4 be gender - Frauengesundheitszentrum Graz
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e <strong>gender</strong><br />
End<strong>be</strong>richt 2004<br />
Eine Untersuchung<br />
ü<strong>be</strong>r Frauen und Männer mit Behinderung und<br />
mit Frauen und Männer mit Behinderung
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Vorwort................................................................................................................3<br />
2 Einleitung.............................................................................................................4<br />
3 Hintergrund der Forschungsstudie.......................................................................5<br />
3.1 Ausgangssituation........................................................................................5<br />
3.2 Ziel..............................................................................................................11<br />
3.3 Inhaltliche Strukturierung der Studie...........................................................12<br />
3.4 Zeitliche Strukturierung der Studie..............................................................13<br />
4 <strong>be</strong> <strong>gender</strong>...........................................................................................................14<br />
4.1 Forschungsdesign......................................................................................14<br />
4.2 Methodischer Zugang.................................................................................17<br />
4.3 Statistische Anga<strong>be</strong>n zu den InterviewpartnerInnen...................................20<br />
4.4 Begriff der Behinderung..............................................................................30<br />
4.5 Narrative Interviews....................................................................................32<br />
4.5.1 Das Ziel...............................................................................................32<br />
4.5.2 Die Methode........................................................................................32<br />
4.5.3 Die Stichpro<strong>be</strong>.....................................................................................35<br />
4.5.4 Kontaktaufnahme................................................................................35<br />
4.5.5 Die Interviewsituation ..........................................................................36<br />
4.5.6 Die Transkription.................................................................................36<br />
4.5.7 Die Auswertung...................................................................................37<br />
4.5.8 Die Auswertung im Detail....................................................................40<br />
4.5.9 Gesamtinterpretation...........................................................................82<br />
4.6 Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen...................................................................................88<br />
4.6.1 Die Methode........................................................................................88<br />
4.6.2 Kontaktaufnahme................................................................................91<br />
4.6.3 Die Stichpro<strong>be</strong>.....................................................................................93<br />
4.6.4 Interviewsituation.................................................................................98<br />
4.6.5 Auswertung und Interpretation.............................................................99<br />
4.6.5.1 Vor<strong>be</strong>merkung..............................................................................99<br />
4.6.5.2 Strukturelle Analyse ...................................................................100<br />
4.6.5.2.1 Interviews mit Frauen mit Behinderung...................................100<br />
4.6.5.2.2 Interviews mit Kolleginnen......................................................127<br />
4.6.5.2.3 Interviews mit Leitung..............................................................141<br />
1
4.6.5.3 Analyse der Beziehungse<strong>be</strong>ne...................................................160<br />
4.6.5.4 Gesamtinterpretation..................................................................163<br />
4.7 LeiterInnengespräche...............................................................................167<br />
4.7.1 Das Ziel.............................................................................................167<br />
4.7.2 Die Methode......................................................................................167<br />
4.7.3 Ergebnisse.........................................................................................167<br />
4.8 Österreichisches Netzwerk für Frauen mit und ohne Behinderung...........174<br />
4.8.1 Das Ziel.............................................................................................174<br />
4.8.2 Ablauf und Ergebnisse der Treffen....................................................174<br />
4.9 Expertinnen<strong>be</strong>iräte + Treffen der InterviewpartnerInnen..........................176<br />
4.9.1 Ziel des ExpertInnen<strong>be</strong>iräte...............................................................176<br />
4.9.2 Ergebnisse.........................................................................................177<br />
4.9.3 Treffen der InterviewpartnerInnen.....................................................178<br />
5 Ausblick...........................................................................................................179<br />
5.1 Das Modellprojekt.....................................................................................179<br />
5.2 Die Forschungsstudie...............................................................................182<br />
6 Literaturverzeichnis..........................................................................................184<br />
7 Anhang............................................................................................................186<br />
7.1 Stammdatenblatt.......................................................................................186<br />
7.2 Ablauf<strong>be</strong>schreibung des narrativen Interviews:........................................188<br />
7.3 Interviewleitfaden zu den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen........................................190<br />
7.4 Firmenfragebogen zu Frauenförderung und Förderung von Mitar<strong>be</strong>iterInnen<br />
mit Behinderung + Auswertung...........................................................................196<br />
Frauenförderung.....................................................................................................196<br />
8 Abbildungsverzeichnis.....................................................................................198<br />
9 Ta<strong>be</strong>llenverzeichnis.........................................................................................199<br />
2
1 Vorwort<br />
An dieser Stelle möchten wir uns <strong>be</strong>im Bundessozialamt <strong>be</strong>danken, das durch<br />
finanzielle und inhaltliche Unterstützung die Studie <strong>be</strong> <strong>gender</strong> ermöglicht hat.<br />
Für die hilfreichen Anregungen danken wir auch den ExpertInnen aus Wissenschaft,<br />
Politik und Praxis, die uns in den Beiratssitzungen mit ihrem Wissen und ihrer<br />
Erfahrung unterstützten.<br />
Unser <strong>be</strong>sonderer Dank gilt allen InterviewpartnerInnen, die uns als ExpertInnen in<br />
eigener Sache Einblick in ihre Le<strong>be</strong>ns- und Ar<strong>be</strong>itssituation gewährt ha<strong>be</strong>n. Ein<br />
Danke auch an die Unternehmen, die aussagekräftig und offen an den<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen teilgenommen ha<strong>be</strong>n.<br />
3
2 Einleitung<br />
Be <strong>gender</strong> ist ein Forschungsprojekt, das vom Bundessozialamt in Auftrag gege<strong>be</strong>n<br />
wurde, mit dem Ziel die Situation von Frauen mit Männern mit Behinderung in der<br />
Steiermark zu erforschen. Der Forschungszeitraum erstreckte sich von Mai bis<br />
Dezem<strong>be</strong>r 2004.<br />
Die Ergebnisse der Studie wurden in einem Maßnahmenkatalog zusammengefasst,<br />
der dem Bundessozialamt ü<strong>be</strong>rmittelt wurde. Aufgrund des Katalogs wurden zwei<br />
weitergehende Projekte in Auftrag gege<strong>be</strong>n.<br />
Im Rahmen von <strong>be</strong> <strong>gender</strong> wurden ein Folder, ein Broschüre sowie eine Kurzfassung<br />
des End<strong>be</strong>richts in Leichter-Lesen-Form erstellt. Diese sind ü<strong>be</strong>r das<br />
<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> zu <strong>be</strong>ziehen.<br />
Die Leitung des Projekts oblag Frau Mag. a Sylvia Groth. Die Koordination des<br />
Forschungsprojekts wurde von Frau MMag. a Sandra Jakomini durchgeführt. Dr. in<br />
Brigitte Steingru<strong>be</strong>r und Mag. a Sonja Karel waren wissenschaftliche Mitar<strong>be</strong>iterinnen.<br />
4
3 Hintergrund der Forschungsstudie<br />
3.1 Ausgangssituation<br />
Die (Frauen-)gesundheitsforschung hebt die Tatsache der geschlechtsspezifischen<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatzdiskriminierung und ihrer Potenzierung innerhalb der Gruppe der<br />
Mädchen und Frauen mit Behinderung hervor. Sie weist nach, welche negativen<br />
Auswirkungen sie auf den Selbstwert und die Gesundheit von Mädchen und Frauen<br />
mit Behinderungen ha<strong>be</strong>n. Der Stellenwert <strong>be</strong>zahlter Erwerbsar<strong>be</strong>it wird in der<br />
Forschung immer wieder <strong>be</strong>tont: In der Ottawa Charta aus dem Jahr 1986 ist zu<br />
lesen: „Grundlegende Bedingungen und konstituierende Merkmale von Gesundheit<br />
sind (...) Bildung, (...), Einkommen, (...), soziale Gerechtigkeit und<br />
Chancengleichheit“. 1 Erwerbsar<strong>be</strong>it, sprich <strong>be</strong>zahlte Ar<strong>be</strong>it, hat demnach einen<br />
hohen Stellenwert <strong>be</strong>züglich der sozialen Integration einerseits und des Selbstwerts<br />
andererseits. Darü<strong>be</strong>r hinaus bietet Lohnar<strong>be</strong>it die Grundvoraussetzung für<br />
angemessene Wohn<strong>be</strong>dingungen und ein gesichertes Alter, was wiederum<br />
gesundheitskonstituierend ist.<br />
„Gesundheit wird von den Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und<br />
gelebt, dort, wo sie spielen, lernen, ar<strong>be</strong>iten und lie<strong>be</strong>n. Gesundheit entsteht<br />
dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in der Lage<br />
ist, sel<strong>be</strong>r Entscheidungen zu fällen und Kontrolle ü<strong>be</strong>r die eigenen Le<strong>be</strong>nsumstände<br />
auszuü<strong>be</strong>n sowie dadurch, dass die Gesellschaft in der man lebt, Bedingungen<br />
herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.“ 2<br />
Diesem Gedanken der Gesundheitsförderung folgend ist das Schaffen<br />
gesundheitsfördernder Le<strong>be</strong>nswelten das Schaffen von Le<strong>be</strong>ns- und<br />
Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>dingungen für Mädchen und Frauen mit Behinderung, die ihnen eine<br />
Erwerbstätigkeit in möglichst gesunden Bedingungen ermöglichen, eine<br />
gesellschaftliche Aufga<strong>be</strong>.<br />
1 www.fgoe.org/Ottawa-Charta.pdf<br />
2 Ebda.<br />
5
In Österreich <strong>be</strong>steht <strong>be</strong>züglich der Le<strong>be</strong>ns- und Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>dingungen von Mädchen<br />
und Frauen mit Behinderung in Österreich ein Forschungsdefizit, sowohl quantitative<br />
als auch qualitative Daten <strong>be</strong>treffend. Mädchen und Frauen mit Behinderung sind im<br />
Sinne des Empowerment nur in folgenden vier Studien nach ihren Le<strong>be</strong>ns- und<br />
Ar<strong>be</strong>itserfahrungen <strong>be</strong>fragt worden:<br />
• Sigot, Marion: Die Le<strong>be</strong>nssituation von Frauen mit geistiger Behinderung.<br />
Klagenfurt, 2003.<br />
• Breiter, Marion: Projekt VITA. Erkundungsstudie zur <strong>be</strong>ruflichen<br />
Le<strong>be</strong>nssituation von gehörlosen Frauen im Raum Wien und Umgebung. Wien,<br />
NÖ, Burgenland, 2002.<br />
• Witt-Löw Kerstin, Breiter, Marion: „PERSPEKTIVA - eine Erkundungsstudie<br />
zur Le<strong>be</strong>ns- und Berufssituation blinder und hochgradig seh<strong>be</strong>hinderter<br />
Frauen in Wien“. Wien, NÖ, Burgenland, 2004.<br />
• Götzinger, Kornelia, Haider, Monika u. a.: Frau sein - barrierefrei. Wien: 2004.<br />
Eine Analyse des <strong>Frauengesundheitszentrum</strong>s zu den steirischen<br />
Behindertenorganisationen im Jahr 2003 verstärkte das <strong>be</strong>schrie<strong>be</strong>ne Bild und<br />
zeigte, dass „sex und <strong>gender</strong>“ von Frauen und Männern mit Behinderung kein Thema<br />
ist. Weder in der öffentlichen Diskussion noch im Behindertenwesen werden Frauen<br />
und Männer mit Behinderung bisher geschlechtsspezifisch wahrgenommen.<br />
In einer Gesellschaft a<strong>be</strong>r, in der Frauen und Männer unterschiedliche Rollen und<br />
Positionen ha<strong>be</strong>n, gibt es keine „geschlechtsneutrale“ Perspektive. Gender<br />
mainstreaming integriert dem entgegen wirkend eine geschlechtssensible<br />
Perspektive in alle Politik<strong>be</strong>reiche und Maßnahmen. Dass heißt, dass Unterschiede<br />
zwischen den Geschlechtern immer <strong>be</strong>wusst <strong>be</strong>rücksichtigt und alle Vorha<strong>be</strong>n so<br />
gestaltet werden, dass sie einen Beitrag zur Förderung der Chancengleichheit<br />
leisten. 3<br />
Aus diesem Grund hat das Bundessozialamt Steiermark das<br />
<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> mit der Projektentwicklung „<strong>gender</strong> mainstreaming und<br />
Behinderung“ <strong>be</strong>auftragt.<br />
3 Vgl. http://gem.or.at<br />
6
Im Vorfeld zu <strong>be</strong> <strong>gender</strong> stand eine quantitative Datenanalyse, die vom<br />
<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> in <strong>Graz</strong> durchgeführt wurde und deren Ziel es war, die<br />
geschlechtsspezifische Aufteilung in laufenden Integrations- und<br />
Unterstützungsprojekten sowie den Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekten zu<br />
erhe<strong>be</strong>n. Anschließend an die Datenanalyse wurden qualitative<br />
ExpertInnengespräche geführt, mit dem Ziel einer Bestandsaufnahme und<br />
Bedarfserhebung für ein <strong>gender</strong> mainstreaming-Projekt. Parallel zur Strukturanalyse<br />
fand eine inhaltliche Analyse statt, welche die Seite der Frauen mit Behinderung ins<br />
Zentrum stellte.<br />
Für die quantiative Erhebung wurden folgende Quellen herangezogen:<br />
• „Ü<strong>be</strong>rsicht ü<strong>be</strong>r einzelne Gruppen <strong>be</strong>hinderter Menschen“ aus dem Bericht der<br />
Bundesregierung ü<strong>be</strong>r die Lage der <strong>be</strong>hinderten „Menschen“ in Österreich<br />
(2003) 4<br />
• Steiermarkweite Zahlen und qualitative Analyse BSB geförderter Projekte und<br />
Maßnahmen (telefonische Erhebung der Daten)<br />
Die vom <strong>Frauengesundheitszentrum</strong>, im Rahmen der Projektentwicklung „<strong>gender</strong><br />
mainstreaming und Behinderung“, durchgeführte Befragung diverser<br />
Trägerorganisationen ergab, dass Mädchen und Frauen in der Anzahl der<br />
Betreuungen <strong>be</strong>nachteiligt sind bzw. Betreuungsangebote in anderen Le<strong>be</strong>nsphasen<br />
als Burschen in Anspruch nehmen. In der Clearingphase des<br />
Beruffindungsprozesses werden ein Drittel Mädchen gegenü<strong>be</strong>r zwei Drittel<br />
Burschen gecleart. Dies spricht für eine klare Benachteiligung der Mädchen in<br />
diesem Angebot. Anders sieht die Inanspruchnahme der Ar<strong>be</strong>itsassistenz von<br />
Jugendlichen aus. Hier werden um ein Viertel mehr Mädchen <strong>be</strong>treut als Burschen.<br />
Die Zahlen der von der Ar<strong>be</strong>itsassistenz für Erwachsene <strong>be</strong>treuten Frauen und<br />
Männer sprechen hingegen wiederum eine andere Sprache: Hier werden Männer<br />
vermehrt (um ein Drittel mehr) <strong>be</strong>treut. In den Qualifizierungs- und<br />
Beschäftigungsprojekten ist der quantitative Anteil der Frauen und Männer in etwa<br />
gleich groß. Hier ist jedoch qualitativ festzustellen, dass Frauen ihren Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />
zum Großteil in den Bereichen Wäscherei, Gastronomie, Büro oder Einzelhandel<br />
4 Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (Hrsg.): Bericht der<br />
Bundesregierung ü<strong>be</strong>r die Lage der <strong>be</strong>hinderten Menschen in Österreich. Wien 2003. S. 12.<br />
7
finden, Männer hingegen in handwerklichen, landwirtschaftlichen bzw. technischen<br />
Projekten oder in der Grünlandpflege.<br />
Abschließend war festzustellen, dass sowohl die quantitative Analyse wie auch die<br />
ExpertInnen<strong>be</strong>fragung des <strong>Frauengesundheitszentrum</strong>s im Rahmen der<br />
Projektentwicklung „<strong>gender</strong> mainstreaming und Behinderung“ ar<strong>be</strong>itsmarkt<strong>be</strong>zogene<br />
Unterschiede zwischen Mädchen und Frauen bzw. Burschen und Männer mit<br />
Behinderung zeigten: Es <strong>be</strong>stätigte sich das in der Literatur <strong>be</strong>schrie<strong>be</strong>ne Bild der<br />
<strong>be</strong>hinderten Frau als „Schlusslicht am Ar<strong>be</strong>itsmarkt“ 5 . Es wird von doppelter<br />
Diskriminierung gesprochen, da ne<strong>be</strong>n die geschlechtsspezifische Ungleichheit am<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarkt zusätzlich eine <strong>be</strong>hindertenspezifische Ungleichheit tritt, die Mädchen<br />
und Frauen mit Behinderung an das unterste Ende der Hierarchie: „Mann – Frau –<br />
<strong>be</strong>hinderter Mann – <strong>be</strong>hinderte Frau“, stellt.<br />
Geschlechtsspezifische Ungleichheit meint ins<strong>be</strong>sondere folgende Punkte:<br />
• Atypische Beschäftigungsverhältnisse: Heute ist österreichweit <strong>be</strong>reits<br />
<strong>be</strong>inahe ein Drittel der unselbständig erwerbstätigen Frauen teilzeit<strong>be</strong>schäftigt.<br />
Bei den geringfügig Beschäftigten <strong>be</strong>trägt der Frauenanteil 72%. Derartige<br />
atypische Beschäftigungsmöglichkeiten ha<strong>be</strong>n den Nachteil, den<br />
Le<strong>be</strong>nsunterhalt nicht zu decken, speziell in gering qualifizierten Branchen<br />
angesiedelt zu sein, niedrige Stundenlöhne zu erzielen, nur eine sehr geringe<br />
soziale Absicherung zu gewährleisten und kaum Aufstiegchancen zu bieten. 6<br />
• Horizontale Segregation: Der Ar<strong>be</strong>itsmarkt ist in typische Männer- und<br />
Frauen<strong>be</strong>rufe aufgeteilt. Frauen konzentrieren sich da<strong>be</strong>i auf weit weniger<br />
Berufe als Männer. Ulrich Beck definiert dieses Phänomen fol<strong>gender</strong>maßen:<br />
„Je zentraler ein Bereich für die Gesellschaft definiert ist, je mächtiger eine<br />
Gruppe, desto weniger sind Frauen vertreten; und umgekehrt: als je<br />
randständiger ein Aufga<strong>be</strong>n<strong>be</strong>reich gilt, je weniger einflussreich eine Gruppe,<br />
desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen sich in diesen Feldern<br />
Beschäftigungsmöglichkeiten ero<strong>be</strong>rt ha<strong>be</strong>n. Dies zeigen die entsprechenden<br />
5 Vgl. ebda, S. 14.<br />
6 Vgl. ebda, S. 50 ff.<br />
8
Daten in allen Bereichen – Politik, Wirtschaft, Hochschule, Massenmedien<br />
usw.“ 7<br />
• Vertikale Segregation: Der Frauenanteil sinkt, je höher die hierarchische<br />
Position eines Berufs- bzw. Tätigkeitsfeldes ist. Diese strukturelle<br />
Schlechterstellung der Frau im Erwerbsle<strong>be</strong>n schlägt sich in der Konzentration<br />
von Frauen in unteren Berufse<strong>be</strong>nen und der männlichen Dominanz in<br />
geho<strong>be</strong>nen Positionen nieder 8 .<br />
• Berechungen zufolge ist das durchschnittliche Bruttoeinkommen Österreich-,<br />
wie EU-weit für Frauen um 30% geringer als für ihre männlichen Kollegen.<br />
Zusätzliche, <strong>be</strong>hindertenspezifische Ungleichheit ist in Österreich bisher noch nicht<br />
erfasst. Daher können unter Ein<strong>be</strong>ziehung der momentanen Forschung, die sich auf<br />
eine Befragung des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und<br />
Konsumentenschutz mit dem Titel „Frau sein – barrierefrei“ und auf Recherchen des<br />
<strong>Frauengesundheitszentrum</strong>s <strong>be</strong>zieht, zu den einzelnen Punkten nur Vermutungen<br />
bzw. Beispiele angeführt werden:<br />
• Atypische Beschäftigungsverhältnisse: Gerade für die Gruppe der Mädchen<br />
und Frauen mit Behinderung <strong>be</strong>stehen Hinweise, dass sie, sofern sie<br />
ü<strong>be</strong>rhaupt am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt integriert sind, vor allem in atypischen<br />
Beschäftigungsverhältnissen tätig sind.<br />
• Horizontale Segregation: Den Erhebungen des <strong>Frauengesundheitszentrum</strong>s<br />
und dem Forschungs<strong>be</strong>richt von Sigot 9 zufolge sind Frauen mit Behinderung<br />
in Österreich ins<strong>be</strong>sondere in hauswirtschaftsnahen Bereichen tätig.<br />
• Vertikale Segregation: Obwohl „Frau sein – barrierefrei“ 10 mit ihrer<br />
Fragebogenerhebung großteils gut ausgebildete, <strong>be</strong>rufstätige Frauen mit<br />
Behinderung <strong>be</strong>fragte, schätzen sie, stellvertretend für alle österreichischen<br />
Frauen mit Behinderung, <strong>be</strong>rufliche Karrierechancen mit „0“ ein. Der Zugang<br />
zu adäquaten Ar<strong>be</strong>itsplätzen mit der Möglichkeit zur <strong>be</strong>ruflichen<br />
Weiterentwicklung ist derzeit nicht vorhanden. 11<br />
7<br />
Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main 1986. S.<br />
166.<br />
8<br />
Jakomini, Sandra: Frauen im Tunnelbau. Analyse der Ursachen ihrer Unterrepräsentanz und<br />
Konzeptionen einer praxisgeleiteten Weiterbildung zur tiefbautechnischen Berufsentwicklung. <strong>Graz</strong><br />
2003. S. 27.<br />
9<br />
Sigot, Marion: Die Le<strong>be</strong>nssituation von Frauen mit geistiger Behinderung. Klagenfurt, 2003.<br />
10<br />
Vgl. Götzinger, Kornelia, Haider, Monika u. a.: Frau sein - barrierefrei. Wien: 2004. S. 20.<br />
11 Ebda.<br />
9
• In Punkto Einkommensunterschiede sind derzeit noch keine Daten zugänglich,<br />
die einen Vergleich von Frauen mit bzw. ohne Behinderung bzw. Frauen und<br />
Männern mit Behinderung ermöglichen würden.<br />
Daher scheint es im Sinne des <strong>gender</strong> mainstreaming sinnvoll, Mädchen und Frauen<br />
bzw. Burschen und Männer mit Behinderung nach ihren Einstellungen, Erfahrungen<br />
und Verhaltensweisen zu <strong>be</strong>fragen, um herauszufinden, inwiefern und an welchen<br />
Stellen im Le<strong>be</strong>nslauf geschlechtsspezifische Ungleichheiten auftreten. In Folge<br />
werden aus den Ergebnissen Maßnahmen für zielgruppenspezifische Interventionen<br />
abgeleitet.<br />
10
3.2 Ziel<br />
Ziel eines Folgeprojekts ist es, dem aktuellen Forschungsdefizit entgegenzutreten<br />
und Mädchen/Frauen und Burschen/Männer mit Behinderung als ExpertInnen in<br />
eigener Sache anzuerkennen und sie zu <strong>be</strong>fragen.<br />
Um SIE soll es gehen, um ihre Ausbildungserfahrungen, ihren Berufsalltag, ihr<br />
Alltagserle<strong>be</strong>n, ihre Sozialisation und ihre spezifische Wahrnehmung. Sie sind<br />
diejenigen, die ü<strong>be</strong>r ihre ausbildungs- und <strong>be</strong>rufsspezifische Biographie sachkundig<br />
Auskunft ge<strong>be</strong>n und auf Reibungsflächen und Brüche hinweisen können, denen<br />
später zu entwickelnde Maßnahmen <strong>be</strong>gegnen sollen.<br />
11
3.3 Inhaltliche Strukturierung der Studie<br />
Ü<strong>be</strong>rsicht <strong>be</strong> <strong>gender</strong><br />
Allgemeine Zielsetzung<br />
Ziel dieses Projektes ist es, dem aktuellen Forschungsdefizit entgegenzutreten und Mädchen/Frauen bzw.<br />
Burschen/Männer mit Behinderung als ExpertInnen in eigener Sache hervorzuhe<strong>be</strong>n.<br />
20 Interviews mit Frauen und<br />
Männern mit Behinderung<br />
12 Frauen mit Behinderung<br />
8 Männer mit Behinderung<br />
Zielsetzung der Interviews<br />
Benennen von möglichen Unterschieden im<br />
Zuge der Le<strong>be</strong>ns- und Ar<strong>be</strong>itserfahrung<br />
zwischen Frauen und Männern. Daraus<br />
werden gezielte, geschlechtsspezifische<br />
Maßnahmen abgeleitet .<br />
Narrative Interviews<br />
Offener Gesprächsführung, geeignet zur<br />
Interpretation von Erlebtem und zur<br />
Le<strong>be</strong>nslaufforschung.<br />
8 Betriebs-<br />
<strong>be</strong>fragungen<br />
8 Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen in Form von<br />
Einzelfallanalysen<br />
8 Interviews mit<br />
erwerbstätigen<br />
Frauen mit<br />
Behinderung<br />
8 Interviews<br />
mit<br />
Firmenleiter<br />
-Innen<br />
Zielsetzung der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />
8 Interviews<br />
mit<br />
KollegInnen<br />
von Frauen<br />
mit<br />
Behinderung<br />
Aufzeigen günstiger Ar<strong>be</strong>itsplatzkonstellationen und/oder<br />
Veränderungswünsche aus Sicht erwerbstätiger Frauen mit<br />
Behinderung, deren ChefInnen und KollegInnen (gleichzeitig<br />
einge<strong>be</strong>ttet in <strong>be</strong>trieblichen Kontext).<br />
Fragebogen<br />
Datenerhebung<br />
LeiterInnengspräche<br />
Leitfadengestützte Interviews<br />
Systematisches Vorgehen mittels<br />
Interviewleitfaden. Dient der Vergleichbarkeit<br />
von Interviews.<br />
ExpertInnen<strong>be</strong>iräte und Treffen der InterviewparterInnen<br />
Auswertung: ATLAS/ti: Textinterpretationssoftware<br />
Interpretation: Inhaltsanalyse nach Mayring<br />
Interner End<strong>be</strong>richt und veröffentlichte Broschüre in Leichter-Lesen-Fassung mit<br />
Maßnahmenempfehlung<br />
Abschlussveranstaltung mit Ergebnispräsentation<br />
12
3.4 Zeitliche Strukturierung der Studie<br />
Phase 1<br />
Interviews<br />
Literaturrecherche<br />
Leitfadenerstellung<br />
Durchf. d. Befragung<br />
Transkription<br />
Auswertung<br />
Interpretation<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse<br />
Literaturrecherche<br />
Leitfadenerstellung<br />
Durchf. d. Befragung<br />
Transkription<br />
Auswertung<br />
Interpretation<br />
Phase 2<br />
ExpertInnengespräche<br />
Theorierecherche GM + B<br />
Foldererstellung<br />
Kontaktaufnahme<br />
Durchf. d. Befragung<br />
Dokumentation<br />
Interpretation<br />
Phase 3<br />
Netzwerk<br />
Teilnahme an Treffen<br />
Netzwerkgründung<br />
Inhaltl. Mitgestaltung<br />
Interne Auswertung<br />
Phase 4<br />
Produkte<br />
Gesamtinterpretation<br />
End<strong>be</strong>richt<br />
Neuantrag<br />
Broschüre<br />
Veranstaltung<br />
2004 2005<br />
Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mär Apr<br />
13
4 <strong>be</strong> <strong>gender</strong><br />
4.1 Forschungsdesign<br />
<strong>be</strong> <strong>gender</strong> setzt sich aus mehreren Meilensteinen zusammen:<br />
Narrative Interviews<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />
LeiterInnengespräche<br />
Netzwerkbildung<br />
Expertinnen<strong>be</strong>irat<br />
Netzwerkbildung<br />
Für die narrativen Interviews wurden 12 Mädchen und Frauen und 8 Burschen und<br />
Männer mit Behinderung zu ihrer Le<strong>be</strong>ns- und Ar<strong>be</strong>itssituation <strong>be</strong>fragt. Der Ü<strong>be</strong>rhang<br />
der <strong>be</strong>fragten Frauen ergibt sich aus der Tatsache, dass Mädchen und Frauen<br />
gegenü<strong>be</strong>r Burschen und Männern mit Behinderung in den derzeitigen<br />
Betreuungsangeboten in geringerer Zahl <strong>be</strong>rücksichtigt werden.<br />
Die Kontaktaufnahme mit den InterviewpartnerInnen erfolgte ü<strong>be</strong>r Institutionen der<br />
steirischen Behindertenhilfe und auf privater E<strong>be</strong>ne. Es wurde auf eine<br />
Ausgewogenheit zwischen Frauen und Männern aus dem städtischen bzw.<br />
ländlichen Raum geachtet. Ausgewogenheit wurde auch <strong>be</strong>züglich privat und<br />
institutionell Wohnender angestrebt. Außerdem sollten alle vier Behinderungsarten in<br />
einem ausgewogenen Maß ein<strong>be</strong>zogen werden.<br />
Als Methode für diese Le<strong>be</strong>ns<strong>be</strong>schreibungen wurde die Form des narrativen<br />
Interviews gewählt.<br />
Ziel war es, herauszufinden, welchen Stellenwert Ar<strong>be</strong>it im Le<strong>be</strong>n von <strong>be</strong>hinderten<br />
Frauen und Männern hat. Abschließend wurden Wünsche für die Zukunft<br />
angesprochen.<br />
14
Im Rahmen der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden acht Frauen mit Behinderung, die am<br />
ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt <strong>be</strong>schäftigt sind, als Expertinnen in eigener Sache <strong>be</strong>fragt. Um<br />
unterschiedliche Perspektiven <strong>be</strong>rücksichtigen zu können, wurde <strong>be</strong>i jeder Analyse<br />
zusätzlich eine Kollegin der Frau mit Behinderung sowie ein/e Vorgesetzt/e <strong>be</strong>fragt.<br />
Ne<strong>be</strong>n dem Ar<strong>be</strong>itsalltag wurden u. a. Rahmen<strong>be</strong>dingungen, Entlohnung, mögliche<br />
Problemkonstellationen und vorhandene bzw. wünschenswerte<br />
Unterstützungsangebote thematisiert.<br />
Die Kontaktaufnahme mit den erwerbstätigen Frauen mit Behinderung, den<br />
Unternehmen und den Ar<strong>be</strong>itskollegInnen erfolgte durch Unterstützung des<br />
Bundessozialamtes, das die Freiwilligkeit der Teilnahme gewährleistete durch<br />
vorherige Zustimmungen der TeilnehmerInnnen.<br />
Die Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden anhand eines leitfadengestützten Interviews<br />
durchgeführt.<br />
Ziel der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen war die Analyse der Ar<strong>be</strong>its(platz)situation von Frauen<br />
mit Behinderung sowie das Aufzeigen angemessener und humaner<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatzmöglichkeiten für Mädchen und Frauen mit Behinderung aus deren Sicht,<br />
aus Sicht der UnternehmerInnen und der KollegInnen.<br />
Die narrativen Interviews und die Interviews der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden auf<br />
Tonband aufgenommen und transkribiert. Sowohl <strong>be</strong>i den narrativen Interviews als<br />
auch den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden statistische Daten miterho<strong>be</strong>n. (siehe<br />
Anhang)<br />
In den LeiterInnengeprächen wurde mit 15 Leiterinnen und Leitern steirischer<br />
Behinderteneinrichtungen ein Interview zum Themen<strong>be</strong>reich <strong>gender</strong> mainstreaming<br />
geführt. In den Gesprächen wurde <strong>be</strong> <strong>gender</strong> anhand eines erstellten Folders<br />
vorgestellt. Weitere Gesprächsinhalte bildeten die persönliche Erfahrung mit und die<br />
Einstellung zu <strong>gender</strong> mainstreaming seitens der Führungskräfte sowie die<br />
Sensibilisierung für dieses Thema.<br />
15
Ziel der LeiterInnengespräche war die Sensibilisierung für das Thema <strong>gender</strong><br />
mainstreaming und das Wecken eines Problem<strong>be</strong>wusstseins auf Seite der<br />
Führungskräfte für die Notwendigkeit von Einführen von <strong>gender</strong> mainstreaming und<br />
Frauenförderung.<br />
Zusätzlich zum Forschungsprojekt stand und steht weiterhin ne<strong>be</strong>n den<br />
ExpertInnengesprächen die Teilnahme am ersten österreichischen Netzwerk von<br />
Frauen mit und ohne Behinderung. Inhaltlich schließen sich hier Frauen mit und<br />
ohne Behinderung zusammen, um ü<strong>be</strong>r Austausch und Vernetzung, gezielte und<br />
nachhaltige Öffentlichkeitsar<strong>be</strong>it zu <strong>be</strong>trei<strong>be</strong>n.<br />
Die ExpertInnen<strong>be</strong>iräte fanden zu Beginn und gegen Ende der Studie statt und<br />
dienten der wissenschaftlichen Diskussion. Im Zuge des Treffens der<br />
InterviewpartnerInnen traten die GesprächspartnerInnen nochmals als ExpertInnen<br />
in eigener Sache auf und thematisieren gemeinsam ihre Anliegen, die in den<br />
Maßnahmenkatalog einflossen.<br />
Weiteres Ziel des Forschungsprojekts ist einen Maßnahmenkatalog zu erstellen, der<br />
in einem Folgeprojekt in der Praxis umgesetzt wird.<br />
16
4.2 Methodischer Zugang<br />
Als geeignete Methode zur Befragung von Mädchen und Frauen sowie Burschen und<br />
Männern mit Behinderung wird das qualitative Interview der empirischen<br />
Sozialforschung erachtet: Es gewährleistet den <strong>be</strong>stmöglichen Zugang zur Le<strong>be</strong>ns-<br />
und Ar<strong>be</strong>itswelt von Frauen und Männern mit Behinderung. Den grundlegenden<br />
Merkmalen qualitativer Sozialforschung entsprechend wird nach dem Kriterium der<br />
Offenheit, die ins<strong>be</strong>sondere hinsichtlich der Unterschiedlichkeit der Mädchen und<br />
Frauen bzw. Burschen und Männer mit Behinderung von Vorteil ist, vorgegangen.<br />
Die Offenheit des Vorgehens lässt den Befragten Freiraum zur individuellen<br />
Betonung, der ihnen wichtigen Themen<strong>be</strong>reiche. 12 Individuelle Betonung bringt auch<br />
den Vorteil der sprachlichen Flexibilität. Formulierungen können zielgruppengerecht<br />
abgewandelt werden. So können <strong>be</strong>ispielsweise auch Frauen mit geistiger<br />
Behinderung in klarer, einfacher und verständlicher Art und Weise <strong>be</strong>fragt werden.<br />
Weiteres will das qualitative Interview der sozialen Realität näher kommen.<br />
Ermutigung zu le<strong>be</strong>nsnahen Antworten sowie Anpassung an die alltägliche<br />
Gesprächssituation wird daher angestrebt. 13<br />
Das qualitative Interview, ein freies, zwangloses, keiner starren Fragenreihe<br />
folgendes „Gespräch“, „hat in der Sozialforschung die Aufga<strong>be</strong>, Anga<strong>be</strong>n ü<strong>be</strong>r<br />
Einstellungen, Erfahrungen und Verhalten zu einem <strong>be</strong>stimmten Gegenstand zu<br />
erfragen, und zwar derart, dass die Reaktionen <strong>be</strong>stimmter Befragter verglichen<br />
werden können.“ 14 Grundsätzliche Vergleichbarkeit wird durch den vorab formulierten<br />
Interviewleitfaden, welcher gewisse Grundfragen enthält, erreicht. Genannte<br />
Grundfragen dienen als Ausgangspunkt der Untersuchung „zum Erforschen der<br />
Stellungnahme der/des Befragten und ihres/seines Verhaltens.“ 15<br />
Die Forschung bleibt insofern qualitativ, als dass sie „die individuelle Qualität jeder<br />
einzelnen Antwort (...) <strong>be</strong>tont.“ 16 Mit Hilfe von Ergänzungs- und Sondierungsfragen,<br />
die von der Interviewerin an geeignet erscheinender Stelle gestellt werden, wird die<br />
12<br />
Vgl. Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Methoden und Techniken. Band 2. München<br />
1989. S. 55.<br />
13<br />
Vgl. ebda. S. 56.<br />
14<br />
König, Renate (Hrsgin): Das Interview. Formen – Technik – Auswertung. Köln, 7. Aufl., 1972. S. 145<br />
15 Ebda.<br />
16 Ebda.<br />
17
individuelle Eigenheit optimal erfasst. 17 Konkret geht die Interviewerin auf das<br />
Gesagte ein und formuliert danach weitere Fragen. Die Befragte/der Befragte spricht<br />
ü<strong>be</strong>r Gedanken, Erfahrungen und Empfindungen in eigenen Worten. Dies setzt einen<br />
vertrauensvollen Kontakt zwischen Interviewerin und Befragten voraus. Hier<strong>be</strong>i ist die<br />
Sensibilität der Interviewerin gefragt und das Interview muss in einer, der Befragten<br />
vertrauten Atmosphäre, stattfinden. Eine vertrauliche Atmosphäre gilt als<br />
Grundvoraussetzung für tatsächlich gelungene Interviews. Wird der Interviewerin<br />
eine Frage gestellt, so hat diese durchaus die Möglichkeit kurz und bündig darauf zu<br />
antworten, doch ist auch in der qualitativen Befragung die zu <strong>be</strong>fragende<br />
Gesprächspartnerin/der zu <strong>be</strong>fragende Gesprächspartner dominant in der Rolle<br />
der/des Antwortenden. 18<br />
Ein qualitatives Interview autonom zu führen <strong>be</strong>deutet für Flick, Kardorff, Keupp,<br />
Rosenstiel und Wolff (1991) in der Lage zu sein, einzuschätzen, „wann es inhaltlich<br />
angemessen ist vom Frageleitfaden abzuweichen, an welchen Stellen es erforderlich<br />
ist, intensiver nachzufragen, usw.“ 19<br />
Eine derartige Verwendung des Interviewleitfadens garantiert jene Elastizität, welche<br />
für König unerlässlich ist und wird wie folgend <strong>be</strong>schrie<strong>be</strong>n: „(...) elastisch soll (...) der<br />
Interviewer den Leitfaden handha<strong>be</strong>n, die Fragen da stellen, wo sie am natürlichsten<br />
scheinen, soweit wie möglich den Gedankengängen des Befragten folgen und da<strong>be</strong>i<br />
immer auf der Lauer nach unerwarteten Antworten liegen. Gleichzeitig darf ihm das<br />
Interview nicht aus den Händen gleiten.“ 20<br />
Die Erhebung der Daten soll in einer vertrauten Umgebung stattfinden. Um eine<br />
möglichst natürliche Situation herzustellen und authentische Informationen zu<br />
erhalten, erfolgen qualitative Interviews im alltäglichen Milieu der Befragten. 21 Dies<br />
17 Ebda, S. 143.<br />
18 Vgl. Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Methoden und Techniken. Band 2. München<br />
1989. S. 40.<br />
19 Flick, Uwe, Kardorff, Ernst von, Keupp, Heiner, Rosenstiel, Lutz von, Wolff, Stephan (Hrsg.):<br />
Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen.<br />
München 1991. S. 181.<br />
20 König, Renate (Hrsgin): Das Interview. Formen – Technik – Auswertung. Köln, 7. Aufl., 1972. S.<br />
152.<br />
21 Vgl. Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Methoden und Techniken. Band 2. München<br />
1989. S. 68.<br />
18
edeutet für die Befragung von Frauen und Männern mit Behinderung, sie<br />
aufzusuchen: am Ar<strong>be</strong>itsplatz bzw. in ihrem unmittelbaren Le<strong>be</strong>nszusammenhang.<br />
Die Antwortkategorien werden erst nach der Durchführung des Interviews, welches<br />
die individuelle Qualität jeder einzelnen Antwort hervorhebt, entwickelt.<br />
Für die im Rahmen des Forschungsprojektes geplante Untersuchung werden das<br />
leitfadengestützte und das narrative Interview gewählt. Der Interviewleitfaden enthält<br />
zwar relativ detaillierte Fragen, doch ist es gleichzeitig möglich den Leitfaden je nach<br />
Person und Situation flexi<strong>be</strong>l und individuell hand zu ha<strong>be</strong>n. In jedem Fall bietet<br />
diese Art des qualitativen Interviews die Gelegenheit, einzelne Aussagen und Texte<br />
zu vergleichen.<br />
19
4.3 Statistische Anga<strong>be</strong>n zu den InterviewpartnerInnen<br />
Diese Anga<strong>be</strong>n <strong>be</strong>ziehen sich auf die 28 Interviews mit <strong>be</strong>hinderten Frauen und<br />
Männern – 12 Frauen mit Behinderung, acht Männer mit Behinderung und acht<br />
erwerbstätige Frauen mit Behinderung.<br />
Regionale Verteilung der Interviews<br />
Für die Studie wurden in der gesamten Steiermark Interviews geführt, zum einen um<br />
regionale Besonderheiten zu <strong>be</strong>rücksichtigen, zum anderen um mögliche<br />
Unterschiede zwischen Stadt und Land zu untersuchen.<br />
Folgende fünf Regionen wurden im Vorfeld ausgesucht:<br />
• <strong>Graz</strong>, <strong>Graz</strong>-Umgebung<br />
• Steiermark Nord<br />
• Steiermark West<br />
• Steiermark Ost<br />
• Steiermark Süd<br />
Bei den qualitativen Interviews wurde auf eine breite regionale Streuung großer Wert<br />
gelegt, <strong>be</strong>i den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen war dies nicht vorrangiges Kriterium, woraus der<br />
Ü<strong>be</strong>rhang der Interviews im <strong>Graz</strong>er Raum resultiert.<br />
20
Die regionale Verteilung der Interviews:<br />
2 1<br />
1 1<br />
12 4<br />
2 1<br />
3 1<br />
Abbildung 1: Regionale Verteilung der Interviews<br />
Männer<br />
Frauen<br />
21
Altersstruktur<br />
Da die GesprächspartnerInnen <strong>be</strong>reits Erfahrung mit Ar<strong>be</strong>it im weitesten Sinne<br />
ha<strong>be</strong>n sollten, findet dies Berücksichtigung in der Altersstruktur: Die<br />
Altersuntergrenze wurde mit 18 Jahren angesetzt (nach Schule und Ausbildung), die<br />
O<strong>be</strong>rgrenze mit 60 (Pensionsalter).<br />
Das Durchschnittsalter der interviewten Personen lag <strong>be</strong>i 31 Jahren; die Gruppe der<br />
21- bis 30jährigen ist am häufigsten vertreten. Die jüngste interviewte Person war 18,<br />
die älteste 53 Jahre.<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
4<br />
1<br />
Le<strong>be</strong>nssituation<br />
Altersstrukur der InterviewpartnerInnen<br />
8<br />
3<br />
18 bis 20 J. 21 bis 30 J. 31 bis 40 J. ab 40<br />
Abbildung 2: Altersstruktur der InterviewpartnerInnen<br />
In Bezug auf die Le<strong>be</strong>nssituation gibt es eine Ü<strong>be</strong>reinstimmung - alle 28<br />
InterviewparterInnen sind unverheiratet (zwei Frauen sind geschieden). Nur eine<br />
Interviewpartnerin hat Kinder, die übrigen Personen sind kinderlos. Exakt die Hälfte<br />
der interviewten Personen ist allein stehend, etwas mehr als ein Drittel lebt in einer<br />
Beziehung, zu vier Personen gibt es dies<strong>be</strong>züglich keine Anga<strong>be</strong>n.<br />
5<br />
2<br />
3<br />
2<br />
Frauen<br />
Männer<br />
22
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Abbildung 3: Le<strong>be</strong>nssituation der Frauen und Männer mit Behinderung<br />
Frauen und Männer nach Arten der Behinderung<br />
Ziel der Studie war, Frauen und Männer mit verschiedenen Formen von Behinderung<br />
mit einzu<strong>be</strong>ziehen. Ausgeschlossen wurden Frauen und Männer mit<br />
Hör<strong>be</strong>hinderungen, da Vita 2002 eine dies<strong>be</strong>zügliche Studie veröffentlichte. 22<br />
Frauen und Männer mit folgenden Behinderungen werden interviewt:<br />
• Körperliche Beeinträchtigung<br />
• Lernschwierigkeiten<br />
• Seh<strong>be</strong>hinderung<br />
• psychische Problematik<br />
Zusätzlich wurde erho<strong>be</strong>n, ob die Behinderung auf einer chronischen Erkrankung<br />
<strong>be</strong>ruht und ob die Behinderung von Geburt an <strong>be</strong>steht oder zu einem späteren<br />
Zeitpunkt eintrat.<br />
9<br />
5<br />
Le<strong>be</strong>nsituation<br />
alleinstehend Partnerschaft keine Anga<strong>be</strong>n<br />
7<br />
3<br />
22 Breiter, Marion: Projekt VITA. Erkundungsstudie zur <strong>be</strong>ruflichen Le<strong>be</strong>nssituation von gehörlosen<br />
Frauen im Raum Wien und Umgebung. Wien, NÖ, Burgenland, 2002.<br />
4<br />
Frauen<br />
Männer<br />
23
Die <strong>be</strong>iden größten Gruppen der Befragten bilden Personen mit Lernschwierigkeiten<br />
und mit körperlichen Einschränkungen. Zwei Personen mit einer<br />
Mehrfach<strong>be</strong>hinderung (körperliche Einschränkung und Lernschwierigkeiten), zwei<br />
Personen mit Seh<strong>be</strong>hinderung und eine Person mit psychischer Problematik sind in<br />
der Studie vertreten.<br />
Frauen nach Arten der Behinderung<br />
psych. Problematik; 1<br />
Sinnes<strong>be</strong>hinderung; 2<br />
psych. Problematik und<br />
Sinnes<strong>be</strong>hinderung; 0<br />
Lernschwierigkeiten; 10<br />
Mehrfach-<br />
<strong>be</strong>hinderung; 0<br />
Abbildung 4: Frauen nach Arten der Behinderung<br />
Männer nach Arten der Behinderung<br />
Mehrfach<strong>be</strong>hinderung; 2<br />
Lernschwierigkeiten; 3<br />
Abbildung 5: Männer nach Arten der Behinderung<br />
körperliche<br />
Beeinträchtigung; 7<br />
körperliche<br />
Beeinträchtigung; 3<br />
24
20 der <strong>be</strong>fragten Personen sind von Geburt an <strong>be</strong>hindert, <strong>be</strong>i acht trat die<br />
Behinderung erst später ein – durch Krankheit, Unfall etc. – <strong>be</strong>i vier Personen<br />
geschah dies im Kindesalter <strong>be</strong>i vier im Erwachsenenalter. Sie<strong>be</strong>n der <strong>be</strong>fragten<br />
Personen führen eine chronische Krankheit als Ursache für ihre Behinderung an.<br />
Ausbildung<br />
Im Rahmen der Studie wird der höchste erreichte Schulabschluss erho<strong>be</strong>n; die<br />
Kategorisierung erfolgt nach folgenden Schultypen:<br />
• Sonderschule<br />
• Hauptschule<br />
• BHS<br />
• AHS<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
5<br />
5<br />
Höchster Schulabschluss<br />
Abbildung 6: Höchster Schulabschluss<br />
Sonderschul- und Hauptschul<strong>be</strong>such bildeten mit je zehn Personen die stärksten<br />
Gruppen, wo<strong>be</strong>i <strong>be</strong>i den HauptschulabgängerInnen ein deutlicher Ü<strong>be</strong>rhang von<br />
Frauen im Vergleich zu Männern festzustellen ist. E<strong>be</strong>nso ü<strong>be</strong>rwiegen <strong>be</strong>i den<br />
Abschlüssen von Berufsbildenden Höheren Schulen die Frauen, was als Hinweis auf<br />
„traditionelle“ Schulkarrieren der Frauen gewertet werden kann.<br />
1<br />
9<br />
Sonderschule Hauptschule BHS AHS<br />
1<br />
5<br />
1<br />
1<br />
Männer<br />
Frauen<br />
25
Nur wenige InterviewpartnerInnen nahmen an integrativem Unterricht teil: Vier<br />
Personen <strong>be</strong>suchten eine Integrationsklasse – zwei in Volks- und Hauptschule, zwei<br />
von 28 ausschließlich in der Hauptschule.<br />
Erwerbstätigkeit<br />
Zwei der <strong>be</strong>fragten Personen sind zum Zeitpunkt des Interviews nicht erwerbstätig;<br />
26 InterviewparterInnen gehen einer Beschäftigung nach.<br />
In der Studie werden für Erwerbstätigkeit folgende Kategorien unterschieden:<br />
• 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
• 2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt 23<br />
• Beschäftigungstherapie<br />
• Ausbildungsplatz<br />
Elf InterviewparterInnen waren am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt tätig, wo<strong>be</strong>i anzumerken ist, dass<br />
<strong>be</strong>i den acht Gesprächsparterinnen für die Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen Beschäftigung am 1.<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarkt ein un<strong>be</strong>dingtes Auswahlkriterium ist. Eine Person kann dem 2.<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarkt zugeordnet werden, acht Frauen und Männer sind im<br />
Werkstätten<strong>be</strong>reich tätig, sechs ar<strong>be</strong>iten an einem Ausbildungsplatz.<br />
Ausbildung; 6<br />
Erwerbstätigkeit<br />
Ar<strong>be</strong>itssituation<br />
Werkstätte; 8 2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt; 1<br />
Abbildung 7: Erwerbstätigkeit<br />
23 Vgl. www.ar<strong>be</strong>it-wirtschaft.at/aw_02_2001/art4.htm<br />
1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt; 11<br />
26
Fünf der sechs Ausbildungsplätze ha<strong>be</strong>n Männer inne, nur eine Frau ist in einer<br />
Ausbildungsmaßnahme <strong>be</strong>schäftigt. Bei den acht Beschäftigten im<br />
Werkstätten<strong>be</strong>reich handelt es sich ausschließlich um Frauen, die ein narratives<br />
Interviews gege<strong>be</strong>n ha<strong>be</strong>n. Angesichts der geringen Größe der Stichpro<strong>be</strong> können<br />
generell keine verallgemeinernden Aussagen getroffen werden, dennoch ist es<br />
auffallend, dass derart viele Frauen in dem schlecht <strong>be</strong>zahlten Werkstätten<strong>be</strong>reich<br />
tätig sind.<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Erwerbstätigkeit Verteilung Frauen - Männer<br />
1<br />
10<br />
Abbildung 8: Erwerbstätigkeit Verteilung Frauen - Männer<br />
Interessant ist die Verbindung zwischen Erwerbstätigkeit und Schulbildung, die<br />
anhand der unten stehenden Ta<strong>be</strong>lle verdeutlicht wird.<br />
1<br />
1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt 2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt Werkstätte Ausbildungsplatz<br />
Personen Sonderhöchster<br />
Schulabschluss<br />
Hauptgesamt<br />
schule schule<br />
1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt 11 5 4 2<br />
2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt 1 1<br />
Werkstätte 8 6 2<br />
Ausbildungsplatz 6 4 2<br />
Ta<strong>be</strong>lle 1: Schulbildung und Erwerbstätigkeit<br />
8<br />
5<br />
1<br />
Männer<br />
Frauen<br />
BHS AHS<br />
27
Alle Personen, die am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt tätig sind, ha<strong>be</strong>n zumindest einen<br />
Hauptschulabschluss vorzuweisen. Von den acht InterviewparterInnen, die in<br />
Werkstätten ar<strong>be</strong>iten, ha<strong>be</strong>n sechs Sonderschulabschluss und zwei<br />
Hauptschulabschluss. Dies zeigt die keineswegs neue Tatsache, dass höhere<br />
Bildung die Chancen am Ar<strong>be</strong>itsmarkt ver<strong>be</strong>ssert – eine Tatsache, die a<strong>be</strong>r für<br />
Frauen und Männer mit Behinderung von <strong>be</strong>sonderer Bedeutung ist, da für sie der<br />
Zugang zu Bildung oftmals erschwert wurde bzw. wird.<br />
10<br />
3<br />
2,5<br />
2<br />
1,5<br />
1<br />
0,5<br />
0<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Frauen: Schulbildung und Erwerbstätigkeit<br />
1<br />
4<br />
5<br />
1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt Werkstätte Ausbildungsplatz<br />
2<br />
4<br />
Abbildung 9: Frauen: Schulbildung und Erwerbstätigkeit<br />
Männer: Schulbildung und Erwerbstätigkeit<br />
1 1<br />
1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt Werkstätte<br />
Abbildung 10: Männer: Schuldbildung und Erwerbstätigkeit<br />
2<br />
1<br />
1<br />
2 2<br />
AHS<br />
BHS<br />
HS<br />
SO<br />
AHS<br />
BHS<br />
HS<br />
SO<br />
28
Einkommenssituation<br />
Unter Berücksichtigung der niedrigen „Bezahlung“ am 2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt und in<br />
Beschäftigungstherapien, werden folgende Einkommenskategorien erho<strong>be</strong>n, die<br />
daher <strong>be</strong>i 50 Euro ansetzen:<br />
Einkommen<br />
• bis 50 €<br />
• bis 100 €<br />
• bis 200 €<br />
• bis 1000 €<br />
• ü<strong>be</strong>r 1000 €<br />
Die <strong>be</strong>iden stärksten Gruppen bildet jene mit Einkommen bis 50 Euro und jene mit<br />
Einkommen bis 1000 Euro; es folgt die Gruppe mit einem Einkommen ü<strong>be</strong>r 1000<br />
Euro. Zwei der InterviewpartnerInnen <strong>be</strong>ziehen kein Einkommen, weitere zwei wollen<br />
bzw. können keine Anga<strong>be</strong>n zu ihrer Einkommenssituation machen.<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
4<br />
3<br />
1<br />
Einkommenssituation<br />
1<br />
2<br />
bis 50 € bis 100 € bis 200 € bis 1000 € > 1000 € kein<br />
Einkommen<br />
6<br />
1<br />
Abbildung 11: Einkommenssituation der Frauen und Männer mit Behinderung<br />
1<br />
5<br />
1<br />
1<br />
2<br />
k. A.<br />
Frauen<br />
Männer<br />
29
4.4 Begriff der Behinderung<br />
Die Definition von Behinderung in diesem Forschungsprojekt lehnt sich an der<br />
Klassifizierung „International Classification of Functioning, Disability and Health<br />
(ICF)“ 24 der WHO an. Die ICF geht von einem bio-psycho-sozialen Modell aus, das<br />
die Le<strong>be</strong>nswirklichkeit der Betroffenen <strong>be</strong>rücksichtigt und unter Ein<strong>be</strong>ziehung zweier<br />
gängige Modelle zu einem neuen integriert: Das medizinische Modell definiert<br />
Behinderung als das Problem einer Person, das aus einer Krankheit, einem Trauma<br />
oder einem anderen gesundheitlichen Problem resultiert und ist somit defizitorientiert.<br />
Der Schwerpunkt liegt auf medizinischer Versorgung; Ziel ist die Heilung und<br />
Anpassung der Betroffenen an die gängige Norm.<br />
Das soziale Modell <strong>be</strong>trachtet Behinderung als ein gesellschaftlich verursachtes<br />
Problem; Behinderung ist somit kein Merkmal einer Person, sondern ein komplexes<br />
Geflecht von Bedingungen, die großteils vom gesellschaftlichen Umfeld geschaffen<br />
werden. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem sozialen Handeln. Es liegt daher in der<br />
Verantwortung der Gesellschaft, die Umwelt so zu gestalten, dass Menschen mit<br />
Behinderung an allen Bereichen des Le<strong>be</strong>ns teilnehmen können. Ziel ist die<br />
Veränderung gesellschaftlicher Bedingungen.<br />
Damit stützt sich die Definition von Behinderung des ICF auf zwei Aspekte – zum<br />
einen Funktionsfähigkeit und Behinderung zum anderen Kontextfaktoren.<br />
Komponenten von Funktionsfähigkeit und Behinderung sind der Körper und<br />
körperliche Merkmale und auch der Aspekt der Teilha<strong>be</strong> der <strong>be</strong>hinderten Frau/des<br />
<strong>be</strong>hinderten Mannes. Die Kontextfaktoren stellen den gesamten Le<strong>be</strong>nshintergrund<br />
eines Menschen dar. Sie umfassen Umweltfaktoren (Gestaltung der Umwelt im<br />
häuslichen Bereich, Schule oder am Ar<strong>be</strong>itsplatz, persönliche Kontakte, soziale<br />
Strukturen, gesellschaftliche Systeme etc.) und persönliche Faktoren (Geschlecht,<br />
Alter, Le<strong>be</strong>nsstil, Bildung, Beruf, sozialer Hintergrund etc.).<br />
In der Forschungsstudie lag der Schwerpunkt auf dem sozialen Modell. Es ging<br />
darum gesellschaftliche Rahmen<strong>be</strong>dingungen für Frauen und Männer mit<br />
Behinderung zu erhe<strong>be</strong>n, Ressourcen zu erkennen und notwendige Veränderungen<br />
24 Vgl. www.dimidi.de<br />
30
der Umwelt aufzuzeigen. Das medizinische Modell bildete die Grundlage <strong>be</strong>i der<br />
Erhebung der Behinderungsart. Diese wurde erho<strong>be</strong>n, um die spezifischen<br />
Bedürfnisse der Frauen und Männer mit der jeweiligen Behinderung herausfinden zu<br />
können.<br />
31
4.5 Narrative Interviews<br />
4.5.1 Das Ziel<br />
Ziel dieser Interviews war es, Informationen ü<strong>be</strong>r das Le<strong>be</strong>n von Frauen und<br />
Männern mit Behinderung zu <strong>be</strong>kommen: Was ist ihr primäres Interesse? Womit<br />
<strong>be</strong>schäftigen sie sich am liebsten? Wie schaut ihr Alltag aus? Welche Wünsche und<br />
Träume ha<strong>be</strong>n sie für die Zukunft?<br />
Wir wollten herausfinden, welchen Stellenwert Ar<strong>be</strong>it im Le<strong>be</strong>n von <strong>be</strong>hinderten<br />
Frauen und Männern generell hat und ob bzw. welche dies<strong>be</strong>züglichen Unterschiede<br />
es zwischen den Geschlechtern gibt.<br />
4.5.2 Die Methode<br />
Aus dem Spektrum der qualitativen Forschungsmethoden erschien das narrative<br />
Interview für diesen Zweck am geeignetsten.<br />
Beim narrativen Interview geht es darum, die Interviewte/ den Interviewten erzählen<br />
zu lassen, was ihr/ihm gerade einfällt, und so lange, wie sie/er erzählen mag. Dies<br />
eröffnet der/dem Interviewten die Möglichkeit zur autonomen Darstellung der eigenen<br />
Relevanzstrukturen, ohne dass methodische Restriktionen – wie es ein<br />
Interviewleitfaden zum Beispiel ist – den Ablauf der subjektiven Erfahrungs-<br />
rekapitulation durchkreuzen. 25<br />
Die Interviewerhaltung ist die des interessierten Zuhörens. Wo<strong>be</strong>i Bekundungen der<br />
Aufmerksamkeit, wie Kopfnicken, Lachen oder „hm“-Sagen unterstützend und<br />
ermutigend für die/den Erzählenden und zum Weitererzählen animieren sollen.<br />
25 Vgl. Pieper (1993), S.16. Sie verweist hier auf einen Aufsatz von Christel Hopf, der sich mit der<br />
Problematik von Interviewsteuerungen durch die Verwendung von Interviewleitfaden auseinandersetzt<br />
und auf die Gefahr der Blockierung der Informationsgewinnung hinweist. Vgl. dies., Die Pseudo-<br />
Exploration – Ü<strong>be</strong>rlegungen zur Technik qualitativer Interviews in der Sozialforschung, in: Zeitschrift<br />
für Soziologie, 7.Jg. Heft 2, 1978, S.101 ff<br />
32
Zwischenfragen sollen sich auf Verständnisfragen <strong>be</strong>schränken und erst dann<br />
26 27<br />
gestellt werden, wenn der Erzählfluss von selbst nachlässt.<br />
Ein weiteres methodisches Kriterium war die Ressourcenorientierung. Dieser Ansatz<br />
sieht vor, Mädchen/Frauen und Burschen/Männer mit Behinderung als ExpertInnen<br />
in eigener Sache anzuerkennen. Sie sind diejenigen, die ü<strong>be</strong>r ihre ausbildungs- und<br />
<strong>be</strong>rufsspezifische Biographie sachkundig Auskunft ge<strong>be</strong>n und auf Reibungsflächen<br />
und Brüche hinweisen können, denen später zu entwickelnde Maßnahmen<br />
<strong>be</strong>gegnen sollen. Wir wollten von den Frauen und Männern wissen, wie sie<br />
persönlich ihre Situation sehen – mit allen Vor- und Nachteilen, was ihre <strong>be</strong>sonderen<br />
Fähigkeiten sind, welche Behinderungen sie selbst an sich wahrnehmen und wie sie<br />
damit umgehen, welche Wünsche sie persönlich ha<strong>be</strong>n und was sie dafür an<br />
Unterstützung von außen brauchen.<br />
Ressourcenorientiert zu ar<strong>be</strong>iten stellt a<strong>be</strong>r auch Ansprüche an uns als<br />
Forscherinnen. Es <strong>be</strong>deutet für Forscherinnen, sich mit Ihrer persönlichen<br />
Wahrnehmung von Wirklichkeit immer wieder auseinander zusetzen und zu<br />
ü<strong>be</strong>rprüfen, wie weit Wertvorstellungen unhinterfragt ü<strong>be</strong>rnommen werden und damit<br />
auch lenkend wirken. Der persönliche Entwicklungsprozess der Forscherinnen ist als<br />
Teil der Forschung in diese integriert.<br />
Freiwilligkeit als o<strong>be</strong>rstes Gebot, die Interviews sollen unter Vier-Augen stattfinden;<br />
der Ort des Interviews soll von der/dem Interviewpartner/in ausgewählt werden 28 ; und<br />
der Termin sollte ein „open end“-Termin sein, waren weitere grundlegende<br />
Kriterien 29 .<br />
Außerdem sollte die Anonymität der interviewten Frauen und Männer gewahrt<br />
werden. Das heißt, dass sie nicht namentlich genannt und nicht ohne ihr<br />
Einverständnis Fotos veröffentlich werden.<br />
26 Vgl. e<strong>be</strong>nda, S.17. Hier zitiert sie Fritz Schütze, der ü<strong>be</strong>r die Notwendigkeit der synchron zum<br />
Erzählablauf eingesetzten Bekundungen der Aufmerksamkeit schreibt. Ders., Zur soziologischen und<br />
linguistischen Analyse von Erzählungen, in : Internationales Jahrbuch für Wissens- und<br />
Religionssoziologie, Bd. 10, 1976, S.10<br />
27 Ablauf<strong>be</strong>schreibung des narrativen Interviews siehe Anhang.<br />
28 Es sollte ein Ort sein, der der/dem <strong>be</strong>treffenden Interviewpartner/in vertraut ist und an dem sie/er<br />
sich wohl fühlt.<br />
29 Vgl. Allheit (1984).<br />
33
Bereits <strong>be</strong>i der Vorstellung dieses Forschungsansatzes im ExpertInnen<strong>be</strong>irat 30 vor<br />
Beginn der Untersuchung wurden Zweifel <strong>be</strong>züglich der Anwendbarkeit dieses<br />
Ansatzes <strong>be</strong>i der Zielgruppe angemeldet. Es wurde zu <strong>be</strong>denken gege<strong>be</strong>n, dass die<br />
Fähigkeit, ü<strong>be</strong>r das eigene Le<strong>be</strong>n erzählen zu können, die Fähigkeit zur Reflexion<br />
<strong>be</strong>inhaltet. Die/der Befragte muss in der Lage sein, reflexiv ü<strong>be</strong>r ihr/sein Le<strong>be</strong>n<br />
sprechen zu können, sich an die Vergangenheit zu erinnern und dies auch verbal in<br />
einer <strong>be</strong>stimmten Form ausdrücken können, sodass daraus eine Erzählung<br />
entstehen kann. Auf Grund ihrer <strong>be</strong>ruflichen Erfahrungen <strong>be</strong>zweifelten die<br />
ExpertInnen diese Fähigkeit <strong>be</strong>i manchen Frauen und Männern mit<br />
Lernschwierigkeiten.<br />
Diese Einschätzung hat sich in der Praxis <strong>be</strong>stätigt. Wir ha<strong>be</strong>n festgestellt, dass<br />
manche Frauen und Männer mit Lernschwierigkeiten sehr in der Gegenwart le<strong>be</strong>n<br />
und sich ihr Erinnerungsvermögen auf einen kurzen Zeitraum erstreckt. Manchmal<br />
sind es ein paar Wochen, manchmal reicht es ein paar Jahre zurück. Andere waren<br />
wiederum nicht in der Lage, von sich aus Themen anzusprechen, obwohl es ihnen<br />
<strong>be</strong>i gezieltem Nachfragen während des Gespräches doch möglich war, sich an<br />
Ereignisse in der Vergangenheit zu erinnern.<br />
Diese Erfahrungen führten zu einer teilweisen Änderung des ursprünglichen<br />
Ansatzes, indem wir, sobald wir die Notwendigkeit sahen, spontan dazu ü<strong>be</strong>rgingen<br />
mehr oder weniger oft Zwischenfragen zu stellen. Bei zwei Frauen und zwei Männern<br />
war jedoch auch dies nicht möglich. Diese Interviews liefen schlussendlich auf ein<br />
Zwiegespräch zwischen Interviewerin und der/dem Interviewten hinaus und wichen<br />
daher vom Konzept des narrativen Interviews stark ab.<br />
Zusammengefasst sieht der tatsächlich zur Anwendung gekommene<br />
Forschungsansatz fol<strong>gender</strong>maßen aus:<br />
Narrative Interviews: 4: 3 mit Männern, 1 mit einer Frau<br />
Narrative Interviews mit Zwischenfragen: 12: 3 mit Männern, 9 mit Frauen<br />
Zwiegespräche: 4: 2 mit Männern 2 mit Frauen<br />
30 Der hier genannte ExpertInnen<strong>be</strong>irat setzte sich auch Frauen und Männern zusammen, die<br />
entweder selbst <strong>be</strong>troffen oder <strong>be</strong>ruflich mit Angelegenheiten von <strong>be</strong>hinderten Frauen und Männern<br />
zu tun ha<strong>be</strong>n.<br />
34
4.5.3 Die Stichpro<strong>be</strong><br />
Die Stichpro<strong>be</strong> <strong>be</strong>steht aus 20 Interviews, 12 davon mit Frauen und 8 mit Männern.<br />
Die Anzahl der zu <strong>be</strong>fragenden Frauen ergab sich aus der Tatsache, dass Mädchen<br />
und Frauen gegenü<strong>be</strong>r Burschen und Männern mit Behinderung in den derzeitigen<br />
Betreuungsangeboten wesentlich seltener - im Verhältnis zwei zu drei -<br />
<strong>be</strong>rücksichtigt werden. 31<br />
Weitere Auswahlkriterien waren Ausgewogenheit in:<br />
4.5.4 Kontaktaufnahme<br />
• Regionale Verteilung: Stadt – Land<br />
• Arten der Behinderung<br />
• Altersstreuung<br />
• Wohnsituation: Institution – privat<br />
Das Finden der 20 InterviewpartnerInnen gestaltete sich einfach. Als Einstieg bot<br />
sich eine Veranstaltung der „Selbst<strong>be</strong>stimmt Le<strong>be</strong>n“ – Bewegung am 16.Juni 2004 in<br />
der „Brücke“, <strong>be</strong>i der der Film „BlickBestimmung“ 32 vorgeführt und diskutiert wurde,<br />
an. Als wir an diesem A<strong>be</strong>nd unser Projekt vorstellten, erklärten sich spontan zwei<br />
Frauen und ein Mann zu einem Interview <strong>be</strong>reit. Von ihnen wurden uns wiederum<br />
weitere Ansprechpersonen genannt. Ü<strong>be</strong>r Vermittlung von persönlich Bekannten und<br />
Ansprechpersonen in Wohnprojekten gelang es uns binnen kurzer Zeit den Bedarf<br />
an InterviewpartnerInnen zu rekrutieren. Wir hätten leicht weitere<br />
InterviewpartnerInnen gewinnen können.<br />
31 Siehe Projektantrag vom April 2004, 3.1.<br />
32 Der Film thematisiert anhand von 11 Biographien <strong>be</strong>hinderter Frauen und Männer Formen von<br />
persönlicher Assistenz.<br />
35
4.5.5 Die Interviewsituation<br />
16 der 20 Interviews fanden am Wohnort der <strong>be</strong>fragten Frauen und Männer statt.<br />
Jeweils eine Frau und ein Mann kamen auf eigenen Wunsch zu uns ins<br />
<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> und <strong>be</strong>i jeweils einer Frau und einem Mann wurde als<br />
Interviewort die Ar<strong>be</strong>itsstelle vereinbart. Mit zwei Interviewpartnerinnen musste<br />
aufgrund von technischen Pannen ein zweites Gespräch geführt werden. Alle<br />
InterviewpartnerInnen waren dem Interview gegenü<strong>be</strong>r positiv eingestellt. Es war<br />
offensichtlich, dass die Frauen und Männer stolz darauf waren, einen Beitrag leisten<br />
zu können. Dementsprechend verhielten sie sich sehr kooperativ und mitteilsam. Das<br />
Vorstellen der Interviewerin und des Projektes fiel in den meisten Fällen kurz aus und<br />
es wurde sehr bald mit dem tatsächlichen Interview <strong>be</strong>gonnen. Das Interview fand<br />
immer unter 4-Augen statt. In zwei Fällen wurde darü<strong>be</strong>r hinaus ein Gespräch mit der<br />
Mutter geführt, in weiteren zwei Fällen mit einer Betreuerin, aus dem weitere<br />
Informationen, die in die Auswertung einflossen, hervorgingen.<br />
4.5.6 Die Transkription<br />
Die Interviews wurden auf Band aufgezeichnet. Das <strong>be</strong>im Interview gewonnene<br />
Tondokument wurde im Anschluss verschriftlicht, d.h. wortwörtlich in einen<br />
schriftlichen Text umgewandelt. Da<strong>be</strong>i war die Genauigkeit der Ü<strong>be</strong>rtragung von<br />
großer Bedeutung. Wortwiederholungen, Pausen, Lautstärke, Gefühlsäußerungen<br />
wie Lachen und Weinen, a<strong>be</strong>r auch Hüsteln, Räuspern und ahaas und mhmms<br />
wurden wortgetreu wiedergege<strong>be</strong>n. Dialektausdrücke wurden in Hochsprache<br />
wiedergege<strong>be</strong>n. Da<strong>be</strong>i wurde darauf geachtet, dass keine grammatikalischen<br />
Veränderungen oder Veränderungen der Satzstellung vorgenommen wurden.<br />
36
4.5.7 Die Auswertung<br />
Für die Auswertung wurde das Textinterpretationsprogramm ATLAS/ti verwendet.<br />
Dazu wurden die im Word verschriftlichten Interviews als Dateityp „Nur Text mit<br />
Zeilenwechsel“ im ATLAS/ti - Programm gespeichert und anschließend kodiert. Dies<br />
ermöglichte einen Ü<strong>be</strong>rblick ü<strong>be</strong>r alle wörtlichen Äußerungen, die zu einem<br />
<strong>be</strong>stimmten Thema gemacht wurden.<br />
Der Prozess der Kodierung war ein zweigeteilter. Im ersten Schritt wurde in<br />
Anlehnung an das Forschungsziel und der im Laufe der Studie gesammelten<br />
Erfahrungen ein erster Katalog von Codes erstellt. Der zweite Schritt erfolgte im<br />
Laufe der Kodeverga<strong>be</strong> und ergänzte und verfeinerte den ursprünglichen Katalog. 33<br />
Nach Abschluss der Kodierung wurden für die Auswertung alle Textpassagen einer<br />
relevanten Kategorie gemeinsam aufgerufen und ausgedruckt. Dies war eine der<br />
wichtigsten Grundlagen für die Auswertung.<br />
„Doch jede Situation ist komplexer, als dass sie auszählbar gemacht werden könnte“,<br />
<strong>be</strong>schreibt der Pädagoge Dieter Baacke die Komplexität der Informationen, die aus<br />
narrativen Interviews gewonnen werden kann 34 . Er zitiert dazu den Historiker H.<br />
Lüb<strong>be</strong>, der sagt:<br />
• „Was aus Geschichten herauskommt, ist nicht das, was einer wollte, was<br />
natürlich nicht ausschließt, dass innerhalb von Geschichten Handelnde Tun,<br />
was sie wollen. Evident ist diese Struktur <strong>be</strong>i Personen. Wer oder was jeweils<br />
einer ist, ist er geworden, und dazu trug <strong>be</strong>i, was er tat oder unterließ. A<strong>be</strong>r<br />
niemand kann sich in seiner Identität als das Produkt seines Willens zur<br />
Produktion dieses Produkts denken. Wir sind Referenzsubjekt, a<strong>be</strong>r nicht<br />
Handlungssubjekt unserer Le<strong>be</strong>nsgeschichte. 35 “<br />
Wir ha<strong>be</strong>n es hier also mit „Ausschnitten“ aus und „Einblicken“ in ein „Ganzes“ zu<br />
tun, das man eine individuelle Biographie nennen könnte. Das Ganze ist jedoch weit<br />
33 Vgl. www.atlasti.de<br />
34 Vgl. Baacke/Schulze (1979), S. 23<br />
35 Vgl. e<strong>be</strong>nda, S. 29f<br />
37
mehr, als das hier zugrunde liegende Interviewprotokoll. Was man daraus laut<br />
Baacke gewinnen kann, sind: „vorsichtig zu gebrauchende Orientierungen“ 36 .<br />
Bei der Analyse narrativer Interviewprotokolle ging es darum, aus der Kenntnis<br />
vergleichbarer Personengruppen und Le<strong>be</strong>nszusammenhängen Hypothesen zu<br />
entwickeln, an denen entlang eine erste vage Konstruktion von Zusammenhängen<br />
versucht werden kann. Es kam uns darauf an, ü<strong>be</strong>r Hypothesen<br />
Aufmerksamkeitsrichtungen zu markieren, Indizien zu sammeln, deren Gewicht<br />
allerdings nicht auf Anhieb durch das Aufspüren „zutreffender“ Aussagen <strong>be</strong>legbar<br />
ist. 37<br />
Für die Interpretation von qualitativen Interviews ist ein vierfacher Aspekt von<br />
Sinnkonstitution zu <strong>be</strong>rücksichtigen:<br />
1) Der Interviewte erzählt nicht nur objektive Bege<strong>be</strong>nheiten aus seiner<br />
Erinnerung, sondern interpretiert diese Erinnerungen gleichzeitig auf dem<br />
Raster seiner heutigen Erfahrungen.<br />
2) Die Interviewsituation stellt selbst einen Interaktionszusammenhang dar.<br />
Dadurch wird zwischen den Interaktionspartnern eines Interviews<br />
Interaktionssinn ausgehandelt. Das <strong>be</strong>deutet, dass eine Interpretation von<br />
Interviewprotokollen sich immer schon auf einen doppelt interpretierten<br />
Sinnzusammenhang <strong>be</strong>zieht.<br />
3) Es entsteht ein Interaktionssinn zwischen Interpreten und Text des Protokolls.<br />
Der kommt dadurch zustande, dass der Interpret die <strong>be</strong>iden vorgenannten<br />
Aspekte von Sinnkonstitution auf die Folie seiner subjektiven Sichtweise<br />
interpretierend zu erfassen sucht.<br />
4) Wenn nun ü<strong>be</strong>r die Interpretationen der vorgenannten Sinnkonstitutionen<br />
hinaus auch Rückschlüsse auf Bedingungen objektiver Wirklichkeit gezogen<br />
werden sollen, die sich den subjektiven Situationsdefinitionen der Interviewten<br />
noch entziehen, erfolgt eine vierte Sinnkonstitution ü<strong>be</strong>r den interpretativen<br />
Filter der Forscher.<br />
Forschungspraktisch <strong>be</strong>deuten die vier Aspekte von Sinnkonstitution zunächst, dass<br />
die Forscherin/der Forscher die Perspektive der Betroffenen virtuell ü<strong>be</strong>rnehmen<br />
muss. Dieses Sichhineinversetzen in die Rolle des/der Interviewten, um seine/ihre<br />
36 Vgl. e<strong>be</strong>nda, S. 31<br />
37 Vgl. e<strong>be</strong>nda, S. 185<br />
38
Konzepte und Sinnperspektiven verstehen und erklären zu können, ist deshalb<br />
angemessen, weil die Interpretationsmuster von ForscherIn und Interviewten auf<br />
einer alltagtheoretischen E<strong>be</strong>ne potentiell gleich sind 38<br />
Bei der Interpretation gingen wir methodisch so vor, dass wir uns zwar zunächst<br />
einzelnen Textstellen aus den Interviewprotokollen zuwanden, diese jedoch nicht<br />
isoliert interpretierten, sondern den Stellenwert der Textstellen aus dem<br />
Gesamtkontext des Interviewprotokolls erschlossen 39 .<br />
Es wurden von uns 127 Codes (=Kategorien) verge<strong>be</strong>n, die in 22 Code Families<br />
eingeteilt sind. 40<br />
Die am häufigsten genannten Kategorien sind:<br />
Kategorien Insgesamt Von Frauen Von Männern<br />
genannt<br />
genannt<br />
genannt<br />
Freizeitaktivität 55 29 26<br />
Selbstdarstellung 36 12 24<br />
FreundInnen 36 17 19<br />
Ar<strong>be</strong>itssituation 36 27 9<br />
Wohnsituation 35 30 5<br />
Vorherige Ar<strong>be</strong>it 32 18 14<br />
Ta<strong>be</strong>lle 2: Narrative Interviews - Kategorien<br />
Während <strong>be</strong>i Freizeitaktivitäten, FreundInnen und vorherige Ar<strong>be</strong>it die Zahl der<br />
Wortmeldungen annähernd gleich sind, findet man <strong>be</strong>i der Selbstdarstellung<br />
eindeutig einen Ü<strong>be</strong>rhang <strong>be</strong>i den männlichen Wortmeldungen. Bei Ar<strong>be</strong>its- und<br />
Wohnsituation waren es dann die Frauen, die sich öfters dazu äußerten.<br />
38 Vgl. e<strong>be</strong>nda, S.192f<br />
39 vgl. e<strong>be</strong>nda, S.192<br />
40 Siehe Anhang<br />
39
4.5.8 Die Auswertung im Detail<br />
Statistische Daten<br />
Regionale Verteilung<br />
Abbildung 12: Narrative Interviews – Regionale Verteilung der Interviews<br />
Arten der Behinderung<br />
Frauen nach Arten der Behinderung - narrative Interviews<br />
Lernschwierigkeiten; 7<br />
Sinnes<strong>be</strong>hinderung; 1<br />
1 1<br />
1 2<br />
4 6<br />
1 2<br />
Mehrfach<strong>be</strong>hinderung; psychische Problematik;<br />
0<br />
1 1<br />
körperliche<br />
Beeinträchigung; 4<br />
Abbildung 13: Narrative Interviews – Frauen nach Arten der Behinderung<br />
Männer<br />
Frauen<br />
40
Altersstruktur<br />
Männer nach Arten der Behinderung - narrartive Interviews<br />
Mehrfach<strong>be</strong>hinderung; 2<br />
psychische Problematik;<br />
0<br />
Sinnes<strong>be</strong>hinderung; 0<br />
Lernschwierigkeiten; 3<br />
körperliche<br />
Beeinträchigung; 3<br />
Abbildung 14: Narrative Interviews – Männer nach Arten der Behinderung<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
18 bis 20 J.<br />
Altersstrukutur - narrative Interviews<br />
5 5 5 5<br />
21 bis 30 J.<br />
31 bis 40 J.<br />
ab 40<br />
Durchschnitt<br />
Abbildung 15: Narrative Interviews - Altersstruktur<br />
33<br />
41
Wohnsituation<br />
4,5<br />
4<br />
3,5<br />
3<br />
2,5<br />
2<br />
1,5<br />
1<br />
0,5<br />
0<br />
Wohnsituation - qualitative Interviews<br />
Privat/Bei den Eltern Privat/Eigene Wohnung Institution/Trainingswohnung Institution/Heim<br />
Abbildung 16: Narrative Interviews – Wohnsituation<br />
An den Anfang stellen wir aus Verständnisgründen eine Kurz<strong>be</strong>schreibung der<br />
Le<strong>be</strong>nsläufe aller 20 von uns interviewten Frauen und Männer. Da<strong>be</strong>i gehen wir auf<br />
das Alter, die Behinderung, die Ausbildung, die Berufserfahrung, die derzeitigen<br />
Le<strong>be</strong>nsumstände und die Zukunftswünsche ein, soweit sie im Interview ausgedrückt<br />
wurden. Die Unterschiedlichkeit der <strong>be</strong>schrie<strong>be</strong>nen Le<strong>be</strong>nsläufe liegt im<br />
Forschungsansatz <strong>be</strong>gründet. Die Interviews dauerten zwischen 20 Minuten und 2<br />
Stunden und hatten sehr unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte. Da es nicht<br />
vorgesehen war, zusätzliche Informationen ü<strong>be</strong>r die Interviewten einzuholen, sind die<br />
zugrunde liegenden Informationen auch unterschiedlich. Zur Wahrung der<br />
Anonymität sind die einzelnen Le<strong>be</strong>nsläufe mit Buchsta<strong>be</strong>n nach dem Alpha<strong>be</strong>t<br />
<strong>be</strong>nannt. Ein möglicher Rückschluss auf die tatsächlichen Namen wäre da<strong>be</strong>i rein<br />
zufällig.<br />
Danach ha<strong>be</strong>n wir Antworten auf die als Forschungsziel formulierten Fragen gesucht<br />
und schließlich gehen wir auf Bereiche ein, die im Zuge der Interviews immer wieder<br />
angesprochen wurden. Die da<strong>be</strong>i verwendeten Zitate sind aus Anonymitätsgründen<br />
nicht namentlich <strong>be</strong>nannt.<br />
Frauen<br />
Männer<br />
42
Kurz<strong>be</strong>schreibung der Le<strong>be</strong>nsläufe<br />
Frauen<br />
Frau A., eine Enddreißigerin mit Lernschwierigkeiten, wuchs mit ihrer Mutter und<br />
zwei Brüdern auf einem Bauernhof auf. Sie <strong>be</strong>suchte die Sonderschule. Dane<strong>be</strong>n<br />
musste sie sehr viel im Stall und auf dem Feld mithelfen. Später hat sie verschiedene<br />
Ar<strong>be</strong>itsstellen ausprobiert. Doch nirgends konnte sie auf Dauer blei<strong>be</strong>n, da sie viel zu<br />
langsam war. Jetzt ist sie schon seit 20 Jahren <strong>be</strong>i der gleichen Einrichtung. Hier hat<br />
sie ein schönes Zimmer in einer Wohngemeinschaft und ar<strong>be</strong>itet tagsü<strong>be</strong>r in der<br />
Werkstattküche. Sie ist zufrieden mit ihrem Le<strong>be</strong>n, schließlich hat sich gegenü<strong>be</strong>r<br />
früher viel ver<strong>be</strong>ssert. Dass jedoch der Kontakt zum Elternhaus abgebrochen ist,<br />
macht sie sehr traurig.<br />
Frau B. ist als „blaues Baby“ zur Welt gekommen und seither als Schwerst<strong>be</strong>hindert<br />
eingestuft. Ihre Einschränkungen sind hauptsächlich im Lern<strong>be</strong>reich. Manchmal hat<br />
sie auch Gedächtnisausfälle. Da bleibt sie plötzlich stehen. Wenn sie dann wieder zu<br />
sich kommt, weiß sie nicht mehr, was vorher geschehen ist 41 . Sie lebt seit ihren<br />
ersten Le<strong>be</strong>nsmonaten <strong>be</strong>i einer Pflegefamilie. Sie ist dort gut aufgeho<strong>be</strong>n und fühlt<br />
sich wohl. Tagsü<strong>be</strong>r ist die 20-Jährige in einer Tageswerkstätte untergebracht. Dort<br />
ist sie <strong>be</strong>schäftigt und fühlt sich angenommen, so wie sie ist. Für die Zukunft wünscht<br />
sie sich eine zärtliche Beziehung und Ar<strong>be</strong>it im Haushalt, eventuell auch in einem<br />
eigenen.<br />
Frau C. ist zu früh auf die Welt gekommen und von Geburt an Spastikerin. Sie hat<br />
die Volks- und Hauptschule <strong>be</strong>sucht und hatte es als einzige Behinderte in der<br />
jeweiligen Schulklasse schwer. Später hat sie in einer Behindertenschule<br />
Selbständigkeit gelernt. Heute ist sie 48 Jahre alt, ar<strong>be</strong>itet seit fast 30 Jahren als<br />
Küchenhilfe und hat Frühpension <strong>be</strong>antragt, weil ihr Körper nicht mehr mitmachen<br />
will.<br />
Frau D., eine 20-jährige Frau mit Lernschwierigkeiten, hat sich schon in der<br />
Sonderschule nicht ausreichend unterstützt gefühlt. Als sie dann in einer<br />
Behinderteneinrichtung eine Ausbildung als Bäckerin und Küchenhilfe gemacht hat,<br />
hatte sie immer wieder Probleme mit dem Tempo und konnte deshalb nirgends Fuß<br />
fassen. Schließlich hat sie in einem anderen Behindertenprojekt Aufnahme<br />
41 Ü<strong>be</strong>r die Auswirkungen ihrer Behinderung wissen wir von ihrer Mutter und ihrer Betreuerin in der<br />
Tageswerkstätte.<br />
43
gefunden, wo jetzt auf ihre Möglichkeiten eingegangen wird. Hier fühlt sie sich wohl<br />
und ist motiviert, weiterzumachen.<br />
Frau E., erfuhr in ihrer Familie viel Gewalt, und zwar so stark, dass sie dauerhafte<br />
körperliche Behinderungen davongetragen hat. Schließlich wuchs sie in einem<br />
Internat für Behinderte auf. Dort wohnte sie und ging auch zur Schule. Sie ist noch<br />
heute traumatisiert von den Ereignissen in der Kindheit und hat ständig Angst, dass<br />
ihre Familie etwas, von dem ,was sie sagt oder tut, erfährt. Inzwischen hat die ü<strong>be</strong>r<br />
40jährige einen Platz in einem Heim gefunden, wo sie sich wohl und aufgeho<strong>be</strong>n<br />
fühlt. Für sie ist die Möglichkeit, in der Beschäftigungstherapie zu ar<strong>be</strong>iten und ein<br />
kleines Taschengeld zu <strong>be</strong>kommen, ausreichend.<br />
Frau F. hat eine frühkindliche Hirnschädigung und epileptische Anfälle. Sie ist in<br />
einer Pflegefamilie aufgewachsen, die ihr mit sehr viel Geduld in der Sonderschule<br />
geholfen hat, sodass sie heute lesen und schrei<strong>be</strong>n kann. Danach war sie 11 Jahre<br />
in der Näherei einer Einrichtung. Als diese zugemacht hat, fand sie in einer<br />
Tageswerkstätte Aufnahme. Da wurde in erster Line gebastelt. Das hat ihr nicht<br />
gefallen, weil es für sie eher Hobby als Ar<strong>be</strong>it war. Jetzt ist die inzwischen 44jährige<br />
in der Wäscherei tätig. Sie findet es frustrierend, dass sie damit keine<br />
Pensions<strong>be</strong>rechtigung hat und dass die Ar<strong>be</strong>itsstätte im Keller ist, wo es kein<br />
Tageslicht gibt. Sie ist sehr an dem, was um sie herum passiert, interessiert und setzt<br />
sich gut für sich und andere ein.<br />
Frau G., eine 21-jährige Frau mit Down Syndrom, liebt es, Bier auszuschenken. Es<br />
gefällt ihr zwar nicht da, wo sie es jetzt tut, a<strong>be</strong>r die Tätigkeit stimmt. Sie lebt mit<br />
ihren Eltern und Geschwistern, in ihrer Freizeit verfolgt sie vielfältige Aktivitäten.<br />
Dass Frau H. eine Behinderung hat, wurde erst mit 6 Jahren offensichtlich.<br />
Eingestuft wurde sie jedoch erst mit 18 Jahren, nachdem es ihr nach dem<br />
Hauptschulabschluss nicht gelungen war, <strong>be</strong>ruflich Fuß zu fassen. Jetzt ist sie 21<br />
Jahre alt und in einem Wohn- und Ausbildungsprojekt für Behinderte, das<br />
Berufsorientierung und Teilqualifizierung anbietet, untergebracht. Es gefällt ihr sehr<br />
gut und sie ist sehr motiviert, sich weiterzuentwickeln.<br />
Frau I. ist 40 Jahre alt. Sie erkrankte an einem Hüftleiden erkrankt, das sich immer<br />
mehr verschlimmert hat, sodass sie inzwischen als 50% <strong>be</strong>hindert gilt. Sie hat<br />
Bürokauffrau gelernt und war zwischendurch als Fußpflegerin tätig – auch in der Zeit<br />
als sie krankheits<strong>be</strong>dingt <strong>be</strong>wegungsunfähig war. Zuletzt hat sie in einem Projekt<br />
gear<strong>be</strong>itet und ist derzeit ar<strong>be</strong>itslos.<br />
44
Frau J. kam mit offenem Rücken und weiteren Behinderungen zur Welt. Die<br />
ÄrztInnen ga<strong>be</strong>n ihr nur ein paar Monate Le<strong>be</strong>nschance. Inzwischen ist sie 20 und<br />
auf dem Weg zur Selbständigkeit. Mit großer Unterstützung ihrer Eltern hat sie die<br />
Volks-, Haupt- und Haushaltungsschule in einer Integrationsklasse <strong>be</strong>sucht und ist<br />
derzeit in einer Tageswerkstätte untergebracht. Einmal in der Woche ar<strong>be</strong>itet sie in<br />
einer Gemischtwarenhandlung. Sie ist sehr zufrieden mit ihrem Le<strong>be</strong>n.<br />
Frau K, eine von Geburt an seh<strong>be</strong>hinderte Frau um die dreißig, hat sich schon früh<br />
mit ihrer Behinderung auseinandergesetzt und einen Beruf gesucht, der zu ihr passt.<br />
Sie ist inzwischen seit 11 Jahren als Telefonistin am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt tätig und im<br />
Moment damit <strong>be</strong>schäftigt, sich <strong>be</strong>ruflich neu zu orientieren. In ihrer<br />
Eigentumswohnung hat sie viel Freude.<br />
Frau L. ist 47. Sie lebt in einem Heim und ar<strong>be</strong>itet in der We<strong>be</strong>rei. Dort hat sie seit<br />
18 Jahren einen Le<strong>be</strong>nsgefährten, mit dem sie alles teilt. Sie ziehen demnächst auch<br />
in eine gemeinsame Wohnung innerhalb dersel<strong>be</strong>n Institution.<br />
Männer<br />
Herr A. ist um die 40. Er hat von Geburt an eine Lernschwäche. Auf Betrei<strong>be</strong>n der<br />
Sozialar<strong>be</strong>iterin kam er als Jugendlicher in ein Internat für Behinderte, wo es ihm gar<br />
nicht gefiel. Später hat er mit seinem Vater als angelernter Schlosser gear<strong>be</strong>itet. Es<br />
hat ihm gut gefallen, a<strong>be</strong>r zwischendurch hatte er immer wieder Ausfälle und<br />
unterbrach die Ar<strong>be</strong>it mehr oder weniger lang. Jetzt ist er ar<strong>be</strong>itsunfähig und lebt von<br />
der Sozialhilfe. Nach der Diagnose MS ist er Rollstuhlfahrer und <strong>be</strong>dauert die Zeit,<br />
die er nicht gear<strong>be</strong>itet hat, weil sie ihm jetzt für die Frühpension fehlt.<br />
Herr B. ist seit früher Kindheit als schwerst<strong>be</strong>hindert eingestuft. Deshalb konnte er<br />
nur die Spielgruppe der Sonderschule <strong>be</strong>suchen, was ihm heute noch zu schaffen<br />
macht. Doch seine Pflegeeltern ermöglichten ihm mit Hilfe von Privatunterricht, dass<br />
der heute 24Jährige Lesen und Schrei<strong>be</strong>n kann. Die Ar<strong>be</strong>it als Gärtner am 2.<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarkt gefällt ihm. Dort fühlt er sich aufgeho<strong>be</strong>n. Es <strong>be</strong>schäftigt ihn nicht sehr,<br />
ob er eine Anstellung <strong>be</strong>kommt und wie viel er verdient. Er ist jedoch sehr stolz auf<br />
seinen Mopedführerschein, der ihn offensichtlich ein bisschen mit seiner<br />
Vergangenheit, in der ihm nicht viel zugetraut wurde, versöhnt.<br />
Herr C. hat e<strong>be</strong>nfalls von Geburt an Lernschwierigkeiten und dazu noch von Zeit zu<br />
Zeit epileptische Anfälle. In einem mehrwöchigen Berufsfindungskurs wurde klar,<br />
dass er keine Berufsschule schaffen kann. Der heute 24-Jährige hat sich danach<br />
45
selbst das Herstellen von Modelle aus Holz <strong>be</strong>igebracht. Diese Modelle fertigt er als<br />
Geschenke für Freunde und Bekannte an. Jetzt ist er in einer Tageswerkstätte<br />
untergebracht, wo er „Außendienst“ macht. Da stellen sie Festzelte und Bühnen auf,<br />
helfen <strong>be</strong>i der Ausschank und wo sonst noch Hilfe gebraucht wird.<br />
Herr D. ist 40 Jahre alt. Aufgrund von zwei Jugendunfällen ist er querschnittgelähmt<br />
und kann die rechte Hand nicht <strong>be</strong>wegen. Dennoch konnte er die Matura in einer<br />
AHS machen. Das Studium musste er jedoch aufgrund von Mangel an persönlicher<br />
Assistenz aufge<strong>be</strong>n. Heute ist er in einer Beratungsstelle für <strong>be</strong>hinderte Menschen<br />
angestellt und engagiert sich für das selbst<strong>be</strong>stimmte Le<strong>be</strong>n von Männern und<br />
Frauen mit Behinderung.<br />
Herr E. war eine Frühgeburt, als er vor 54 Jahren zur Welt kam. Davon sind ihm<br />
mehrfache Behinderungen geblie<strong>be</strong>n, die sich im Laufe seines Le<strong>be</strong>ns<br />
verschlechtert ha<strong>be</strong>n. Schon in früher Jugend kam er in ein Internat für Behinderte,<br />
weit weg von zu Hause. Heute ist er in einem Behindertenprojekt untergebracht, in<br />
dem er Selbständigkeit lernt. Er freut sich darauf, bald in eine <strong>be</strong>treute Wohnung<br />
gemeinsam mit seinem Freund ziehen zu können.<br />
Herr F., ein 18jähriger Mann mit Lernschwierigkeiten hat nach dem<br />
Hauptschulabschluss einen Berufsorientierungskurs gemacht. Jetzt macht er<br />
Praktika in verschiedenen Geschäften und hofft auf eine dauerhafte Anstellung als<br />
Regal<strong>be</strong>treuer.<br />
Herr G. hat Bäcker gelernt. Nach Gewalterfahrungen in der Kindheit hatte er<br />
<strong>be</strong>ruflich und privat stets Schwierigkeiten, war aggressiv, hatte Alkoholprobleme und<br />
landete schließlich sogar im Knast. Mit 25 hatte er einen Schlaganfall und ist seither<br />
linksseitig stark körper<strong>be</strong>hindert. Jetzt ar<strong>be</strong>itet der 29-Jährige in der<br />
Beschäftigungstherapie als Bäcker und lebt in einer <strong>be</strong>treuten Trainingswohnung.<br />
Das gefällt ihm. Er hat mit einer Kollegin auch ein Kochbuch zusammengestellt, das<br />
er verkaufen will.<br />
Herr H. ist 54. Er hat von Geburt an Lernschwierigkeiten. Er ist <strong>be</strong>i Zieheltern<br />
aufgewachsen, hat We<strong>be</strong>r gelernt und seinen Beruf mit Gesellenprüfung<br />
abgeschlossen und auch in seinem Beruf gear<strong>be</strong>itet. All die Zeit hat er <strong>be</strong>i Zieheltern<br />
gewohnt. Als diese gestor<strong>be</strong>n sind, fand er in einem Heim mit integrierter Werkstätte<br />
Aufnahme. Hier lebt er glücklich mit seiner Freundin, bald in einer gemeinsamen<br />
Wohnung.<br />
46
Was ist das vordergründige Interesse der <strong>be</strong>fragten <strong>be</strong>hinderten Frauen und<br />
Männer?<br />
Will man auf diese Fragen mittels erzählter Geschichte Antwort finden, so darf man<br />
nicht außer acht lassen, dass das Interview in erster Linie etwas ü<strong>be</strong>r die momentane<br />
Befindlichkeit und damit auch ü<strong>be</strong>r das zum Zeitpunkt des Interviews vordergründige<br />
Interesse aussagt. Ein, ein paar Tage später geführtes Interview kann <strong>be</strong>reits ganz<br />
andere Schwerpunkte setzen.<br />
Von den 12 <strong>be</strong>fragten Frauen ha<strong>be</strong>n vier zum Ausdruck gebracht, dass sie mit der<br />
gegenwärtigen Situation sehr zufrieden sind und ihr primäres Interesse darin liegt,<br />
dass es bleibt, wie es ist. Drei dieser Frauen ha<strong>be</strong>n viel „hinter sich“ und genießen<br />
die derzeitige Situation. Sie stellt eine eindeutige Ver<strong>be</strong>sserung gegenü<strong>be</strong>r der<br />
Vergangenheit dar. Zwei davon <strong>be</strong>ziehen diese Äußerung in erster Linie auf ihre<br />
Wohnsituation, eine dritte auf ihren Ar<strong>be</strong>itsplatz. Die vierte schließt <strong>be</strong>ides mit ein<br />
und freut sich darü<strong>be</strong>r, dass sie trotz ihrer mehrfachen körperlichen Behinderung ein<br />
weitgehend normales Le<strong>be</strong>n führt und stellt die Dankbarkeit für die zahlreiche Hilfe,<br />
die sie von ihrer Familie und ihrer Umwelt <strong>be</strong>kommt, in den Mittelpunkt des<br />
Interviews.<br />
Für vier Frauen ist Ar<strong>be</strong>it das zentrale Thema in ihrer erzählten Geschichte. Drei<br />
dieser Frauen sind um die 20 und in einer Phase der Berufsorientierung und<br />
Ausbildung. Es ist ihnen wichtig, eine ihren Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit zu<br />
finden. Die vierte Frau ist derzeit ar<strong>be</strong>itslos. Sie ist mit der Aufar<strong>be</strong>itung der<br />
Ereignisse im vorangegangenen Job <strong>be</strong>schäftigt und auf der Suche nach einem<br />
neuen Betätigungsfeld.<br />
Eine neue Wohnung ist für zwei der interviewten Frauen von zentraler Wichtigkeit.<br />
Die eine hat gerade eine neue Wohnung – erstmals in ihrem fast 40-jährigen Le<strong>be</strong>n –<br />
<strong>be</strong>zogen und ist mit dem Einrichten und der Alltags<strong>be</strong>wältigung <strong>be</strong>schäftigt. Die<br />
andere wird in absehbarer Zeit eine Wohnung gemeinsam mit ihrem Partner<br />
innerhalb einer Institution <strong>be</strong>ziehen. Eine weitere Frau <strong>be</strong>schäftigt in erster Linie die<br />
Pension, die sie vor einiger Zeit <strong>be</strong>antragt hat. Ein positiver Pensions<strong>be</strong>scheid wäre<br />
47
für sie eine ungeheure Erleichterung, da ihre langjährige Ar<strong>be</strong>it als Küchenhilfe für<br />
sie aufgrund ihrer körperlichen Behinderung immer <strong>be</strong>lastender wird. Die letzte der<br />
12 Frauen schließlich <strong>be</strong>schäftigt es, wie sie einen Partner finden könnte, mit dem sie<br />
ihr Le<strong>be</strong>n verbringen kann.<br />
Das vordergründige Interesse der Frauen im Ü<strong>be</strong>rblick:<br />
Vordergründiges Interesse Alter Behinderung Wohnort<br />
Es ist gut so, wie es ist 30 Seh<strong>be</strong>hindert Stadt<br />
39 Lernschwierigkeiten Land<br />
20 Körper<strong>be</strong>hinderung Land<br />
44 Mehrfach <strong>be</strong>hindert Land<br />
Ar<strong>be</strong>itssuche 20 Lernschwierigkeiten Stadt<br />
20 Lernschwierigkeiten Land<br />
21 Down Syndrom Stadt<br />
40 Körper<strong>be</strong>hinderung Stadt<br />
Wohnung 39 Lernschwierigkeiten Stadt<br />
47 Körper<strong>be</strong>hinderung Land<br />
Pension 48 Körper<strong>be</strong>hinderung Stadt<br />
Beziehung 20 Lernschwierigkeiten Land<br />
Ta<strong>be</strong>lle 3: Vordergründiges Interesse der Frauen<br />
Bei den Männern dominiert in den Interviews die Beschäftigung mit der<br />
Wohnsituation. Bei drei der 8 <strong>be</strong>fragten Männer steht die Vorfreude auf eine <strong>be</strong>reits<br />
in Aussicht stehende neue Wohnung, in die sie mit ihren PartnerInnen ziehen<br />
werden, im Vordergrund. Der Job <strong>be</strong>schäftigt weitere zwei Männer zentral. Der eine<br />
ist gerade auf der Suche nach einer für ihn <strong>be</strong>friedigenden Ar<strong>be</strong>it und der andere<br />
geht inhaltlich in seiner Ar<strong>be</strong>it auf. Für einen anderen Mann ist die Beziehung in<br />
seiner Erzählung das Wichtigste. Ein weiterer Mann ist mit der Bewältigung des<br />
Alltags <strong>be</strong>schäftigt, der für ihn krankheits<strong>be</strong>dingt immer schwieriger wird und ein<br />
Mann schließlich Mann stellt seine Hilfs<strong>be</strong>reitschaft in seinem Umfeld in den<br />
Mittelpunkt seiner Ausführungen.<br />
48
Vordergründiges Interesse der Männer im Ü<strong>be</strong>rblick:<br />
Vordergründiges<br />
Interesse<br />
Alter Behinderung Wohnort<br />
Wohnen 29 Lernschwierigkeiten Stadt<br />
53 Körper<strong>be</strong>hindert Land<br />
50 Lernschwierigkeiten Land<br />
Ar<strong>be</strong>it 39 Körper<strong>be</strong>hinderung Stadt<br />
18 Lernschwierigkeiten Stadt<br />
Alltags<strong>be</strong>wältigung 33 MS/Lernschwierigkeiten Stadt<br />
Freundin 24 Mehrfach <strong>be</strong>hindert Land<br />
Hilfs<strong>be</strong>reitschaft 34 Lernschwierigkeiten Land<br />
Ta<strong>be</strong>lle 4: Narrative Interviews – Vordergründiges Interesse der Männer<br />
Wie schaut der Alltag der <strong>be</strong>fragten Frauen und Männern aus?<br />
Die Struktur des Alltags ist einge<strong>be</strong>ttet in eine Zeitstruktur, die von Erwerbsar<strong>be</strong>it,<br />
Hausar<strong>be</strong>it und Freizeit <strong>be</strong>stimmt ist. Wenn man davon absieht, dass die<br />
verschiedenen Arten von Behinderungen unterschiedliche Grade von<br />
Erschwernissen, einen solchen „normalen“ Alltag zu le<strong>be</strong>n, mit sich bringen,<br />
unterscheidet sich der Alltag der von uns <strong>be</strong>fragten <strong>be</strong>hinderten Frauen und Männer<br />
kaum vom durchschnittlichen Alltag einer nicht <strong>be</strong>hinderten <strong>be</strong>rufstätigen Frau, eines<br />
nicht <strong>be</strong>hinderten <strong>be</strong>rufstätigen Mannes.<br />
Von den 12 Frauen verlassen 11 täglich das Haus, um zur Ar<strong>be</strong>it oder in die<br />
Ausbildung zu gehen. Eine Frau ist auf Ar<strong>be</strong>itssuche und als solche nicht in eine<br />
Struktur eingebunden.<br />
Von den 8 Männern gehen 6 täglich zur Ar<strong>be</strong>it, einer ist auf Jobsuche und einer ist<br />
krankheits<strong>be</strong>dingt zu Hause.<br />
Welche Wünsche und Träume ha<strong>be</strong>n die <strong>be</strong>fragten Frauen und Männer für die<br />
Zukunft?<br />
Geäußerte Wünsche an die Zukunft korrelieren oft mit dem, was die Frauen und<br />
Männer im Interview am meisten <strong>be</strong>schäftigt.<br />
49
Dass es so bleibt, wie es ist, wünschen sich vier Frauen, eine Pension wünschen<br />
sich zwei Frauen. Zwei junge Frauen ha<strong>be</strong>n ihre Wünsche auf ein erfülltes Le<strong>be</strong>n mit<br />
Beruf und Familie bzw. Partner ausgerichtet, eine weitere junge Frau wünscht sich<br />
ihre Zukunft an der Seite eines Mannes, der sie liebt, eine Frau wünscht sich eine<br />
andere Ar<strong>be</strong>itsstelle, <strong>be</strong>i der sie das Gleiche tut wie jetzt, die ar<strong>be</strong>itslose Frau<br />
wünscht sich eine Ar<strong>be</strong>it, <strong>be</strong>i der sie ihre Fähigkeiten einbringen kann und eine<br />
weitere freut sich auf die neue gemeinsame Wohnung mit ihrem Partner, die ihr im<br />
Rahmen eines Wohnheims in naher Zukunft ermöglicht wird.<br />
Bei den Männern ist es ähnlich:<br />
Vier Männer träumen laut von einer erfüllten Zukunft, die für den einen Job, Familie<br />
und eigenes Häuschen <strong>be</strong>inhaltet, für den anderen eine Freundin, die ihn liebt, für<br />
den dritten, seine derzeitige Freundin zu heiraten und mit ihr Kinder zu ha<strong>be</strong>n, für<br />
den vierten, bald in die <strong>be</strong>reits in Aussicht stehende Wohnung gemeinsam mit seiner<br />
Partnerin zu ziehen.<br />
Ein junger Mann träumt davon, ein eigenständiges Le<strong>be</strong>n fern von seiner Familie zu<br />
führen, ein weiterer ausreichend persönliche Assistenz vom Staat <strong>be</strong>zahlt zu<br />
<strong>be</strong>kommen, einer einen Job zu finden, <strong>be</strong>i dem er bis zur Pension blei<strong>be</strong>n kann, und<br />
der Mann, der krankheitshal<strong>be</strong>r einen Rollstuhl <strong>be</strong>nützt, wünscht sich eine Pension,<br />
um die Jahre, die ihm noch blei<strong>be</strong>n, ohne allzu große finanzielle Probleme le<strong>be</strong>n zu<br />
können.<br />
Welchen Stellenwert hat Ar<strong>be</strong>it im Le<strong>be</strong>n der interviewten Frauen und Männern<br />
generell?<br />
Die <strong>be</strong>rufliche Streuung der Stichpro<strong>be</strong> im Detail:<br />
Frauen<br />
Telefonzentrale Gelernt; 1.Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
Versicherungsbüro Gelernt; derzeit ar<strong>be</strong>itslos<br />
Küche Angelernt; 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
Küche Teilqualifizierung in Ausbildung<br />
Büro/Berufsvertretung Teilqualifizierung in Ausbildung<br />
50
Service/Ausschank Beschäftigungstherapie<br />
Schneiderei Beschäftigungstherapie<br />
2x Haushaltungsschule Beschäftigungstherapie<br />
Schneiderei – Wäscherei Beschäftigungstherapie<br />
2 x ohne Spezialisierung Beschäftigungstherapie<br />
Ta<strong>be</strong>lle 5: Narrative Interviews - Berufliche Situation - Frauen<br />
Männer<br />
Büro- und Beratungstätigkeit learning by doing; 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
Bäckerei Gelernt; Beschäftigungstherapie<br />
We<strong>be</strong>rei Gelernt; Beschäftigungstherapie<br />
Gärtnerei Angelernt; Beschäftigungstherapie<br />
Modellbauerei learning by doing;<br />
Beschäftigungstherapie<br />
Botenar<strong>be</strong>it Teilqualifizierung in Ausbildung<br />
Regal<strong>be</strong>treuung Teilqualifizierung; auf Ar<strong>be</strong>itssuche<br />
Schlosserei Angelernt; Krankenstand<br />
Ta<strong>be</strong>lle 6: Narrative Interviews - Berufliche Situation - Männer<br />
Allgemein ist zu sagen, dass für alle 20 von uns <strong>be</strong>fragten Frauen und Männer,<br />
Ar<strong>be</strong>it einen wichtigen Stellenwert hat. Es ist ein Teil des Le<strong>be</strong>ns, der<br />
selbstverständlich abgedeckt werden muss. In erster Linie wird darunter eine<br />
Beschäftigung, eine Aufga<strong>be</strong> verstanden, die einen Wert hat, Befriedigung und<br />
Anerkennung verschafft und das Gefühl gibt, etwas Sinnvolles zu tun. Es ist auch<br />
wichtig, ein möglichst normales Le<strong>be</strong>n, wie es „alle tun oder anstre<strong>be</strong>n“, zu le<strong>be</strong>n.<br />
Da<strong>be</strong>i wird die eigene Fähigkeit hintangestellt. Es werden Mittel gesucht und<br />
gefunden, die eigenen Behinderung zu ü<strong>be</strong>rwinden, um diesem Bild entsprechen zu<br />
können.<br />
Dennoch variiert die Definition dessen, was Ar<strong>be</strong>it ist, sowohl geschlechts- als auch<br />
<strong>be</strong>hinderungsspezifisch.<br />
Das Spektrum ist <strong>be</strong>i Frauen wesentlich weiter gesteckt als <strong>be</strong>i Männern.<br />
51
Während es für die eine die Erfüllung ihres größten Wunsches <strong>be</strong>deutet, in der<br />
Beschäftigungstherapie eine Ar<strong>be</strong>it zu ha<strong>be</strong>n -<br />
• „Es war für mich schon anstrengend einen Job zu kriegen, a<strong>be</strong>r es hat sich<br />
gelohnt. Im Geschäft, dass wir das auch verbinden können im Geschäft, das<br />
war für mich ü<strong>be</strong>rhaupt das Schönste. Und dass die Kunden auch so nett sind.<br />
Das ist auch so super. Jetzt hoffe ich auch, dass es in meinem Job weiter<br />
geht.“<br />
- <strong>be</strong>klagt sich die andere darü<strong>be</strong>r, dass die Ar<strong>be</strong>it in der Beschäftigungstherapie<br />
zwar ähnlich wie eine Ar<strong>be</strong>it am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt ist, jedoch nur mit einem<br />
Taschengeld <strong>be</strong>lohnt wird und nicht als pensions<strong>be</strong>gründende Ar<strong>be</strong>it anerkannt ist.<br />
• „Das ist das Tragische. Zwanzig Jahre bin ich jetzt in den Tageswerkstätten<br />
nie angemeldet. Also ich ha<strong>be</strong> die größten Probleme jetzt, dass ich eine<br />
Pension <strong>be</strong>komme. Bekomme ich jetzt vielleicht wenn es gut geht, eine<br />
Sozialpension.“<br />
Für wiederum eine andere würde es für die Zukunft auch genügen, in einem<br />
Privathaushalt, dieser könnte auch der eigene sein, eine Beschäftigung zu finden. Ihr<br />
geht es um die Beschäftigung an sich, ums Geld kümmert sich (noch) die<br />
Pflegemutter.<br />
Drei der <strong>be</strong>fragten Frauen sind bzw. waren am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt <strong>be</strong>schäftigt. Es sind<br />
dies drei Frauen, die keine Form von Lernschwierigkeiten ha<strong>be</strong>n, wohl a<strong>be</strong>r<br />
körperliche Einschränkungen - angeboren oder erst später aufgetreten – und eine<br />
Sinnes<strong>be</strong>hinderung.<br />
Bezüglich der Ar<strong>be</strong>itssituation wird immer wieder <strong>be</strong>tont, wie wichtig es ist, im<br />
eigenen Tempo ar<strong>be</strong>iten zu können, bzw. der Zeitfaktor wird als Hürde Nummer 1<br />
gesehen.<br />
• „Die Menschen ha<strong>be</strong>n mich so genommen, wie ich bin, dass ich in meinem<br />
Tempo ar<strong>be</strong>iten kann [...]“<br />
• „ Immer wieder Pausen, tun ein bisschen reden, dann weiter ar<strong>be</strong>iten.“<br />
• „Ich hätte noch blei<strong>be</strong>n wollen. A<strong>be</strong>r sie hat gesagt, ich kann nicht mehr<br />
blei<strong>be</strong>n, weil ich zu langsam war.“<br />
Ü<strong>be</strong>r vergangene Berufswünsche, die aus unterschiedlichen Gründen nicht realisiert<br />
werden konnten, wird ungern gesprochen.<br />
• „Ich hätte gerne etwas mit Kindern gemacht. A<strong>be</strong>r leider kann ich die Kinder<br />
nicht he<strong>be</strong>n und das ist eigentlich schade.“<br />
• „Ich wäre auch gerne Telefonistin geworden. Bin ich nicht rein gekommen,<br />
weil ich war viel im Krankenhaus und dazwischen ist der Platz mit einer<br />
anderen <strong>be</strong>setzt worden.“<br />
52
Eine weitere spricht ihre Behinderung sehr deutlich als Hindernis an:<br />
• „Was war das? [Lacht] Als Kind einen Traum<strong>be</strong>ruf? Ja, da ha<strong>be</strong> ich meistens<br />
schon das Problem gehabt, dass ich gewusst ha<strong>be</strong> ich ha<strong>be</strong> die<br />
Seh<strong>be</strong>hinderung und kann deswegen nicht alles machen. Traum<strong>be</strong>rufe hätte<br />
man viele gehabt. A<strong>be</strong>r das wäre eigentlich immer das gewesen, was man mit<br />
einer Seh<strong>be</strong>hinderung nicht machen kann. Und dadurch ha<strong>be</strong> ich es von<br />
vornherein immer ausgeschlossen. Also dann ha<strong>be</strong> ich meistens schon<br />
gehört, das kann ich nicht machen.“<br />
Für die meisten von uns <strong>be</strong>fragten Männer <strong>be</strong>deutet Ar<strong>be</strong>it, einen Beruf – meist ein<br />
Handwerk – zu erlernen. Es sei denn, die Behinderung steht im Weg oder es wurde<br />
von vorneherein ein höhere Ausbildung bzw. ein Dienstleistungs<strong>be</strong>ruf angestrebt.<br />
Der Mann, der aufgrund von Jugendunfällen <strong>be</strong>hindert ist, hat seinen Berufsweg<br />
schon vor seiner Körper<strong>be</strong>hinderung eingeschlagen, ist jedoch an dieser gescheitert,<br />
weil es einfach eine schwer zu ü<strong>be</strong>rwindende Barriere darstellt, wenn man Hilfe z.B.<br />
für das Aufhe<strong>be</strong>n eines Zettels braucht.<br />
Für Männer ist es eine Selbstverständlichkeit den erlernten Beruf zu <strong>be</strong>herrschen.<br />
Die Tätigkeit als solche wird geschätzt.<br />
• „Ja, ja, ha<strong>be</strong> ich ja alles gelernt, werde ich ja wohl können!“<br />
Die Einstellung zur Beschäftigungstherapie ist <strong>be</strong>i Männern sehr gespalten. Wenn<br />
alles andere nicht mehr geht, dann bleibt nur noch die Beschäftigungstherapie. Was<br />
angesichts des Wunsches, „eine Ar<strong>be</strong>it, wie jede/r andere auch, zu ha<strong>be</strong>n“,<br />
problematisch ist.<br />
• „Ich kann nur mehr einer Beschäftigungstherapie nachgehen. Und das ist halt<br />
auch immer so eine Sache. Da schreibt dir die PVA vor, du kannst 309 Euro<br />
verdienen, zu der Pension dazu. Und dann sagen sie wieder, nein das geht<br />
auch nicht..“<br />
Ausbildung<br />
Von den jungen Frauen, die gerade in Ausbildung oder Berufsorientierung sind,<br />
wurden ihre Berufswünsche von sehr ernsthaften Ü<strong>be</strong>rlegungen <strong>be</strong>züglich<br />
Realisierbarkeit in <strong>be</strong>zug auf Ar<strong>be</strong>itsmöglichkeiten a<strong>be</strong>r auch in <strong>be</strong>zug auf die<br />
Einschätzung ihrer persönlichen Fähigkeiten hin getragen:<br />
• Irgendwie auch weil die Jugendlichen und die Chefin sogar selbst sagt, dass<br />
ich gut bin in dem Bereich und weil wir, weil momentan auch viele Lehrstellen<br />
53
[Pause] Ich hab mich irgendwie für Gastronomie entschieden, weil es mir liegt.<br />
frei sind in diesem Bereich...“<br />
Als Motive wurden a<strong>be</strong>r auch „Gscheit ar<strong>be</strong>iten und Geldverdienen“ – um sich dann<br />
gemeinsam mit dem Partner etwas leisten zu können, angege<strong>be</strong>n. A<strong>be</strong>r auch für<br />
andere – <strong>be</strong>hinderte Frauen und Männer – etwas Sinnvolles tun zu wollen, war für<br />
zwei Frauen ein wichtiges Ziel.<br />
Prinzipiell sind sie glücklich, an dieser Ar<strong>be</strong>itsstelle zu sein und sehen die Ausbildung<br />
als Chance -<br />
• „jetzt bin ich glücklich, dass ich in der Firma bin.“ –<br />
• „ [...] ha<strong>be</strong> ich die Chance <strong>be</strong>kommen [...]“<br />
- und nehmen dies nicht selbstverständlich.<br />
Männer in Ausbildung sind wie die in Ausbildung stehenden Frauen unsicher in ihrem<br />
Berufswunsch. Mehrere Möglichkeiten werden in Erwägung gezogen. Wichtig ist es,<br />
dass die Ar<strong>be</strong>it „passt“, „Spass macht“ und die Stelle eine langfristige ist.<br />
Ein junger Mann schildert dies sehr bildhaft:<br />
• „Und, nein, ich meine, Büro [...] Vielleicht? Und Regal<strong>be</strong>treuer vielleicht? Gehe<br />
ich zur Millionenshow, stellt er mir die Frage: Ich darf den 50:50 Joker<br />
nehmen. Dann ist einer weg und dann weiß ich, was ich zu tun ha<strong>be</strong>. So<br />
ähnlich wie <strong>be</strong>i der Millionenshow die Frage heißt: Was willst du werden? Und<br />
du sagst 50:50 Joker und dann ist Regal<strong>be</strong>treuung und und Büro übrig. Und<br />
du weißt nicht, was du nehmen sollst. Das Publikum <strong>be</strong>fragen. Wie gesagt,<br />
das weiß das auch nicht. Das kann mir niemand <strong>be</strong>antworten, obwohl ich täte<br />
es schon gerne <strong>be</strong>nutzen und die Leute fragen: Was würden Sie mir raten?<br />
A<strong>be</strong>r das Publikum entscheidet sich 0% für A und 0% für B. Telefonjoker kann<br />
ich auch nicht nehmen. Weil die werden das auch nicht <strong>be</strong>antworten können.<br />
Da sind die 30 Sekunden schon um. Nein, a<strong>be</strong>r, ich meine, man muss das<br />
schon machen, was eine Freude macht. Und ich ha<strong>be</strong> mir auch Jobs<br />
genommen, weil ich mir gesagt ha<strong>be</strong>, das will ich machen und das darf ich<br />
machen und das möchte ich machen. Da ist kein muss drinnen. Ich meine,<br />
weil manche sagen: ich muss ar<strong>be</strong>iten. Man will, ich will ar<strong>be</strong>iten. Ich will<br />
ar<strong>be</strong>iten. Ich möchte ar<strong>be</strong>iten. Ich darf ar<strong>be</strong>iten. Und ich werde ar<strong>be</strong>iten. Das<br />
sind diese vier Grundsätze, die ich ha<strong>be</strong>.“<br />
Weitere wichtige Themen<strong>be</strong>reiche<br />
Wohnen<br />
54
Wohnen wurde von zwei Frauen und vier Männern ins Zentrum ihrer<br />
Le<strong>be</strong>ns<strong>be</strong>schreibungen gestellt. Und auch <strong>be</strong>i den Zukunftswünschen steht es an<br />
o<strong>be</strong>rster Stelle. Wie schaut nun konkret der Ist-Zustand aus, und was sind die<br />
dies<strong>be</strong>züglichen Wünsche und Träume?<br />
Konkrete Wohnsituation der <strong>be</strong>fragten Frauen und Männer:<br />
Frauen<br />
Alter Behinderung Wohnort Wohnform Mit<strong>be</strong>wohnerInnen<br />
30 Seh<strong>be</strong>hindert Stadt Privat Allein<br />
39 Lernschwierigkeiten Stadt Privat Allein<br />
21 Mehrfach Beh. Stadt Privat Mit Eltern und<br />
Geschw.<br />
20 Lernschwierigkeiten Stadt Institution Trainingswohnung/<br />
Gemischt<br />
48 Körper<strong>be</strong>hinderung Stadt Privat Allein<br />
40 Körper<strong>be</strong>hinderung Stadt Privat Mit Partner und<br />
Sohn<br />
20 Lernschwierigkeiten Land Privat Mit Pflegeeltern und<br />
Geschw.<br />
39 Lernschwierigkeiten Land Institution Wohngemeinschaft<br />
47 Lernschwierigkeiten Land Institution Heim<br />
20 Lernschwierigkeiten Land Institution Ausbildungsprojekt<br />
mit Internat<br />
20 Körper<strong>be</strong>hinderung Land Privat Mit Eltern<br />
44 Mehrfach Beh. Land Institution Wohnhaus<br />
Männer<br />
Ta<strong>be</strong>lle 7: Narrative Interviews – Wohnsituation Frauen<br />
Alter Behinderung Wohnort Wohnform Mit<strong>be</strong>wohnerInnen<br />
33 Mehrfach Beh. <strong>Graz</strong> Privat Allein<br />
18 Lernschw. <strong>Graz</strong> Privat Mit Eltern<br />
29 Lernschw. <strong>Graz</strong> Institution Trainingswohnung<br />
39 Körper<strong>be</strong>hindert <strong>Graz</strong> Privat Allein<br />
55
53 Körper<strong>be</strong>hindert Land Institution Wohnhaus<br />
24 Lernschw. Land Privat Mit Eltern<br />
50 Lernschw. Land Institution Heim<br />
24 Mehrfach Beh. Land Privat Allein<br />
Ta<strong>be</strong>lle 8: Narrative Interviews – Wohnsituation Männer<br />
Von den zwei Frauen, <strong>be</strong>i denen Wohnen im Zentrum ihres Interesses steht, hat eine<br />
erst vor kurzem ihre erste eigene Wohnung <strong>be</strong>zogen und ist noch immer ganz<br />
glücklich ü<strong>be</strong>r diese Entwicklung.<br />
• „Ha<strong>be</strong> gesagt, ihr werdet schon sehen, dass ich ausziehen werde [lacht] Und<br />
eingetreten ist es.“<br />
Sie hat es durch eigene Initiative geschafft, eine Sozialwohnung der Stadt zu<br />
<strong>be</strong>kommen und aus einer Einrichtung auszusteigen. Die eigene Wohnung ist eines<br />
ihrer Le<strong>be</strong>nsziele, das sie damit erreicht hat.<br />
Die zweite Frau wird in absehbarer Zeit mit ihrem Partner eine eigene Wohnung<br />
innerhalb einer Einrichtung <strong>be</strong>ziehen können. 42<br />
Ü<strong>be</strong>r ihren Wohnwunsch ha<strong>be</strong>n sich jedoch noch mehr Frauen zu Wort gemeldet:<br />
• „Mein Ziel wäre es, in das „Next way“ zu kommen. Das ist die nächste Phase,<br />
da ist man schon auch <strong>be</strong>treut, a<strong>be</strong>r man hat mehr Pflichten als in der WG, wo<br />
ich jetzt bin.“<br />
• „Für mich ist das Ziel, dass ich nächstes Jahr mit meinem Freund zusammen<br />
ziehe.“<br />
Auf die Frage, ob sie auch mit ihrem Freund zusammenziehen wolle, sagt hingegen<br />
eine andere Frau, die in einer <strong>be</strong>treuten Wohngemeinschaft wohnt und sich dort<br />
offensichtlich wohl fühlt:<br />
• „Nein, das geht nicht. Weil ich nachher kein Geld mehr <strong>be</strong>komme.“<br />
Zwei der Männer äußern sich ausgiebig ü<strong>be</strong>r ihre Wohnwünsche. Der ein hat eine<br />
Gemeindewohnung <strong>be</strong>antragt und erzählt darü<strong>be</strong>r, dass er unter drei auswählen<br />
kann, was er toll findet.<br />
Ein anderer, der noch immer zu Hause wohnt, weil er keine andere Möglichkeit sieht,<br />
jedoch nicht glücklich damit ist, droht:<br />
42 Es ist ein ziemlich neues Experiment, auf diese Weise die persönlichen Bedürfnisse der<br />
Heim<strong>be</strong>wohner zu <strong>be</strong>rücksichtigen und wird vom Leiter des Heims mit Stolz hervorgeho<strong>be</strong>n.<br />
56
• „A<strong>be</strong>r ich ziehe schon noch weg von da. Und dann sieht mich kein Mensch<br />
von unseren Leuten.“<br />
Die Wohnsituation ist ein ganz wichtiger Faktor für das persönliche Wohl<strong>be</strong>finden<br />
sowohl der Frauen als auch der Männer. Bis auf einen Interviewpartner waren alle<br />
mit der gege<strong>be</strong>nen Situation zufrieden bzw. ha<strong>be</strong>n sich auf eine Veränderung in<br />
naher Zukunft gefreut. Es hat sich herausgestellt, dass die Bedürfnisse jedoch sehr<br />
unterschiedlich sind. Eine Frau und ein Mann freuen sich ü<strong>be</strong>r die gerade gefundene<br />
Freiheit des Alleinwohnens, während andere – e<strong>be</strong>nfalls eine Frau und ein Mann -<br />
<strong>be</strong>richteten, wie öd es war, als sie noch allein gelebt ha<strong>be</strong>n. Eine Wohnung mit dem<br />
Partner/der Partnerin erträumen sich die <strong>be</strong>iden Paare, die wir <strong>be</strong>fragt ha<strong>be</strong>n.<br />
Haushalt<br />
Zu dem Bereich Haushalt ha<strong>be</strong>n sich 6 Frauen mit 14 Wortmeldungen und 3 Männer<br />
mit 8 Wortmeldungen geäußert. Aus dem Inhalt der Wortmeldungen geht hervor,<br />
dass die Frauen ein viel selbstverständlicheres Verhältnis zu den Aufga<strong>be</strong>n des<br />
Alltags ha<strong>be</strong>n.<br />
• „Ich halt den Haushalt hier im Zimmer und meine Wäsche tue ich immer<br />
waschen, einmal in der Woche.“<br />
• „Freitag mache ich Kaffee, Montag auch. Dienstag mache ich Tee,<br />
zwischendurch. Am Wochenende meistens der [Partner]....“<br />
Eine Frau erzählt ü<strong>be</strong>r ihren Tagesablauf. Da<strong>be</strong>i ist auch Putzen eine wichtige<br />
Tätigkeit:<br />
• „Und jetzt mache ich es, dass ich Freitag sauge. Soviel Mist kommt da nicht<br />
zusammen. Und Aufwischen da den Boden tue ich sowieso alle 14 Tage [...]“<br />
Männer verallgemeinern in ihren Aussagen. Ein junger Mann, der noch zu Hause<br />
lebt, sagt:<br />
Und<br />
• „ [...] ich bin familiär verpflichtet zu Hause natürlich.“<br />
• „ [...] auch noch ein bißchen helfen zu Hause, wenn etwas anfällt.“<br />
Ein anderer Mann, der alleine lebt, erwähnt, dass die Wohnungsglocke im Moment<br />
nicht funktioniert und ein Freund <strong>be</strong>im Reparieren helfen muss.<br />
Und wieder ein anderer, der in einer Einrichtung lebt, erzählt:<br />
• „[…] Kaffee machen wir immer am Wochenende [Pause] Und dann tun wir<br />
schön abwaschen. Ist lustig, Kaffee machen und so.“<br />
57
Beziehung<br />
Die Interviewten le<strong>be</strong>n in sehr unterschiedlichen Beziehungsformen: Jüngere Frauen<br />
und Männer, die von ihrem Traumprinzen/ ihrer Traumprinzessin träumen, ihn bzw.<br />
sie a<strong>be</strong>r noch nicht gefunden ha<strong>be</strong>n. Wir ha<strong>be</strong>n zwei glückliche Paare – ein junges<br />
und ein altes - als InterviewpartnerInnen gehabt, einen homosexuellen Mann, der<br />
gerade mit seinem Partner eine eigene Wohnung <strong>be</strong>kommen hat und Frauen und<br />
Männer mittleren Alters, die gerade oder ü<strong>be</strong>rhaupt genug ha<strong>be</strong>n von einer<br />
Beziehung, a<strong>be</strong>r auch solche, die <strong>be</strong>reits seit ü<strong>be</strong>r 10 Jahren eine Partnerschaft<br />
le<strong>be</strong>n, ohne dass es für sie ein großes Thema ist.<br />
Zwei Frauen äußern sich sehr positiv ü<strong>be</strong>r das Alleinle<strong>be</strong>n:<br />
• „Vor allem wenn ich jetzt nach Hause komme und will mich hinlegen und ich<br />
ha<strong>be</strong> meine Ruhe, da weckt mich keiner mehr auf.“<br />
• „[...] dadurch, dass ich allein le<strong>be</strong> und das Le<strong>be</strong>n total genieße, ich denke an<br />
keine Partnerschaft [lacht].“<br />
Eine junge Frau, die gerne mit ihrem Freund zusammenziehen möchte, sieht es<br />
anders:<br />
• „Ich bin eh mit 14 immer alleine gewesen und jetzt will ich es nicht mehr –<br />
allein sein.“<br />
Und wird noch deutlicher:<br />
• „Mein privates Ziel ist es auch, dass ich meinen Freund irgendwann heiraten<br />
werde.“<br />
Wiederum eine andere Frau würde das Alleinsein nur unter ganz <strong>be</strong>stimmten<br />
Umständen aufge<strong>be</strong>n:<br />
• „Beziehung mag ich zurzeit keine. Ich meine, wenn es wirklich passen sollte,<br />
würde ich auch nicht nein sagen. A<strong>be</strong>r zur Zeit kann ich es mir nicht vorstellen,<br />
weil ich einfach mein Le<strong>be</strong>n genieße.“<br />
Auch einer der Männer ist sehr froh, endlich eine eigene Wohnung zu ha<strong>be</strong>n, in der<br />
er tun und lassen kann, was er will:<br />
• „Ich komme ehrlich gesagt ganz gut zurecht damit. Also mir taugt es sogar so.<br />
Es ist herrlich, wenn man weiß, man kann hingehen, wo man will. Man kann<br />
heim kommen, wann man will.“<br />
58
Ein anderer wiederum ist froh darü<strong>be</strong>r, jetzt im Heim mit vielen Leuten zusammen zu<br />
sein. Er erinnert sich nur ungern an die Zeit, als er noch allein war:<br />
• „[...] dann war ich einmal alleine in einer Wohnung. In [Ort] ha<strong>be</strong> ich gewohnt.<br />
War ich ganz alleine dort. Wo ich im Zimmer gewohnt ha<strong>be</strong>, war ich ganz<br />
alleine. Alles hast müssen einkaufen […].“<br />
und äußert sich sehr positiv ü<strong>be</strong>r seine jetzige Wohnsituation:<br />
• „Jetzt geht es mir eh weit <strong>be</strong>sser. Wenn man mit mehr Leuten <strong>be</strong>ieinander ist,<br />
dann geht es ja weit <strong>be</strong>sser als alleine.“<br />
Ein älteres Paar, das wir in einem Wohnheim <strong>be</strong>fragten, ist zwar unzertrennlich, doch<br />
heiraten ist dennoch kein Thema: Auf die Frage der Interviewerin:<br />
• „Und heiraten, habt ihr ü<strong>be</strong>r so was einmal geredet?“<br />
Sagt sie:<br />
• „Na, das nicht!“<br />
und er:<br />
• „Das nicht, nein.“<br />
Die Beziehungswünsche der Männer sind sehr eindeutig:<br />
• „Ich meine, sonst, für die Zukunft, was wünsche ich mir sonst noch? Ja,<br />
einmal eine anständige Freundin. Eine, die mich nicht immerfort <strong>be</strong>scheißt<br />
oder sonst irgendetwas. Und wenn es möglich wäre, keine Kinder [Pause]<br />
Weil das, das bringt nichts.“<br />
• „Also, ich will nur mit einem Menschen zusammen sein, mit dem ich ganz<br />
genau weiß, mit der kann ich mir vorstellen, vielleicht dass ich irgendwann ein<br />
Haus mit Garten ha<strong>be</strong>, mit Kindern, mit Hunden, Katzen oder so.“<br />
Nur eine Frau drückt einen dezidierten Kinderwunsch aus:<br />
• „Wir wollen irgendwann einmal eine Familie gründen. Meinen Kindern soll es<br />
<strong>be</strong>sser gehen, als es <strong>be</strong>i mir war. Von der Behandlung und auch mehr<br />
Selbst<strong>be</strong>stimmung.“<br />
Er wird von ihrem Freund, den wir e<strong>be</strong>nfalls <strong>be</strong>fragt ha<strong>be</strong>n, erwidert:<br />
• „[...] dass ich Kinder hab [...}“<br />
Kinderwunsch<br />
Auf ihrem Kinderwunsch direkt angesprochen sagt eine andere Frau kurz und bündig<br />
„nein“.<br />
Wiederum eine andere Frau mag zwar ihre Neffen und findet es<br />
59
• „nämlich total lieb, wenn man dann Kinder hat oder so.“<br />
formuliert jedoch daraus keinen Wunsch.<br />
Ein junger Mann, der in seiner Jugend sehr viel mitmachen musste und auch<br />
Gewalterfahrung hatte, sagt zu diesem Thema:<br />
• „Und sollte ich einmal eine Freundin ha<strong>be</strong>n und die Freundin kriegt ein Kind,<br />
das Kind kommt sofort in ein Heim, weil ich will keine Kinder, weil die Nerven<br />
kosten. Weil ich bin eh schon 10facher Onkel. Und das kostet Nerven. Und<br />
durch das kommt es in ein Heim.“<br />
Zum Thema Partner/Partnerin bzw. Freund/Freundin äußern sich 8 Frauen und 7<br />
Männer mit 25 bzw. 21 Wortmeldungen.<br />
Eine junge Frau <strong>be</strong>schreibt ihre Begegnung und den Stellenwert, den der Freund für<br />
sie hat:<br />
• „Ich ha<strong>be</strong> ihn eigentlich das erste Mal vor 3 oder 2 Jahren gesehen und da<br />
ha<strong>be</strong>n wir uns unterhalten. Damals war er mein <strong>be</strong>ster Kumpel und für mich ist<br />
er teilweise noch Freund, guter Kumpel und Freund.“<br />
Und sie macht sich darü<strong>be</strong>r Gedanken, wie sie das auseinanderhalten soll:<br />
• „Ich weiß momentan noch nicht, wie ich das auseinandertrennen soll.“<br />
Für eine andere ist es ganz wichtig, dass sie<br />
und<br />
• „[…] alles von ihm ha<strong>be</strong>n kann, was ich brauche und er kann auch.“<br />
• „Ich genieße meine Freizeit, jede Minute mit meinem Freund.“<br />
Eine hat ihm sticken gelehrt und eine weitere ist sehr froh darü<strong>be</strong>r, dass sie sich mit<br />
ihrem Freund so gut austauschen kann, weil <strong>be</strong>ide eine Coach-Ausbildung ha<strong>be</strong>n.<br />
Zwei Frauen ha<strong>be</strong>n nicht mehr als seine Existenz erwähnt. Zwei weitere junge<br />
Frauen, die in Beschäftigungstherapie untergebracht sind und zu Hause wohnen,<br />
verlie<strong>be</strong>n sich immer wieder in den aktuellen Zivildiener. Was dann natürlich zu<br />
häufigen Trennungsschmerzen führt, wenn das Zivildienstjahr um ist. Die eine weiß<br />
sich dann a<strong>be</strong>r auch immer wieder selbst zu trösten:<br />
• „Die Mama hat eh schon oft gesagt, na, irgendwann ist es einmal so weit,<br />
dass du den Richtigen findest.“<br />
Nur eine Frau hat <strong>be</strong>reits langjährige Eheerfahrungen. Die inzwischen 40Jährige hat<br />
sich erst vor kurzer Zeit von ihrem Mann getrennt und ist mit ihrem Freund<br />
60
zusammengezogen. Aus der Ehe hat sie <strong>be</strong>reits 2 erwachsene Kinder und ein<br />
Enkelkind.<br />
Für Frauen ist Sex kein Thema.<br />
Auch <strong>be</strong>i den von uns <strong>be</strong>fragten Männern sind Frauen, Freundinnen, Partnerinnen<br />
ein wichtiges Thema, das sehr oft angesprochen wurde.<br />
Ein junger Mann macht sich da<strong>be</strong>i Gedanken ü<strong>be</strong>r die Zukunft:<br />
• „Ich meine, ich will nicht, ich gehe nicht un<strong>be</strong>dingt in ein Lokal hinein und<br />
erwarte, dass ich jetzt eine Freundin treffe, Ich meine, wenn es unerwartet<br />
passiert, von mir aus [...]“<br />
Für einen anderen ist es deshalb ein zentrales Thema, weil er gerade eine<br />
enttäuschte Lie<strong>be</strong> hinter sich und noch nicht ganz verar<strong>be</strong>itet hat.<br />
• „Die Freundin, die ich jetzt gehabt hab, die, das war ü<strong>be</strong>rhaupt, bist du<br />
deppert, ü<strong>be</strong>rhaupt, was mir die geschrie<strong>be</strong>n hat!“<br />
Wiederum ein anderer ist sehr froh darü<strong>be</strong>r, dass es endlich vor<strong>be</strong>i ist und er allein<br />
wohnt, dennoch ist ein Zukunftswunsch von ihm wieder eine Freundin zu ha<strong>be</strong>n.<br />
Es gibt a<strong>be</strong>r auch solche, die in einer Beziehung glücklich sind. Ein Mann sagt es<br />
direkt:<br />
• „Ha<strong>be</strong> eine klasse Freundin, mit der ich inzwischen verlobt bin. Schon bald ein<br />
Monat.“<br />
Ein anderer drückt es ruhiger aus:<br />
• „Ja, jetzt kennen wir uns schon lange. Jetzt sind wir schon eine Zeit<br />
<strong>be</strong>ieinander. Hm.“<br />
Wiederum ein anderer ist mit einem Mann glücklich:<br />
• „Was sagen Sie zu meinem Freund? Den mag ich. Und der mag mich . Ich<br />
ha<strong>be</strong> ihn gern und er mich auch.“<br />
Das Thema Sex wird nur von zwei Männern als solches angesprochen.<br />
Ein 18-Jähriger meinte:<br />
• „Und das, ich ha<strong>be</strong> es Gott sei Dank nie erlebt, und vielleicht erle<strong>be</strong> ich es<br />
sogar. Das wäre schön einmal. A<strong>be</strong>r wenn es nicht geht, geht es e<strong>be</strong>n nicht.<br />
Und ich bin nicht einer, der jetzt so versessen ist, dass er jetzt Sex ha<strong>be</strong>n will.<br />
Ich kann ohne Sex auch le<strong>be</strong>n, obwohl das jetzt [Pause] ich glau<strong>be</strong> der<br />
einzige Mensch bin, der das ist, a<strong>be</strong>r [...].“<br />
61
Und ein Mann im Rollstuhl thematisierte, wie sehr ihn ein weit verbreitetes Vorurteil<br />
trifft:<br />
• „Wie kann man nur! Mit Behinderten kann man doch keinen Sex ha<strong>be</strong>n!<br />
[Pause] Es hat mir bis jetzt noch keiner erklären können, was daran pervers<br />
ist.“<br />
Und wenn man es zu einem selbstverständlichen Thema manchen will, meinte er<br />
weiters, dann <strong>be</strong>steht doch immer die Gefahr<br />
• „unangenehmen voyeuristischen Bedürfnissen“<br />
entgegenzukommen.<br />
Geschlechtsspezifische Selbsteinschätzung<br />
Unter diesem Titel sind die Wortmeldungen ü<strong>be</strong>r: Le<strong>be</strong>nseinstellung, Le<strong>be</strong>nsweisheit,<br />
Selbst<strong>be</strong>wusstsein, Selbstdarstellung, Selbständigkeit, Männerbild, Frauenbild,<br />
Anerkennung zusammengefasst.<br />
Le<strong>be</strong>nseinstellung<br />
Frauen sind positiver dem Le<strong>be</strong>n gegenü<strong>be</strong>r eingestellt. Sie sind geduldig und<br />
dankbar für das, was sie <strong>be</strong>kommen. Frauen stellen ihr Le<strong>be</strong>n in einem größeren<br />
Zusammenhang, indem sie ihre Familie oder sogar die Gesellschaft mit ein<strong>be</strong>ziehen.<br />
Die traditionelle Unterscheidung zwischen den Geschlechtern in diesem Bereich ist<br />
hier ganz deutlich zu erkennen. Männer gehen mit sich und den anderen härter um.<br />
Sie sind oft zielorientierter und wenn sie etwas nicht erreichen, schnell deprimiert.<br />
Frauen sagen:<br />
• „Ich bin ein Mensch der Action liebt und auch Abwechslung liebt und der total<br />
harmonie<strong>be</strong>dürftig ist.“<br />
• „Ich sage immer, man muss hoffen können [Pause].“ a<strong>be</strong>r „ ein zu guter Trottel<br />
darf man auch nicht sein.“<br />
• „Nur was bringt mir das Materielle. Es bringt für mich persönlich nichts, wenn<br />
ich menschlich vor dem Ruin da stehe.“<br />
• „Das gehört einfach, das man Menschen tröstet und dass man Menschen<br />
glücklich macht und so. Das gehört einfach so. Und ich glau<strong>be</strong>, dass das für<br />
jeden Menschen auf der Welt wichtig ist. Das denke ich einfach.“<br />
Männer sagen:<br />
62
• „Wenn ich was durchziehe, ziehe ich es durch.“<br />
• „[...] jeder soll sich eine Querschnittlähmung zulegen, hat ein A<strong>be</strong>nteuer für<br />
den Rest seines Le<strong>be</strong>ns.“<br />
• „Ich ha<strong>be</strong> halt sowieso, wie es immer ist, das Schlimmer erwischt [Pause] das<br />
Schlechte ziehe ich magisch an.“<br />
• „ Ich ha<strong>be</strong> einmal geputzt [...] da hat jemand gesagt: Braav. Ha<strong>be</strong> ich gesagt:<br />
Die Dodeln lobt man.“<br />
Le<strong>be</strong>nsweisheit<br />
Frauen ha<strong>be</strong>n einen positiveren Blick nach vorne und mehr Vertrauen in sich und<br />
ihre Umwelt.<br />
Sie sagen:<br />
• „Jeder Mensch macht Fehler, natürlich. A<strong>be</strong>r man lernt daraus.“<br />
• „Er ist alleine, hat gesagt, ihm fällt die Decke auf den Kopf. Ha<strong>be</strong> ich gesagt,<br />
dann musst du e<strong>be</strong>n etwas machen. Man kann sich schon eine Alternative<br />
suchen, man muss sich nicht gehen lassen.“<br />
• Ich lasse es auf mich zukommen, weil meistens ist es eh so: Wenn man sich<br />
etwas fix vornimmt, dann tritt es eh nicht ein.“<br />
Männer <strong>be</strong>ziehen Le<strong>be</strong>nsweisheiten eher auf andere bzw. ihre „Sonder“stellung in<br />
einer Männergesellschaft.<br />
Sie sagen:<br />
• „Ja, also es ist immer schwer, wenn man, wenn man eine Position, wenn man<br />
eigentlich eine Position vertritt, die nicht mehrheitsfähig ist.“<br />
• „Ich meine, wenn jemand schnorrt, dann dann dann ist <strong>be</strong>i mir der Spaß aus.<br />
Ich meine, der soll dazu schauen, dass der eine Ar<strong>be</strong>it <strong>be</strong>kommt, dann kann<br />
er schnorren, von mir aus.“<br />
Selbst<strong>be</strong>wusstsein<br />
Zwei Frauen und drei Männer äußern sich zu Selbst<strong>be</strong>wusstsein.<br />
Für die Frauen hat die Entwicklung zur Selbständigkeit mit einem Zuwachs an<br />
Selbst<strong>be</strong>wusstsein zu tun:<br />
• „[...] und auch das sagen zu können, zu meiner Familie, was ich nicht will.“<br />
• „[...] dass ich jetzt mein Le<strong>be</strong>n le<strong>be</strong> und dass ich jetzt nicht so oft<br />
heimkomme.“<br />
• „Das ha<strong>be</strong> ich jetzt auch dort gelernt: Offen zu sagen – gleich – wenn mich<br />
etwas stört oder wenn mir etwas zu schnell geht. Und das geht auch voll<br />
super.“<br />
• „Da ha<strong>be</strong> ich gleich alles ohne Wohn<strong>be</strong>treuer gemacht. Hinein ins<br />
Wohnungsamt, [Pause] und ha<strong>be</strong> den Antrag gestellt, ne.“<br />
Bei den Männern geht es da<strong>be</strong>i um wesentlich allgemeinere Themen.<br />
63
Ein Mann spricht ü<strong>be</strong>r die Gewährung von Hilfsmitteln:<br />
• „Das ist nicht so, dass mir das einfach zur Verfügung gestellt wird, weil ich ein<br />
Recht darauf ha<strong>be</strong>, sondern das wird mir gewährt. Naa [Pause] So quasi von<br />
o<strong>be</strong>n herab [Pause] ahhh und das zerrt zerrt am Selbst<strong>be</strong>wusstsein.“<br />
Ein anderer spricht von einer Abwertung aufgrund der Behinderung, die tief sitzt:<br />
• „A<strong>be</strong>r es ist oft so, wennst das immer hörst, irgendwann dann, dass dann,<br />
dass du dann soweit bist, dass du dich nimmer getraust, gell?“<br />
Selbstdarstellung<br />
Frauen <strong>be</strong>schrei<strong>be</strong>n die eigene Befindlichkeit und stellen einen Zusammenhang mit<br />
ihrer Umgebung her.<br />
• „Das ist ja lustig irgendwie, weil alles was am eigenen Leib geschieht,<br />
passiert, oder dir angetan wird, oder mir angetan wurde[Pause], ich ha<strong>be</strong> es<br />
nicht mit<strong>be</strong>kommen. Bei anderen hab ich es gewusst [Pause] Nur ich sel<strong>be</strong>r<br />
hab es nicht erkannt.“<br />
Sie relativieren ihre Behinderung:<br />
• „Ich bin ja nicht so, nicht so <strong>be</strong>hindert, wie die anderen halt oft so sind.“<br />
und versuchen, daraus das <strong>be</strong>ste zu machen<br />
• „Ein bisserl frech schon. Zurückmaulen [Pause] das ist mein Hobby.“<br />
Eine junge mehrfach <strong>be</strong>hinderte Frau, die seit ihrer Kindheit aufden Rollstuhl<br />
angewiesen ist, schöpft ihre ganze Le<strong>be</strong>nskraft aus dem Aufgeho<strong>be</strong>n sein in der<br />
Familie und strahlt:<br />
• „Ich war so was von froh, dass ich so eine lie<strong>be</strong> Mama ha<strong>be</strong>. Ich bin auch<br />
noch immer froh. Und <strong>be</strong>sonders auch, weil ich so einen Papa ha<strong>be</strong>. Ich bin<br />
so was von froh, das ist ein Wahnsinn. Ehrlich.“<br />
Männer drücken aus, dass das Le<strong>be</strong>n mit Behinderung sehr <strong>be</strong>schwerlich sein kann.<br />
• „Also, ich ich komme immer mehr zur Ansicht, dass ich einfach in den letzten<br />
Jahren immer knapp an der Ü<strong>be</strong>rforderung bzw. schon darü<strong>be</strong>r hinaus<br />
agiere.“<br />
Gleichzeitig lassen sie keinen Zweifel daran, dass sie sich durchkämpfen und nicht<br />
<strong>be</strong>dauern lassen.<br />
• „[...] ich ha<strong>be</strong> mich nie, ha<strong>be</strong> mich nie <strong>be</strong>dauern lassen.“<br />
• „Wenn mir einer blöd redet, rede ich ihnen auch blöd zurück.“<br />
Mit Recht sind sie dann auf errungene Entwicklungsschritte, wie den<br />
Mopedführerschein oder „das in eine eigene Wohnung“ ziehen stolz.<br />
64
• „Ich hab schon viel was mitgemacht in meinem Le<strong>be</strong>n, a<strong>be</strong>r was sollst tun?<br />
Das ist halt einmal so. Ich bin eigentlich froh, dass ich den Moped-<br />
Führerschein geschafft hab. Hat mich eh gewundert, weil ich ja nicht sehe auf<br />
einem Auge, gell?“<br />
Selbständigkeit<br />
Zwei der <strong>be</strong>fragten Frauen <strong>be</strong>schäftigt die Selbständigkeit.<br />
• „Und ich möchte schauen, dass ich mein eigenes Le<strong>be</strong>n auch so gestalten<br />
kann, wie ich es will.“<br />
Da<strong>be</strong>i <strong>be</strong>obachtet sie andere, die es ihrer Meinung nach geschafft ha<strong>be</strong>n.<br />
• „Ich ha<strong>be</strong> es <strong>be</strong>i einigen von meinen Freunden schon gesehen, die das<br />
können. Und die können es. Nur ab und zu, die Eltern, die ha<strong>be</strong>n Angst davor,<br />
dass Menschen mit Lernschwierigkeiten gar nicht wohnen können. A<strong>be</strong>r ich<br />
spreche aus Erfahrung: Menschen mit Lernschwierigkeiten können das. Sie<br />
brauchen nur die Zeit dazu.“<br />
Eine andere Frau lernte durch Nachahmung ihr Le<strong>be</strong>n immer mehr in die Hand zu<br />
nehmen. Sie kann inzwischen alle Formulare sel<strong>be</strong>r ausfüllen. Das war nicht immer<br />
so, doch sie wusste sich zu helfen:<br />
• „Und ich ha<strong>be</strong> vorher schon mitgeschaut <strong>be</strong>i der Mutti, was sie gemacht<br />
ha<strong>be</strong>n, a<strong>be</strong>r gewisse Sachen waren dann wirklich sehr schwer zu verstehen,<br />
dass du zehn Mal nachfragen hast müssen, bitte um um was geht es da<br />
[Pause]“<br />
Ein junger Mann philosophiert ü<strong>be</strong>r den Le<strong>be</strong>nsweg und die Selbständigkeit:<br />
• „[...] jeder muss einmal selbständig werden. Und ich versuche, so gut wie<br />
möglich, auf eigenen Beinen zu stehen.“<br />
Gesteht sich a<strong>be</strong>r fast im sel<strong>be</strong>n Atemzug ein:<br />
• „Was mir leider immer wieder meistens mehr mehr Probleme bringt als es<br />
eigentlich erledigen sollte.“<br />
Männer <strong>be</strong>ziehen ihre Selbständigkeit im und aus dem Tun.<br />
• „Wenn ich eine Gemeindewohnung ha<strong>be</strong>, wenn ich irgendwas Schriftliches zu<br />
machen ha<strong>be</strong> oder Amtswege, weißt eh, dann mache ich alles sel<strong>be</strong>r.“<br />
• „[...] und 65 m2 musst erst einmal putzen können, mit einer Hand. Mach ich<br />
eigentlich alles. Sel<strong>be</strong>r <strong>be</strong>igebracht.“<br />
Männerbild<br />
Zwei Frauen ha<strong>be</strong>n keine guten Erfahrungen im Zusammenle<strong>be</strong>n mit Männer und<br />
drücken dies auch direkt aus:<br />
65
“<br />
• „Putzen tun sie [die Männer] halt nicht so gerne, a<strong>be</strong>r [Pause] [lacht] a<strong>be</strong>r <strong>be</strong>i<br />
uns gehört das halt dazu.“<br />
• „[[..] manche Männer sind wirklich, wie man so schön sagt, Schweine.<br />
Einer der <strong>be</strong>fragten Männer macht sich ausführlich Gedanken darü<strong>be</strong>r, dass Männer<br />
mit Behinderung dem klassischen Männerbild zwar nicht entsprechen, dieses a<strong>be</strong>r<br />
internalisiert ha<strong>be</strong>n. Darin sieht er eine Chance das Bild von Männlichkeit generell zu<br />
ü<strong>be</strong>rdenken und neue Wege im Miteinander zu suchen. 43<br />
Frauendiskriminierung<br />
Frauendiskriminierung wurde nur auf Nachfrage ein Thema. Direkt angesprochen<br />
fühlen sich Frauen nicht diskriminiert, nehmen es jedoch sehr wohl <strong>be</strong>i anderen<br />
Frauen wahr. Eine sieht sich persönlich nicht als <strong>be</strong>nachteiligt an, meint a<strong>be</strong>r, das<br />
läge wohl daran, dass sie selbst so etwas wie eine Kämpfernatur wäre. Eine andere<br />
ortet Diskriminierungen <strong>be</strong>i Frauen aus ihrer unmittelbaren Umgebung. Ü<strong>be</strong>r die<br />
Leiterin in ihrer Ar<strong>be</strong>itsstelle sagt sie:<br />
• „Sie bräuchte sich normalerweise gar nicht kümmern um uns Behinderte, weil<br />
sie hat nicht einmal die Betreuerzulage, ne.“<br />
Für ihre Pflegemutter setzte sie sich ganz <strong>be</strong>sonders ein, indem sie voller Empörung<br />
äußert, dass diese ü<strong>be</strong>r 30 Jahre Pflegemutter von insgesamt 14 Pflegekindern war<br />
und jetzt keine eigene Pension <strong>be</strong>kommt.<br />
Frauenbild<br />
Es gibt eine Unsicherheit in <strong>be</strong>zug auf das Frauenbild sowohl <strong>be</strong>i den Frauen als<br />
auch <strong>be</strong>i den Männern. Traditionelle Werte stehen ne<strong>be</strong>n progressiven und es<br />
entsteht der Eindruck, dass die Entscheidung für das eine oder andere noch nicht<br />
gefallen ist.<br />
Frauen sagen:<br />
• „Und ich denke, das ist <strong>be</strong>sser, wenn ich so was mach und ich das alles lern,<br />
waschen, bügeln und so, und kochen. Dann ge<strong>be</strong> ich später mal eine gute<br />
Hausfrau ab und der Mann der mich kriegt, kann sich <strong>be</strong>glückwünschen, im<br />
Prinzip.“<br />
• „Und jetzt bin ich 20 und ich bin eine erwachsene Frau und sollte selbst meine<br />
Entscheidungen treffen.<br />
43 Was ja in den Wohngemeinschaften umzusetzen versucht wird, jedoch auch hier, wie sonst, <strong>be</strong>im<br />
Mithelfen bleibt.<br />
66
Männer sagen:<br />
• „Mir ist wichtig, dass sie ihren Job fertig macht, dass sie dann fix angestellt<br />
wird und dann kann sie von mir aus <strong>be</strong>i mir […] einziehen.“<br />
• […] Frauen und vor allem <strong>be</strong>hinderte Frauen ha<strong>be</strong>n es sowohl im Privatle<strong>be</strong>n<br />
als auch im <strong>be</strong>ruflichen Le<strong>be</strong>n um einiges schwerer […]“<br />
Familie<br />
Wie eine Frau/ein Mann im Le<strong>be</strong>n steht, hängt sehr davon ab, welche<br />
Ausgangs<strong>be</strong>dingungen sie/er am Anfang ihres Le<strong>be</strong>ns vorgefunden hat. Dies kann<br />
unsere Studie sehr unterstreichen: Wenn jemand mit einer ganz schweren<br />
Behinderung auf die Welt kommt und Eltern – oder auch Pflegeeltern – hat, die sich<br />
darum <strong>be</strong>mühen, dass das Kind das Bestmögliche <strong>be</strong>kommt oder auch nur in<br />
Frieden aufwachsen kann, dann kann auch ein Le<strong>be</strong>n mit mehrfacher Behinderung<br />
gelingen.<br />
Und umgekehrt: Wir ha<strong>be</strong>n je drei Frauen und drei Männer mit Gewalterfahrung in<br />
unserer Studie. Zwei davon ha<strong>be</strong>n dauerhafte Behinderungen aufgrund von<br />
elterlicher Gewalt. Das, was ihnen angetan wurde, <strong>be</strong>stimmt auch heute noch ihr<br />
Verhalten gegenü<strong>be</strong>r anderen Menschen und stellt eine zusätzliche Hürde dar.<br />
Kindheit<br />
Frauen/Männer mit Lernschwierigkeiten hatten zum Teil Schwierigkeiten, sich an die<br />
Vergangenheit zu erinnern. Wo<strong>be</strong>i Vergangenheit <strong>be</strong>i 2 bis 3 Jahren zurück <strong>be</strong>ginnt.<br />
Allerdings ist es auch möglich, dass das mangelnde Erinnerungsvermögen mit der<br />
Stresssituation, die ein solches Interview, wie wir es durchgeführt ha<strong>be</strong>n, darstellt.<br />
Bei einer Frau, <strong>be</strong>i der wir das Interview wiederholen mussten, war dies auffällig.<br />
Während sie <strong>be</strong>im ersten Interview gar nichts erzählen konnte, war sie <strong>be</strong>im zweiten<br />
Mal viel weniger zurückhaltend und erzählte einige Erlebnisse aus der frühen<br />
Kindheit.<br />
Insgesamt ha<strong>be</strong>n 4 von den 12 <strong>be</strong>fragten Frauen ü<strong>be</strong>r ihre Kindheit gesprochen.<br />
Eine Frau erzählt von der Landwirtschaft, die sie zu Hause hatten und wo sie immer<br />
vor und nach der Schule helfen musste. Eine andere spricht ü<strong>be</strong>r ihre Pflegefamilie,<br />
<strong>be</strong>i der sie aufgewachsen ist:<br />
67
• „Ja, dass ich ü<strong>be</strong>rhaupt so weit gekommen bin, ist einmal die Familie G., wo<br />
ich dreißig Jahre lang gelebt ha<strong>be</strong>. Die ha<strong>be</strong>n mich mit fünf Jahren<br />
genommen.“<br />
Wiederum eine andere wurde ganz nervös <strong>be</strong>i dieser Frage:<br />
• „ Weil daheim waren sie so schiach zu mir, viel schiach gewesen [...].“<br />
und wollte gar nicht mehr erzählen und schon gar nicht das Gesagte auf Band<br />
aufnehmen.<br />
Eine weitere erzählt Episoden:<br />
• „Ja, da ha<strong>be</strong> ich immer Hasen gefüttert. Da ha<strong>be</strong> ich Hasen gestreichelt und<br />
dann bin ich in den Stall hinein und dann ha<strong>be</strong>n wir ein kleines Kalb<br />
<strong>be</strong>kommen [...].“ – „Und einmal bin ich als Kleiner aufs Dach hinaufgestiegen<br />
und dann bin ich vom Dach nicht heruntergekommen. Und das war meine<br />
größte Idee, die ich gemacht ha<strong>be</strong>. Das ha<strong>be</strong> ich „volle Wäsch“ gemacht, da<br />
hat mir keiner etwas sagen können. Dann ist die Feuerwehr gekommen. Und<br />
hat mich heruntergeholt [lacht sehr fröhlich]. Dann ha<strong>be</strong>n sie die Leiter geholt,<br />
dass sie mich herunterholen können. Ansonsten wäre ich nicht mehr<br />
heruntergekommen. Hinaufgestiegen aufs Dach und fertig.“<br />
Die Erinnerungen von zwei der drei Männer, die sich zur Kindheit äußerten, <strong>be</strong>ziehen<br />
sich in erster Linie aufs Lernen.<br />
Der eine hat viel vom Vater gelernt und mit ihm gear<strong>be</strong>itet hat und dies als sehr<br />
schön gefunden. Der andere war in einem Internat untergebracht. Doch er erinnert<br />
sich auch noch daran, dass seine Mutter eine Hausmeisterei <strong>be</strong>trie<strong>be</strong>n hat und er ihr<br />
geholfen hat. Beide erinnerten sich gerne.<br />
• „Das war schön.“ – „Ja, so im Großen und Ganzen war sie eigentlich eh<br />
schön.“<br />
Der dritte, der <strong>be</strong>i einer Pflegefamilie aufgewachsen ist, erzählt von seiner Kindheit,<br />
was er vom Hörensagen weiß:<br />
• „Was schlimm, war schlimm eigentlich. Raufkommen bin ich ja eigentlich zur<br />
Pflegemutter. Die richtige Mutter hat mich ü<strong>be</strong>r den Wickeltisch runterfallen<br />
gelassen.“<br />
Seither ist er <strong>be</strong>hindert. Das hat er bis heute – er ist inzwischen fast 25 Jahre alt –<br />
nicht verkraftet.<br />
68
Familienle<strong>be</strong>n<br />
Zu Familienle<strong>be</strong>n gibt es 7 Wortmeldungen von 5 Frauen (n=12), die sehr<br />
gegensätzlich sind. Eine Frau ist sehr dankbar darü<strong>be</strong>r, dass sie es so gut erwischt<br />
hat:<br />
• „A<strong>be</strong>r sage ich ja, der Familie G. ha<strong>be</strong> ich schon viel zu verdanken. Die ha<strong>be</strong>n<br />
mich wirklich groß gezogen wie einen Gesunden ne. Die ha<strong>be</strong>n vier eigene<br />
gehabt und vierzehn Pflegekinder hat sie groß gezogen, die Mutti [...]“<br />
klagt die andere:<br />
• „Also das Schicksal, was sich in meiner Familie abgespielt hat, ist ziemlich<br />
schwer.“<br />
Eine 20-Jährige, die noch immer zu Hause <strong>be</strong>i ihren Pflegeeltern wohnt und diese als<br />
ihre Eltern <strong>be</strong>trachtet, erzählt ü<strong>be</strong>r Alltäglichkeiten mit ihren Geschwistern. Sie kommt<br />
während des Interviews immer wieder auf ihre Familienmitglieder zu sprechen. Von<br />
ihnen fühlt sie sich <strong>be</strong>schützt und unterstützt. Um sie macht sie sich viele Gedanken<br />
und mit ihnen leidet sie, wenn sie – wie gerade die Oma – ins Spital müssen.<br />
Die gemachten Äußerungen der Männer sind wohlwollend distanziert.<br />
Vater<br />
• „[…]ich kann nichts sagen, dass in meiner Kindheit irgendetwas war, wo ich<br />
jetzt traumatisiert wäre bis zu meinem Le<strong>be</strong>nsende […]“<br />
• […]ich bin in einem normalen Elternhaus groß geworden.“<br />
Gesondert erwähnt wird der Vater von den Frauen nur dort, wo es traumatische<br />
Erlebnisse mit ihm gege<strong>be</strong>n hat. In unserer Studie sind es zwei Frauen, die darü<strong>be</strong>r<br />
sprechen.<br />
• „Ja, die Geschichte war so. Mein Papa hat zu trinken angefangen. Und ich<br />
ha<strong>be</strong> das seelisch einfach nicht mehr ausgehalten. Er war immer schon mit<br />
den Nerven fertig und hat sich nicht um mich <strong>be</strong>müht, gar nichts“,<br />
klagt eine junge Frau. Und eine ältere Frau zeigte uns ihr Fotoalbum und sagte dazu:<br />
• „Und das ist mein Vater, der ist gestor<strong>be</strong>n, der was mich immer geschlagen<br />
hat, der hat mich geschlagen immer so viel.“<br />
Von den Männern äußern sich 4 ü<strong>be</strong>r ihren Vater. Einer der Väter hat sich schon vor<br />
der Geburt des Sohnes verabschiedet:<br />
69
• „[...] Der hat ja schon vor meiner Geburt von meiner Mutter verlangt, dass sie<br />
etwas unterschrei<strong>be</strong>n soll, dass ich nicht von ihm bin.“<br />
und ein Loch hinterlassen, das dieser mit Phantasiegeschichten auffüllte:<br />
• „Mittlerweile bin ich drauf gekommen, dass meine Rollenbilder ja alle<br />
irgendwie aus der Phantasie kommen, nicht. Und alle irgendwie so mit<br />
A<strong>be</strong>nteuer zu tun ha<strong>be</strong>n, [Pause] die männlichen […]“<br />
Ein anderer wurde von seinem Vater mit seinen Exzessen psychisch sehr unter<br />
Druck gesetzt. Was seine Existenz nachhaltig gefährdete:<br />
• „Unser Bauernhof ist eh drauf gegangen, weil der Vater so ein Trottel war. Er<br />
hat ja alles versoffen und verhurt.“<br />
Ein weiterer Mann musste vom Vater sehr viele Schläge einstecken, sodass er mit<br />
seinen 25 voller Wut auf ihn ist:<br />
• „[...] Und ich will nicht informiert werden, wenn mein Vater gestor<strong>be</strong>n ist. Ich<br />
will nicht informiert werden. Ich gehe nicht zu Begräbnis. Freut mich, wenn er<br />
gestor<strong>be</strong>n ist.“<br />
Nur ein Mann spricht positiv ü<strong>be</strong>r das, was er von seinem Vater alles gelernt hat:<br />
• „Also, ich ha<strong>be</strong> viel von meinem Vater gelernt. Also ich ha<strong>be</strong> mit ihm immer<br />
viel mitgear<strong>be</strong>itet.“ – „ Mir hat es eigentlich immer gefallen.“<br />
Kontakt zu den Eltern<br />
Auch im Erwachsenenle<strong>be</strong>n ha<strong>be</strong>n die Eltern bzw. andere Familienmitglieder noch<br />
einiges mitzureden und ein regelmäßiger Kontakt spielt in vielen Fällen eine große<br />
Rolle.<br />
6 von 12 Frauen äußern sich dazu. Sie sind bis auf einen sehr positiv:<br />
Eine Frau spricht darü<strong>be</strong>r, wie sich der Kontakt zu den Eltern durch ihren Auszug<br />
ver<strong>be</strong>sserte, meint a<strong>be</strong>r:<br />
• „[...] vielleicht fasst man das dann anders auf. A<strong>be</strong>r ich glau<strong>be</strong> schon, dass die<br />
Eltern dann auch anders sind. Sie schätzen es einfach mehr.“<br />
Eine andere erzählt von ihrem Bruder:<br />
• „Bin ich zwischendurch <strong>be</strong>i meinem Bruder zuhause. Weil er krank war, was<br />
gehabt hat. Ha<strong>be</strong> ich ihn <strong>be</strong>sucht.“<br />
Und eine weitere:<br />
70
• „Mein Elternhaus ist in [Ort]. Meine Eltern sind auch schon ü<strong>be</strong>r 80. A<strong>be</strong>r sie<br />
le<strong>be</strong>n noch. Gott sei Dank.“<br />
Wieder eine andere <strong>be</strong>sucht noch immer ihre Pflegemutter, <strong>be</strong>i der sie 30 Jahre<br />
gewohnt hat und der sie viel verdankt. Und eine junge Frau, die noch zu Hause<br />
wohnt, <strong>be</strong>tont im Interview immer wieder, wie sehr sie mit ihren Eltern zufrieden ist.<br />
Nur eine Frau hat keinen Kontakt und leidet sehr darunter. Zur Mutter, die in einem<br />
Altersheim wohnt, hatte sie nie guten Kontakt. Der Kontakt zum Elternhaus, in dem<br />
die Brüder le<strong>be</strong>n, geht ihr jedoch sehr ab. Vor allem auch weil die Brüder ihr<br />
nachtragen, dass sie von zu Hause weggegangen ist.<br />
Von den Männern äußern sich drei von den acht ü<strong>be</strong>r den jetzigen Elternkontakt.<br />
Ein ü<strong>be</strong>r 50jähriger Mann erzählt ü<strong>be</strong>r eine Ar<strong>be</strong>it, nach der er den Schmutz schwer<br />
von den Händen <strong>be</strong>kommen hat, als erstes von der Reaktion seiner Mutter.<br />
• „Da ha<strong>be</strong> ich mir die Hände gewaschen und dann sind die Nägel trotzdem<br />
schwarz gewesen. Die Mama hat geglaubt, ich wasche mich nicht.“<br />
Ein anderer, der auch schon ü<strong>be</strong>r 50 ist, freut sich, dass seine Mutter noch lebt:<br />
• „[...] jetzt ist sie a<strong>be</strong>r im Spital und wir müssen dann einmal rauf fahren und sie<br />
<strong>be</strong>suchen. Jetzt ist schon lange, dass ich da bin und ich ha<strong>be</strong> sie schon lange<br />
nicht mehr gesehen.“<br />
Ein 24-Jähriger, der erst vor ca. einem Jahr ausgezogen ist und jetzt ein eigenes<br />
Zimmer <strong>be</strong>wohnt, fährt regelmäßig nach Hause:<br />
• „Ja, wenn das Wetter tut, fahre ich schon hin, ja. [Pause] Oft nehme ich wieder<br />
mal wen mit oder so.“<br />
Freizeitgestaltung<br />
Freizeitaktivitäten werden von den InterviewpartnerInnen insgesamt am häufigsten<br />
genannt.<br />
Sie scheinen einen Bereich darzustellen, der am meisten <strong>be</strong>schäftigt und Freude<br />
<strong>be</strong>reitet.<br />
Für die interviewten Mädchen und Frauen sind FreundInnen ein wichtiger Bestandteil<br />
der Freizeitgestaltung. Sie unternehmen was mit den Freundinnen und Freunden,<br />
71
gehen Kaffeetrinken oder treffen sich am Wochenende. Soziale Kontakte scheinen<br />
ihnen wichtig.<br />
Die <strong>be</strong>fragten Burschen und Männer ha<strong>be</strong>n zwar auch Kontakte, a<strong>be</strong>r nicht so<br />
intensiv wie die Mädchen und Frauen. Sie unterhalten sich z.B. mit NachbarInnen<br />
oder Hausmeister. FreundInnen scheinen keine zentrale Rolle zu spielen. Ein<br />
Interviewpartner sagt pointiert:<br />
• „Und ich meine, auch ha<strong>be</strong> ich derzeit nicht das, was man einen Freund<br />
nennt, [Pause]“<br />
In Punkto <strong>be</strong>vorzugte Aktivitäten unterscheiden sich die interviewten Frauen klar von<br />
den Männern. Mädchen sind Zuseherinnen am Fußballplatz, Burschen und Männer<br />
ge<strong>be</strong>n an, selbst zu spielen.<br />
Frauen gehen zum Frisör, „um sich schön zu machen“, Männer gehen „fischen und<br />
Bogenschießen“.<br />
E<strong>be</strong>nfalls frauenspezifisch sind „Spaziergänge, Entspannungssachen,<br />
Wellnessprogramm, Tanzkurse, Einkaufen, häkeln und Bilder sticken“.<br />
Die Männer ge<strong>be</strong>n an: Darts spielen, Pokern, Fortgehen, Ministrieren, CP-funken, in<br />
der Holzwerkstatt ar<strong>be</strong>iten, ins Gasthaus gehen, oder im Internet zu surfen:<br />
• „[...] dann bin ich natürlich – wie Sie sicher schon <strong>be</strong>merkt ha<strong>be</strong>n [lacht} –<br />
ziemlich oft im Internet auch <strong>be</strong>schäftigt. Und da vergeht die Zeit damit, Mails<br />
zu schrei<strong>be</strong>n oder vielleicht im Chat-room zu chaten. Also immer wieder ...<br />
damit es mir ja nicht fad wird.“<br />
Haustiere sind für Frauen wie Männer ein Thema:<br />
Ein Interviewpartner sagt dazu:<br />
• „Mit meiner Katze ha<strong>be</strong> ich die größte Freude.“<br />
Ein weiterer:<br />
• „Was mir abgeht sind die Viecher. Viecher sind wie Kinder.“<br />
Einige Befragte machen bzw. planen in ihrer Freizeit größere Projekte:<br />
Eine Frau:<br />
• „Jetzt bin ich im Begriff in der Firma eine Zeitung zu gründen ü<strong>be</strong>r unsere<br />
Firma, weil die ziemlich un<strong>be</strong>kannt ist […] Ich möchte sie gründen, ja.“<br />
72
Ein Mann:<br />
• „Und eines was ich gemacht ha<strong>be</strong>, ich ha<strong>be</strong> ein Projekt gemacht […]. Wir<br />
ge<strong>be</strong>n ab Septem<strong>be</strong>r ein Backbuch heraus, wo wirklich alles drin ist. Von der<br />
Handkaiser, bis zum Brot, bis zum Plunderteig“.<br />
Sportlich sind interviewte Frauen wie Männer aktiv, sofern sie keine körperliche<br />
Beeinträchtigung ha<strong>be</strong>n. Die Aktivitäten sind sehr vielfältig und reichen von<br />
Schwimmen, ü<strong>be</strong>r Schifahren, Langlaufen, Laufen, Weitspringen, Softball,<br />
Tischtennis bis hin zu Sportarten, speziell für Frauen und Männer mit Behinderung:<br />
Eine Frau:<br />
• „Und dann mache ich ne<strong>be</strong>n<strong>be</strong>i eigentlich Sport. Ich spiele Torball, das ist eine<br />
Sportart für Blinde und Seh<strong>be</strong>hinderte. Also sprich, jeder Seh<strong>be</strong>hinderte muss<br />
eine schwarze Brille tragen und die Blinden natürlich auch. Und es wird mit<br />
einem Klingelball gespielt. Und das Feld ist so groß wie ein Volleyballfeld. Also<br />
13 x 7 hat es. Wo die 7 Meter sind ist ein Tor mit 1m 30 Höhe, ü<strong>be</strong>r die<br />
ganzen 7 Meter. Und auf der gegenü<strong>be</strong>rliegenden Seite noch einmal. Und<br />
eine Mannschaft <strong>be</strong>steht aus 3 Personen und 2 Wechselspieler, a<strong>be</strong>r spielen<br />
dürfen nur 3 im Spielfeld. Und der Ball ist wie gesagt mit Klingel ausgestattet<br />
und in der Mitte sind drei Leinen gespannt, in der Höhe von 30 cm in einem<br />
Meter Abstand und der Ball muss unter den Leinen durch geworfen werden<br />
und die gegnerische Mannschaft, also mit der Hand muss durch geworfen<br />
werden und die gegnerische Mannschaft, ah muss sich halt so ganz lang<br />
machen, generell so lang wie möglich und den Ball nicht ins Tor, dass er nicht<br />
ins Tor geht, der Ball. Und die Staatsmeisterschaften sind dieses Jahr in <strong>Graz</strong>.<br />
Das ist am 27. Novem<strong>be</strong>r.“<br />
Für RollstuhlfahrerInnen ist die Freizeitgestaltung ein „heißes Thema“:<br />
• „Freizeit. Heißes Thema. Kaum möglich für Rollstuhlfahrer, außer man plant<br />
es wirklich generalstabsmäßig ahh [Pause] und teilt sich die Woche<br />
tatsächlich ein.“<br />
Behinderungsspezifische Themen<br />
Einstellung zur Behinderung<br />
Wenn Frauen von Behinderung und Einschränkung sprechen, erwähnen sie im<br />
gleichen Atemzug die Notwendigkeit, die eigene Behinderung zu akzeptieren:<br />
• „Und die [Behinderungen] dürfen sein. Und zum Teil sollen sie sein, weil ganz<br />
einfach, es sind verschiedenste Sachen: Es kann sein, aufgrund dieser<br />
ü<strong>be</strong>rgehenden Behinderung, der Nichtakzeptanz, dem Körper viel zu viel<br />
zugemutet wird. Der Körper, irgendwann a<strong>be</strong>r sagt: Nicht mit mir!“<br />
73
Eine Interviewpartnerin meint, dass <strong>be</strong>i Frauen öfters die Gefahr <strong>be</strong>stehe, dass sie<br />
sich in die „Beschütz-mich-Rolle“ fallen lassen und jegliche Verantwortung für die<br />
eigene Person abge<strong>be</strong>n. Das sei ein frauenspezifisches Phänomen.<br />
Eine andere Interviewpartnerin ist der Meinung, dass Frauen mit Behinderung sehr<br />
viele Fähigkeiten ha<strong>be</strong>n.<br />
• „Sie müssen a<strong>be</strong>r lernen, wie man sagen kann, wenn irgendetwas stört“.<br />
Männer erle<strong>be</strong>n ihre Behinderung, ins<strong>be</strong>sondere körperliche Beeinträchtigungen als<br />
persönliche Einschränkung:<br />
• „Mein Le<strong>be</strong>n ist schlicht anstrengend. [Pause] E<strong>be</strong>n auch <strong>be</strong>dingt durch diese<br />
Mehrfach<strong>be</strong>lastungen“.<br />
• „Ich brauche nie wieder irgendwie nach Afrika gehen und ein<br />
Ü<strong>be</strong>rle<strong>be</strong>nstraining machen, weil das ha<strong>be</strong> ich 365 Tage im Jahr - 24 Stunden<br />
lang. - von in der Früh bis am A<strong>be</strong>nd. Ich brauche diesen Extrakick nicht<br />
mehr.“<br />
Belastend sind vor allem die Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung:<br />
• „Also, wie gesagt, dass sie von vorneherein annehmen, dass man in dem<br />
Augenblick, wo man in irgendeiner Weise Unterstützung braucht vom Staat<br />
ahh, vollkommen [Pause] also ü<strong>be</strong>rhaupt nicht mehr fähig ist, irgendwie sein<br />
Le<strong>be</strong>n zu organisieren. Oder fähig ist, ahh [Pause] die Dinge, die man<br />
braucht, für sich sel<strong>be</strong>r auszusuchen.“<br />
Die Behinderung unter positiven Aspekten zu sehen, wird als langer Prozess<br />
empfunden.<br />
Ein Interviewpartner sagt a<strong>be</strong>r:<br />
• „Ich ha<strong>be</strong> zum Beispiel ahh - obwohl ich ein vollkommener Chaot bin [Pause]<br />
einen ziemlich hohen Selbstorganisationsgrad, den nur relativ wenig<br />
Menschen ha<strong>be</strong>n.“<br />
Ein anderer meint zu seinem Schlaganfall:<br />
• „Wenn das nicht passiert wäre, ja dann, […] wäre ich eingesperrt worden<br />
auch noch“.<br />
Ü<strong>be</strong>r mehrfach<strong>be</strong>hinderte Frauen und Männer sagt ein Interviewpartner:<br />
• „Die sind ein Muster an Effizienz. Mit ganz wenigen Mitteln trotzdem am<br />
Le<strong>be</strong>n blei<strong>be</strong>n. [Pause] Und in irgendeiner Weise ahhh [Pause] so mit der<br />
Umwelt korrespondieren können, dass sie das <strong>be</strong>kommen, was sie brauchen.<br />
[Pause] Das sind zum Beispiel Fähigkeiten, die sehr vielen Leuten abgehen,<br />
74
nicht? Oder die ganz viel Geld dafür ausge<strong>be</strong>n, ah um diese Fähigkeiten sich<br />
anzutrainieren oder zu ü<strong>be</strong>n“.<br />
Diskriminierung<br />
Für Diskriminierungsmechanismen, auch jene die außerhalb der<br />
<strong>be</strong>hindertenspezifischen Diskriminierung liegen, sind Frauen und Männer mit<br />
Behinderung sehr sensi<strong>be</strong>l.<br />
So sagt ein Interviewpartner zum Thema der allgemeinen Diskriminierungen:<br />
• „Ich ha<strong>be</strong> das Gefühl du hast braune Augen und ich ha<strong>be</strong> blaue Augen, ich<br />
haue dir eine hinein. Ja? Das ist auch so eine Art. Die die die Leute kapieren<br />
das nicht. Die die sehen einen Menschen, der anders ist und sagen: Jetzt<br />
haue ich dem eine hinein. [Pause] Und wie hat Gott, wie hat Jesus einmal<br />
gesagt: Der, der ohne Sünde sei, werfe den ersten Stein. Das kann niemand<br />
sein, weil jeder hat eine Sünde <strong>be</strong>gangen, jeder hat Fehler gemacht. Sonst<br />
sind wir keine Menschen, sondern Götter. Und ich meine, das ist etwas, was<br />
ich niemals, niemals einsehen werde auf der Welt. Weil die Weltmacht nach<br />
dem derzeitigen Trei<strong>be</strong>n immer so ist. Wir sind intolerant ge..gegen<br />
Homosexuelle, untolerant gegen Les<strong>be</strong>n, untolerant gegen Bisexuelle. Das<br />
ha<strong>be</strong>n wir ja gesehen <strong>be</strong>im Arnold Schwarzenegger. Der hat gegen eine<br />
Schwulenehe plädiert. Ich ha<strong>be</strong> mir gedacht, was ist denn da auch schon<br />
da<strong>be</strong>i?“<br />
Frauen werden laut ihren Aussagen nicht verbal angegriffen, sondern sprechen<br />
davon, dass ihnen Hilfe entgegengebracht wird, nach der sie nicht verlangen:<br />
• „jemandem eine Hilfe anbieten [Stimme wird lauter] und du brauchst sie nicht!<br />
Und das ist ein Ding, was ich nicht mag.“<br />
• „Oder wenn Leute mich einfach von hinten angreifen, das mag ich ü<strong>be</strong>rhaupt<br />
nicht.“<br />
• „Oder einfach nehmen und irgendwo hin schie<strong>be</strong>n, das mag ich nicht.“<br />
Verbal angegriffen werden Frauen, wenn es um das Thema „Mutterschaft und<br />
Behinderung“ geht:<br />
• „Dadurch, dass ich mit Normalsehenden zusammen ar<strong>be</strong>ite, ha<strong>be</strong> ich damit<br />
schon ein Problem. Z.B. die ha<strong>be</strong>n zum Thema Kind gesagt, weil irgendwie<br />
ha<strong>be</strong>n wir zum Thema Familie diskutiert: Was erlaubst du dir eigentlich mit<br />
deiner Seh<strong>be</strong>hinderung ein Kind in die Welt zu setzen! Also da hat es mir<br />
einmal wirklich alle Haare aufgestellt. Da bin ich wirklich einmal gestiegen.<br />
Weil ich denke mir, andere Mütter ha<strong>be</strong>n genau so Dinge, die sie nicht so gut<br />
können. Und ha<strong>be</strong>n Angst dadurch. Warum soll man mit einer<br />
Seh<strong>be</strong>hinderung kein Kind in die Welt setzen?“<br />
Behindertenspezifische Diskriminierung wird von den Männern oft als offene, direkte<br />
Diskriminierung erlebt:<br />
75
• „Dann wirst du ausgelacht […]“<br />
• „[…] die fahren mich oft an mit dem Rad auf meinem wehen Fuß.“<br />
• „Das merke ich auch, wenn ich von der Ar<strong>be</strong>it heimfahre. Nur wegen 2<br />
Stationen, die ich fahre. Da maulen sie. Und sagen: ma schau [Pause], dann<br />
tun sie mich ausspotten.“<br />
• „Einmal war ein Fall,[…] da bin ich mit dem Rad gefahren, ha<strong>be</strong>n mich halt<br />
ein paar Leute, da war ich mit dem Rad unterwegs, ha<strong>be</strong>n sie mich halt, wie<br />
ich gestanden bin, ein paar Leute, ha<strong>be</strong>n sie mich aufgenommen mit dem<br />
Rad und dann ha<strong>be</strong>n sie mich fallen lassen, fallen lassen am Boden, da<br />
ha<strong>be</strong>n sie mich richtig so hinten aufgeho<strong>be</strong>n und ha<strong>be</strong>n mich fallen gelassen.“<br />
Der Umgang von Behörden mit Frauen und Männern mit Behinderung wird<br />
fol<strong>gender</strong>maßen kritisiert:<br />
• „Behinderte Menschen, auch deren Privatle<strong>be</strong>n ist öffentliches Gut [Pause]<br />
Ansonsten muss man permanent und pausenlos seine Verhältnisse offen<br />
legen. [Pause] Angefangen von seiner Medizin, also vom<br />
Gesundheitszustand bis zu - was weiß ich - bis zu den finanziellen<br />
Verhältnissen ständig und pausenlos.“<br />
Diskriminierungen am Ar<strong>be</strong>itsplatz <strong>be</strong>nennen ins<strong>be</strong>sondere Frauen mit Behinderung.<br />
Auch geschützte Ar<strong>be</strong>itsplätze oder die Ar<strong>be</strong>it in einer Beschäftigungstherapie sind<br />
keine Garantie für einen wertschätzenden Umgang:<br />
• „Ich hab geschützte Ar<strong>be</strong>itsplätze gehabt und ich bin einfach diskriminiert<br />
worden.“<br />
Eine Frau in Beschäftigungstherapie <strong>be</strong>richtet:<br />
• „Wir sind im Keller unten, den ganzen Tag kein Tageslicht. […]. Da ha<strong>be</strong>n sie<br />
wirklich nicht mitgedacht. […] Da sieht man einmal wie die Ar<strong>be</strong>it gewertet<br />
wird, nämlich gar nicht. Ja, schon deprimierend, a<strong>be</strong>r wir machen das Beste<br />
daraus, sonst erträgt man das eh nicht (lacht).“<br />
Die Erfahrungen von Frauen am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt sprechen für wiederholte und<br />
punktuelle Unterdrückung:<br />
• „Die ha<strong>be</strong>n gesagt, ich bin zu blöd fürs Putzen, obwohl ich mich <strong>be</strong>müht ha<strong>be</strong>,<br />
wirklich das Ganze zu reinigen und alles.“<br />
• „Ich ha<strong>be</strong> mit meinen Kolleginnen oft einen relativen Streit, ich hab auf<br />
meinem Schreibtisch einen Saustall nach ihrer Bezeichnung. Ich sage, das ist<br />
Ordnung. Ich finde in diesem Chaos alles. Das ist ein Ding, wo ich und meine<br />
Kollegin auch immer zum Streiten kommen oder zu diskutieren anfangen.<br />
Oder z.B. wenn sie mir etwas nicht auf den Platz hinstellt, wo ich es hingestellt<br />
ha<strong>be</strong>, dann finde ich es nicht mehr. Dann sagt sie wieder, du hast so einen<br />
Saustall gehabt, ich ha<strong>be</strong> zusammenräumen müssen. A<strong>be</strong>r nur ich finde es<br />
nachher nicht mehr [lacht]. Also ich lie<strong>be</strong> meine Unordnung, für mich ist das<br />
Ordnung. […] Also ich sage immer, ich ha<strong>be</strong> meine eigene Ordnung. Und das<br />
76
können auch viele Leute, Normalsehende nicht so akzeptieren. Z.B., wenn du<br />
gewisse Dinge anders machst, als sie das wollen. […]“<br />
Frauenspezifische Unter<strong>be</strong>zahlung wird als weitere Benachteiligung am ersten<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarkt erlebt:<br />
• „Vom Ar<strong>be</strong>itsverhältnis her sind die Frauen wirklich <strong>be</strong>nachteiligt. Die werden<br />
immer anders <strong>be</strong>zahlt als Männer.“<br />
Männer mit Behinderung stehen am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt unter männertypischem<br />
„Akkord- und Erfolgsdruck“, den sie „nicht wirklich großartig aushalten“.<br />
Einigkeit zwischen Frauen und Männern mit Behinderung <strong>be</strong>steht <strong>be</strong>i der Aussage.<br />
• „dass <strong>be</strong>hinderte Menschen ähnlich wie ahh a.. Frauen [Pause], witzigerweise<br />
ahh [Pause] zumindest doppelt <strong>be</strong>lastet, wenn nicht drei-vierfach <strong>be</strong>lastet<br />
sind.“<br />
• „ja, und was <strong>be</strong>i Frauen möglicherweise noch dazukommt, vor allem, wenn sie<br />
in Partnerschaften - fällt mir jetzt gerade ein, von wegen leisten - ahhhm dass<br />
sie, ne<strong>be</strong>n den üblichen Belastungen, die eine Behinderung mit bringt,<br />
natürlich auch noch die Belastungen ha<strong>be</strong>n, ahh aufgrund der Tatsache, dass<br />
sie Frau sind. …Also sprich, wenn sie <strong>be</strong>rufstätig sind, ha<strong>be</strong>n sie dann zu<br />
Hause noch den Haushalt. Wenn sie in einer Beziehung le<strong>be</strong>n, ha<strong>be</strong>n sie<br />
dann auch noch die Beziehungspflege, ahhh und ha<strong>be</strong>n sie dann unter<br />
Umständen ja dann auch noch die Verantwortung für die Kindererziehung.<br />
[Pause] Und was der Mann dann macht, das weiß ich meistens nicht, nicht!<br />
A<strong>be</strong>r ahh [Pause] das ist, - ich meine, es ist für <strong>be</strong>hinderte Männer schon<br />
schwer genug, eine Beziehung einzugehen - [Pause] ahh und es ist noch<br />
verdammt viel schwieriger für [Pause] eine <strong>be</strong>hinderte Frau. [Pause] Wenn sie<br />
nicht dem, wenn sie nicht irgendeinem gängigen Klischee ahh entsprechen.“<br />
Hilfe und Unterstützung<br />
Ü<strong>be</strong>r die Hilfs<strong>be</strong>dürftigkeit und die tatsächlich <strong>be</strong>kommene Hilfe äußern sich 7 von 12<br />
Frauen und 6 von 8 Männern.<br />
Da<strong>be</strong>i ist vor allem die Art der Behinderung von großer Bedeutung.<br />
Für Frauen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, scheint es selbstverständlich zu<br />
sein, dass in erster Linie Verwandte die Assistenz machen. Hier sind es die<br />
weiblichen Verwandten, die dafür zuständig sind:<br />
• „Ich ha<strong>be</strong> auch eine Schwester, die nicht <strong>be</strong>hindert ist und ja, die macht für<br />
mich die grö<strong>be</strong>ren Ar<strong>be</strong>iten.“<br />
Die Frauen äußern sich auch sehr löblich ü<strong>be</strong>r Hilfe von Nachbarn und FreundInnen:<br />
77
• „[...] und die Nachbarn rundherum sind sehr <strong>be</strong>hindertenfreundlich. Sie ha<strong>be</strong>n<br />
gesagt, wenn ich was brauche, kann ich jederzeit zu ihnen kommen.“<br />
• „Ich ha<strong>be</strong> auch Zivildiener im M., die wirklich sehr nett sind. Und auch wirklich,<br />
wirklich total super mithelfen.“<br />
• „A<strong>be</strong>r mein Glück ist ja, das manche Leute sich kümmern um mich.“<br />
Anerkennung der Unterstützung von Seiten der Pflegeeltern kommt von einer<br />
anderen Frau:<br />
• „Und [lacht] also die ganze Familie hat trainiert mit mir und geübt, ne.“<br />
Nur eine seh<strong>be</strong>hinderte Frau äußert sich kritisch:<br />
• „[...] ich meine, man muss akzeptieren, wenn manche Leute nicht helfen<br />
wollen, a<strong>be</strong>r das ist ja absolut kein Problem. A<strong>be</strong>r der Großteil der Menschen<br />
ist hilfs<strong>be</strong>reit.“<br />
Von den allein le<strong>be</strong>nden Männern, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, kamen<br />
dazu die meisten Wortmeldungen:<br />
• „Ich kann nicht alleine einkaufen gehen, jetzt momentan […] Nein, also<br />
aufstehen kann ich gar nicht.“<br />
• „[…] muss man (es) a<strong>be</strong>r auch aushalten, ahh dauernd ahh wegen jedem<br />
kleinen Blödsinn – und sei es nur wenn ein Zettel oder sonst etwas<br />
hinunterfliegt -, jemand anderen zu brauchen.“<br />
Ein Mann macht sich Gedanken darü<strong>be</strong>r, wie diese Hilfe von Fremden so organisiert<br />
werden könnte, dass für <strong>be</strong>ide ein Nutzen da<strong>be</strong>i herausschauen kann:<br />
• „[…] dass selbst un<strong>be</strong>hinderte Menschen einen <strong>be</strong>hinderten Menschen einmal<br />
ein Stück weit ahh des Weges <strong>be</strong>gleiten, damit sie ihr Le<strong>be</strong>n auf die Reihe<br />
kriegen.“<br />
Und artikuliert auch, dass es für sie nicht so selbstverständlich ist, dass diese Hilfe –<br />
persönliche Assistenz genannt – immer ganz selbstverständlich von den Frauen, sei<br />
es nun von der Mutter oder von der Partnerin geleistet werden soll:<br />
• „[…] ha<strong>be</strong> ich einen Lernprozess hinter mir, der offensichtlich nicht so wirklich<br />
Gang und Gä<strong>be</strong> ist <strong>be</strong>i <strong>be</strong>hinderten Männern. – Die natürlich alle noch<br />
glau<strong>be</strong>n, meinen, dass es selbstverständlich ist, dass die Frau die Assistenz<br />
macht, und zwar die komplette.“<br />
• „Also alles, was irgendwie so mit Assistenz aufgrund von Behinderung, Alter<br />
oder sonst etwas, zusammenhängt, fällt für mich nur mehr sehr <strong>be</strong>dingt unter<br />
dieses Beistandsding.“<br />
Bei vorü<strong>be</strong>rgehenden Krankheiten oder Behinderungen aufgrund von Krankheiten<br />
wäre es noch einzusehen, dann a<strong>be</strong>r auch nur, wenn die Frau nicht <strong>be</strong>rufstätig ist.<br />
• „Ansonsten braucht es dringend [Pause] Zukauf von außen“,<br />
78
fordert ein Mann sehr vehement von der Gesellschaft ein.<br />
Bei Assistenzleistungen von Seiten der Partnerin ist das ganz <strong>be</strong>sonders heikel,<br />
denn<br />
• „Im Prinzip sind es zwei Verhältnisse. Weil du musst eine Partnerschaft<br />
ha<strong>be</strong>n, und brauchst und hast a<strong>be</strong>r auch so etwas Ähnliches wie eine<br />
Dienstleistungs<strong>be</strong>ziehung.“<br />
Jede Assistenzleistung wird von einem im Rollstuhl sitzenden Mann als „ein Eingriff<br />
in die Intimsphäre“ <strong>be</strong>zeichnet und dann ist es umso <strong>be</strong>schwerlicher, wenn man dafür<br />
den mühsamen Weg der Antragstellung gehen muss. Behinderte Menschen ha<strong>be</strong>n<br />
einfach „einen erhöhten Grundaufwand“. Ein Rollstuhlfahrer/eine Rollstuhlfahrerin<br />
braucht eine barrierefreie Wohnung. Dafür ist schon von vorneherein eine gewisse<br />
Größe Voraussetzung. Dazu kommen auch noch erhöhte Heizkosten, da es für<br />
jemand, der ständig sitzt, nicht möglich ist, <strong>be</strong>i einer Innentemperatur von 20 Grad zu<br />
le<strong>be</strong>n ohne sich ständig zu verkühlen.<br />
Unterstützung ganz anderer Art hat ein junger Mann erfahren, der aufgrund der<br />
Diagnose „schwerst<strong>be</strong>hindert“ große Schwierigkeiten da<strong>be</strong>i hatte, eine<br />
Grundausbildung in Lesen und Schrei<strong>be</strong>n zu <strong>be</strong>kommen, obwohl er durchaus dazu<br />
fähig gewesen wäre. Dieses „runterstellen“, wie er es <strong>be</strong>zeichnet, <strong>be</strong>einträchtigt auch<br />
heute noch seinen Selbstwert.<br />
Wenn er nicht Pflegeeltern gehabt hätte, die ihm private Nachhilfestunden finanziert<br />
hätten, könnte er heute nicht lesen und schrei<strong>be</strong>n.<br />
Ü<strong>be</strong>r die Hürden der Antragstellung <strong>be</strong>schweren sich die Männer <strong>be</strong>sonders:<br />
• „Nicht, dass ich es nicht könnte, a<strong>be</strong>r es ist einfach dermaßen mühsam […]<br />
ahh […] diese ganzen Formulare etc. auszufüllen. Hängt doch damit<br />
zusammen, dass man für jeden […] Handgriff und für jedes Ding, das man<br />
irgendwie von irgendjemanden braucht, ahh […] ahh sei es von der<br />
Krankenversicherung oder von der Behindertenhilfe 1000de Formulare<br />
ausfüllen muss.“<br />
Für manche ist es dann so mühsam, dass sie im Endeffekt freiwillig darauf<br />
verzichten.<br />
• „Da ha<strong>be</strong> ich eh schon 50 Kopien raufgeschickt zu den Stellen und was ha<strong>be</strong><br />
ich <strong>be</strong>kommen? Das ganze Geld ha<strong>be</strong> ich nicht <strong>be</strong>kommen. [Pause] Ich ha<strong>be</strong><br />
gesagt, da suche ich gar nicht mehr an. Da zahle ich lie<strong>be</strong>r selbst, da ha<strong>be</strong> ich<br />
mehr davon. Ich mache es einfach nicht mehr. Das hat mich Nerven gekostet!“<br />
79
Dazu kommt noch die entwürdigende Art der Beamten, die ü<strong>be</strong>r den Kopf hinweg<br />
entscheiden, was sie genehmigen und was nicht. Sie fühlen sich von dieser Art von<br />
Bittstellertum entwürdigt, sodass sie entweder darauf verzichten oder depressiv<br />
werden.<br />
• „Ja ganz verstehe ich das nicht da draußen, wie können die ü<strong>be</strong>r einen weg<br />
entscheiden? Das verstehe ich nicht. Die kennen dich nicht einmal. Und<br />
ge<strong>be</strong>n dich ein und das war´s“.<br />
• „Die Mitar<strong>be</strong>iter der Krankenkassen […] sind Horror für mich. Die ha<strong>be</strong>n nur,<br />
wie gesagt, die schauen nur auf das, was es kostet. […] Ha<strong>be</strong>n keine Ahnung,<br />
dass ein Rollstuhl genauso wie ahh Füße […] ahh […] nicht un<strong>be</strong>dingt <strong>be</strong>im<br />
nächsten Mal, wenn man ums Eck fährt, zusammenbrechen muss und<br />
zusammenbrechen darf, sondern ein bisschen stabil, robust und sonst was<br />
sein muss. Und wenn das Ding stabil, robust und sonst was sein muss und<br />
den Anforderungen des Alltags gewachsen, dann […] kostet es auch<br />
dementsprechend mehr.“<br />
Von Seiten der Frauen gab es zu diesen o<strong>be</strong>n abgehandelten Themen gar keine<br />
Wortmeldung. Frauen scheinen viel zufriedener und dankbarer zu sein mit dem, was<br />
sie <strong>be</strong>kommen. Für sie ist es nicht selbstverständlich, dass man Unterstützung<br />
<strong>be</strong>kommen muss. Eine Frau sah es sogar als Diskriminierung an, wenn sie für einen<br />
Fortbildungskurs Unterstützung <strong>be</strong>kommen hätte, die andere nicht <strong>be</strong>kommen. Für<br />
sie ist es ein Zeichen von Normalität, wenn ihr keine Sonderstellung eingeräumt wird.<br />
Normalität<br />
Das Thema Normalität wird relativ selten angesprochen. Es sind eine Frau und zwei<br />
Männer, die sich dazu äußern.<br />
Bei den Frauen ist es eine mit Seh<strong>be</strong>hinderung, die für sich Normalität in<br />
Zusammenhang mit Hilfsmittel<strong>be</strong>schaffung fol<strong>gender</strong>maßen thematisiert:<br />
• „Ein normaler Mensch, ein Nicht<strong>be</strong>hinderter muss sich den PC auch sel<strong>be</strong>r<br />
kaufen. Drucker, Scanner und das weitere auch und für den Rest, der wird<br />
teilweise finanziert, wenn du im Berufsle<strong>be</strong>n bist.“<br />
Ein junger Mann drückt es im Zusammenhang mit einem Freizeit<strong>be</strong>dürfnis aus:<br />
• „Von Zeit zu Zeit gehe ich auch natürlich fort, wie jeder normale Bursch...“<br />
Der zweite spricht darü<strong>be</strong>r in Zusammenhang mit einem Mehraufwand, den er als<br />
Mehrfach-Behinderter hat:<br />
• „Ich ar<strong>be</strong>ite, damit ich mir die Wohnung und die Assistenz leisten kann derzeit.<br />
[…] Und trotzdem ist mein Konto permanent ü<strong>be</strong>rzogen, […] weil ich einfach<br />
auch noch andere, weil ich einfach den normalen Le<strong>be</strong>nsaufwand auch noch<br />
ha<strong>be</strong>.“<br />
80
In diesem Zusammenhang äußert er auch das Bedürfnis, einmal ü<strong>be</strong>r sein Le<strong>be</strong>n<br />
reflektieren zu können, wozu er bisher keine Zeit hatte oder sich nahm:<br />
• „Ich ha<strong>be</strong> zum Beispiel in meinem ganzen Le<strong>be</strong>n nie wirklich Zeit gehabt, mich<br />
auch nur wirklich damit auseinanderzusetzen, [Pause] ahh was es jetzt<br />
wirklich heißt, mit diesen massiven Einschränkungen ahh weiterhin ein<br />
normales Le<strong>be</strong>n zu führen.“<br />
Mobilität<br />
Mobilität ist für 6 von 12 Frauen und 6 von 8 Männer ein Thema. Jedoch mit sehr<br />
unterschiedlichen Zugängen.<br />
Die Wortmeldungen der Frauen sind mehr <strong>be</strong>schrei<strong>be</strong>nd als kritisch anmerkend. Sie<br />
erzählen ü<strong>be</strong>r den Weg zu und von der Ar<strong>be</strong>it, den sie mit dem Bus zurücklegen,<br />
oder wie lange sie zu Fuß in den nächsten Ort gehen müssen. Eine Frau merkt an,<br />
dass sie auf das Behindertentaxi angewiesen ist, weil sie, auf zwei Stöcken gehend,<br />
nicht in den Bus einsteigen könne. Für die Frau mit Seh<strong>be</strong>hinderung ist das<br />
Mobilitätstraining, das sie in der Volks- und Hauptschule so ne<strong>be</strong>n<strong>be</strong>i und während<br />
ihrer Ausbildung im Besonderen gemacht hat, zentral:<br />
• „[…] in Wien ha<strong>be</strong> ich wirklich dann das Le<strong>be</strong>n selbst gelernt. Sprich, da bin<br />
ich wirklich darauf gekommen, was das Le<strong>be</strong>n selbst <strong>be</strong>deutet und ich bin<br />
wirklich total mobil worden in diese Richtung.“<br />
Ein junger Mann vom Land freut sich ü<strong>be</strong>r seinen Mopedführerschein, einerseits weil<br />
er ihn für die Ar<strong>be</strong>it mobiler macht:<br />
• „Weil mit der Ar<strong>be</strong>it war es oft so, dass keine Busverbindungen waren....“<br />
und andererseits gibt ihm der damit verbundene Erfolg auch Selbstvertrauen:<br />
• „Ich bin eigentlich froh, dass ich den Moped-Führerschein geschafft hab. Hat<br />
mich eh gewundert, weil ich ja nichts sehe auf einem Auge, gell?“<br />
Ein zweiter junger Mann vom Land spricht darü<strong>be</strong>r in Zusammenhang mit<br />
Assistenzleistungen innerhalb eines Shuttledienstes von der Tageswerkstätte nach<br />
Hause:<br />
• „Und ich sitze im Bus in der letzten Reihe, komplett schief, weil ich muss zwei<br />
Rollstühle zugleich halten. Da halte ich halt so verkreuzt.“<br />
Ein Mann, der in der Stadt wohnt und öffentliche Verkehrsmittel <strong>be</strong>nutzt, erzählt, wie<br />
er einmal vom Busfahrer positiv in Schutz genommen wurde:<br />
• „[…] ich steige in den [Bus] ein, wo eh nur einer Platz hat. Da wollte mich ein<br />
Mädchen, so ein [Schimpfwort] verjagen. Ich meine ich ha<strong>be</strong> eine<br />
81
Behinderung. Und der Busfahrer, der kennt mich ja. Weißt wie schnell die<br />
aussteigen konnte!?“<br />
Für Körper<strong>be</strong>hinderte hat Mobilität noch einmal eine andere Bedeutung:<br />
• „[…] d.h. meine Anfahrtswege zu irgendwelchen Vergnügungsstätten auch<br />
hier im Umkreis <strong>be</strong>laufen sich auf eine hal<strong>be</strong> Stunde jeweils.“<br />
• „Die U-Bahn war schon ein bisschen blöd. - […] Ha<strong>be</strong>n wir müssen<br />
einbremsen. Und der andere hat müssen zurückhalten. Weil es so steil ü<strong>be</strong>r<br />
die Rolltreppe gegangen ist.“<br />
Barrierefreiheit<br />
Bei den Frauen sind es nicht diejenigen, die selbst im Rollstuhl sitzen, die auf das<br />
Problem hinweisen. Es ist eine Frau, die ihre Erfahrungen nach einem<br />
Rettungstransport schildert:<br />
• „ Da ha<strong>be</strong>n sie mich mit der Rettung nach Hause gebracht, da ha<strong>be</strong>n sie mich<br />
nicht einmal mit dem Bett hinein gebracht […] Das war eine Schinderei für die<br />
Rettungsleute, wie sie mich da ü<strong>be</strong>r die Stiege hinauftragen mussten.“<br />
Die von uns <strong>be</strong>fragten rollstuhlfahrenden Männer nehmen ihre Umwelt kritischer in<br />
<strong>be</strong>zug auf Barrierefreiheit wahr.<br />
• „[…] eines der Hauptprobleme für <strong>be</strong>hinderte Menschen, ins<strong>be</strong>sondere wenn<br />
sie Rollstuhlfahren sind, sind die baulichen Barrieren und die Ü<strong>be</strong>rwindung<br />
dieser Barrieren.“<br />
Was der nächste schon sehr konkret anspricht:<br />
• „Ja, und das ist auch klass, <strong>be</strong>i der Wohnung kommt man auch herein mit dem<br />
Rollstuhl.“<br />
4.5.9 Gesamtinterpretation<br />
Die hier aufgezeichneten 20 Interviews ha<strong>be</strong>n das Ziel, 12 <strong>be</strong>hinderte Frauen und 8<br />
<strong>be</strong>hinderten Männer ü<strong>be</strong>r ihr Le<strong>be</strong>n sprechen zu lassen. Damit wird eine breite<br />
Palette von unterschiedlichen Biographien vorgestellt, die einen gemeinsamen<br />
Nenner ha<strong>be</strong>n: Alle InterviewpartnerInnen ha<strong>be</strong>n eine als Behinderung definierte<br />
Abweichung von der Norm.<br />
Mit der Teilnahme an dieser Studie ha<strong>be</strong>n sie einen ersten Schritt aus der<br />
Anonymität gemacht. In der Interviewsituation war die Wichtigkeit dieses Schrittes<br />
82
deutlich zu spüren. Sowohl Frauen als auch Männer waren sichtlich stolz darauf, mit<br />
ihrer Teilnahme einen Beitrag für andere zu leisten, ernst genommen zu werden und<br />
wichtig zu sein.<br />
Die hier ausgewählten Zitate aus den einzelnen Le<strong>be</strong>nserfahrungen ha<strong>be</strong>n keinerlei<br />
Anspruch auf Verallgemeinerung. Sie vermitteln a<strong>be</strong>r den Eindruck, dass es sich um<br />
Biographien handelt, die in vielerlei Hinsicht alltäglich sind und von vielen Frauen und<br />
Männern geteilt werden könnten. Die weitgehende Zufriedenheit, die viele<br />
ausdrücken, hat eine hohe Glaubwürdigkeit. Die vier Frauen ha<strong>be</strong>n nachvollziehbar<br />
Grund zufrieden zu sein. Ihre Le<strong>be</strong>nssituation hat sich ganz offensichtlich zum<br />
Besseren verändert hat, oder sie ha<strong>be</strong>n viel Hilfe aus der näheren und weiteren<br />
Umgebung erhalten. Dennoch ist es notwendig, gerade in diesem Bereich mit einer<br />
Interpretation sehr vorsichtig zu sein. Manche Erfahrungen können mit Ängsten und<br />
Tabus verbunden sein, ü<strong>be</strong>r die nicht ohne weiteres gesprochen wird 44 . Ein weiterer<br />
Grund für den Ausdruck von Zufriedenheit kann auch darin <strong>be</strong>gründet sein, dass<br />
diese Frauen es nicht gewohnt sind, ü<strong>be</strong>r ihre Situation als Expertinnen zu sprechen,<br />
und sie von Kindheit auf gehört ha<strong>be</strong>n, dass es gut ist, zufrieden zu sein. Oder auch,<br />
dass sie es als inneren Auftrag gesehen ha<strong>be</strong>n, ein möglichst positives Bild zu<br />
zeichnen 45 .<br />
Dort, wo die Interviewten ü<strong>be</strong>r ihre Erfahrung mit der eigenen Behinderung und einer<br />
dies<strong>be</strong>züglichen Diskriminierung sprechen, gehen sie auf die Themen ein, der der<br />
Anlass für die Studie waren. Auch in diesem Bereich ist ein deutlicher<br />
geschlechtspezifischer Unterschied festzustellen. Auffallend ist, dass Frauen dazu<br />
neigen, sich mit ihrer Behinderung zu arrangieren und einen Weg suchen, wie sie sie<br />
akzeptieren können. Die interviewten Männer erle<strong>be</strong>n die Behinderung eher als<br />
persönliche Einschränkung und reagieren viel sensibler auf dies<strong>be</strong>zügliche<br />
Diskriminierungen. Die interviewten Frauen sind dankbar für Unterstützungen, die sie<br />
<strong>be</strong>kommen und ärgern sich höchstens ü<strong>be</strong>r zu gut gemeinte Hilfestellungen. Die<br />
<strong>be</strong>fragten Männer fordern offener und selbstverständlicher Hilfeleistungen von der<br />
Gesellschaft. Sie wollen selbständig und unabhängig sein, auch wenn sie oft<br />
44<br />
Vgl. Sigot (2003), S.55. Sigot <strong>be</strong>schreibt sie, wie sehr unausgesprochene Erfahrungen der Frauen<br />
zu Sprachlosigkeit führen kann.<br />
45<br />
Wenn Frauen selbst ein Buch schrei<strong>be</strong>n, in dem sie ü<strong>be</strong>r ihre Erfahrungen als <strong>be</strong>hinderte Frauen<br />
<strong>be</strong>richten, schrei<strong>be</strong>n sie viel kritischer ü<strong>be</strong>r ihre Situation. Nachzulesen <strong>be</strong>i Ewinkel/Hermes (2002)<br />
83
selbstverständlich Hilfe von Partnerinnen <strong>be</strong>kommen, wie es einer der <strong>be</strong>fragten<br />
Männer stellvertretend für andere ausdrückt.<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ne<strong>be</strong>n der Art und Schwere der<br />
Behinderung folgende Faktoren den individuellen Le<strong>be</strong>nslauf der <strong>be</strong>fragten Frauen<br />
und Männer am nachhaltigsten <strong>be</strong>stimmen:<br />
Familiäres Umfeld<br />
Wie jemand von Geburt an angenommen und in den ersten Le<strong>be</strong>nsjahren <strong>be</strong>gleitet<br />
wird, <strong>be</strong>stimmt die Art und Weise, wie jemand im Erwachsenenalter mit den<br />
Herausforderungen, die an sie/ihn gestellt werden, umgehen kann. Da<strong>be</strong>i spielt es<br />
eine untergeordnete Rolle, ob dies die leiblichen oder Pflegeeltern sind. Wenn es in<br />
dieser ersten Phase zu Störungen kommt, welche im schlimmsten Fall als Gewalt<br />
auftritt, prägt sie das ganze Le<strong>be</strong>n. Diese Erfahrungen kann auch spätere<br />
Zuwendung nicht wieder gut machen.<br />
Von Gewalt sind nach den Aussagen drei Frauen und drei Männer <strong>be</strong>troffen. Zwei<br />
davon, wiederum eine Frau und ein Mann, ha<strong>be</strong>n nicht nur psychische, sondern auch<br />
physische Schäden davongetragen.<br />
Eine Konsequenz daraus ist: Besonders wenn ein Kind von Geburt an eine<br />
Behinderung hat und die Eltern nicht darauf vor<strong>be</strong>reitet waren, ist Begleitung<br />
notwendig, um mit der Situation klar zu kommen 46 . Elternar<strong>be</strong>it ist deshalb in<br />
vielfacher Weise wichtige Voraussetzung für die Stärkung <strong>be</strong>hinderter Frauen und<br />
Männer.<br />
Ausbildung/Beruf/Ar<strong>be</strong>it<br />
Für die interviewten <strong>be</strong>hinderten Frauen und Männer ist etwas den eigenen<br />
Neigungen und Fähigkeiten entsprechend zu lernen und damit einen Beitrag in der<br />
Gemeinschaft leisten zu können, e<strong>be</strong>nso wichtig, wie die Anerkennung, die sie dafür<br />
erhalten.<br />
Zwar ist in den Interviews sehr deutlich geworden, dass für alle 20<br />
InterviewpartnerInnen Ar<strong>be</strong>it einen zentralen Stellenwert hat und 18 von 20 auch<br />
46 Vgl. Pieper (1993). Anhand von 8 Biographien von Geburt an <strong>be</strong>hinderten Frauen und Männern gibt<br />
sie einen Ü<strong>be</strong>rblick ü<strong>be</strong>r die verschiedenen biographischen Prozesse, durch die aus der von Geburt<br />
an <strong>be</strong>stehenden physischen Schädigung eine sozial erzeugte Behinderung wird. Da<strong>be</strong>i räumt sie den<br />
elterlichen Erfahrungen einen wichtigen Platz ein und meint, dass die Begleitung, vor allem <strong>be</strong>i der<br />
Diagnose und in der Anfangsphase der Elternschaft, von ganz großer Bedeutung ist. S. 333f.<br />
84
täglich entweder in Ausbildung oder in einer Art von Beschäftigung sind. Dennoch<br />
<strong>be</strong>steht in diesem Bereich für sie die größte Anstrengung. Hier zeigt sich deutlich ein<br />
Unterschied zwischen Frauen und Männern.<br />
Sowohl Frauen als auch Männer richten sich stark nach den gesellschaftlichen und<br />
geschlechtsspezifischen Möglichkeiten. Dennoch arrangieren sich Frauen mit ihren<br />
geringeren Möglichkeiten <strong>be</strong>sser und schneller als Männer. Frauen mit Behinderung<br />
wird von vorneherein weniger in Aussicht gestellt. Ein Handwerk, ob gelernt oder<br />
angelernt, rangiert in der gesellschaftlichen Wertescala weit höher als ein<br />
Küchenhilfsjob. Er bringt in der Regel mehr Geld und ist öfter am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt zu<br />
finden. Daher erle<strong>be</strong>n manche Männer eine Beschäftigungstherapie als etwas wie<br />
eine Endstation: Wenn sonst nichts mehr geht.<br />
Für manche Frauen wird schon ein Traum wahr, wenn sie in einer<br />
Beschäftigungstherapie Aufnahme finden. Es scheint, als ob sie sich nicht mehr<br />
erhoffen können. Und es gibt wenige, die „Kämpfernaturen“ sind, wie dies eine<br />
Interviewpartnerin explizit ausdrückt und eine andere implizit zu sein scheint. Letztere<br />
ist die einzige, die ihre Unzufriedenheit mit ihrem Nicht-Ar<strong>be</strong>itsverhältnis in der<br />
Beschäftigungstherapie deutlich ausspricht. Sie will eine richtige Pension und keine<br />
Sozialpension: Weil sie mehr als 20 Jahre in der Wäscherei gear<strong>be</strong>itet hat, 40<br />
Stunden pro Woche und das noch zu schlechten Bedingungen: im Keller ohne<br />
Tageslicht.<br />
Ein Interviewpartner warf die Frage auf: Ist es wirklich notwendig, Ar<strong>be</strong>it zu<br />
kategorisieren? In den 1. und 2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt zum Beispiel? Für <strong>be</strong>hinderte Frauen<br />
und Männer stellt diese Einteilung eine zusätzliche Hürde dar 47 .<br />
Um die Situation für Frauen zu ver<strong>be</strong>ssern, sind hier in erster Linie strukturelle<br />
Veränderungen notwendig. Die Strategie des <strong>gender</strong> mainstreaming zielt auf diese<br />
Veränderung ab. Gleichstellung von Frauen und Männern hat als<br />
Grundvoraussetzung die gleichen Bedingungen am Ar<strong>be</strong>itsmarkt. Diese können sich<br />
nicht darin erschöpfen, dass jede Stellenanzeige für Frauen und Männer<br />
47 Ein Leiter gab uns <strong>be</strong>im Interview die Auskunft, dass nur Männer Chancen auf eine Integration am<br />
1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt hätten. Männer stoßen auf der untersten Leiter der Hierarchie in den<br />
Dienstleistungs<strong>be</strong>rufen auf Frauen. Dort könnten sie als <strong>be</strong>hinderte Männer <strong>be</strong>stehen. Behinderte<br />
Frauen stellen damit eine Konkurrenz dar und werden daher nicht genommen.<br />
85
ausgeschrie<strong>be</strong>n sein muss. Dafür ist auch notwendig, dass traditionell weibliche<br />
Ar<strong>be</strong>it gesellschaftlich aufgewertet und anerkannt wird, und strukturell durch Lohn<br />
und Aufstiegschancen gleich<strong>be</strong>handelt wird. Auf der Basis dieser<br />
Selbstverständlichkeit ist es möglich, durch Empowermentstrategien die Frauen<br />
selbst zu stärken, um sie aus der, von ihnen oft als einzige Ü<strong>be</strong>rle<strong>be</strong>nsstrategie<br />
angesehenen, „Opfer-Rolle“ heraus zu <strong>be</strong>gleiten. Mit solchen Rahmen<strong>be</strong>dingungen<br />
macht es Sinn, sie darin zu <strong>be</strong>stärken, ihre eigenen Interessen kennen und<br />
durchsetzen zu lernen. Die Strategie, <strong>be</strong>hinderte Frauen individuell durch<br />
Empowerment zu stärken, ist also nur dann effektiv, wenn die Rahmen<strong>be</strong>dingungen<br />
gestärkten Frauen gleiche Ar<strong>be</strong>itsmöglichkeiten eröffnen.<br />
Aus den Interviews geht hervor, dass <strong>be</strong>hinderte Frauen und Männer sich durchaus<br />
ihrer Fähigkeiten <strong>be</strong>wusst sind. Ressourcenorientierung ist hier eine sehr<br />
empfehlenswerte Strategie, um sie weiter zu unterstützen.<br />
Wohnsituation<br />
Die Möglichkeit, einen Raum zu ha<strong>be</strong>n, wo man sich zurückziehen und privat sein,<br />
wo man a<strong>be</strong>r auch mit FreundInnen zusammen sein kann, ist zentral für das<br />
psychische Gleichgewicht und spielte <strong>be</strong>i allen Interviewten eine große Rolle. So<br />
steht auch <strong>be</strong>i zwei Frauen und drei Männern das Wohnen im Zentrum ihrer<br />
Ausführungen <strong>be</strong>im Interview. Bis auf einen jungen Mann sind alle von uns <strong>be</strong>fragten<br />
Frauen und Männer mit der derzeitigen Wohnsituation zufrieden oder ha<strong>be</strong>n in<br />
absehbarer Zeit die Aussicht auf Veränderung. Da<strong>be</strong>i spielt es keine Rolle, ob sie in<br />
einer Institution oder privat le<strong>be</strong>n. Eine Frau und ein Mann mittleren Alters ha<strong>be</strong>n<br />
gerade erst eine eigene Wohnung <strong>be</strong>zogen und freuen sich sehr ü<strong>be</strong>r die neue<br />
Unabhängigkeit. Zwei Frauen, die in einer Institution eine für sie optimale<br />
Wohnsituation gefunden ha<strong>be</strong>n, wünschen sich, dass es so blei<strong>be</strong>n soll. Von den<br />
drei Frauen und den zwei Männern, die noch zu Hause <strong>be</strong>i den Eltern wohnen, will<br />
nur einer ganz dringend von zu Hause wegziehen und sieht derzeit keine<br />
Möglichkeiten, dies zu verwirklichen. Die <strong>be</strong>iden Paare werden in absehbarer Zeit in<br />
eine gemeinsame Wohnung ziehen, eines innerhalb einer Institution, das zweite in<br />
eine Gemeindewohnung.<br />
Beziehung<br />
86
Der Wunsch nach einer Beziehung ist individuell verschieden und hängt sehr von<br />
den bisherigen Erfahrungen ab. Es ist auffallend, dass Frauen ab ca. 40 Jahren, die<br />
derzeit in keiner Beziehung le<strong>be</strong>n, auch kein Interesse <strong>be</strong>kunden, je wieder eine<br />
eingehen zu wollen 48 . Für jüngere Frauen ist Beziehung hingegen ein zentrales<br />
Thema, vor allem, wenn sie noch keine Beziehungserfahrung ha<strong>be</strong>n. Zivildiener sind<br />
da<strong>be</strong>i wichtige Projektionsmänner, was leider immer wieder zu Enttäuschungen<br />
führt 49 . Für junge Männer sind Beziehungen e<strong>be</strong>nso mit Wünschen und Träumen<br />
<strong>be</strong>setzt, die sehr viel Raum im vordergründigen Interesse einnehmen können. Bei<br />
den älteren der <strong>be</strong>fragten Männer gehört eine Partnerin/Freundin zur<br />
Selbstverständlichkeit, auch wenn sie derzeit in keiner Beziehung le<strong>be</strong>n.<br />
Freizeitgestaltung<br />
Sie ist ne<strong>be</strong>n der Ar<strong>be</strong>it zentral im Le<strong>be</strong>n der <strong>be</strong>fragten Frauen und Männer und<br />
unterscheidet sich dem Wunsch nach nicht wesentlich von den Wünschen nicht<br />
<strong>be</strong>hinderter Frauen und Männer. Umso schwerwie<strong>gender</strong> ist es, wenn manches<br />
aufgrund von mangelnder Barrierefreiheit nur schwer, bzw. mit großen Hindernissen,<br />
zu organisieren ist. Vor allem Frauen halten Mobilität nicht für selbstverständlich. Sie<br />
sehen sich persönlich dafür zuständig und sind dankbar für alles, was sie<br />
<strong>be</strong>kommen.<br />
Abschließend eine Beobachtung aus dem ExpertInnentreffen der <strong>be</strong>hinderten Frauen<br />
und Männer, zu dem wir alle InterviewpartnerInnen eingeladen ha<strong>be</strong>n: Die<br />
anwesenden Männer ha<strong>be</strong>n viel öfter und ausdauernder das Wort ergriffen als die<br />
Frauen. Auf Nachfragen äußerten Frauen damals, dass es nicht darum ginge, dass<br />
sie nichts zu sagen hätten, sondern eher darum, dass sie einfach länger brauchen,<br />
um in einer Runde warm zu werden. Das entspricht auch den Beobachtungen<br />
frauenspezifischen Verhaltens in Gruppen nicht <strong>be</strong>hinderter Personen. Daher ist es<br />
wünschenswert, frauenspezifische Trainings anzubieten, in denen Frauen in<br />
Gruppen mehr Selbstvertrauen gewinnen können.<br />
48 Dies deckt sich auch mit den Erfahrungen aus der Frauengruppe 40+, die das<br />
<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> gemeinsam mit der Le<strong>be</strong>nshilfe <strong>Graz</strong> und Umgebung ins Le<strong>be</strong>n gerufen<br />
hat. Dort <strong>be</strong>kunden 10 von 13 Frauen: Männer interessieren uns nicht.<br />
49 Eine Leiterin <strong>be</strong>tonte im Interview die Wichtigkeit von Zivildienern in Behinderteneinrichtungen<br />
<strong>be</strong>sonders für die jungen Frauen, die sonst kaum Möglichkeiten zu längerem Kontakt mit jungen<br />
Männern ha<strong>be</strong>n.<br />
87
4.6 Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />
Die Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen stellen den zweiten Teil der Untersuchung dar.<br />
4.6.1 Die Methode<br />
Kurz nochmals zum Design und zum Ziel der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen: Im Rahmen der<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden acht Frauen mit Behinderung, die am ersten<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarkt <strong>be</strong>schäftigt sind, als Expertinnen in eigener Sache <strong>be</strong>fragt. Um<br />
unterschiedliche Perspektiven <strong>be</strong>rücksichtigen zu können, wurde <strong>be</strong>i jeder Analyse<br />
zusätzlich eine Kollegin der Frau mit Behinderung sowie ein/e Vorgesetzt/e <strong>be</strong>fragt.<br />
Ne<strong>be</strong>n dem Ar<strong>be</strong>itsalltag wurden u. a. Rahmen<strong>be</strong>dingungen, Entlohnung, mögliche<br />
Problemkonstellationen und vorhandene bzw. wünschenswerte<br />
Unterstützungsangebote thematisiert.<br />
Die Kontaktaufnahme mit den erwerbstätigen Frauen mit Behinderung, den<br />
Unternehmen und den Ar<strong>be</strong>itskollegInnen erfolgte durch Unterstützung des<br />
Bundessozialamtes, das die Freiwilligkeit der Teilnahme gewährleistete durch<br />
vorherige Zustimmungen der TeilnehmerInnnen.<br />
Ziel der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen war die Analyse der Ar<strong>be</strong>its(platz)situation von Frauen<br />
mit Behinderung sowie das Aufzeigen angemessener und humaner<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatzmöglichkeiten für Mädchen und Frauen mit Behinderung aus deren Sicht,<br />
aus Sicht der UnternehmerInnen und der KollegInnen.<br />
Die Interviews als Basis der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden anhand eines<br />
Interviewleitfadens geführt (siehe Anhang).<br />
88
Auswahlkriterien für die Frauen mit Behinderung waren:<br />
• Art der Behinderung (körperliche Einschränkung, Lernschwierigkeiten,<br />
Sinnes<strong>be</strong>hinderung oder psychische Problematik)<br />
• mindestens einjährige Berufstätigkeit am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
• keine Ausbildung ü<strong>be</strong>r Maturaniveau, da diesem Bereich erst kürzlich eine<br />
Studie veröffentlicht wurde.<br />
Einer Frau mit Behinderung wurden Fragen zu folgenden Bereichen gestellt:<br />
• Ar<strong>be</strong>itsalltag<br />
• Befindlichkeit<br />
• Team<br />
• Einkommen<br />
• Einstieg<br />
• Berufswahl<br />
• Unterstützung<br />
• Einschränkung<br />
• Stellenwert von Ar<strong>be</strong>it<br />
• <strong>be</strong>rufliche Zukunft<br />
• Privates<br />
• Tipps für Frauen mit Behinderung<br />
• Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
• Wünsche/Zukunft<br />
In den Interviews mit den Kolleginnen wurden folgende Punkte thematisiert:<br />
• Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>reich<br />
• Vor<strong>be</strong>reitung auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />
• Erwartungen und Befürchtungen<br />
• Veränderungen durch den Eintritt einer Frau mit Behinderung<br />
• Wünsche<br />
• Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
89
Entsprechend die Fragen <strong>be</strong>i den Interviews mit den Unternehmen:<br />
• Motivation/Nutzen<br />
• Unterstützung<br />
• Anpassungen am Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />
• Erwartungen und Befürchtungen<br />
• Veränderungen durch den Eintritt einer Frau mit Behinderung<br />
• Vor<strong>be</strong>reitung auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />
• Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
Als Ergänzung zu den Interviews werden die Führungskräfte der Unternehmen<br />
ge<strong>be</strong>ten, einen Kurzfragebogen auszufüllen, der ne<strong>be</strong>n statistischen Anga<strong>be</strong>n die<br />
Bereiche Frauenförderung, Förderung von Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung und hier<br />
inkludiert Gesundheitsförderung <strong>be</strong>handelt. Hier<strong>be</strong>i wurde auf die Gender Health<br />
Audits zurückgegriffen, die das <strong>Frauengesundheitszentrum</strong> im Rahmen des<br />
Frauengesundheitsprogramms 2001 durchgeführt hat. 50 Der Fragebogen und die<br />
Auswertung <strong>be</strong>finden sich im Anhang.<br />
Im Interviewleitfaden für die Frauen mit Behinderung sind die Fragen auch in leicht<br />
verständlicher Form formuliert, um den Bedürfnissen der Frauen mit<br />
Lernschwierigkeiten gerecht zu werden.<br />
Alle Interviews wurden mit Tonband aufgenommen und anschließend transkribiert.<br />
Die Auswertung erfolgte mit Hilfe der Software ATLAS/ti. Als Kategorien wurden im<br />
Wesentlichen die o<strong>be</strong>n angeführten Themen<strong>be</strong>reiche verwendet.<br />
Eine Anmerkung zu den Zitaten in Auswertung und Interpretation: Die Zitate wurden<br />
wortwörtlich ü<strong>be</strong>rnommen. In manchen Fällen wurden grammatikalische<br />
Unkorrektheiten, wie sie in gesprochener Sprache selbstverständlich auftreten<br />
<strong>be</strong>reinigt. Auslassungen werden <strong>be</strong>hutsam vorgenommen und so, dass der<br />
Sinnzusammenhang nicht verloren geht. Ausgelassen wurden <strong>be</strong>ispielsweise<br />
Wortwiederholungen oder Leerfloskeln.<br />
50 Rásky, Éva, Groth, Sylvia: Das Frauengesundheitsprogramm <strong>Graz</strong>. Gender Health Audit in sechs<br />
<strong>Graz</strong>er Betrie<strong>be</strong>n. Linz 2003.<br />
90
4.6.2 Kontaktaufnahme<br />
Der Kontakt zu den Frauen für das Durchführen der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurde vom<br />
Bundessozialamt bzw. im Projekt ü<strong>be</strong>r Einrichtungen bzw. Betrie<strong>be</strong>, die das<br />
Bundessozialamt fördert, hergestellt. In einem Fall erfolgte die Kontaktaufnahme<br />
direkt mit der Frau mit Behinderung.<br />
Das Durchführen der Interviews basierte auf dem Einverständnis der<br />
Ar<strong>be</strong>itge<strong>be</strong>rInnen, das vorab telefonisch eingeholt wurde sowie auf Basis der<br />
Freiwilligkeit der Mitar<strong>be</strong>iterinnen mit Behinderung, der Ar<strong>be</strong>itge<strong>be</strong>rInnen und der<br />
Ar<strong>be</strong>itskollegInnen. Anonymität <strong>be</strong>züglich der Aussagen wurde jeder interviewten<br />
Person zugesichert.<br />
Bei der Auswahl der Firmen wurde darauf Wert gelegt, einen ausgewogenen Anteil<br />
an Firmen bis zu bzw. ü<strong>be</strong>r 25 Mitar<strong>be</strong>iterInnen zu kontaktieren. Vier der<br />
Unternehmen, die an der Studie teilnahmen hatten unter, vier ü<strong>be</strong>r 25<br />
Mitar<strong>be</strong>iterInnen. In allen Betrie<strong>be</strong>n ü<strong>be</strong>rwog der Anteil der weiblichen Mitar<strong>be</strong>iter.<br />
Die Firmen zeigten sich durchwegs interessiert an der Studie und waren – bis auf ein<br />
Fall – zur Teilnahme <strong>be</strong>reit. Die Rekrutierung von Frauen mit körperlichen<br />
Einschränkungen stellte kein Problem dar, im Gegenteil. 51 Schwieriger war es,<br />
Frauen mit Lernschwierigkeiten zu finden. Viele der Frauen, die für ein Interview in<br />
Frage gekommen wären, wollten nicht ü<strong>be</strong>r ihre Ar<strong>be</strong>itssituation sprechen. Die<br />
Studienteilnehmerin mit Seh<strong>be</strong>hinderung war sofort zu einem Interview <strong>be</strong>reit.<br />
Als unerwartet großes Problem stellte sich die Suche nach einer Frau mit<br />
psychischer Beeinträchtigung dar. Zum einen gibt es offensichtlich wenige Frauen,<br />
die wir kontaktierten, mit psychischer Beeinträchtigung, die am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
<strong>be</strong>schäftigt sind - viele der Frauen waren erst kurze Zeit am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt oder<br />
noch in einer Qualifizierungsmaßnahme. Zum anderen war keine der Frauen, die den<br />
51 Hier hätten wir mehr Interviewpartnerinnen als notwendig gehabt. Möglicherweise spiegelt dies die<br />
Situation am Ar<strong>be</strong>itsmarkt wider; wir vermuten, dass der Anteil an Frauen mit körperlichen<br />
Einschränkungen sehr hoch ist. Klarheit bringt möglicherweise die Folgestudie, an der ab Jänner 2005<br />
gear<strong>be</strong>itet wird. (siehe „Ausblick“).<br />
91
Kriterien entsprochen hätte, zu einem Interview <strong>be</strong>reit. Ein großes Hindernis stellten<br />
auch die Interviews mit Kollege/In und Leitung für die Frauen mit psychischer<br />
Beeinträchtigung dar. Viele Frauen hatten bisher in ihrem Betrieb nicht ü<strong>be</strong>r ihre<br />
Erkrankung gesprochen und wollten nicht, dass die durch die Interviews <strong>be</strong>kannt<br />
wird. Andere fürchteten, dass Kollege/in und Leitung von dem Interview erfahren<br />
würden und ließen sich auch von der Versicherung, dass dies in den Interviews nicht<br />
vorgesehen ist, nicht umstimmen. Einige Frauen wollten generell nicht ü<strong>be</strong>r ihre<br />
Einschränkung sprechen.<br />
Die annähernd 50 Kontakte, die <strong>be</strong>i der Suche hergestellt wurden, zeigen, dass<br />
psychische Problematik ein Tabu in unserer Gesellschaft ist und dass gerade hier<br />
großer Handlungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht.<br />
Das Interview mit der Frau mit psychischer Einschränkung kam letztendlich durch<br />
Zufall zustande. Als wir nach monatelangen Recherchen resigniert hatten und <strong>be</strong>reits<br />
auf der Suche nach einer Interviewpartnerin mit einer anderen Art der Behinderung<br />
waren, kam <strong>be</strong>i einem Betriebskontakt das Problem <strong>be</strong>i der Kontaktaufnahme zu<br />
einer Frau mit psychischer Einschränkung zur Sprache. Im Laufe des Gesprächs<br />
stellte sich heraus, dass der Betrieb auch Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit psychischer<br />
Einschränkung <strong>be</strong>schäftigt, und es konnte eine Interviewpartnerin vermittelt werden.<br />
92
4.6.3 Die Stichpro<strong>be</strong><br />
Regionale Verteilung der Interviews<br />
Bei den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen war der Ar<strong>be</strong>itsort Frauen mit Behinderung kein<br />
vorrangiges Auswahlkriterium, daher der höhere Anteil der <strong>be</strong>fragten Frauen im<br />
<strong>Graz</strong>er Raum. Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass in gewissen Regionen keine<br />
der Frauen, die den Kriterien entsprochen hätten, zu einem Interview <strong>be</strong>reit waren.<br />
Beispielsweise konnte keine Frau aus der Südsteiermark als Gesprächspartnerin<br />
gefunden werden, die Ar<strong>be</strong>itsassistenz hat uns jedoch eine Interviewpartnerin aus<br />
<strong>Graz</strong> vermittelt.<br />
Die regionale Verteilung der Interviews:<br />
1<br />
Abbildung 17: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Regionale Verteilung der Interviews<br />
6<br />
1<br />
93
Altersstruktur<br />
Sechs der Interviewpartnerinnen sind zwischen 21 und 30 Jahre alt; zwei zwischen<br />
31 und 40. Das Durchschnittsalter liegt <strong>be</strong>i 27 Jahren. Die jüngste Interviewpartnerin<br />
ist 22, die älteste 39.<br />
Le<strong>be</strong>nssituation<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
Abbildung 18: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Altersstruktur<br />
Alle acht Interviewpartnerinnen der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen sind ledig; eine Frau war<br />
verheiratet, ist mittlerweile geschieden.<br />
5<br />
0<br />
18 bis 20 J.<br />
Altersstruktur - der Ar<strong>be</strong>itsplatzalaysen<br />
Frauen - Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />
0<br />
21 bis 30 J.<br />
Zu vier der Frauen liegen zu dieser Fragestellung keine näheren Anga<strong>be</strong>n vor. Drei<br />
Frauen le<strong>be</strong>n in Partnerschaft, eine Frau ist allein stehend.<br />
Alle acht Frauen wohnen privat: Zwei alleine, zwei mit Partner, drei mit Angehörigen<br />
und eine Frau sowohl mit Partner als auch mit Angehörigen.<br />
6<br />
31 bis 40 J.<br />
2<br />
ab 40<br />
0<br />
Durchschnitt<br />
27<br />
94
Arten der Behinderung<br />
In den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen sind drei Frauen mit körperlicher Beeinträchtigung, drei<br />
Frauen mit Lernschwierigkeiten, eine Frau mit psychischer Problematik und eine mit<br />
Sinnes<strong>be</strong>hinderung vertreten. In vier Fällen <strong>be</strong>ruht die Behinderung auf einer<br />
chronischen Erkrankung.<br />
Ausbildung<br />
Arten der Behinderung - Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />
Frauen nach Arten der Behinderung - Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />
Lernschwierigkeiten; 3<br />
Abbildung 19: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Frauen nach Arten der Behinderung<br />
Fünf der Interviewpartnerinnen ge<strong>be</strong>n als höchsten Abschluss den<br />
Hauptschulabschluss an, zwei <strong>be</strong>suchten eine BHS, eine Frau hat Matura. Zwei der<br />
Frauen <strong>be</strong>suchten in der Hauptschule eine Integrationsklasse.<br />
körperliche Beeinträchtigung; 3<br />
psychische Problematik; 1 Sinnes<strong>be</strong>hinderung; 1<br />
95
Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />
Abbildung 20: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen: Höchster Schulabschluss<br />
Fünf der Interviewpartnerinnen ar<strong>be</strong>iten an einem Büroar<strong>be</strong>itsplatz, eine Frau ist im<br />
Handel tätig, eine im Gastronomie<strong>be</strong>reich und eine Frau ar<strong>be</strong>itet in einem<br />
Seniorenheim.<br />
Fünf Frauen ar<strong>be</strong>iten ganztags, drei Teilzeit – 20, 25 bzw. 32,5 Stunden.<br />
Im Schnitt ar<strong>be</strong>iten die Frauen mit Behinderung seit drei Jahren an ihrem<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatz. Zwei Frauen sind seit vier Jahren im jeweiligen Unternehmen, eine drei<br />
Jahre, eine andere 3,5. Vier Frauen sind seit zwei Jahren im interviewten Betrieb<br />
<strong>be</strong>schäftigt.<br />
10<br />
Einkommenssituation<br />
Höchster Schulabschluss - Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
0<br />
Vier der Interviewpartnerinnen verdienen unter 1000 Euro, vier Einkommen liegen<br />
ü<strong>be</strong>r 1000 Euro. Im Vergleich zu den narrativen Interviews zeigt sich hier eine<br />
deutlich andere Einkommensstruktur. Am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt tätige Frauen verdienen<br />
deutlich mehr als jene, die in Beschäftigungstherapie sind.<br />
5<br />
Sonderschule Hauptschule BHS AHS<br />
2<br />
1<br />
96
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Einkommen - Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />
0 0 0<br />
4 4<br />
bis 50 € bis 100 € bis 200 € bis 1000 € > 1000 €<br />
Abbildung 21: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen: Einkommenssituation<br />
97
4.6.4 Interviewsituation<br />
Die Interviews wurden, wo es möglich war am Ar<strong>be</strong>itsplatz durchgeführt, um einen<br />
Einblick in die Ar<strong>be</strong>itssituation und das Ar<strong>be</strong>itsumfeld zu erhalten.<br />
Sie<strong>be</strong>n der Interviews mit Frauen mit Behinderung fanden am Ar<strong>be</strong>itsplatz statt, eine<br />
Frau wählte von sich aus das <strong>Frauengesundheitszentrum</strong> als Ort. Vier Interviews<br />
wurden während der Ar<strong>be</strong>itszeit der Frauen gehalten, vier fanden außerhalb der<br />
Ar<strong>be</strong>it statt. Eine Frau war in ihrem Urlaub zum Interview <strong>be</strong>reit. Bis auf einem<br />
Interview war es immer möglich, ungestört zu sprechen. In diesem Fall stand leider<br />
nur ein mehr oder weniger ruhiger Bereich in einem Lagerraum zur Verfügung, der<br />
immer wieder von Mitar<strong>be</strong>iterInnen des Betrie<strong>be</strong>s <strong>be</strong>treten wurde.<br />
Alle Interviews mit den Kolleginnen sowie mit den LeiterInnen fanden am Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />
statt. Mit einer Kollegin wurde das Interview außerhalb der Ar<strong>be</strong>itszeit geführt, alle<br />
Gespräche mit den LeiterInnen in deren Ar<strong>be</strong>itszeit.<br />
98
4.6.5 Auswertung und Interpretation<br />
4.6.5.1 Vor<strong>be</strong>merkung<br />
Es ist wichtig, die Anonymität der InterviewpartnerInnen und Unternehmen zu<br />
schützen. Unter Einhaltung der Anonymitätskriterien erfolgt die Auswertung und<br />
Interpretation der Interviews auf zwei E<strong>be</strong>nen – auf der strukturellen und der<br />
Beziehungs- und Kommunikationse<strong>be</strong>ne.<br />
Die strukturelle Analyse <strong>be</strong>handelt Rahmen<strong>be</strong>dingungen, Strukturen, Ressourcen<br />
und <strong>be</strong>triebliche Bereiche mit Handlungs<strong>be</strong>darf. In der strukturellen Auswertung<br />
werden den Personen und Unternehmen keine „Namen“ zugeordnet, sondern es<br />
wird allgemein von Frau mit Behinderung, Kollegin und Unternehmen geschrie<strong>be</strong>n.<br />
Diese Vorgangsweise wird zum einen angewandt, um keine Querverbindungen<br />
zwischen der Frau mit Behinderung, ihrer Kollegin und dem Unternehmen herstellen<br />
zu können, die in der Folge zum Erkennen der <strong>be</strong>troffenen Person/des <strong>be</strong>troffenen<br />
Unternehmens führen könnten. In Beispielen, wo Querverbindungen für eine <strong>be</strong>ssere<br />
Verständlichkeit notwendig und parallel dazu die Anonymität nicht gefährdet ist,<br />
werden diese hergestellt.<br />
In den Einzelanalysen werden diese Querverbindungen für die Beziehungs- und<br />
Kommunikationse<strong>be</strong>ne hergestellt, um feststellen zu können, wie die Wahrnehmung<br />
von Frau mit Behinderung, Kollegin und Unternehmen ü<strong>be</strong>reinstimmen.<br />
Ausgangspunkt für eine Einzelanalyse sind die Aussagen einer individuellen Frau mit<br />
Behinderung, die mit denen der Kollegin und der Leitung verglichen werden.<br />
Rahmen<strong>be</strong>dingungen, die Rückschlüsse auf die Frau mit Behinderung oder das<br />
Unternehmen her<strong>be</strong>iführen könnten, wurden hier ausgeklammert.<br />
99
4.6.5.2 Strukturelle Analyse<br />
4.6.5.2.1 Interviews mit Frauen mit Behinderung<br />
Auswertung<br />
Die Auswertung der Interviews der Frauen mit Behinderung ist nach den Kategorien<br />
des Interviewleitfadens gegliedert (siehe Methode).<br />
Ar<strong>be</strong>itsalltag<br />
Die <strong>be</strong>troffenen Frauen hatten folgende Berufe:<br />
• Bibliothekarin<br />
• Bürokraft 2 x<br />
• Küchenhilfe<br />
• Regal<strong>be</strong>treuerin<br />
• Senioren<strong>be</strong>treuerin<br />
• Telefonistin<br />
• Versicherungskauffrau/Büroangestellte<br />
Dieser Ü<strong>be</strong>rblick illustriert, dass „frauentypische“ Berufe unter den <strong>be</strong>fragten Frauen<br />
ü<strong>be</strong>rwiegen.<br />
Ihr Ar<strong>be</strong>itsalltag gestaltet sich je nach Beruf unterschiedlich:<br />
• „[...] Computer einschalten und dann fängt das Übliche an, was e<strong>be</strong>n zu<br />
unserer Ar<strong>be</strong>it gehört. Katalogisieren von Büchern.“<br />
• „Also ich bin für administrative Tätigkeiten [...] <strong>be</strong>schäftigt. Das heißt ich<br />
mache die [...] Abrechnungen, den diversen Schriftverkehr, bin für die<br />
Homepage verantwortlich, mache den Jahres<strong>be</strong>richt. Also Folder, Plakate [...]<br />
Einladungen.“<br />
• „Karteikarten. Exekutionen stempeln, dann Liste am PC schrei<strong>be</strong>n.“<br />
100
• „In der Früh tue ich meistens Salat putzen [...]. Danach gehe ich zum Geschirr<br />
- Geschirr abwaschen, dann Geschirr wegräumen. Ich tue ne<strong>be</strong>n<strong>be</strong>i noch<br />
Wagerl putzen.“<br />
• „Also in der Früh einmal die Milch. [...] Dann wenn man mit allem fertig ist,<br />
dann Datenkontrolle. [...] Vorziehen ist auch noch. Und mit dem Jimmy [Anm.<br />
= Putzmaschine] am A<strong>be</strong>nd fahren. [...] Getränke nachteilen.“<br />
• „[...] Spaziergang oder Spiele. [...] Und ich mache dann auch noch die<br />
Kaffeerunde. [...] Und ich teile noch die Wäsche aus. [...] Was mache ich sonst<br />
noch? Müsste ich ü<strong>be</strong>rlegen. Die Post.“<br />
• „Bin um cirka halb acht in der Firma. Dann werden die ganzen Geräte, die<br />
zwei Computer, drei Computer in die Höhe gefahren, die Programme geladen.<br />
Meine Notizzetteln hergerichtet [...].“<br />
• Meine Hauptaufga<strong>be</strong> ist dann halt, das Ordnen von den Polizzen und die<br />
Polizzenordner nach Kategorien. Und nachher muss ich das in das<br />
Betriebssystem einge<strong>be</strong>n. [...] Dann wird unsere Excel-Aufstellung gemacht,<br />
was Privatvorsorge, was Haus ist und was sonstige Sachen sind rund ums<br />
Auto. Und nachher anhand von den ganzen Daten mache ich eine<br />
Risikoanalyse [...]. Die KFZ, die ganzen Anträge, die so in den<br />
Versicherungs<strong>be</strong>reich reinfallen. [...] Es ist eigentlich quer durch die Bank.“<br />
Befindlichkeit <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it<br />
Nach der alltäglichen Ar<strong>be</strong>itssituation wird dem Thema Befindlichkeit <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it in<br />
den Interviews breiter Raum eingeräumt.<br />
Alle GesprächspartnerInnen äußern sich positiv: „Mir geht es <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it recht<br />
gut.“ wo<strong>be</strong>i die Situation in manchen Fällen zu Beginn doch schwierig gewesen ist:<br />
„Obwohl es oft sehr große Hindernisse sind, die man ü<strong>be</strong>rspringen muss. A<strong>be</strong>r mit<br />
Hilfe von den Kollegen geht das oft ganz rasch oder ohne Probleme.“ Eine Frau, die<br />
<strong>be</strong>reits längere Zeit <strong>be</strong>schäftigt ist, stellt fest: „Also <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it sel<strong>be</strong>r geht es mir<br />
sehr gut.“ weist a<strong>be</strong>r darauf hin, dass das nicht immer so war: „Also ich muss sagen<br />
[...] ich ha<strong>be</strong> mir das sehr sehr mühsam [...] erar<strong>be</strong>itet. [...] Ich bin riesig froh,<br />
nachdem ich anfangs riesige Probleme gehabt ha<strong>be</strong>, puncto Ausbildung [...].“ Sie hat<br />
101
keine fachspezifische Ausbildung und war daher unsicher, ob sie die Ar<strong>be</strong>it<br />
<strong>be</strong>wältigen kann. Für diese Frau hat Ar<strong>be</strong>it mittlerweile einen <strong>be</strong>sonderen Stellenwert<br />
in ihrem Le<strong>be</strong>n <strong>be</strong>kommen: „[...] Das ist für mich wirklich zugleich Therapie. [...]<br />
Wenn ich da montags her fahre, mir taugt es einfach. Ich spüre auch, wenn ich<br />
vorher zu Hause, da ha<strong>be</strong> ich Schmerzen, da tut es weh, und denke mir, nein, ich<br />
fahre lie<strong>be</strong>r ins Büro, ist die <strong>be</strong>ste Therapie.“ Wichtig ist das Gefühl, etwas geleistet<br />
zu ha<strong>be</strong>n: „Und dann fahre ich heim und dann bin ich angenehm müde. Und ha<strong>be</strong><br />
auch das Gefühl, etwas geschafft zu ha<strong>be</strong>n. Und dann ist das Problem des<br />
Handicaps [Pause] das tut dann nicht so weh. [...] Weil ich dann einfach auf der<br />
anderen Seite sehe, ich schaffe ja doch was. Das ist einfach [...] sehr sehr wichtig,<br />
von dem her.“<br />
Eine InterviewpartnerIn <strong>be</strong>gründet ihre Zufriedenheit fol<strong>gender</strong>maßen: „[...] den<br />
Traumjob, den gibt es eh nicht, der unsere Bedürfnisse abdeckt, was wir alles gerne<br />
täten in unserem Le<strong>be</strong>n. [...] Da ist eh klar. [...] Nur manches kommt uns mehr<br />
entgegen und manches weniger.“ Eine Frau meint: „[Ich] bin froh gewesen, dass ich<br />
ü<strong>be</strong>rhaupt die Ar<strong>be</strong>it gekriegt ha<strong>be</strong>.“ Für eine Frau wechselt die Stimmung <strong>be</strong>i der<br />
Ar<strong>be</strong>it: „Manchmal gut, manchmal mittel, manchmal eeemm.“<br />
Freude<br />
Die Antworten auf die Frage, was an der Ar<strong>be</strong>it <strong>be</strong>sonders Freude <strong>be</strong>reitet, fallen<br />
recht unterschiedlich aus. In vielen Fällen wird die Ar<strong>be</strong>it an sich genannt: „Beim<br />
Einteilen helfen.“ – „Wenn der Warentag kommt. [...] Da freut es mich umso mehr.“ –<br />
„Das Ar<strong>be</strong>iten am PC“ – „Ich tue irrsinnig gerne Veranstaltungen organisieren. [...]<br />
Man [kann] auch kreativ sein. Das macht mir riesigen Spaß“ und auch die<br />
Herausforderungen des Berufs „[...] Und es ist immer wieder was zum dazu Lernen.<br />
Und es entwickelt sich ständig weiter. [...] Ich lie<strong>be</strong> das an dem Beruf.“<br />
Viele erwähnen die gute Zusammenar<strong>be</strong>it mit den KollegInnen: „Und das<br />
Ar<strong>be</strong>itsklima, muss ich sagen, das ist ja auch super!“ – „[...] es sind so irrsinnig lie<strong>be</strong><br />
Leute.“ Und eine Frau <strong>be</strong>schreibt: “Und ich muss sagen, ich ha<strong>be</strong> vom Ar<strong>be</strong>itsumfeld<br />
102
her ein Riesenglück, ich werde nicht <strong>be</strong>vorzugt, sondern, ich bin einfach ja ganz<br />
normal da mitten drin.“<br />
Für einige der Studienteilnehmerinnen <strong>be</strong>steht die Freude darin, ü<strong>be</strong>rhaupt Ar<strong>be</strong>it zu<br />
ha<strong>be</strong>n – vor allem in An<strong>be</strong>tracht der Situation anderer Frauen und Männern mit<br />
Behinderung: „Also <strong>be</strong>sonders freut mich, dass ich ü<strong>be</strong>rhaupt einen Job ha<strong>be</strong>. Weil<br />
es gibt viele seh<strong>be</strong>hinderte oder blinde Menschen oder ü<strong>be</strong>rhaupt Behinderte, die<br />
ü<strong>be</strong>rhaupt keinen Job ha<strong>be</strong>n. Und es freut mich, dass ich trotzdem einen Job<br />
gefunden ha<strong>be</strong>.“<br />
Für eine Interviewpartnerin war das Wichtigste „in der Gesellschaft zu stehen [...].<br />
Einfach eine Aufga<strong>be</strong> zu ha<strong>be</strong>n, Verantwortung zu ha<strong>be</strong>n. Das ist einfach das<br />
Wesentlichste.“ Dieser „gesellschaftliche Wert“ von Ar<strong>be</strong>it, der auch positiven<br />
Einfluss auf den Selbstwert hat, wird im Laufe der Interviews immer wieder<br />
thematisiert und <strong>be</strong>gegnet uns auch <strong>be</strong>i anderen Fragestellungen (siehe z. B.<br />
„Einstieg“ oder „Privates“).<br />
Ar<strong>be</strong>it kann in machen Fällen positive Auswirkungen auf das gesamte Le<strong>be</strong>n ha<strong>be</strong>n:<br />
„Ich ha<strong>be</strong> gelernt mein Le<strong>be</strong>n zu organisieren. [...] Ich ha<strong>be</strong> mir lange nicht vorstellen<br />
können, mein Le<strong>be</strong>n selbständig le<strong>be</strong>n zu können.“<br />
„Geld verdienen“ wurde im Zusammenhang mit Freude an der Ar<strong>be</strong>it mehrmals<br />
genannt.<br />
Schwierigkeiten<br />
Schwierigkeiten <strong>be</strong>i Ar<strong>be</strong>it erge<strong>be</strong>n sich für viele der interviewten Frauen aus ihrer<br />
Behinderung. „[...] Dadurch dass ich den Bildschirm nicht sehe, muss ich den ganzen<br />
Bildschirm, wo ich die Telefonnummern abrufe, Zeile für Zeile abtasten. Das dauert<br />
oft eine ziemlich lange Zeit.“ <strong>be</strong>schreibt die blinde Frau ihre Schwierigkeiten <strong>be</strong>i der<br />
Ar<strong>be</strong>it. Eine Frau mit Lern<strong>be</strong>hinderung meint: „Schwer ist eigentlich gar nichts. Nur<br />
dass ich halt ab und zu etwas vergesse. [...] Dann muss ich wieder nachfragen.“ Die<br />
103
Bibliothekarin, eine Frau mit Körper<strong>be</strong>hinderung, antwortete: „Logischerweise zum<br />
Beispiel das Bücher stapeln. [Lachen].“<br />
Eine Frau, die erst vor kurzer Zeit in den Betrieb eingestiegen ist, sieht ihre<br />
mangelnde Routine als Schwierigkeit. Eine andere Interviewpartnerin kann schlecht<br />
mit Druck umgehen: „Wenn wer da steht und einfach Druck macht. Da werde ich so<br />
verwirrt [...] und nervös werde ich auch. Und [Pause] kenne mich nicht mehr aus.“<br />
Eine Interviewpartnerin im Rollstuhl thematisiert die Mühen des Alltags, die vom nicht<br />
funktionierenden Lift - „Der [Anm. =Lift] ist eingegangen [...] und ich war eingesperrt.<br />
[...] Für alle Fußgänger ist es ja einfach, <strong>be</strong>i der Feuertreppe runter. A<strong>be</strong>r ich nicht.“ –<br />
Sie <strong>be</strong>richtet ü<strong>be</strong>r die teils mühsame Benutzung von Treppenliften bis hin zum<br />
anstrengenden alltäglichen Ar<strong>be</strong>itsweg: „Das sind alles so Geschichten dann, wo ich<br />
mir nachher denke, jemand, der geht, kann sich das gar nicht vorstellen. Der hat null<br />
Einblick. Der kann sich nicht vorstellen, wie das ist, wenn du fünf Minuten bis zum<br />
Auto brauchst, dazwischen zwei Lifte <strong>be</strong>nutzt, eine Rampe rauf fährst und dann noch<br />
ins Auto einsteigen musst und dich selbst versorgen musst. Also [...] das darf man<br />
nicht unterschätzen. Das kostet sehr viel Zeit.“ Dieser erhöhte Zeitaufwand hat<br />
Auswirkungen auf das Privatle<strong>be</strong>n: „[...] Wenn ich heim komme, [ha<strong>be</strong>] ich keine Zeit<br />
mehr, dass ich bügle. Ich ha<strong>be</strong> auch keine Zeit mehr, dass ich irgendetwas anders<br />
zusammen räume.“ Ihr abschließendes Resümee: „Es ist eigentlich das Drumherum<br />
anstren<strong>gender</strong> als die Ar<strong>be</strong>it selbst“.<br />
In zwei Aussagen wird noch eine ganz andere E<strong>be</strong>ne angesprochen: „Schwierig ist<br />
es, um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen. Und darauf angewiesen zu sein.“ -<br />
„In meinem Fall <strong>be</strong>deutet das oft, gewisse Emotionen einfach nicht zu zeigen, oder ja<br />
[Pause] nicht zum Ausdruck bringen getrauen. Dann könnte ich eine Konsequenz<br />
ha<strong>be</strong>n [...].“ Im zweiten Fall versucht die Frau mit Körper<strong>be</strong>hinderung ihr Umfeld so<br />
einzurichten, dass sie nicht auf Hilfe angewiesen ist: „Weil in den meisten Dingen bin<br />
ich selbständig. Also für mich gibt es das Problem nicht, der ist so weit o<strong>be</strong>n und da<br />
komme ich jetzt nicht hin. [...] Ich weiß mir sel<strong>be</strong>r zu <strong>be</strong>helfen, nicht, wenn niemand<br />
da wäre. Oder ich bin auch so, dass ich wirklich nur in Notfällen um etwas bitte.“<br />
104
Stress<br />
Stress ergibt sich für viele Interviewpartnerinnen aus der Ar<strong>be</strong>itssituation – „Es ist oft,<br />
dass sehr viele Anrufe anstehen […]. Da <strong>be</strong>kommt man dann eine leichte Panik“ –<br />
„Ich muss immer sehr viel laufen. Immer sehr viel zu tun.“ Teils waren es die<br />
Umstände, die Stress erzeugen: „Es ist trotzdem immer noch jeden Tag eine<br />
Hetzerei. Und es ist auch a<strong>be</strong>nds, man geht aus der Firma raus und ist guter Dinge.<br />
Bis man dann daheim ist – aus. Aus, streichfähig. Das ist eigentlich das, was mich<br />
am meisten mitnimmt.“<br />
Stress entsteht auch durch hohe Ansprüche an sich selbst – zum Beispiel im<br />
Vergleich zu anderen: „Ja, wenn ich auf andere Leute schaue. […] Dann merke ich<br />
immer, die [...] oder sonst wer, kann […] so schnell ar<strong>be</strong>iten. Ich kann das nicht.“<br />
Eine andere Frau meint: „Und wenn mein Pensum, das ich mir in der Früh raufstelle,<br />
weil ich das machen will, und ich das nicht fertig bringe, das ist das, was mich<br />
innerlich stresst.“ und eine andere sagt ü<strong>be</strong>r sich: „[…] mein Maßstab ist sehr hoch.“<br />
Eine Interviewpartnerin kann „normalem“ Stress <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it durchaus positive<br />
Seiten abgewinnen: „Weil der […] Stress ist in einer gewissen Hinsicht so ein<br />
Adrenalinstoß, wo ich mir denke, okay, schaffe ich es? Dann so – ha! Es ist hinterher<br />
dann sogar noch ein positives Gefühl, wenn ich es dann erledigt ha<strong>be</strong>.“ Stress war<br />
für sie „auf einer anderen E<strong>be</strong>ne“: „[…] Hoffentlich […] unter Anführungszeichen,<br />
blockiere ich nicht den Ar<strong>be</strong>itsablauf der anderen dazu. […] bin ich nicht zu lästig<br />
oder zu mühsam fürs Umfeld, weil ich da einfach schon wieder einmal Hilfe brauche.“<br />
Erleichterung bringt zwar die Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz, dennoch richtet diese Frau<br />
ihren Alltag darauf aus, nicht zu oft um Hilfe bitten zu müssen. Ein spezielles<br />
Problem stellt der Gang auf die Toilette dar, da die Frau aufgrund ihrer<br />
Körper<strong>be</strong>hinderung – außer in ihrer adaptieren Wohnung – da<strong>be</strong>i auf Unterstützung<br />
angewiesen ist: „[…] Wenn ich um sechs Uhr aufstehe, wird einmal […] ein Liter<br />
Wasser getrunken. […] Also dass ich schaue, dass ich solange in der Wohnung bin,<br />
viel trinke, und dass ich das erledigen kann.“<br />
105
Team<br />
Gefragt wurde nach Art und Ausmaß der Zusammenar<strong>be</strong>it, der ersten Zeit im Team,<br />
der jetzigen Teamsituation, Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge, Benachteiligung und<br />
Freizeitkontakten zu KollegInnen.<br />
Die Art und Intensität der Zusammenar<strong>be</strong>it im Team ist von der Struktur des<br />
Betrie<strong>be</strong>s und vom Charakter der Ar<strong>be</strong>it abhängig und gestaltet sich<br />
dementsprechend unterschiedlich. Die meisten der Frauen ar<strong>be</strong>iten großteils alleine<br />
und selbständig und ha<strong>be</strong>n viele verschiedene Aufga<strong>be</strong>n<strong>be</strong>reiche abzudecken.<br />
Zusammenar<strong>be</strong>it <strong>be</strong>steht meist nur in Teil<strong>be</strong>reichen und hier oftmals nur mit einigen<br />
KollegInnen und nicht mit dem gesamten Team: „Wir machen eine Teamar<strong>be</strong>it.“ „[...]<br />
Hauptsächlich [ar<strong>be</strong>ite ich] mit unserer Geschäftsführerin.“ – „Ja, grundsätzlich<br />
zusammenar<strong>be</strong>iten [...] tun wir nicht. [...] Es hat jeder was Eigenes zu machen.“<br />
Die erste Zeit im Team wurde unterschiedlich erlebt, großteils positiv: „Das Verhältnis<br />
war sehr freundlich. Hat es nichts gege<strong>be</strong>n. Alle waren lieb.“ – „Sehr herzlich<br />
[Lachen].“ – „Ja, eigentlich recht gut. Ich ha<strong>be</strong> mich gut verstanden.“ Probleme<br />
entstanden manches Mal aufgrund der Anforderungen <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it: Eine Frau<br />
erzählt, dass die Einar<strong>be</strong>itungszeit schwierig war: „Da hat es dann oft schon relativ<br />
viele Probleme gege<strong>be</strong>n, weil man falsch weiter verbunden hat.“ Eine andere<br />
Interviewpartnerin <strong>be</strong>dauert, dass sie zu Beginn „ganz alleine in einem ganz kleinen<br />
Bürokammerl gesessen“ ist und dadurch kaum Verbindung zum restlichen Team<br />
<strong>be</strong>stand.<br />
In einem Fall resultierten die Anfangsprobleme aus Konflikten mit einer Kollegin, die<br />
von persönlichen Diffamierungen bis Mobbing gingen: „Ich muss ganz ehrlich sagen,<br />
ich bin nicht gerne hinauf gegangen. Weil ich schon gehört ha<strong>be</strong>, dass eine Kollegin,<br />
sehr ungut sein kann zu neuen Kolleginnen.“ Befürchtungen, die sich <strong>be</strong>stätigten:<br />
„Am Anfang ist es ein bissl gegangen, nur dann bin ich etwas gemobbt worden von<br />
einer Kollegin.“<br />
106
Zur gegenwärtigen Teamsituation im Vergleich zur Zeit des Einstiegs <strong>be</strong>fragt, zeigen<br />
sich fast alle Interviewpartnerinnen zufrieden. Die Freundlichkeit der KollegInnen und<br />
die Offenheit der Leitung werden als positiv gewertet, e<strong>be</strong>nso wie gegenseitige<br />
Rücksichtnahme und das Eingebunden-Sein in Entscheidungen: „Dass man gefragt<br />
wird, das ist sehr viel, zählt sehr viel für mich.“ Die mittlerweile erlangte Sicherheit in<br />
der Ar<strong>be</strong>it eröffnet mehr Möglichkeiten und gibt größere Freiheit <strong>be</strong>i der Gestaltung<br />
des Ar<strong>be</strong>itsablaufes: „Und was <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it so angenehm ist, je firmer man wird in<br />
der Materie, umso mehr kannst du dir einteilen.“ Die Zeit der Bewährung ist vorü<strong>be</strong>r<br />
und man kann sich der Anerkennung der KollegInnen gewiss sein: „Man muss sich,<br />
ich ha<strong>be</strong> immer den Eindruck gehabt, man muss sich zuerst einmal <strong>be</strong>währen, damit<br />
man [...] mitreden kann.“ Als positiv wird auch gesehen, dass man in Laufe der Zeit<br />
das anfänglich oft „ü<strong>be</strong>rgroße“ Engagement abgelegt hat und sich nun <strong>be</strong>sser<br />
abgrenzen kann: „Weil da [Anm.: zu Beginn] ha<strong>be</strong> ich geglaubt, ja, du musst es<br />
jedem Recht machen und du musst dir ein Hacksl ausreißen und du dich, ja da jetzt<br />
fast umbringen, damit du das alles erledigt hast, damit ja jeder zufrieden ist.“<br />
Negativ wertet eine Frau, dass die Ar<strong>be</strong>it stressiger geworden ist, eine Frau <strong>be</strong>klagt<br />
den schwierigen Umgang mit einer Kollegin.<br />
Im Mittelpunkt der Ver<strong>be</strong>sserungswünsche steht die Kommunikation im Team, der<br />
eine <strong>be</strong>sondere Bedeutung zukommt: „[...] Das Um und Auf im Team ist eigentlich die<br />
Kommunikation.“ Ist die Kommunikation im Betrieb gut, bringen die<br />
Interviewpartnerinnen keine Wünsche vor; werden Wünsche angeführt, so <strong>be</strong>ziehen<br />
diese sich bis auf eine Ausnahme (hier geht es um eine <strong>be</strong>ssere Ar<strong>be</strong>itsaufteilung)<br />
auf die Ver<strong>be</strong>sserung der Kommunikation: In zwei Fällen wird „Tratsch“ kritisiert, eine<br />
Frau wünscht sich einen freundlicheren Umgangston und dass man „mehr zuhört<br />
dem Anderen. [...] Mehr hinhören, zuhören.“ In einem Fall wird <strong>be</strong>dauert, dass durch<br />
das Wachsen des Unternehmens, die „Kommunikation untereinander fehlt“. Eine<br />
Interviewpartnerin erachtet auch eine Veränderung des eigenen Verhaltens als<br />
notwendig, um die Teamsituation zu ver<strong>be</strong>ssern: „Von meiner Seite her noch mehr<br />
Mut entwickeln und die Dinge klar anreden.“<br />
Auf die Frage, ob sie sich im Team <strong>be</strong>nachteiligt fühlen, antworten sechs Frauen<br />
spontan mit „nein“. Die blinde Frau fühlt sich im Team nicht <strong>be</strong>nachteiligt, a<strong>be</strong>r durch<br />
107
ihre Behinderung: „Sicher ist [es] oft, dass man <strong>be</strong>nachteiligt ist, weil man was nicht<br />
sieht. [...] Wenn ein Bild oder Fotos vom Urlaub oder so herum gereicht werden, da<br />
ist man dann sicher <strong>be</strong>nachteiligt.“ Eine Frau führt als Benachteiligung größere<br />
Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>lastung an: „Irgendwie ein bisschen stressiger als die anderen. Ich ha<strong>be</strong><br />
nämlich echt viel Stress <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it.“<br />
Die meisten der Frauen ha<strong>be</strong>n in ihrer Freizeit keinen Kontakt zu KollegInnen, wenn<br />
doch so war dieser meist nur auf eine Person aus dem Team <strong>be</strong>schränkt: „eigentlich<br />
nur mit der Frau B. [...] [Sie] ist einfach eine ganz tolle Freundin mittlerweile.“ Eine<br />
strikte Trennung wird von manchen Interviewpartnerinnen als sehr wichtig erachtet:<br />
„Und ich würde das [...] gar nicht wollen. Weil wenn ich daheim bin, bin ich daheim.<br />
Und dann ha<strong>be</strong> ich ein Privatle<strong>be</strong>n und nicht Ar<strong>be</strong>it. Und das ist für mich sehr<br />
wichtig.“<br />
Einkommen<br />
Sechs der Frauen zeigen sich mit ihrem Gehalt zufrieden. Eine Frau äußerte sich<br />
leicht unzufrieden; sie hat die Stelle erst vor relativ kurzer Zeit angetreten und nimmt<br />
noch an fach<strong>be</strong>zogenen Weiterbildungen teil. Nach Abschluss dieser internen<br />
Ausbildung, wird ihr Gehalt angeho<strong>be</strong>n.<br />
In einem einzigen Fall wird Kritik an der Einkommenssituation geübt. Eine Frau<br />
antwortet auf die Frage, ob sie mit dem Einkommen zufrieden sei, mit einem klaren<br />
„Gar nicht.“ Sie verfügt ü<strong>be</strong>r keine fachspezifische Ausbildung und ist daher als<br />
Hilfskraft eingestuft. Die niedrige Bezahlung und vor allem die Unnachgiebigkeit<br />
der Geschäftsführung in diesem Punkt schmerzen – „[...] das tut mir sehr weh, muss<br />
ich sagen.“ Sie <strong>be</strong>tont, dass es nicht um’s große Geld geht, sondern darum, dass<br />
ihre Leistung honoriert wird: „Ich meine, ich will jetzt auch nicht voll abcashen, das<br />
will ich auch nicht. A<strong>be</strong>r angemessen denke ich mir.“<br />
108
Einstieg<br />
Dem Thema „Einstieg ins Unternehmen“ sind mehrere Fragen gewidmet:<br />
Anfangszeit, Freude und Ängste dieser Zeit und Veränderungen werden thematisiert.<br />
Generell wird die Anfangszeit als gut <strong>be</strong>wertet. Positiv hervorgeho<strong>be</strong>n werden die<br />
freundliche Aufnahme im Betrieb, a<strong>be</strong>r auch die Tatsache, Ar<strong>be</strong>it gefunden zu<br />
ha<strong>be</strong>n: „Ja, für mich war damals so quasi die große Sensation – für alle und für mich<br />
sel<strong>be</strong>r e<strong>be</strong>n auch – [...] ich ha<strong>be</strong> jetzt wirklich endlich, ich ha<strong>be</strong> jetzt eine Ar<strong>be</strong>it. [...]<br />
Also ich war stolz, ich ha<strong>be</strong> es gar nicht glau<strong>be</strong>n können.“ Für eine Frau war die<br />
Gewöhnung an den Ar<strong>be</strong>itsprozess schwierig. „Es war für mich sehr schwer, weil ich<br />
ha<strong>be</strong> noch nie gear<strong>be</strong>itet vorher, nicht von 7 Uhr 45 in der Früh bis 16 Uhr 10 am<br />
A<strong>be</strong>nd. [...] Das war sehr schwer für mich.“ Eine andere <strong>be</strong>zeichnet ihren Einstieg als<br />
stressig, wo<strong>be</strong>i hier mehrere Aspekte mitspielten: Die Unerfahrenheit als junge<br />
Schulabgängerin, der weite Ar<strong>be</strong>itsweg, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln <strong>be</strong>wältigt<br />
werden musste - für eine Frau im Rollstuhl kein leichtes Unterfangen - und der<br />
Einstieg in ein Männerteam, die sich in der Folge als sehr nett und hilfs<strong>be</strong>reit<br />
erwiesen.<br />
Auf die Frage, worauf sie sich <strong>be</strong>im Einstieg gefreut hätten, lautet eine häufige<br />
Antwort: „Dass ich eine Ar<strong>be</strong>it ha<strong>be</strong>.“ Beinahe e<strong>be</strong>nso wichtig ist, eigenes Geld zu<br />
verdienen. Für viele der Frauen ist es wesentlich, etwas zu leisten, eine Aufga<strong>be</strong> zu<br />
ha<strong>be</strong>n. „Weil man fühlt sich, sobald man nichts zu tun hat, nutzlos. Und das war für<br />
mich so erleichternd, ar<strong>be</strong>iten zu gehen.“ In diesem Zusammenhang wird mehrmals<br />
die eigene Leistung für die Gesellschaft thematisiert: „[...] und du kannst trotzdem<br />
wieder etwas tun in der Gesellschaft.“ „[...] und dem Staat nicht auf der Tasche liegen<br />
[...].“ Ar<strong>be</strong>it dient a<strong>be</strong>r nicht nur dem Gelderwerb, sondern stärkt auch das<br />
Selbst<strong>be</strong>wusstsein: „Du hast einen Erfolg. Und Erfolg ist irrsinnig wichtig. Weil wenn<br />
du keinen Erfolg hast, dann ist das Selbst<strong>be</strong>wusstsein unter’m Hund.“<br />
Viele Interviewpartnerinnen fürchteten kurz vor Eintritt in den Betrieb, die angestrebte<br />
Ar<strong>be</strong>it doch nicht zu <strong>be</strong>kommen. Angst vor dem Ungewissen, ein mulmiges Gefühl<br />
109
angesichts des Neuen, Zweifel, ob man <strong>be</strong>stehen kann, werden als Bedenken der<br />
Anfangszeit erwähnt.<br />
Mobbing wird zweimal als Angstfaktor genannt, einmal auch ü<strong>be</strong>r den Berufseinsteig<br />
hinaus, wo<strong>be</strong>i eine Frau zwei Aspekte anführte: „[...] wegen der Behinderung. Oder<br />
gerade weil ich weiblich bin.“ In diesem Fall <strong>be</strong>stätigten sich die Befürchtungen nicht,<br />
im anderen meinte die Betroffene: „Es war zwischendurch auch Eifersucht in der Luft.<br />
Die hat sich a<strong>be</strong>r Gott sei Dank wieder gelegt.“ Eine Frau verwendet nicht das Wort<br />
Mobbing, meint jedoch, sie hätte Angst davor gehabt „dauernd der Putzlappen für<br />
jeden [zu] sein, der sich abreagieren will.“<br />
Gefragt nach den Veränderungen für die Frauen mit Behinderung von der<br />
Einstiegszeit bis zur gegenwärtigen Situation werden häufig größere Sicherheit in der<br />
Ar<strong>be</strong>it angeführt: „Damals ha<strong>be</strong> ich mich nicht so gut ausgekannt. Und jetzt kann ich<br />
alles.“ - „Ich tue mir leichter während dem Ar<strong>be</strong>iten.“ Weiters wird der Wegfall der<br />
anfänglichen Versagensängste genannt. Mehrmals erwähnen Frauen mit<br />
Behinderung – vor allem die, die <strong>be</strong>reits länger im Ar<strong>be</strong>itsprozess stehen – dass sie<br />
sich nun <strong>be</strong>sser abgrenzen können: „Es ist auch nicht so, dass ich mich jetzt zurück<br />
lehne und sage, das tue ich jetzt nicht, sondern [...] also, ich nehme mich einfach<br />
zurück, sagen wir so. Sagen wir, 120 Prozent ge<strong>be</strong> ich jetzt nicht mehr.“<br />
Berufswahl<br />
Die Interviewpartnerinnen wurden zu ihrem Traum<strong>be</strong>ruf als Jugendliche, ihrer<br />
<strong>be</strong>ruflichen Vergangenheit und ihren Weg zum gegenwärtigen Beruf <strong>be</strong>fragt.<br />
Eine einzige Frau ar<strong>be</strong>itet im Traum<strong>be</strong>ruf ihrer Jugend – sie wünschte sich <strong>be</strong>reits in<br />
der Schulzeit, im Büro tätig zu sein und hat dies auch nach einigen Umwegen<br />
erreicht. Eine Studienteilnehmerin hat ihren Traum<strong>be</strong>ruf (Friseurin) erlernt, kann<br />
diesen a<strong>be</strong>r aufgrund ihrer fortschreitenden Erkrankung nicht mehr ausü<strong>be</strong>n. Die<br />
angege<strong>be</strong>nen Berufswünsche reichen von Köchin ü<strong>be</strong>r Ar<strong>be</strong>it mit Kindern oder<br />
Tieren bis hin zu Archäologin oder Popstar. Die Gründe, weshalb der Wunsch<strong>be</strong>ruf<br />
nicht erreicht wurde, sind unterschiedlich: In manchen Fällen war die Behinderung<br />
110
der Frau ausschlagge<strong>be</strong>nd: „Ja, mein Traum<strong>be</strong>ruf wäre es eigentlich immer schon<br />
gewesen, etwas mit Kindern und Tieren zu machen. Dadurch dass a<strong>be</strong>r als<br />
Vollblinder nicht die Möglichkeit ist, hat mich dann das Handwerk angezogen.“ –<br />
„Mein Traum<strong>be</strong>ruf war eigentlich immer Köchin. A<strong>be</strong>r von der Behinderung her wäre<br />
das sowieso nie gegangen.“ Bei den übrigen Interviewpartnerinnen änderten sich die<br />
<strong>be</strong>ruflichen Interessen, eine Frau konnte keine Begründung anführen, weshalb sie<br />
nicht ihren Wunsch<strong>be</strong>ruf ergriffen hat.<br />
Der <strong>be</strong>rufliche Werdegang der acht Interviewpartnerinnen ist individuell<br />
unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen, dass sie bis auf einem Fall,<br />
Unterstützungsmaßnahmen im weitesten Sinne zum Berufseinstieg in Anspruch<br />
nahmen.<br />
Fünf Frauen kamen ü<strong>be</strong>r Vermittlung einer Institution zu ihrem Beruf. Häufig erfolgte<br />
der Einstieg nach einem Praktikum, das von diesen Institutionen organisiert wurde. In<br />
einem Fall spielte der Zufall Regie, ein Gespräch im privaten Kreis führte zu einer<br />
Anstellung. In einem Fall fand eine Frau nach 100 erfolglosen Bewerbungen doch<br />
eine Ar<strong>be</strong>it und in einem weiteren Fall wurde aus der „Konsumentin“ einer<br />
Dienstleistung eine Mitar<strong>be</strong>iterin.<br />
Die häufigsten AnsprechpartnerInnen in puncto Berufswahl waren BeraterInnen in<br />
Institutionen. Eine Frau führt FreundInnen und Bekannte als wichtige Unterstützung<br />
an, eine Frau war in ihrer Entscheidung alleine auf sich gestellt und für eine Frau war<br />
die Ar<strong>be</strong>it an sich ausschlagend für ihre Berufswahl.<br />
Die Ausbildungswege für den jeweiligen Beruf verliefen je nach Ar<strong>be</strong>itsfeld<br />
unterschiedlich. Bei drei der Ar<strong>be</strong>itsplätze fand die Einschulung ausschließlich im<br />
Betrieb statt, in zwei Fällen wurden externe Weiterbildungen <strong>be</strong>sucht, in zwei<br />
weiteren erfolgte die Ausbildung ü<strong>be</strong>r die vermittelnde Einrichtung und in einem Fall<br />
war keine Ausbildung möglich, da diese nicht finanziert wurde.<br />
111
Unterstützung<br />
Fünf der Interviewpartnerinnen <strong>be</strong>nötigen am Ar<strong>be</strong>itsplatz keine Unterstützung, zwei<br />
Frauen führen KollegInnen als Unterstützung an, eine Frau mit schwerer körperlicher<br />
Einschränkung <strong>be</strong>anspruchte Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz. Ihr stand diese relativ neue<br />
Form der Unterstützung zum Zeitpunkt des Interviews erst seit drei Wochen zur<br />
Verfügung und sie zeigte sich sehr zufrieden. „[...] es ist für mich Luxus. [...] also ich<br />
schätze es total.“ Sie erachtet die Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz als einen wichtigen<br />
Schritt in die richtige Richtung weil es, „[...] ein kleines Stückerl wieder weiter aus<br />
dem Bittstellerdasein heraus [holt].“ Und sie sagt allgemein zum Thema Assistenz:<br />
„Auch so diese persönliche Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz, persönliche Assistenz <strong>be</strong>i der<br />
Ausbildung. [...] Ich bin so dankbar, ich bin wirklich so dankbar. Also ich muss<br />
wirklich ehrlich sagen, das ist für mich, wo ich mir denke, das ist wirklich wie<br />
Schlaraffenland [Lachen]. [...] Auf einmal [sind] Dinge für mich machbar, wo ich mir<br />
vorher gedacht ha<strong>be</strong>, wie organisiere ich mir das? [...] Und man ist jetzt nicht mehr so<br />
der Bittsteller, [...] weil ich einfach sagen kann, ja, ich kann jetzt diese Leistung<br />
entgelten. [...] Das macht einen nicht so klein.“ Sie thematisiert a<strong>be</strong>r auch die damit<br />
verbunden organisatorischen Schwierigkeiten: „[...] ich kann nicht für drei Minuten<br />
oder fünf Minuten eine Assistenz [holen], die jetzt 15 Kilometer extra her fährt ah und<br />
nachher wieder fahren soll.“<br />
Bis auf eine Frau, die sich mehr Entlastung durch ihre KollegInnen wünschte, sahen<br />
die Interviewpartnerinnen für sich keinen Bedarf an Unterstützung.<br />
Da die Einstiegsphase eine sensible Zeit darstellt, ha<strong>be</strong>n wir hier nach Unterstützung<br />
von Seiten des Betriebs und im privaten Umfeld gefragt: In zwei Fällen gab es<br />
institutionelle Unterstützung (Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>gleiter). Als <strong>be</strong>sondere Unterstützung vom<br />
Unternehmen wird angepasstes Mobiliar, die Möglichkeit, einen Führerscheinkurs<br />
während der Ar<strong>be</strong>itszeit zu machen sowie spezielle Einschulung genannt. Eine Frau<br />
gibt an, keine Unterstützung <strong>be</strong>nötigt zu ha<strong>be</strong>n. Eine Interviewpartnerin verneint<br />
Hilfsangebote in Anspruch genommen zu ha<strong>be</strong>n, wo<strong>be</strong>i dies aufgrund der Aussagen<br />
der Leitung und der Kollegin, die eine institutionelle Unterstützung erwähnen,<br />
relativiert wird. In einem Fall musste eine Frau in der Anfangszeit aufgrund der<br />
112
mangelnden Unterstützung folgende Bedingungen auf sich nehmen: „Also ich bin so<br />
quasi für vier Stunden von der Wohnung ins Büro mit der Rettung gebracht worden<br />
und in diesen vier Stunden ha<strong>be</strong> ich nicht aufs WC dürfen [Pause] müssen dürfen.<br />
[Lachen] So quasi für mich war niemand da.“<br />
Von den Interviewpartnerinnen erhielten einige im privaten Umfeld Unterstützung von<br />
Eltern, Le<strong>be</strong>nsgefährten, FreundInnen und Bekannten, einige waren auf sich alleine<br />
gestellt. In einem Fall versuchte die Familie die Frau von ihrer Entscheidung<br />
abzubringen.<br />
Einschränkung<br />
Die Einschränkungen der Studienteilnehmerinnen werden <strong>be</strong>wusst nicht in den<br />
Mittelpunkt gestellt, sie werden dennoch thematisiert, da dies sonst eine<br />
Verleugnung der Le<strong>be</strong>nsrealität der Frauen <strong>be</strong>deuten würde.<br />
Die Frauen wurden nach der Art ihrer Behinderung gefragt, nach den Stärken, die sie<br />
aufgrund ihres Handicaps erwor<strong>be</strong>n ha<strong>be</strong>n, und worunter sie aufgrund der<br />
Einschränkung leiden.<br />
Wie eingangs erwähnt, nahmen drei Frauen mit Lernschwierigkeiten an der Studie<br />
teil – eine Gesprächspartnerin <strong>be</strong>schreibt ihre Einschränkung mit den Worten: „Ich<br />
merke mir schwer.“ Die <strong>be</strong>iden anderen Betroffenen können ihre Behinderung nicht<br />
<strong>be</strong>nennen.<br />
Bei den Frauen mit körperlicher Beeinträchtigung resultiert ihre Behinderung aus<br />
einer chronischen Erkrankung. Eine Frau ist aufgrund einer Tumorerkrankung blind,<br />
eine Frau leidet an endogener Depression, sie ist medikamentös eingestellt und<br />
stabil.<br />
Stärken, die aufgrund der Einschränkung entwickelt wurden, liegen vor allem im<br />
Persönlichkeits<strong>be</strong>reich: „[…] Ich glau<strong>be</strong>, dass ich ein guter Zuhörer bin, dass ich auf<br />
Menschen teilweise <strong>be</strong>sser eingehen kann. Und vielleicht ein bisschen feinfühliger<br />
113
[…].“ – „Also eine gewisse Zähigkeit, Durchhaltevermögen, auch Sachen aushalten<br />
können, die, ja schmerzhaft, langwierig [sind]. […] Was ich einfach entwickelt ha<strong>be</strong>,<br />
das ist Organisationstalent.“ Manche Aussagen lassen erahnen, wie schmerzhaft der<br />
Umgang mit der Behinderung gewesen sein muss – und noch ist: „Man lernt einfach,<br />
ich ha<strong>be</strong> gelernt, lerne immer noch […] konstruktiver damit umzugehen.“ „Ich bin ein<br />
absoluter Kopfmensch geworden durch das. [...] Also und das sind so Dinge, das, wo<br />
ich mir denke, das ist alles durch die Krankheit gekommen. Weil ich ich ha<strong>be</strong> halt<br />
nicht können wie die anderen Kinder - jetzt gehst du hinü<strong>be</strong>r Eis laufen, nicht. Das<br />
hat es nicht gege<strong>be</strong>n.“ Eine Frau meint, dass sie aufgrund ihrer eigenen Erlebnisse<br />
„relativ gut auf Menschen eingehen kann und relativ gut zuhören kann und auch sehr<br />
hellhörig bin, wenn es um psychische Befindlichkeit geht.“ Und sie meint: „Ich bin<br />
sicher toleranter geworden. […] Man wird auch demütiger. […] Diese Frau spricht<br />
aus, was in vielen Interviews mitgeschwungen ist: „Man wird dann <strong>be</strong>scheidener.“<br />
Für die acht Interviewpartnerinnen war das „Leid“, das sie aufgrund ihrer<br />
Behinderung erle<strong>be</strong>n, höchst unterschiedlich. Eine Frau meint auf die Frage,<br />
worunter sie leide: „Ich sage einmal so – unter gar nichts.“ Ihre Einstellung ist: „Weil<br />
<strong>be</strong>i mir war es immer so, was du willst, das erreichst du. Und was nicht geht, geht<br />
halt nicht. Das ist so.“ Eine Interviewpartnerin mit Lernschwierigkeiten antwortet auf<br />
diese Frage: „Weiß ich nicht.“<br />
Für zwei Frauen ist, das „ständig auf Hilfe Angewiesen-Sein.“ <strong>be</strong>lastend: „[…] Ich<br />
gehe mich jetzt duschen und nicht erst morgen in der Früh, wenn die Assistentin<br />
kommt, also so. Da leide ich schon sehr.“ Eine andere Frau meint: „A<strong>be</strong>r ich brauche<br />
immer Hilfe, in meinem ganzen Le<strong>be</strong>n. Ich ha<strong>be</strong> es nicht so leicht wie die anderen,<br />
die keine Behinderungen ha<strong>be</strong>n.“<br />
Mehrmals <strong>be</strong>ziehen sich die Aussagen direkt auf die Behinderung: „Es gibt sicher<br />
viele Sachen, die man auch sehen möchte.“ Dennoch gä<strong>be</strong> es für diese Frau<br />
Schlimmeres: „[...] Mein Motto ist es, ich bin lie<strong>be</strong>r blind als geh<strong>be</strong>hindert oder<br />
taubstumm. Weil ich komme ü<strong>be</strong>rall hin. [...] Ich <strong>be</strong>komme trotzdem alles mit.“ Eine<br />
Frau mit Lernschwierigkeiten meint: „Schlecht gehen tut mir das schon <strong>be</strong>i meinen<br />
Freunden. Ich kann ihnen ab und zu nicht immer die Wahrheit ü<strong>be</strong>r mich sagen. [...]<br />
Dass sie nicht wissen, dass ich so vergesslich bin, dann lüge ich sie ein bisschen<br />
114
an.“ Eine Interviewpartnerin <strong>be</strong>dauert, dass sie aufgrund ihrer Krankheit „[...] nicht<br />
machen konnte, was ich gerne gemacht hätte.“ Eine Frau meint, dass ihr nach<br />
eigener Definition „schlechtes Auftreten vor Menschen“ mit ihrer Behinderung<br />
zusammenhinge: „Da kommt mir schon vor, dass das auch aufgrund der<br />
Behinderung auch ist.“<br />
Eine Frau spricht in diesen Zusammenhang von Partnerschaft: „Es geht auch bis zu<br />
dem Thema Verlust der Partnerschaft. Also ich ha<strong>be</strong> jetzt […] in diesem Handicap in<br />
dieser Situation vier Jahre lang eine Beziehung gelebt und die a<strong>be</strong>r auch aufgrund<br />
des Handicaps gescheitert ist. Also so auch wie mein Mann aus dem Grund<br />
gegangen ist, weil er gesagt hat, er kann einfach nicht mehr mit der Behinderung.<br />
[…] Und das sind einfach Dinge, wo ich einfach denke, ja, darf ich nicht mehr le<strong>be</strong>n?<br />
[…]“ Zum Thema Mutterschaft meint sie: „[...] Es ist ganz definitiv klar, ich ha<strong>be</strong><br />
sel<strong>be</strong>r, ich werde sel<strong>be</strong>r keine Kinder ha<strong>be</strong>n. [...] Also das [...] war ein sehr<br />
schmerzhafter Trauerprozess.“<br />
Stellenwert von Ar<strong>be</strong>it<br />
Alle Interviewpartnerinnen messen Ar<strong>be</strong>it in ihrem Le<strong>be</strong>n einen sehr hohen<br />
Stellenwert <strong>be</strong>i. Wichtig ist den Frauen, eine Beschäftigung zu ha<strong>be</strong>n: „Weil wenn ich<br />
nämlich keine Ar<strong>be</strong>it ha<strong>be</strong> und daheim sitze, das zipft mich auch an. [...] Nein, wird<br />
mir langweilig.“ Wesentlich ist die Bestätigung, gebraucht zu werden und etwas<br />
leisten zu können. „Es ist für mich wichtig, weil es ist eine Bestätigung, finde ich,<br />
dass man gebraucht wird.“ In diesem Zusammenhang wird wiederum der<br />
Zusammenhang zwischen Ar<strong>be</strong>it und Selbstwert thematisiert: „Es ist ja <strong>be</strong>wiesen,<br />
dass wenn Leute längere Zeit ar<strong>be</strong>itslos sind, dass sie [das] Selbstwertgefühl<br />
verlieren, weil die Tagesstruktur fällt dann weg und das Gefühl dazu zu gehören fällt<br />
weg.“ Auch der gesellschaftliche Wert der eigenen Ar<strong>be</strong>it wird angesprochen. Die<br />
Folge von längerer Zeit ohne Beschäftigung ist, „man fühlt sich manchmal wie ein<br />
Sozialschmarotzer. [...] Fühlt man sich nicht wohl in der Haut.“ Nicht zuletzt ist Ar<strong>be</strong>it<br />
wichtig, weil man „sel<strong>be</strong>r Geld hat bzw. Geld verdient, worauf man stolz sein kann.“<br />
115
Ne<strong>be</strong>n der Ar<strong>be</strong>it kommt Familie ein <strong>be</strong>sonderer Stellenwert zu: „A<strong>be</strong>r ich ha<strong>be</strong><br />
immer das Prinzip gehabt, die Firma darf nie wichtiger sein als die Familie. Auf<br />
keinen Fall. Weil die Familie ist das, was dir bleibt. Firma – das kann jederzeit pari<br />
gehen.“ Eine Frau, die allein stehend ist, gibt Ar<strong>be</strong>it „den größten“ Stellenwert in<br />
ihrem Le<strong>be</strong>n, weil dies ein Bereich ist, der „[...] so heil ist, [...] so schön in Ordnung,<br />
so harmonisch. [...] Das ist so meine Ressource.“<br />
Berufliche Zukunft<br />
Gefragt nach den Vorstellungen für ihre <strong>be</strong>ruflichen Pläne äußern sie<strong>be</strong>n der acht<br />
Interviewpartnerinnen den Wunsch, im Betrieb blei<strong>be</strong>n zu können. Eine dieser<br />
Frauen ü<strong>be</strong>rlegt, sich langfristig neu zu orientieren. Eine andere Frau möchte nicht<br />
mehr lange an ihrem jetzigen Ar<strong>be</strong>itplatz blei<strong>be</strong>n: „Vielleicht ein Jahr noch.“ Sie hat<br />
noch keine Vorstellung, was sie danach machen könnte.<br />
Privates<br />
Zum Bereich Privatle<strong>be</strong>n werden zwei Fragen gestellt: Was hat sich durch die<br />
Berufstätigkeit im Privatle<strong>be</strong>n verändert? Wie gut lassen sich Beruf und Privatle<strong>be</strong>n<br />
vereinbaren?<br />
Für <strong>be</strong>inahe alle Interviewpartnerinnen veränderte sich aufgrund ihrer Berufstätigkeit<br />
die private Situation - teilweise waren die Veränderungen weit reichend: „Ich bin noch<br />
mehr selbständiger geworden als [...] ich sowieso schon war. Ich ha<strong>be</strong> einen Freund<br />
gefunden. Ich ha<strong>be</strong> abgenommen. Ich ha<strong>be</strong> mir eine eigene Wohnung kaufen<br />
können. Andere Sachen leisten können. Und ich ha<strong>be</strong> mehr Zeit für meine Freunde.“<br />
Für einige änderte sich die Situation in der Familie: „Ich bin unabhängiger geworden.“<br />
oder „Ich verstehe mich jetzt wieder <strong>be</strong>sser mit meinen Verwandten.“<br />
Durch die Ar<strong>be</strong>it verändert sich nicht nur das Bild der anderen, sondern auch das<br />
Selbstbild: „Man wird vollwertiger durch die Ar<strong>be</strong>it“ meint eine Studienteilnehmerin.<br />
Eine andere sagt in diesem Zusammenhang: „Ich [...] fühle mich <strong>be</strong>sser als Mensch.<br />
116
Wertvoller. Also als, doch als wieder sinnvolleres Mitglied der Gesellschaft. [...] Man<br />
fühlt sich wohler in seiner Haut, wenn man merkt, man kann trotzdem noch etwas<br />
leisten.“ Eine andere Frau <strong>be</strong>zeichnet die Ar<strong>be</strong>it als „Anker“, der ihr aus einer Zeit in<br />
der sie „ein Häufchen Elend“ war und „keine Perspektive“ hatte, geholfen hat.<br />
Gefragt nach der Vereinbarkeit von Beruf und Privatle<strong>be</strong>n äußern sich die meisten<br />
Gesprächspartnerinnen zufrieden. Frauen, die in einer Beziehung le<strong>be</strong>n, ha<strong>be</strong>n eine<br />
differenziertere Sichtweise. Für sie ist wichtig, dass der Partner ihre Berufstätigkeit<br />
akzeptiert und sie im Alltag unterstützt: „Ja, ich lasse das oft daheim liegen, was mir<br />
nicht so wichtig ist. Ich muss sagen, der [Partner], der hilft mir ziemlich viel. Er<br />
unterstützt mich schon. Auch <strong>be</strong>i der Hausar<strong>be</strong>it und solchen Sachen. Und dafür<br />
ha<strong>be</strong>n wir dann das Wochenende [...].“ – „Es ist ein großes Entgegenkommen“, meint<br />
eine Frau ü<strong>be</strong>r die Unterstützung durch ihren Partner, die nicht als<br />
Selbstverständlichkeit genommen werden darf: „In anderen Beziehungen ha<strong>be</strong> ich<br />
gesehen, dass es an dem auseinander gegangen ist.“<br />
Tipps für Frauen mit Behinderung<br />
Gefragt nach Tipps für Frauen mit Behinderung fallen die Antworten recht<br />
unterschiedlich aus. Aus manchen Aussagen war ersichtlich, dass es den<br />
Interviewpartnerinnen wichtig ist, den Erwartungen ihrer Umwelt zu entsprechen:<br />
„Dass sie ordentlich ar<strong>be</strong>itet. Und dass sie will, eigentlich.“ oder „Zu versuchen, das<br />
so wie es die Chefin oder der Chef ha<strong>be</strong>n will, zu machen.“<br />
Andere stellen die Behinderung in den Mittelpunkt: „Ich glau<strong>be</strong>, das Um und Auf,<br />
wenn du ein Handicap hast, ist, dass du voll hinter der Behinderung stehst. Ich<br />
glau<strong>be</strong> das feste Auftreten, und dass man sich in der Gesellschaft nicht von Blicken<br />
und Gerede einschränken lässt. Einfach durch, denke ich mir.“<br />
Eine andere Studienteilnehmerin meint, wichtig für Frauen mit Behinderung am<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarkt ist „dass sie sich nicht unter kriegen lassen von den anderen.“<br />
117
Immer wieder wird die Forderung gestellt, die individuellen Bedürfnisse und<br />
Fähigkeiten zu <strong>be</strong>rücksichtigen: „Das ist eine sehr individuelle Geschichte. Je nach<br />
dem, was der kann, wie weit die Einschränkung geht. Also es gehört schon<br />
angepasst.“<br />
Ein Ratschlag lautet: „Man kann nicht sagen, ja also das nehme ich jetzt nicht und<br />
vielleicht kommt ja noch was Besseres. Man muss wirklich die Chance am Schopfe<br />
packen und das Beste daraus machen. Es bleibt nichts anderes.“<br />
Auch im Rahmen dieser Frage wurde Selbstü<strong>be</strong>rforderung thematisiert: „Und eins ist<br />
auch noch wichtig: Man muss auf alle Fälle auch nein sagen können. Manchmal ist<br />
es auch wichtig, dass man sagt, so bis daher und nicht weiter. Wo die Grenze ist,<br />
muss man sel<strong>be</strong>r wissen. Weil der andere – ü<strong>be</strong>rhaupt jemand, der keine Erfahrung<br />
mit Behinderten hat – kann das nicht abschätzen, wo Ende ist. A<strong>be</strong>r das ist e<strong>be</strong>n<br />
eine Frage von Selbstkenntnis. Man muss sich sel<strong>be</strong>r sehr gut kennen.“<br />
In allen Aussagen ging es um Ermutigung, Stärkung der eigenen Position als Frau<br />
mit Handicap und auch um den Mut, seine Träume zu verwirklichen: „Eines weiß ich<br />
einmal auf jeden Fall, sich nicht verkriechen, sondern wirklich heraus zu gehen ins<br />
Le<strong>be</strong>n. Einfach mutig sein, <strong>be</strong>harrlich sein und die Wünsche, wenn sie noch so<br />
unrealistisch im Moment zwar scheinen, verwirklichen wollen.“<br />
Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
„Die Köpfe der Leute.“ Diese Antwort zeigt den Grundtenor der Antworten auf die<br />
Frage nach notwendigen Veränderungen am Ar<strong>be</strong>itsmarkt. „A<strong>be</strong>r das Wichtigste ist<br />
die Einstellung von den Leuten“, meint die Frau weiter. Wo<strong>be</strong>i nicht nur<br />
Unternehmen, sondern die auch die Gesellschaft gefordert ist: „Dass da eine<br />
gewisse Bewusstseinsänderung jetzt von der Gesellschaft oder auch von den<br />
Ar<strong>be</strong>itge<strong>be</strong>rn <strong>be</strong>ginnen muss. Dass einfach auch die Leute mit Handicap einen Platz<br />
ha<strong>be</strong>n.“ Die Frau fürchtet, dass für sie kein Platz in der freien Wirtschaft wäre: „[...]<br />
Das ist im Moment für mich so das Schwierigste, wenn man im Moment so schaut,<br />
[...] es ist der Leistungsdruck. [...] Wie viel Platz ist jetzt in der freien Wirtschaft, wo<br />
118
ich sagen könnte...? Ich hätte Angst, dort nicht <strong>be</strong>stehen zu können [...].“ In diesem<br />
Zusammenhang liefert eine andere Frau mit Behinderung folgendes Bild unserer<br />
Gesellschaft: „So sind die meisten Leute. Sie glau<strong>be</strong>n, nur weil du <strong>be</strong>hindert bist, bist<br />
du auch dumm. Sie glau<strong>be</strong>n, du kannst nicht. Sie glau<strong>be</strong>n, du willst nicht. Ja. Und<br />
das gehört geändert. Auf jeden Fall. Und alles andere, was baulich ist oder so, dass<br />
kommt dann eh.“<br />
Von den Unternehmen im Speziellen wird mehr Aufgeschlossenheit gefordert: „Ich<br />
meine, die Unternehmer sollen ein bisschen offener werden. Dass sie nicht von Haus<br />
aus sagen <strong>be</strong>hindert, nein danke. Sondern, dass sie dem auch eine Chance ge<strong>be</strong>n,<br />
so wie jedem andern auch.“ Eine Frau plädiert dafür, „dass die ein bisschen einen<br />
Druck <strong>be</strong>kommen. Ich meine, sie müssen sowieso zahlen, wenn sie keinen<br />
Behinderten aufnehmen. A<strong>be</strong>r dass da noch irgendein anderer Druck drauf kommt.“<br />
Frauen und Männer dürfen nicht nur billige Ar<strong>be</strong>itskräfte sein: „Der [Anm. = Partner]<br />
hat in einer Firma gear<strong>be</strong>itet. Nach drei Jahren ist die Förderung abgelaufen und er<br />
hat gehen können von der Firma. Dass so etwas nicht geht.“<br />
Von einigen Frauen wird der Kündigungsschutz für Frauen und Männer mit<br />
Behinderung angesprochen und durchaus ambivalent <strong>be</strong>urteilt: „Ich meine der<br />
geschützte Ar<strong>be</strong>itsplatz – ist alles ein Für und Wider. Ich meine, ein Privater kann<br />
sich das sicher nicht leisten, wenn ich drei Monate in Krankenstand gehe, dass er<br />
mich da haltet“, meint eine Frau. Und weiter: „[...] Ich meine, verstehe ich auch, dass<br />
jemand sagt [...] ich nehme keinen Behinderten mehr auf mit geschütztem<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatz, weil so einen ha<strong>be</strong> ich schon, für den ich zahlen muss. Ich verstehe die<br />
unternehmerische Seite auch.“ Eine andere Interviewpartnerin sagt: „[...] Und wenn<br />
er disziplinäre Probleme hat oder Ar<strong>be</strong>itsverweigerung oder seine Ar<strong>be</strong>it absichtlich<br />
schlecht macht, dann sollte er sehr wohl kündbar sein.“<br />
Als wichtigen Faktor für die Integration von Frau mit Behinderung am Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
werden institutionelle Unterstützungsangebote genannt.<br />
119
Wünsche<br />
Einer der häufigsten Wünsche in Bezug auf Ar<strong>be</strong>it ist, „dass es so bleibt, wie es ist.“<br />
Manche Wünsche sind sehr persönlich: „Mein größter Wunsch ist, dass ich die<br />
Prüfung nächstes Jahr <strong>be</strong>stehe.“ Andere <strong>be</strong>treffen – auch wenn sie aus persönlicher<br />
Betroffenheit heraus formuliert werden - alle Frauen mit Behinderung: Eine Frau mit<br />
schwerer körperlicher Einschränkung wünschte sich, „dass ich so barrierefrei als<br />
möglich meine Tätigkeit machen kann [...] dass ich weitgehend selbst<strong>be</strong>stimmt<br />
ar<strong>be</strong>iten kann.“ Angst hat sie davor, „dass diese Sachen [Anm.<br />
Unterstützungsanbote] wieder eingespart werden“.<br />
In mehreren Fällen wird <strong>be</strong>i dieser Fragestellung die Sorge um den Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />
geäußert: „Dass ich den Job <strong>be</strong>halten kann“, wünscht sich eine Frau. „Dass [mein<br />
Beruf] nicht gestrichen wird oder nicht ein Auslaufmodell ist“, hofft eine andere.<br />
Mehrmals wird der Wunsch nach Weiterbildung ausgesprochen. „Dass man sich [...]<br />
kontinuierlich weiterbilden kann“, meint eine Frau; mit dem Nachsatz<br />
„selbst<strong>be</strong>stimmt.“ Sie wünscht sich speziell: „[...] Weiterbildungsmaßnahmen, die<br />
nicht ich nicht sel<strong>be</strong>r finanzieren muss.“ Auch eine andere Interviewpartnerin spricht<br />
die Finanzierung an: „Dass es vielleicht doch einmal ein bisschen ein Geld gibt für<br />
Weiterbildung.“<br />
Die meisten Wünsche für den privaten Bereich <strong>be</strong>ziehen sich auf Partnerschaft und<br />
Familie. Frauen, die in einer Partnerschaft le<strong>be</strong>n, wünschen, diese möge Bestand<br />
ha<strong>be</strong>n: „Dass ich, ja mit meinem Freund, zusammen blei<strong>be</strong>n kann oder dass es so<br />
bleibt, dass wir zusammen sind. Und dass wir auch einmal eine Familie gründen.“<br />
Frauen, die allein stehend sind, äußern den Wunsch nach Partnerschaft: „[...] no, na,<br />
ned, jeder Single wünscht sich das [Lachen] eigentlich natürlich auch im<br />
weitgehenden Sinne jetzt Familie, respektive Partnerschaft. [Pause] Trotz Handicap.“<br />
Partnerschaft kommt ein sehr hoher Stellenwert zu: „[...] also ich spüre das für mich<br />
so einfach, dass das Singlele<strong>be</strong>n [...] ich sage einmal, es mindert die Le<strong>be</strong>nsqualität.“<br />
120
Interpretation<br />
Für alle acht Studienteilnehmerinnen mit Behinderung hat Ar<strong>be</strong>it einen sehr hohen<br />
Stellenwert. „Ar<strong>be</strong>it ist für mich sehr wichtig.“ – „Ar<strong>be</strong>it ist sehr wichtig, weil man fit<br />
bleibt.“ – „[Ar<strong>be</strong>it hat] einen sehr hohen Stellenwert. Sehr wichtig“, sind einige<br />
Aussagen dazu. Die eingangs erwähnte These der Frauengesundheitsforschung, die<br />
<strong>be</strong>sagt, dass Erwerbsar<strong>be</strong>it einen hohen Stellenwert <strong>be</strong>züglich der sozialen<br />
Integration einerseits und der Selbstwertsteigerung andererseits hat, wird <strong>be</strong>stätigt.<br />
Durch die Ar<strong>be</strong>it verändern sich Selbstbild und Selbstwertgefühl, wo<strong>be</strong>i in vielen<br />
Aussagen der „Wert“ für die Gesellschaft Erwähnung findet: „Man wird vollwertiger<br />
durch die Ar<strong>be</strong>it“ meint eine Studienteilnehmerin. Eine andere sagt in diesem<br />
Zusammenhang: „In der Gesellschaft zu stehen [...]. Einfach eine Aufga<strong>be</strong> zu ha<strong>be</strong>n,<br />
Verantwortung zu ha<strong>be</strong>n. Das ist einfach das Wesentlichste.“ Ein weiteres Beispiel:<br />
„Ich [...] fühle mich <strong>be</strong>sser als Mensch. Wertvoller. Also als, doch als wieder<br />
sinnvolleres Mitglied der Gesellschaft.“ Eine andere Frau <strong>be</strong>zeichnet die Ar<strong>be</strong>it als<br />
„Anker“, der ihr aus einer Zeit in der sie „ein Häufchen Elend“ war und „keine<br />
Perspektive“ hatte, geholfen hat. Sie meint Ar<strong>be</strong>it, „das ist so meine Ressource.“ In<br />
diesem Zusammenhang kommt auch dem finanziellen Aspekt eine wesentliche<br />
Bedeutung zu: „Geld-Verdienen“ sorgt für (finanzielle) Unabhängigkeit und steigert<br />
das Selbst<strong>be</strong>wusstsein: „[Ar<strong>be</strong>it ist wichtig] weil man sel<strong>be</strong>r Geld hat bzw. Geld<br />
verdient, worauf man stolz sein kann.“ Diese Aussagen zeigen, welch große<br />
Bedeutung Ar<strong>be</strong>it für das Selbstbild und Selbst<strong>be</strong>wusstsein hat – gerade für Frauen<br />
mit Behinderung. Ar<strong>be</strong>it bringt gesellschaftliche Anerkennung, hebt das<br />
Selbst<strong>be</strong>wusstsein und trägt letztendlich zur Gesundheitsförderung <strong>be</strong>i. Für alle<br />
interviewten Frauen mit Behinderung ist Erwerbsar<strong>be</strong>it ein wichtiger Bestandteil ihres<br />
Le<strong>be</strong>ns.<br />
Wie durch Studien <strong>be</strong>legt sind Frauen mit Behinderung am Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
<strong>be</strong>nachteiligt. Dieser Tatsache sind sich die acht Frauen der Studie <strong>be</strong>wusst und<br />
daraus resultiert große Dankbarkeit, ü<strong>be</strong>rhaupt Ar<strong>be</strong>it gefunden zu ha<strong>be</strong>n. Nochmals<br />
zur Erinnerung die Aussage der Frau mit Seh<strong>be</strong>hinderung: „Also <strong>be</strong>sonders freut<br />
mich, dass ich ü<strong>be</strong>rhaupt einen Job ha<strong>be</strong>. Weil es gibt viele seh<strong>be</strong>hinderte oder<br />
blinde Menschen oder ü<strong>be</strong>rhaupt Behinderte, die ü<strong>be</strong>rhaupt keinen Job ha<strong>be</strong>n. Und<br />
121
es freut mich, dass ich trotzdem einen Job gefunden ha<strong>be</strong>.“ Auch in fol<strong>gender</strong><br />
Aussage wird diese Dankbarkeit deutlich: „[...] dass ich da ar<strong>be</strong>iten kann und darf.“<br />
Bei der Analyse der Interviews stellte sich für uns daher die Frage, ob hohe<br />
Zufriedenheit und selten geäußerte Kritik, nicht auf diese Dankbarkeitshaltung<br />
zurückzuführen sind. Ein Beispiel sind die schwierigen Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>dingungen, die eine<br />
Interviewpartnerin in der Anfangszeit auf sich nehmen musste: „Also ich bin so quasi<br />
für vier Stunden von der Wohnung ins Büro mit der Rettung gebracht worden und in<br />
diesen vier Stunden ha<strong>be</strong> ich nicht aufs WC dürfen [Pause] müssen dürfen.“ Trotz<br />
aller Widrigkeiten <strong>be</strong>tont sie, „für mich war damals a<strong>be</strong>r viel die größere Freude [...]<br />
einfach etwas tun zu dürfen.“<br />
Angesichts der Zufriedenheit mit der objektiv schlechten Einkommenssituation stellt<br />
sich in manchen Fällen die Frage ob dies nicht auf die genannte Dankbarkeitshaltung<br />
zurückzuführen ist. Bestätigt wird diese Ü<strong>be</strong>rlegung durch das Resümee jener Frau,<br />
die sich unzufrieden ü<strong>be</strong>r ihr Gehalt äußert, a<strong>be</strong>r abschließend meint: „A<strong>be</strong>r noch<br />
schlimmer wäre, keinen Ar<strong>be</strong>itsplatz zu ha<strong>be</strong>n [...].“Auch <strong>be</strong>i den vielen verneinenden<br />
Antworten <strong>be</strong>züglich Benachteiligung stellt sich die Frage, ob nicht aufgrund der<br />
Dankbarkeit für den Job Frauen mit Behinderung weniger kritisch sind bzw.<br />
Benachteiligungen <strong>be</strong>i Seite schie<strong>be</strong>n. Dieser „Verdacht“ kommt auch im Hinblick auf<br />
so manche Aussagen von Kolleginnen und LeiterInnen auf, die ein Gefühl von<br />
Benachteiligung gerechtfertigt erscheinen lassen. Als Beispiel soll eine Frau dienen,<br />
die eine Benachteiligung verneint, a<strong>be</strong>r in anderen Zusammenhang von<br />
Schwierigkeiten im Team spricht, und die im Nachsatz feststellt: „A<strong>be</strong>r wissen’s, so<br />
schlimm war’s dann auch nicht. Ja. [Pause] Es geht dann schon. [Pause] Ja. [kurzes<br />
Lachen].“ Auch einige Aussage zur Teamsituation, die als positiv <strong>be</strong>urteilt wird, wie<br />
„Jetzt geht’s eh. [Pause] Ja“, lassen Uneingestandenes oder Unausgesprochenes<br />
vermuten.<br />
Dankbarkeit für den Ar<strong>be</strong>itsplatz wird von einer Führungskraft und einer Kollegin<br />
„eingefordert“: „Also, du musst, sie hat das damals so formuliert, du musst auch den<br />
Wert sehen, dass du ü<strong>be</strong>rhaupt den Ar<strong>be</strong>itsplatz hast, weil es könnte auch jemand<br />
ohne Handicap da sitzen.“ - „[...] sie hat einen Ar<strong>be</strong>itsplatz, sie soll froh sein, dass<br />
122
sie, dass sie... Nicht froh sein, sie soll schauen, dass sie da blei<strong>be</strong>n kann, weil es ist<br />
schön, wenn man einen Ar<strong>be</strong>itsplatz hat heute, ha<strong>be</strong> ich gesagt.“<br />
Gesellschaftlicher Auftrag sollte sein, dass für Frauen mit Behinderung eine<br />
„Normalität“ geschaffen wird, in der sie nicht dankbar sein müssen, sondern ihre<br />
Bedürfnisse selbstverständlich Beachtung finden und sie ihr Recht auf Berufstätigkeit<br />
als gesellschaftliche Teilha<strong>be</strong> umsetzen können. Hier ist ein Lernprozess notwendig<br />
wie eine Aussage einer Interviewpartnerin zeigt: „Also ich ha<strong>be</strong> einfach gelernt, das<br />
klar auszudrücken, früher ha<strong>be</strong> ich mir gar nicht getraut zu sagen, ich bin nicht<br />
zufrieden.“ Im Sinne der Förderung von Frauen mit Behinderung ist es daher<br />
notwendig, die Frauen zu stärken, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu artikulieren.<br />
Wichtige Ressourcen für Frauen mit Behinderung sind am Ar<strong>be</strong>itplatz KollegInnen:<br />
Eine Frau erwähnt lo<strong>be</strong>nd die Unterstützung der KollegInnen <strong>be</strong>i der Bewältigung<br />
von Schwierigkeiten: „A<strong>be</strong>r mit Hilfe von den Kollegen geht das oft ganz rasch oder<br />
ohne Probleme.“ Die Bibliothekarin, die das Stapeln von Büchern als Schwierigkeit in<br />
ihrer Ar<strong>be</strong>it anführt meint: „A<strong>be</strong>r da ha<strong>be</strong> ich meistens jemanden, der mir hilft.“ Jene<br />
Frau, die für fünf Minuten Assistenzleistung nicht die Begleiterin 15 km anreisen<br />
lassen möchte, <strong>be</strong>kommt <strong>be</strong>im Toilettengang von ihren KollegInnen Unterstützung.<br />
Im Privat<strong>be</strong>reich finden die meisten Frauen mit Behinderung stärkenden Rückhalt in<br />
ihren Familien, die für sie eine wesentliche Rolle spielen.<br />
Auffällig war die pragmatische Haltung der Interviewpartnerinnen, die sich in<br />
mehreren Zusammenhängen zeigte. Beispiel <strong>be</strong>i der Berufswahl: Vielen Frauen mit<br />
Behinderung machten sich <strong>be</strong>reits als Jugendliche klar, dass sie aufgrund ihrer<br />
Behinderung ihren Traum<strong>be</strong>ruf nicht verwirklichen können. Hier stellt sich die Frage,<br />
ob die Behinderung der Frau den Berufswunsch verunmöglichte oder die<br />
gesellschaftlichen Bedingungen des Umgang mit der Behinderung: So fragt man<br />
sich, weshalb sollte eine blinde Frau nicht mit Kindern ar<strong>be</strong>iten können? Eine Frau<br />
meinte zum Thema Berufswahl: „[...] den Traumjob, den gibt es eh nicht, der unsere<br />
Bedürfnisse abdeckt, was wir alles gerne täten in unserem Le<strong>be</strong>n.“ Pragmatismus<br />
zeigt sich auch in den Tipps für Frauen mit Behinderung, wo ein Ratschlag lautet:<br />
„Man kann nicht sagen, ja also das nehme ich jetzt nicht und vielleicht kommt ja noch<br />
was Besseres. Man muss wirklich die Chance am Schopfe packen und das Beste<br />
123
daraus machen. Es bleibt nichts anderes.“ [...] Weil es ist ein Irrsinn zu glau<strong>be</strong>n als<br />
Behinderter, wo es in der Steiermark ü<strong>be</strong>rhaupt so schwer ist, was zu kriegen, dass<br />
du dann... dass du dir das dann auch noch aussuchen kannst.“ Oder eine Aussage<br />
zum Thema Mutterschaft: „[...] daher ich keine Kinder ha<strong>be</strong>n kann, ist das halt für<br />
mich kein Ziel. Und andere würde es vielleicht schlimm treffen, a<strong>be</strong>r ich ha<strong>be</strong> mich<br />
schon von Jugend an damit abgefunden gehabt.“<br />
Bezüglich Berufswahl ist auffällig, dass alle Frauen in mehr oder minder traditionellen<br />
Frauen<strong>be</strong>rufen ar<strong>be</strong>iten. Gerade für Frauen mit körperlichen Einschränkungen<br />
scheint Büroar<strong>be</strong>it eine der wenigen <strong>be</strong>ruflichen Perspektiven zu sein. Eine Frau mit<br />
Körper<strong>be</strong>hinderung <strong>be</strong>schreibt ihren Weg zu ihrem jetzigen Beruf fol<strong>gender</strong>maßen<br />
„[...] also für mich war einfach dann so [Pause], was kann ich noch tun? [...] Und<br />
[Pause] vor allem, wo finde ich das? Also, wenn dann kommt für mich eine<br />
Bürotätigkeit in Frage.“ Hier sollte ü<strong>be</strong>rlegt werden, ob nicht differenzierte<br />
Berufsorientierung für Frauen mit Behinderung nicht mehr Möglichkeiten eröffnen<br />
könnte.<br />
Handlungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht darin, die Frauen mit Behinderung aus ihrer „Bittstellerrolle“<br />
zu <strong>be</strong>freien. Denn um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen ist für viele schwer und<br />
es entspricht auch nicht den Menschenrechten. „[...] Ich bin auch so, dass ich wirklich<br />
nur in Notfällen um etwas bitte“, meint eine Frau mit körperlicher Einschränkung. In<br />
diesen Aussagen schwingen wohl negative Erfahrungen mit, die diese Frau gemacht<br />
hat und immer noch macht. Eine Gesprächspartnerin, der es sehr schwer fällt, um<br />
Hilfe zu bitten, sieht dies jedoch als Fehler ihrer Seite – wo<strong>be</strong>i man hier anzumerken<br />
ist, dass sie in einem aufgeschlossenen Betrieb ar<strong>be</strong>itet, in dem es für alle<br />
selbstverständlich ist, ihr die notwendige Hilfe zukommen zu lassen: „Also das ist<br />
zwar mein eigenes Problem, a<strong>be</strong>r das ist eine große Schwäche von mir.“ Zum einen<br />
zeigt diese Aussage, wie sehr die Situation als Bittstellerin das Selbstwertgefühl<br />
<strong>be</strong>einträchtigt, zum anderen ist <strong>be</strong>zeichnend, dass dies als eigenes Versagen<br />
gewertet wird und nicht als Problem einer Umwelt, die nicht barrierefrei gestaltet ist<br />
und die notwendige Unterstützung bietet. Auf den ersten Blick scheint das Problem<br />
des Hilfe-Annehmens Frauen mit körperlicher Einschränkung stärker zu <strong>be</strong>treffen,<br />
vielleicht auch, weil sie auf mehr (offensichtliche) Barrieren stoßen. A<strong>be</strong>r auch für<br />
eine Frau mit Lernschwierigkeiten ist das Angewiesen-Sein auf Hilfe schwierig, wie<br />
124
fol<strong>gender</strong> Satz zeigt: „Ich meine, früher ha<strong>be</strong> ich mir immer gedacht, dass ich es<br />
ohne [...] fremde Hilfe schaffe, a<strong>be</strong>r [kurzes Lachen] ich bin halt nicht so wie die<br />
anderen.“<br />
Die Aussage einer Frau, die Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz und für eine Ausbildung in<br />
Anspruch nimmt, zeigt einen Weg, wie die Situation von Frauen mit Behinderung<br />
ver<strong>be</strong>ssert werden könnte: „Auch so diese persönliche Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz,<br />
persönliche Assistenz <strong>be</strong>i der Ausbildung. [...] Ich bin so dankbar, ich bin wirklich so<br />
dankbar. Also ich muss wirklich ehrlich sagen, das ist für mich, wo ich mir denke, das<br />
ist wirklich wie Schlaraffenland. [...] Auf einmal [sind] Dinge für mich machbar, wo ich<br />
mir vorher gedacht ha<strong>be</strong>, wie organisiere ich mir das? Ich meine, ich ha<strong>be</strong> sie mir<br />
zwar, war so mühsam, das ist jetzt einfach einfacher. Und man ist jetzt nicht mehr so<br />
der Bittsteller, [...] weil ich einfach sagen kann, ja ich kann jetzt diese Leistung<br />
entgelten. Das ist einmal total, das macht einen nicht so klein.“ Ein erweitertes<br />
Angebot an Unterstützungen könnte die Frauen mit Behinderung von Bittstellern zu<br />
Dienstleistungsempfängerinnen machen und somit ihr Selbst<strong>be</strong>wusstsein stärken.<br />
Dass drei von acht Frauen mit Behinderung das Thema Mobbing als Befürchtung<br />
anführen weist auf ein mögliches Problem hin: Die Aussagen in den Interviews<br />
lassen vermuten, dass Mobbing gegen Frauen mit Behinderung häufig stattfindet.<br />
Viele der Interviewpartnerinnen thematisieren in den Gesprächen nicht immer eigene<br />
Erfahrungen, wussten a<strong>be</strong>r von Mobbing zu <strong>be</strong>richten, das Bekannte und<br />
FreundInnen mit Behinderung erfahren ha<strong>be</strong>n. Andere fürchten, dass, wenn sie in<br />
einen anderen Betrieb wechseln müssten, Mobbing ausgesetzt sein könnten. Dem<br />
könnten Maßnahmen zur Stärkung der Frauen mit Behinderung sowie<br />
Aufklärungsar<strong>be</strong>it in Betrie<strong>be</strong>n entgegenwirken.<br />
Ein weiterer Bereich, in dem Handlungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht, <strong>be</strong>trifft die<br />
Selbstü<strong>be</strong>rforderung von Frauen mit Behinderung. Es scheint so, dass gerade<br />
Frauen mit Handicap dazu neigen, mehr leisten zu wollen als in ihrer Kraft liegt. Sie<br />
wollen – und müssen wohl auch – <strong>be</strong>weisen, dass sie mithalten können, dass sie<br />
leistungsfähig sind, ein Problem, das auch von Kolleginnen (siehe „Interpretation“)<br />
und LeiterInnen (siehe „Interpretation“) gesehen wurde. Die Stärkung der Frauen<br />
könnte dazu <strong>be</strong>itragen, ihnen ihr Gefühl, sich ständig <strong>be</strong>währen zu müssen, deutlich<br />
125
zu machen und Alternativen zu finden. Darü<strong>be</strong>r hinaus ist es sicherlich notwendig,<br />
das gesellschaftliche Bild zu verändern, das von einer generell verringerten<br />
Leistungsfähigkeit von Frauen und Männern mit Behinderung ausgeht und sie in die<br />
„Zwangslage“ bringt, mehr leisten zu müssen als andere, um anerkannt zu sein.<br />
Abschließend noch zum <strong>gender</strong> - Aspekt: Die Frauen mit Behinderung sprechen<br />
häufig von „Behinderten“ und differenzieren selten zwischen Frauen und Männern mit<br />
Behinderung. Weibliche „Behinderte“ werden unter die männliche Form subsumiert.<br />
Einige Beispiele: „Weil es gibt viele seh<strong>be</strong>hinderte oder blinde Menschen oder<br />
ü<strong>be</strong>rhaupt Behinderte, die ü<strong>be</strong>rhaupt keinen Job ha<strong>be</strong>n.“ - „Ich meine, sie müssen<br />
sowieso zahlen, wenn sie keinen Behinderten aufnehmen“ – „Und ich glau<strong>be</strong>, das ist<br />
ü<strong>be</strong>rhaupt das Wichtigste für Behinderte, dass sie was zu tun ha<strong>be</strong>n.“ – „Und das ist,<br />
man kann das, man kann das jedem Behinderten nur wünschen, wirklich.“ –<br />
„Natürlich ist es als Behinderter sehr schwer, ü<strong>be</strong>rhaupt eine Beziehung zu ha<strong>be</strong>n.“ -<br />
„Dass sie nicht die Augen zu machen und sagen, oh nein ein Behinderter [....]“<br />
Auch wenn die Frauen ü<strong>be</strong>r sich selbst sprechen, verwenden sie die männliche<br />
Form: „Weil als Behinderter bist du automatisch alleine.“ - „Ich bin kein <strong>be</strong>günstigter<br />
Behinderter.“<br />
In manchen Aussagen findet man auch die weibliche Form: „Und, ich meine, man<br />
muss dazu sagen, ich bin eine ehrgeizige Person, und [...] ah, ich ha<strong>be</strong> mir gestern<br />
eigentlich so ü<strong>be</strong>rlegt, wenn das jetzt als Beispiel genommen wird für andere<br />
<strong>be</strong>hinderte Frauen, also mein Maßstab ist sehr hoch.“ - „[...] da sage ich einmal ha<strong>be</strong><br />
ich als Behinderte wie in einer goldene Kugel [...] ist ein angenehmes Umfeld.“<br />
126
4.6.5.2.2 Interviews mit Kolleginnen<br />
Auswertung<br />
In den KollegInneninterviews wurden folgende Punkte angesprochen: Gemeinsame<br />
Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>reiche mit der Frau mit Behinderung, <strong>be</strong>triebliche Vor<strong>be</strong>reitung auf die<br />
Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung, persönliche Erwartungen und Befürchtungen,<br />
Veränderungen durch den Eintritt der Frau mit Behinderung, Wünsche für die weitere<br />
Zusammenar<strong>be</strong>it und Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt.<br />
Ar<strong>be</strong>it<br />
Die Kolleginnen wurden gefragt, in welchen Bereichen sie mit der Frau mit<br />
Behinderung zusammenar<strong>be</strong>iten, wie die Ar<strong>be</strong>it aufgeteilt ist und wie zufrieden sie<br />
mit dieser Aufteilung sind.<br />
In den meisten <strong>be</strong>suchten Unternehmen hat jede/r Mitar<strong>be</strong>iterIn zum Teil Bereiche,<br />
die eigenverantwortlich <strong>be</strong>ar<strong>be</strong>itet wurden: „Jeder hat in der Abteilung irgendwie sein<br />
eigenes Ding. A<strong>be</strong>r man ar<strong>be</strong>itet schon zusammen.“ Aufgrund von<br />
Ü<strong>be</strong>rschneidungen von Kompetenz<strong>be</strong>reichen ist eine fachliche Zusammenar<strong>be</strong>it<br />
zwischen den Frauen mit Behinderung und der Kollegin großteils gege<strong>be</strong>n. In<br />
manchen Fällen handelt es sich um ein „ständiges Zusammenar<strong>be</strong>iten“, in anderen<br />
Fällen ist die Gemeinsamkeit auf „organisatorische Sachen“, „Rücksprachen“ und<br />
Fragen <strong>be</strong>schränkt. In einem Fall nennt eine Kollegin ne<strong>be</strong>n den morgendlichen<br />
Besprechungen ihre Kontrollfunktion als Teil der Zusammenar<strong>be</strong>it.<br />
Alle acht Kolleginnen äußern sich zufrieden ü<strong>be</strong>r die Ar<strong>be</strong>itsaufteilung zwischen ihr<br />
und der Frau mit Behinderung.<br />
127
Vor<strong>be</strong>reitung<br />
Dem Thema Vor<strong>be</strong>reitung wurde breiter Raum gege<strong>be</strong>n: Es wurde nach der<br />
Vor<strong>be</strong>reitung durch den Betrieb, der persönlichen Vor<strong>be</strong>reitung, der Zufriedenheit<br />
damit und dies<strong>be</strong>züglichen Veränderungsvorschlägen gefragt.<br />
In allen acht Betrie<strong>be</strong>n gab es keine spezielle Vor<strong>be</strong>reitung der Mitar<strong>be</strong>iterInnen -<br />
„[...] es hat nur geheißen, ja, es kommt jemand zu uns in den Betrieb, <strong>be</strong>hindert [...].“<br />
In zwei Fällen <strong>be</strong>stand schon vor dem Eintritt eine persönliche Bekanntschaft: „[...]<br />
Ich ha<strong>be</strong> die Frau K. eigentlich früher auch schon gekannt, also das war dann nichts<br />
Aufregendes. Und für mich ist sie kein Mensch mit einer Behinderung.“ Im anderen<br />
Fall vertiefte sich durch die gemeinsame Ar<strong>be</strong>it die Bekanntschaft: „Weil sich einfach<br />
auch eine freundschaftliche Bande geknüpft hat.“<br />
Eine Kollegin meint zum Thema Vor<strong>be</strong>reitung: „Also es hat nicht wirklich viel<br />
Vor<strong>be</strong>reitung gebraucht, weil wir mit der richtigen Einstellung in den Betrieb<br />
gekommen sind.“ Es handelt sich hier<strong>be</strong>i um einen Verein, der im<br />
Behinderten<strong>be</strong>reich tätig ist und deren Mitar<strong>be</strong>iterInnen daher im Umgang mit<br />
Personen mit Behinderung geschult sind. Die Kollegin hält Vor<strong>be</strong>reitung jedoch<br />
allgemein für wichtig: „Etwas anderes wäre, wenn man in einem Betrieb ist und man<br />
dann sozusagen urplötzlich mit einem Kollegen konfrontiert wird, der eine<br />
Behinderung hat und man irgendwo nicht un<strong>be</strong>dingt einen positiven Zugang hat.“<br />
Fallweise wurden Gespräche mit den Mitar<strong>be</strong>iterinnen geführt; meist war die<br />
Einführung eher informell: „Wir müssen ihr immer [die Ar<strong>be</strong>it] zeigen und [sie] halt<br />
immer mit laufen lassen. [...] Dass sie sieht, wie genau das gehört und wie das<br />
gemacht gehört.“ – „Ich weiß, dass die Chefin zu uns gesagt hat, wir kriegen ein Mädl<br />
herein [...] Und sie [...] hat uns vor<strong>be</strong>reitet darauf, da sie gesagt hat, was alles mit ihr<br />
los ist. Was das Problem <strong>be</strong>i ihr ist.“<br />
128
Manches Mal ließ man das Ganze auf sich zukommen: „Abgewartet. Wir ha<strong>be</strong>n<br />
abgewartet, dass sie kommt. Und dass wir sagen, ja gut, wir werden das Beste<br />
daraus machen.<br />
Bis auf eine Kollegin zeigen sich alle mit der Art der Vor<strong>be</strong>reitung zufrieden: „Ich<br />
meine, muss echt sagen, also ich wüsste keinen, den das gestört hat. […] Also jeder,<br />
hat sie eigentlich mit offenen Armen empfangen.“ In einem Fall meint die Kollegin:<br />
„[...] einerseits sind wir schon irgendwie ins kalte Wasser hinein geworfen worden,<br />
a<strong>be</strong>r andererseits ist das irgendwie Voraussetzung gewesen.“<br />
Die Kolleginnen wurden nach ihrer persönlichen Vor<strong>be</strong>reitung gefragt und in<br />
manchen Fällen schien diese Frage Verwirrung auszulösen: „Persönlich? Also für<br />
mich war da ü<strong>be</strong>rhaupt kein Problem, also, ich muss sagen, [...] wenn ich jetzt so<br />
zurück denke, ich wüsste jetzt gar nicht, was ich genau jetzt gedacht ha<strong>be</strong>. [...] Ich<br />
weiß gar nicht, ob ich mir ü<strong>be</strong>rhaupt Gedanken gemacht ha<strong>be</strong>.“ Eine Kollegin, die<br />
<strong>be</strong>reits lange Zeit im Sozial<strong>be</strong>reich tätig ist und dadurch mit Frauen und Männern mit<br />
verschiedenen Arten von Behinderung Erfahrung hat, <strong>be</strong>reitete sich in <strong>be</strong>stimmter<br />
Weise vor: „Na ja, die persönliche Vor<strong>be</strong>reitung ist das, dass ich mir e<strong>be</strong>n aus dem<br />
Akt herausgeschaut ha<strong>be</strong> [...] welche Diagnose [...] da [ist]. Und [ich] mein Wissen<br />
[vertieft ha<strong>be</strong>].“ Es war für sie wichtig zu wissen, „wo liegen die Bereiche, wo ich<br />
sagen kann, okay, das müssen wir gemeinsam klären oder da muss e<strong>be</strong>n der<br />
Fachmann […] mir sagen, das ist in dem Bereich nicht mehr möglich.“<br />
Die Kolleginnen hätten in puncto Vor<strong>be</strong>reitung nichts anders gemacht bzw. äußern<br />
keine Wünsche. Eine Kollegin meine: „[Ich] kann nicht sagen, dass du irgendwie<br />
etwas anders machen kannst. Weil die M. [Anm. = Chefin] hat sel<strong>be</strong>r nicht genau<br />
gewusst, was los ist, nicht.“<br />
Erwartungen und Befürchtungen vor Ar<strong>be</strong>itseintritt der Frau mit Behinderung<br />
Vier der Gesprächspartnerinnen hatten keine konkreten Erwartungen an die Kollegin<br />
mit Behinderung. Gab es Erwartungen, so waren diese recht unterschiedlich: „[Dass<br />
sie] probiert, das so gut zu machen wie sie kann.“ und „Dass sie e<strong>be</strong>n die Ar<strong>be</strong>it<br />
129
gerne macht, dass sie es versteht“, war die Erwartung an eine Frau mit<br />
Lernschwierigkeiten. „Dass sie mich auch fragen kommt. Und wenn es 30 Mal die<br />
gleiche Frage ist“, wünschte sich die Kollegin. „Das hat sie leider weniger gemacht.“<br />
<strong>be</strong>dauert sie. Eine ganz andere E<strong>be</strong>ne wird hier angesprochen: „Dass sie sich wohl<br />
fühlt. Dass sie zu den Leuten Vertrauen fasst.“ Auch eine andere Kollegin<br />
thematisiert die zwischenmenschliche E<strong>be</strong>ne: Sie wünschte sich Offenheit, dass<br />
<strong>be</strong>ide Seiten „Vertrauen aufbauen“ und dass auch Probleme angesprochen werden<br />
können. Sie zog ein positives Resümee: „Also von meine Warte aus ha<strong>be</strong> ich das<br />
Gefühl, dass sie kommt, wenn ihr was nicht passt und ich auch relativ gut mitkriege,<br />
was läuft. […] Die [Erwartungen] ha<strong>be</strong>n sich sehr gut erfüllt, ja.“ Eine Frau hatte<br />
sofort einen sehr positiven Eindruck von der künftigen Kollegin: „Ich ha<strong>be</strong> gleich<br />
gewusst, sie ist ein kluges Köpfchen, rein einschätzungsmäßig.“ Diese Einschätzung<br />
hat sich für sie <strong>be</strong>stätigt: „[...] die Erwartungen [sind] eingetroffen, wenn nicht sogar<br />
ü<strong>be</strong>rhöht, im positiven Sinne.“<br />
In einem Fall <strong>be</strong>gegnete man der Kollegin mit „großer Erwartung“: „Und wir ha<strong>be</strong>n<br />
gedacht, wenn die so eine Schulung macht […] da wird schon einiges gehen.“ Die<br />
Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. Man glaubte, sie könne von Beginn an voll<br />
mitar<strong>be</strong>iten, a<strong>be</strong>r „da hat man am Anfang Schritt für Schritt alles genau erklären<br />
[müssen].“ Die Kollegin meint weiter: „Ich glau<strong>be</strong>, wir müssen sel<strong>be</strong>r auch lernen,<br />
dass wir verstehen, dass das keine 100 Prozent sind. [...] Und wir müssen auch mit<br />
dem lernen umzugehen. Das können wir noch nicht momentan. [...] Das dauert.“ Sie<br />
meint, dass sie ihre Erwartungen <strong>be</strong>reits zurückgesteckt hat, weil „ich sehe es jetzt,<br />
was eine Behinderung ist.“<br />
Drei Frauen hatten keine Befürchtungen <strong>be</strong>züglich der Kollegin mit Behinderung. Bei<br />
zwei Frauen mit Körper<strong>be</strong>hinderung und der Frau mit Seh<strong>be</strong>hinderung wurden<br />
Bedenken <strong>be</strong>züglich der körperlichen Belastbarkeit geäußert: „Dass sie es […]<br />
körperlich nicht schafft. Weil sie am Anfang sehr schnell erschöpft war.“ - „Und sie ist<br />
halt natürlich leider ein bisschen anfälliger und auch etwas kranker.“ - „Ja, <strong>be</strong>i<br />
gewissen Sachen ha<strong>be</strong> ich mir schon gedacht, wenn das vermehrt auftritt, ob das<br />
körperlich gut für sie ist?“ Eine Frau hatte Befürchtungen, dass sich die Kollegin<br />
durch ihre Schuld verletzen könnte: „Weil sie doch ein zerbrechlicher Mensch ist.“<br />
Diesen Problemen <strong>be</strong>gegnet man, indem körperlich anstrengende Ar<strong>be</strong>iten von<br />
130
anderen KollegInnen ü<strong>be</strong>rnommen werden bzw. indem man den Ar<strong>be</strong>itsplatz so<br />
anpasste, dass Belastungen vermieden werden können. In einem Fall erwiesen sich<br />
„die Stimmungsschwankungen“ der neuen Mitar<strong>be</strong>iterin als Problem. Die Probleme<br />
<strong>be</strong>sserten sich „und jetzt mittlerweile geht es eh wieder.“ Anerkennend erwähnt die<br />
Kollegin das Bemühen der Frau mit Behinderung: „Sie probiert es wirklich so gut sie<br />
kann zu meistern.“<br />
Eine Kollegin <strong>be</strong>fürchtete anfangs Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen<br />
Bereich: „[…] dass wir sozusagen vom Menschlichen her nicht […] zusammen<br />
kommen könnten.“ Und sie hatte Sorge, dass die Frau mit Behinderung „sich nicht<br />
wehren [würde] […] oder gewisse Bereiche sie ü<strong>be</strong>rfordern.“ Sie stellt abschließend<br />
fest: „Das waren die Ängste, die sich a<strong>be</strong>r in den ersten Gesprächen geklärt ha<strong>be</strong>n.<br />
Wir kommen recht gut zusammen.“<br />
Veränderungen durch den Eintritt der Kollegin mit Behinderung<br />
Die Frage nach Veränderungen durch den Eintritt einer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />
wurde global gestellt und wie erwartet unterschiedlich interpretiert. Die meisten<br />
Antworten <strong>be</strong>ziehen sich auf die Teamsituation. „Also es ist schon auch ein bisschen<br />
ein Aufschwung auch herein gekommen, sicher. E<strong>be</strong>n weil sie ein bisschen eine<br />
Reschere ist.“ In einem anderen Unternehmen waren die Veränderungen weniger<br />
positiv: „Wir sind so eine kleine Clique gewesen. [...] Man ist [...] <strong>be</strong>im Reden ein<br />
bisschen vorsichtiger geworden.“ Erst allmählich fasst man Vertrauen: „[...] Jetzt das<br />
letzte hal<strong>be</strong> Jahr [...] ist sie schon – es wird immer mehr, immer mehr wird sie<br />
integriert.“ (Die Frau ist seit mehr als zwei Jahren im Betrieb.)<br />
Auch im Denken der Mitar<strong>be</strong>iterInnen ändert sich einiges. Für alle Beteiligten war der<br />
Eintritt der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung ein Lernprozess: „A<strong>be</strong>r ich sehe es als sehr<br />
positiv, weil man irgendwo lernt. [...] Und das gefällt mir eigentlich sehr gut [...] an<br />
unserer Ar<strong>be</strong>itsstätte, dass alle <strong>be</strong>reit sind, irgendwie miteinander da weiter zu gehen<br />
und zu lernen.“ Eine andere Kollegin meint, dass sich „für einen Teil der<br />
Bediensteten sicher das [geändert hat], dass e<strong>be</strong>n gewisse Behinderungen nicht<br />
un<strong>be</strong>dingt ar<strong>be</strong>itseinschränkend sein müssen, dass es eine Bereicherung sein kann.“<br />
131
Sie thematisiert im Weiteren eine Haltung, mit denen Frauen und Männer mit<br />
Behinderung in der Ar<strong>be</strong>itswelt wohl immer wieder konfrontiert sind: „Entweder du<br />
bist <strong>be</strong>hindert, dann hast also wie ein kleines Kind zu folgen und zu funktionieren in<br />
dem Bereich. Oder du bist gesund und dann mache das, was man dir aufträgt. Dass<br />
a<strong>be</strong>r dazwischen der Spielraum e<strong>be</strong>n ist, ein Behinderter ist kein kleines Kind,<br />
sondern er hat nur Defizite in <strong>be</strong>stimmten Bereichen und andererseits [ist] er nicht<br />
<strong>be</strong>lastbar in allen Bereichen - und die Bereiche muss ich einfach akzeptieren lernen.“<br />
– das <strong>be</strong>reitet manchen Mitar<strong>be</strong>iterInnen Probleme, <strong>be</strong>richtete die Kollegin aus ihrer<br />
langen Erfahrung.<br />
Der Faktor Zeit wird in den Interviews mehrmals angesprochen: - „Ich meine, es ist<br />
sicher so, dass man die Zeit ein bisschen anders <strong>be</strong>werten muss. Weil einfach [sie]<br />
durch ihre Beeinträchtigung sicher für das eine oder andere einfach ein bisschen<br />
mehr Zeit braucht.“<br />
Andere Antworten zum Thema Veränderungen <strong>be</strong>ziehen sich auf die Ar<strong>be</strong>it: „[Sie<br />
hat] den Chef und mich schon sehr entlastet.“ oder „Sie [...] ist eine Erleichterung.“<br />
lauten die Äußerungen.<br />
Eine Kollegin meint, es ha<strong>be</strong> sich „gar nichts“ geändert. „Sie läuft mit wie eine<br />
normale Angestellte, wie jeder von uns. Außer dass man ein bisschen vorsichtiger<br />
reden muss mir ihr [...].“<br />
Andere Gesprächsparterinnen gehen von einer problemorientierten Sichtweise aus:<br />
„Wir ha<strong>be</strong>n da ü<strong>be</strong>rhaupt kein Problem.“ Auch andere Kolleginnen <strong>be</strong>tonen, „da gibt<br />
es keine Probleme.“<br />
Wünsche<br />
Gefragt nach den Wünschen für die weitere Zusammenar<strong>be</strong>it wird am häufigsten,<br />
„dass sie weiter <strong>be</strong>i und bleibt“ genannt, eine Antwort, in der sich die Zufriedenheit<br />
der Kolleginnen widerspiegelt. „Ich könnte mir [...] keine <strong>be</strong>ssere Kollegin wünschen.“<br />
132
„Dass sie zufrieden ist, vor allem; dass es ihr gefällt“, dieser erste spontane Satz<br />
zeugt vom Bemühen um die Kollegin mit Behinderung, das in diesem Interview (und<br />
auch in dem mit der Leitung) zu spüren war. Man ist <strong>be</strong>müht auf die Anliegen der<br />
Kollegin mit Behinderung einzugehen: „Ab und zu kommt sie schon her und meint,<br />
das und das passt nicht. Und dann schauen wir halt, dass wir das irgendwie<br />
ausbügeln können.“ Auch in anderen Betrie<strong>be</strong>n steht das Wohl der Frau mit<br />
Behinderung im Mittelpunkt: „Ja, dass das, was wir so angedacht ha<strong>be</strong>n in der<br />
letzten Zeit verwirklichen lässt. Dass sie einfach mehr und mehr in den [...]<br />
Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>reichen zuständig wird, wo [...] ihre Hauptqualifikationen liegen“, womit ein<br />
Wunsch der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap in Erfüllung ginge.<br />
Andere Wünsche sind: „[...] Der Wunsch ist wirklich das, dass [...] [sie] durchhält und<br />
wirklich immer wieder kommt und sagt, das und das hätte ich gerne als Hilfe oder<br />
das und das kann ich nicht verstehen [...]. Und umgekehrt, dass ich sie soweit<br />
schützen und [ihr] helfen kann, dass sie e<strong>be</strong>n wirklich ihre Freude <strong>be</strong>im Job <strong>be</strong>hält.“<br />
Einige Wünsche <strong>be</strong>ziehen sich auf die Ar<strong>be</strong>itssituation: „Dass sie e<strong>be</strong>n schneller<br />
wird. [...] Dass sie wirklich sich <strong>be</strong>mühen anfängt.“ Eine Kollegin wünscht sich mehr<br />
Kollegialität und Flexibilität. Sie kritisiert, dass „sie da ein bisschen auf ihre Krankheit<br />
ausspielt. Dass sie da irgendwas nützt.“ Sie führt ein konkretes Beispiel an, in dem<br />
die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung in Zeiten großer Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>lastung nicht <strong>be</strong>reit war,<br />
aus dem Krankenstand zur Ar<strong>be</strong>it zu kommen: „Und weil der Arzt gesagt hat, sie soll<br />
noch zu Hause blei<strong>be</strong>n, ist sie noch zu Hause geblie<strong>be</strong>n.“<br />
Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
Die Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge der Kolleginnen ähneln denen der Frauen mit<br />
Behinderung. Von der Gesellschaft und den Unternehmen im Speziellen wird mehr<br />
Offenheit gefordert: „Dass wir einfach halt alle offen [einem anderen] gegenü<strong>be</strong>r<br />
treten.“<br />
Mögliche Gründe für die schwierige Lage von Frauen und Männern mit Behinderung<br />
werden in den Antworten thematisiert: „Ich glau<strong>be</strong> einmal, dass viele Unternehmen<br />
133
vielleicht Angst ha<strong>be</strong>n davor, so wen aufzunehmen.“ Speziell auf die Situation von<br />
Frauen und Männern mit psychischer Problematik <strong>be</strong>zogen führt die Kollegin die<br />
Angst darauf zurück: „[...] weil niemand da ist, der einem sagen kann, wo es lang<br />
geht.“ Daher erachtet sie „mehr Anlaufstellen, mehr Betreuungsstellen [...] und auch<br />
mehr Zugang zu Supervisionen, für Betroffene sel<strong>be</strong>r [a<strong>be</strong>r auch] im Team, [...]“<br />
sowie sie das Angebot von „Firmengesprächen“ oder „Seminaren“ für wichtig und<br />
hilfreich hält. Ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem, das Frauen und<br />
Männer mit Behinderung im Besonderen trifft, wird e<strong>be</strong>nfalls thematisiert: „A<strong>be</strong>r<br />
heutzutage wird sowieso auf das Auftreten, Aussehen [mehr] geachtet als [...] wer<br />
was kann.“<br />
Viele Kolleginnen fordern: „Man sollte denen genau so eine Chance ge<strong>be</strong>n, weil die<br />
ha<strong>be</strong>n oft mehr los wie ein Gesunder [...].“ Wo<strong>be</strong>i es nicht um „irgendeine“<br />
Beschäftigung gehen soll: „[...] sicher solltest du <strong>be</strong>hinderten Leuten auch eine<br />
Chance ge<strong>be</strong>n zum Ar<strong>be</strong>iten. A<strong>be</strong>r solche Tätigkeiten, [die] ihnen Spaß machen! [...]<br />
Dass sie sich auch entfalten können.“ Dieses „Chance-Ge<strong>be</strong>n“ dürfe keine Gnade<br />
sein, sondern es muss ins Bewusstsein der Gesellschaft vordringen, dass Frauen<br />
und Männer mit Behinderung „ein Recht [ha<strong>be</strong>n] genauso wie wir am Ar<strong>be</strong>itsle<strong>be</strong>n<br />
teilzunehmen.“<br />
Zu den Mitteln, wie diese Offenheit erreicht werden kann, meint eine Kollegin: „Das<br />
Wichtigste für mich in dem Zusammenhang ist Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung“,<br />
und vertritt damit die Meinung vieler anderer. In Betrie<strong>be</strong>n ist es wichtig, dass man<br />
„dementsprechend die Infrastruktur [...] schafft.“ Professionelle Unterstützung sollte<br />
Bestandteil des Integrationsprozesses sein: „Und auch, wenn es jetzt menschliche<br />
Komplikationen gibt, die dann dort am Schopfe packt und einfach so viele<br />
Gesprächsrunden wie auch immer, oder Supervisionen macht, dass einfach das<br />
Umfeld das wirklich annimmt.“ Wichtig ist einer Kollegin, dass die „Führungse<strong>be</strong>ne,<br />
einfach ganz klar dahinter steht, dass man einen Menschen mit Behinderung<br />
aufnimmt.“<br />
Ein sehr konkreter Vorschlag lautet, dass man Betrie<strong>be</strong>n „einmal eine Form von<br />
Selbsterfahrung zukommen lässt. [...] Wenn die [Anm. <strong>be</strong>zieht sich auf Personen, die<br />
an einer Selbsterfahrung teilgenommen ha<strong>be</strong>n] einmal sel<strong>be</strong>r erlebt ha<strong>be</strong>n, wie<br />
134
schwierig es ist, [...] mit einer Behinderung dassel<strong>be</strong> zu tun wie ohne Behinderung,<br />
dann verändert sich die Einstellung [...].“ Mit dieser Einsicht, „verändert sich das<br />
ganze Umfeld mit.“<br />
Ein mehrmals angesprochener Punkt ist die Ar<strong>be</strong>itsplatzgestaltung, wo<strong>be</strong>i dies in<br />
erster Linie Frauen und Männer mit Körper<strong>be</strong>hinderung <strong>be</strong>trifft: Ar<strong>be</strong>itsplätze müssen<br />
so gestaltet sein, „dass es so wenig wie möglich Behinderungen gibt für denjenigen,<br />
damit er wirklich gut ar<strong>be</strong>iten kann.“<br />
135
Interpretation<br />
Die Aussagen der Kolleginnen werden differenziert analysiert. Es wird versucht, feine<br />
Zwischentöne herzuhören und die „Aussage hinter der Aussage“ zu erkennen. Zum<br />
einen geht es darum, Ressourcen für die Mitar<strong>be</strong>iterinnen mit Behinderung a<strong>be</strong>r auch<br />
für die Kolleginnen zu erkennen. Andererseits ist es ein Anliegen, Bereiche, in denen<br />
Handlungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht, aufzuzeigen, um präventiv und unterstützend wirken zu<br />
können. Gerade die Aussagen der Ar<strong>be</strong>itskolleginnen von Frauen mit Behinderung<br />
lassen erkennen, wo mögliche Problemfelder liegen und in welchen Bereichen<br />
Schwierigkeiten auftreten. A<strong>be</strong>r es scheint ein Tabu zu sein, ü<strong>be</strong>r Unsicherheiten<br />
oder Probleme, die im dem Umgang mit einer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />
auftreten können, offen zu sprechen. Eine Kollegin mit reicher Erfahrung im Umgang<br />
mit Frauen und Männern mit Behinderung formulierte das Problem fol<strong>gender</strong>maßen:<br />
„Ich [sage] immer, die größten Fehler werden dort gemacht, dass [sie] stigmatisiert<br />
werden von Anfang. Und die zweiten Fehler sind die massiven Ängste und es will<br />
sich e<strong>be</strong>n keiner [mit der Behinderung] auseinandersetzen.“<br />
Generell ist die Haltung der Kolleginnen gegenü<strong>be</strong>r der Frau mit Behinderung<br />
wertschätzend. Dies <strong>be</strong>legen Aussagen wie: „Ich könnte mir, wie gesagt, keine<br />
<strong>be</strong>ssere Kollegin wünschen.“ – „A<strong>be</strong>r sie ist super, also ich kann nichts sagen“, oder<br />
„Weil sie ist [...] sicher ein Fall, den wir nicht so gerne herge<strong>be</strong>n täten sicher nicht,<br />
nein.“ - „Sie ist da und sie gehört zu uns dazu.“ – „[...] ich bin auch stolz, dass sie es<br />
so gut macht jetzt.“ In manchen Fällen sprechen die Kolleginnen von Freundschaft:<br />
„[Wir ha<strong>be</strong>n] eigentlich eine sehr intensive freundschaftliche Beziehung [...].“- „Weil<br />
sich einfach auch eine freundschaftliche Bande geknüpft hat.“ Wie <strong>be</strong>reits in der<br />
Auswertung zu sehen, ist man um das Wohl<strong>be</strong>finden der Frau mit Behinderung<br />
<strong>be</strong>müht und <strong>be</strong>rücksichtigt ihre Bedürfnisse. Hier ein weiteres Beispiel: „Also wenn<br />
man schon gemerkt hat, sie ist <strong>be</strong>drückt, ein jeder [hat gefragt] immer: [...] Was ist<br />
heute los? Willst du reden darü<strong>be</strong>r? [...] Und sobald wer gemerkt hat, sie hat<br />
irgendwas, ist man sofort darauf eingegangen und hat man mit ihr auch geredet ü<strong>be</strong>r<br />
das.“<br />
136
Die Ver<strong>be</strong>sserung der Ar<strong>be</strong>itssituation im Betrieb durch die Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />
Behinderung wird mehrmals anerkennend erwähnt: „[...] sie ist schon eine spürbare<br />
Entlastung.“ Eine Kollegin meint auf ihre persönliche Situation <strong>be</strong>zogen: „Und das<br />
war, sie war [zu Beginn] eine große Stütze und ist es heute noch. Und ohne sie wäre<br />
ich sicher nicht so weit gekommen.“ An den Frauen mit Behinderung wird weiters ihr<br />
Auftreten geschätzt. Sie werden immer wieder als <strong>be</strong>eindruckende Persönlichkeiten<br />
<strong>be</strong>schrie<strong>be</strong>n: „Weil sie so eine Persönlichkeit hat [...]. Sie ist wirklich toll.“ Wichtig ist<br />
der Lernprozess, der aufgrund einer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap stattfindet. Nicht<br />
zuletzt spiegelt sich die hohe Zufriedenheit in der häufigen Nennung des Wunsches,<br />
„dass sie bleibt“, wider.<br />
Obwohl <strong>be</strong>i der Konzeption der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen Bewertungen von Seiten der<br />
Kollegin <strong>be</strong>wusst ausgeschlossen wurden – es werden keine Fragen dazu gestellt -<br />
fließen Beurteilungen in den Gesprächen mit ein. Die positiven Aussagen<br />
ü<strong>be</strong>rwiegen hier<strong>be</strong>i deutlich: „Es läuft super.“ - „Die [Mitar<strong>be</strong>iterin] ist für alles<br />
einsetzbar.“ – „Sie <strong>be</strong>müht sich, ich muss sagen, sie <strong>be</strong>müht sich total.“ In manchem<br />
Lob klingt jedoch ein leicht negativer Beigeschmack mit: „Sie ist im Großen und<br />
Ganzen sehr brav.“ – „Sie tut eh. Sie <strong>be</strong>müht sich eh.“<br />
Handlungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht im Bereich Vor<strong>be</strong>reitung: In keinem Unternehmen hat eine<br />
spezielle Vor<strong>be</strong>reitung auf die neue Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung stattgefunden.<br />
„Schlechte“ oder fehlende Vor<strong>be</strong>reitung kann zu Schwierigkeiten - gerade in der<br />
Startphase - und zu Konflikten führen. Beispielsweise stellt sich <strong>be</strong>i der Aussage „Es<br />
war sicher für uns auch nicht leicht. [...] Und für sie auch nicht leicht,“ die Frage, ob<br />
nicht durch intensive Vor<strong>be</strong>reitung und Begleitung in der Anfangsphase<br />
Schwierigkeiten hätten vermieden werden können. „Weil da ha<strong>be</strong>n wir wirklich am<br />
Anfang sehr viele Probleme gehabt.“ Dies auch, weil die Erwartungen in diesem Fall<br />
sehr hoch waren: „Und wir ha<strong>be</strong>n gedacht, wenn die so eine Schulung macht […] da<br />
wird schon einiges gehen.“ Die Erwartungen konnten jedoch nicht erfüllt werden. Die<br />
Probleme der Einstiegsphase <strong>be</strong>trafen a<strong>be</strong>r nicht nur die Ar<strong>be</strong>itse<strong>be</strong>ne, sondern<br />
auch die zwischenmenschliche E<strong>be</strong>ne – u. a. hätte sich eine Kollegin als ältere mehr<br />
„Respekt“ von der neuen, jungen Kollegin gewünscht. A<strong>be</strong>r auch trotz Vor<strong>be</strong>reitung<br />
kann es zu Problemen kommen. In einem Unternehmen wurden die Mitar<strong>be</strong>iterInnen<br />
durch ein Gespräch auf die Frau mit Handicap vor<strong>be</strong>reitet und dennoch kam es zu<br />
137
Schwierigkeiten: „Ich denke dass es ein Fehler vielleicht, a<strong>be</strong>r ein Problem von<br />
meiner Seite auch war, dass ich das ein bisschen unterschätzt ha<strong>be</strong>. Und dann erst<br />
mit der Ar<strong>be</strong>it, also die ersten zwei drei Wochen, darauf gekommen bin, was sie<br />
wirklich für ein Handicap hat.“ Möglicherweise kann eine spezielle Vor<strong>be</strong>reitung auch<br />
ü<strong>be</strong>r Unsicherheiten hinweghelfen, wie sie eine Kollegin formuliert. „Weil du e<strong>be</strong>n<br />
nicht weißt, wie sollst du mit so einem Menschen umgehen?“<br />
Ein Problemfeld, das von den Kolleginnen am häufigsten angesprochen wird, ist der<br />
Faktor Zeit (siehe auch Auswertung Unternehmen – „Erwartungen und<br />
Befürchtungen“). Manche Frauen hatten aufgrund ihrer Behinderung ein geringeres<br />
Ar<strong>be</strong>itstempo: „[...] Obwohl das früher auch schon ein Problem war, mit der<br />
Langsamkeit. [...] Das war echt oft ein Problem. Was es heute auch oft ist.“– „Das ist<br />
sicher ein Problem, also wir sind alle schnell. [...] Und dadurch entsteht oft für [sie] so<br />
der Eindruck, sie bringt die Leistung nicht oder wir hätten gerne jemanden anderen<br />
an ihrer Stelle [...].“<br />
Schwierigkeiten gibt es in manchen Fällen mit der Qualität der Ar<strong>be</strong>it. Für die<br />
Kolleginnen ist es <strong>be</strong>lastend, wenn für sie Mehrar<strong>be</strong>it entsteht bzw. mehr „Betreuung“<br />
der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap erforderlich ist (siehe auch Auswertung<br />
Unternehmen): „Weil das ist dann im Prinzip die doppelte Ar<strong>be</strong>it. Wenn du sie<br />
schickst und du weißt dann eh schon im Vornhinein, dass [es] nicht wirklich [...]<br />
hinhauen wird, dass du es dann eh sel<strong>be</strong>r später machen musst, nicht.“ - „[...] Wenn<br />
was Neues dazu kommt, dann musst du halt immer schauen, macht sie das jetzt<br />
richtig, macht sie das jetzt falsch [...].“ – Schwierig wird es für Kolleginnen vor allem<br />
dann, wenn „offizielle“ Einstufung und reale Leistung nicht ü<strong>be</strong>reinstimmen: „Ich<br />
glau<strong>be</strong>, das müssen wir sel<strong>be</strong>r auch lernen, dass wir verstehen, dass das keine 100<br />
Prozent sind, dass das e<strong>be</strong>n 70, 80 Prozent sind. Wir müssen uns mit den 70, 80<br />
Prozent <strong>be</strong>gnügen.“ - „Im Endeffekt leisten sie dann nicht wirklich diese 80 Prozent<br />
oder 40 Prozent, sondern davon nur einen Bruchteil. Und die Ar<strong>be</strong>it bleibt a<strong>be</strong>r an<br />
den andern hängen. [...] wo ich ihnen gar nicht die Schuld ge<strong>be</strong>.“ Dass eine solche<br />
Situation Konfliktpotential am Ar<strong>be</strong>itsplatz birgt, liegt auf der Hand.<br />
Wie <strong>be</strong>reits von den Frauen mit Behinderung und später auch von den Unternehmen<br />
wird das Thema Ü<strong>be</strong>rforderung angesprochen: „[Es liegt] einfach ein bisschen eine<br />
138
Gefahr drinnen, dass sie sich zu viel aufhalst,“ meint eine Kollegin mit konkretem<br />
Bezug auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap, eine andere meint allgemein: „[...] Es kann<br />
so mancher Rollstuhlfahrer die <strong>be</strong>ste Sekretärin sein und dreimal so viel machen, nur<br />
damit sie ihren Posten <strong>be</strong>hält [...].“ Diese Aussagen decken sich mit jenen der Frauen<br />
mit Behinderung und den Unternehmen, die <strong>be</strong>ide davon sprechen, dass Frauen und<br />
Männer mit Behinderung mehr leisten müssen, um anerkannt zu sein.<br />
Sensibilisierung und Aufklärung für Unternehmen und Mitar<strong>be</strong>iterInnen könnten hier<br />
für die Frauen und Männer mit Behinderung unterstützend wirken.<br />
Abschließend einige Anmerkungen zur Ausgangsthese, dass Frauen und Männer<br />
nicht in ihrer Geschlechtlichkeit wahrgenommen werden. Sie wird auch hier<br />
mehrmals <strong>be</strong>stätigt. „Der Mensch“ steht im Mittelpunkt der Aussagen und nicht die<br />
Frau: „Als erstes kommt sie als Mensch [...]“ - „Und für mich ist sie kein Mensch mit<br />
einer Behinderung.“ Formulierungen, die auch in den Gesprächen mit LeiterInnen<br />
mehrmals verwendet werden.<br />
Wird von Frauen und Männern mit Behinderung gesprochen, wird häufig von<br />
„Menschen“ oder „Behinderten“ gesprochen: „[...] Menschen mit den<br />
unterschiedlichen Behinderungen.“ – „Wir ha<strong>be</strong>n mit Menschen mit Behinderung ah,<br />
e<strong>be</strong>n zu tun.“ – „[...] Menschen mit den unterschiedlichen Behinderungen.“ – „In der<br />
Familie kommst trotzdem mit den Behinderten aller Altersstufen und Varianten [in<br />
Kontakt].“ Frauen werden wiederum in der männlichen Form „mitgemeint“. Dazu die<br />
Aussage einer Kollegin, die viel Erfahrung mit der Ar<strong>be</strong>itssituation von Frauen und<br />
Männern mit Behinderung hat: „[...] Ja der Behinderte kommt in die Telefonzentrale<br />
oder der Behinderte kommt in die Schreibstu<strong>be</strong> oder was, nicht. Es heißt nie, die<br />
Frau oder der Herr, sondern der Behinderte.“<br />
Wird konkret von der Frau mit Behinderung gesprochen, findet noch am ehesten die<br />
weibliche Form Verwendung: „[Wenn] eine Abteilung eine Behinderte kriegt [...]“ –<br />
„A<strong>be</strong>r für mich war sie eine Kollegin wie jede andere.“ – „Wir [sind]<br />
Abteilungskolleginnen.“ – „Sie ist einfach eine neue Mitar<strong>be</strong>iterin.“ - „Ich könnte mir,<br />
wie gesagt, keine <strong>be</strong>ssere Kollegin wünschen.“<br />
139
Daraus ist zu schließen, dass die interviewten <strong>be</strong>hinderten Frauen ihre<br />
Geschlechtlichkeit nicht als solches erkennen, sondern sie sich eher in einer<br />
gemeinsamen geschlechtsneutralen Kategorie mit Männern sehen.<br />
140
4.6.5.2.3 Interviews mit Leitung<br />
Auswertung<br />
Ziel der Unternehmen-Interviews war es, festzustellen, was ein Unternehmen<br />
motiviert, eine Frau mit Behinderung anzustellen und welche Vorteile daraus für den<br />
Betrieb erwachsen. Es wurde nach Unterstützungen, die von den Unternehmen in<br />
Anspruch genommen werden bzw. wurden, und der Zufriedenheit mit diesen<br />
Angeboten gefragt. Weiters wurden notwendige Anpassungen für die Frau mit<br />
Behinderung im Unternehmen angesprochen. Bezogen auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />
Handicap wurden - wie <strong>be</strong>i den Kolleginnen-Interviews - Erwartungen und<br />
Befürchtungen, Veränderungen im Betrieb und der Bereich Vor<strong>be</strong>reitung<br />
thematisiert. Auch die Unternehmen wurden um Vorschläge ge<strong>be</strong>ten, die die<br />
Situation am Ar<strong>be</strong>itsmarkt für Frauen und Männern mit Behinderung ver<strong>be</strong>ssern<br />
könnten.<br />
In der Interpretation werden gemäß dem ressourcenorientierten Ansatz die positiven<br />
Aspekte, die sich aus der Beschäftigung einer Frau mit Behinderung, analysiert.<br />
Dane<strong>be</strong>n werden auch Bereiche thematisiert, in denen Handlungs- und<br />
Veränderungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht.<br />
Motivation<br />
Als Motivation, eine Frau mit Behinderung einzustellen, führen die Unternehmen<br />
häufig soziales Engagement an. Manches Mal wird dies direkt und allgemein<br />
formuliert „ die [...] hat ja generell auch einen sozialen Auftrag und das ist eigentlich<br />
der Grund, warum wir also auch immer wieder Behinderte einstellen,“ oder „[...] Die<br />
grundlegende Motivation war ein <strong>be</strong>stimmtes Bewusstsein im Haus, dass es sinnvoll<br />
ist, Menschen mit Behinderungen einzustellen [...].“ In anderen Fällen ist dies indirekt<br />
ersichtlich und z. B. durch persönlicher Sorge um die Mitar<strong>be</strong>iterin <strong>be</strong>gründet, die im<br />
Unternehmen eine Ausbildung absolviert hat: „[...] und ich gewusst ha<strong>be</strong>, wenn sie<br />
irgendwo in einen anderen Betrieb kommt, läuft das für sie nicht so, weil sie eine ist,<br />
die irrsinnig viel ar<strong>be</strong>itet [...] und ich immer Angst gehabt ha<strong>be</strong>, dass sie dann wirklich<br />
141
ausgenutzt wird.“ Wichtig ist den Betrie<strong>be</strong>n, „dass die Menschen auch das<br />
Berufsle<strong>be</strong>n erfahren und genauso [...] eine Chance <strong>be</strong>kommen, Geld zu verdienen<br />
und selbständig zu ar<strong>be</strong>iten.“ Wo<strong>be</strong>i die Leitung eines kleinen und jungen<br />
Unternehmens <strong>be</strong>tont, „ohne Mithilfe vom Bundessozialamt wäre es wahrscheinlich<br />
finanziell nicht möglich gewesen.“ In einem anderen Unternehmen <strong>be</strong>dauert man<br />
„dass [im Moment] der Spargedanke sehr groß ist“ und stellt fest, „es wird immer<br />
schwieriger werden, Menschen mit Behinderung einzustellen, weil die Kosten enorm<br />
sind.“ Erschwerend kommt hier hinzu, dass mit Juli die Förderungen des<br />
Bundessozialamtes für öffentliche Einrichtungen weggefallen sind und die Leitung<br />
feststellt: „Ich kann nicht kostendeckend ar<strong>be</strong>iten, wenn ich so viel Behinderte ha<strong>be</strong>.“<br />
Positive Vorerfahrungen tragen zu einer offenen Haltung <strong>be</strong>i: „A<strong>be</strong>r es gibt ganz<br />
einfach ein [...] offeneres Klima [...] für Menschen mit Behinderung in jeder Art. Und<br />
wir ha<strong>be</strong>n nur in einem einzigen Fall wirklich Probleme gehabt.“<br />
Zwei Personen der Führungse<strong>be</strong>ne <strong>be</strong>gründen ihre Motivation u. a. durch<br />
persönliche Betroffenheit: „[...] Nachdem ich selbst schon seit einigen Jahren einen<br />
gewissen Behindertengrad ha<strong>be</strong>, und auch weiß, dass es für die Behinderten [...]<br />
nicht immer so leicht ist.“ Im zweiten Fall ist die Erfahrung mit einem <strong>be</strong>hinderten<br />
Kind ausschlagge<strong>be</strong>nd: „[...] Die Motivation ist einfach, [...] weil ich weiß – meine<br />
Tochter hat sel<strong>be</strong>r eine Behinderung. [...] A<strong>be</strong>r es ist trotzdem für mich wichtig, dass<br />
die Menschen auch das Berufsle<strong>be</strong>n erfahren und genauso [...] eine Chance<br />
<strong>be</strong>kommen, e<strong>be</strong>n [...] Geld zu verdienen und selbständig zu ar<strong>be</strong>iten.“<br />
Einige LeiterInnen <strong>be</strong>tonen die Stärken ihrer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung: „[Sie] war<br />
eingear<strong>be</strong>itet, hat den ganzen Betrieb gekannt und das hat dann so perfekt gepasst.“<br />
stellt die Leiterin ü<strong>be</strong>r eine Frau, die von dem Ausbildungs<strong>be</strong>trieb ü<strong>be</strong>rnommen<br />
wurde, fest. Eine andere Führungskraft meint: „Und ich ha<strong>be</strong> sie einfach kennen und<br />
schätzen gelernt.“<br />
In zwei Fällen war das Geschlecht für die Wahl des Unternehmens<br />
ausschlagge<strong>be</strong>nd: „Frauen ha<strong>be</strong>n eine dementsprechend freundlichere Stimme,<br />
deswegen ist es dann natürlich auch eine Dame geworden.“ lautet eine Begründung<br />
für die Anstellung der Frau mit Behinderung als Telefonistin. „Wir sind ein<br />
142
Frauen<strong>be</strong>trieb - aufgrund [von] Gesundheitswesen, Pflege, Altenpflege ist der<br />
Frauenanteil eigentlich enorm hoch“, ist die Argumentation im zweiten Fall.<br />
In zwei Fällen kann die Frage nach der Motivation <strong>be</strong>i der Einstellung nicht<br />
<strong>be</strong>antwortet werden: Einmal war die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung „schon vorher da“<br />
und hat der „neuen“ Leitung „sehr viel zeigen können. [...] Weil sie einfach von<br />
An<strong>be</strong>ginn an mit der Ar<strong>be</strong>it vertraut war und viel mit aufgebaut hat.“ Im anderen Fall<br />
kann nicht von persönlicher Motivation für die Einstellung gesprochen werden, weil<br />
„[…] Frau H. wurde unserer Abteilung [...] zugeteilt.“<br />
Nutzen<br />
Der Grund, weshalb Frauen mit Behinderung angestellt werden, ist häufig finanzieller<br />
Natur. Positiv ist: „[...] dass e<strong>be</strong>n diese Leute [...] wenig oder gar nichts kosten. [...]<br />
Deswegen nimmt der [...] Leute auf mit Behinderung, weil um wenig Geld eine<br />
Ar<strong>be</strong>itskraft.“ Negative Auswirkungen werden gesehen, wenn die Unterstützung<br />
fehlt: „Vorteile sehe ich im Moment nicht wirklich, weil ich muss die genau so<br />
<strong>be</strong>zahlen wie jeden anderen Mitar<strong>be</strong>iter [...] Und ganz im Gegenteil, es ist auch so,<br />
dass gewisse Behinderte ganz einfach eine Betreuung brauchen und dazu also noch<br />
die Ar<strong>be</strong>itszeit von anderen gesunden Mitar<strong>be</strong>itern natürlich immer unter<br />
Anführungszeichen auch noch verwendet werden muss, um diese <strong>be</strong>hinderten<br />
Mitar<strong>be</strong>iter zu unterstützen, zu fördern und wirklich zu integrieren.“ Die Leiterin fügt<br />
hinzu, „es ist natürlich das Zwischenmenschliche sehr wichtig [...].“<br />
Eine Führungskraft <strong>be</strong>tont „[...] wir unterscheiden nicht [...] un<strong>be</strong>dingt zwischen<br />
Behinderung [...] – e<strong>be</strong>n nicht und schon... Es geht um Qualität.“ Hier sieht das<br />
Unternehmen den Vorteil in den Stärken, die aus der Behinderung der Frau<br />
resultieren: „[...] Wir [ha<strong>be</strong>n] die Erfahrung gemacht, <strong>be</strong>i Behinderungen speziell jetzt<br />
[...] vom Sehvermögen her, dass einfach andere Sinnesorgane stärker ausgebildet<br />
sind, Bereich des Gehörs, Bereich [...], was das Speichervolumen des Gehirns<br />
an<strong>be</strong>langt. Und diese Stärken ha<strong>be</strong>n wir [...] immer zu nutzen gewusst. Das war<br />
eigentlich der Riesenvorteil.“<br />
143
Für ein Unternehmen ist seine Vorbildwirkung wesentlich: „Für uns ist die [...]<br />
Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung auch ganz wichtig, weil [...] ich auch immer wieder<br />
auch darauf hinweise, dass wir nicht nur Menschen mit Behinderung <strong>be</strong>treuen,<br />
sondern auch <strong>be</strong>schäftigen. Und dass die einfach am richtigen Platz die gleiche<br />
Leistung erbringen können wie alle andere auch. Das ist mir, gerade nach außen,<br />
sehr wichtig.“<br />
Zwei Führungskräfte meinen, sie könnten keinen Nutzen <strong>be</strong>nennen, da finanzielle<br />
Belange Angelegenheit der Zentrale sind.<br />
Unterstützung<br />
Bei der Frage nach Unterstützungsangeboten sprechen fünf von acht LeiterInnen<br />
finanzielle Belange an. Es werden monatliche Lohnzuschüsse und Förderungen für<br />
technische Hilfsmittel genannt: „Ich kriege [...] monatlich [Geld] zurück.“ - „[...] Wir<br />
ha<strong>be</strong>n die komplette Ausrüstung <strong>be</strong>kommen für ihren Ar<strong>be</strong>itsplatz [...].“ – „[...] Wir<br />
[sind] durch unsere Mitar<strong>be</strong>iterin zu einer Förderung ü<strong>be</strong>r das Bundessozialamt<br />
gekommen [...], was technische Geräte an<strong>be</strong>langt.“<br />
Als weitere Unterstützung wird Betreuung im weitesten Sinne genannt. Diese<br />
Angebote <strong>be</strong>standen meist zu Beginn des Ar<strong>be</strong>itsverhältnisses und liefen nach<br />
einiger Zeit aus: „[...] der Betreuer [...], der dann immer wieder her gekommen ist und<br />
schon geschaut hat, wie es ihr geht. [...] Das war eine recht gute Zusammenar<strong>be</strong>it.“<br />
In einem Fall, <strong>be</strong>i dem es nach Auslaufen der Einstiegsunterstützung Probleme in der<br />
Ar<strong>be</strong>it gab, ergriff die Leitung die Initiative: „Da ha<strong>be</strong> ich e<strong>be</strong>n ge<strong>be</strong>ten um<br />
Unterstützung.“ Ihr Resümee: „[...] Danach hat sich eigentlich die Ar<strong>be</strong>itsleistung<br />
wieder sehr ge<strong>be</strong>ssert.“<br />
In den Interviews wird mehrmals und in unterschiedlichen Zusammenhängen der<br />
Wunsch nach laufender Betreuung geäußert, um in schwierigen Zeiten richtig<br />
reagieren zu können: „Weil ich bin keine Pädagogin. [...] Ich weiß nicht, was ich da<br />
tun soll.“ Auch vom Unternehmen, das die Frau mit psychischer Problematik<br />
<strong>be</strong>schäftigt, wird Unterstützung gewünscht: „Interessant wäre natürlich, wenn es da<br />
144
Betreuer gä<strong>be</strong>, eine Supervision oder so.“ Im Übrigen auch ein Anliegen der<br />
interviewten Kollegin. Erstre<strong>be</strong>nswert wäre, wenn die Initiative nicht vom<br />
Unternehmen ausgehen müsste: „Ja, will ich, will nicht jedes Mal anrufen müssen,<br />
das passt nicht und das passt nicht. Also mir wäre es schon Recht, [wenn]<br />
nachgefragt wird. [...] Direkt an die Person.“<br />
In einem Betrieb, der <strong>be</strong>reits seit längerer Zeit Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung<br />
<strong>be</strong>schäftigt „war eigentlich alles <strong>be</strong>reits geregelt“ – das Haus ist barrierefrei<br />
zugänglich, Lift ist vorhanden und eine Behindertentoilette steht zur Verfügung.<br />
Zufriedenheit mit Unterstützung<br />
Die Zufriedenheit mit den Unterstützungsangeboten ist unter den UnternehmerInnen<br />
sehr groß: „Passt wunderbar.“ – „sehr zufrieden“ – „Es ist nie ein Problem,<br />
irgendetwas genehmigt zu <strong>be</strong>kommen“, lauten die Aussagen. Ein Unternehmer<br />
spricht die positiven Effekte von Unterstützungsmaßnahmen nicht nur aus eigener<br />
Sicht an. Erst mit Unterstützung ist ihm die Beschäftigung einer Frau mit<br />
Behinderung möglich. „Wenn das, also, was ich bis zur jetzigen Zeit ha<strong>be</strong>, so bleibt,<br />
also bin ich sehr zufrieden. Weil das ist für mich einfach ein Weg, wo ich der […]. die<br />
Chance ge<strong>be</strong>n kann, dass sie vollwertig ar<strong>be</strong>iten kann [...].“<br />
In einem Fall wurden bisher keine Unterstützungsangebote in Anspruch genommen.<br />
Man ist ü<strong>be</strong>r Fördermöglichkeiten nicht informiert, da a<strong>be</strong>r bauliche Veränderungen<br />
geplant sind (angeregt von der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung) zeigt man Interesse:<br />
„Jetzt, wo Sie die Frage stellen, werde ich mich erkundigen, ob das Bundessozialamt<br />
oder das Land dazu eine finanzielle Förderung... ob so etwas drinnen ist.“<br />
In dem Fall, wo die Unterstützung entzogen wurde, meint die Leitung: „Das Geld wird<br />
weniger und irgendwas bleibt auf der Strecke und meistens die Schwächsten.“<br />
145
Veränderungsmaßnahmen<br />
Gefragt nach den Anpassungen für den Ar<strong>be</strong>itsplatz der Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />
Behinderung zeigen sich Unterschiede je nach Art der Behinderung der Frau: Bei<br />
Frauen mit Körper<strong>be</strong>hinderung sind technische und bauliche Adaptionen notwendig.<br />
„Barrierefreier Ar<strong>be</strong>itsplatz [...] ein speziell adaptiertes Behinderten-WC [...] und<br />
Freisprecheinrichtung“ werden z. B. genannt. In einem Fall wurde „ein komplett neuer<br />
Ar<strong>be</strong>itplatz“ eingerichtet werden, was – wie der Unternehmer anmerkt - „auch nicht<br />
wenig kostet“. Auch für die blinde Frau waren technische Adaptionen notwendig,<br />
wo<strong>be</strong>i in diesem Fall ein Großteil der Ausstattung von VorgängerInnen mit<br />
Seh<strong>be</strong>hinderung ü<strong>be</strong>rnommen werden konnte. “Im Endeffekt das Einzige, was<br />
gekommen ist, ist [...] das neue Gerät – Brailletastatur.“<br />
Anders die Situation <strong>be</strong>i Frauen mit Lern<strong>be</strong>hinderung. Technische oder bauliche<br />
Veränderungen sind nicht erforderlich, a<strong>be</strong>r „notwendig war, dass sich die Mitar<strong>be</strong>iter<br />
ein bisschen umgestellt ha<strong>be</strong>n. Weil die […] einfach, ja, genauere Anweisungen<br />
gebraucht hat, weil sie nicht alles so schnell verstanden hat.“ In einem Fall, in dem<br />
die Leitung häufig mit der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung ar<strong>be</strong>itet, meint diese: „Ich als<br />
Person muss [mich] schon verändern, weil ich kann nicht mit ihr gleich sprechen wie<br />
mit den anderen. Also ich muss anders sprechen, lie<strong>be</strong>voller reden.“ Der<br />
Ar<strong>be</strong>itsablauf ist <strong>be</strong>i einer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Lernschwierigkeiten anders gestaltet: „Mit<br />
ihr muss ich hin gehen und das genau zeigen, was ich möchte. Weil ich merke, nur<br />
sagen, das hilft nichts.“<br />
Die Leitung der Frau mit psychischer Problematik verneinte spezielle Veränderungen<br />
– die Leitung ist jedoch nicht in den täglichen Ar<strong>be</strong>itsablauf involviert. Aus Aussagen<br />
der Kollegin ist ersichtlich, dass auch hier das Team sich auf die Frau eingestellt hat.<br />
Gefragt nach den Anpassungen, die noch sinnvoll wären, verneinen Unternehmen,<br />
die Frauen mit Lernschwierigkeiten <strong>be</strong>schäftigen, die Notwendigkeit von weiteren<br />
Veränderungen: „[...] Das hat sich inzwischen so eingespielt [...] das hat sich einfach<br />
alles erge<strong>be</strong>n [...]. Und das funktioniert jetzt.“ Man hat sich auf die speziellen<br />
Bedürfnisse der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap eingestellt und den Alltag<br />
146
dementsprechend organisiert: „Ich meine, natürlich schaut man dann und trainiert sie<br />
ein bisschen dahin und schreibt Checklisten, damit sie nichts vergisst.“ Auch im<br />
Unternehmen, das die blinde Frau <strong>be</strong>schäftigt, sind keine Änderungen notwendig,<br />
<strong>be</strong>tont wird, dass darauf geachtet wird, „dass sie wie jede andere Mitar<strong>be</strong>iterin auch<br />
<strong>be</strong>handelt wird.“<br />
Anders die Situation für Frauen mit körperlichen Einschränkungen. In einem Fall<br />
unterbreitete die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap selbst Vorschläge, zur Ver<strong>be</strong>sserung– z.<br />
B. „Türen mit Fühler“. Im anderen Unternehmen werden einige Anpassungen für<br />
notwendig erachtet. Diese werden <strong>be</strong>i der Planung für das neue Gebäude, das in<br />
Kürze <strong>be</strong>zogen wird, <strong>be</strong>rücksichtigt und sollen in Folge optimale Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>dingungen<br />
für die Frau mit Behinderung bieten.<br />
In zwei Fällen verweist die Unternehmensleitung zurück an die Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />
Handicap „da kann sie Antwort ge<strong>be</strong>n“ bzw. auch an die direkte Vorgesetzte der<br />
Betroffenen „da bin ich zu wenig nah am Geschehen.“<br />
Erwartungen und Befürchtungen vor Ar<strong>be</strong>itseintritt der Frau mit Behinderung<br />
Häufig ha<strong>be</strong>n die Unternehmen keine speziellen Erwartungen an die künftige<br />
Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung. In einem Fall spricht die Leitung nicht von<br />
Erwartungen, sondern von Neugierde: [Ich] ha<strong>be</strong> sie von früher schon gekannt und<br />
war einfach [...] von dem her schon neugierig, wie sie das schafft. [...] Und ich war, ja,<br />
positiv ü<strong>be</strong>rrascht, wie das alles geht. Und dass man das alles schaffen kann.“ Auch<br />
ein anderer Unternehmer hatte keine Erwartungen, sondern man ging von <strong>be</strong>iden<br />
Seiten mit der Einstellung heran: „Ge<strong>be</strong>n wir uns einfach gegenseitig die Chance,<br />
dass wir uns kennen lernen können.“<br />
Ein Statement zu diesem Punkt lautet: „Ich ha<strong>be</strong> prinzipiell <strong>be</strong>i niemandem<br />
irgendwelche Erwartungen.“ Hier wird nach folgendem Prinzip vorgegangen: „Ich<br />
schaue immer, wofür sich derjenige eignet. Und dann teile ich dem die Ar<strong>be</strong>it zu.“<br />
Die Leitung eines anderen Unternehmens äußert sich ähnlich: „[...] Wir ha<strong>be</strong>n also an<br />
unsere <strong>be</strong>hinderten Mitar<strong>be</strong>iter an und für sich keine Erwartungen.“<br />
147
Des Öfteren wird in den Interviews vom „normalen Umgang“ mit der Frau mit<br />
Behinderung gesprochen: Die Erwartungen sind „wie <strong>be</strong>i jedem anderen Mitar<strong>be</strong>iter.<br />
[...] Ich glau<strong>be</strong>, dass es wichtig ist, dass man einfach normal mit dem umgeht. [...]<br />
Keine Sonder<strong>be</strong>handlung.“ Später heißt es: „Die Anforderungen sind die gleichen [...]<br />
Das Einzige, [...] dass man einfach von der Einlernphase, dass man ein bisschen<br />
länger Zeit gibt. Das ist keine Frage.“ Auch in einem anderen Unternehmen geht man<br />
auf die Bedürfnisse, die sich aus der Einschränkung der Frau erga<strong>be</strong>n, ein: „Sie<br />
braucht irgendwo eine lenkende Hand.“ Manches Mal wird die Behinderung<br />
„vergessen“ – „Ich ha<strong>be</strong> ein bisschen nachgedacht ü<strong>be</strong>r das Gespräch und mir ist zu<br />
Bewusstsein gekommen, dass ich die [Frau] nicht als <strong>be</strong>hindert erle<strong>be</strong>. Sie erfüllt ihre<br />
Dienstpflichten ganz normal wie alle anderen.“<br />
In einem Fall waren die Erwartungen an die Mitar<strong>be</strong>iterin, die im Betrieb die<br />
Ausbildung machte, im Grunde genommen Selbstverpflichtungen: „[...] dass sie einen<br />
positiven Schulabschluss hat. Und dass sie einen guten sozialen Umgang lernt. [...]<br />
Ich ha<strong>be</strong> [...] versucht, sie da zu prägen und zu schauen, dass sie schon ein gutes<br />
Auftreten hat. [...] Ja vom Lernen her – wir ha<strong>be</strong>n viel mit trainiert.“ Wichtig war der<br />
Leitung, „dass sie als Mensch irgendwie auch etwas dazu lernt.“ Abschließend meint<br />
die LeiterIn: „Sie war für mich nicht nur die reine Ar<strong>be</strong>itskraft gewesen.“<br />
In einem Unternehmen waren die Erwartungen hoch gesteckt: „Die Erwartungen<br />
waren von mir schon höher. Schon niedriger als <strong>be</strong>i anderen Kollegen, a<strong>be</strong>r trotzdem<br />
höher gestellt. Bis ich dann drauf gekommen bin, hoppala, das ist ein zu hohes Maß.“<br />
In puncto Befürchtungen wird häufig der Faktor Zeit angesprochen (siehe auch<br />
Auswertung Kolleginnen-Interviews „Abschließende Bemerkungen“): „Befürchtungen,<br />
nein. Am ehesten war es, dass sie einfach sehr viel Unterstützung braucht, die mich<br />
vom Ar<strong>be</strong>iten abhält; abhalten könnte.“ – „Das war a<strong>be</strong>r nicht so.“ wird später erklärt.<br />
Auch eine andere Führungskraft meint, dass sie eigentlich keine Befürchtungen<br />
gehabt hätte, „nur, dass man halt Zeit aufwenden muss und sie selbst irgendwo mit<br />
<strong>be</strong>treuen muss.“ Eine andere Leiterin sagt: „Und das ist schon ab und zu ein<br />
Handicap, dass ich einfach [...] die Sachen, die sie gut erledigen könnte, a<strong>be</strong>r dazu<br />
einfach viel länger braucht, sel<strong>be</strong>r mache.“ Eine andere Aussage dazu ist: „Zeit hat<br />
148
sie mir gekostet, sehr viel Zeit. [...] und Energie hat sie mir auch sehr viel gekostet.“<br />
Wo<strong>be</strong>i festgestellt wird, dass nicht „sie als Person, sondern ihre Ar<strong>be</strong>it“ das Problem<br />
war und <strong>be</strong>tont wird: „Sie ist eine ganz eine lie<strong>be</strong>.“<br />
Drei Unternehmen hatten keine Befürchtungen im Vorfeld: Einmal wird dies mit<br />
positiven Erfahrungen <strong>be</strong>gründet: „[...] Durch die Erfahrung der anderen zwei<br />
Mitar<strong>be</strong>iter, hat man gemerkt, dass das reibungslos funktioniert.“ Ein anderes Mal<br />
„war [es] einfach eine Chance für uns <strong>be</strong>ide.“<br />
In einem Fall <strong>be</strong>ziehen sich die Befürchtungen auf intellektuellen Fähigkeiten der<br />
Frau mit Lernschwierigkeiten „wenn das mit dem Alpha<strong>be</strong>t nicht funktioniert hätte“;<br />
diese Bedenken wurden rasch zerstreut. Selbst wenn es nicht geklappt hätte, wäre<br />
es kein Problem gewesen – „Dann hätte ich geschaut, dass ich irgendeine andere<br />
Ar<strong>be</strong>it finde.“ Im anderen Fall sah man darin eine Schwierigkeit, dass die junge<br />
Mitar<strong>be</strong>iterin „keinen wirklich festen Halt gehabt hat“ und man fürchtete, dass ihre<br />
Entwicklung „in die falsche Richtung läuft.“ - „A<strong>be</strong>r ar<strong>be</strong>itsmäßig hat es keine<br />
Befürchtungen gege<strong>be</strong>n.“ In diesem Fall wurde professionelle Hilfe in Anspruch<br />
genommen, die im eigenen Betrieb vorhanden ist (Schwestern, Psychologen und<br />
Ärzte) – „[...] das war dann [...] ein Zusammenspiel mit der ganzen Firma“, um der<br />
Frau <strong>be</strong>i der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen – mit Erfolg.<br />
Vor<strong>be</strong>reitung auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />
Die LeiterInnen wurden zu ihrer persönlichen Vor<strong>be</strong>reitung auf die Frau mit<br />
Behinderung <strong>be</strong>fragt und wie sie ihre Mitar<strong>be</strong>iterInnen auf den Einstieg einer Frau mit<br />
Behinderung vor<strong>be</strong>reitet ha<strong>be</strong>n.<br />
Sechs der LeiterInnen ge<strong>be</strong>n an, sich persönlich nicht auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />
Behinderung vor<strong>be</strong>reitet zu ha<strong>be</strong>n, wo<strong>be</strong>i die Gründe unterschiedlich waren: In<br />
einem Fall war Vor<strong>be</strong>reitung nicht möglich, weil „ich bin von einem Tag auf den<br />
anderen da her gekommen.“ Hier sind die Vorerfahrungen mit einem Mitar<strong>be</strong>iter mit<br />
Behinderung hilfreich. Eine Führungskraft meint: „Das ist <strong>be</strong>i uns tagtägliches Brot,<br />
weil wir e<strong>be</strong>n so viele Leute mit Handicap ha<strong>be</strong>n, dass man sich nicht wirklich<br />
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vor<strong>be</strong>reitet..“ Ein anderer verneint Vor<strong>be</strong>reitung aus dem Grund, weil „<strong>be</strong>i mir ist ein<br />
jeder gleich. E<strong>be</strong>n, ob er irgendwas schnell versteht oder weniger schnell, [...] damit<br />
muss ich e<strong>be</strong>n le<strong>be</strong>n.“ In einem Fall <strong>be</strong>steht vor Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>ginn <strong>be</strong>reits eine<br />
persönliche Bekanntschaft, in einem anderen ist die Leitung dadurch, dass ein<br />
Familienmitglied diesel<strong>be</strong> Krankheit hat wie die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap, informiert.<br />
Eine Führungskraft verneint zunächst jegliche persönliche Vor<strong>be</strong>reitung, erzählt auf<br />
Nachfrage hin von einführenden Gesprächen mit der Mitar<strong>be</strong>iterin: „Ich ha<strong>be</strong> sie<br />
genauer gefragt ü<strong>be</strong>r ihre Krankheit [...].“<br />
In zwei Fällen erfolgt die persönliche Vor<strong>be</strong>reitung durch Mitar<strong>be</strong>iterInnen von den<br />
Institutionen, die die Frau mit Behinderung vermittelt ha<strong>be</strong>n. Eine Führungskraft hat<br />
„dann zusätzlich eine Ausbildung gemacht. [...] Ha<strong>be</strong> da viel gelernt [...] ü<strong>be</strong>r den<br />
Umgang mit solchen Klienten.“ Eine anderer hat „einen Tag lang als Blinder [...]<br />
erlebt“.<br />
Sechs LeiterInnen ge<strong>be</strong>n an, ihre Mitar<strong>be</strong>iterInnen nicht speziell auf die Kollegin mit<br />
Behinderung vor<strong>be</strong>reitet zu ha<strong>be</strong>n, wo<strong>be</strong>i die Gründe wieder sehr unterschiedlich<br />
waren: In einem Fall <strong>be</strong>stand zuvor eine persönliche Bekanntschaft. In einem<br />
anderen Unternehmen, erhalten nur Zivildiener eine spezielle Vor<strong>be</strong>reitung, weil „wir<br />
alles Mitar<strong>be</strong>iter ha<strong>be</strong>n, die [...] Menschen mit sehr schweren Körper<strong>be</strong>hinderungen<br />
<strong>be</strong>gleiten“ und daher mit dem Umgang mit Frauen und Männern mit<br />
Einschränkungen vertraut sind. Eine Leiterin, die nach der Frau mit Handicap in den<br />
Betrieb kam, verzichtete auf eine spezielle Vor<strong>be</strong>reitung ihrer Mitar<strong>be</strong>iterInnen:<br />
„Dadurch dass sie schon sehr lange da ist, war das für mich eigentlich kein Thema.“<br />
In einem Fall lautet die Aussage zur Vor<strong>be</strong>reitung: „Sie ist gekommen [...], sie hat da<br />
mit gear<strong>be</strong>itet und ein jeder hat sich auf sie und umgekehrt eingestellt.“ Auch in<br />
einem anderen Unternehmen gab es keine Vor<strong>be</strong>reitung. Die Mitar<strong>be</strong>iterInnen<br />
kannten die Frau mit Handicap aus einem Praktikum und „[...] sie ha<strong>be</strong>n das ohne<br />
irgendwas zur Kenntnis genommen“, dass sie nun in ein Angestelltenverhältnis<br />
ü<strong>be</strong>rnommen wird. Man entwickelte in der Abteilung „ein Sensorium“ für die<br />
Bedürfnisse der Frau mit Körper<strong>be</strong>hinderung (z. B. bauliche Barrieren). Eine Leiterin<br />
meint: „An solchen Dingen merkt man, dass da irgendwie eine gegenseitige<br />
Beziehung auch ü<strong>be</strong>rall entsteht, ohne, dass man da viel dazu tut.“ Das Handicap ist<br />
150
mittlerweile in den Hintergrund getreten: „In unserem Bewusstsein ist sie nicht als<br />
Behinderte, sondern als Kollegin.“ In <strong>be</strong>iden Fällen ging dieses Konzept auf. Die<br />
Frauen waren voll integriert, fühlten sich am Ar<strong>be</strong>itsplatz sehr wohl und auch die<br />
Kolleginnen äußerten sich zufrieden.<br />
In einem der Fälle ohne spezielle Vor<strong>be</strong>reitung kam es gerade in der Anfangsphase<br />
zu massiven Problemen, die sowohl von der Frau mit Behinderung als auch von der<br />
Kollegin thematisiert werden, nicht a<strong>be</strong>r von Unternehmensseite, wo<strong>be</strong>i zu vermuten<br />
ist, dass die Schwierigkeiten nicht bis zur Führungse<strong>be</strong>ne vorgedrungen sind.<br />
Eine Leiterin, die erst nach Eintritt der Frau mit psychischer Problematik, ihre Stelle<br />
als Vorgesetzte einnahm, konnte nur vermuten, dass die damalige unmittelbare<br />
Vorgesetzte die Mitar<strong>be</strong>iterInnen informiert hat. Sie erachtet gerade <strong>be</strong>i psychischer<br />
Problematik Vor<strong>be</strong>reitung als <strong>be</strong>sonders wichtig „[...] weil das ist wesentlich<br />
schwieriger als alles andere, weil du nicht weißt, wie du umgehen sollst. [...] Wie<br />
gehe ich mit dem Menschen um, damit man nichts falsch macht [...]?“<br />
In einem Unternehmen wurde nach dem Schnuppern der Frau mit Behinderung im<br />
Team deren Aufnahme diskutiert. Im Endeffekt hat „[es] für alle gepasst.“ Im Vorfeld<br />
„ha<strong>be</strong>n [wir] auch heiße Diskussionen gehabt, kann ich mich erinnern.“ Letztendlich<br />
war soziales Verantwortungsgefühl ausschlagge<strong>be</strong>nd: „Was passiert mit der [Frau],<br />
wenn wir sie nicht nehmen? Wenn wir ihr die Chance nicht ge<strong>be</strong>n? Und dann ha<strong>be</strong>n<br />
wir gesagt, das müssen wir machen.“ Dieses Teamgespräch wird von der Leiterin als<br />
Vor<strong>be</strong>reitung gesehen, die Kollegin meint zum Thema Vor<strong>be</strong>reitung: „[...] In dem Sinn<br />
sind wir nicht wirklich vor<strong>be</strong>reitet worden.“<br />
Veränderungen durch die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderungen<br />
Durch den Eintritt der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung verringert sich in einigen<br />
Betrie<strong>be</strong>n die Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>lastung: „[Es] ist für alle ein bisschen leichter geworden.“ –<br />
„[...] jeder [hat] ein bisschen Last abgege<strong>be</strong>n.“ – „Wenn sie nicht da wäre, wären halt<br />
noch mehr Rückstände.“ A<strong>be</strong>r auch die Persönlichkeit der Frau bringt<br />
Veränderungen: „Sie hat auch [...] ein bisschen Sonne da rein gebracht [...].“ - „[...]<br />
151
durch ihren Schwung, durch ihr Temperament [...] hat [sie] einfach einen frischen<br />
Wind dann herein gebracht.“ – „Und ich glau<strong>be</strong>, dass es auch einer [...] netten E<strong>be</strong>ne<br />
für die Abteilung auch gut war. Weil sie [...] einfach eine Bereichung ist.“<br />
„[...] Es hat sich e<strong>be</strong>n das geändert, dass es jemanden gibt, der ganz <strong>be</strong>wusst das<br />
Haus auf [...] Barrieren anschaut.“ Nicht nur die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung achtet<br />
auf Barrieren, sondern auch das Bewusstsein des Umfelds wird geschärft: „Und was<br />
es an Behinderungen gibt durch Verkehrsmittel oder durch verstellte Gehsteige und<br />
alle diese Dinge, an das alles denkt man nicht.“ Man lernt von der Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />
Behinderung: „Dass man mit Behinderung, dass man le<strong>be</strong>n kann damit.“ Der<br />
Lernprozess <strong>be</strong>ruht auf Gegenseitigkeit: „Weil es ist nicht nur wichtig für Behinderte,<br />
zu wissen, das man mit anderen umgehen kann, sondern auch für Menschen ohne<br />
Behinderung e<strong>be</strong>n wichtig, dass e<strong>be</strong>n die auch selbständige Personen sind.“ Die<br />
Mitar<strong>be</strong>iterInnen „merken, dass man mit Behinderten genauso normal ar<strong>be</strong>iten kann“<br />
und „Insofern ha<strong>be</strong>n e<strong>be</strong>n die anderen Mitar<strong>be</strong>iter auch gelernt, mit solchen<br />
Menschen umzugehen.“<br />
Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
Auf die Frage nach allgemeinen Ver<strong>be</strong>sserungsvorschlägen für Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit<br />
Behinderung wird häufig die Wichtigkeit von Aufklärung und Sensibilisierung <strong>be</strong>tont,<br />
wo<strong>be</strong>i in diesem Zusammenhang verschiedene Aspekte angesprochen werden:<br />
„Mitar<strong>be</strong>iterinnen oder Mitar<strong>be</strong>iter von Menschen mit Behinderung gehören wirklich<br />
vermehrt sensibilisiert. Weil ich kenne e<strong>be</strong>n viele dieser Geschichten: Nein, wenn die<br />
dann krank ist oder wenn sie oft krank ist, dann kriegen wir niemanden neuen, dann<br />
muss ich die Ar<strong>be</strong>it zusätzlich machen. Oder wenn sie zu langsam ist, muss ich die<br />
Ar<strong>be</strong>it machen. Also bitte, was sollen wir mit Menschen mit Behinderung als<br />
Ar<strong>be</strong>itskollegen? [...] Die Leiterin sagt weiters: „Das ist [...] sicher sehr schwierig, das<br />
man einfach allgemein die Gesellschaft, die Mitar<strong>be</strong>iter, die Chefs [...] sensibilisiert.“<br />
– „[...] Das wäre eher Sache der Schulen [...]“ meint eine Führungskraft. „[...] Das ist<br />
etwas, was in den Schulen eigentlich einen breiten Raum ha<strong>be</strong>n müsste, der uns<br />
vor<strong>be</strong>reitet darauf, dass die Menschen nicht alle gleich sind und dass es klasse ist,<br />
dass nicht alle gleich sind, so was würde ich mir wünschen.“ Erstre<strong>be</strong>nswert ist, dass<br />
152
sich in der Gesellschaft das Bewusstsein durchsetzt, dass „Mitar<strong>be</strong>iter mit<br />
Behinderung auch ein Recht ha<strong>be</strong>n, zu ar<strong>be</strong>iten [...] und eine entsprechende<br />
Bezahlung dafür <strong>be</strong>kommen.“ Diese Forderung findet sich auch in den Interviews mit<br />
den Frauen mit Behinderung – ein Beispiel: „Ich finde, das gehört zur<br />
Menschenwürde dazu, das Recht auf Ar<strong>be</strong>it.“<br />
Das Präsentieren von positiven Beispielen wird als eine Möglichkeit der<br />
Sensibilisierung gesehen. Ein Unternehmen ist <strong>be</strong>müht, die eigenen Erfahrungen<br />
publik zu machen: „Ich versuche immer wieder darauf hinzuweisen, dass es e<strong>be</strong>n<br />
gut möglich ist, jemanden mit Handicap zu [<strong>be</strong>schäftigen]. [...] Wenn der Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />
passt und das Umfeld [...].“ Eine andere Abteilungsleiterin regt an, mittels Werbung<br />
mehr Offenheit <strong>be</strong>i den Unternehmen zu erreichen: „[...] Es gehört viel mehr<br />
Werbung gemacht. Zu den Betrie<strong>be</strong>n hin. Weil es wissen viele [...] nicht einmal, dass<br />
es solche Leute gibt, die man aufnehmen kann. [...] [Die] auf einer Seite günstig sind,<br />
a<strong>be</strong>r auf der anderen Seite trotzdem zum Aufbauen sind [...] dass du sel<strong>be</strong>r stolz<br />
sein kannst, dass sie das machen.“ Informationsdefizite werden mehrmals<br />
angesprochen und auch der Kündigungsschutz: „Und auch vielleicht mehr noch<br />
präsent macht, welche Förderungsmöglichkeiten es auch gibt <strong>be</strong>i Menschen mit<br />
Behinderung. [In den] Betrie<strong>be</strong>[n] - wenn’s um die Einstellung geht - ist nur die<br />
Abwehrhaltung da, den kriege ich nie mehr los. A<strong>be</strong>r nicht, welche [...] Vorteile und<br />
welche positiven Wirkungen jemand hat, der eine Behinderung hat.“ Auch ein<br />
anderer Unternehmer spricht die Uninformiertheit vieler Betrie<strong>be</strong> an: „[...] Wenn ein<br />
Unternehmer hört <strong>be</strong>hindert, ist [es] schon aus für den. Weil er glaubt, <strong>be</strong>hindert, die<br />
kann ich nicht brauchen. Hat a<strong>be</strong>r vielleicht ü<strong>be</strong>rhaupt keine Ahnung, welche Art der<br />
Behinderung, was sie vielleicht trotzdem machen kann [...].“ Wo<strong>be</strong>i der Unternehmer<br />
sich selbst nicht ausnimmt: „Weil ich muss ehrlich sagen, das war <strong>be</strong>i uns ja auch<br />
eher Zufall, dass wir so zusammengekommen sind. Und wenn das nicht so gewesen<br />
wäre, ich muss ganz ehrlich sagen, ich hätte niemals daran gedacht, einen<br />
Behinderten einzustellen.“<br />
Die Einführung von Schnuppertagen wird – wie auch von den Interviewpartnerinnen<br />
mit Behinderung - mehrmals angeregt (siehe „Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarkt“). Sie sollen zum einen dem gegenseitigen Kennen-Lernen dienen, zum<br />
anderen Frauen und Männern mit Behinderung ermöglichen, Einblicke in<br />
153
verschiedene Ar<strong>be</strong>itsfelder zu erhalten: „Wo einfach derjenige [Anm. = Behinderte]<br />
die Möglichkeit hat, die Sparte kennen zu lernen. Und ich glau<strong>be</strong>, die Firmen sollten<br />
einfach auch einmal die Möglichkeit kriegen [...] diesen Menschen kennen [zu<br />
lernen].“ In diesem Zusammenhang richtet sich die Forderung an die Politik, dass „es<br />
vom Gesetzesge<strong>be</strong>r her irgendwie als zwingende Maßnahme vorgeschrie<strong>be</strong>n wird.“<br />
(siehe auch „Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt“ der Frauen mit<br />
Behinderung)<br />
Das Recht auf Weiterbildung wird mehrmals thematisiert: Es ist wichtig, dass auf<br />
„Fortbildung ein Anrecht“ <strong>be</strong>steht, meint eine Leiterin, „man bräuchte halt auch eine<br />
Unterstützung oder […] Förderungen für diese Behinderten, dass sie sich<br />
weiterbilden können“, damit sich ihnen neue Perspektiven eröffnen und sie sich<br />
weiter entwickeln können. Diese Forderungen decken sich mit denen der Frauen mit<br />
Behinderung (siehe „Wünsche“).<br />
Auch <strong>be</strong>i dieser Fragestellung wird nochmals der Wunsch nach laufender<br />
Unterstützung ausgesprochen. Die Bedürfnisse der Frauen sollen regelmäßig<br />
erho<strong>be</strong>n werden: „Ich denke mir, man müsste sich schon ein bisschen mehr<br />
kümmern. [...] Gerade für Frauen mit körperlicher Behinderung müsste man sich<br />
schon mehr oder intensiver darum kümmern.“ Dies ist auch <strong>be</strong>i Frauen mit anderen<br />
Behinderungsarten wünschenswert, im Besonderen <strong>be</strong>i psychischer Problematik:<br />
„[...] eine Beratung oder Hilfestellung oder Stelle, die nicht nur wartet, dass man<br />
kommt uns sagt: ‚Ich kann jetzt nicht mehr umgehen mit einer Sache, sondern, die<br />
von sich aus sagt: ‚Wie geht es ihnen eigentlich damit?’“ Wichtig ist, dass nicht die<br />
Frauen die Initiative ergreifen müssen, weil „Es gibt die eine Gruppe [...] die sich<br />
wehren kann, die sagt, das brauche ich, das will ich. Und es gibt die andere Gruppe,<br />
die ganz schön ruhig sind.“<br />
154
Interpretation<br />
Die Unternehmen, die an der Studie teilnahmen, sind der Beschäftigung von<br />
Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung gegenü<strong>be</strong>r sehr positiv eingestellt. Unternehmen,<br />
die mehrere Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Einschränkungen in Beschäftigung ha<strong>be</strong>n bzw.<br />
hatten, <strong>be</strong>richten durchwegs von guten Erfahrungen. In den Betrie<strong>be</strong>n herrscht ein<br />
offenes Klima und man ist <strong>be</strong>reit auch weiterhin Frauen und Männer mit Behinderung<br />
aufzunehmen.<br />
Geschätzt wird an den Frauen mit Behinderung, dass sie als zusätzliche Ar<strong>be</strong>itskraft<br />
die Mitar<strong>be</strong>iterInnen entlasten. E<strong>be</strong>nso werden Frauen mit Behinderung als<br />
Persönlichkeiten mit all ihren Stärken und Schwächen geschätzt. Ein weiterer<br />
positiver – und für Unternehmen nicht unwesentlicher - Aspekt, der aus der<br />
Beschäftigung von Frauen und Männern mit Behinderung entsteht, sind finanzielle<br />
Unterstützungen, die den Frauen mit Behinderungen im Speziellen und dem Betrieb<br />
im Allgemeinen helfen.<br />
Für UnternehmerInnen, die Frauen und Männer mit Behinderung <strong>be</strong>schäftigen, sind<br />
die finanziellen Leistungen der öffentlichen Hand wertvolle Hilfe zur Anstellung und<br />
oft unerlässlich. Deutlich geht aus den Interviews hervor, dass für viele Unternehmen<br />
Unterstützungen notwendig sind, um Frauen und Männer mit Behinderung ü<strong>be</strong>rhaupt<br />
<strong>be</strong>schäftigen zu können – gerade für Betrie<strong>be</strong>, die knapp kalkulieren müssen. Ein<br />
Unternehmer führte nur eine Schwierigkeiten an, die es für ihn <strong>be</strong>i der Anstellung der<br />
Frau mit Behinderung gab: „Das hat a<strong>be</strong>r mit der Behinderung selbst nichts zu tun<br />
[...] es ist wirklich rein um die finanzielle Seite gegangen. Und ich hätte es mir einfach<br />
nicht leisten können. Wenn ich es mir hätte leisten können, hätte ich sie<br />
logischerweise genommen, egal ob mit oder ohne Behinderung. A<strong>be</strong>r das war<br />
eigentlich meine Vor<strong>be</strong>reitung, die ich zu machen gehabt ha<strong>be</strong>, welche Möglichkeiten<br />
ha<strong>be</strong> ich? Schaffe ich es? Wie könnte ich es schaffen? Das war eigentlich, was mir<br />
einige Wochen schlaflose Nächte <strong>be</strong>reitet hat.“<br />
Ne<strong>be</strong>n der notwendigen finanzieller Unterstützung wird Betreuung als wichtig<br />
erachtet. Begleitung wird nicht nur für die Frauen mit Behinderung gewünscht,<br />
155
sondern auch für das Team. Diese Betreuung soll nicht nur in der Einstiegsphase<br />
<strong>be</strong>stehen, sondern laufend fortgesetzt werden. Bei psychischer Problematik wird<br />
Betreuungsangeboten eine <strong>be</strong>sondere Wichtigkeit <strong>be</strong>igemessen.<br />
Generell ha<strong>be</strong>n Unterstützungsangebote positive Auswirkungen für alle Beteiligten –<br />
die Frau mit Behinderung, die KollegInnen und das Unternehmen – und wirken<br />
nachhaltig: „[...] dann war sie eigentlich so weit selbständig, da hat sie keine<br />
Unterstützung mehr gebraucht.“<br />
Erstre<strong>be</strong>nswert ist, dass Betreuungseinrichtungen im weitesten Sinne an die Frauen<br />
mit Behinderung herantreten. Denn: „Es gibt die eine Gruppe [...] die sich wehren<br />
kann, die sagt, das brauche ich, das will ich. Und es gibt die andere Gruppe, die<br />
ganz schön ruhig sind.“ Bei Frauen der letzteren Gruppe <strong>be</strong>steht die Gefahr, dass<br />
ihre Bedürfnisse nicht wahrgenommen werden. Hier gilt es anzusetzen, um die<br />
Frauen zu ermutigen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu artikulieren und<br />
Handlungskompetenz zu entwickeln.<br />
Spezielle Vor<strong>be</strong>reitung auf eine Anstellung von Frauen mit Behinderung wird von<br />
den Unternehmen nicht als wichtig erachtet. Hier ist zu ü<strong>be</strong>rlegen, ob die<br />
Vorgehensweise nicht geändert werden sollte: Mangelnde Vor<strong>be</strong>reitung - egal ob für<br />
Leitung oder Mitar<strong>be</strong>iterInnen - kann die Ursache für Konflikte sein. So war u. a. eine<br />
zu hohe Erwartungshaltung für die Leitung und die Kolleginnen von Frauen mit<br />
Behinderung und auch die Frauen mit Handicap die Ursache für Schwierigkeiten<br />
(siehe Auswertung Kolleginnen-Interviews „Vor<strong>be</strong>reitung“ und „Erwartungen und<br />
Befürchtungen“). Hier stellt sich die Frage, ob nicht <strong>be</strong>ssere Vor<strong>be</strong>reitung und<br />
ehrliche Aufklärung ü<strong>be</strong>r die Leistungsfähigkeit der <strong>be</strong>troffenen Mitar<strong>be</strong>iterInnen<br />
Schwierigkeiten nicht verhindern könnten. Wird der Punkt Leistungsfähigkeit –<br />
vielleicht aus falscher Rücksichtnahme – nicht angesprochen, kann dies zu<br />
Schwierigkeiten führen.<br />
In puncto Anpassungen ist nach Behinderungsart der Frau zu differenzieren. Bei<br />
körperlichen Einschränkungen und auch <strong>be</strong>i Sinnes<strong>be</strong>hinderungen sind in erster<br />
Linie bauliche Maßnahmen notwendig, <strong>be</strong>i Lernschwierigkeiten muss sich das<br />
156
Umfeld den <strong>be</strong>sonderen Bedürfnissen der neuen Mitar<strong>be</strong>iterin anpassen, e<strong>be</strong>nso <strong>be</strong>i<br />
psychischer Problematik.<br />
Offenheit und guter Wille von <strong>be</strong>iden Seiten ist für Unternehmen alleine nicht<br />
ausreichend, oder wie es ein Leiter pointiert ausdrückt: „Seh<strong>be</strong>hinderung ist allein ist<br />
natürlich keine Qualifikation. Es muss auch funktionieren.“ Wichtig ist, dass die<br />
Leistung stimmt. „Auch wenn sie mir jetzt nicht viel kostet. Es ist trotzdem die Zeit,<br />
die ich dann verbringen muss, damit sie die Ar<strong>be</strong>it anständig macht. Ist trotzdem für<br />
mich mehr Aufwand. Auch wenn sie gratis wäre.“ In stressigen Zeiten wird dieser<br />
Mehraufwand zum Problem: „Wenn Stress ist, dann geht’s nicht immer. Dann muss<br />
die Ar<strong>be</strong>it gemacht werden.“ Wird der Aufwand zu groß, kann dies den Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />
der Frau mit Behinderung gefährden: „Dann ist es wieder zum Ü<strong>be</strong>rlegen, ob ich sie<br />
mir <strong>be</strong>halte oder nicht. Weil es kostet sehr viel Ar<strong>be</strong>itszeit und Ar<strong>be</strong>itsaufwand. Weil<br />
wenn ich die ganze Ar<strong>be</strong>it hinten nach noch einmal machen muss, dann bringt es<br />
nicht viel.“ Gerade in Unternehmen, die mit hohen Erfolgsquoten ar<strong>be</strong>iten, kann die<br />
geringere Leistungsfähigkeit zu Problemen führen (vgl. Aussagen zu offizieller<br />
Einstufung und realer Leistung in den „Abschließenden Bemerkungen“ der<br />
Kolleginnen-Interviews).<br />
Weitere Schwierigkeiten, die von Seiten der Unternehmen angesprochen werden,<br />
sind finanzielle Belastungen (wenn es keinen Ausgleich durch Förderungen gibt).<br />
Mehrmals wird „Normalität“ thematisiert: „Ich glau<strong>be</strong>, dass es wichtig ist, dass man<br />
einfach normal mit dem umgeht.“ - Sie erfüllt ihre Dienstpflichten ganz normal wie<br />
alle anderen.“ - „[Die Mitar<strong>be</strong>iterInnen] merken, dass man mit Behinderten genauso<br />
normal ar<strong>be</strong>iten kann.“ - „Jeder ist Mensch [...] und das ist das Wichtigste.“ Dieses<br />
Stre<strong>be</strong>n nach Normalität ist einerseits erfreulich und wird von den Frauen mit<br />
Behinderung auch gewünscht. So hebt eine Frau mit Behinderung positiv hervor: „[...]<br />
Ich werde nicht <strong>be</strong>vorzugt, sondern, ich bin einfach ja ganz normal da mitten drin.“<br />
(siehe „Befindlichkeit <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it“) Andererseits <strong>be</strong>steht die Gefahr, dass spezielle<br />
Bedürfnisse der Frauen mit Behinderung nicht wahrgenommen werden und sie daher<br />
Ü<strong>be</strong>rforderung ausgesetzt sind: „Wo die Grenze ist, muss man sel<strong>be</strong>r wissen. Weil<br />
der andere – ü<strong>be</strong>rhaupt jemand, der keine Erfahrung mit Behinderten hat – kann das<br />
nicht abschätzen, wo Ende ist.“ (siehe „Tipps für Frauen mit Behinderung“) Auch von<br />
157
Unternehmerseite wurden dies<strong>be</strong>züglich Bedenken geäußert: „[...] es gibt vielleicht<br />
ein kleine Manko [...], dass man unter Umständen vielleicht zu wenig Rücksicht<br />
nimmt.“ Die Bestätigung der obigen Aussage der Frau mit Behinderung folgt im<br />
Nachsatz: „Ich denke mir nur, sie sagt schon auch, wenn es ihr zu viel wird.“<br />
Von mehreren Seiten wird die Möglichkeit des gegenseitigen Kennen-Lernens von<br />
Frauen und Männern mit Behinderung einerseits und von Betrie<strong>be</strong>n anderseits<br />
gefordert. Dass dieses „Zusammenführen von <strong>be</strong>iden Seiten“ sehr erfolgreich sein<br />
kann, <strong>be</strong>legt alleine diese Studie, <strong>be</strong>i der fünf der acht Interviewpartnerinnen<br />
aufgrund eines Praktikums im Vorfeld oder persönlicher Bekanntschaft zu ihrer<br />
Ar<strong>be</strong>itsstelle gekommen sind. In diesem Zusammenhang richtet sich die Forderung<br />
an die Politik, dass „es vom Gesetzesge<strong>be</strong>r her irgendwie als zwingende Maßnahme<br />
vorgeschrie<strong>be</strong>n wird.“ (siehe auch „Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt“<br />
der Frauen mit Behinderung)<br />
Analysiert man die Interviews unter dem <strong>gender</strong> - Aspekt, ist festzustellen, dass<br />
generell nur selten geschlechtsspezifische Sprache verwendet wird. Einige Zitate aus<br />
dem Text: „Schon niedriger als <strong>be</strong>i anderen Kollegen [...]“- „[Erwartungen] wie <strong>be</strong>i<br />
jedem anderen Mitar<strong>be</strong>iter.“ „[...] ich muss die genau so <strong>be</strong>zahlen wie jeden anderen<br />
Mitar<strong>be</strong>iter.“ Nur wenige Aussagen sind geschlechtssensi<strong>be</strong>l formuliert, wie z. B.<br />
„Mitar<strong>be</strong>iterinnen oder Mitar<strong>be</strong>iter von Menschen mit Behinderung gehören wirklich<br />
vermehrt sensibilisiert.“ oder „[...] eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen[...].“<br />
Wie in den Interviews mit den Frauen mit Behinderung und deren Kolleginnen<br />
werden auch von den LeiterInnen Frauen und Männer mit Behinderung werden meist<br />
als „Menschen“ <strong>be</strong>zeichnet oder Frauen unter die männliche Form subsumiert: „A<strong>be</strong>r<br />
es ist trotzdem für mich wichtig, dass die Menschen auch das Berufsle<strong>be</strong>n erfahren.“<br />
- „A<strong>be</strong>r es gibt ganz einfach ein offeneres Klima [...] für Menschen mit Behinderungen<br />
in jeder Art.“ - „[...] für Menschen mit einem Handicap gehörte viel mehr viel mehr<br />
geredet, geschrie<strong>be</strong>n [...]“ - „[...] um diese <strong>be</strong>hinderten Mitar<strong>be</strong>iter zu unterstützen, zu<br />
fördern und wirklich zu integrieren.“ - .“Wir ha<strong>be</strong>n also an unser <strong>be</strong>hinderten<br />
Mitar<strong>be</strong>iter an und für sich keine Erwartungen.“ Selbst in Unternehmen, die mit<br />
Frauen und Männern mit Behinderung ar<strong>be</strong>iten, sind diese Formulierungen gängig:<br />
„[...] weil wir e<strong>be</strong>n Menschen mit Behinderung <strong>be</strong>treuen.“<br />
158
Wird konkret von der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap gesprochen, findet am ehesten die<br />
weibliche Form Verwendung: „Sie ist gekommen und wir ha<strong>be</strong>n sie aufgenommen.<br />
Also, jetzt wirklich nicht nur in den Personalstand, sondern als Kollegin.“ –„[...] sie<br />
war eigentlich als Büromitar<strong>be</strong>iterin schon vorher da.“ - „Für uns ist die [...]<br />
Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung auch ganz wichtig, weil [...] ich auch immer wieder<br />
auch darauf hinweisen, dass wir nicht nur Menschen mit Behinderung <strong>be</strong>treuen,<br />
sondern auch <strong>be</strong>schäftigen.“ – „[...] Sie wird als hundertprozentige Mitar<strong>be</strong>iterin<br />
geführt.“<br />
159
4.6.5.3 Analyse der Beziehungse<strong>be</strong>ne<br />
Für die Analyse der Befindlichkeit der Frauen im Unternehmen und darü<strong>be</strong>r hinaus<br />
wurde <strong>be</strong>i der Auswertung auf das Zusammenwirken der Frauen mit Behinderung,<br />
ihrer/s ChefIn und der Kollegin geachtet.<br />
Auswertung<br />
In Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 1 meint die Frau mit Behinderung, dass ihr es mal <strong>be</strong>sser mal<br />
schlechter geht <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it. Diese wechselnde Stimmung wird auch von Kollegin<br />
und Leitung <strong>be</strong>stätigt führt zu Schwierigkeiten, da dadurch auch die Ar<strong>be</strong>itsleistung<br />
sinkt. Alles sind <strong>be</strong>müht, der Frau zu helfen und sie zu unterstützen. Ü<strong>be</strong>r die<br />
Teamsituation äußerst sich die Frau mit Behinderung zufrieden im Laufe des<br />
Interviews wird ersichtlich, dass es ihr in der Anfangszeit <strong>be</strong>sser gefallen hat und der<br />
Ar<strong>be</strong>itsdruck für sie durch eine neue Leitung gestiegen ist. Diese Aussage, die sich<br />
auch <strong>be</strong>i Kollegin und Leitung finden. Es <strong>be</strong>steht enger Kontakt zwischen Frau mit<br />
Behinderung, Kollegin und Leitung in der alltäglichen Ar<strong>be</strong>it.<br />
In Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 2 zeigen sich alle drei Seiten – Frau mit Behinderung, Kollegin<br />
und Leitung – sehr zufrieden. Auch die Interviewerin empfand <strong>be</strong>i ihrem Besuch die<br />
Stimmung im Unternehmen insgesamt als sehr positiv. Die Frau mit Behinderung<br />
<strong>be</strong>tont, dass sie mit ihrer Ar<strong>be</strong>it und dem Umfeld glücklich ist. Zwischen Frau mit<br />
Behinderung und Kollegin <strong>be</strong>steht enger Kontakt; der Kontakt der Mitar<strong>be</strong>iterin und<br />
der Leitung ist eher locker.<br />
Die Frau mit Behinderung, die an Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 3 teilnahm, ist mit ihrer Ar<strong>be</strong>its-<br />
und Teamsituation sehr zufrieden. Die Interviews mit Kollegin und Leitung <strong>be</strong>stätigen<br />
das positive Bild, das die Frau zeichnet. Man ist um das Wohl der Kollegin mit<br />
Behinderung <strong>be</strong>müht und geht auf ihre speziellen Bedürfnisse ein. Im Team und mit<br />
der Leitung herrscht enge Zusammenar<strong>be</strong>it.<br />
Auch <strong>be</strong>i Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 4 äußerst sich die Frau mit Behinderung zufrieden ü<strong>be</strong>r<br />
Ar<strong>be</strong>it und Teamsituation; eine Zufriedenheit die von Kollegin und Leitung <strong>be</strong>stätigt<br />
wird. In dem Unternehmen herrscht eine <strong>be</strong>inahe familiäre Stimmung. Alle<br />
160
Mitar<strong>be</strong>iterInnen des Unternehmens und die Leitung ar<strong>be</strong>iten eng zusammen, und<br />
man pflegt einen freundschaftlichen Umgang miteinander.<br />
Die Interviewpartnerin für Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 5 fühlt sich am Ar<strong>be</strong>itsplatz sehr wohl<br />
und <strong>be</strong>urteilt die Teamsituation positiv. Es werden Anfangsprobleme sowohl von der<br />
Frau mit Behinderung als auch der von Kollegin angesprochen. Für die Frau mit<br />
Behinderung sind die Schwierigkeiten ausgeräumt, die Kollegin sieht noch manche<br />
Problemfelder. Die Leitung äußert sich positiv ü<strong>be</strong>r die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung.<br />
Die Leitung, die nicht in das alltägliche Geschehen involviert ist, thematisiert keine<br />
Probleme. Aufgrund der Ar<strong>be</strong>itsstruktur gibt es im Team kaum Zusammenar<strong>be</strong>it, der<br />
Kontakt zur Leitung ist gering.<br />
Die Frau mit Behinderung, die an Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 6 teilnahm, ist generell<br />
zufrieden mit der Situation am Ar<strong>be</strong>itsplatz. Kollegin und Leitung stellen eine<br />
wesentliche Unterstützung für die Frau dar; man geht mit viel Respekt und<br />
freundschaftlich miteinander um. Probleme, die die Frau mit Behinderung<br />
thematisiert, (an)erkennen auch die Kollegin und die Leitung als solche. Jede Seite<br />
ist – soweit möglich – um konstruktive Lösungen <strong>be</strong>müht. Viele Bereiche werden<br />
von der Frau mit Behinderung, der Kollegin und der Leitung alleine <strong>be</strong>ar<strong>be</strong>itet, daher<br />
ist keine ständige Zusammenar<strong>be</strong>it gege<strong>be</strong>n.<br />
Auch in Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 7 zeigt sich die Frau im Großen und Ganzen zufrieden,<br />
wünscht sich a<strong>be</strong>r Veränderungen an der Ar<strong>be</strong>itssituation. Die Probleme, die die<br />
Frau mit Behinderung seiht, erkennen die Kollegin und die Leitung nur zum Teil.<br />
Umgekehrt zeigen Kollegin und Leitung großes Bemühen um das Wohl der Frau mit<br />
Behinderung, was wiederum sie nicht so wahrnimmt. Hier sind die Frau mit<br />
Behinderung, die Kollegin und die Leitung gemeinsam in das alltägliche<br />
Ar<strong>be</strong>itsgeschehen eingebunden.<br />
Die Gesprächspartnerin von Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 8 fühlt sich am Ar<strong>be</strong>itsplatz wohl,<br />
spricht a<strong>be</strong>r von Problemen im Team. Diese Probleme sieht auch die Kollegin, nicht<br />
a<strong>be</strong>r die Leitung, die nicht in der alltäglichen Ar<strong>be</strong>it involviert ist. In Teil<strong>be</strong>reichen<br />
<strong>be</strong>steht eine Zusammenar<strong>be</strong>it zwischen Frau mit Behinderung und der Kollegin; zur<br />
Leitung gibt es so gut wie nie Kontakt.<br />
161
Interpretation<br />
Auf der Beziehungse<strong>be</strong>ne zeigen sich kaum Diskrepanzen zwischen den Befragten.<br />
Die Beschreibungen der Ar<strong>be</strong>its- und Teamsituation und der Befindlichkeit der Frau<br />
mit Behinderung decken sich mit jenen der jeweiligen Kollegin und Leitung. Der<br />
Umgang miteinander ist zumindest kollegial, oft respektvoll und in manchen Fällen<br />
freundschaftlich.<br />
Spricht die Frau mit Handicap von Schwierigkeiten, werden diese auch von Kollegin<br />
und Leitung gesehen, a<strong>be</strong>r nicht immer gleich geschätzt. In allen Unternehmen ist<br />
man <strong>be</strong>müht lösungsorientiert zu sein. Sowohl die Frauen mit Behinderung als auch<br />
Kolleginnen und LeiterInnen versuchen, Probleme rasch auszuräumen und ein Klima<br />
der guten Zusammenar<strong>be</strong>it zu schaffen.<br />
162
4.6.5.4 Gesamtinterpretation<br />
Alle acht Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen zeichnen ein positives Bild von der Situation von<br />
Frauen mit Behinderung am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt. Die Frauen mit Behinderung sind<br />
durchwegs zufrieden mit ihrer Ar<strong>be</strong>its- und Teamsituation; Kolleginnen wie<br />
LeiterInnen empfinden es als positiv, eine Kollegin mit Behinderung zu ha<strong>be</strong>n.<br />
Im Folgenden sind die wichtigsten Erkenntnisse aus den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />
zusammengefasst:<br />
Ar<strong>be</strong>it hat für Frauen mit Behinderung einen hohen Stellenwert, sie stellt in ihrem<br />
Le<strong>be</strong>n eine wichtige Ressource dar. Erwerbsar<strong>be</strong>it hebt das Selbstwertgefühl, sie<br />
macht finanziell unabhängig und sie ist für Frauen mit Behinderung wichtig, weil sie<br />
dadurch das Gefühl ha<strong>be</strong>n einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.<br />
Verbunden mit dem hohen Stellenwert der Ar<strong>be</strong>it steht große Dankbarkeit für die<br />
Möglichkeit zu ar<strong>be</strong>iten, die in allen Interviews der Frauen mit Behinderung zu spüren<br />
ist. Bei der Interpretation der Interviews mit den Frauen mit Behinderung stellt sich<br />
daher die Frage, ob die geringe Anzahl an kritischen Aussagen nicht auf diese<br />
Dankbarkeitshaltung heraus zu erklären ist. Fest steht, dass einige der Frauen<br />
„schlechte“ Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>dingungen auf sich nahmen, um ü<strong>be</strong>rhaupt einer Ar<strong>be</strong>it<br />
nachgehen zu können.<br />
Frauen ar<strong>be</strong>iten immer noch in „traditionellen“ Frauen<strong>be</strong>rufen, wie auch diese acht<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen zeigen. Häufig scheint Büroar<strong>be</strong>it im weitesten Sinne eine der<br />
wenigen Ar<strong>be</strong>itsfelder, die Frauen – vor allem mit körperlichen Einschränkungen –<br />
zur Verfügung stehen.<br />
Unterstützungsangebote müssen nach Art der Behinderung der Frau differenziert<br />
werden. Für Frauen mit körperlichen Einschränkungen und mit Sinnes<strong>be</strong>hinderungen<br />
sind bauliche Anpassungen und <strong>be</strong>hinderungsgerechte Adaptionen des<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatzes notwendig. Frauen mit Lernschwierigkeiten und mit psychischer<br />
Problematik <strong>be</strong>nötigen Unterstützung durch ihr Umfeld. Ihre Bedürfnisse müssen <strong>be</strong>i<br />
Ar<strong>be</strong>itsstruktur und –tempo <strong>be</strong>rücksichtig werden.<br />
163
Frauen mit Behinderung neigen zu Selbstü<strong>be</strong>rforderung – dies zeigt sich sowohl in<br />
den Interviews mit den Frauen mit Handicap, in den Kolleginneninterviews als auch<br />
in den Gesprächen mit den LeiterInnen. Hier <strong>be</strong>steht ein enger Zusammenhang zum<br />
gesellschaftlichen Bild, das Frauen und Männer mit Behinderung generell eine<br />
geringe Leistungsfähigkeit zuspricht und die Betroffenen „zwingt“ sich ständig zu<br />
<strong>be</strong>währen.<br />
Eine spezielle Situation ergibt sich für Frauen mit psychischer Einschränkung.<br />
Psychische Probleme sind ein Tabuthema in unserer Gesellschaft und führen zu<br />
einer starken Stigmatisierung. Kolleginnen und LeiterInnen stehen der Situation oft<br />
hilflos gegenü<strong>be</strong>r und sind unsicher, wie sie sich gegenü<strong>be</strong>r der/dem Mitar<strong>be</strong>iterIn<br />
mit psychischer Problematik verhalten sollen. In diesem Zusammenhang wird von<br />
allen Seiten vermehrte Unterstützung gefordert. Hier ist noch viel an Aufklärungs-<br />
und Sensibilisierungsar<strong>be</strong>it zu leisten.<br />
Die Haltung der Kolleginnen gegenü<strong>be</strong>r der Frau mit Behinderung war generell<br />
wertschätzend. Kolleginnen wie auch LeiterInnen sind um das Wohlergehen der<br />
Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap <strong>be</strong>müht, spezielle Bedürfnisse werden <strong>be</strong>rücksichtigt.<br />
Durch den Eintritt einer Frau mit Behinderung ändern sich in den jeweiligen<br />
Unternehmen das Bewusstsein und die Denkweise der Mitar<strong>be</strong>iterInnen. Man lernt<br />
voneinander, entwickelt ein Sensorium für die Bedürfnisse von Frauen und Männern<br />
mit Behinderung. Somit trägt die Integration von Frauen mit Behinderung am<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarkt zu einem gesellschaftlichen Umdenkprozess <strong>be</strong>i und hat eine<br />
nachhaltige Wirkung, die dem Ziel der Normalisierung näher kommen lässt.<br />
Schwierigkeiten sehen die Kolleginnen, wenn offizielle Einstufung und tatsächliche<br />
Leistung divergieren und dadurch Mehrar<strong>be</strong>it entsteht, die von ihnen ausgeglichen<br />
werden muss.<br />
Die in der Studie <strong>be</strong>fragten Unternehmen sind gegenü<strong>be</strong>r der Beschäftigung von<br />
Frauen mit Behinderung positiv eingestellt. Motivation für die Einstellung einer Frau<br />
mit Behinderung ist in erster Linie soziales Verantwortungsgefühl. Vorteile sehen die<br />
164
Unternehmen vor allem in den finanziellen Förderungen, die eine Beschäftigung<br />
einer/s Mitar<strong>be</strong>iterIn mit Behinderung grundsätzlich ermöglicht.<br />
Für Unternehmen sind finanzielle Unterstützung sehr wichtig, um Frauen und Männer<br />
mit Behinderung <strong>be</strong>schäftigen zu können. Die Zufriedenheit mit <strong>be</strong>stehenden<br />
Angeboten ist sehr groß.<br />
Einigkeit herrscht zwischen den Frauen mit Behinderung, den Kolleginnen und den<br />
Unternehmen, dass mehr Offenheit notwendig ist, um die Ar<strong>be</strong>itsmarktsituation von<br />
Frauen mit Behinderung zu ver<strong>be</strong>ssern – wo<strong>be</strong>i dies nicht nur Unternehmen, sondern<br />
auch die Gesellschaft <strong>be</strong>trifft. Sensibilisierungsmaßnahmen und Aufklärungsar<strong>be</strong>iten<br />
werden in diesen Zusammenhang als wichtig erachtet.<br />
Eine weitere gemeinsame Forderung ist jene, nach Möglichkeiten zum gegenseitigen<br />
Kennen-Lernen von Frauen mit Behinderung einerseits und Unternehmen im Vorfeld<br />
einer möglichen Anstellung andererseits.<br />
E<strong>be</strong>nfalls von allen drei Seiten werden laufende Unterstützungsangebote für Frauen<br />
mit Behinderung gefordert. Als wichtig wird erachtet, dass nicht die Frau selbst oder<br />
die Unternehmen Kontakt herstellen müssen, sondern dass die Initiative von den<br />
Einrichtungen wie Ar<strong>be</strong>itsassistenz oder Joballianz ausgeht.<br />
In folgenden Bereichen wird seitens dieser Studie Handlungs<strong>be</strong>darf festgestellt:<br />
In allen Interviews mit den Frauen mit Behinderung ist eine starke<br />
Dankbarkeitshaltung erkennbar, was eine eher kritiklose Haltung zur Folge hat. Zum<br />
einen ist es wichtig, das Recht von Frauen mit Behinderung auf Ar<strong>be</strong>it in der<br />
Gesellschaft <strong>be</strong>wusst zu machen. Zum anderen vermag eine Stärkung der<br />
Handlungskompetenz der Frauen mit Behinderung ihre Position zu stärken und<br />
ermöglicht ihnen, ihre Bedürfnisse selbst<strong>be</strong>wusst zu artikulieren.<br />
Mobbing wurde in den Interviews von den Frauen mit Behinderung relativ häufig<br />
thematisiert – dieses Problem scheint Frauen mit Behinderung häufig zu treffen.<br />
165
Stärkung der Frauen, a<strong>be</strong>r auch Aufklärung in den Unternehmen könnten dem<br />
entgegenwirken.<br />
Schwierig ist für Frauen mit Behinderung ihre Position als „Bittstellerin“. „Um Hilfe<br />
bitten zu müssen“ senkt das Selbstwertgefühl. Wichtig wären Angebote wie<br />
persönliche Assistenz, die dies<strong>be</strong>züglich eine Ver<strong>be</strong>sserung bringen könnten.<br />
In nur wenigen Betrie<strong>be</strong>n fand eine Vor<strong>be</strong>reitung der Mitar<strong>be</strong>iterInnen auf die<br />
Kollegin mit Handicap statt. Diese Vorgangsweise kann – muss a<strong>be</strong>r nicht – zu<br />
Schwierigkeiten führen, wenn z. B. die Erwartungen zu hoch gesteckt sind oder<br />
Unsicherheiten im Umgang mit der Frau mit Handicap nicht thematisiert werden.<br />
Betrachtet man die Interviews unter dem <strong>gender</strong> - Aspekt wird die Ausgangsthese,<br />
dass Frauen und Männer mit Behinderung nicht in ihrer Geschlechtlichkeit<br />
wahrgenommen werden, <strong>be</strong>stätigt. Sowohl die Frauen mit Behinderung selbst, als<br />
auch die Kolleginnen und die LeiterInnen <strong>be</strong>dienen sich nur selten einer<br />
geschlechtssensiblen Sprache. Meist wird die weibliche Form unter die männliche<br />
subsumiert; man spricht von „Kollegen“, „Mitar<strong>be</strong>itern“, „Behinderten“ und<br />
„Menschen“.<br />
166
4.7 LeiterInnengespräche<br />
4.7.1 Das Ziel<br />
Ziel der LeiterInnengespräche war die Sensibilisierung für das Thema <strong>gender</strong><br />
mainstreaming, das Wecken eines Problem<strong>be</strong>wusstseins auf Seite der<br />
Führungskräfte für die Sinnhaftigkeit und Einführung von <strong>gender</strong> mainstreaming in<br />
ihren Einrichtungen sowie das Erhe<strong>be</strong>n der grundsätzlichen Einstellung gegenü<strong>be</strong>r<br />
dieser innovativen politischen Strategie.<br />
4.7.2 Die Methode<br />
In den LeiterInnengesprächen wurde mit 15 LeiterInnen steirischer<br />
Behinderteneinrichtungen ein Interview zum Themen<strong>be</strong>reich <strong>gender</strong> mainstreaming<br />
geführt. In den Gesprächen wurde <strong>be</strong> <strong>gender</strong> anhand eines vom<br />
<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> entworfenen Folders vorgestellt. Weitere<br />
Gesprächsinhalte bildeten die persönliche Erfahrung mit und die Einstellung zu<br />
<strong>gender</strong> mainstreaming seitens der Führungskräfte sowie die Sensibilisierung für<br />
dieses Thema in ihrer Institution. Die 15 LeiterInnen wurden zufällig ausgewählt,<br />
wo<strong>be</strong>i darauf geachtet wurde, LeiterInnen von größeren und kleineren<br />
Behinderteneinrichtungen zu <strong>be</strong>fragen. Die Gespräche wurden anhand eines<br />
Interviewleitfadens geführt und im Nachhinein dokumentiert und ausgewertet.<br />
4.7.3 Ergebnisse<br />
Die hier vorliegende Ergebnispräsentation spiegelt und <strong>be</strong>schreibt ausschließlich die<br />
Aussagen, Vorstellungen und Erfahrungen der <strong>be</strong>fragten LeiterInnen. Wenn in Folge<br />
von Ideen und Wahrnehmungen gesprochen wird, so <strong>be</strong>ziehen sich diese auf die<br />
getätigten Aussagen der Befragten.<br />
167
Wissen ü<strong>be</strong>r und Erfahrungen mit <strong>gender</strong> mainstreaming<br />
Im ersten Schwerpunkt der Befragung ging es generell um Erfahrungen der<br />
LeiterInnen mit <strong>gender</strong> mainstreaming. Das Spektrum ihrer bisherigen Erfahrungen<br />
ist hier sehr breit gestreut. Die Palette reicht Unwissenheit von die Bedeutung des<br />
Wortes <strong>gender</strong> mainstreaming, ü<strong>be</strong>r keine Erfahrung damit, bis hin zu Erfahrung in<br />
der Pojektantragsar<strong>be</strong>it ins<strong>be</strong>sondere im Beriech von EU Projekten, da <strong>gender</strong><br />
mainstreaming als Strategie hier zwingend vorgeschrie<strong>be</strong>n ist. In zwei der <strong>be</strong>fragten<br />
Einrichtungen gibt es eine/n <strong>gender</strong>-mainstreaming-Beauftragte/n – in einem Fall<br />
eine Frau, im anderen Fall ein Mann, die/der einen Unilehrgang <strong>be</strong>sucht ha<strong>be</strong>n.<br />
Eine Sensibilisierung zu <strong>gender</strong> mainstreaming scheint zu <strong>be</strong>ginnen und Raum zu<br />
greifen. Eine der Einrichtungen hielt zum Beispiel einen <strong>gender</strong>-Workshop für alle<br />
Mitar<strong>be</strong>iterInnen einer Abteilung ab, als es einen Fall von sexueller Belästigung gab.<br />
Eine andere Interviewpartnerin sprach davon, dass in ihrem Unternehmen im<br />
täglichen Ar<strong>be</strong>iten „intuitiv“ auf die unterschiedlichen Wünsche/Bedürfnisse von<br />
Frauen und Männern eingegangen und darauf geachtet wird, ihren Selbstwert<br />
aufzubauen. Wiederum ein anderer Interviewpartner sprach davon, dass sie, wenn in<br />
einer Einrichtung erstmals ein männlicher Kollege aufgenommen wird, <strong>be</strong>müht sind,<br />
die weiblichen Mitar<strong>be</strong>iterinnen zu stützen, damit sie nicht Inhalte an ihn abge<strong>be</strong>n.<br />
Denn der Befragte meinte, dass Frauen dazu neigen, ihren männlichen Kollegen<br />
Verantwortung zu ü<strong>be</strong>rlassen.<br />
In einem der <strong>be</strong>fragten Unternehmen gab es im vergangenen Jahr eine Klausur für<br />
Führungskräfte zum Thema <strong>gender</strong> mainstreaming. Ziel der Klausur war es, einen<br />
Beitrag zur geschlechtsspezifischen Gleichstellung zu leisten. Was es nach Aussage<br />
des Interviewpartners auf alle Fälle gebracht hat, war eine erste Sensibilisierung und<br />
eine Vorstellung der Methoden der Evaluierung.<br />
Eine weitere Institution ist gerade da<strong>be</strong>i, ein Geschlechterraster zur statistischen,<br />
geschlechtsspezifischen Datenerhebung zu entwickeln. Die Motivation, sich mit<br />
<strong>gender</strong> mainstreaming zu <strong>be</strong>fassen, erfolgt aus zwei Gründen: Der Zugang zu<br />
168
<strong>gender</strong> mainstreaming erfolgt aufgrund der Anforderung der Förderge<strong>be</strong>rInnen<br />
und/oder aus persönlichem Interesse einzelner Mitar<strong>be</strong>iterInnen.<br />
Das Geschlechterverhältnis unter Mitar<strong>be</strong>iterInnen- und auf Führungse<strong>be</strong>ne<br />
Bei der Frage nach dem Geschlechterverhältnis innerhalb der Leitung bzw. Führung<br />
der jeweiligen Behinderteneinrichtung <strong>be</strong>trifft, erga<strong>be</strong>n sich folgende Antworten:<br />
Die Führungse<strong>be</strong>ne ist oft ganz in männlicher Hand, <strong>be</strong>stenfalls wird sie von einem<br />
Mann und einer Frau geteilt <strong>be</strong>setzt, in Ausnahmefällen von einer Frau. In der E<strong>be</strong>ne<br />
des mittleren Managements, das in vielen Fällen die Leitung eines Tel<strong>be</strong>reiches<br />
<strong>be</strong>deutet, sind in der Mehrzahl Frauen vertreten. Der administrative Bereich ist in<br />
Frauenhand, während die Hausmeisterei in Männerhand ist.<br />
In der unteren E<strong>be</strong>ne (Betreuung und Pflege) sind Frauen stärker im Bereich der<br />
Pflege vertreten. Der Bereich der Finanzen (Steuer<strong>be</strong>rater) liegt in Männerhand,<br />
Sekretariat oder Bibliotheken werden von Frauen geleitet. Die hohe Anzahl der<br />
weiblichen Mitar<strong>be</strong>iter wird von den Leitungskräften mit der schlechten Bezahlung<br />
und dem gesellschaftlichen Stellenwert von Sozialar<strong>be</strong>it erklärt.<br />
Das Geschlechterverhältnis der KlientInnen aus Sicht der LeiterInnen<br />
Es gibt sowohl Einrichtungen, in denen das männliche Klientel ü<strong>be</strong>rwiegt als auch<br />
Vereinigungen, wo sich das Klientel von männlichen und weiblichen Personen die<br />
Waage hält bzw. der Frauenanteil O<strong>be</strong>rhand gewinnt. Allerdings sind in<br />
männertypischen Berufen mehr Männer, in frauentypischen Breichen mehr Frauen<br />
vertreten.<br />
Wahrnehmung von geschlechtsspezifischen Unterschieden ü<strong>be</strong>r die<br />
Mitar<strong>be</strong>iterInnen aus Sicht der LeiterInnen<br />
Die Führung nimmt eher Geschlechterrivalitäten, wenn eine Frau an der Spitze steht.<br />
Oder es wird die Frage „Wo sind die Frauen ü<strong>be</strong>rhaupt in Führungspositionen<br />
169
anzutreffen?“ in den Raum gestellt. Jedoch wo soziales Engagement Voraussetzung<br />
ist, sind eher Frauen vertreten. Den pädagogischen Aufga<strong>be</strong>n bzw. Anforderungen<br />
sind erfahrungsgemäß Frauen viel eher gewachsen als Männer, so ein Befragter<br />
meinte.<br />
Der Sozial<strong>be</strong>reich ist eine Frauendomäne, jedoch wenn es um die Finanzen geht,<br />
sind auch Männer zu finden. Die Motivation der Frauen, so ein Befragter, in den<br />
Sozial<strong>be</strong>reich zu gehen, hat viel mit dem Ausle<strong>be</strong>n von Mütterlichkeit zu tun,. Er<br />
meinte, es geht auch darum, dass Frauen hier formale Macht ü<strong>be</strong>r andere ausle<strong>be</strong>n,<br />
ohne diese nach außen hin transparent machen zu müssen. Allerdings wird in letzter<br />
Zeit im Bereich der Betreuung auf Gleichgeschlechtlichkeit Wert gelegt, sodass<br />
Männer, die sich für Betreuung interessieren, <strong>be</strong>vorzugt aufgenommen werden.<br />
Wahrnehmung ü<strong>be</strong>r geschlechtsspezifischer Unterschiede <strong>be</strong>i KlientInnen aus<br />
Sicht der LeiterInnen<br />
Die Aussagen der LeiterInnen <strong>be</strong>stätigen, dass Frauen bzw. Männer mit<br />
Behinderung sich für geschlechtstypische Berufe entscheiden. Bereichsspezifisch<br />
gehen Männer in die Bereiche Transport, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft; Frauen<br />
wählen Dienstleistungs<strong>be</strong>rufe oder freie Berufe.<br />
Frauen sind offener für das Inanspruchnehmen von professionellen Hilfen in<br />
Beratungsstellen. Männer sind <strong>be</strong>i ihrer Berufswahl geradliniger und weichen weniger<br />
von ihren Idealvorstellungen ab. Frauen hingegen neigen dazu sich anzupassen,<br />
sind kompromiss<strong>be</strong>reiter.<br />
Oft ist zu <strong>be</strong>merken, dass die Betreuungswünsche nicht vom Geschlecht, sondern<br />
von der Art der Behinderung abhängig sind. Freundinnen bzw. Ehefrauen sind eher<br />
<strong>be</strong>reit, die Männer zu <strong>be</strong>treuen/pflegen. Seitens der Männer ist das eine seltene<br />
Ausnahme. Was wiederum das traditionelle Bild von der Frau stärkt, die für den<br />
häuslich-familiären Support zuständig ist. Mädchen und Frauen mit Behinderung wird<br />
außer Haus nichts zugetraut.<br />
170
Was die finanzielle Unterstützung <strong>be</strong>trifft, <strong>be</strong>kommen Männer höheres<br />
Ar<strong>be</strong>itslosengeld bzw. Notstand. Frauen sind schlechter abgesichert.<br />
Ideen für geschlechtsspezifische Maßnahmen auf Mitar<strong>be</strong>iterInnene<strong>be</strong>ne aus<br />
Sicht der LeiterInnen<br />
Die <strong>be</strong>fragten LeiterInnen machten folgende Aussagen, aus denen sich eine breite<br />
Meinungspalette ergibt:<br />
1. Männer müssen ihren Beitrag leisten, Frauen jedoch auch.<br />
2. Neutrale (geschlechtsneutrale) Beratung und Betreuung wäre wünschenswert.<br />
3. Forderung nach mehr Männern als Mitar<strong>be</strong>iter im Sozial<strong>be</strong>reich.<br />
Sie meinten, Männer sind allein schon wegen der körperlichen Schwerar<strong>be</strong>it aus dem<br />
Behinderten<strong>be</strong>reich nicht weg zu denken. Für Frauen bzw. Männer mit Kindern<br />
müsste die Kinder<strong>be</strong>treuung ausgebaut werden. In Sozial<strong>be</strong>rufen zu ar<strong>be</strong>iten, birgt<br />
gerade für Männer die Gefahr, einen Prestigeverlust zu erleiden; auch die Bezahlung<br />
erscheint Männern als zu gering. Dem müsste man entgegenwirken, indem für<br />
Männer und Frauen die Bezahlung angeho<strong>be</strong>n wird.<br />
Ideen für geschlechtsspezifische Maßnahmen auf KlientInnene<strong>be</strong>ne aus Sicht<br />
der LeiterInnen<br />
• Der Zugang zur Beratung soll geschlechtssensi<strong>be</strong>l sein. Diejenigen, die weiter<br />
verweisen, ar<strong>be</strong>iten nicht geschlechtssensi<strong>be</strong>l.<br />
• Selbst<strong>be</strong>wusstseinstrainings für <strong>be</strong>hinderte Frauen wären wünschenswert und<br />
notwendig. Frauen brauchen zudem mehr finanzielle Unterstützung, denn<br />
finanzielle Sicherheit nimmt ihnen Ängste.<br />
• Beratungsstellen aufzusuchen und Informationen einzuholen, scheint für viele<br />
Männer <strong>be</strong>reits ein Hindernis zu sein. Deshalb plant eine der <strong>be</strong>fragten<br />
Einrichtungen ein mobiles Beratungsangebot. Da Frauen Defizite im fundierten<br />
EDV- Wissen ha<strong>be</strong>n, wäre gerade hier eine Ausbildungsfinanzierung sinnvoll und<br />
notwendig.<br />
171
Weitere Ideen für geschlechtssensiblen Umgang aus Sicht der LeiterInnen<br />
• Selbst<strong>be</strong>wusster Umgang mit dem eigenen Können müsste sehr früh <strong>be</strong>ginnen.<br />
Das „Verhätscheln von Mädchen und Bu<strong>be</strong>n mit Behinderung“, so eine Befragte,<br />
seitens der Eltern lähmt die Möglichkeit der Entwicklung; Elterna<strong>be</strong>nde müsste<br />
fixer Bestandteil in der Berufsfindung sein.<br />
• Wie immer ist es auch notwendig hinter die Kulissen zu schauen, um die Realität<br />
der Behindertenorganisationen mit den Leitbildern von <strong>gender</strong> mainstreaming zu<br />
vergleichen. Denn, nicht alle Einrichtungen, so eine Befragte, die vorge<strong>be</strong>n<br />
<strong>gender</strong> mainstreaming zu <strong>be</strong>trei<strong>be</strong>n, tun dies tatsächlich.<br />
• „Können wir uns Behinderung ü<strong>be</strong>rhaupt noch leisten?“ – hier stellt sich ein Leiter<br />
die Finanzierbarkeitsfrage.<br />
• Geschlechtsspezifische Projekte sollten so früh wie möglich starten und vom<br />
Kindergartenalter bis ins Berufsle<strong>be</strong>n als Begleitmaßnahme durchgeführt werden.<br />
• Als Frau oder Mann mit Behinderung selbst<strong>be</strong>stimmt zu le<strong>be</strong>n, setzt auch voraus,<br />
zu wissen, was man will. Viele Frauen und Männer mit Behinderung wissen das<br />
a<strong>be</strong>r nicht. Hier wären Empowermentkurse empfehlenswert.<br />
• Behinderte und Nicht-Behinderte müssen den Weg des Kooperierens gehen. Nur<br />
so kann Veränderung passieren.<br />
Zusammenfassung und Ausblick<br />
Mit den geführten Gesprächen konnte das Ziel, den Ist-Zustandes zu erhe<strong>be</strong>n und<br />
für <strong>gender</strong> mainstreaming zu sensibilisieren, erreicht werden.<br />
Die Vereinbarung der Gesprächstermine gestaltete sich durchwegs einfach und die<br />
LeiterInnen zeigten eine grundsätzliche Offenheit gegenü<strong>be</strong>r <strong>gender</strong> mainstreaming<br />
als politische Strategie. Durch Anforderungen der Finanzge<strong>be</strong>rInnen geraten alle<br />
Befragten allmählich unter Druck, sich mit dem Thema <strong>gender</strong> mainstreaming zu<br />
<strong>be</strong>fassen – vermehrt jene, die Gelder aus EU-Töpfen <strong>be</strong>kommen, wo die Einhaltung<br />
von <strong>gender</strong> mainstreaming vorgeschrie<strong>be</strong>n wird.<br />
172
Die Art und Weise der Umsetzung von <strong>gender</strong> mainstreaming gestaltet sich je nach<br />
Einrichtung unterschiedlich: Die Umsetzungspalette reicht von Einrichtungen, die<br />
<strong>gender</strong> mainstreaming am Papier <strong>be</strong>trei<strong>be</strong>n, ü<strong>be</strong>r jene, die <strong>gender</strong> - Beauftragte<br />
<strong>be</strong>nennen, bis zu jenen, die ein <strong>gender</strong>spezifisches Projekt planen, oder auf der<br />
anderen Seite jenen, die von <strong>gender</strong> mainstreaming zwar <strong>be</strong>reits gehört ha<strong>be</strong>n, a<strong>be</strong>r<br />
nicht wissen, was es der Inhalt des Wortes ist.<br />
Da<strong>be</strong>i konnte im Rahmen dieser Studie kein Unterscheid zwischen Wünschen und<br />
Umsetzungskapazität von <strong>gender</strong> mainstreaming in größeren bzw. kleineren<br />
Behinderteneinrichtungen festgestellt werden. Die Art der Umsetzung scheint eher<br />
abhängig vom persönlichen Engagement einzelner Mitar<strong>be</strong>iterInnen oder der<br />
Möglichkeit durch die Beachtung und Umsetzung von <strong>gender</strong> mainstreaming zu<br />
Fördergeldern zu kommen.<br />
Für das Weiterar<strong>be</strong>iten wird aus den geführten Gesprächen der Schluss gezogen,<br />
wie wichtig es ist, auf der strukturellen sowie der LeiterInnen-, Mitar<strong>be</strong>iterInnen- und<br />
KlientInnene<strong>be</strong>ne von Behinderteneinrichtungen anzusetzen.<br />
Die Beachtung der strukturellen E<strong>be</strong>ne <strong>be</strong>deutet, klare Vorschriften und Regelungen<br />
<strong>be</strong>züglich der Einhaltung von und der Verga<strong>be</strong> von finanziellen Mitteln zu machen.<br />
LeiterInnen- und Mitar<strong>be</strong>iterInnen müssen persönlich angesprochen und <strong>be</strong>rührt<br />
werden, um die Sinnhaftigkeit von top-down Regelungen erfassen und damit in<br />
diesem Fall, die Wichtigkeit der Umsetzung von <strong>gender</strong> mainstreaming erfassen zu<br />
können.<br />
173
4.8 Österreichisches Netzwerk für Frauen mit und ohne<br />
Behinderung<br />
4.8.1 Das Ziel<br />
Ziel der Teilnahme des <strong>Frauengesundheitszentrum</strong>s an dem „Österreichischen<br />
Netzwerk für Frauen mit und ohne Behinderung“ ist es, der Zielgruppe „Frauen mit<br />
Behinderung“ öffentlich Stimme zu verleihen und ü<strong>be</strong>r Eigenkompetenz deren<br />
Austausch und Vernetzung zu fördern.<br />
4.8.2 Ablauf und Ergebnisse der Treffen<br />
Die Idee zu einem Netzwerk für Frauen mit und ohne Behinderung entstand im Zuge<br />
des Kongresses „Behindertsein in Europa“ im Jahr 2003, wo die österreichischen<br />
TeilnehmerInnen erkannten, dass dem Thema „Frausein mit Behinderung“ öffentlich<br />
noch nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wurde.<br />
Bisher traf sich das Frauennetz für Frauen mit und ohne Behinderung drei Mal. Am 1.<br />
März 2004 fand das Gründungstreffen des Frauennetzwerkes in Linz statt. 20 Frauen<br />
mit und ohne Behinderung aus ganz Österreich nahmen daran teil. Bei diesem<br />
Treffen wurde <strong>be</strong>schlossen, dass Frauen mit Behinderung im ersten Jahr das Sagen<br />
ha<strong>be</strong>n, sprich alle Entscheidungen rund um das Netzwerk werden von Frauen mit<br />
Behinderung getroffen.<br />
Zum zweiten Netzwerktreffen am 27. Mai 2004 in Linz, das im Rahmen des<br />
Zukunftsforums der Miteinander GmbH im Linzer Rathaus abgehalten wurde, kamen<br />
60 Frauen mit und ohne Behinderung. Vorträge, Referate und anschleißende<br />
Workshops machten den Tag zu einem gelungenen Informations- und<br />
Austauschforum. Brigitte Fa<strong>be</strong>r, Mit<strong>be</strong>gründerin des deutschen Wei<strong>be</strong>rnetzes,<br />
schilderte die Gründungsphase des Netzes in Deutschland und gab Einblicke in die<br />
heutige Situation. Die wissenschaftliche Expertin Mathilde Niehaus aus Köln<br />
174
eferierte ü<strong>be</strong>r Möglichkeiten und Grenzen in der Netzwerkar<strong>be</strong>it von Frauen mit<br />
Behinderung. Aiha Zemp aus der Schweiz schilderte auf <strong>be</strong>rührende Art ihr Le<strong>be</strong>n<br />
aus der Sicht einer <strong>be</strong>hinderten Frau. Ihr Fazit: „Ü<strong>be</strong>rall, wo man uns zur Normalität<br />
zwingt, gibt es Schwierigkeiten, sei es in gesellschaftlicher als auch in finanzieller<br />
Hinsicht“. Abschließend <strong>be</strong>richtete die Wiener Forscherin Barbara Kreilinger ü<strong>be</strong>r die<br />
Ergebnisse in der Broschüre „Frau sein-barrierefrei“.<br />
Das dritte Treffen am 08. Okto<strong>be</strong>r 2004 in Wien, in den Räumlichkeiten des Zentrums<br />
für Kompetenzen stellte ein inhaltliches Ar<strong>be</strong>iten von Frauen mit und ohne<br />
Behinderung dar. Die Zahl der Teilnehmenden war geringer als <strong>be</strong>i den ersten<br />
Treffen und brachte zum Ausdruck, dass mehr Frauen mit Behinderung für das<br />
Netzwerk gewonnen bzw. parallel dazu auf regionaler E<strong>be</strong>ne angesprochen und<br />
mobilisiert werden müssen.<br />
Im Zentrum der Aktivitäten des Netzwerkes für Frauen mit und ohne Behinderung<br />
stehen das Frausein, die Auseinandersetzung mit dem Frausein und das Vernetzen<br />
untereinander.<br />
Ein nächster Schritt wird es sein, weiterhin Vernetzung zu <strong>be</strong>trei<strong>be</strong>n, mehr Frauen<br />
mit Behinderung zu gewinnen und in der Öffentlichkeit tätig zu werden.<br />
Das <strong>Frauengesundheitszentrum</strong> unterstützt auf Grundlage der bisherigen<br />
Erfahrungen die Seite der Frauen mit Behinderung und holt sich gleichzeitig aus den<br />
Treffen wertvolle Anregungen für das eigene, projekt<strong>be</strong>zogene Ar<strong>be</strong>iten.<br />
175
4.9 Expertinnen<strong>be</strong>iräte + Treffen der InterviewpartnerInnen<br />
4.9.1 Ziel des ExpertInnen<strong>be</strong>iräte<br />
Im Juni und im Novem<strong>be</strong>r 2004 fanden zwei ExpertInnen<strong>be</strong>iräte statt, e<strong>be</strong>nfalls im<br />
Novem<strong>be</strong>r das Treffen der InterviewpartnerInnen.<br />
TeilnehmerInnen der ExpertInnen<strong>be</strong>iräte waren Frauen und Männer, die selbst eine<br />
Behinderung ha<strong>be</strong>n, VertreterInnen aus Politik und Wissenschaft sowie aus dem<br />
Behindertenwesen.<br />
Die Namen der TeilnehmerInnen am Treffen der InterviewpartnerInnen werden aus<br />
Gründen der Anonymität hier nicht genannt.<br />
Im ersten Beirat wurde das Forschungsdesign <strong>be</strong> <strong>gender</strong> vorgestellt und die Fragen<br />
zu narrativen Interviews und Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen sowie die Fragebögen für die<br />
Unternehmen <strong>be</strong>sprochen.<br />
Beim zweiten Expertinnen<strong>be</strong>irat im Novem<strong>be</strong>r wurden die vorläufigen Ergebnisse von<br />
<strong>be</strong> <strong>gender</strong> vorgestellt und der daraus resultierende Maßnahmenkatalog diskutiert.<br />
Die ExpertInnen machten wertvolle Anregungen und ga<strong>be</strong>n Rückmeldungen, die die<br />
Mitar<strong>be</strong>iterinnen in die Studie aufnahmen. Sie sind in separaten Protokollen<br />
dokumentiert und ausgesendet worden.<br />
Auch <strong>be</strong>im Treffen der InterviewpartnerInnen wurden die vorläufigen Ergebnisse von<br />
<strong>be</strong> <strong>gender</strong> vorgestellt und diskutiert und die Interviewten <strong>be</strong>kamen die Möglichkeit, in<br />
der Gruppe ü<strong>be</strong>r Veränderungswünsche <strong>be</strong>züglich geschlechtsspezifischer Themen<br />
Ideen auszutauschen.<br />
176
4.9.2 Ergebnisse<br />
Der erste Expertinnen<strong>be</strong>irat brachte viele wertvolle Anregungen und Denkanstöße für<br />
uns; hier einige der wichtigsten Punkte, die in der Studie umgesetzt wurden:<br />
Sprachlich einfache Formulierungen in den Interviews wurden als wichtig erachtet.<br />
Es wurde daher vorgeschlagen, die Interviews von Capito (a´tempo) in eine Leichter-<br />
Lesen-Fassung zu „ü<strong>be</strong>rsetzen“. Die Finanzierung wurde vom Bundessozialamt<br />
ü<strong>be</strong>rnommen.<br />
Ein Vertreter aus der Wissenschaft schlug vor, gegenseitig Pro<strong>be</strong>interviews zu<br />
führen, was wir vor Beginn der Forschungsar<strong>be</strong>it gemacht ha<strong>be</strong>n.<br />
Eine Expertin aus der Politik gibt zu <strong>be</strong>denken, dass die Fragen sehr offen sind und<br />
Männer und Frauen mit Behinderung ev. Schwierigkeiten ha<strong>be</strong>n, auf derart offene<br />
Fragen spontan zu antworten. Infolge wurden die narrativen Interviews <strong>be</strong>i Bedarf mit<br />
Zwischenfragen ergänzt.<br />
Die Art der Behinderung solle „nach objektiven und subjektiven Kriterien“ abgefragt<br />
werden. Der Selbsteinschätzung der Betroffenen wurde große Bedeutung<br />
<strong>be</strong>igemessen. Als Definition wurde die WHO-Abstufung empfohlen. Bei der Abfrage<br />
der Daten, die u. a. die Art der Behinderung enthalten, wurden daher die Frauen und<br />
Männer mit Behinderung selbst <strong>be</strong>fragt. Rückfragen an Angehörige oder<br />
BetreuerInnen erfolgten nur <strong>be</strong>i Bedarf und im Absprache mit der/dem<br />
InterviewpartnerIn.<br />
Auf Anregung einer Frau mit Behinderung wurden die Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen neu<br />
konzipiert. Sie führte an, dass es schwierig ist, den LeiterInnen und KollegInnen<br />
diesel<strong>be</strong>n Fragen zu stellen, wie der Frau mit Behinderung. Die ExpertInnen einigen<br />
sich darauf, die ChefInnen und KollegInnen <strong>be</strong>züglich der Rahmen<strong>be</strong>dingungen, der<br />
„Vorteile“ und Motivation eine Frau mit Beh. anzustellen, zu <strong>be</strong>fragen.<br />
177
Auch wurde angeboten, Kontakte zu möglichen InterviewpartnerInnen herzustellen –<br />
ein Angebot, das genutzt wurde.<br />
Die ExpertInnen der zweiten Beiratssitzung hielten sowohl die Durchführung eines<br />
Modellprojekts als auch die Weiterführung der Forschung für notwendig. Die<br />
Stärkung der Frauen mit Behinderung soll im Mittelpunkt des Modellprojekts stehen –<br />
wo<strong>be</strong>i sowohl auf der E<strong>be</strong>ne der Frauen, auf UnternehmerInnene<strong>be</strong>ne als auch auf<br />
Organisationse<strong>be</strong>ne anzusetzen ist. Eine detaillierte Erhebung von Daten und die<br />
Fortführung der narrativen Interviews in der Modellregion wurden für die<br />
Forschungsstudie vorgeschlagen. Diese Anregungen fanden im Neuantrag<br />
Niederschlag und mündeten in den im Ausblick vorgestellten Projektkonzeptionen.<br />
4.9.3 Treffen der InterviewpartnerInnen<br />
Im Treffen der InterviewpartnerInnen stand e<strong>be</strong>nso die Stärkung der<br />
Handlungskompetenz von Frauen und Männern mit Behinderung im Mittelpunkt. Der<br />
Wunsch nach der Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch wurde ausgesprochen.<br />
Um die Situation für Frauen und Männer mit Behinderung am Ar<strong>be</strong>itsmarkt zu<br />
ver<strong>be</strong>ssern, wurde zum einen die Sensibilisierung der Unternehmen für wichtig<br />
erachtet, zum anderen a<strong>be</strong>r auch die Schaffung von passenden strukturellen<br />
Bedingungen (z. B. Assistenzleistungen) gefordert.<br />
Um Frauen spezifisch zu fördern, wurde offenkundig, dass es notwendig ist ihnen<br />
genug Zeit einzuräumen und die Möglichkeit zu ge<strong>be</strong>n, sich untereinander in einer<br />
geschlechtshomogenen Gruppe auszutauschen.<br />
178
5 Ausblick<br />
Be <strong>gender</strong> findet 2005 in folgenden zwei Folgeprojekten Fortsetzung:<br />
Modellprojekt in den Bezirken Leibnitz und Radkersburg<br />
Forschungsstudie in den Bezirken Leibnitz und Radkersburg<br />
5.1 Das Modellprojekt<br />
Konzeptionell ist das Umsetzungsprojekt so angelegt, dass es seine Wirkung auf vier<br />
E<strong>be</strong>nen erzielt, nämlich auf E<strong>be</strong>ne der Frauen mit Behinderung, der<br />
Behinderteneinrichtungen, der breiten Öffentlichkeit und der UnternehmerInnen. Im<br />
Sinne eines aussagekräftigen, ü<strong>be</strong>rtragbaren und nachhaltigen Modellprojektes wird<br />
die Umsetzung wissenschaftlich <strong>be</strong>gleitet und evaluiert.<br />
Ausgangspunkt für das Modellprojekt sind die Ergebnisse von <strong>be</strong> <strong>gender</strong> und<br />
folgende Problemstellung: Ar<strong>be</strong>it ist für Frauen mit Behinderung zentrales Thema, ob<br />
in einer Beschäftigungstherapie oder am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt. Gerade aufgrund ihres,<br />
von der weiblichen Normalbiographie abweichenden Le<strong>be</strong>nsentwurfes, in dem<br />
Partnerschaft oder Ehe als Reproduktionsweg im Regelfall ausgeschlossen<br />
scheinen, konzentrieren sich Frauen mit Behinderung auf eine sinnstiftende<br />
Beschäftigung. Dem gegenü<strong>be</strong>r steht die geschlechtsspezifische Segmentierung des<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarktes ins<strong>be</strong>sondere im Bereich der Ar<strong>be</strong>itsmöglichkeiten für Frauen mit<br />
Behinderung. Dazu kommt, dass Frauen mit Behinderung in Beschäftigungen und<br />
Tätigkeits<strong>be</strong>reichen sind, die in sich selbst <strong>be</strong>reits gesellschaftlich abgewertet sind.<br />
Die Bewältigungsstrategien der Frauen sehen so aus, dass sie entweder resignieren<br />
und mit der Zeit derartige Bedingungen akzeptieren, oder in Eigenregie in immer<br />
wieder neue Beschäftigungsverhältnisse eindringen. Die erfolgt wiederholt zu ähnlich<br />
entwertenden Bedingungen.<br />
Eigene Bedürfnisse werden hinten angestellt, aus Angst, auch diese Beschäftigung<br />
zu verlieren, aus nicht vorhandener Situationsreflexion, aus Angepasstheit oder aus<br />
179
dem sozialisations<strong>be</strong>dingten Unvermögen Bedürfnisse wahrzunehmen, sie in einem<br />
nächsten Schritt zu artikulieren und infolge Veränderungen einzufordern.<br />
Im Bild der Öffentlichkeit ha<strong>be</strong>n Frauen mit Behinderung zudem keinen Platz. Als<br />
Ar<strong>be</strong>itskraft werden sie nur partiell, als Frauen gar nicht wahrgenommen.<br />
Das Modellprojekt verfolgt folgendes Ziel: Frauen mit Behinderung sollen in<br />
gegenseitiger Bestärkung <strong>be</strong>fähigt werden, Bedürfnisse zu erkennen,<br />
Handlungskompetenzen zu entwickeln und Selbst<strong>be</strong>wusstsein zu erlangen. Ü<strong>be</strong>r das<br />
Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten und Grenzen entsteht ein veränderter Blick auf<br />
Berufswahl und Berufssituationen. Jene, die wissen was und wie sie es wollen,<br />
sprich, ihre Entscheidungen <strong>be</strong>wusst treffen, stehen längerfristig hinter ihrer<br />
Berufsentscheidung. Im Sinne einer Frau mit Behinderung, die davor steht, sich für<br />
einen Beruf zu entscheiden, könnte dies <strong>be</strong>deuten, dass sie die Entscheidung<br />
<strong>be</strong>wusst und ü<strong>be</strong>rlegt trifft, sich an ihren Ressourcen und Fähigkeiten orientiert und<br />
damit auch mit der getroffenen Wahl identifizieren und im positivsten Falle langfristig<br />
dahinter stehen kann.<br />
Die Maßnahmen des Modellprojekts umfassen vier E<strong>be</strong>nen:<br />
• E<strong>be</strong>ne der Frauen mit Behinderung<br />
• E<strong>be</strong>ne der Organisationen im Behinderten<strong>be</strong>reich<br />
• E<strong>be</strong>ne der Unternehmen<br />
• E<strong>be</strong>ne der Öffentlichkeit<br />
Maßnahmen für und mit Frauen mit Behinderung erfolgen in drei Bereichen:<br />
• Frauengruppen: „Ich, mein Beruf und du!“<br />
In einem ersten Schritt ist es Ziel, regionale Frauengruppen für Frauen mit<br />
Behinderung anzubieten. Frauengruppen als Austauschplattform bieten das<br />
Erkennen und Stärken eigener Fähigkeiten. Die <strong>be</strong>rufliche und private<br />
Umsetzung dieser entsteht in Folge. Ü<strong>be</strong>r die regionale Verankerung der<br />
Frauengruppen schaffen sich Frauen mit Behinderung öffentlich Stimme.<br />
180
• Frauen<strong>be</strong>ratung<br />
Beratung <strong>be</strong>deutet im Bereich der Behindertenhilfe oft institutionsinterne<br />
Beratung für Frauen und Männer. Externe Beratungseinrichtungen in der<br />
Behindertenar<strong>be</strong>it sind rar, frauenspezifische Beratungseinrichtungen sind<br />
zum Großteil nicht barrierefrei, ha<strong>be</strong>n <strong>be</strong>hinderte Frauen bisher nicht als<br />
Zielgruppe und sind regional nicht verankert. Gerade für Frauen mit<br />
Behinderung, die ü<strong>be</strong>r geringes Einkommen verfügen und mit<br />
Mobilitätseinschränkungen konfrontiert sind, ist es oft nicht möglich eine<br />
frauenspezifische Beratung in Anspruch zu nehmen. Dem soll durch das<br />
Einrichten einer frauenspezifischen Einzel<strong>be</strong>ratung in den Bezirken Leibnitz<br />
und Radkersburg entgegengewirkt werden, die somit zur Stärkung und<br />
Unterstützung von Frauen mit Behinderung <strong>be</strong>iträgt.<br />
• Ausbildung von Frauen mit Behinderung zu Trainerinnen und<br />
Beraterinnen<br />
Frauen mit Behinderung ha<strong>be</strong>n derzeit wenige Möglichkeiten als Beraterinnen<br />
oder Trainerinnen tätig zu werden. Dem geht eine fehlende Ausbildung von<br />
Frauen mit Behinderung im Beratungs- und Trainings<strong>be</strong>reich voraus. Ziel ist<br />
das konzeptionelle Entwickeln eines Fortbildungsangebotes für Frauen mit<br />
Behinderung, welches sowohl <strong>be</strong>hindertenspezifisches als auch<br />
geschlechtsspezifisches Ar<strong>be</strong>iten integriert und zusammenführt. In einem<br />
weiteren Schritt soll ein Ausbildungslehrgang für Frauen mit Behinderung zu<br />
Trainerinnen/Beraterinnen angeboten werden. Die ausgebildeten<br />
Trainerinnen/Beraterinnen werden <strong>be</strong>fähigt, Frauen<strong>be</strong>ratung durchzuführen<br />
und anzubieten bzw. selbst Frauengruppen zu leiten. Auf diese Weise wird<br />
Frauen mit Behinderung langfristig ein innovativer und sinnstiftender Weg der<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarktintegration ermöglicht.<br />
Auf der E<strong>be</strong>ne der Organisationen wird das Implementieren von <strong>gender</strong><br />
mainstreaming in jenen Behinderteneinrichtungen, die in den Bezirken Leibnitz und<br />
Radkersburg tätig sind, angestrebt.<br />
181
Um auf E<strong>be</strong>ne der Unternehmen eine Sensibilisierung für die <strong>gender</strong> - Perspektive<br />
zu erlangen, werden die Mitar<strong>be</strong>iterInnen der Joballianz und Ar<strong>be</strong>itsassistenz für das<br />
Konzept des <strong>gender</strong> mainstreaming sensibilisiert und ge<strong>be</strong>n dies an<br />
UnternehmerInnen weiter.<br />
In allen Bereichen erfolgt eine wissenschaftliche Begleitung und Dokumentation.<br />
5.2 Die Forschungsstudie<br />
Be <strong>gender</strong> hat gezeigt, wie wichtig es im Sinne genereller Datenerhebung,<br />
Bestandsaufnahmen sowie fol<strong>gender</strong> Projektentwicklungen und –durchführungen ist,<br />
dem aktuellen Forschungsdefizit im Bereich der Frauen und Männer mit Behinderung<br />
entgegenzutreten. Mit <strong>be</strong> <strong>gender</strong> konnte eine Ersterhebung in der Steiermark<br />
stattfinden. Das Aufzeigen genereller Trends und Tendenzen sowie inhaltlicher<br />
Aussagen ist möglich geworden. Im Zuge einer steiermarkweiten qualitativen Studie<br />
war es nicht Ziel, repräsentative bzw. regionale Aussagen treffen zu können. In<br />
Ergänzung zu dem aus <strong>be</strong> <strong>gender</strong> entstandenen Umsetzungsmodell wird es nun<br />
nötig, qualitativ in die Tiefe zu gehen, bzw. sich mit quantitativen Erhebungen zu<br />
<strong>be</strong>fassen.<br />
Es gibt in Österreich bisher keine Daten ü<strong>be</strong>r die Anzahl von Frauen und Männern<br />
mit Behinderung. Vorhandene Zahlen sind auf Schätzungen zurückzuführen. So<br />
stammen die gültigen Daten zu der Anzahl körperlich <strong>be</strong>einträchtigter Personen in<br />
Österreich aus der Mikrozensuserhebung und enthalten die subjektive Einschätzung<br />
der Bevölkerung zu der Anzahl körperlich <strong>be</strong>einträchtigter Personen. 52<br />
Geschlechtsspezifische Erhebungen sind nicht vorhanden.<br />
Allgemein erfasst ist die Aus<strong>be</strong>zahlung von Fördermittel und -gelder an Frauen und<br />
Männer mit Behinderung. Fördermittel werden von den verschiedensten Stellen, wie<br />
Land, Bundessozialamt, AMS etc. aus<strong>be</strong>zahlt. Eine Person kann hier<strong>be</strong>i Gelder von<br />
zwei oder mehreren der genannten Stellen erhalten. Es kommt demnach zu<br />
Ü<strong>be</strong>rschneidungen. Damit ist es ausgehend von den Zahlen der Leistungsträger<br />
52 Vgl. Bericht der Bundesregierung ü<strong>be</strong>r die Lage der <strong>be</strong>hinderten Menschen in Österreich, 2003.<br />
182
nicht möglich, eine Aussage ü<strong>be</strong>r die Anzahl von Frauen und Männern mit<br />
Behinderung treffen zu können.<br />
Ziel der Forschungsstudie ist es, dem aktuellen/regionalen Forschungsdefizit<br />
entgegenzutreten und Mädchen und Frauen mit Behinderung aus den Regionen<br />
Leibnitz/Radkersburg als ExpertInnen in eigener Sache zu <strong>be</strong>fragen. Eine<br />
repräsentative Forschung soll Licht in die <strong>be</strong>rufliche Situation und das <strong>be</strong>rufliche<br />
Erle<strong>be</strong>n von Frauen mit Behinderung bringen und infolge die schrittweise,<br />
geschlechtsspezifische Integration von Frauen mit Behinderung am ersten<br />
Ar<strong>be</strong>itsmarkt unterstützen, bzw. Grundlage für weitere Maßnahmenentwicklungen<br />
sein. Denn: Die gewonnenen Aussagen stehen stellvertretend für in Österreich<br />
le<strong>be</strong>nde Frauen mit Behinderung.<br />
Das ergänzende Forschungsprojekt erhebt qualitativ und quantitativ einen<br />
repräsentativen Anteil der Frauen mit Behinderung in einer ausgewählten Region. Im<br />
Bereich der Forschung ist die Durchführung einer Erhebung der Grundgesamtheit<br />
der Frauen und Männer mit Behinderung in der Region geplant. Die Ergebnisse<br />
dieser Erhebung <strong>be</strong>stimmen die Anzahl der auf qualitativem Wege zu interviewenden<br />
Frauen und sind gleichzeitig Grundlage für die mögliche Durchführung einer<br />
quantitativen Studie.<br />
So kann exemplarisch in einer ländlichen Modellregion Forschung mit Umsetzung<br />
verbunden werden, um eine Datenbasis zu ha<strong>be</strong>n, um den Anliegen von <strong>be</strong>hinderten<br />
Frauen <strong>be</strong>dürfnisgerecht nachzugehen, Einrichtungen und Unternehmen zu<br />
sensibilisieren und die Öffentlichkeit zu informieren.<br />
183
6 Literaturverzeichnis<br />
Baacke, Dieter; Schulze, Theodor (Hrsg.): Geschichten lernen. Zur Einübung<br />
pädagogischen Verstehens. Juventa Verlag, München 1979.<br />
Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am<br />
Main 1986.<br />
Breiter, Marion: Projekt VITA. Erkundungsstudie zur <strong>be</strong>ruflichen Le<strong>be</strong>nssituation von<br />
gehörlosen Frauen im Raum Wien und Umgebung. Wien, NÖ, Burgenland, 2002.<br />
Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz<br />
(Hrsg.): Bericht der Bundesregierung ü<strong>be</strong>r die Lage der <strong>be</strong>hinderten Menschen in<br />
Österreich. Wien 2003.<br />
Ewinkel, Carola; Hermes, Gisela: Geschlecht <strong>be</strong>hindert – <strong>be</strong>sonderes Merkmal Frau.<br />
Ein Buch von <strong>be</strong>hinderten Frauen. AG SPAK, Neu-Ulm 2002.<br />
Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von Keupp, Heiner; Rosenstiel, Lutz von; Wolff, Stephan<br />
(Hrsg.): Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden<br />
und Anwendungen. München 1991.<br />
Götzinger, Kornelia; Haider, Monika u. a.: Frau sein - barrierefrei. Wien: 2004.<br />
Jakomini, Sandra: Frauen im Tunnelbau. Analyse der Ursachen ihrer<br />
Unterrepräsentanz und Konzeptionen einer praxisgeleiteten Weiterbildung zur<br />
tiefbautechnischen Berufsentwicklung. <strong>Graz</strong> 2003.<br />
Imrie Rob: Demystifiying disability: a review of the International Classification of<br />
Functioning, Disability and Health. In: Socilogy of Health & Illness. 26/3, 2004. S. 287<br />
– 305.<br />
König, Renate (Hrsg in ): Das Interview. Formen – Technik – Auswertung. Köln, 7.<br />
Aufl., 1972.<br />
184
Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Methoden und Techniken. Band 2.<br />
München 1989.<br />
Pieper, Maria: „Seit Geburt körper<strong>be</strong>hindert…“ Behinderung als kontinuierliche<br />
le<strong>be</strong>nsgeschichtliche Erfahrung aus der Sicht Betroffener und deren Familien.<br />
Deutscher Studien Verlag, Weinheim 1993.<br />
Rásky, Éva; Groth, Sylvia: Das Frauengesundheitsprogramm <strong>Graz</strong>. Gender Health<br />
Audit in sechs <strong>Graz</strong>er Betrie<strong>be</strong>n. Linz 2003.<br />
Schütze, Fritz: Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien I, Studienbrief der<br />
Fernuniversität Hagen, 1987.<br />
Sigot, Marion: Die Le<strong>be</strong>nssituation von Frauen mit geistiger Behinderung. Klagenfurt,<br />
2003.<br />
Witt-Löw Kerstin, Breiter, Marion: „PERSPEKTIVA - eine Erkundungsstudie zur<br />
Le<strong>be</strong>ns- und Berufssituation blinder und hochgradig seh<strong>be</strong>hinderter Frauen in Wien“.<br />
Wien, NÖ, Burgenland, 2004.<br />
Bericht der Bundesregierung ü<strong>be</strong>r die Lage der <strong>be</strong>hinderten Menschen in Österreich.<br />
Wien 2003.<br />
gem.or.at<br />
www.ar<strong>be</strong>it-wirtschaft.at/aw_02_2001/art4.htm<br />
www.dimidi.de<br />
www.fgoe.org/Ottawa-Charta.pdf<br />
185
7 Anhang<br />
7.1 Stammdatenblatt<br />
Geschlecht Weiblich<br />
Männlich<br />
Alter 15 bis 20 Jahre<br />
21 bis 30 Jahre<br />
31 bis 40 Jahre<br />
Ab 40 Jahre<br />
Alter genau<br />
Familienstand ledig<br />
verheiratet<br />
Kinder Ja Wie viele<br />
nein Wie alt<br />
Schulform Volksschule<br />
Hauptschule<br />
Sonderschule<br />
Integrationsklasse<br />
Ausbildung –<br />
höchster<br />
Abschluss<br />
Hauptschule<br />
Sonderschule<br />
Teilqualifizierung<br />
Lehre<br />
Ar<strong>be</strong>it Ja<br />
Nein/ar<strong>be</strong>itslos<br />
Wo<br />
Was<br />
Werkstätte<br />
2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
Ausbildungsplatz<br />
Art der<br />
Chronische<br />
Behinderung Erkrankungen<br />
Körperliche<br />
Beeinträchtigungen<br />
Sinnes<strong>be</strong>hinderung<br />
en<br />
Psychische<br />
Problematik mit<br />
multiplen<br />
körperlichen<br />
Beschwerden<br />
Lernschwierigkeiten<br />
Behindertenstatus Landes<strong>be</strong>hinderten<br />
gesetz<br />
Begünstigte<br />
Behinderte<br />
Begünstigbar<br />
186
Alter <strong>be</strong>i Eintritt<br />
der Behinderung<br />
Region <strong>Graz</strong><br />
Steiermark nord<br />
Steiermark ost<br />
Steiermark west<br />
Steiermark süd<br />
Größe des<br />
Wohnortes<br />
Wohnsituation Privat Allein<br />
Mit Partner/in Mit Kind(ern)<br />
Mit Angehörigen Mutter<br />
Vater<br />
Geschwister<br />
Großeltern<br />
Sonstige<br />
Finanzielle<br />
Situation<br />
Institution Heim Gemischt<br />
Nicht gemischt<br />
Dauerunterbringung<br />
Trainingswohnung Wie groß<br />
Gemischt<br />
Nicht-Gemischt<br />
Wohn-Assistenz Allein<br />
WG<br />
Ausmaß<br />
(Stunden/Woche<br />
)<br />
Sonstige<br />
Lohn (monatlich) Bis € 50.-<br />
Bis € 100.-<br />
Bis € 200.-<br />
Bis € 1000.-<br />
Mehr<br />
Sonstiges Pension Wie viel?<br />
Taschengeld Wie viel?<br />
....... Wie viel?<br />
....... Wie viel?<br />
187
7.2 Ablauf<strong>be</strong>schreibung des narrativen Interviews:<br />
Vorgespräch (ohne Tonbandaufnahme)<br />
1) Vorstellen meiner Person: - privat (Alter, Familie, Wohnort, Was mich<br />
interessiert)<br />
2) Vorstellen des Projektes:<br />
Warum machen wir dieses Projekt?<br />
Was soll da<strong>be</strong>i herauskommen?<br />
- <strong>be</strong>ruflich (Was ich im <strong>Frauengesundheitszentrum</strong> mache)<br />
Wir wollen herausfinden, wie es Frauen und Männer mit Behinderung in ihrem<br />
Berufsle<strong>be</strong>n geht, welche Erfahrung mit Ausbildung sie gemacht ha<strong>be</strong>n,<br />
welche Ar<strong>be</strong>it sie machen, wie es ihnen gefällt und welche Wünsche sie<br />
ha<strong>be</strong>n.<br />
Dazu <strong>be</strong>fragen wir 12 Frauen und 8 Männer. Ihre Erzählungen nehmen wir auf<br />
Band auf. Das wird dann abgeschrie<strong>be</strong>n und aus allen zusammen wird dann<br />
ein kleines Heft gemacht.<br />
Die Ergebnisse werden im Rahmen einer großen Veranstaltung vorgestellt.<br />
3) Beschreibung des Interviews:<br />
Wie soll das Interview konkret ablaufen?<br />
Ich werde Ihnen nacheinander drei Fragen stellen und Sie erzählen mir alles,<br />
was Ihnen dazu einfällt. Also zuerst stelle ich eine Frage. Lassen Sie sich <strong>be</strong>i<br />
der Beantwortung soviel Zeit wie Sie brauchen. Erst wenn Ihnen nichts mehr<br />
einfällt, werde ich die nächste Frage stellen. Und dann, wenn Sie fertig sind,<br />
die dritte.<br />
Nach jeder Frage gibt es die Möglichkeit, eine Pause zu machen. Da<strong>be</strong>i wird<br />
dann das Tonband abgeschaltet.<br />
Die drei Fragen sind:<br />
<strong>be</strong>antwortet):<br />
1) Erzählen Sie mir bitte aus Ihrem jetzigen Le<strong>be</strong>n<br />
Nachfrage (wenn nicht von vorneherein<br />
188
eantwortet):<br />
4) Beginn des Interviews<br />
Erzählen Sie mir noch etwas von ihrer<br />
jetzigen Ar<strong>be</strong>it<br />
2) Erzählen Sie mir bitte aus Ihrem früheren Le<strong>be</strong>n<br />
Nachfrage (wenn nicht von vorneherein<br />
Erzählen Sie mir noch etwas von ihrer<br />
früheren Ar<strong>be</strong>it<br />
3) Was wünschen Sie sich für die Zukunft?<br />
Ich möchte jetzt mit dem Interview <strong>be</strong>ginnen. Sind Sie <strong>be</strong>reit dafür? Ich nehme<br />
das Gespräch ab jetzt mit dem Band auf. Wenn sie wollen kann Ihr Name<br />
genannt werden, wenn nicht, dann bleibt er anonym und auch das Band wird<br />
nach dem Abschrei<strong>be</strong>n vernichtet.<br />
DAS INTERVIEW (Tonbandaufnahme)<br />
Nach dem Interview (ohne Tonbandaufnahme)<br />
1) Nach Beendigung des Gespräches hinterlasse ich meine Telefonnummer, falls<br />
noch Fragen auftauchen.<br />
2) Das fertig transkribierte Interview wird der Frau/dem Mann zugesandt.<br />
Gleichzeitig wird nachgefragt, ob sie/er <strong>be</strong>reit für ein Foto oder für die Beteiligung<br />
an der Präsentation im Jänner ist.<br />
189
7.3 Interviewleitfaden zu den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />
Ar<strong>be</strong>itsalltag<br />
Fragen an die Frauen mit Behinderung<br />
Denken Sie bitte an einen Ar<strong>be</strong>itstag von Ihnen...<br />
Was machen Sie jeden Tag in der Ar<strong>be</strong>it?<br />
Was machen Sie in der Früh/zu Mittag/am Nachmittag?<br />
Ist das jeden Tag gleich?<br />
Was macht Ihnen Spaß?<br />
Was ist schwierig für Sie?<br />
Befindlichkeit<br />
Wie geht es Ihnen <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it?<br />
Was freut Sie an der Ar<strong>be</strong>it?<br />
Was stresst Sie?<br />
Was macht Ihnen Druck? Was ist zuviel für Sie?<br />
Team<br />
Ich möchte mit Ihnen auch ü<strong>be</strong>r die Zusammenar<strong>be</strong>it mit den anderen sprechen...<br />
Mit wem ar<strong>be</strong>iten Sie zusammen?<br />
Wer sind die Leute, mit denen Sie zusammenar<strong>be</strong>iten?<br />
Wie sieht die Zusammenar<strong>be</strong>it aus?<br />
Was tun Sie mit den anderen?<br />
Wenn Sie zurückdenken - Wie ha<strong>be</strong>n Sie die Aufnahme im Team/<strong>be</strong>i den<br />
Kolleginnen und Kollegen erlebt?<br />
Wenn Sie zurückdenken, an die Zeit, als Sie <strong>be</strong>i XY angefangen ha<strong>be</strong>n... - Wie war<br />
es, als Sie angefangen ha<strong>be</strong>n mit den Kollegen und Kolleginnen zusammen zu<br />
ar<strong>be</strong>iten?<br />
Wie gefällt es Ihnen jetzt im Team/mit den anderen?<br />
Was würden Sie ver<strong>be</strong>ssern?<br />
Was hätten Sie gerne anders?<br />
Fühlen Sie sich <strong>be</strong>nachteiligt?<br />
Werden Sie anders <strong>be</strong>handelt als die anderen?<br />
Verbringen Sie mit Kolleginnen oder Kollegen gemeinsam die Freizeit?<br />
Sind Sie auch nach der Ar<strong>be</strong>it mit Kolleginnen oder Kollegen zusammen?<br />
190
Einkommen<br />
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Einkommen?<br />
Sind Sie zufrieden mit dem Geld, das Sie verdienen? (Reicht das Geld?)<br />
Einstieg<br />
Denken Sie bitte zurück, als Sie hier <strong>be</strong>gonnen ha<strong>be</strong>n...<br />
Denken Sie bitte zurück, als Sie <strong>be</strong>i ... <strong>be</strong>gonnen ha<strong>be</strong>n.<br />
Seit wann ar<strong>be</strong>iten Sie da?<br />
Wann ha<strong>be</strong>n Sie da angefangen?<br />
Wie war es, als Sie angefangen ha<strong>be</strong>n, da zu ar<strong>be</strong>iten?<br />
Worauf ha<strong>be</strong>n Sie sich gefreut?<br />
Wovor ha<strong>be</strong>n Sie Angst gehabt?<br />
Welchen Unterschied gibt es zwischen damals und jetzt?<br />
Was ist anders geworden?<br />
Berufswahl<br />
Mich interessiert, wie Sie zu Ihrem Beruf gekommen sind... Wie es war, als Sie einen<br />
Beruf gesucht ha<strong>be</strong>n...<br />
Was ha<strong>be</strong>n Sie gemacht, <strong>be</strong>vor Sie hier <strong>be</strong>gonnen ha<strong>be</strong>n?<br />
Wie war das, <strong>be</strong>vor Sie hier gear<strong>be</strong>itet ha<strong>be</strong>n – was ha<strong>be</strong>n Sie gemacht?<br />
Wie sind Sie in diesen Beruf gekommen?<br />
Wer war für Ihre Berufswahl ausschlagend?<br />
Mit wem ha<strong>be</strong>n Sie darü<strong>be</strong>r gesprochen, welchen Beruf Sie ha<strong>be</strong>n wollen? Was hat<br />
er/sie gesagt?<br />
Welche Berufswünsche hatten Sie als Jugendliche?<br />
Warum ha<strong>be</strong>n sich Ihre Berufswünsche nicht erfüllt?<br />
Warum ar<strong>be</strong>iten Sie nicht in Ihrem Traum<strong>be</strong>ruf?<br />
Welche Ausbildungen waren für diesen Job notwendig?<br />
Was ha<strong>be</strong>n Sie für den Job lernen müssen?<br />
Wie sind Sie in diesen Betrieb gekommen?<br />
Unterstützung<br />
Als nächstes ha<strong>be</strong> ich einige Fragen zur Unterstützung, die sie vielleicht <strong>be</strong>nötigen...<br />
Benötigen Sie am Ar<strong>be</strong>itsplatz Hilfe/Unterstützung?<br />
Welche Hilfe hat es <strong>be</strong>im Einstieg im Betrieb gege<strong>be</strong>n?<br />
Welche Hilfe hat es im Betrieb gege<strong>be</strong>n, als Sie <strong>be</strong>i XY angefangen ha<strong>be</strong>n?<br />
Welche Unterstützung hat es <strong>be</strong>im Einstieg aus dem privaten Bereich<br />
gege<strong>be</strong>n?<br />
191
Welche Unterstützung hat es von zu Hause/von Ihren Eltern/im Wohnheim gege<strong>be</strong>n,<br />
als Sie hier angefangen ha<strong>be</strong>n?<br />
Welche laufende Unterstützung gibt es?<br />
Welche Hilfe gibt es jetzt?<br />
Sind Sie mit der Unterstützung zufrieden?<br />
Fehlt Ihnen noch Hilfe/Unterstützung?<br />
Bräuchten Sie noch mehr Hilfe?<br />
Einschränkung<br />
In diesem Zusammenhang möchte ich mit Ihnen ü<strong>be</strong>r Ihre Einschränkung sprechen...<br />
Welche Einschränkung ha<strong>be</strong>n Sie?<br />
Was können Sie aufgrund Ihrer Einschränkung <strong>be</strong>sonders gut?<br />
Wo leiden Sie darunter, dass Sie diese Einschränkung ha<strong>be</strong>n?<br />
Stellenwert von Ar<strong>be</strong>it<br />
Wenn Sie an Ihr Le<strong>be</strong>n, ans Private, die Ar<strong>be</strong>it denken...<br />
Wie wichtig ist Ar<strong>be</strong>it für Sie?<br />
Berufliche Zukunft<br />
Wenn Sie an die Zukunft denken...<br />
Möchten Sie weiter hier ar<strong>be</strong>iten? Möchten Sie etwas anderes machen?<br />
Privates<br />
Welche Auswirkungen hat die Ar<strong>be</strong>it auf Ihr Privatle<strong>be</strong>n...<br />
Was hat sich in Ihrem Privatle<strong>be</strong>n durch den Job verändert?<br />
Was hat sich zu Hause/in der Familie durch den Job verändert?<br />
Wie gut lassen sich Beruf und Privates vereinbaren?<br />
Tipps für Frauen mit Behinderung/Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
Aufgrund dieser Studie werden Angebote für Frauen mit Behinderung erar<strong>be</strong>itet...<br />
Was würden Sie Frauen mit Behinderung für ihre Berufstätigkeit raten?<br />
Welche Veränderungen am Ar<strong>be</strong>itsmarkt halten Sie für Frauen mit Behinderung<br />
für wichtig?<br />
192
Was würden Sie verändern, damit Frauen mit Behinderung leichter ar<strong>be</strong>iten (gehen)<br />
können?<br />
Wünsche/Zukunft<br />
Abschließend zur Ihren Wünschen...<br />
Was wünschen Sie sich für die Zukunft – in der Ar<strong>be</strong>it?<br />
Was wünschen Sie sich für die Zukunft – privat/zu Hause/im Wohnheim?<br />
193
Fragen an das Unternehmen<br />
Motivation/Nutzen<br />
Was war Ihre Motivation, eine Frau mit Behinderung einzustellen?<br />
Welchen Vorteil hat Ihr Unternehmen, wenn es Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung<br />
einstellt?<br />
Unterstützung<br />
Welche Unterstützungsangebote wurden bzw. werden von Ihrem Unternehmen in<br />
Anspruch genommen?<br />
Wie zufrieden sind Sie mit den Unterstützungsangeboten?<br />
Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />
Welche speziellen Veränderungen waren für den Ar<strong>be</strong>itsplatz von Frau A notwendig?<br />
Gibt es Anpassungen, die noch sinnvoll wären?<br />
Erwartungen und Befürchtungen<br />
Welche Erwartungen hatten Sie vor dem Eintritt von Frau A?<br />
Welche Befürchtungen hatten Sie vor dem Eintritt von Frau A?<br />
Was hat sich <strong>be</strong>wahrheitet?<br />
Veränderungen durch den Eintritt der Frau mit Behinderung<br />
Was hat sich in Ihrem Unternehmen durch den Eintritt von Frau A geändert?<br />
Vor<strong>be</strong>reitung<br />
Wie ha<strong>be</strong>n Sie sich persönlich auf den Eintritt einer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />
vor<strong>be</strong>reitet?<br />
Wie ha<strong>be</strong>n Sie die Mitar<strong>be</strong>iter und Mitar<strong>be</strong>iterInnen vor<strong>be</strong>reitet?<br />
Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
Welche Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge ha<strong>be</strong>n Sie für die Beschäftigung von<br />
Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung?<br />
194
Fragen an Kollegin<br />
Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>reich<br />
In welchen Bereichen ar<strong>be</strong>iten Sie mit Frau A zusammen?<br />
Wie ist die Ar<strong>be</strong>it zwischen Ihnen aufgeteilt?<br />
Sind Sie damit zufrieden?<br />
Vor<strong>be</strong>reitung<br />
Wie wurden Sie vom Betrieb darauf vor<strong>be</strong>reitet, dass Sie ein Kollegin mit<br />
Behinderung ha<strong>be</strong>n werden?<br />
Wie zufrieden waren Sie mit dieser Vor<strong>be</strong>reitung?<br />
Wie ha<strong>be</strong>n Sie sich persönlich darauf vor<strong>be</strong>reitet?<br />
Was hätte man anders machen können?<br />
Was hätten Sie sich gewünscht?<br />
Erwartungen und Befürchtungen<br />
Welche Erwartungen hatten Sie für die Zusammenar<strong>be</strong>it mit Frau A?<br />
Welche Befürchtungen hatten Sie für die Zusammenar<strong>be</strong>it Frau A?<br />
Was hat sich <strong>be</strong>wahrheitet?<br />
Veränderungen durch den Eintritt der Frau mit Behinderung<br />
Was hat sich durch den Eintritt von Frau A geändert?<br />
Wünsche/Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge<br />
Welche Wünsche ha<strong>be</strong>n Sie an die weitere Zusammenar<strong>be</strong>it mit Frau A?<br />
Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />
Welche Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge ha<strong>be</strong>n Sie für die Beschäftigung mit<br />
Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung?<br />
195
7.4 Firmenfragebogen zu Frauenförderung und Förderung von<br />
Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung + Auswertung<br />
Frauenförderung<br />
1. Ist es Ihrem Unternehmen ein Anliegen, Frauen <strong>be</strong>sonders zu fördern?<br />
ja 7<br />
nein 1<br />
2. Werden in Stellenausschreibungen speziell Frauen und Mädchen<br />
angesprochen?<br />
ja 2<br />
nein 6<br />
3. Werden Betreuungspflichten von Frauen und Männern <strong>be</strong>rücksichtigt?<br />
ja 6<br />
nein 2<br />
4. Gibt es <strong>be</strong>triebliche<br />
Kinder<strong>be</strong>treuungseinrichtungen?<br />
ja 1<br />
nein 7<br />
5. Gibt es die Möglichkeit, dass Frauen und Männer Vorschläge und Kritik<br />
hinsichtlich der Chancengleichheit einbringen<br />
können?<br />
ja 8<br />
nein 0<br />
der Chancengleichheit von Frauen und Männern ein<strong>be</strong>zogen?<br />
ja 2<br />
nein 3<br />
ja/nein 53 2<br />
keine Anga<strong>be</strong>n 54 1<br />
53 Hier wird der erste Teil der Frage <strong>be</strong>jaht, der zweite verneint.<br />
54 Ein Unternehmen ist in Punkt Chancengleichheit um eine sehr differenzierte Sichtweise <strong>be</strong>müht und<br />
wollte daher keine Anga<strong>be</strong>n zu diesen Fragen machen.<br />
196
Förderung von Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung<br />
1. Ist es Ihrem Unternehmen ein Anliegen, Menschen mit Behinderung <strong>be</strong>sonders zu fördern?<br />
Ja 7<br />
Nein 1<br />
2. Werden in Stellenausschreibungen speziell Personen mit Behinderung angesprochen?<br />
Ja 0<br />
Nein 7<br />
keine Anga<strong>be</strong>n 1<br />
3. Gibt es die Möglichkeit, dass Personen mit Behinderung Vorschläge und Kritik<br />
hinsichtlich der Chancengleichheit einbringen können?<br />
Ja 8<br />
Nein 0<br />
4. Werden regelmäßig Mitar<strong>be</strong>iterInnen-Gespräche geführt und werden da<strong>be</strong>i auch systematisch Fragen<br />
der Chancengleichheit von Personen mit und Personen ohne Behinderung ein<strong>be</strong>zogen?<br />
Ja 2<br />
Nein 2<br />
ja/nein 3<br />
keine Anga<strong>be</strong>n 1<br />
197
8 Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1: Regionale Verteilung der Interviews.....................................................21<br />
Abbildung 2: Altersstruktur der InterviewpartnerInnen..............................................22<br />
Abbildung 3: Le<strong>be</strong>nssituation der Frauen und Männer mit Behinderung..................23<br />
Abbildung 4: Frauen nach Arten der Behinderung....................................................24<br />
Abbildung 5: Männer nach Arten der Behinderung...................................................24<br />
Abbildung 6: Höchster Schulabschluss.....................................................................25<br />
Abbildung 7: Erwerbstätigkeit....................................................................................26<br />
Abbildung 8: Erwerbstätigkeit Verteilung Frauen - Männer.......................................27<br />
Abbildung 9: Frauen: Schulbildung und Erwerbstätigkeit..........................................28<br />
Abbildung 10: Männer: Schuldbildung und Erwerbstätigkeit.....................................28<br />
Abbildung 11: Einkommenssituation der Frauen und Männer mit Behinderung .......29<br />
Abbildung 12: Narrative Interviews – Regionale Verteilung der Interviews...............40<br />
Abbildung 13: Narrative Interviews – Frauen nach Arten der Behinderung ..............40<br />
Abbildung 14: Narrative Interviews – Männer nach Arten der Behinderung..............41<br />
Abbildung 15: Narrative Interviews - Altersstruktur...................................................41<br />
Abbildung 16: Narrative Interviews – Wohnsituation.................................................42<br />
Abbildung 17: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Regionale Verteilung der Interviews..............93<br />
Abbildung 18: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Altersstruktur.................................................94<br />
Abbildung 19: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Frauen nach Arten der Behinderung.............95<br />
Abbildung 20: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen: Höchster Schulabschluss................................96<br />
Abbildung 21: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen: Einkommenssituation......................................97<br />
198
9 Ta<strong>be</strong>llenverzeichnis<br />
Ta<strong>be</strong>lle 1: Schulbildung und Erwerbstätigkeit...........................................................27<br />
Ta<strong>be</strong>lle 2: Narrative Interviews - Kategorien.............................................................39<br />
Ta<strong>be</strong>lle 3: Vordergründiges Interesse der Frauen.....................................................48<br />
Ta<strong>be</strong>lle 4: Narrative Interviews – Vordergründiges Interesse der Männer................49<br />
Ta<strong>be</strong>lle 5: Narrative Interviews - Berufliche Situation - Frauen.................................51<br />
Ta<strong>be</strong>lle 6: Narrative Interviews - Berufliche Situation - Männer................................51<br />
Ta<strong>be</strong>lle 7: Narrative Interviews – Wohnsituation Frauen...........................................55<br />
Ta<strong>be</strong>lle 8: Narrative Interviews – Wohnsituation Männer..........................................56<br />
199