so, als wolle die Landesregierung vor der Landtagswahl<br />

im Mai noch viele gute Nachrichten verkünden.<br />

„Der Bewerbungsprozess und das Auswahlverfahren<br />

sowie die Haushaltmittel sind so angelegt, dass die allermeisten<br />

Regionen auch einen Zuschlag erhalten können“,<br />

sagt Frank Bröckling, Regionalmanager in der Leader-Region<br />

„Kulturlandschaft Ahaus-Heek-Legden“. 20 Leader-<br />

Regionen gibt es in <strong>Westfalen</strong> bereits. Nach dem Wunsch<br />

Alt mach Neu: Die Sanierung der Brücke an der Wassermühle in Nienborg ist eines der Leader-Projekte, die im Jahr 2020 umgesetzt wurden.<br />

Fotos: Leader Region AHL<br />

von Ministerin Ursula Heinen-Esser dürften es ruhig<br />

noch mehr werden. „Ein Sprung von jetzt 28 Regionen<br />

in NRW auf 45 ist möglich“, schätzt Bröckling, der<br />

auch Mitglied im Sprecherkreis des Regionalforums ist,<br />

einem Zusammenschluss aller Lokalen Aktionsgruppen<br />

(LAG) der Leader-Regionen in NRW. Angesichts der<br />

besseren finanziellen Ausstattung sei das auch in<br />

Ordnung. Abhängig von der Einwohnerzahl dürfen sich<br />

ausgewählte Leader-Regionen über eine Förderung von<br />

2,3 bis 3,1 Millionen Euro für sieben Jahre freuen.<br />

Zehn Anwärterregionen in OWL<br />

Alle, die bisher von Leader profitiert haben, wollen dabeibleiben,<br />

viele, die noch nicht profitieren, wollen dazukommen.<br />

„Allein in Ostwestfalen sind wir derzeit mit<br />

zehn Anwärterregionen im Gespräch“, sagt Konstantin<br />

Plümer, zuständiger Dezernent bei der Bezirksregierung<br />

in Detmold. Auch er sieht aktuell die Tendenz, möglichst<br />

vielen den Weg in das Leader-Programm zu ebnen.<br />

„Beim letzten Mal hat man für die aussichtsreichen, aber<br />

letztlich nicht erfolgreichen Bewerber mit VITAL.NRW<br />

ein eigenes Programm ins Leben gerufen“, sagt Plümer.<br />

Mit der Erfahrung der letzten Bewerbungsrunden und der<br />

Unterstützung durch die Bezirksregierungen sollen<br />

diesmal möglichst alle direkt den Weg zu Leader finden.<br />

VITAL.NRW wird nach derzeitiger Planung nicht neu<br />

aufgelegt.<br />

„OHNE<br />

EHRENAMT<br />

LÄUFT BEI<br />

LEADER<br />

NICHTS.“<br />

Frank Bröckling,<br />

Regionalmanager<br />

Seit 1994 fließt in NRW durch Leader Geld in den ländlichen<br />

Raum. „Leader ist eine Erfolgsgeschichte“,<br />

stellte die Ministerin Heinen-Esser beim Einläuten der<br />

neuen Wettbewerbsrunde Mitte Oktober fest.<br />

Tatsächlich ist dieser Erfolg auch eindrucksvoll dokumentiert.<br />

In einer Broschüre der Landesregierung<br />

aus dem Jahr 2020 wird eine Auswahl der insgesamt<br />

rund 1000 umgesetzten kleinen und großen Projekte<br />

der vergangenen Jahre vorgestellt.<br />

Viele erfolgreiche Projekte<br />

Es geht um Mobilität, wie beim E-Carsharing-Projekt der<br />

Gemeinden Ahaus, Heek und Legden. Dort nutzen<br />

die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kommunen die<br />

mit regenerativer Energie geladenen Autos für Dienstfahrten<br />

– abends und an den Wochenenden können die Bürgerinnen<br />

und Bürger der Region die Elektroautos nutzen.<br />

Auch geht es oft darum, Menschen zusammenzubringen.<br />

So ist mit dem Karrierenetzwerk Lenne e.V. in Altena und<br />

Umgebung ein großflächiger Zusammenschluss von Ausbildungsbetrieben,<br />

Schulen, Verbänden und Vereinen<br />

entstanden, der bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz<br />

hilft und junge Menschen mit einer Jobperspektive in<br />

der Region hält. Es geht aber auch um dörfliche Infrastruktur.<br />

In Westereiden, einem Ortsteil von Rüthen, hat<br />

man nach der Schließung der letzten Gaststätte im Ort<br />

einen Treffpunkt für die Bewohner gesucht. Mit viel


FEBRUAR <strong>2022</strong> / AUSGABE 1<br />

BUCH ZWEI<br />

Feature | 13<br />

Frank Bröckling ist Inhaber und Geschäftsführer<br />

des Büros planinvent aus Münster.<br />

Die Leader-Region Ahaus-Heek-Legden<br />

(AHL) hat das Büro mit dem Regionalmanagement<br />

beauftragt.<br />

Eigenleistung entstand der neue analoge und digitale Treffpunkt<br />

„Westereiden 2.0“. Hier finden nun unterschiedliche<br />

Veranstaltungen statt, und ein digitales Schwarzes<br />

Brett macht den Austausch im kleinen Ort einfacher.<br />

„Lernen, das Instrument zu spielen”<br />

Die Liste ließe sich fortsetzen. Leader sorgt vielerorts für<br />

zufriedene Gesichter. Das war nicht immer so. Der Start<br />

verlief holprig. „Die anfängliche Euphorie über den<br />

Zuschlag als Leader-Region war oft schnell verflogen“,<br />

erinnert sich Regionalmanager Bröckling. Die bürokratischen<br />

Hürden und das komplizierte Verfahren sorgten<br />

erst mal für Ernüchterung. Auch die Bezirksregierungen<br />

in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> hätten anfangs sehr unterschiedlich<br />

agiert. Nachdem eine LAG vor Ort ein Projekt<br />

ausgewählt hat, muss die Bezirksregierung die Förderfähigkeit<br />

prüfen. „Durch den guten Austausch unter<br />

den Leader-Regionen haben wir schnell gemerkt, dass<br />

bei der Beurteilung der eingereichten Anträge unterschiedliche<br />

Maßstäbe angelegt wurden“, erinnert sich<br />

Bröckling. „Wir alle mussten lernen, das Instrument<br />

zu spielen“, fasst es der Planer zusammen. Dies sei inzwischen<br />

auf allen Ebenen gelungen. Aktuell kämpfe man<br />

um abgeschwächte Sanktionen bei Verstößen gegen die<br />

formalen Förderauflagen.<br />

Doch der Pragmatismus hat Grenzen. „Letztlich geht<br />

es um Steuergelder, und die europäischen Richtlinien<br />

sind hier streng“, sagt Konstantin Plümer von der Bezirksregierung<br />

in Detmold. Ausschreibungen, Nachweise,<br />

Kontrollen – für Ehrenamtliche und Vereine seien das oft<br />

große Herausforderungen. Doch gerade sie sollen ja beim<br />

Spielen des Instruments den Ton angeben.<br />

Bottom-up-Prinzip<br />

„Leader steht anders als andere Förderprogramme für das<br />

Bottom-up-Prinzip“, so Konstantin Plümer. „Nicht wir<br />

oder schlaue Leute in Düsseldorf, Berlin oder Brüssel sagen<br />

den Menschen, was sinnvoll ist, sie bringen ihre eigenen<br />

Ideen ein und setzen sie um.“ Da Eigenleistungen von<br />

Ehrenamtlichen bei Leader voll auf die Investition angerechnet<br />

werden können, sei es möglich, mit der 65-prozentigen<br />

Leader-Förderquote Projekte ohne eigene<br />

nennenswerte finanzielle Mittel anzugehen. Das sei vor<br />

allem für Ehrenamtliche und Vereine interessant.<br />

Frank Bröckling formuliert es noch deutlicher: „Ohne<br />

Ehrenamt läuft bei Leader nichts.“ Es brauche die positiv<br />

verrückten Überzeugungstäter, die für ein Projekt<br />

brennen. Christian Witthaut, einer der Mitinitiatoren<br />

des bereits erwähnten Bürgertreffpunkts in Westereiden,<br />

steht mit seiner Einschätzung exemplarisch für viele<br />

andere Leader-Projekte: „Ohne die vielen geleisteten<br />

Arbeitsstunden durch die Dorfbewohner wäre dieses<br />

Projekt niemals zu stemmen gewesen.“<br />

„Leader kann nur das Sahnehäubchen sein.”<br />

Bestärkt Leader also positiv gesehen die ohnehin Engagierten<br />

in ihrer Arbeit und unterstützt sie bei ihren<br />

Vorhaben, oder bringt man Ehrenamtliche dazu, mehr<br />

und mehr Aufgaben zu übernehmen, die vorher die<br />

Kommune (öffentlicher Nahverkehr, Infrastruktur) oder<br />

die Privatwirtschaft (Kneipe, Dorfladen) übernommen<br />

hat? Frank Bröckling sieht dieses Spannungsfeld nicht<br />

und warnt vor zu großen Erwartungen: „Leader kann<br />

immer nur das Sahnehäubchen sein.“ Die Finanzausstattung<br />

des Programms in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> sei viel zu<br />

gering, um auf die Fragen der Daseinsvorsorge vollumfängliche<br />

Antworten zu liefern. Weder sei Leader eine<br />

Strategie für die ländlichen Räume, noch sichere das<br />

Programm deren Zukunftsfähigkeit.<br />

„Wir sind ja schon froh, dass durch Leader eine Aufmerksamkeit<br />

in der Landespolitik für <strong>Westfalen</strong>-Lippe<br />

erzeugt wurde. Viel zu oft hat man den Eindruck, dass<br />

Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> nur aus Rheinland und Ruhrgebiet<br />

besteht. Leader hat den ländlichen Raum in das politische<br />

Bewusstsein geholt“, sagt Bröckling. Doch nicht nur<br />

finanziell habe das Programm Grenzen. „Für privatwirtschaftliche<br />

und unternehmerische Ideen ist es eher untauglich.<br />

Da ist man mit Leader schnell am Ende.“<br />

So hätten sich beispielsweise viele Landwirte mit neuen<br />

Vermarktungsideen entnervt abgewandt und es auf<br />

eigene Faust versucht.<br />

Viele Akteure hadern zudem nach wie vor mit der<br />

Bürokratie. Das bestätigt eine Befragung der Deutschen<br />

Vernetzungsstelle Ländliche Räume (DVS) unter den<br />

Regionalmanagern und Vorständen LAG. Flexibilität und<br />

Schnelligkeit seien keine Merkmale von Leader. Einige<br />

der Befragten warnten vor einer Überforderung des Systems:<br />

Leader könne nicht alles.<br />

Was dürfen die Regionen, die sich um einen Verbleib<br />

oder um eine Aufnahme in das Programm bemühen,<br />

also erwarten? Leader fördert die Initiative der Menschen<br />

vor Ort und stärkt das ehrenamtliche Engagement.<br />

Es ermöglicht, Projekte eigenständig zu entwickeln und<br />

umzusetzen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.<br />

Förderung für den<br />

ländlichen Raum<br />

Das Kürzel „Leader“ steht für „Liaison entre actions de développement<br />

de l‘économie rurale”, zu Deutsch: Verbindung<br />

zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft.<br />

Das EU-Förderprogramm wird im Rahmen des Europäischen<br />

Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen<br />

Raums (ELER) in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> bereits seit 1994 angeboten.<br />

Seitdem wurden rund 1500 Projekte mit einem Volumen<br />

von mehr als 100 Millionen Euro gefördert. Die Förderquote<br />

wird ab 2023 von 65 auf 70 Prozent angehoben.<br />

In der Region AHL wurde ein Carsharing-<br />

Angebot auf Basis von E-Fahrzeugen<br />

initiiert, die mit erneuerbaren Energien<br />

gespeist werden.


BUCH ZWEI<br />

14 | Berichte AUSGABE 1 / FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

Nach Flut: Mehr Firmen<br />

beantragen Hilfen<br />

Düsseldorf. Für flutgeschädigte<br />

Betriebe in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> sind<br />

bislang Fördermittel von Bund und<br />

Land in Höhe von rund 81 Millionen<br />

Euro bewilligt worden. An 7000 Firmen<br />

seien Soforthilfen ausgezahlt worden,<br />

teilte das Wirtschaftsministerium<br />

in Düsseldorf mit. Nun rücke der<br />

Wiederaufbau in den Mittelpunkt.<br />

„4500 Beratungsgespräche haben<br />

die Kammern in den vergangenen<br />

Wochen geführt“, erklärte Landeswirtschaftsminister<br />

Andreas Pinkwart<br />

(FDP) ein halbes Jahr nach der<br />

Flutkatastrophe. Ministerium und<br />

NRW.Bank rechnen demnach mit<br />

mehr Anträgen. Denn die Sechsmonatsfrist<br />

für die Berechnung der<br />

förderfähigen Einkommenseinbußen<br />

verstreiche. Begutachtungen von<br />

Schäden würden abgeschlossen. Von<br />

den bewilligten Fördermitteln entfallen<br />

37,8 Millionen Euro auf das Wiederaufbauprogramm,<br />

bei der Soforthilfe<br />

sind es 35,7 Millionen. 7,5 Millionen<br />

Euro kommen von der NRW.Bank.<br />

Weniger Feinstaub<br />

wegen Böllerverbot<br />

Recklinghausen. Das Verkaufsverbot<br />

von Böllern vor dem Jahreswechsel<br />

hat in NRW nach Einschätzung<br />

des Landesumweltamtes für deutlich<br />

bessere Luft gesorgt. Nach Messungen<br />

der Behörde gingen die Werte für<br />

Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO 2<br />

)<br />

bis auf wenige Ausnahmen im<br />

Vergleich zum Vorjahr nochmals zurück.<br />

Auch vor der Silvesternacht<br />

2020/ 2021 gab es wegen der Corona-<br />

Pandemie ein Verkaufsverbot.<br />

Das Landesumweltamt wertete an<br />

den 62 Messstellen im Land die Daten<br />

in der Neujahrsnacht für die Zeit<br />

von 0.00 bis 1.00 Uhr aus. So gab es<br />

in Duisburg-Buchholz 31 Mikrogramm<br />

pro Kubikmeter Feinstaub nach 81<br />

im Vorjahr. Vor der Pandemie lag der<br />

Messwert hier 2<strong>01</strong>9 noch bei 227.<br />

An einigen Messstellen gab es im<br />

Vergleich zum Vorjahr aber Verschlechterungen<br />

wie in Solingen mit<br />

103 auf 133 (2<strong>01</strong>9: 688) oder Bielefeld-<br />

Ost mit 18 auf 30 Mikrogramm<br />

pro Kubikmeter beim Feinstaub<br />

(2<strong>01</strong>9: 65). Wie hoch die Werte beim<br />

Feinstaub sind, hängt allerdings nicht<br />

nur von der Zahl der gezündeten<br />

Böller ab. Je nach Wind und Temperatur<br />

bleiben die Staubteilchen in der<br />

Umgebung oder werden weggeweht.<br />

Wüst: 14 Milliarden Euro<br />

Corona-Hilfen ausgezahlt<br />

Düsseldorf. Infolge der Corona-<br />

Pandemie sind nach Angaben der<br />

Landesregierung allein in Nordrhein-<br />

<strong>Westfalen</strong> schon rund 14 Milliarden<br />

Euro an Wirtschaftshilfen ausgezahlt<br />

worden. „Ein solch gigantisches Hilfsprogramm<br />

gibt es kaum woanders<br />

auf der Welt“, sagte Ministerpräsident<br />

Hendrik Wüst (CDU) beim Jahresempfang<br />

der Industrie- und Handelskammer<br />

Düsseldorf laut Staatskanzlei.<br />

Das habe – gemeinsam mit<br />

dem hohen Engagement der Unternehmen<br />

auch mit schneller, kreativer<br />

Reaktion auf die neue Situation und<br />

allen Instrumenten wie Kurzarbeitergeld<br />

– dazu geführt, „dass wir im<br />

Vergleich zu anderen Volkswirtschaften<br />

glimpflich durch die Krise<br />

gekommen sind.” Klare Priorität sei<br />

es, „die Schulen und Kitas solange es<br />

eben geht offenzuhalten“, bekräftigte<br />

Wüst und fügte hinzu: „Diese<br />

Priorität bedeutet, dass im Zweifel<br />

eben an anderen Stellen zunächst<br />

das Infektionsgeschehen eingedämmt<br />

werden muss.“ Kinder hätten schon<br />

zu viel gelitten in der Pandemie.<br />

GÜTERSLOH<br />

Klick und<br />

brumm<br />

Start-up Schüttflix mischt<br />

die Braubranche auf<br />

Von Manuel Glasfort<br />

Fällt das Wort „Start-up“, dürften<br />

die meisten Menschen smart gekleidete<br />

Metropolenbewohner vor<br />

Augen haben, die mithilfe digitaler<br />

Technik die Finanzbranche oder die<br />

Industrie aufmischen wollen. Schüttflix<br />

passt da irgendwie nicht so recht<br />

ins Bild. Das Start-up aus dem beschaulichen<br />

Gütersloh hat sich zum<br />

Ziel gesetzt, die rustikale Baubranche<br />

umzukrempeln. Genauer gesagt: den<br />

Markt für Schüttgüter wie Sand,<br />

Schotter oder Kies.<br />

Schüttflix hat dafür eigens eine<br />

App entwickelt, die alle Marktteilnehmer<br />

zusammenbringt. Es handle sich<br />

um „die erste digitale Logistikdrehscheibe,<br />

die Erzeuger, Anbieter, Speditionen<br />

und Bauunternehmer vernetzt“,<br />

heißt es. Mehr Effizienz auf<br />

dem Markt für Schüttgüter soll auch<br />

dem Klima nützen. „Durch die<br />

deutschlandweite Vernetzung von<br />

Angebot und Nachfrage sparen wir<br />

jährlich Tausende überflüssige Lkw-<br />

Kilometer und Leerfahren auf<br />

Deutschlands Straßen ein“, erklärt<br />

Gründer Christian Hülsewig. „Unsere<br />

Vision ist, die Marktteilnehmer<br />

DÜSSELDORF<br />

Eigenständig und profiliert<br />

So stellt sich Ministerin Gebauer die Zukunft der Schulen im Land vor<br />

Von Manuel Glasfort<br />

Schulen in NRW sollen idividuelleres Profil bekommen. Foto: Adobe Stock<br />

Die Landesregierung will den Schulen<br />

in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> mehr<br />

Freiheiten und Eigenverantwortung<br />

einräumen. Das vom Kabinett auf den<br />

Weg gebrachte 16. Schulrechtsänderungsgesetz<br />

soll außerdem die Digitalisierung<br />

im Schulwesen stärken und<br />

die Elternmitwirkung neu regeln. Es<br />

handelt sich um einen der letzten offenen<br />

Punkte des Koalitionsvertrages,<br />

wie Schul- und Bildungsministerin<br />

Yvonne Gebauer (FDP) bei der Vorstellung<br />

des Regelwerks sagte. Das<br />

Gesetz soll voraussichtlich im Frühjahr<br />

verabschiedet werden, also kurz vor der<br />

Landtagswahl.<br />

künftig so zu vernetzen, dass auch<br />

Zwischenlagerungen von Böden reduziert<br />

werden. Wenn jemand eine<br />

Baugrube aushebt, kann jemand anderes<br />

in der Nähe möglicherweise<br />

genau dieses Material benötigen.“<br />

So einfach wie Amazon<br />

Schüttflix richtet sich ausschließlich<br />

an Bauunternehmer, nicht an Privatleute.<br />

Wer über die App Schüttgut<br />

bestellt, zahlt eine Provision. Mit der<br />

Idee ist das Start-up so erfolgreich,<br />

dass es im Dezember 2021 den Gründerpreis<br />

NRW gewann. Angewiesen<br />

auf das Preisgeld von 30.000 Euro ist<br />

das Start-up aber längst nicht mehr.<br />

Erst im September hatte Schüttflix 50<br />

Millionen US-Dollar von internationalen<br />

Investoren eingesammelt.<br />

Dass der traditionelle Markt für<br />

Schüttgut nicht immer reibungslos<br />

läuft, erlebte Hülsewig bei Bauarbei-<br />

Die Schulen im Land sollen nach Gebauers<br />

Willen „mehr Möglichkeiten<br />

bekommen, ein eigenständiges Profil<br />

zu entwickeln, um mehr Chancengerechtigkeit<br />

herzustellen“. Nach aktueller<br />

Gesetzeslage beschreiben die<br />

Schulen die Ziele und Schwerpunkte<br />

ihrer pädagogischen Arbeit, wie Gebauer<br />

erläuterte. „Mit der Änderung<br />

können die Schulen sich zukünftig ein<br />

eigenständiges Profil geben, das über<br />

die einzelnen Fächer hinausweist.“<br />

Schulen sollen ein besonderes Profil<br />

ausweisen und in einem bestimmten<br />

Rahmen von den vorgegebenen Stundentafeln<br />

abweichen dürfen. Eine<br />

Schüttflix ermöglicht es Bauunternehmern, per App Sand und andere Schüttgüter zu bestellen. Foto: Schüttflix<br />

Schule mit sprachlichem Schwerpunkt<br />

und Profil Französisch dürfte<br />

beispielsweise ab Klasse 5 eine gewisse<br />

Stundenzahl auf Französisch verlagern,<br />

wie die Ministerin erläuterte.<br />

Gebauer betonte, dass die Standards<br />

für die bundesweite Anerkennung von<br />

Abschlüssen gewahrt bleiben müsse.<br />

Kritikern reicht das nicht<br />

Kritik am Koalitionsvorhaben kommt<br />

aus den Reihen der Opposition. SPD-<br />

Fraktionsvize Jochen Ott monierte<br />

gegenüber <strong>Landschaft</strong> <strong>Westfalen</strong>, das<br />

Gesetz sei alles andere als modern oder<br />

fortschrittlich. „Es enttäuscht in weiten<br />

Teilen.“ Dabei bräuchten die Schulen<br />

dringend mehr Eigenverantwortung<br />

– „vor allem in dieser Pandemie,<br />

in der die Lehrkräfte und Schulleitungen<br />

viel zu lange durch starre Vorgaben<br />

an einem flexiblen Handeln gehindert<br />

werden“. Ott kündigte entsprechende<br />

Änderungsanträge im Landtag an.<br />

Einen zweiten Schwerpunkt setzt<br />

Gebauers Ressort bei der Digitalisierung,<br />

die im Schulgesetz verankert<br />

werden soll. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag<br />

in Paragraf 2 des Schulgesetzes<br />

wird dahingehend ergänzt.<br />

Ausdrücklich bestimmt das Gesetz<br />

künftig, dass die Schüler digitale Kompetenzen<br />

erwerben sollen. „Mit dieser<br />

Änderung an zentraler Stelle stellen<br />

ten auf dem heimischen Bauernhof in<br />

Herford. Die Lieferungen kamen oft<br />

unpünktlich oder wurden falsch abgeladen.<br />

Aus dem Frust entstand Hülsewigs<br />

Ansporn: die Bestellung von<br />

Sand, Kies oder Schotter so einfach zu<br />

machen wie eine Amazon-Bestellung.<br />

Hülsewig gewann den Gütersloher<br />

Bauunternehmer Thomas Hagedorn<br />

als Investor und gründete 2<strong>01</strong>8<br />

Schüttflix. Ein Expertenteam entwickelte<br />

die App binnen weniger Monate.<br />

Hülsewig erinnert sich an den<br />

Start: „Wir mussten uns zu Beginn<br />

natürlich beweisen: dass Bestellungen<br />

tatsächlich so einfach sein können<br />

und dass der Lkw dann auch wirklich<br />

ankommt. Hierfür haben wir die ersten<br />

Fahrten persönlich begleitet.“<br />

Seither ist das Start-up enorm gewachsen.<br />

Aktuell nutzen 4300 Bauunternehmer<br />

in Deutschland die<br />

Plattform, außerdem 1600 Lieferanten<br />

und 2800 Spediteure. „Für mich<br />

war es immer am wichtigsten, den<br />

Kunden einen Mehrwert zu liefern<br />

und ihnen den Arbeitsalltag leichter<br />

zu machen“, sagt Hülsewig. Aktuell<br />

beschäftigt seine Firma 150 Mitarbeiter.<br />

Der Kurs ist gesetzt auf Expansion<br />

ins europäische Ausland.<br />

Prominente Investorin<br />

Beflügelt wird Schüttflix auch durch<br />

einen Promifaktor: Model Sophia Thomalla<br />

ist seit 2<strong>01</strong>9 das Werbegesicht<br />

der Firma – und Mitgesellschafterin.<br />

Thomas Hagedorn und Thomalla<br />

brennen beide für Schalke 04 und kennen<br />

sich aus dem Stadion. Thomalla<br />

habe das Potenzial der Idee schnell erkannt,<br />

erzählt Hülsewig. „Hinzu kam,<br />

dass die Baubranche einfach zu ihr<br />

passt. Sie ist eine echte Anpackerin.“<br />

So wurde sie nicht nur Werbegesicht,<br />

sondern auch Investorin.<br />

wir klar, dass es zu den wichtigsten<br />

Aufgaben der Schulen gehört, die<br />

Schüler auf die Herausforderungen<br />

unserer digitalen Lebens- und Arbeitswelt<br />

vorzubereiten“, sagte Gebauer.<br />

„Wir sind damit das erste Bundesland,<br />

das die Digitalisierung im Schulwesen<br />

im Gesetz verankert“, ergänzte ihr<br />

Pressesprecher Daniel Kölle.<br />

Auch der Einsatz digitaler Medien,<br />

bisher durch Erlasse geregelt, erhält<br />

Gesetzesrang. Ob die Änderungen<br />

eher kosmetischer Natur sind oder<br />

Auswirkungen auf die Schulpraxis<br />

haben, muss sich noch zeigen.<br />

Stärken will Gebauer nach eigenem<br />

Bekunden auch die Mitwirkungsrechte<br />

von Eltern und Schülern. So<br />

sollen Gymnasien und Gesamtschulen<br />

bei Bedarf Mitwirkungsgremien<br />

wie Konferenzen, Schulpflegschaften<br />

und Schülerräte einrichten dürfen.<br />

Außerdem soll die Mitwirkung von<br />

Eltern und Schülern in kommunalen<br />

Schulausschüssen im Gesetz verankert<br />

werden. In diesen Gremien können<br />

sie beratend mitwirken.<br />

Die Schulkonferenz erhält ein Mitspracherecht,<br />

wenn es um den Einsatz<br />

digitaler Arbeits- und Lernsysteme<br />

geht. Die Pandemie habe gezeigt, dass<br />

es auf eine enge Zusammenarbeit zwischen<br />

Eltern und Schulen ankomme,<br />

sagte Gebauer.


FEBRUAR <strong>2022</strong> / AUSGABE 1<br />

BUCH ZWEI<br />

Berichte | 15<br />

GELSENKIRCHEN<br />

Ungeschmierte<br />

Wahrheit<br />

Der<br />

Geschmack<br />

des Waldes in<br />

Flaschen<br />

Dass die Nachfrage aus Übersee einmal das deutsche<br />

Brot revolutionieren würde, hätte man<br />

sich bei der Traditionsbäckerei Prünte in Gelsenkirchen<br />

wohl eher nicht träumen lassen.<br />

Doch die pure Kreation ohne Konservierungsstoffe,<br />

semifresh und somit 42 Tage lang haltbar, eroberte die<br />

Regale des Einzelhandels nicht nur hierzulande wie im<br />

Flug. Dinkel, Roggen, Hafer, Chiasamen und Ölsaaten –<br />

und ein glückliches Händchen, immer wieder etwas<br />

Neues zu finden, was den zeitgenössischen Brotgeschmack<br />

trifft, ließen aus dem Start-up B Just Bread einen<br />

robusten Player werden – made im Pott.<br />

www.bjustbread.com<br />

Foto: B Just Bread<br />

Das pure<br />

Brot, gefragt<br />

in aller Welt<br />

Tolle Menschen,<br />

tolle Ideen:<br />

Produkte aus den<br />

westfälischen<br />

Regionen, die uns<br />

aufgefallen sind<br />

Sie stellen etwas Besonderes her?<br />

Dann schreiben Sie uns:<br />

redaktion@landschaft-westfalen.de<br />

LÜDENSCHEID<br />

Sauerländer<br />

Schnapsideen<br />

Wie schmeckt wohl ein<br />

sauerländer Gin?<br />

Wenn man der feinen<br />

Zunge folgt, nach den<br />

Aromen der heimischen Wälder:<br />

Fichtenspitzen, Baumpilz und Löwenzahnwurzel,<br />

frischer Brennnessel,<br />

Sauerampfer und Zitrusaromen.<br />

Weil zu jedem Produkt eine gute<br />

Geschichte gehört, macht das Lesen,<br />

was die Ginmacher aus dem Sauer-<br />

Foto: Woodland Gin<br />

land zu ihren Produkten erzählen,<br />

mindestens so viel Spaß wie das<br />

Probieren. Wussten Sie zum<br />

Beispiel, dass Seeleute einst mittels<br />

Schießpulver die Qualität des Gins<br />

prüften? Er entzündet sich nur,<br />

wenn er genug Prozente hat.<br />

Warum es im Sauerland auch einen<br />

pinkfarbenen Gin gibt, das können<br />

Sie selbst herausfinden bei:<br />

www.woodland-gin.com<br />

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Es mangelt an flächendeckendem und erschwinglichem Datennetz auf dem Land. Wir berichten darüber.<br />

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BUCH ZWEI<br />

16 | Ein Ort in ...<br />

MÜNSTER<br />

Denken für die Zukunft<br />

Eine Gesellschaft ohne Wachstum<br />

ist das Grundthema der Ausstellung<br />

„Nimmersatt?“, dem sich die<br />

Kunsthalle Münster, das LWL-Museum<br />

für Kunst und Kultur und der<br />

Westfälische Kunstverein noch bis<br />

zum 27. Februar <strong>2022</strong> widmen. Rund<br />

30 künstlerische Arbeiten der Ausstellung<br />

nehmen Bezug auf aktuelle<br />

Krisen, soziale Ungleichheit, Klimaveränderung,<br />

Krankheit, Krieg,<br />

Fluchtbewegungen, Fremdenhass<br />

und damit einhergehende Entwicklungen.<br />

Die Werke hinterfragen, welche<br />

anderen Optionen jenseits des<br />

Wachstums bestehen.<br />

Wachstum sei endlich und baue auf<br />

sozialer Ungleichheit sowie der Ausbeutung<br />

von Mensch und Umwelt auf,<br />

so die Kuratorinnen Merle Radtke<br />

(Kunsthalle Münster), Kristina Scepanski<br />

(Westfälischer Kunstverein)<br />

und Marianne Wagner (LWL-Museum<br />

für Kunst und Kultur). Dies mache es<br />

erforderlich, bestehende Denkmuster<br />

zu verlassen und den Glaubenssatz<br />

vom „Immer mehr und immer weiter“<br />

zur Diskussion zu stellen.<br />

In der Ausstellung werden Videoinstallationen,<br />

Zeichnungen, Fotografien<br />

und Skulpturen sowie Arbeiten im<br />

öffentlichen Raum gezeigt. Neben einer<br />

Reihe von Leihgaben präsentieren<br />

Kabinett mit<br />

Videoinstallationen.<br />

Foto: Westfälischer<br />

Kunstverein<br />

die Häuser mehrere Neuproduktionen,<br />

die im Dialog mit den Kuratorinnen<br />

entstanden sind. LWL-Direktor Matthias<br />

Löb: „In der Ausstellung wird ein,<br />

wenn nicht sogar das Thema unserer<br />

Zeit aufgegriffen. Kunst will dabei nicht<br />

fertige Antworten liefern, sie kann aber<br />

gewohnte Seh- und Denkweisen aufbrechen<br />

und unseren Geist frei machen,<br />

Zukunft neu zu denken.“<br />

Quelle: Geographische Kommission<br />

für <strong>Westfalen</strong> 2020<br />

„Kunst kann gewohnte Seh- und Denkgewohnheiten<br />

aufbrechen und unseren Geist frei machen,<br />

Zukunft neu zu denken.“ Matthias Löb, LWL-Direktor<br />

SOEST<br />

Lichtkonzepte im Raum<br />

Das Museum Wilhelm Morgner zeigt das umfangreiche und<br />

vielgestaltige Werk des Glaskünstlers Jochem Poensgen<br />

Der Künstler Jochem Poensgen,<br />

1931 in Düsseldorf geboren,<br />

zählt zu den stilgebenden Glasgestaltern<br />

der Gegenwart. Seit 1991 lebt er<br />

in Soest. Dort gestaltete er sämtliche<br />

Fenster der Hohnekirche. Zu seinen<br />

in Deutschland realisierten Hauptwerken<br />

zählen daneben die Lichtwände<br />

von St. Andreas in Essen-Rüttenscheid,<br />

die Chorfenster der Hof- und<br />

Stiftskirche St. Bartholomäi in Zerbst/<br />

Anhalt, wo er 2<strong>01</strong>8 für fünf neue Fenster<br />

im Chorbereich verantwortlich<br />

zeichnete, sowie die Gestaltung der<br />

Fenster der Klosterkirche St. Marien<br />

und St. Nikolai in Jerichow.<br />

Die Dreieinigkeitskirche Hamburg-St.<br />

Georg, der Bamberger Dom,<br />

aber auch das Rathaus in Wiesbaden<br />

und die Polizei-Führungsakademie in<br />

Münster-Hiltrup stehen auf seiner<br />

Rundfenster in einer Kapelle in Luleå (Schweden). Foto: Stadt Soest<br />

Werkliste. Zahlreiche Glasgestaltungen<br />

in Kirchen und öffentliche Bauten<br />

weltweit zählen zu seinem Werk. Sein<br />

experimentelles Arbeiten führte ihn<br />

an die wichtigsten Stätten der Glaskunst<br />

weltweit, unter anderem unterrichtete<br />

er am Swansea Institute in<br />

UK. „Die deutsche Glasmalerei der<br />

Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verdankt<br />

ihm Weltgeltung und international<br />

schulebildende Wirkung. Kein<br />

anderes Œuvre der zeitgenössischen<br />

Glasmalerei ist an Stilwandel und experimentellen<br />

Neuansätzen so reich<br />

wie das Poensgens“, schreibt Holger<br />

Brülls bereits 2<strong>01</strong>2 über den Künstler<br />

und blickt auf ein „vielgestaltiges,<br />

phantasievolles und experimentierfreudiges<br />

Lebenswerk“. Seit 2<strong>01</strong>3 befasst<br />

sich Poensgen vermehrt mit<br />

Hinterglasmalerei.<br />

„Ein vielgestaltiges, phantasievolles und<br />

experimentierfreudiges Lebenswerk.“<br />

Holger Brülls<br />

Nicht alles, was Poensgen schuf, ist<br />

übrigens erhalten − einige seiner Betonglaswände<br />

aus den 1960er-Jahren<br />

sind, man glaubt es kaum, der Abrissbirne<br />

zum Opfer gefallen.<br />

Das Museum Wilhelm Morgner in<br />

Soest zeigt in einer Retrospektive bis<br />

zum 6. März <strong>2022</strong> Originalglasfenster<br />

und Glas- sowie Hinterglasbilder, Grafiken,<br />

Zeichnungen und Malerei seit<br />

1951. Dazu zählen auch Arbeiten, die<br />

bisher nicht ausgestellt wurden. Poensgen<br />

öffnete dafür seine Schubladen<br />

und förderte bis hin zu Comic-Entwürfen<br />

eine beeindruckende Vielfalt<br />

und Vielgestaltigkeit zutage. Eine<br />

temporäre Installation im Eingangsbereich<br />

des Museums demonstriert<br />

zudem seine Auffassung von der Umsetzung<br />

der Glasgestaltung in Bezug<br />

auf den architektonischen Kontext.<br />

BIELEFELD<br />

Träume aus Kristall<br />

Den Expressionisten Wenzel Hablik begeistern Gesteine.<br />

Das Kunstforum Hermann Stenner zeigt eine Retrospektive<br />

Seine Architekturentwürfe waren<br />

von den Science-Fiction-Romanen<br />

Jules Vernes und H. G. Wells’ inspiriert,<br />

auf den Trümmern des Ersten<br />

Weltkriegs errichtete der Maler und<br />

Gestalter Wenzel Hablik kristalline<br />

Kathedralen. In Berlin ausgestellt<br />

neben Picasso, Kokoschka und Gauguin,<br />

hatte er schon 1907 seine Wahlheimat<br />

in Itzehoe gefunden.<br />

Dort entwarf er Raumkonzepte<br />

für Wohnungen und Firmensitze und<br />

starb bereits 1934 mit 52 Jahren, nach<br />

Jahren intensiver gemeinsamer künstlerischer<br />

Arbeit mit seiner Ehefrau,<br />

der Handweberin Elisabeth Lindemann.<br />

Während seine Architektur-<br />

„Muss ich schon<br />

an der Erde<br />

kleben, dann<br />

wenigstens nicht<br />

mit dem Hirn.“<br />

Wenzel Hablik<br />

entwürfe nie realisiert wurden, in spirierte<br />

er die Webemeisterin zu<br />

Werkstücken mit floralen und ornamentalen<br />

Motiven und begeisterte<br />

auch Bauhaus-Architekten wie Bruno<br />

Taut und Walter Gropius dafür.<br />

Sternenhimmel, Berglandschaften<br />

und intergalaktische Luftkolonien inspirierten<br />

Habliks gestischen Pinselschwung,<br />

die Nähe zu bekannten Expressionisten<br />

ist vielfach sichtbar.<br />

Ein noch viel zu wenig entdeckter<br />

Künstler und ein vielfältiges Werk,<br />

fand man im Bielefelder Kunstforum<br />

Hermann Stenner und zeigt bis zum<br />

6. März <strong>2022</strong> eine Werkschau Wenzel<br />

Habliks.<br />

Eine Wolke, 1910. Foto: Wenzel-Hablik-Stiftung Itzehoe

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