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4 be gender - Frauengesundheitszentrum Graz

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e <strong>gender</strong><br />

End<strong>be</strong>richt 2004<br />

Eine Untersuchung<br />

ü<strong>be</strong>r Frauen und Männer mit Behinderung und<br />

mit Frauen und Männer mit Behinderung


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Vorwort................................................................................................................3<br />

2 Einleitung.............................................................................................................4<br />

3 Hintergrund der Forschungsstudie.......................................................................5<br />

3.1 Ausgangssituation........................................................................................5<br />

3.2 Ziel..............................................................................................................11<br />

3.3 Inhaltliche Strukturierung der Studie...........................................................12<br />

3.4 Zeitliche Strukturierung der Studie..............................................................13<br />

4 <strong>be</strong> <strong>gender</strong>...........................................................................................................14<br />

4.1 Forschungsdesign......................................................................................14<br />

4.2 Methodischer Zugang.................................................................................17<br />

4.3 Statistische Anga<strong>be</strong>n zu den InterviewpartnerInnen...................................20<br />

4.4 Begriff der Behinderung..............................................................................30<br />

4.5 Narrative Interviews....................................................................................32<br />

4.5.1 Das Ziel...............................................................................................32<br />

4.5.2 Die Methode........................................................................................32<br />

4.5.3 Die Stichpro<strong>be</strong>.....................................................................................35<br />

4.5.4 Kontaktaufnahme................................................................................35<br />

4.5.5 Die Interviewsituation ..........................................................................36<br />

4.5.6 Die Transkription.................................................................................36<br />

4.5.7 Die Auswertung...................................................................................37<br />

4.5.8 Die Auswertung im Detail....................................................................40<br />

4.5.9 Gesamtinterpretation...........................................................................82<br />

4.6 Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen...................................................................................88<br />

4.6.1 Die Methode........................................................................................88<br />

4.6.2 Kontaktaufnahme................................................................................91<br />

4.6.3 Die Stichpro<strong>be</strong>.....................................................................................93<br />

4.6.4 Interviewsituation.................................................................................98<br />

4.6.5 Auswertung und Interpretation.............................................................99<br />

4.6.5.1 Vor<strong>be</strong>merkung..............................................................................99<br />

4.6.5.2 Strukturelle Analyse ...................................................................100<br />

4.6.5.2.1 Interviews mit Frauen mit Behinderung...................................100<br />

4.6.5.2.2 Interviews mit Kolleginnen......................................................127<br />

4.6.5.2.3 Interviews mit Leitung..............................................................141<br />

1


4.6.5.3 Analyse der Beziehungse<strong>be</strong>ne...................................................160<br />

4.6.5.4 Gesamtinterpretation..................................................................163<br />

4.7 LeiterInnengespräche...............................................................................167<br />

4.7.1 Das Ziel.............................................................................................167<br />

4.7.2 Die Methode......................................................................................167<br />

4.7.3 Ergebnisse.........................................................................................167<br />

4.8 Österreichisches Netzwerk für Frauen mit und ohne Behinderung...........174<br />

4.8.1 Das Ziel.............................................................................................174<br />

4.8.2 Ablauf und Ergebnisse der Treffen....................................................174<br />

4.9 Expertinnen<strong>be</strong>iräte + Treffen der InterviewpartnerInnen..........................176<br />

4.9.1 Ziel des ExpertInnen<strong>be</strong>iräte...............................................................176<br />

4.9.2 Ergebnisse.........................................................................................177<br />

4.9.3 Treffen der InterviewpartnerInnen.....................................................178<br />

5 Ausblick...........................................................................................................179<br />

5.1 Das Modellprojekt.....................................................................................179<br />

5.2 Die Forschungsstudie...............................................................................182<br />

6 Literaturverzeichnis..........................................................................................184<br />

7 Anhang............................................................................................................186<br />

7.1 Stammdatenblatt.......................................................................................186<br />

7.2 Ablauf<strong>be</strong>schreibung des narrativen Interviews:........................................188<br />

7.3 Interviewleitfaden zu den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen........................................190<br />

7.4 Firmenfragebogen zu Frauenförderung und Förderung von Mitar<strong>be</strong>iterInnen<br />

mit Behinderung + Auswertung...........................................................................196<br />

Frauenförderung.....................................................................................................196<br />

8 Abbildungsverzeichnis.....................................................................................198<br />

9 Ta<strong>be</strong>llenverzeichnis.........................................................................................199<br />

2


1 Vorwort<br />

An dieser Stelle möchten wir uns <strong>be</strong>im Bundessozialamt <strong>be</strong>danken, das durch<br />

finanzielle und inhaltliche Unterstützung die Studie <strong>be</strong> <strong>gender</strong> ermöglicht hat.<br />

Für die hilfreichen Anregungen danken wir auch den ExpertInnen aus Wissenschaft,<br />

Politik und Praxis, die uns in den Beiratssitzungen mit ihrem Wissen und ihrer<br />

Erfahrung unterstützten.<br />

Unser <strong>be</strong>sonderer Dank gilt allen InterviewpartnerInnen, die uns als ExpertInnen in<br />

eigener Sache Einblick in ihre Le<strong>be</strong>ns- und Ar<strong>be</strong>itssituation gewährt ha<strong>be</strong>n. Ein<br />

Danke auch an die Unternehmen, die aussagekräftig und offen an den<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen teilgenommen ha<strong>be</strong>n.<br />

3


2 Einleitung<br />

Be <strong>gender</strong> ist ein Forschungsprojekt, das vom Bundessozialamt in Auftrag gege<strong>be</strong>n<br />

wurde, mit dem Ziel die Situation von Frauen mit Männern mit Behinderung in der<br />

Steiermark zu erforschen. Der Forschungszeitraum erstreckte sich von Mai bis<br />

Dezem<strong>be</strong>r 2004.<br />

Die Ergebnisse der Studie wurden in einem Maßnahmenkatalog zusammengefasst,<br />

der dem Bundessozialamt ü<strong>be</strong>rmittelt wurde. Aufgrund des Katalogs wurden zwei<br />

weitergehende Projekte in Auftrag gege<strong>be</strong>n.<br />

Im Rahmen von <strong>be</strong> <strong>gender</strong> wurden ein Folder, ein Broschüre sowie eine Kurzfassung<br />

des End<strong>be</strong>richts in Leichter-Lesen-Form erstellt. Diese sind ü<strong>be</strong>r das<br />

<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> zu <strong>be</strong>ziehen.<br />

Die Leitung des Projekts oblag Frau Mag. a Sylvia Groth. Die Koordination des<br />

Forschungsprojekts wurde von Frau MMag. a Sandra Jakomini durchgeführt. Dr. in<br />

Brigitte Steingru<strong>be</strong>r und Mag. a Sonja Karel waren wissenschaftliche Mitar<strong>be</strong>iterinnen.<br />

4


3 Hintergrund der Forschungsstudie<br />

3.1 Ausgangssituation<br />

Die (Frauen-)gesundheitsforschung hebt die Tatsache der geschlechtsspezifischen<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatzdiskriminierung und ihrer Potenzierung innerhalb der Gruppe der<br />

Mädchen und Frauen mit Behinderung hervor. Sie weist nach, welche negativen<br />

Auswirkungen sie auf den Selbstwert und die Gesundheit von Mädchen und Frauen<br />

mit Behinderungen ha<strong>be</strong>n. Der Stellenwert <strong>be</strong>zahlter Erwerbsar<strong>be</strong>it wird in der<br />

Forschung immer wieder <strong>be</strong>tont: In der Ottawa Charta aus dem Jahr 1986 ist zu<br />

lesen: „Grundlegende Bedingungen und konstituierende Merkmale von Gesundheit<br />

sind (...) Bildung, (...), Einkommen, (...), soziale Gerechtigkeit und<br />

Chancengleichheit“. 1 Erwerbsar<strong>be</strong>it, sprich <strong>be</strong>zahlte Ar<strong>be</strong>it, hat demnach einen<br />

hohen Stellenwert <strong>be</strong>züglich der sozialen Integration einerseits und des Selbstwerts<br />

andererseits. Darü<strong>be</strong>r hinaus bietet Lohnar<strong>be</strong>it die Grundvoraussetzung für<br />

angemessene Wohn<strong>be</strong>dingungen und ein gesichertes Alter, was wiederum<br />

gesundheitskonstituierend ist.<br />

„Gesundheit wird von den Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und<br />

gelebt, dort, wo sie spielen, lernen, ar<strong>be</strong>iten und lie<strong>be</strong>n. Gesundheit entsteht<br />

dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in der Lage<br />

ist, sel<strong>be</strong>r Entscheidungen zu fällen und Kontrolle ü<strong>be</strong>r die eigenen Le<strong>be</strong>nsumstände<br />

auszuü<strong>be</strong>n sowie dadurch, dass die Gesellschaft in der man lebt, Bedingungen<br />

herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.“ 2<br />

Diesem Gedanken der Gesundheitsförderung folgend ist das Schaffen<br />

gesundheitsfördernder Le<strong>be</strong>nswelten das Schaffen von Le<strong>be</strong>ns- und<br />

Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>dingungen für Mädchen und Frauen mit Behinderung, die ihnen eine<br />

Erwerbstätigkeit in möglichst gesunden Bedingungen ermöglichen, eine<br />

gesellschaftliche Aufga<strong>be</strong>.<br />

1 www.fgoe.org/Ottawa-Charta.pdf<br />

2 Ebda.<br />

5


In Österreich <strong>be</strong>steht <strong>be</strong>züglich der Le<strong>be</strong>ns- und Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>dingungen von Mädchen<br />

und Frauen mit Behinderung in Österreich ein Forschungsdefizit, sowohl quantitative<br />

als auch qualitative Daten <strong>be</strong>treffend. Mädchen und Frauen mit Behinderung sind im<br />

Sinne des Empowerment nur in folgenden vier Studien nach ihren Le<strong>be</strong>ns- und<br />

Ar<strong>be</strong>itserfahrungen <strong>be</strong>fragt worden:<br />

• Sigot, Marion: Die Le<strong>be</strong>nssituation von Frauen mit geistiger Behinderung.<br />

Klagenfurt, 2003.<br />

• Breiter, Marion: Projekt VITA. Erkundungsstudie zur <strong>be</strong>ruflichen<br />

Le<strong>be</strong>nssituation von gehörlosen Frauen im Raum Wien und Umgebung. Wien,<br />

NÖ, Burgenland, 2002.<br />

• Witt-Löw Kerstin, Breiter, Marion: „PERSPEKTIVA - eine Erkundungsstudie<br />

zur Le<strong>be</strong>ns- und Berufssituation blinder und hochgradig seh<strong>be</strong>hinderter<br />

Frauen in Wien“. Wien, NÖ, Burgenland, 2004.<br />

• Götzinger, Kornelia, Haider, Monika u. a.: Frau sein - barrierefrei. Wien: 2004.<br />

Eine Analyse des <strong>Frauengesundheitszentrum</strong>s zu den steirischen<br />

Behindertenorganisationen im Jahr 2003 verstärkte das <strong>be</strong>schrie<strong>be</strong>ne Bild und<br />

zeigte, dass „sex und <strong>gender</strong>“ von Frauen und Männern mit Behinderung kein Thema<br />

ist. Weder in der öffentlichen Diskussion noch im Behindertenwesen werden Frauen<br />

und Männer mit Behinderung bisher geschlechtsspezifisch wahrgenommen.<br />

In einer Gesellschaft a<strong>be</strong>r, in der Frauen und Männer unterschiedliche Rollen und<br />

Positionen ha<strong>be</strong>n, gibt es keine „geschlechtsneutrale“ Perspektive. Gender<br />

mainstreaming integriert dem entgegen wirkend eine geschlechtssensible<br />

Perspektive in alle Politik<strong>be</strong>reiche und Maßnahmen. Dass heißt, dass Unterschiede<br />

zwischen den Geschlechtern immer <strong>be</strong>wusst <strong>be</strong>rücksichtigt und alle Vorha<strong>be</strong>n so<br />

gestaltet werden, dass sie einen Beitrag zur Förderung der Chancengleichheit<br />

leisten. 3<br />

Aus diesem Grund hat das Bundessozialamt Steiermark das<br />

<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> mit der Projektentwicklung „<strong>gender</strong> mainstreaming und<br />

Behinderung“ <strong>be</strong>auftragt.<br />

3 Vgl. http://gem.or.at<br />

6


Im Vorfeld zu <strong>be</strong> <strong>gender</strong> stand eine quantitative Datenanalyse, die vom<br />

<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> in <strong>Graz</strong> durchgeführt wurde und deren Ziel es war, die<br />

geschlechtsspezifische Aufteilung in laufenden Integrations- und<br />

Unterstützungsprojekten sowie den Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekten zu<br />

erhe<strong>be</strong>n. Anschließend an die Datenanalyse wurden qualitative<br />

ExpertInnengespräche geführt, mit dem Ziel einer Bestandsaufnahme und<br />

Bedarfserhebung für ein <strong>gender</strong> mainstreaming-Projekt. Parallel zur Strukturanalyse<br />

fand eine inhaltliche Analyse statt, welche die Seite der Frauen mit Behinderung ins<br />

Zentrum stellte.<br />

Für die quantiative Erhebung wurden folgende Quellen herangezogen:<br />

• „Ü<strong>be</strong>rsicht ü<strong>be</strong>r einzelne Gruppen <strong>be</strong>hinderter Menschen“ aus dem Bericht der<br />

Bundesregierung ü<strong>be</strong>r die Lage der <strong>be</strong>hinderten „Menschen“ in Österreich<br />

(2003) 4<br />

• Steiermarkweite Zahlen und qualitative Analyse BSB geförderter Projekte und<br />

Maßnahmen (telefonische Erhebung der Daten)<br />

Die vom <strong>Frauengesundheitszentrum</strong>, im Rahmen der Projektentwicklung „<strong>gender</strong><br />

mainstreaming und Behinderung“, durchgeführte Befragung diverser<br />

Trägerorganisationen ergab, dass Mädchen und Frauen in der Anzahl der<br />

Betreuungen <strong>be</strong>nachteiligt sind bzw. Betreuungsangebote in anderen Le<strong>be</strong>nsphasen<br />

als Burschen in Anspruch nehmen. In der Clearingphase des<br />

Beruffindungsprozesses werden ein Drittel Mädchen gegenü<strong>be</strong>r zwei Drittel<br />

Burschen gecleart. Dies spricht für eine klare Benachteiligung der Mädchen in<br />

diesem Angebot. Anders sieht die Inanspruchnahme der Ar<strong>be</strong>itsassistenz von<br />

Jugendlichen aus. Hier werden um ein Viertel mehr Mädchen <strong>be</strong>treut als Burschen.<br />

Die Zahlen der von der Ar<strong>be</strong>itsassistenz für Erwachsene <strong>be</strong>treuten Frauen und<br />

Männer sprechen hingegen wiederum eine andere Sprache: Hier werden Männer<br />

vermehrt (um ein Drittel mehr) <strong>be</strong>treut. In den Qualifizierungs- und<br />

Beschäftigungsprojekten ist der quantitative Anteil der Frauen und Männer in etwa<br />

gleich groß. Hier ist jedoch qualitativ festzustellen, dass Frauen ihren Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />

zum Großteil in den Bereichen Wäscherei, Gastronomie, Büro oder Einzelhandel<br />

4 Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (Hrsg.): Bericht der<br />

Bundesregierung ü<strong>be</strong>r die Lage der <strong>be</strong>hinderten Menschen in Österreich. Wien 2003. S. 12.<br />

7


finden, Männer hingegen in handwerklichen, landwirtschaftlichen bzw. technischen<br />

Projekten oder in der Grünlandpflege.<br />

Abschließend war festzustellen, dass sowohl die quantitative Analyse wie auch die<br />

ExpertInnen<strong>be</strong>fragung des <strong>Frauengesundheitszentrum</strong>s im Rahmen der<br />

Projektentwicklung „<strong>gender</strong> mainstreaming und Behinderung“ ar<strong>be</strong>itsmarkt<strong>be</strong>zogene<br />

Unterschiede zwischen Mädchen und Frauen bzw. Burschen und Männer mit<br />

Behinderung zeigten: Es <strong>be</strong>stätigte sich das in der Literatur <strong>be</strong>schrie<strong>be</strong>ne Bild der<br />

<strong>be</strong>hinderten Frau als „Schlusslicht am Ar<strong>be</strong>itsmarkt“ 5 . Es wird von doppelter<br />

Diskriminierung gesprochen, da ne<strong>be</strong>n die geschlechtsspezifische Ungleichheit am<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarkt zusätzlich eine <strong>be</strong>hindertenspezifische Ungleichheit tritt, die Mädchen<br />

und Frauen mit Behinderung an das unterste Ende der Hierarchie: „Mann – Frau –<br />

<strong>be</strong>hinderter Mann – <strong>be</strong>hinderte Frau“, stellt.<br />

Geschlechtsspezifische Ungleichheit meint ins<strong>be</strong>sondere folgende Punkte:<br />

• Atypische Beschäftigungsverhältnisse: Heute ist österreichweit <strong>be</strong>reits<br />

<strong>be</strong>inahe ein Drittel der unselbständig erwerbstätigen Frauen teilzeit<strong>be</strong>schäftigt.<br />

Bei den geringfügig Beschäftigten <strong>be</strong>trägt der Frauenanteil 72%. Derartige<br />

atypische Beschäftigungsmöglichkeiten ha<strong>be</strong>n den Nachteil, den<br />

Le<strong>be</strong>nsunterhalt nicht zu decken, speziell in gering qualifizierten Branchen<br />

angesiedelt zu sein, niedrige Stundenlöhne zu erzielen, nur eine sehr geringe<br />

soziale Absicherung zu gewährleisten und kaum Aufstiegchancen zu bieten. 6<br />

• Horizontale Segregation: Der Ar<strong>be</strong>itsmarkt ist in typische Männer- und<br />

Frauen<strong>be</strong>rufe aufgeteilt. Frauen konzentrieren sich da<strong>be</strong>i auf weit weniger<br />

Berufe als Männer. Ulrich Beck definiert dieses Phänomen fol<strong>gender</strong>maßen:<br />

„Je zentraler ein Bereich für die Gesellschaft definiert ist, je mächtiger eine<br />

Gruppe, desto weniger sind Frauen vertreten; und umgekehrt: als je<br />

randständiger ein Aufga<strong>be</strong>n<strong>be</strong>reich gilt, je weniger einflussreich eine Gruppe,<br />

desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen sich in diesen Feldern<br />

Beschäftigungsmöglichkeiten ero<strong>be</strong>rt ha<strong>be</strong>n. Dies zeigen die entsprechenden<br />

5 Vgl. ebda, S. 14.<br />

6 Vgl. ebda, S. 50 ff.<br />

8


Daten in allen Bereichen – Politik, Wirtschaft, Hochschule, Massenmedien<br />

usw.“ 7<br />

• Vertikale Segregation: Der Frauenanteil sinkt, je höher die hierarchische<br />

Position eines Berufs- bzw. Tätigkeitsfeldes ist. Diese strukturelle<br />

Schlechterstellung der Frau im Erwerbsle<strong>be</strong>n schlägt sich in der Konzentration<br />

von Frauen in unteren Berufse<strong>be</strong>nen und der männlichen Dominanz in<br />

geho<strong>be</strong>nen Positionen nieder 8 .<br />

• Berechungen zufolge ist das durchschnittliche Bruttoeinkommen Österreich-,<br />

wie EU-weit für Frauen um 30% geringer als für ihre männlichen Kollegen.<br />

Zusätzliche, <strong>be</strong>hindertenspezifische Ungleichheit ist in Österreich bisher noch nicht<br />

erfasst. Daher können unter Ein<strong>be</strong>ziehung der momentanen Forschung, die sich auf<br />

eine Befragung des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und<br />

Konsumentenschutz mit dem Titel „Frau sein – barrierefrei“ und auf Recherchen des<br />

<strong>Frauengesundheitszentrum</strong>s <strong>be</strong>zieht, zu den einzelnen Punkten nur Vermutungen<br />

bzw. Beispiele angeführt werden:<br />

• Atypische Beschäftigungsverhältnisse: Gerade für die Gruppe der Mädchen<br />

und Frauen mit Behinderung <strong>be</strong>stehen Hinweise, dass sie, sofern sie<br />

ü<strong>be</strong>rhaupt am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt integriert sind, vor allem in atypischen<br />

Beschäftigungsverhältnissen tätig sind.<br />

• Horizontale Segregation: Den Erhebungen des <strong>Frauengesundheitszentrum</strong>s<br />

und dem Forschungs<strong>be</strong>richt von Sigot 9 zufolge sind Frauen mit Behinderung<br />

in Österreich ins<strong>be</strong>sondere in hauswirtschaftsnahen Bereichen tätig.<br />

• Vertikale Segregation: Obwohl „Frau sein – barrierefrei“ 10 mit ihrer<br />

Fragebogenerhebung großteils gut ausgebildete, <strong>be</strong>rufstätige Frauen mit<br />

Behinderung <strong>be</strong>fragte, schätzen sie, stellvertretend für alle österreichischen<br />

Frauen mit Behinderung, <strong>be</strong>rufliche Karrierechancen mit „0“ ein. Der Zugang<br />

zu adäquaten Ar<strong>be</strong>itsplätzen mit der Möglichkeit zur <strong>be</strong>ruflichen<br />

Weiterentwicklung ist derzeit nicht vorhanden. 11<br />

7<br />

Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main 1986. S.<br />

166.<br />

8<br />

Jakomini, Sandra: Frauen im Tunnelbau. Analyse der Ursachen ihrer Unterrepräsentanz und<br />

Konzeptionen einer praxisgeleiteten Weiterbildung zur tiefbautechnischen Berufsentwicklung. <strong>Graz</strong><br />

2003. S. 27.<br />

9<br />

Sigot, Marion: Die Le<strong>be</strong>nssituation von Frauen mit geistiger Behinderung. Klagenfurt, 2003.<br />

10<br />

Vgl. Götzinger, Kornelia, Haider, Monika u. a.: Frau sein - barrierefrei. Wien: 2004. S. 20.<br />

11 Ebda.<br />

9


• In Punkto Einkommensunterschiede sind derzeit noch keine Daten zugänglich,<br />

die einen Vergleich von Frauen mit bzw. ohne Behinderung bzw. Frauen und<br />

Männern mit Behinderung ermöglichen würden.<br />

Daher scheint es im Sinne des <strong>gender</strong> mainstreaming sinnvoll, Mädchen und Frauen<br />

bzw. Burschen und Männer mit Behinderung nach ihren Einstellungen, Erfahrungen<br />

und Verhaltensweisen zu <strong>be</strong>fragen, um herauszufinden, inwiefern und an welchen<br />

Stellen im Le<strong>be</strong>nslauf geschlechtsspezifische Ungleichheiten auftreten. In Folge<br />

werden aus den Ergebnissen Maßnahmen für zielgruppenspezifische Interventionen<br />

abgeleitet.<br />

10


3.2 Ziel<br />

Ziel eines Folgeprojekts ist es, dem aktuellen Forschungsdefizit entgegenzutreten<br />

und Mädchen/Frauen und Burschen/Männer mit Behinderung als ExpertInnen in<br />

eigener Sache anzuerkennen und sie zu <strong>be</strong>fragen.<br />

Um SIE soll es gehen, um ihre Ausbildungserfahrungen, ihren Berufsalltag, ihr<br />

Alltagserle<strong>be</strong>n, ihre Sozialisation und ihre spezifische Wahrnehmung. Sie sind<br />

diejenigen, die ü<strong>be</strong>r ihre ausbildungs- und <strong>be</strong>rufsspezifische Biographie sachkundig<br />

Auskunft ge<strong>be</strong>n und auf Reibungsflächen und Brüche hinweisen können, denen<br />

später zu entwickelnde Maßnahmen <strong>be</strong>gegnen sollen.<br />

11


3.3 Inhaltliche Strukturierung der Studie<br />

Ü<strong>be</strong>rsicht <strong>be</strong> <strong>gender</strong><br />

Allgemeine Zielsetzung<br />

Ziel dieses Projektes ist es, dem aktuellen Forschungsdefizit entgegenzutreten und Mädchen/Frauen bzw.<br />

Burschen/Männer mit Behinderung als ExpertInnen in eigener Sache hervorzuhe<strong>be</strong>n.<br />

20 Interviews mit Frauen und<br />

Männern mit Behinderung<br />

12 Frauen mit Behinderung<br />

8 Männer mit Behinderung<br />

Zielsetzung der Interviews<br />

Benennen von möglichen Unterschieden im<br />

Zuge der Le<strong>be</strong>ns- und Ar<strong>be</strong>itserfahrung<br />

zwischen Frauen und Männern. Daraus<br />

werden gezielte, geschlechtsspezifische<br />

Maßnahmen abgeleitet .<br />

Narrative Interviews<br />

Offener Gesprächsführung, geeignet zur<br />

Interpretation von Erlebtem und zur<br />

Le<strong>be</strong>nslaufforschung.<br />

8 Betriebs-<br />

<strong>be</strong>fragungen<br />

8 Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen in Form von<br />

Einzelfallanalysen<br />

8 Interviews mit<br />

erwerbstätigen<br />

Frauen mit<br />

Behinderung<br />

8 Interviews<br />

mit<br />

Firmenleiter<br />

-Innen<br />

Zielsetzung der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />

8 Interviews<br />

mit<br />

KollegInnen<br />

von Frauen<br />

mit<br />

Behinderung<br />

Aufzeigen günstiger Ar<strong>be</strong>itsplatzkonstellationen und/oder<br />

Veränderungswünsche aus Sicht erwerbstätiger Frauen mit<br />

Behinderung, deren ChefInnen und KollegInnen (gleichzeitig<br />

einge<strong>be</strong>ttet in <strong>be</strong>trieblichen Kontext).<br />

Fragebogen<br />

Datenerhebung<br />

LeiterInnengspräche<br />

Leitfadengestützte Interviews<br />

Systematisches Vorgehen mittels<br />

Interviewleitfaden. Dient der Vergleichbarkeit<br />

von Interviews.<br />

ExpertInnen<strong>be</strong>iräte und Treffen der InterviewparterInnen<br />

Auswertung: ATLAS/ti: Textinterpretationssoftware<br />

Interpretation: Inhaltsanalyse nach Mayring<br />

Interner End<strong>be</strong>richt und veröffentlichte Broschüre in Leichter-Lesen-Fassung mit<br />

Maßnahmenempfehlung<br />

Abschlussveranstaltung mit Ergebnispräsentation<br />

12


3.4 Zeitliche Strukturierung der Studie<br />

Phase 1<br />

Interviews<br />

Literaturrecherche<br />

Leitfadenerstellung<br />

Durchf. d. Befragung<br />

Transkription<br />

Auswertung<br />

Interpretation<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse<br />

Literaturrecherche<br />

Leitfadenerstellung<br />

Durchf. d. Befragung<br />

Transkription<br />

Auswertung<br />

Interpretation<br />

Phase 2<br />

ExpertInnengespräche<br />

Theorierecherche GM + B<br />

Foldererstellung<br />

Kontaktaufnahme<br />

Durchf. d. Befragung<br />

Dokumentation<br />

Interpretation<br />

Phase 3<br />

Netzwerk<br />

Teilnahme an Treffen<br />

Netzwerkgründung<br />

Inhaltl. Mitgestaltung<br />

Interne Auswertung<br />

Phase 4<br />

Produkte<br />

Gesamtinterpretation<br />

End<strong>be</strong>richt<br />

Neuantrag<br />

Broschüre<br />

Veranstaltung<br />

2004 2005<br />

Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mär Apr<br />

13


4 <strong>be</strong> <strong>gender</strong><br />

4.1 Forschungsdesign<br />

<strong>be</strong> <strong>gender</strong> setzt sich aus mehreren Meilensteinen zusammen:<br />

Narrative Interviews<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />

LeiterInnengespräche<br />

Netzwerkbildung<br />

Expertinnen<strong>be</strong>irat<br />

Netzwerkbildung<br />

Für die narrativen Interviews wurden 12 Mädchen und Frauen und 8 Burschen und<br />

Männer mit Behinderung zu ihrer Le<strong>be</strong>ns- und Ar<strong>be</strong>itssituation <strong>be</strong>fragt. Der Ü<strong>be</strong>rhang<br />

der <strong>be</strong>fragten Frauen ergibt sich aus der Tatsache, dass Mädchen und Frauen<br />

gegenü<strong>be</strong>r Burschen und Männern mit Behinderung in den derzeitigen<br />

Betreuungsangeboten in geringerer Zahl <strong>be</strong>rücksichtigt werden.<br />

Die Kontaktaufnahme mit den InterviewpartnerInnen erfolgte ü<strong>be</strong>r Institutionen der<br />

steirischen Behindertenhilfe und auf privater E<strong>be</strong>ne. Es wurde auf eine<br />

Ausgewogenheit zwischen Frauen und Männern aus dem städtischen bzw.<br />

ländlichen Raum geachtet. Ausgewogenheit wurde auch <strong>be</strong>züglich privat und<br />

institutionell Wohnender angestrebt. Außerdem sollten alle vier Behinderungsarten in<br />

einem ausgewogenen Maß ein<strong>be</strong>zogen werden.<br />

Als Methode für diese Le<strong>be</strong>ns<strong>be</strong>schreibungen wurde die Form des narrativen<br />

Interviews gewählt.<br />

Ziel war es, herauszufinden, welchen Stellenwert Ar<strong>be</strong>it im Le<strong>be</strong>n von <strong>be</strong>hinderten<br />

Frauen und Männern hat. Abschließend wurden Wünsche für die Zukunft<br />

angesprochen.<br />

14


Im Rahmen der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden acht Frauen mit Behinderung, die am<br />

ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt <strong>be</strong>schäftigt sind, als Expertinnen in eigener Sache <strong>be</strong>fragt. Um<br />

unterschiedliche Perspektiven <strong>be</strong>rücksichtigen zu können, wurde <strong>be</strong>i jeder Analyse<br />

zusätzlich eine Kollegin der Frau mit Behinderung sowie ein/e Vorgesetzt/e <strong>be</strong>fragt.<br />

Ne<strong>be</strong>n dem Ar<strong>be</strong>itsalltag wurden u. a. Rahmen<strong>be</strong>dingungen, Entlohnung, mögliche<br />

Problemkonstellationen und vorhandene bzw. wünschenswerte<br />

Unterstützungsangebote thematisiert.<br />

Die Kontaktaufnahme mit den erwerbstätigen Frauen mit Behinderung, den<br />

Unternehmen und den Ar<strong>be</strong>itskollegInnen erfolgte durch Unterstützung des<br />

Bundessozialamtes, das die Freiwilligkeit der Teilnahme gewährleistete durch<br />

vorherige Zustimmungen der TeilnehmerInnnen.<br />

Die Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden anhand eines leitfadengestützten Interviews<br />

durchgeführt.<br />

Ziel der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen war die Analyse der Ar<strong>be</strong>its(platz)situation von Frauen<br />

mit Behinderung sowie das Aufzeigen angemessener und humaner<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatzmöglichkeiten für Mädchen und Frauen mit Behinderung aus deren Sicht,<br />

aus Sicht der UnternehmerInnen und der KollegInnen.<br />

Die narrativen Interviews und die Interviews der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden auf<br />

Tonband aufgenommen und transkribiert. Sowohl <strong>be</strong>i den narrativen Interviews als<br />

auch den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden statistische Daten miterho<strong>be</strong>n. (siehe<br />

Anhang)<br />

In den LeiterInnengeprächen wurde mit 15 Leiterinnen und Leitern steirischer<br />

Behinderteneinrichtungen ein Interview zum Themen<strong>be</strong>reich <strong>gender</strong> mainstreaming<br />

geführt. In den Gesprächen wurde <strong>be</strong> <strong>gender</strong> anhand eines erstellten Folders<br />

vorgestellt. Weitere Gesprächsinhalte bildeten die persönliche Erfahrung mit und die<br />

Einstellung zu <strong>gender</strong> mainstreaming seitens der Führungskräfte sowie die<br />

Sensibilisierung für dieses Thema.<br />

15


Ziel der LeiterInnengespräche war die Sensibilisierung für das Thema <strong>gender</strong><br />

mainstreaming und das Wecken eines Problem<strong>be</strong>wusstseins auf Seite der<br />

Führungskräfte für die Notwendigkeit von Einführen von <strong>gender</strong> mainstreaming und<br />

Frauenförderung.<br />

Zusätzlich zum Forschungsprojekt stand und steht weiterhin ne<strong>be</strong>n den<br />

ExpertInnengesprächen die Teilnahme am ersten österreichischen Netzwerk von<br />

Frauen mit und ohne Behinderung. Inhaltlich schließen sich hier Frauen mit und<br />

ohne Behinderung zusammen, um ü<strong>be</strong>r Austausch und Vernetzung, gezielte und<br />

nachhaltige Öffentlichkeitsar<strong>be</strong>it zu <strong>be</strong>trei<strong>be</strong>n.<br />

Die ExpertInnen<strong>be</strong>iräte fanden zu Beginn und gegen Ende der Studie statt und<br />

dienten der wissenschaftlichen Diskussion. Im Zuge des Treffens der<br />

InterviewpartnerInnen traten die GesprächspartnerInnen nochmals als ExpertInnen<br />

in eigener Sache auf und thematisieren gemeinsam ihre Anliegen, die in den<br />

Maßnahmenkatalog einflossen.<br />

Weiteres Ziel des Forschungsprojekts ist einen Maßnahmenkatalog zu erstellen, der<br />

in einem Folgeprojekt in der Praxis umgesetzt wird.<br />

16


4.2 Methodischer Zugang<br />

Als geeignete Methode zur Befragung von Mädchen und Frauen sowie Burschen und<br />

Männern mit Behinderung wird das qualitative Interview der empirischen<br />

Sozialforschung erachtet: Es gewährleistet den <strong>be</strong>stmöglichen Zugang zur Le<strong>be</strong>ns-<br />

und Ar<strong>be</strong>itswelt von Frauen und Männern mit Behinderung. Den grundlegenden<br />

Merkmalen qualitativer Sozialforschung entsprechend wird nach dem Kriterium der<br />

Offenheit, die ins<strong>be</strong>sondere hinsichtlich der Unterschiedlichkeit der Mädchen und<br />

Frauen bzw. Burschen und Männer mit Behinderung von Vorteil ist, vorgegangen.<br />

Die Offenheit des Vorgehens lässt den Befragten Freiraum zur individuellen<br />

Betonung, der ihnen wichtigen Themen<strong>be</strong>reiche. 12 Individuelle Betonung bringt auch<br />

den Vorteil der sprachlichen Flexibilität. Formulierungen können zielgruppengerecht<br />

abgewandelt werden. So können <strong>be</strong>ispielsweise auch Frauen mit geistiger<br />

Behinderung in klarer, einfacher und verständlicher Art und Weise <strong>be</strong>fragt werden.<br />

Weiteres will das qualitative Interview der sozialen Realität näher kommen.<br />

Ermutigung zu le<strong>be</strong>nsnahen Antworten sowie Anpassung an die alltägliche<br />

Gesprächssituation wird daher angestrebt. 13<br />

Das qualitative Interview, ein freies, zwangloses, keiner starren Fragenreihe<br />

folgendes „Gespräch“, „hat in der Sozialforschung die Aufga<strong>be</strong>, Anga<strong>be</strong>n ü<strong>be</strong>r<br />

Einstellungen, Erfahrungen und Verhalten zu einem <strong>be</strong>stimmten Gegenstand zu<br />

erfragen, und zwar derart, dass die Reaktionen <strong>be</strong>stimmter Befragter verglichen<br />

werden können.“ 14 Grundsätzliche Vergleichbarkeit wird durch den vorab formulierten<br />

Interviewleitfaden, welcher gewisse Grundfragen enthält, erreicht. Genannte<br />

Grundfragen dienen als Ausgangspunkt der Untersuchung „zum Erforschen der<br />

Stellungnahme der/des Befragten und ihres/seines Verhaltens.“ 15<br />

Die Forschung bleibt insofern qualitativ, als dass sie „die individuelle Qualität jeder<br />

einzelnen Antwort (...) <strong>be</strong>tont.“ 16 Mit Hilfe von Ergänzungs- und Sondierungsfragen,<br />

die von der Interviewerin an geeignet erscheinender Stelle gestellt werden, wird die<br />

12<br />

Vgl. Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Methoden und Techniken. Band 2. München<br />

1989. S. 55.<br />

13<br />

Vgl. ebda. S. 56.<br />

14<br />

König, Renate (Hrsgin): Das Interview. Formen – Technik – Auswertung. Köln, 7. Aufl., 1972. S. 145<br />

15 Ebda.<br />

16 Ebda.<br />

17


individuelle Eigenheit optimal erfasst. 17 Konkret geht die Interviewerin auf das<br />

Gesagte ein und formuliert danach weitere Fragen. Die Befragte/der Befragte spricht<br />

ü<strong>be</strong>r Gedanken, Erfahrungen und Empfindungen in eigenen Worten. Dies setzt einen<br />

vertrauensvollen Kontakt zwischen Interviewerin und Befragten voraus. Hier<strong>be</strong>i ist die<br />

Sensibilität der Interviewerin gefragt und das Interview muss in einer, der Befragten<br />

vertrauten Atmosphäre, stattfinden. Eine vertrauliche Atmosphäre gilt als<br />

Grundvoraussetzung für tatsächlich gelungene Interviews. Wird der Interviewerin<br />

eine Frage gestellt, so hat diese durchaus die Möglichkeit kurz und bündig darauf zu<br />

antworten, doch ist auch in der qualitativen Befragung die zu <strong>be</strong>fragende<br />

Gesprächspartnerin/der zu <strong>be</strong>fragende Gesprächspartner dominant in der Rolle<br />

der/des Antwortenden. 18<br />

Ein qualitatives Interview autonom zu führen <strong>be</strong>deutet für Flick, Kardorff, Keupp,<br />

Rosenstiel und Wolff (1991) in der Lage zu sein, einzuschätzen, „wann es inhaltlich<br />

angemessen ist vom Frageleitfaden abzuweichen, an welchen Stellen es erforderlich<br />

ist, intensiver nachzufragen, usw.“ 19<br />

Eine derartige Verwendung des Interviewleitfadens garantiert jene Elastizität, welche<br />

für König unerlässlich ist und wird wie folgend <strong>be</strong>schrie<strong>be</strong>n: „(...) elastisch soll (...) der<br />

Interviewer den Leitfaden handha<strong>be</strong>n, die Fragen da stellen, wo sie am natürlichsten<br />

scheinen, soweit wie möglich den Gedankengängen des Befragten folgen und da<strong>be</strong>i<br />

immer auf der Lauer nach unerwarteten Antworten liegen. Gleichzeitig darf ihm das<br />

Interview nicht aus den Händen gleiten.“ 20<br />

Die Erhebung der Daten soll in einer vertrauten Umgebung stattfinden. Um eine<br />

möglichst natürliche Situation herzustellen und authentische Informationen zu<br />

erhalten, erfolgen qualitative Interviews im alltäglichen Milieu der Befragten. 21 Dies<br />

17 Ebda, S. 143.<br />

18 Vgl. Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Methoden und Techniken. Band 2. München<br />

1989. S. 40.<br />

19 Flick, Uwe, Kardorff, Ernst von, Keupp, Heiner, Rosenstiel, Lutz von, Wolff, Stephan (Hrsg.):<br />

Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen.<br />

München 1991. S. 181.<br />

20 König, Renate (Hrsgin): Das Interview. Formen – Technik – Auswertung. Köln, 7. Aufl., 1972. S.<br />

152.<br />

21 Vgl. Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Methoden und Techniken. Band 2. München<br />

1989. S. 68.<br />

18


edeutet für die Befragung von Frauen und Männern mit Behinderung, sie<br />

aufzusuchen: am Ar<strong>be</strong>itsplatz bzw. in ihrem unmittelbaren Le<strong>be</strong>nszusammenhang.<br />

Die Antwortkategorien werden erst nach der Durchführung des Interviews, welches<br />

die individuelle Qualität jeder einzelnen Antwort hervorhebt, entwickelt.<br />

Für die im Rahmen des Forschungsprojektes geplante Untersuchung werden das<br />

leitfadengestützte und das narrative Interview gewählt. Der Interviewleitfaden enthält<br />

zwar relativ detaillierte Fragen, doch ist es gleichzeitig möglich den Leitfaden je nach<br />

Person und Situation flexi<strong>be</strong>l und individuell hand zu ha<strong>be</strong>n. In jedem Fall bietet<br />

diese Art des qualitativen Interviews die Gelegenheit, einzelne Aussagen und Texte<br />

zu vergleichen.<br />

19


4.3 Statistische Anga<strong>be</strong>n zu den InterviewpartnerInnen<br />

Diese Anga<strong>be</strong>n <strong>be</strong>ziehen sich auf die 28 Interviews mit <strong>be</strong>hinderten Frauen und<br />

Männern – 12 Frauen mit Behinderung, acht Männer mit Behinderung und acht<br />

erwerbstätige Frauen mit Behinderung.<br />

Regionale Verteilung der Interviews<br />

Für die Studie wurden in der gesamten Steiermark Interviews geführt, zum einen um<br />

regionale Besonderheiten zu <strong>be</strong>rücksichtigen, zum anderen um mögliche<br />

Unterschiede zwischen Stadt und Land zu untersuchen.<br />

Folgende fünf Regionen wurden im Vorfeld ausgesucht:<br />

• <strong>Graz</strong>, <strong>Graz</strong>-Umgebung<br />

• Steiermark Nord<br />

• Steiermark West<br />

• Steiermark Ost<br />

• Steiermark Süd<br />

Bei den qualitativen Interviews wurde auf eine breite regionale Streuung großer Wert<br />

gelegt, <strong>be</strong>i den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen war dies nicht vorrangiges Kriterium, woraus der<br />

Ü<strong>be</strong>rhang der Interviews im <strong>Graz</strong>er Raum resultiert.<br />

20


Die regionale Verteilung der Interviews:<br />

2 1<br />

1 1<br />

12 4<br />

2 1<br />

3 1<br />

Abbildung 1: Regionale Verteilung der Interviews<br />

Männer<br />

Frauen<br />

21


Altersstruktur<br />

Da die GesprächspartnerInnen <strong>be</strong>reits Erfahrung mit Ar<strong>be</strong>it im weitesten Sinne<br />

ha<strong>be</strong>n sollten, findet dies Berücksichtigung in der Altersstruktur: Die<br />

Altersuntergrenze wurde mit 18 Jahren angesetzt (nach Schule und Ausbildung), die<br />

O<strong>be</strong>rgrenze mit 60 (Pensionsalter).<br />

Das Durchschnittsalter der interviewten Personen lag <strong>be</strong>i 31 Jahren; die Gruppe der<br />

21- bis 30jährigen ist am häufigsten vertreten. Die jüngste interviewte Person war 18,<br />

die älteste 53 Jahre.<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

4<br />

1<br />

Le<strong>be</strong>nssituation<br />

Altersstrukur der InterviewpartnerInnen<br />

8<br />

3<br />

18 bis 20 J. 21 bis 30 J. 31 bis 40 J. ab 40<br />

Abbildung 2: Altersstruktur der InterviewpartnerInnen<br />

In Bezug auf die Le<strong>be</strong>nssituation gibt es eine Ü<strong>be</strong>reinstimmung - alle 28<br />

InterviewparterInnen sind unverheiratet (zwei Frauen sind geschieden). Nur eine<br />

Interviewpartnerin hat Kinder, die übrigen Personen sind kinderlos. Exakt die Hälfte<br />

der interviewten Personen ist allein stehend, etwas mehr als ein Drittel lebt in einer<br />

Beziehung, zu vier Personen gibt es dies<strong>be</strong>züglich keine Anga<strong>be</strong>n.<br />

5<br />

2<br />

3<br />

2<br />

Frauen<br />

Männer<br />

22


14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Abbildung 3: Le<strong>be</strong>nssituation der Frauen und Männer mit Behinderung<br />

Frauen und Männer nach Arten der Behinderung<br />

Ziel der Studie war, Frauen und Männer mit verschiedenen Formen von Behinderung<br />

mit einzu<strong>be</strong>ziehen. Ausgeschlossen wurden Frauen und Männer mit<br />

Hör<strong>be</strong>hinderungen, da Vita 2002 eine dies<strong>be</strong>zügliche Studie veröffentlichte. 22<br />

Frauen und Männer mit folgenden Behinderungen werden interviewt:<br />

• Körperliche Beeinträchtigung<br />

• Lernschwierigkeiten<br />

• Seh<strong>be</strong>hinderung<br />

• psychische Problematik<br />

Zusätzlich wurde erho<strong>be</strong>n, ob die Behinderung auf einer chronischen Erkrankung<br />

<strong>be</strong>ruht und ob die Behinderung von Geburt an <strong>be</strong>steht oder zu einem späteren<br />

Zeitpunkt eintrat.<br />

9<br />

5<br />

Le<strong>be</strong>nsituation<br />

alleinstehend Partnerschaft keine Anga<strong>be</strong>n<br />

7<br />

3<br />

22 Breiter, Marion: Projekt VITA. Erkundungsstudie zur <strong>be</strong>ruflichen Le<strong>be</strong>nssituation von gehörlosen<br />

Frauen im Raum Wien und Umgebung. Wien, NÖ, Burgenland, 2002.<br />

4<br />

Frauen<br />

Männer<br />

23


Die <strong>be</strong>iden größten Gruppen der Befragten bilden Personen mit Lernschwierigkeiten<br />

und mit körperlichen Einschränkungen. Zwei Personen mit einer<br />

Mehrfach<strong>be</strong>hinderung (körperliche Einschränkung und Lernschwierigkeiten), zwei<br />

Personen mit Seh<strong>be</strong>hinderung und eine Person mit psychischer Problematik sind in<br />

der Studie vertreten.<br />

Frauen nach Arten der Behinderung<br />

psych. Problematik; 1<br />

Sinnes<strong>be</strong>hinderung; 2<br />

psych. Problematik und<br />

Sinnes<strong>be</strong>hinderung; 0<br />

Lernschwierigkeiten; 10<br />

Mehrfach-<br />

<strong>be</strong>hinderung; 0<br />

Abbildung 4: Frauen nach Arten der Behinderung<br />

Männer nach Arten der Behinderung<br />

Mehrfach<strong>be</strong>hinderung; 2<br />

Lernschwierigkeiten; 3<br />

Abbildung 5: Männer nach Arten der Behinderung<br />

körperliche<br />

Beeinträchtigung; 7<br />

körperliche<br />

Beeinträchtigung; 3<br />

24


20 der <strong>be</strong>fragten Personen sind von Geburt an <strong>be</strong>hindert, <strong>be</strong>i acht trat die<br />

Behinderung erst später ein – durch Krankheit, Unfall etc. – <strong>be</strong>i vier Personen<br />

geschah dies im Kindesalter <strong>be</strong>i vier im Erwachsenenalter. Sie<strong>be</strong>n der <strong>be</strong>fragten<br />

Personen führen eine chronische Krankheit als Ursache für ihre Behinderung an.<br />

Ausbildung<br />

Im Rahmen der Studie wird der höchste erreichte Schulabschluss erho<strong>be</strong>n; die<br />

Kategorisierung erfolgt nach folgenden Schultypen:<br />

• Sonderschule<br />

• Hauptschule<br />

• BHS<br />

• AHS<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

5<br />

5<br />

Höchster Schulabschluss<br />

Abbildung 6: Höchster Schulabschluss<br />

Sonderschul- und Hauptschul<strong>be</strong>such bildeten mit je zehn Personen die stärksten<br />

Gruppen, wo<strong>be</strong>i <strong>be</strong>i den HauptschulabgängerInnen ein deutlicher Ü<strong>be</strong>rhang von<br />

Frauen im Vergleich zu Männern festzustellen ist. E<strong>be</strong>nso ü<strong>be</strong>rwiegen <strong>be</strong>i den<br />

Abschlüssen von Berufsbildenden Höheren Schulen die Frauen, was als Hinweis auf<br />

„traditionelle“ Schulkarrieren der Frauen gewertet werden kann.<br />

1<br />

9<br />

Sonderschule Hauptschule BHS AHS<br />

1<br />

5<br />

1<br />

1<br />

Männer<br />

Frauen<br />

25


Nur wenige InterviewpartnerInnen nahmen an integrativem Unterricht teil: Vier<br />

Personen <strong>be</strong>suchten eine Integrationsklasse – zwei in Volks- und Hauptschule, zwei<br />

von 28 ausschließlich in der Hauptschule.<br />

Erwerbstätigkeit<br />

Zwei der <strong>be</strong>fragten Personen sind zum Zeitpunkt des Interviews nicht erwerbstätig;<br />

26 InterviewparterInnen gehen einer Beschäftigung nach.<br />

In der Studie werden für Erwerbstätigkeit folgende Kategorien unterschieden:<br />

• 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

• 2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt 23<br />

• Beschäftigungstherapie<br />

• Ausbildungsplatz<br />

Elf InterviewparterInnen waren am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt tätig, wo<strong>be</strong>i anzumerken ist, dass<br />

<strong>be</strong>i den acht Gesprächsparterinnen für die Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen Beschäftigung am 1.<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarkt ein un<strong>be</strong>dingtes Auswahlkriterium ist. Eine Person kann dem 2.<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarkt zugeordnet werden, acht Frauen und Männer sind im<br />

Werkstätten<strong>be</strong>reich tätig, sechs ar<strong>be</strong>iten an einem Ausbildungsplatz.<br />

Ausbildung; 6<br />

Erwerbstätigkeit<br />

Ar<strong>be</strong>itssituation<br />

Werkstätte; 8 2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt; 1<br />

Abbildung 7: Erwerbstätigkeit<br />

23 Vgl. www.ar<strong>be</strong>it-wirtschaft.at/aw_02_2001/art4.htm<br />

1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt; 11<br />

26


Fünf der sechs Ausbildungsplätze ha<strong>be</strong>n Männer inne, nur eine Frau ist in einer<br />

Ausbildungsmaßnahme <strong>be</strong>schäftigt. Bei den acht Beschäftigten im<br />

Werkstätten<strong>be</strong>reich handelt es sich ausschließlich um Frauen, die ein narratives<br />

Interviews gege<strong>be</strong>n ha<strong>be</strong>n. Angesichts der geringen Größe der Stichpro<strong>be</strong> können<br />

generell keine verallgemeinernden Aussagen getroffen werden, dennoch ist es<br />

auffallend, dass derart viele Frauen in dem schlecht <strong>be</strong>zahlten Werkstätten<strong>be</strong>reich<br />

tätig sind.<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Erwerbstätigkeit Verteilung Frauen - Männer<br />

1<br />

10<br />

Abbildung 8: Erwerbstätigkeit Verteilung Frauen - Männer<br />

Interessant ist die Verbindung zwischen Erwerbstätigkeit und Schulbildung, die<br />

anhand der unten stehenden Ta<strong>be</strong>lle verdeutlicht wird.<br />

1<br />

1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt 2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt Werkstätte Ausbildungsplatz<br />

Personen Sonderhöchster<br />

Schulabschluss<br />

Hauptgesamt<br />

schule schule<br />

1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt 11 5 4 2<br />

2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt 1 1<br />

Werkstätte 8 6 2<br />

Ausbildungsplatz 6 4 2<br />

Ta<strong>be</strong>lle 1: Schulbildung und Erwerbstätigkeit<br />

8<br />

5<br />

1<br />

Männer<br />

Frauen<br />

BHS AHS<br />

27


Alle Personen, die am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt tätig sind, ha<strong>be</strong>n zumindest einen<br />

Hauptschulabschluss vorzuweisen. Von den acht InterviewparterInnen, die in<br />

Werkstätten ar<strong>be</strong>iten, ha<strong>be</strong>n sechs Sonderschulabschluss und zwei<br />

Hauptschulabschluss. Dies zeigt die keineswegs neue Tatsache, dass höhere<br />

Bildung die Chancen am Ar<strong>be</strong>itsmarkt ver<strong>be</strong>ssert – eine Tatsache, die a<strong>be</strong>r für<br />

Frauen und Männer mit Behinderung von <strong>be</strong>sonderer Bedeutung ist, da für sie der<br />

Zugang zu Bildung oftmals erschwert wurde bzw. wird.<br />

10<br />

3<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Frauen: Schulbildung und Erwerbstätigkeit<br />

1<br />

4<br />

5<br />

1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt Werkstätte Ausbildungsplatz<br />

2<br />

4<br />

Abbildung 9: Frauen: Schulbildung und Erwerbstätigkeit<br />

Männer: Schulbildung und Erwerbstätigkeit<br />

1 1<br />

1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt Werkstätte<br />

Abbildung 10: Männer: Schuldbildung und Erwerbstätigkeit<br />

2<br />

1<br />

1<br />

2 2<br />

AHS<br />

BHS<br />

HS<br />

SO<br />

AHS<br />

BHS<br />

HS<br />

SO<br />

28


Einkommenssituation<br />

Unter Berücksichtigung der niedrigen „Bezahlung“ am 2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt und in<br />

Beschäftigungstherapien, werden folgende Einkommenskategorien erho<strong>be</strong>n, die<br />

daher <strong>be</strong>i 50 Euro ansetzen:<br />

Einkommen<br />

• bis 50 €<br />

• bis 100 €<br />

• bis 200 €<br />

• bis 1000 €<br />

• ü<strong>be</strong>r 1000 €<br />

Die <strong>be</strong>iden stärksten Gruppen bildet jene mit Einkommen bis 50 Euro und jene mit<br />

Einkommen bis 1000 Euro; es folgt die Gruppe mit einem Einkommen ü<strong>be</strong>r 1000<br />

Euro. Zwei der InterviewpartnerInnen <strong>be</strong>ziehen kein Einkommen, weitere zwei wollen<br />

bzw. können keine Anga<strong>be</strong>n zu ihrer Einkommenssituation machen.<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

4<br />

3<br />

1<br />

Einkommenssituation<br />

1<br />

2<br />

bis 50 € bis 100 € bis 200 € bis 1000 € > 1000 € kein<br />

Einkommen<br />

6<br />

1<br />

Abbildung 11: Einkommenssituation der Frauen und Männer mit Behinderung<br />

1<br />

5<br />

1<br />

1<br />

2<br />

k. A.<br />

Frauen<br />

Männer<br />

29


4.4 Begriff der Behinderung<br />

Die Definition von Behinderung in diesem Forschungsprojekt lehnt sich an der<br />

Klassifizierung „International Classification of Functioning, Disability and Health<br />

(ICF)“ 24 der WHO an. Die ICF geht von einem bio-psycho-sozialen Modell aus, das<br />

die Le<strong>be</strong>nswirklichkeit der Betroffenen <strong>be</strong>rücksichtigt und unter Ein<strong>be</strong>ziehung zweier<br />

gängige Modelle zu einem neuen integriert: Das medizinische Modell definiert<br />

Behinderung als das Problem einer Person, das aus einer Krankheit, einem Trauma<br />

oder einem anderen gesundheitlichen Problem resultiert und ist somit defizitorientiert.<br />

Der Schwerpunkt liegt auf medizinischer Versorgung; Ziel ist die Heilung und<br />

Anpassung der Betroffenen an die gängige Norm.<br />

Das soziale Modell <strong>be</strong>trachtet Behinderung als ein gesellschaftlich verursachtes<br />

Problem; Behinderung ist somit kein Merkmal einer Person, sondern ein komplexes<br />

Geflecht von Bedingungen, die großteils vom gesellschaftlichen Umfeld geschaffen<br />

werden. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem sozialen Handeln. Es liegt daher in der<br />

Verantwortung der Gesellschaft, die Umwelt so zu gestalten, dass Menschen mit<br />

Behinderung an allen Bereichen des Le<strong>be</strong>ns teilnehmen können. Ziel ist die<br />

Veränderung gesellschaftlicher Bedingungen.<br />

Damit stützt sich die Definition von Behinderung des ICF auf zwei Aspekte – zum<br />

einen Funktionsfähigkeit und Behinderung zum anderen Kontextfaktoren.<br />

Komponenten von Funktionsfähigkeit und Behinderung sind der Körper und<br />

körperliche Merkmale und auch der Aspekt der Teilha<strong>be</strong> der <strong>be</strong>hinderten Frau/des<br />

<strong>be</strong>hinderten Mannes. Die Kontextfaktoren stellen den gesamten Le<strong>be</strong>nshintergrund<br />

eines Menschen dar. Sie umfassen Umweltfaktoren (Gestaltung der Umwelt im<br />

häuslichen Bereich, Schule oder am Ar<strong>be</strong>itsplatz, persönliche Kontakte, soziale<br />

Strukturen, gesellschaftliche Systeme etc.) und persönliche Faktoren (Geschlecht,<br />

Alter, Le<strong>be</strong>nsstil, Bildung, Beruf, sozialer Hintergrund etc.).<br />

In der Forschungsstudie lag der Schwerpunkt auf dem sozialen Modell. Es ging<br />

darum gesellschaftliche Rahmen<strong>be</strong>dingungen für Frauen und Männer mit<br />

Behinderung zu erhe<strong>be</strong>n, Ressourcen zu erkennen und notwendige Veränderungen<br />

24 Vgl. www.dimidi.de<br />

30


der Umwelt aufzuzeigen. Das medizinische Modell bildete die Grundlage <strong>be</strong>i der<br />

Erhebung der Behinderungsart. Diese wurde erho<strong>be</strong>n, um die spezifischen<br />

Bedürfnisse der Frauen und Männer mit der jeweiligen Behinderung herausfinden zu<br />

können.<br />

31


4.5 Narrative Interviews<br />

4.5.1 Das Ziel<br />

Ziel dieser Interviews war es, Informationen ü<strong>be</strong>r das Le<strong>be</strong>n von Frauen und<br />

Männern mit Behinderung zu <strong>be</strong>kommen: Was ist ihr primäres Interesse? Womit<br />

<strong>be</strong>schäftigen sie sich am liebsten? Wie schaut ihr Alltag aus? Welche Wünsche und<br />

Träume ha<strong>be</strong>n sie für die Zukunft?<br />

Wir wollten herausfinden, welchen Stellenwert Ar<strong>be</strong>it im Le<strong>be</strong>n von <strong>be</strong>hinderten<br />

Frauen und Männern generell hat und ob bzw. welche dies<strong>be</strong>züglichen Unterschiede<br />

es zwischen den Geschlechtern gibt.<br />

4.5.2 Die Methode<br />

Aus dem Spektrum der qualitativen Forschungsmethoden erschien das narrative<br />

Interview für diesen Zweck am geeignetsten.<br />

Beim narrativen Interview geht es darum, die Interviewte/ den Interviewten erzählen<br />

zu lassen, was ihr/ihm gerade einfällt, und so lange, wie sie/er erzählen mag. Dies<br />

eröffnet der/dem Interviewten die Möglichkeit zur autonomen Darstellung der eigenen<br />

Relevanzstrukturen, ohne dass methodische Restriktionen – wie es ein<br />

Interviewleitfaden zum Beispiel ist – den Ablauf der subjektiven Erfahrungs-<br />

rekapitulation durchkreuzen. 25<br />

Die Interviewerhaltung ist die des interessierten Zuhörens. Wo<strong>be</strong>i Bekundungen der<br />

Aufmerksamkeit, wie Kopfnicken, Lachen oder „hm“-Sagen unterstützend und<br />

ermutigend für die/den Erzählenden und zum Weitererzählen animieren sollen.<br />

25 Vgl. Pieper (1993), S.16. Sie verweist hier auf einen Aufsatz von Christel Hopf, der sich mit der<br />

Problematik von Interviewsteuerungen durch die Verwendung von Interviewleitfaden auseinandersetzt<br />

und auf die Gefahr der Blockierung der Informationsgewinnung hinweist. Vgl. dies., Die Pseudo-<br />

Exploration – Ü<strong>be</strong>rlegungen zur Technik qualitativer Interviews in der Sozialforschung, in: Zeitschrift<br />

für Soziologie, 7.Jg. Heft 2, 1978, S.101 ff<br />

32


Zwischenfragen sollen sich auf Verständnisfragen <strong>be</strong>schränken und erst dann<br />

26 27<br />

gestellt werden, wenn der Erzählfluss von selbst nachlässt.<br />

Ein weiteres methodisches Kriterium war die Ressourcenorientierung. Dieser Ansatz<br />

sieht vor, Mädchen/Frauen und Burschen/Männer mit Behinderung als ExpertInnen<br />

in eigener Sache anzuerkennen. Sie sind diejenigen, die ü<strong>be</strong>r ihre ausbildungs- und<br />

<strong>be</strong>rufsspezifische Biographie sachkundig Auskunft ge<strong>be</strong>n und auf Reibungsflächen<br />

und Brüche hinweisen können, denen später zu entwickelnde Maßnahmen<br />

<strong>be</strong>gegnen sollen. Wir wollten von den Frauen und Männern wissen, wie sie<br />

persönlich ihre Situation sehen – mit allen Vor- und Nachteilen, was ihre <strong>be</strong>sonderen<br />

Fähigkeiten sind, welche Behinderungen sie selbst an sich wahrnehmen und wie sie<br />

damit umgehen, welche Wünsche sie persönlich ha<strong>be</strong>n und was sie dafür an<br />

Unterstützung von außen brauchen.<br />

Ressourcenorientiert zu ar<strong>be</strong>iten stellt a<strong>be</strong>r auch Ansprüche an uns als<br />

Forscherinnen. Es <strong>be</strong>deutet für Forscherinnen, sich mit Ihrer persönlichen<br />

Wahrnehmung von Wirklichkeit immer wieder auseinander zusetzen und zu<br />

ü<strong>be</strong>rprüfen, wie weit Wertvorstellungen unhinterfragt ü<strong>be</strong>rnommen werden und damit<br />

auch lenkend wirken. Der persönliche Entwicklungsprozess der Forscherinnen ist als<br />

Teil der Forschung in diese integriert.<br />

Freiwilligkeit als o<strong>be</strong>rstes Gebot, die Interviews sollen unter Vier-Augen stattfinden;<br />

der Ort des Interviews soll von der/dem Interviewpartner/in ausgewählt werden 28 ; und<br />

der Termin sollte ein „open end“-Termin sein, waren weitere grundlegende<br />

Kriterien 29 .<br />

Außerdem sollte die Anonymität der interviewten Frauen und Männer gewahrt<br />

werden. Das heißt, dass sie nicht namentlich genannt und nicht ohne ihr<br />

Einverständnis Fotos veröffentlich werden.<br />

26 Vgl. e<strong>be</strong>nda, S.17. Hier zitiert sie Fritz Schütze, der ü<strong>be</strong>r die Notwendigkeit der synchron zum<br />

Erzählablauf eingesetzten Bekundungen der Aufmerksamkeit schreibt. Ders., Zur soziologischen und<br />

linguistischen Analyse von Erzählungen, in : Internationales Jahrbuch für Wissens- und<br />

Religionssoziologie, Bd. 10, 1976, S.10<br />

27 Ablauf<strong>be</strong>schreibung des narrativen Interviews siehe Anhang.<br />

28 Es sollte ein Ort sein, der der/dem <strong>be</strong>treffenden Interviewpartner/in vertraut ist und an dem sie/er<br />

sich wohl fühlt.<br />

29 Vgl. Allheit (1984).<br />

33


Bereits <strong>be</strong>i der Vorstellung dieses Forschungsansatzes im ExpertInnen<strong>be</strong>irat 30 vor<br />

Beginn der Untersuchung wurden Zweifel <strong>be</strong>züglich der Anwendbarkeit dieses<br />

Ansatzes <strong>be</strong>i der Zielgruppe angemeldet. Es wurde zu <strong>be</strong>denken gege<strong>be</strong>n, dass die<br />

Fähigkeit, ü<strong>be</strong>r das eigene Le<strong>be</strong>n erzählen zu können, die Fähigkeit zur Reflexion<br />

<strong>be</strong>inhaltet. Die/der Befragte muss in der Lage sein, reflexiv ü<strong>be</strong>r ihr/sein Le<strong>be</strong>n<br />

sprechen zu können, sich an die Vergangenheit zu erinnern und dies auch verbal in<br />

einer <strong>be</strong>stimmten Form ausdrücken können, sodass daraus eine Erzählung<br />

entstehen kann. Auf Grund ihrer <strong>be</strong>ruflichen Erfahrungen <strong>be</strong>zweifelten die<br />

ExpertInnen diese Fähigkeit <strong>be</strong>i manchen Frauen und Männern mit<br />

Lernschwierigkeiten.<br />

Diese Einschätzung hat sich in der Praxis <strong>be</strong>stätigt. Wir ha<strong>be</strong>n festgestellt, dass<br />

manche Frauen und Männer mit Lernschwierigkeiten sehr in der Gegenwart le<strong>be</strong>n<br />

und sich ihr Erinnerungsvermögen auf einen kurzen Zeitraum erstreckt. Manchmal<br />

sind es ein paar Wochen, manchmal reicht es ein paar Jahre zurück. Andere waren<br />

wiederum nicht in der Lage, von sich aus Themen anzusprechen, obwohl es ihnen<br />

<strong>be</strong>i gezieltem Nachfragen während des Gespräches doch möglich war, sich an<br />

Ereignisse in der Vergangenheit zu erinnern.<br />

Diese Erfahrungen führten zu einer teilweisen Änderung des ursprünglichen<br />

Ansatzes, indem wir, sobald wir die Notwendigkeit sahen, spontan dazu ü<strong>be</strong>rgingen<br />

mehr oder weniger oft Zwischenfragen zu stellen. Bei zwei Frauen und zwei Männern<br />

war jedoch auch dies nicht möglich. Diese Interviews liefen schlussendlich auf ein<br />

Zwiegespräch zwischen Interviewerin und der/dem Interviewten hinaus und wichen<br />

daher vom Konzept des narrativen Interviews stark ab.<br />

Zusammengefasst sieht der tatsächlich zur Anwendung gekommene<br />

Forschungsansatz fol<strong>gender</strong>maßen aus:<br />

Narrative Interviews: 4: 3 mit Männern, 1 mit einer Frau<br />

Narrative Interviews mit Zwischenfragen: 12: 3 mit Männern, 9 mit Frauen<br />

Zwiegespräche: 4: 2 mit Männern 2 mit Frauen<br />

30 Der hier genannte ExpertInnen<strong>be</strong>irat setzte sich auch Frauen und Männern zusammen, die<br />

entweder selbst <strong>be</strong>troffen oder <strong>be</strong>ruflich mit Angelegenheiten von <strong>be</strong>hinderten Frauen und Männern<br />

zu tun ha<strong>be</strong>n.<br />

34


4.5.3 Die Stichpro<strong>be</strong><br />

Die Stichpro<strong>be</strong> <strong>be</strong>steht aus 20 Interviews, 12 davon mit Frauen und 8 mit Männern.<br />

Die Anzahl der zu <strong>be</strong>fragenden Frauen ergab sich aus der Tatsache, dass Mädchen<br />

und Frauen gegenü<strong>be</strong>r Burschen und Männern mit Behinderung in den derzeitigen<br />

Betreuungsangeboten wesentlich seltener - im Verhältnis zwei zu drei -<br />

<strong>be</strong>rücksichtigt werden. 31<br />

Weitere Auswahlkriterien waren Ausgewogenheit in:<br />

4.5.4 Kontaktaufnahme<br />

• Regionale Verteilung: Stadt – Land<br />

• Arten der Behinderung<br />

• Altersstreuung<br />

• Wohnsituation: Institution – privat<br />

Das Finden der 20 InterviewpartnerInnen gestaltete sich einfach. Als Einstieg bot<br />

sich eine Veranstaltung der „Selbst<strong>be</strong>stimmt Le<strong>be</strong>n“ – Bewegung am 16.Juni 2004 in<br />

der „Brücke“, <strong>be</strong>i der der Film „BlickBestimmung“ 32 vorgeführt und diskutiert wurde,<br />

an. Als wir an diesem A<strong>be</strong>nd unser Projekt vorstellten, erklärten sich spontan zwei<br />

Frauen und ein Mann zu einem Interview <strong>be</strong>reit. Von ihnen wurden uns wiederum<br />

weitere Ansprechpersonen genannt. Ü<strong>be</strong>r Vermittlung von persönlich Bekannten und<br />

Ansprechpersonen in Wohnprojekten gelang es uns binnen kurzer Zeit den Bedarf<br />

an InterviewpartnerInnen zu rekrutieren. Wir hätten leicht weitere<br />

InterviewpartnerInnen gewinnen können.<br />

31 Siehe Projektantrag vom April 2004, 3.1.<br />

32 Der Film thematisiert anhand von 11 Biographien <strong>be</strong>hinderter Frauen und Männer Formen von<br />

persönlicher Assistenz.<br />

35


4.5.5 Die Interviewsituation<br />

16 der 20 Interviews fanden am Wohnort der <strong>be</strong>fragten Frauen und Männer statt.<br />

Jeweils eine Frau und ein Mann kamen auf eigenen Wunsch zu uns ins<br />

<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> und <strong>be</strong>i jeweils einer Frau und einem Mann wurde als<br />

Interviewort die Ar<strong>be</strong>itsstelle vereinbart. Mit zwei Interviewpartnerinnen musste<br />

aufgrund von technischen Pannen ein zweites Gespräch geführt werden. Alle<br />

InterviewpartnerInnen waren dem Interview gegenü<strong>be</strong>r positiv eingestellt. Es war<br />

offensichtlich, dass die Frauen und Männer stolz darauf waren, einen Beitrag leisten<br />

zu können. Dementsprechend verhielten sie sich sehr kooperativ und mitteilsam. Das<br />

Vorstellen der Interviewerin und des Projektes fiel in den meisten Fällen kurz aus und<br />

es wurde sehr bald mit dem tatsächlichen Interview <strong>be</strong>gonnen. Das Interview fand<br />

immer unter 4-Augen statt. In zwei Fällen wurde darü<strong>be</strong>r hinaus ein Gespräch mit der<br />

Mutter geführt, in weiteren zwei Fällen mit einer Betreuerin, aus dem weitere<br />

Informationen, die in die Auswertung einflossen, hervorgingen.<br />

4.5.6 Die Transkription<br />

Die Interviews wurden auf Band aufgezeichnet. Das <strong>be</strong>im Interview gewonnene<br />

Tondokument wurde im Anschluss verschriftlicht, d.h. wortwörtlich in einen<br />

schriftlichen Text umgewandelt. Da<strong>be</strong>i war die Genauigkeit der Ü<strong>be</strong>rtragung von<br />

großer Bedeutung. Wortwiederholungen, Pausen, Lautstärke, Gefühlsäußerungen<br />

wie Lachen und Weinen, a<strong>be</strong>r auch Hüsteln, Räuspern und ahaas und mhmms<br />

wurden wortgetreu wiedergege<strong>be</strong>n. Dialektausdrücke wurden in Hochsprache<br />

wiedergege<strong>be</strong>n. Da<strong>be</strong>i wurde darauf geachtet, dass keine grammatikalischen<br />

Veränderungen oder Veränderungen der Satzstellung vorgenommen wurden.<br />

36


4.5.7 Die Auswertung<br />

Für die Auswertung wurde das Textinterpretationsprogramm ATLAS/ti verwendet.<br />

Dazu wurden die im Word verschriftlichten Interviews als Dateityp „Nur Text mit<br />

Zeilenwechsel“ im ATLAS/ti - Programm gespeichert und anschließend kodiert. Dies<br />

ermöglichte einen Ü<strong>be</strong>rblick ü<strong>be</strong>r alle wörtlichen Äußerungen, die zu einem<br />

<strong>be</strong>stimmten Thema gemacht wurden.<br />

Der Prozess der Kodierung war ein zweigeteilter. Im ersten Schritt wurde in<br />

Anlehnung an das Forschungsziel und der im Laufe der Studie gesammelten<br />

Erfahrungen ein erster Katalog von Codes erstellt. Der zweite Schritt erfolgte im<br />

Laufe der Kodeverga<strong>be</strong> und ergänzte und verfeinerte den ursprünglichen Katalog. 33<br />

Nach Abschluss der Kodierung wurden für die Auswertung alle Textpassagen einer<br />

relevanten Kategorie gemeinsam aufgerufen und ausgedruckt. Dies war eine der<br />

wichtigsten Grundlagen für die Auswertung.<br />

„Doch jede Situation ist komplexer, als dass sie auszählbar gemacht werden könnte“,<br />

<strong>be</strong>schreibt der Pädagoge Dieter Baacke die Komplexität der Informationen, die aus<br />

narrativen Interviews gewonnen werden kann 34 . Er zitiert dazu den Historiker H.<br />

Lüb<strong>be</strong>, der sagt:<br />

• „Was aus Geschichten herauskommt, ist nicht das, was einer wollte, was<br />

natürlich nicht ausschließt, dass innerhalb von Geschichten Handelnde Tun,<br />

was sie wollen. Evident ist diese Struktur <strong>be</strong>i Personen. Wer oder was jeweils<br />

einer ist, ist er geworden, und dazu trug <strong>be</strong>i, was er tat oder unterließ. A<strong>be</strong>r<br />

niemand kann sich in seiner Identität als das Produkt seines Willens zur<br />

Produktion dieses Produkts denken. Wir sind Referenzsubjekt, a<strong>be</strong>r nicht<br />

Handlungssubjekt unserer Le<strong>be</strong>nsgeschichte. 35 “<br />

Wir ha<strong>be</strong>n es hier also mit „Ausschnitten“ aus und „Einblicken“ in ein „Ganzes“ zu<br />

tun, das man eine individuelle Biographie nennen könnte. Das Ganze ist jedoch weit<br />

33 Vgl. www.atlasti.de<br />

34 Vgl. Baacke/Schulze (1979), S. 23<br />

35 Vgl. e<strong>be</strong>nda, S. 29f<br />

37


mehr, als das hier zugrunde liegende Interviewprotokoll. Was man daraus laut<br />

Baacke gewinnen kann, sind: „vorsichtig zu gebrauchende Orientierungen“ 36 .<br />

Bei der Analyse narrativer Interviewprotokolle ging es darum, aus der Kenntnis<br />

vergleichbarer Personengruppen und Le<strong>be</strong>nszusammenhängen Hypothesen zu<br />

entwickeln, an denen entlang eine erste vage Konstruktion von Zusammenhängen<br />

versucht werden kann. Es kam uns darauf an, ü<strong>be</strong>r Hypothesen<br />

Aufmerksamkeitsrichtungen zu markieren, Indizien zu sammeln, deren Gewicht<br />

allerdings nicht auf Anhieb durch das Aufspüren „zutreffender“ Aussagen <strong>be</strong>legbar<br />

ist. 37<br />

Für die Interpretation von qualitativen Interviews ist ein vierfacher Aspekt von<br />

Sinnkonstitution zu <strong>be</strong>rücksichtigen:<br />

1) Der Interviewte erzählt nicht nur objektive Bege<strong>be</strong>nheiten aus seiner<br />

Erinnerung, sondern interpretiert diese Erinnerungen gleichzeitig auf dem<br />

Raster seiner heutigen Erfahrungen.<br />

2) Die Interviewsituation stellt selbst einen Interaktionszusammenhang dar.<br />

Dadurch wird zwischen den Interaktionspartnern eines Interviews<br />

Interaktionssinn ausgehandelt. Das <strong>be</strong>deutet, dass eine Interpretation von<br />

Interviewprotokollen sich immer schon auf einen doppelt interpretierten<br />

Sinnzusammenhang <strong>be</strong>zieht.<br />

3) Es entsteht ein Interaktionssinn zwischen Interpreten und Text des Protokolls.<br />

Der kommt dadurch zustande, dass der Interpret die <strong>be</strong>iden vorgenannten<br />

Aspekte von Sinnkonstitution auf die Folie seiner subjektiven Sichtweise<br />

interpretierend zu erfassen sucht.<br />

4) Wenn nun ü<strong>be</strong>r die Interpretationen der vorgenannten Sinnkonstitutionen<br />

hinaus auch Rückschlüsse auf Bedingungen objektiver Wirklichkeit gezogen<br />

werden sollen, die sich den subjektiven Situationsdefinitionen der Interviewten<br />

noch entziehen, erfolgt eine vierte Sinnkonstitution ü<strong>be</strong>r den interpretativen<br />

Filter der Forscher.<br />

Forschungspraktisch <strong>be</strong>deuten die vier Aspekte von Sinnkonstitution zunächst, dass<br />

die Forscherin/der Forscher die Perspektive der Betroffenen virtuell ü<strong>be</strong>rnehmen<br />

muss. Dieses Sichhineinversetzen in die Rolle des/der Interviewten, um seine/ihre<br />

36 Vgl. e<strong>be</strong>nda, S. 31<br />

37 Vgl. e<strong>be</strong>nda, S. 185<br />

38


Konzepte und Sinnperspektiven verstehen und erklären zu können, ist deshalb<br />

angemessen, weil die Interpretationsmuster von ForscherIn und Interviewten auf<br />

einer alltagtheoretischen E<strong>be</strong>ne potentiell gleich sind 38<br />

Bei der Interpretation gingen wir methodisch so vor, dass wir uns zwar zunächst<br />

einzelnen Textstellen aus den Interviewprotokollen zuwanden, diese jedoch nicht<br />

isoliert interpretierten, sondern den Stellenwert der Textstellen aus dem<br />

Gesamtkontext des Interviewprotokolls erschlossen 39 .<br />

Es wurden von uns 127 Codes (=Kategorien) verge<strong>be</strong>n, die in 22 Code Families<br />

eingeteilt sind. 40<br />

Die am häufigsten genannten Kategorien sind:<br />

Kategorien Insgesamt Von Frauen Von Männern<br />

genannt<br />

genannt<br />

genannt<br />

Freizeitaktivität 55 29 26<br />

Selbstdarstellung 36 12 24<br />

FreundInnen 36 17 19<br />

Ar<strong>be</strong>itssituation 36 27 9<br />

Wohnsituation 35 30 5<br />

Vorherige Ar<strong>be</strong>it 32 18 14<br />

Ta<strong>be</strong>lle 2: Narrative Interviews - Kategorien<br />

Während <strong>be</strong>i Freizeitaktivitäten, FreundInnen und vorherige Ar<strong>be</strong>it die Zahl der<br />

Wortmeldungen annähernd gleich sind, findet man <strong>be</strong>i der Selbstdarstellung<br />

eindeutig einen Ü<strong>be</strong>rhang <strong>be</strong>i den männlichen Wortmeldungen. Bei Ar<strong>be</strong>its- und<br />

Wohnsituation waren es dann die Frauen, die sich öfters dazu äußerten.<br />

38 Vgl. e<strong>be</strong>nda, S.192f<br />

39 vgl. e<strong>be</strong>nda, S.192<br />

40 Siehe Anhang<br />

39


4.5.8 Die Auswertung im Detail<br />

Statistische Daten<br />

Regionale Verteilung<br />

Abbildung 12: Narrative Interviews – Regionale Verteilung der Interviews<br />

Arten der Behinderung<br />

Frauen nach Arten der Behinderung - narrative Interviews<br />

Lernschwierigkeiten; 7<br />

Sinnes<strong>be</strong>hinderung; 1<br />

1 1<br />

1 2<br />

4 6<br />

1 2<br />

Mehrfach<strong>be</strong>hinderung; psychische Problematik;<br />

0<br />

1 1<br />

körperliche<br />

Beeinträchigung; 4<br />

Abbildung 13: Narrative Interviews – Frauen nach Arten der Behinderung<br />

Männer<br />

Frauen<br />

40


Altersstruktur<br />

Männer nach Arten der Behinderung - narrartive Interviews<br />

Mehrfach<strong>be</strong>hinderung; 2<br />

psychische Problematik;<br />

0<br />

Sinnes<strong>be</strong>hinderung; 0<br />

Lernschwierigkeiten; 3<br />

körperliche<br />

Beeinträchigung; 3<br />

Abbildung 14: Narrative Interviews – Männer nach Arten der Behinderung<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

18 bis 20 J.<br />

Altersstrukutur - narrative Interviews<br />

5 5 5 5<br />

21 bis 30 J.<br />

31 bis 40 J.<br />

ab 40<br />

Durchschnitt<br />

Abbildung 15: Narrative Interviews - Altersstruktur<br />

33<br />

41


Wohnsituation<br />

4,5<br />

4<br />

3,5<br />

3<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

Wohnsituation - qualitative Interviews<br />

Privat/Bei den Eltern Privat/Eigene Wohnung Institution/Trainingswohnung Institution/Heim<br />

Abbildung 16: Narrative Interviews – Wohnsituation<br />

An den Anfang stellen wir aus Verständnisgründen eine Kurz<strong>be</strong>schreibung der<br />

Le<strong>be</strong>nsläufe aller 20 von uns interviewten Frauen und Männer. Da<strong>be</strong>i gehen wir auf<br />

das Alter, die Behinderung, die Ausbildung, die Berufserfahrung, die derzeitigen<br />

Le<strong>be</strong>nsumstände und die Zukunftswünsche ein, soweit sie im Interview ausgedrückt<br />

wurden. Die Unterschiedlichkeit der <strong>be</strong>schrie<strong>be</strong>nen Le<strong>be</strong>nsläufe liegt im<br />

Forschungsansatz <strong>be</strong>gründet. Die Interviews dauerten zwischen 20 Minuten und 2<br />

Stunden und hatten sehr unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte. Da es nicht<br />

vorgesehen war, zusätzliche Informationen ü<strong>be</strong>r die Interviewten einzuholen, sind die<br />

zugrunde liegenden Informationen auch unterschiedlich. Zur Wahrung der<br />

Anonymität sind die einzelnen Le<strong>be</strong>nsläufe mit Buchsta<strong>be</strong>n nach dem Alpha<strong>be</strong>t<br />

<strong>be</strong>nannt. Ein möglicher Rückschluss auf die tatsächlichen Namen wäre da<strong>be</strong>i rein<br />

zufällig.<br />

Danach ha<strong>be</strong>n wir Antworten auf die als Forschungsziel formulierten Fragen gesucht<br />

und schließlich gehen wir auf Bereiche ein, die im Zuge der Interviews immer wieder<br />

angesprochen wurden. Die da<strong>be</strong>i verwendeten Zitate sind aus Anonymitätsgründen<br />

nicht namentlich <strong>be</strong>nannt.<br />

Frauen<br />

Männer<br />

42


Kurz<strong>be</strong>schreibung der Le<strong>be</strong>nsläufe<br />

Frauen<br />

Frau A., eine Enddreißigerin mit Lernschwierigkeiten, wuchs mit ihrer Mutter und<br />

zwei Brüdern auf einem Bauernhof auf. Sie <strong>be</strong>suchte die Sonderschule. Dane<strong>be</strong>n<br />

musste sie sehr viel im Stall und auf dem Feld mithelfen. Später hat sie verschiedene<br />

Ar<strong>be</strong>itsstellen ausprobiert. Doch nirgends konnte sie auf Dauer blei<strong>be</strong>n, da sie viel zu<br />

langsam war. Jetzt ist sie schon seit 20 Jahren <strong>be</strong>i der gleichen Einrichtung. Hier hat<br />

sie ein schönes Zimmer in einer Wohngemeinschaft und ar<strong>be</strong>itet tagsü<strong>be</strong>r in der<br />

Werkstattküche. Sie ist zufrieden mit ihrem Le<strong>be</strong>n, schließlich hat sich gegenü<strong>be</strong>r<br />

früher viel ver<strong>be</strong>ssert. Dass jedoch der Kontakt zum Elternhaus abgebrochen ist,<br />

macht sie sehr traurig.<br />

Frau B. ist als „blaues Baby“ zur Welt gekommen und seither als Schwerst<strong>be</strong>hindert<br />

eingestuft. Ihre Einschränkungen sind hauptsächlich im Lern<strong>be</strong>reich. Manchmal hat<br />

sie auch Gedächtnisausfälle. Da bleibt sie plötzlich stehen. Wenn sie dann wieder zu<br />

sich kommt, weiß sie nicht mehr, was vorher geschehen ist 41 . Sie lebt seit ihren<br />

ersten Le<strong>be</strong>nsmonaten <strong>be</strong>i einer Pflegefamilie. Sie ist dort gut aufgeho<strong>be</strong>n und fühlt<br />

sich wohl. Tagsü<strong>be</strong>r ist die 20-Jährige in einer Tageswerkstätte untergebracht. Dort<br />

ist sie <strong>be</strong>schäftigt und fühlt sich angenommen, so wie sie ist. Für die Zukunft wünscht<br />

sie sich eine zärtliche Beziehung und Ar<strong>be</strong>it im Haushalt, eventuell auch in einem<br />

eigenen.<br />

Frau C. ist zu früh auf die Welt gekommen und von Geburt an Spastikerin. Sie hat<br />

die Volks- und Hauptschule <strong>be</strong>sucht und hatte es als einzige Behinderte in der<br />

jeweiligen Schulklasse schwer. Später hat sie in einer Behindertenschule<br />

Selbständigkeit gelernt. Heute ist sie 48 Jahre alt, ar<strong>be</strong>itet seit fast 30 Jahren als<br />

Küchenhilfe und hat Frühpension <strong>be</strong>antragt, weil ihr Körper nicht mehr mitmachen<br />

will.<br />

Frau D., eine 20-jährige Frau mit Lernschwierigkeiten, hat sich schon in der<br />

Sonderschule nicht ausreichend unterstützt gefühlt. Als sie dann in einer<br />

Behinderteneinrichtung eine Ausbildung als Bäckerin und Küchenhilfe gemacht hat,<br />

hatte sie immer wieder Probleme mit dem Tempo und konnte deshalb nirgends Fuß<br />

fassen. Schließlich hat sie in einem anderen Behindertenprojekt Aufnahme<br />

41 Ü<strong>be</strong>r die Auswirkungen ihrer Behinderung wissen wir von ihrer Mutter und ihrer Betreuerin in der<br />

Tageswerkstätte.<br />

43


gefunden, wo jetzt auf ihre Möglichkeiten eingegangen wird. Hier fühlt sie sich wohl<br />

und ist motiviert, weiterzumachen.<br />

Frau E., erfuhr in ihrer Familie viel Gewalt, und zwar so stark, dass sie dauerhafte<br />

körperliche Behinderungen davongetragen hat. Schließlich wuchs sie in einem<br />

Internat für Behinderte auf. Dort wohnte sie und ging auch zur Schule. Sie ist noch<br />

heute traumatisiert von den Ereignissen in der Kindheit und hat ständig Angst, dass<br />

ihre Familie etwas, von dem ,was sie sagt oder tut, erfährt. Inzwischen hat die ü<strong>be</strong>r<br />

40jährige einen Platz in einem Heim gefunden, wo sie sich wohl und aufgeho<strong>be</strong>n<br />

fühlt. Für sie ist die Möglichkeit, in der Beschäftigungstherapie zu ar<strong>be</strong>iten und ein<br />

kleines Taschengeld zu <strong>be</strong>kommen, ausreichend.<br />

Frau F. hat eine frühkindliche Hirnschädigung und epileptische Anfälle. Sie ist in<br />

einer Pflegefamilie aufgewachsen, die ihr mit sehr viel Geduld in der Sonderschule<br />

geholfen hat, sodass sie heute lesen und schrei<strong>be</strong>n kann. Danach war sie 11 Jahre<br />

in der Näherei einer Einrichtung. Als diese zugemacht hat, fand sie in einer<br />

Tageswerkstätte Aufnahme. Da wurde in erster Line gebastelt. Das hat ihr nicht<br />

gefallen, weil es für sie eher Hobby als Ar<strong>be</strong>it war. Jetzt ist die inzwischen 44jährige<br />

in der Wäscherei tätig. Sie findet es frustrierend, dass sie damit keine<br />

Pensions<strong>be</strong>rechtigung hat und dass die Ar<strong>be</strong>itsstätte im Keller ist, wo es kein<br />

Tageslicht gibt. Sie ist sehr an dem, was um sie herum passiert, interessiert und setzt<br />

sich gut für sich und andere ein.<br />

Frau G., eine 21-jährige Frau mit Down Syndrom, liebt es, Bier auszuschenken. Es<br />

gefällt ihr zwar nicht da, wo sie es jetzt tut, a<strong>be</strong>r die Tätigkeit stimmt. Sie lebt mit<br />

ihren Eltern und Geschwistern, in ihrer Freizeit verfolgt sie vielfältige Aktivitäten.<br />

Dass Frau H. eine Behinderung hat, wurde erst mit 6 Jahren offensichtlich.<br />

Eingestuft wurde sie jedoch erst mit 18 Jahren, nachdem es ihr nach dem<br />

Hauptschulabschluss nicht gelungen war, <strong>be</strong>ruflich Fuß zu fassen. Jetzt ist sie 21<br />

Jahre alt und in einem Wohn- und Ausbildungsprojekt für Behinderte, das<br />

Berufsorientierung und Teilqualifizierung anbietet, untergebracht. Es gefällt ihr sehr<br />

gut und sie ist sehr motiviert, sich weiterzuentwickeln.<br />

Frau I. ist 40 Jahre alt. Sie erkrankte an einem Hüftleiden erkrankt, das sich immer<br />

mehr verschlimmert hat, sodass sie inzwischen als 50% <strong>be</strong>hindert gilt. Sie hat<br />

Bürokauffrau gelernt und war zwischendurch als Fußpflegerin tätig – auch in der Zeit<br />

als sie krankheits<strong>be</strong>dingt <strong>be</strong>wegungsunfähig war. Zuletzt hat sie in einem Projekt<br />

gear<strong>be</strong>itet und ist derzeit ar<strong>be</strong>itslos.<br />

44


Frau J. kam mit offenem Rücken und weiteren Behinderungen zur Welt. Die<br />

ÄrztInnen ga<strong>be</strong>n ihr nur ein paar Monate Le<strong>be</strong>nschance. Inzwischen ist sie 20 und<br />

auf dem Weg zur Selbständigkeit. Mit großer Unterstützung ihrer Eltern hat sie die<br />

Volks-, Haupt- und Haushaltungsschule in einer Integrationsklasse <strong>be</strong>sucht und ist<br />

derzeit in einer Tageswerkstätte untergebracht. Einmal in der Woche ar<strong>be</strong>itet sie in<br />

einer Gemischtwarenhandlung. Sie ist sehr zufrieden mit ihrem Le<strong>be</strong>n.<br />

Frau K, eine von Geburt an seh<strong>be</strong>hinderte Frau um die dreißig, hat sich schon früh<br />

mit ihrer Behinderung auseinandergesetzt und einen Beruf gesucht, der zu ihr passt.<br />

Sie ist inzwischen seit 11 Jahren als Telefonistin am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt tätig und im<br />

Moment damit <strong>be</strong>schäftigt, sich <strong>be</strong>ruflich neu zu orientieren. In ihrer<br />

Eigentumswohnung hat sie viel Freude.<br />

Frau L. ist 47. Sie lebt in einem Heim und ar<strong>be</strong>itet in der We<strong>be</strong>rei. Dort hat sie seit<br />

18 Jahren einen Le<strong>be</strong>nsgefährten, mit dem sie alles teilt. Sie ziehen demnächst auch<br />

in eine gemeinsame Wohnung innerhalb dersel<strong>be</strong>n Institution.<br />

Männer<br />

Herr A. ist um die 40. Er hat von Geburt an eine Lernschwäche. Auf Betrei<strong>be</strong>n der<br />

Sozialar<strong>be</strong>iterin kam er als Jugendlicher in ein Internat für Behinderte, wo es ihm gar<br />

nicht gefiel. Später hat er mit seinem Vater als angelernter Schlosser gear<strong>be</strong>itet. Es<br />

hat ihm gut gefallen, a<strong>be</strong>r zwischendurch hatte er immer wieder Ausfälle und<br />

unterbrach die Ar<strong>be</strong>it mehr oder weniger lang. Jetzt ist er ar<strong>be</strong>itsunfähig und lebt von<br />

der Sozialhilfe. Nach der Diagnose MS ist er Rollstuhlfahrer und <strong>be</strong>dauert die Zeit,<br />

die er nicht gear<strong>be</strong>itet hat, weil sie ihm jetzt für die Frühpension fehlt.<br />

Herr B. ist seit früher Kindheit als schwerst<strong>be</strong>hindert eingestuft. Deshalb konnte er<br />

nur die Spielgruppe der Sonderschule <strong>be</strong>suchen, was ihm heute noch zu schaffen<br />

macht. Doch seine Pflegeeltern ermöglichten ihm mit Hilfe von Privatunterricht, dass<br />

der heute 24Jährige Lesen und Schrei<strong>be</strong>n kann. Die Ar<strong>be</strong>it als Gärtner am 2.<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarkt gefällt ihm. Dort fühlt er sich aufgeho<strong>be</strong>n. Es <strong>be</strong>schäftigt ihn nicht sehr,<br />

ob er eine Anstellung <strong>be</strong>kommt und wie viel er verdient. Er ist jedoch sehr stolz auf<br />

seinen Mopedführerschein, der ihn offensichtlich ein bisschen mit seiner<br />

Vergangenheit, in der ihm nicht viel zugetraut wurde, versöhnt.<br />

Herr C. hat e<strong>be</strong>nfalls von Geburt an Lernschwierigkeiten und dazu noch von Zeit zu<br />

Zeit epileptische Anfälle. In einem mehrwöchigen Berufsfindungskurs wurde klar,<br />

dass er keine Berufsschule schaffen kann. Der heute 24-Jährige hat sich danach<br />

45


selbst das Herstellen von Modelle aus Holz <strong>be</strong>igebracht. Diese Modelle fertigt er als<br />

Geschenke für Freunde und Bekannte an. Jetzt ist er in einer Tageswerkstätte<br />

untergebracht, wo er „Außendienst“ macht. Da stellen sie Festzelte und Bühnen auf,<br />

helfen <strong>be</strong>i der Ausschank und wo sonst noch Hilfe gebraucht wird.<br />

Herr D. ist 40 Jahre alt. Aufgrund von zwei Jugendunfällen ist er querschnittgelähmt<br />

und kann die rechte Hand nicht <strong>be</strong>wegen. Dennoch konnte er die Matura in einer<br />

AHS machen. Das Studium musste er jedoch aufgrund von Mangel an persönlicher<br />

Assistenz aufge<strong>be</strong>n. Heute ist er in einer Beratungsstelle für <strong>be</strong>hinderte Menschen<br />

angestellt und engagiert sich für das selbst<strong>be</strong>stimmte Le<strong>be</strong>n von Männern und<br />

Frauen mit Behinderung.<br />

Herr E. war eine Frühgeburt, als er vor 54 Jahren zur Welt kam. Davon sind ihm<br />

mehrfache Behinderungen geblie<strong>be</strong>n, die sich im Laufe seines Le<strong>be</strong>ns<br />

verschlechtert ha<strong>be</strong>n. Schon in früher Jugend kam er in ein Internat für Behinderte,<br />

weit weg von zu Hause. Heute ist er in einem Behindertenprojekt untergebracht, in<br />

dem er Selbständigkeit lernt. Er freut sich darauf, bald in eine <strong>be</strong>treute Wohnung<br />

gemeinsam mit seinem Freund ziehen zu können.<br />

Herr F., ein 18jähriger Mann mit Lernschwierigkeiten hat nach dem<br />

Hauptschulabschluss einen Berufsorientierungskurs gemacht. Jetzt macht er<br />

Praktika in verschiedenen Geschäften und hofft auf eine dauerhafte Anstellung als<br />

Regal<strong>be</strong>treuer.<br />

Herr G. hat Bäcker gelernt. Nach Gewalterfahrungen in der Kindheit hatte er<br />

<strong>be</strong>ruflich und privat stets Schwierigkeiten, war aggressiv, hatte Alkoholprobleme und<br />

landete schließlich sogar im Knast. Mit 25 hatte er einen Schlaganfall und ist seither<br />

linksseitig stark körper<strong>be</strong>hindert. Jetzt ar<strong>be</strong>itet der 29-Jährige in der<br />

Beschäftigungstherapie als Bäcker und lebt in einer <strong>be</strong>treuten Trainingswohnung.<br />

Das gefällt ihm. Er hat mit einer Kollegin auch ein Kochbuch zusammengestellt, das<br />

er verkaufen will.<br />

Herr H. ist 54. Er hat von Geburt an Lernschwierigkeiten. Er ist <strong>be</strong>i Zieheltern<br />

aufgewachsen, hat We<strong>be</strong>r gelernt und seinen Beruf mit Gesellenprüfung<br />

abgeschlossen und auch in seinem Beruf gear<strong>be</strong>itet. All die Zeit hat er <strong>be</strong>i Zieheltern<br />

gewohnt. Als diese gestor<strong>be</strong>n sind, fand er in einem Heim mit integrierter Werkstätte<br />

Aufnahme. Hier lebt er glücklich mit seiner Freundin, bald in einer gemeinsamen<br />

Wohnung.<br />

46


Was ist das vordergründige Interesse der <strong>be</strong>fragten <strong>be</strong>hinderten Frauen und<br />

Männer?<br />

Will man auf diese Fragen mittels erzählter Geschichte Antwort finden, so darf man<br />

nicht außer acht lassen, dass das Interview in erster Linie etwas ü<strong>be</strong>r die momentane<br />

Befindlichkeit und damit auch ü<strong>be</strong>r das zum Zeitpunkt des Interviews vordergründige<br />

Interesse aussagt. Ein, ein paar Tage später geführtes Interview kann <strong>be</strong>reits ganz<br />

andere Schwerpunkte setzen.<br />

Von den 12 <strong>be</strong>fragten Frauen ha<strong>be</strong>n vier zum Ausdruck gebracht, dass sie mit der<br />

gegenwärtigen Situation sehr zufrieden sind und ihr primäres Interesse darin liegt,<br />

dass es bleibt, wie es ist. Drei dieser Frauen ha<strong>be</strong>n viel „hinter sich“ und genießen<br />

die derzeitige Situation. Sie stellt eine eindeutige Ver<strong>be</strong>sserung gegenü<strong>be</strong>r der<br />

Vergangenheit dar. Zwei davon <strong>be</strong>ziehen diese Äußerung in erster Linie auf ihre<br />

Wohnsituation, eine dritte auf ihren Ar<strong>be</strong>itsplatz. Die vierte schließt <strong>be</strong>ides mit ein<br />

und freut sich darü<strong>be</strong>r, dass sie trotz ihrer mehrfachen körperlichen Behinderung ein<br />

weitgehend normales Le<strong>be</strong>n führt und stellt die Dankbarkeit für die zahlreiche Hilfe,<br />

die sie von ihrer Familie und ihrer Umwelt <strong>be</strong>kommt, in den Mittelpunkt des<br />

Interviews.<br />

Für vier Frauen ist Ar<strong>be</strong>it das zentrale Thema in ihrer erzählten Geschichte. Drei<br />

dieser Frauen sind um die 20 und in einer Phase der Berufsorientierung und<br />

Ausbildung. Es ist ihnen wichtig, eine ihren Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit zu<br />

finden. Die vierte Frau ist derzeit ar<strong>be</strong>itslos. Sie ist mit der Aufar<strong>be</strong>itung der<br />

Ereignisse im vorangegangenen Job <strong>be</strong>schäftigt und auf der Suche nach einem<br />

neuen Betätigungsfeld.<br />

Eine neue Wohnung ist für zwei der interviewten Frauen von zentraler Wichtigkeit.<br />

Die eine hat gerade eine neue Wohnung – erstmals in ihrem fast 40-jährigen Le<strong>be</strong>n –<br />

<strong>be</strong>zogen und ist mit dem Einrichten und der Alltags<strong>be</strong>wältigung <strong>be</strong>schäftigt. Die<br />

andere wird in absehbarer Zeit eine Wohnung gemeinsam mit ihrem Partner<br />

innerhalb einer Institution <strong>be</strong>ziehen. Eine weitere Frau <strong>be</strong>schäftigt in erster Linie die<br />

Pension, die sie vor einiger Zeit <strong>be</strong>antragt hat. Ein positiver Pensions<strong>be</strong>scheid wäre<br />

47


für sie eine ungeheure Erleichterung, da ihre langjährige Ar<strong>be</strong>it als Küchenhilfe für<br />

sie aufgrund ihrer körperlichen Behinderung immer <strong>be</strong>lastender wird. Die letzte der<br />

12 Frauen schließlich <strong>be</strong>schäftigt es, wie sie einen Partner finden könnte, mit dem sie<br />

ihr Le<strong>be</strong>n verbringen kann.<br />

Das vordergründige Interesse der Frauen im Ü<strong>be</strong>rblick:<br />

Vordergründiges Interesse Alter Behinderung Wohnort<br />

Es ist gut so, wie es ist 30 Seh<strong>be</strong>hindert Stadt<br />

39 Lernschwierigkeiten Land<br />

20 Körper<strong>be</strong>hinderung Land<br />

44 Mehrfach <strong>be</strong>hindert Land<br />

Ar<strong>be</strong>itssuche 20 Lernschwierigkeiten Stadt<br />

20 Lernschwierigkeiten Land<br />

21 Down Syndrom Stadt<br />

40 Körper<strong>be</strong>hinderung Stadt<br />

Wohnung 39 Lernschwierigkeiten Stadt<br />

47 Körper<strong>be</strong>hinderung Land<br />

Pension 48 Körper<strong>be</strong>hinderung Stadt<br />

Beziehung 20 Lernschwierigkeiten Land<br />

Ta<strong>be</strong>lle 3: Vordergründiges Interesse der Frauen<br />

Bei den Männern dominiert in den Interviews die Beschäftigung mit der<br />

Wohnsituation. Bei drei der 8 <strong>be</strong>fragten Männer steht die Vorfreude auf eine <strong>be</strong>reits<br />

in Aussicht stehende neue Wohnung, in die sie mit ihren PartnerInnen ziehen<br />

werden, im Vordergrund. Der Job <strong>be</strong>schäftigt weitere zwei Männer zentral. Der eine<br />

ist gerade auf der Suche nach einer für ihn <strong>be</strong>friedigenden Ar<strong>be</strong>it und der andere<br />

geht inhaltlich in seiner Ar<strong>be</strong>it auf. Für einen anderen Mann ist die Beziehung in<br />

seiner Erzählung das Wichtigste. Ein weiterer Mann ist mit der Bewältigung des<br />

Alltags <strong>be</strong>schäftigt, der für ihn krankheits<strong>be</strong>dingt immer schwieriger wird und ein<br />

Mann schließlich Mann stellt seine Hilfs<strong>be</strong>reitschaft in seinem Umfeld in den<br />

Mittelpunkt seiner Ausführungen.<br />

48


Vordergründiges Interesse der Männer im Ü<strong>be</strong>rblick:<br />

Vordergründiges<br />

Interesse<br />

Alter Behinderung Wohnort<br />

Wohnen 29 Lernschwierigkeiten Stadt<br />

53 Körper<strong>be</strong>hindert Land<br />

50 Lernschwierigkeiten Land<br />

Ar<strong>be</strong>it 39 Körper<strong>be</strong>hinderung Stadt<br />

18 Lernschwierigkeiten Stadt<br />

Alltags<strong>be</strong>wältigung 33 MS/Lernschwierigkeiten Stadt<br />

Freundin 24 Mehrfach <strong>be</strong>hindert Land<br />

Hilfs<strong>be</strong>reitschaft 34 Lernschwierigkeiten Land<br />

Ta<strong>be</strong>lle 4: Narrative Interviews – Vordergründiges Interesse der Männer<br />

Wie schaut der Alltag der <strong>be</strong>fragten Frauen und Männern aus?<br />

Die Struktur des Alltags ist einge<strong>be</strong>ttet in eine Zeitstruktur, die von Erwerbsar<strong>be</strong>it,<br />

Hausar<strong>be</strong>it und Freizeit <strong>be</strong>stimmt ist. Wenn man davon absieht, dass die<br />

verschiedenen Arten von Behinderungen unterschiedliche Grade von<br />

Erschwernissen, einen solchen „normalen“ Alltag zu le<strong>be</strong>n, mit sich bringen,<br />

unterscheidet sich der Alltag der von uns <strong>be</strong>fragten <strong>be</strong>hinderten Frauen und Männer<br />

kaum vom durchschnittlichen Alltag einer nicht <strong>be</strong>hinderten <strong>be</strong>rufstätigen Frau, eines<br />

nicht <strong>be</strong>hinderten <strong>be</strong>rufstätigen Mannes.<br />

Von den 12 Frauen verlassen 11 täglich das Haus, um zur Ar<strong>be</strong>it oder in die<br />

Ausbildung zu gehen. Eine Frau ist auf Ar<strong>be</strong>itssuche und als solche nicht in eine<br />

Struktur eingebunden.<br />

Von den 8 Männern gehen 6 täglich zur Ar<strong>be</strong>it, einer ist auf Jobsuche und einer ist<br />

krankheits<strong>be</strong>dingt zu Hause.<br />

Welche Wünsche und Träume ha<strong>be</strong>n die <strong>be</strong>fragten Frauen und Männer für die<br />

Zukunft?<br />

Geäußerte Wünsche an die Zukunft korrelieren oft mit dem, was die Frauen und<br />

Männer im Interview am meisten <strong>be</strong>schäftigt.<br />

49


Dass es so bleibt, wie es ist, wünschen sich vier Frauen, eine Pension wünschen<br />

sich zwei Frauen. Zwei junge Frauen ha<strong>be</strong>n ihre Wünsche auf ein erfülltes Le<strong>be</strong>n mit<br />

Beruf und Familie bzw. Partner ausgerichtet, eine weitere junge Frau wünscht sich<br />

ihre Zukunft an der Seite eines Mannes, der sie liebt, eine Frau wünscht sich eine<br />

andere Ar<strong>be</strong>itsstelle, <strong>be</strong>i der sie das Gleiche tut wie jetzt, die ar<strong>be</strong>itslose Frau<br />

wünscht sich eine Ar<strong>be</strong>it, <strong>be</strong>i der sie ihre Fähigkeiten einbringen kann und eine<br />

weitere freut sich auf die neue gemeinsame Wohnung mit ihrem Partner, die ihr im<br />

Rahmen eines Wohnheims in naher Zukunft ermöglicht wird.<br />

Bei den Männern ist es ähnlich:<br />

Vier Männer träumen laut von einer erfüllten Zukunft, die für den einen Job, Familie<br />

und eigenes Häuschen <strong>be</strong>inhaltet, für den anderen eine Freundin, die ihn liebt, für<br />

den dritten, seine derzeitige Freundin zu heiraten und mit ihr Kinder zu ha<strong>be</strong>n, für<br />

den vierten, bald in die <strong>be</strong>reits in Aussicht stehende Wohnung gemeinsam mit seiner<br />

Partnerin zu ziehen.<br />

Ein junger Mann träumt davon, ein eigenständiges Le<strong>be</strong>n fern von seiner Familie zu<br />

führen, ein weiterer ausreichend persönliche Assistenz vom Staat <strong>be</strong>zahlt zu<br />

<strong>be</strong>kommen, einer einen Job zu finden, <strong>be</strong>i dem er bis zur Pension blei<strong>be</strong>n kann, und<br />

der Mann, der krankheitshal<strong>be</strong>r einen Rollstuhl <strong>be</strong>nützt, wünscht sich eine Pension,<br />

um die Jahre, die ihm noch blei<strong>be</strong>n, ohne allzu große finanzielle Probleme le<strong>be</strong>n zu<br />

können.<br />

Welchen Stellenwert hat Ar<strong>be</strong>it im Le<strong>be</strong>n der interviewten Frauen und Männern<br />

generell?<br />

Die <strong>be</strong>rufliche Streuung der Stichpro<strong>be</strong> im Detail:<br />

Frauen<br />

Telefonzentrale Gelernt; 1.Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

Versicherungsbüro Gelernt; derzeit ar<strong>be</strong>itslos<br />

Küche Angelernt; 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

Küche Teilqualifizierung in Ausbildung<br />

Büro/Berufsvertretung Teilqualifizierung in Ausbildung<br />

50


Service/Ausschank Beschäftigungstherapie<br />

Schneiderei Beschäftigungstherapie<br />

2x Haushaltungsschule Beschäftigungstherapie<br />

Schneiderei – Wäscherei Beschäftigungstherapie<br />

2 x ohne Spezialisierung Beschäftigungstherapie<br />

Ta<strong>be</strong>lle 5: Narrative Interviews - Berufliche Situation - Frauen<br />

Männer<br />

Büro- und Beratungstätigkeit learning by doing; 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

Bäckerei Gelernt; Beschäftigungstherapie<br />

We<strong>be</strong>rei Gelernt; Beschäftigungstherapie<br />

Gärtnerei Angelernt; Beschäftigungstherapie<br />

Modellbauerei learning by doing;<br />

Beschäftigungstherapie<br />

Botenar<strong>be</strong>it Teilqualifizierung in Ausbildung<br />

Regal<strong>be</strong>treuung Teilqualifizierung; auf Ar<strong>be</strong>itssuche<br />

Schlosserei Angelernt; Krankenstand<br />

Ta<strong>be</strong>lle 6: Narrative Interviews - Berufliche Situation - Männer<br />

Allgemein ist zu sagen, dass für alle 20 von uns <strong>be</strong>fragten Frauen und Männer,<br />

Ar<strong>be</strong>it einen wichtigen Stellenwert hat. Es ist ein Teil des Le<strong>be</strong>ns, der<br />

selbstverständlich abgedeckt werden muss. In erster Linie wird darunter eine<br />

Beschäftigung, eine Aufga<strong>be</strong> verstanden, die einen Wert hat, Befriedigung und<br />

Anerkennung verschafft und das Gefühl gibt, etwas Sinnvolles zu tun. Es ist auch<br />

wichtig, ein möglichst normales Le<strong>be</strong>n, wie es „alle tun oder anstre<strong>be</strong>n“, zu le<strong>be</strong>n.<br />

Da<strong>be</strong>i wird die eigene Fähigkeit hintangestellt. Es werden Mittel gesucht und<br />

gefunden, die eigenen Behinderung zu ü<strong>be</strong>rwinden, um diesem Bild entsprechen zu<br />

können.<br />

Dennoch variiert die Definition dessen, was Ar<strong>be</strong>it ist, sowohl geschlechts- als auch<br />

<strong>be</strong>hinderungsspezifisch.<br />

Das Spektrum ist <strong>be</strong>i Frauen wesentlich weiter gesteckt als <strong>be</strong>i Männern.<br />

51


Während es für die eine die Erfüllung ihres größten Wunsches <strong>be</strong>deutet, in der<br />

Beschäftigungstherapie eine Ar<strong>be</strong>it zu ha<strong>be</strong>n -<br />

• „Es war für mich schon anstrengend einen Job zu kriegen, a<strong>be</strong>r es hat sich<br />

gelohnt. Im Geschäft, dass wir das auch verbinden können im Geschäft, das<br />

war für mich ü<strong>be</strong>rhaupt das Schönste. Und dass die Kunden auch so nett sind.<br />

Das ist auch so super. Jetzt hoffe ich auch, dass es in meinem Job weiter<br />

geht.“<br />

- <strong>be</strong>klagt sich die andere darü<strong>be</strong>r, dass die Ar<strong>be</strong>it in der Beschäftigungstherapie<br />

zwar ähnlich wie eine Ar<strong>be</strong>it am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt ist, jedoch nur mit einem<br />

Taschengeld <strong>be</strong>lohnt wird und nicht als pensions<strong>be</strong>gründende Ar<strong>be</strong>it anerkannt ist.<br />

• „Das ist das Tragische. Zwanzig Jahre bin ich jetzt in den Tageswerkstätten<br />

nie angemeldet. Also ich ha<strong>be</strong> die größten Probleme jetzt, dass ich eine<br />

Pension <strong>be</strong>komme. Bekomme ich jetzt vielleicht wenn es gut geht, eine<br />

Sozialpension.“<br />

Für wiederum eine andere würde es für die Zukunft auch genügen, in einem<br />

Privathaushalt, dieser könnte auch der eigene sein, eine Beschäftigung zu finden. Ihr<br />

geht es um die Beschäftigung an sich, ums Geld kümmert sich (noch) die<br />

Pflegemutter.<br />

Drei der <strong>be</strong>fragten Frauen sind bzw. waren am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt <strong>be</strong>schäftigt. Es sind<br />

dies drei Frauen, die keine Form von Lernschwierigkeiten ha<strong>be</strong>n, wohl a<strong>be</strong>r<br />

körperliche Einschränkungen - angeboren oder erst später aufgetreten – und eine<br />

Sinnes<strong>be</strong>hinderung.<br />

Bezüglich der Ar<strong>be</strong>itssituation wird immer wieder <strong>be</strong>tont, wie wichtig es ist, im<br />

eigenen Tempo ar<strong>be</strong>iten zu können, bzw. der Zeitfaktor wird als Hürde Nummer 1<br />

gesehen.<br />

• „Die Menschen ha<strong>be</strong>n mich so genommen, wie ich bin, dass ich in meinem<br />

Tempo ar<strong>be</strong>iten kann [...]“<br />

• „ Immer wieder Pausen, tun ein bisschen reden, dann weiter ar<strong>be</strong>iten.“<br />

• „Ich hätte noch blei<strong>be</strong>n wollen. A<strong>be</strong>r sie hat gesagt, ich kann nicht mehr<br />

blei<strong>be</strong>n, weil ich zu langsam war.“<br />

Ü<strong>be</strong>r vergangene Berufswünsche, die aus unterschiedlichen Gründen nicht realisiert<br />

werden konnten, wird ungern gesprochen.<br />

• „Ich hätte gerne etwas mit Kindern gemacht. A<strong>be</strong>r leider kann ich die Kinder<br />

nicht he<strong>be</strong>n und das ist eigentlich schade.“<br />

• „Ich wäre auch gerne Telefonistin geworden. Bin ich nicht rein gekommen,<br />

weil ich war viel im Krankenhaus und dazwischen ist der Platz mit einer<br />

anderen <strong>be</strong>setzt worden.“<br />

52


Eine weitere spricht ihre Behinderung sehr deutlich als Hindernis an:<br />

• „Was war das? [Lacht] Als Kind einen Traum<strong>be</strong>ruf? Ja, da ha<strong>be</strong> ich meistens<br />

schon das Problem gehabt, dass ich gewusst ha<strong>be</strong> ich ha<strong>be</strong> die<br />

Seh<strong>be</strong>hinderung und kann deswegen nicht alles machen. Traum<strong>be</strong>rufe hätte<br />

man viele gehabt. A<strong>be</strong>r das wäre eigentlich immer das gewesen, was man mit<br />

einer Seh<strong>be</strong>hinderung nicht machen kann. Und dadurch ha<strong>be</strong> ich es von<br />

vornherein immer ausgeschlossen. Also dann ha<strong>be</strong> ich meistens schon<br />

gehört, das kann ich nicht machen.“<br />

Für die meisten von uns <strong>be</strong>fragten Männer <strong>be</strong>deutet Ar<strong>be</strong>it, einen Beruf – meist ein<br />

Handwerk – zu erlernen. Es sei denn, die Behinderung steht im Weg oder es wurde<br />

von vorneherein ein höhere Ausbildung bzw. ein Dienstleistungs<strong>be</strong>ruf angestrebt.<br />

Der Mann, der aufgrund von Jugendunfällen <strong>be</strong>hindert ist, hat seinen Berufsweg<br />

schon vor seiner Körper<strong>be</strong>hinderung eingeschlagen, ist jedoch an dieser gescheitert,<br />

weil es einfach eine schwer zu ü<strong>be</strong>rwindende Barriere darstellt, wenn man Hilfe z.B.<br />

für das Aufhe<strong>be</strong>n eines Zettels braucht.<br />

Für Männer ist es eine Selbstverständlichkeit den erlernten Beruf zu <strong>be</strong>herrschen.<br />

Die Tätigkeit als solche wird geschätzt.<br />

• „Ja, ja, ha<strong>be</strong> ich ja alles gelernt, werde ich ja wohl können!“<br />

Die Einstellung zur Beschäftigungstherapie ist <strong>be</strong>i Männern sehr gespalten. Wenn<br />

alles andere nicht mehr geht, dann bleibt nur noch die Beschäftigungstherapie. Was<br />

angesichts des Wunsches, „eine Ar<strong>be</strong>it, wie jede/r andere auch, zu ha<strong>be</strong>n“,<br />

problematisch ist.<br />

• „Ich kann nur mehr einer Beschäftigungstherapie nachgehen. Und das ist halt<br />

auch immer so eine Sache. Da schreibt dir die PVA vor, du kannst 309 Euro<br />

verdienen, zu der Pension dazu. Und dann sagen sie wieder, nein das geht<br />

auch nicht..“<br />

Ausbildung<br />

Von den jungen Frauen, die gerade in Ausbildung oder Berufsorientierung sind,<br />

wurden ihre Berufswünsche von sehr ernsthaften Ü<strong>be</strong>rlegungen <strong>be</strong>züglich<br />

Realisierbarkeit in <strong>be</strong>zug auf Ar<strong>be</strong>itsmöglichkeiten a<strong>be</strong>r auch in <strong>be</strong>zug auf die<br />

Einschätzung ihrer persönlichen Fähigkeiten hin getragen:<br />

• Irgendwie auch weil die Jugendlichen und die Chefin sogar selbst sagt, dass<br />

ich gut bin in dem Bereich und weil wir, weil momentan auch viele Lehrstellen<br />

53


[Pause] Ich hab mich irgendwie für Gastronomie entschieden, weil es mir liegt.<br />

frei sind in diesem Bereich...“<br />

Als Motive wurden a<strong>be</strong>r auch „Gscheit ar<strong>be</strong>iten und Geldverdienen“ – um sich dann<br />

gemeinsam mit dem Partner etwas leisten zu können, angege<strong>be</strong>n. A<strong>be</strong>r auch für<br />

andere – <strong>be</strong>hinderte Frauen und Männer – etwas Sinnvolles tun zu wollen, war für<br />

zwei Frauen ein wichtiges Ziel.<br />

Prinzipiell sind sie glücklich, an dieser Ar<strong>be</strong>itsstelle zu sein und sehen die Ausbildung<br />

als Chance -<br />

• „jetzt bin ich glücklich, dass ich in der Firma bin.“ –<br />

• „ [...] ha<strong>be</strong> ich die Chance <strong>be</strong>kommen [...]“<br />

- und nehmen dies nicht selbstverständlich.<br />

Männer in Ausbildung sind wie die in Ausbildung stehenden Frauen unsicher in ihrem<br />

Berufswunsch. Mehrere Möglichkeiten werden in Erwägung gezogen. Wichtig ist es,<br />

dass die Ar<strong>be</strong>it „passt“, „Spass macht“ und die Stelle eine langfristige ist.<br />

Ein junger Mann schildert dies sehr bildhaft:<br />

• „Und, nein, ich meine, Büro [...] Vielleicht? Und Regal<strong>be</strong>treuer vielleicht? Gehe<br />

ich zur Millionenshow, stellt er mir die Frage: Ich darf den 50:50 Joker<br />

nehmen. Dann ist einer weg und dann weiß ich, was ich zu tun ha<strong>be</strong>. So<br />

ähnlich wie <strong>be</strong>i der Millionenshow die Frage heißt: Was willst du werden? Und<br />

du sagst 50:50 Joker und dann ist Regal<strong>be</strong>treuung und und Büro übrig. Und<br />

du weißt nicht, was du nehmen sollst. Das Publikum <strong>be</strong>fragen. Wie gesagt,<br />

das weiß das auch nicht. Das kann mir niemand <strong>be</strong>antworten, obwohl ich täte<br />

es schon gerne <strong>be</strong>nutzen und die Leute fragen: Was würden Sie mir raten?<br />

A<strong>be</strong>r das Publikum entscheidet sich 0% für A und 0% für B. Telefonjoker kann<br />

ich auch nicht nehmen. Weil die werden das auch nicht <strong>be</strong>antworten können.<br />

Da sind die 30 Sekunden schon um. Nein, a<strong>be</strong>r, ich meine, man muss das<br />

schon machen, was eine Freude macht. Und ich ha<strong>be</strong> mir auch Jobs<br />

genommen, weil ich mir gesagt ha<strong>be</strong>, das will ich machen und das darf ich<br />

machen und das möchte ich machen. Da ist kein muss drinnen. Ich meine,<br />

weil manche sagen: ich muss ar<strong>be</strong>iten. Man will, ich will ar<strong>be</strong>iten. Ich will<br />

ar<strong>be</strong>iten. Ich möchte ar<strong>be</strong>iten. Ich darf ar<strong>be</strong>iten. Und ich werde ar<strong>be</strong>iten. Das<br />

sind diese vier Grundsätze, die ich ha<strong>be</strong>.“<br />

Weitere wichtige Themen<strong>be</strong>reiche<br />

Wohnen<br />

54


Wohnen wurde von zwei Frauen und vier Männern ins Zentrum ihrer<br />

Le<strong>be</strong>ns<strong>be</strong>schreibungen gestellt. Und auch <strong>be</strong>i den Zukunftswünschen steht es an<br />

o<strong>be</strong>rster Stelle. Wie schaut nun konkret der Ist-Zustand aus, und was sind die<br />

dies<strong>be</strong>züglichen Wünsche und Träume?<br />

Konkrete Wohnsituation der <strong>be</strong>fragten Frauen und Männer:<br />

Frauen<br />

Alter Behinderung Wohnort Wohnform Mit<strong>be</strong>wohnerInnen<br />

30 Seh<strong>be</strong>hindert Stadt Privat Allein<br />

39 Lernschwierigkeiten Stadt Privat Allein<br />

21 Mehrfach Beh. Stadt Privat Mit Eltern und<br />

Geschw.<br />

20 Lernschwierigkeiten Stadt Institution Trainingswohnung/<br />

Gemischt<br />

48 Körper<strong>be</strong>hinderung Stadt Privat Allein<br />

40 Körper<strong>be</strong>hinderung Stadt Privat Mit Partner und<br />

Sohn<br />

20 Lernschwierigkeiten Land Privat Mit Pflegeeltern und<br />

Geschw.<br />

39 Lernschwierigkeiten Land Institution Wohngemeinschaft<br />

47 Lernschwierigkeiten Land Institution Heim<br />

20 Lernschwierigkeiten Land Institution Ausbildungsprojekt<br />

mit Internat<br />

20 Körper<strong>be</strong>hinderung Land Privat Mit Eltern<br />

44 Mehrfach Beh. Land Institution Wohnhaus<br />

Männer<br />

Ta<strong>be</strong>lle 7: Narrative Interviews – Wohnsituation Frauen<br />

Alter Behinderung Wohnort Wohnform Mit<strong>be</strong>wohnerInnen<br />

33 Mehrfach Beh. <strong>Graz</strong> Privat Allein<br />

18 Lernschw. <strong>Graz</strong> Privat Mit Eltern<br />

29 Lernschw. <strong>Graz</strong> Institution Trainingswohnung<br />

39 Körper<strong>be</strong>hindert <strong>Graz</strong> Privat Allein<br />

55


53 Körper<strong>be</strong>hindert Land Institution Wohnhaus<br />

24 Lernschw. Land Privat Mit Eltern<br />

50 Lernschw. Land Institution Heim<br />

24 Mehrfach Beh. Land Privat Allein<br />

Ta<strong>be</strong>lle 8: Narrative Interviews – Wohnsituation Männer<br />

Von den zwei Frauen, <strong>be</strong>i denen Wohnen im Zentrum ihres Interesses steht, hat eine<br />

erst vor kurzem ihre erste eigene Wohnung <strong>be</strong>zogen und ist noch immer ganz<br />

glücklich ü<strong>be</strong>r diese Entwicklung.<br />

• „Ha<strong>be</strong> gesagt, ihr werdet schon sehen, dass ich ausziehen werde [lacht] Und<br />

eingetreten ist es.“<br />

Sie hat es durch eigene Initiative geschafft, eine Sozialwohnung der Stadt zu<br />

<strong>be</strong>kommen und aus einer Einrichtung auszusteigen. Die eigene Wohnung ist eines<br />

ihrer Le<strong>be</strong>nsziele, das sie damit erreicht hat.<br />

Die zweite Frau wird in absehbarer Zeit mit ihrem Partner eine eigene Wohnung<br />

innerhalb einer Einrichtung <strong>be</strong>ziehen können. 42<br />

Ü<strong>be</strong>r ihren Wohnwunsch ha<strong>be</strong>n sich jedoch noch mehr Frauen zu Wort gemeldet:<br />

• „Mein Ziel wäre es, in das „Next way“ zu kommen. Das ist die nächste Phase,<br />

da ist man schon auch <strong>be</strong>treut, a<strong>be</strong>r man hat mehr Pflichten als in der WG, wo<br />

ich jetzt bin.“<br />

• „Für mich ist das Ziel, dass ich nächstes Jahr mit meinem Freund zusammen<br />

ziehe.“<br />

Auf die Frage, ob sie auch mit ihrem Freund zusammenziehen wolle, sagt hingegen<br />

eine andere Frau, die in einer <strong>be</strong>treuten Wohngemeinschaft wohnt und sich dort<br />

offensichtlich wohl fühlt:<br />

• „Nein, das geht nicht. Weil ich nachher kein Geld mehr <strong>be</strong>komme.“<br />

Zwei der Männer äußern sich ausgiebig ü<strong>be</strong>r ihre Wohnwünsche. Der ein hat eine<br />

Gemeindewohnung <strong>be</strong>antragt und erzählt darü<strong>be</strong>r, dass er unter drei auswählen<br />

kann, was er toll findet.<br />

Ein anderer, der noch immer zu Hause wohnt, weil er keine andere Möglichkeit sieht,<br />

jedoch nicht glücklich damit ist, droht:<br />

42 Es ist ein ziemlich neues Experiment, auf diese Weise die persönlichen Bedürfnisse der<br />

Heim<strong>be</strong>wohner zu <strong>be</strong>rücksichtigen und wird vom Leiter des Heims mit Stolz hervorgeho<strong>be</strong>n.<br />

56


• „A<strong>be</strong>r ich ziehe schon noch weg von da. Und dann sieht mich kein Mensch<br />

von unseren Leuten.“<br />

Die Wohnsituation ist ein ganz wichtiger Faktor für das persönliche Wohl<strong>be</strong>finden<br />

sowohl der Frauen als auch der Männer. Bis auf einen Interviewpartner waren alle<br />

mit der gege<strong>be</strong>nen Situation zufrieden bzw. ha<strong>be</strong>n sich auf eine Veränderung in<br />

naher Zukunft gefreut. Es hat sich herausgestellt, dass die Bedürfnisse jedoch sehr<br />

unterschiedlich sind. Eine Frau und ein Mann freuen sich ü<strong>be</strong>r die gerade gefundene<br />

Freiheit des Alleinwohnens, während andere – e<strong>be</strong>nfalls eine Frau und ein Mann -<br />

<strong>be</strong>richteten, wie öd es war, als sie noch allein gelebt ha<strong>be</strong>n. Eine Wohnung mit dem<br />

Partner/der Partnerin erträumen sich die <strong>be</strong>iden Paare, die wir <strong>be</strong>fragt ha<strong>be</strong>n.<br />

Haushalt<br />

Zu dem Bereich Haushalt ha<strong>be</strong>n sich 6 Frauen mit 14 Wortmeldungen und 3 Männer<br />

mit 8 Wortmeldungen geäußert. Aus dem Inhalt der Wortmeldungen geht hervor,<br />

dass die Frauen ein viel selbstverständlicheres Verhältnis zu den Aufga<strong>be</strong>n des<br />

Alltags ha<strong>be</strong>n.<br />

• „Ich halt den Haushalt hier im Zimmer und meine Wäsche tue ich immer<br />

waschen, einmal in der Woche.“<br />

• „Freitag mache ich Kaffee, Montag auch. Dienstag mache ich Tee,<br />

zwischendurch. Am Wochenende meistens der [Partner]....“<br />

Eine Frau erzählt ü<strong>be</strong>r ihren Tagesablauf. Da<strong>be</strong>i ist auch Putzen eine wichtige<br />

Tätigkeit:<br />

• „Und jetzt mache ich es, dass ich Freitag sauge. Soviel Mist kommt da nicht<br />

zusammen. Und Aufwischen da den Boden tue ich sowieso alle 14 Tage [...]“<br />

Männer verallgemeinern in ihren Aussagen. Ein junger Mann, der noch zu Hause<br />

lebt, sagt:<br />

Und<br />

• „ [...] ich bin familiär verpflichtet zu Hause natürlich.“<br />

• „ [...] auch noch ein bißchen helfen zu Hause, wenn etwas anfällt.“<br />

Ein anderer Mann, der alleine lebt, erwähnt, dass die Wohnungsglocke im Moment<br />

nicht funktioniert und ein Freund <strong>be</strong>im Reparieren helfen muss.<br />

Und wieder ein anderer, der in einer Einrichtung lebt, erzählt:<br />

• „[…] Kaffee machen wir immer am Wochenende [Pause] Und dann tun wir<br />

schön abwaschen. Ist lustig, Kaffee machen und so.“<br />

57


Beziehung<br />

Die Interviewten le<strong>be</strong>n in sehr unterschiedlichen Beziehungsformen: Jüngere Frauen<br />

und Männer, die von ihrem Traumprinzen/ ihrer Traumprinzessin träumen, ihn bzw.<br />

sie a<strong>be</strong>r noch nicht gefunden ha<strong>be</strong>n. Wir ha<strong>be</strong>n zwei glückliche Paare – ein junges<br />

und ein altes - als InterviewpartnerInnen gehabt, einen homosexuellen Mann, der<br />

gerade mit seinem Partner eine eigene Wohnung <strong>be</strong>kommen hat und Frauen und<br />

Männer mittleren Alters, die gerade oder ü<strong>be</strong>rhaupt genug ha<strong>be</strong>n von einer<br />

Beziehung, a<strong>be</strong>r auch solche, die <strong>be</strong>reits seit ü<strong>be</strong>r 10 Jahren eine Partnerschaft<br />

le<strong>be</strong>n, ohne dass es für sie ein großes Thema ist.<br />

Zwei Frauen äußern sich sehr positiv ü<strong>be</strong>r das Alleinle<strong>be</strong>n:<br />

• „Vor allem wenn ich jetzt nach Hause komme und will mich hinlegen und ich<br />

ha<strong>be</strong> meine Ruhe, da weckt mich keiner mehr auf.“<br />

• „[...] dadurch, dass ich allein le<strong>be</strong> und das Le<strong>be</strong>n total genieße, ich denke an<br />

keine Partnerschaft [lacht].“<br />

Eine junge Frau, die gerne mit ihrem Freund zusammenziehen möchte, sieht es<br />

anders:<br />

• „Ich bin eh mit 14 immer alleine gewesen und jetzt will ich es nicht mehr –<br />

allein sein.“<br />

Und wird noch deutlicher:<br />

• „Mein privates Ziel ist es auch, dass ich meinen Freund irgendwann heiraten<br />

werde.“<br />

Wiederum eine andere Frau würde das Alleinsein nur unter ganz <strong>be</strong>stimmten<br />

Umständen aufge<strong>be</strong>n:<br />

• „Beziehung mag ich zurzeit keine. Ich meine, wenn es wirklich passen sollte,<br />

würde ich auch nicht nein sagen. A<strong>be</strong>r zur Zeit kann ich es mir nicht vorstellen,<br />

weil ich einfach mein Le<strong>be</strong>n genieße.“<br />

Auch einer der Männer ist sehr froh, endlich eine eigene Wohnung zu ha<strong>be</strong>n, in der<br />

er tun und lassen kann, was er will:<br />

• „Ich komme ehrlich gesagt ganz gut zurecht damit. Also mir taugt es sogar so.<br />

Es ist herrlich, wenn man weiß, man kann hingehen, wo man will. Man kann<br />

heim kommen, wann man will.“<br />

58


Ein anderer wiederum ist froh darü<strong>be</strong>r, jetzt im Heim mit vielen Leuten zusammen zu<br />

sein. Er erinnert sich nur ungern an die Zeit, als er noch allein war:<br />

• „[...] dann war ich einmal alleine in einer Wohnung. In [Ort] ha<strong>be</strong> ich gewohnt.<br />

War ich ganz alleine dort. Wo ich im Zimmer gewohnt ha<strong>be</strong>, war ich ganz<br />

alleine. Alles hast müssen einkaufen […].“<br />

und äußert sich sehr positiv ü<strong>be</strong>r seine jetzige Wohnsituation:<br />

• „Jetzt geht es mir eh weit <strong>be</strong>sser. Wenn man mit mehr Leuten <strong>be</strong>ieinander ist,<br />

dann geht es ja weit <strong>be</strong>sser als alleine.“<br />

Ein älteres Paar, das wir in einem Wohnheim <strong>be</strong>fragten, ist zwar unzertrennlich, doch<br />

heiraten ist dennoch kein Thema: Auf die Frage der Interviewerin:<br />

• „Und heiraten, habt ihr ü<strong>be</strong>r so was einmal geredet?“<br />

Sagt sie:<br />

• „Na, das nicht!“<br />

und er:<br />

• „Das nicht, nein.“<br />

Die Beziehungswünsche der Männer sind sehr eindeutig:<br />

• „Ich meine, sonst, für die Zukunft, was wünsche ich mir sonst noch? Ja,<br />

einmal eine anständige Freundin. Eine, die mich nicht immerfort <strong>be</strong>scheißt<br />

oder sonst irgendetwas. Und wenn es möglich wäre, keine Kinder [Pause]<br />

Weil das, das bringt nichts.“<br />

• „Also, ich will nur mit einem Menschen zusammen sein, mit dem ich ganz<br />

genau weiß, mit der kann ich mir vorstellen, vielleicht dass ich irgendwann ein<br />

Haus mit Garten ha<strong>be</strong>, mit Kindern, mit Hunden, Katzen oder so.“<br />

Nur eine Frau drückt einen dezidierten Kinderwunsch aus:<br />

• „Wir wollen irgendwann einmal eine Familie gründen. Meinen Kindern soll es<br />

<strong>be</strong>sser gehen, als es <strong>be</strong>i mir war. Von der Behandlung und auch mehr<br />

Selbst<strong>be</strong>stimmung.“<br />

Er wird von ihrem Freund, den wir e<strong>be</strong>nfalls <strong>be</strong>fragt ha<strong>be</strong>n, erwidert:<br />

• „[...] dass ich Kinder hab [...}“<br />

Kinderwunsch<br />

Auf ihrem Kinderwunsch direkt angesprochen sagt eine andere Frau kurz und bündig<br />

„nein“.<br />

Wiederum eine andere Frau mag zwar ihre Neffen und findet es<br />

59


• „nämlich total lieb, wenn man dann Kinder hat oder so.“<br />

formuliert jedoch daraus keinen Wunsch.<br />

Ein junger Mann, der in seiner Jugend sehr viel mitmachen musste und auch<br />

Gewalterfahrung hatte, sagt zu diesem Thema:<br />

• „Und sollte ich einmal eine Freundin ha<strong>be</strong>n und die Freundin kriegt ein Kind,<br />

das Kind kommt sofort in ein Heim, weil ich will keine Kinder, weil die Nerven<br />

kosten. Weil ich bin eh schon 10facher Onkel. Und das kostet Nerven. Und<br />

durch das kommt es in ein Heim.“<br />

Zum Thema Partner/Partnerin bzw. Freund/Freundin äußern sich 8 Frauen und 7<br />

Männer mit 25 bzw. 21 Wortmeldungen.<br />

Eine junge Frau <strong>be</strong>schreibt ihre Begegnung und den Stellenwert, den der Freund für<br />

sie hat:<br />

• „Ich ha<strong>be</strong> ihn eigentlich das erste Mal vor 3 oder 2 Jahren gesehen und da<br />

ha<strong>be</strong>n wir uns unterhalten. Damals war er mein <strong>be</strong>ster Kumpel und für mich ist<br />

er teilweise noch Freund, guter Kumpel und Freund.“<br />

Und sie macht sich darü<strong>be</strong>r Gedanken, wie sie das auseinanderhalten soll:<br />

• „Ich weiß momentan noch nicht, wie ich das auseinandertrennen soll.“<br />

Für eine andere ist es ganz wichtig, dass sie<br />

und<br />

• „[…] alles von ihm ha<strong>be</strong>n kann, was ich brauche und er kann auch.“<br />

• „Ich genieße meine Freizeit, jede Minute mit meinem Freund.“<br />

Eine hat ihm sticken gelehrt und eine weitere ist sehr froh darü<strong>be</strong>r, dass sie sich mit<br />

ihrem Freund so gut austauschen kann, weil <strong>be</strong>ide eine Coach-Ausbildung ha<strong>be</strong>n.<br />

Zwei Frauen ha<strong>be</strong>n nicht mehr als seine Existenz erwähnt. Zwei weitere junge<br />

Frauen, die in Beschäftigungstherapie untergebracht sind und zu Hause wohnen,<br />

verlie<strong>be</strong>n sich immer wieder in den aktuellen Zivildiener. Was dann natürlich zu<br />

häufigen Trennungsschmerzen führt, wenn das Zivildienstjahr um ist. Die eine weiß<br />

sich dann a<strong>be</strong>r auch immer wieder selbst zu trösten:<br />

• „Die Mama hat eh schon oft gesagt, na, irgendwann ist es einmal so weit,<br />

dass du den Richtigen findest.“<br />

Nur eine Frau hat <strong>be</strong>reits langjährige Eheerfahrungen. Die inzwischen 40Jährige hat<br />

sich erst vor kurzer Zeit von ihrem Mann getrennt und ist mit ihrem Freund<br />

60


zusammengezogen. Aus der Ehe hat sie <strong>be</strong>reits 2 erwachsene Kinder und ein<br />

Enkelkind.<br />

Für Frauen ist Sex kein Thema.<br />

Auch <strong>be</strong>i den von uns <strong>be</strong>fragten Männern sind Frauen, Freundinnen, Partnerinnen<br />

ein wichtiges Thema, das sehr oft angesprochen wurde.<br />

Ein junger Mann macht sich da<strong>be</strong>i Gedanken ü<strong>be</strong>r die Zukunft:<br />

• „Ich meine, ich will nicht, ich gehe nicht un<strong>be</strong>dingt in ein Lokal hinein und<br />

erwarte, dass ich jetzt eine Freundin treffe, Ich meine, wenn es unerwartet<br />

passiert, von mir aus [...]“<br />

Für einen anderen ist es deshalb ein zentrales Thema, weil er gerade eine<br />

enttäuschte Lie<strong>be</strong> hinter sich und noch nicht ganz verar<strong>be</strong>itet hat.<br />

• „Die Freundin, die ich jetzt gehabt hab, die, das war ü<strong>be</strong>rhaupt, bist du<br />

deppert, ü<strong>be</strong>rhaupt, was mir die geschrie<strong>be</strong>n hat!“<br />

Wiederum ein anderer ist sehr froh darü<strong>be</strong>r, dass es endlich vor<strong>be</strong>i ist und er allein<br />

wohnt, dennoch ist ein Zukunftswunsch von ihm wieder eine Freundin zu ha<strong>be</strong>n.<br />

Es gibt a<strong>be</strong>r auch solche, die in einer Beziehung glücklich sind. Ein Mann sagt es<br />

direkt:<br />

• „Ha<strong>be</strong> eine klasse Freundin, mit der ich inzwischen verlobt bin. Schon bald ein<br />

Monat.“<br />

Ein anderer drückt es ruhiger aus:<br />

• „Ja, jetzt kennen wir uns schon lange. Jetzt sind wir schon eine Zeit<br />

<strong>be</strong>ieinander. Hm.“<br />

Wiederum ein anderer ist mit einem Mann glücklich:<br />

• „Was sagen Sie zu meinem Freund? Den mag ich. Und der mag mich . Ich<br />

ha<strong>be</strong> ihn gern und er mich auch.“<br />

Das Thema Sex wird nur von zwei Männern als solches angesprochen.<br />

Ein 18-Jähriger meinte:<br />

• „Und das, ich ha<strong>be</strong> es Gott sei Dank nie erlebt, und vielleicht erle<strong>be</strong> ich es<br />

sogar. Das wäre schön einmal. A<strong>be</strong>r wenn es nicht geht, geht es e<strong>be</strong>n nicht.<br />

Und ich bin nicht einer, der jetzt so versessen ist, dass er jetzt Sex ha<strong>be</strong>n will.<br />

Ich kann ohne Sex auch le<strong>be</strong>n, obwohl das jetzt [Pause] ich glau<strong>be</strong> der<br />

einzige Mensch bin, der das ist, a<strong>be</strong>r [...].“<br />

61


Und ein Mann im Rollstuhl thematisierte, wie sehr ihn ein weit verbreitetes Vorurteil<br />

trifft:<br />

• „Wie kann man nur! Mit Behinderten kann man doch keinen Sex ha<strong>be</strong>n!<br />

[Pause] Es hat mir bis jetzt noch keiner erklären können, was daran pervers<br />

ist.“<br />

Und wenn man es zu einem selbstverständlichen Thema manchen will, meinte er<br />

weiters, dann <strong>be</strong>steht doch immer die Gefahr<br />

• „unangenehmen voyeuristischen Bedürfnissen“<br />

entgegenzukommen.<br />

Geschlechtsspezifische Selbsteinschätzung<br />

Unter diesem Titel sind die Wortmeldungen ü<strong>be</strong>r: Le<strong>be</strong>nseinstellung, Le<strong>be</strong>nsweisheit,<br />

Selbst<strong>be</strong>wusstsein, Selbstdarstellung, Selbständigkeit, Männerbild, Frauenbild,<br />

Anerkennung zusammengefasst.<br />

Le<strong>be</strong>nseinstellung<br />

Frauen sind positiver dem Le<strong>be</strong>n gegenü<strong>be</strong>r eingestellt. Sie sind geduldig und<br />

dankbar für das, was sie <strong>be</strong>kommen. Frauen stellen ihr Le<strong>be</strong>n in einem größeren<br />

Zusammenhang, indem sie ihre Familie oder sogar die Gesellschaft mit ein<strong>be</strong>ziehen.<br />

Die traditionelle Unterscheidung zwischen den Geschlechtern in diesem Bereich ist<br />

hier ganz deutlich zu erkennen. Männer gehen mit sich und den anderen härter um.<br />

Sie sind oft zielorientierter und wenn sie etwas nicht erreichen, schnell deprimiert.<br />

Frauen sagen:<br />

• „Ich bin ein Mensch der Action liebt und auch Abwechslung liebt und der total<br />

harmonie<strong>be</strong>dürftig ist.“<br />

• „Ich sage immer, man muss hoffen können [Pause].“ a<strong>be</strong>r „ ein zu guter Trottel<br />

darf man auch nicht sein.“<br />

• „Nur was bringt mir das Materielle. Es bringt für mich persönlich nichts, wenn<br />

ich menschlich vor dem Ruin da stehe.“<br />

• „Das gehört einfach, das man Menschen tröstet und dass man Menschen<br />

glücklich macht und so. Das gehört einfach so. Und ich glau<strong>be</strong>, dass das für<br />

jeden Menschen auf der Welt wichtig ist. Das denke ich einfach.“<br />

Männer sagen:<br />

62


• „Wenn ich was durchziehe, ziehe ich es durch.“<br />

• „[...] jeder soll sich eine Querschnittlähmung zulegen, hat ein A<strong>be</strong>nteuer für<br />

den Rest seines Le<strong>be</strong>ns.“<br />

• „Ich ha<strong>be</strong> halt sowieso, wie es immer ist, das Schlimmer erwischt [Pause] das<br />

Schlechte ziehe ich magisch an.“<br />

• „ Ich ha<strong>be</strong> einmal geputzt [...] da hat jemand gesagt: Braav. Ha<strong>be</strong> ich gesagt:<br />

Die Dodeln lobt man.“<br />

Le<strong>be</strong>nsweisheit<br />

Frauen ha<strong>be</strong>n einen positiveren Blick nach vorne und mehr Vertrauen in sich und<br />

ihre Umwelt.<br />

Sie sagen:<br />

• „Jeder Mensch macht Fehler, natürlich. A<strong>be</strong>r man lernt daraus.“<br />

• „Er ist alleine, hat gesagt, ihm fällt die Decke auf den Kopf. Ha<strong>be</strong> ich gesagt,<br />

dann musst du e<strong>be</strong>n etwas machen. Man kann sich schon eine Alternative<br />

suchen, man muss sich nicht gehen lassen.“<br />

• Ich lasse es auf mich zukommen, weil meistens ist es eh so: Wenn man sich<br />

etwas fix vornimmt, dann tritt es eh nicht ein.“<br />

Männer <strong>be</strong>ziehen Le<strong>be</strong>nsweisheiten eher auf andere bzw. ihre „Sonder“stellung in<br />

einer Männergesellschaft.<br />

Sie sagen:<br />

• „Ja, also es ist immer schwer, wenn man, wenn man eine Position, wenn man<br />

eigentlich eine Position vertritt, die nicht mehrheitsfähig ist.“<br />

• „Ich meine, wenn jemand schnorrt, dann dann dann ist <strong>be</strong>i mir der Spaß aus.<br />

Ich meine, der soll dazu schauen, dass der eine Ar<strong>be</strong>it <strong>be</strong>kommt, dann kann<br />

er schnorren, von mir aus.“<br />

Selbst<strong>be</strong>wusstsein<br />

Zwei Frauen und drei Männer äußern sich zu Selbst<strong>be</strong>wusstsein.<br />

Für die Frauen hat die Entwicklung zur Selbständigkeit mit einem Zuwachs an<br />

Selbst<strong>be</strong>wusstsein zu tun:<br />

• „[...] und auch das sagen zu können, zu meiner Familie, was ich nicht will.“<br />

• „[...] dass ich jetzt mein Le<strong>be</strong>n le<strong>be</strong> und dass ich jetzt nicht so oft<br />

heimkomme.“<br />

• „Das ha<strong>be</strong> ich jetzt auch dort gelernt: Offen zu sagen – gleich – wenn mich<br />

etwas stört oder wenn mir etwas zu schnell geht. Und das geht auch voll<br />

super.“<br />

• „Da ha<strong>be</strong> ich gleich alles ohne Wohn<strong>be</strong>treuer gemacht. Hinein ins<br />

Wohnungsamt, [Pause] und ha<strong>be</strong> den Antrag gestellt, ne.“<br />

Bei den Männern geht es da<strong>be</strong>i um wesentlich allgemeinere Themen.<br />

63


Ein Mann spricht ü<strong>be</strong>r die Gewährung von Hilfsmitteln:<br />

• „Das ist nicht so, dass mir das einfach zur Verfügung gestellt wird, weil ich ein<br />

Recht darauf ha<strong>be</strong>, sondern das wird mir gewährt. Naa [Pause] So quasi von<br />

o<strong>be</strong>n herab [Pause] ahhh und das zerrt zerrt am Selbst<strong>be</strong>wusstsein.“<br />

Ein anderer spricht von einer Abwertung aufgrund der Behinderung, die tief sitzt:<br />

• „A<strong>be</strong>r es ist oft so, wennst das immer hörst, irgendwann dann, dass dann,<br />

dass du dann soweit bist, dass du dich nimmer getraust, gell?“<br />

Selbstdarstellung<br />

Frauen <strong>be</strong>schrei<strong>be</strong>n die eigene Befindlichkeit und stellen einen Zusammenhang mit<br />

ihrer Umgebung her.<br />

• „Das ist ja lustig irgendwie, weil alles was am eigenen Leib geschieht,<br />

passiert, oder dir angetan wird, oder mir angetan wurde[Pause], ich ha<strong>be</strong> es<br />

nicht mit<strong>be</strong>kommen. Bei anderen hab ich es gewusst [Pause] Nur ich sel<strong>be</strong>r<br />

hab es nicht erkannt.“<br />

Sie relativieren ihre Behinderung:<br />

• „Ich bin ja nicht so, nicht so <strong>be</strong>hindert, wie die anderen halt oft so sind.“<br />

und versuchen, daraus das <strong>be</strong>ste zu machen<br />

• „Ein bisserl frech schon. Zurückmaulen [Pause] das ist mein Hobby.“<br />

Eine junge mehrfach <strong>be</strong>hinderte Frau, die seit ihrer Kindheit aufden Rollstuhl<br />

angewiesen ist, schöpft ihre ganze Le<strong>be</strong>nskraft aus dem Aufgeho<strong>be</strong>n sein in der<br />

Familie und strahlt:<br />

• „Ich war so was von froh, dass ich so eine lie<strong>be</strong> Mama ha<strong>be</strong>. Ich bin auch<br />

noch immer froh. Und <strong>be</strong>sonders auch, weil ich so einen Papa ha<strong>be</strong>. Ich bin<br />

so was von froh, das ist ein Wahnsinn. Ehrlich.“<br />

Männer drücken aus, dass das Le<strong>be</strong>n mit Behinderung sehr <strong>be</strong>schwerlich sein kann.<br />

• „Also, ich ich komme immer mehr zur Ansicht, dass ich einfach in den letzten<br />

Jahren immer knapp an der Ü<strong>be</strong>rforderung bzw. schon darü<strong>be</strong>r hinaus<br />

agiere.“<br />

Gleichzeitig lassen sie keinen Zweifel daran, dass sie sich durchkämpfen und nicht<br />

<strong>be</strong>dauern lassen.<br />

• „[...] ich ha<strong>be</strong> mich nie, ha<strong>be</strong> mich nie <strong>be</strong>dauern lassen.“<br />

• „Wenn mir einer blöd redet, rede ich ihnen auch blöd zurück.“<br />

Mit Recht sind sie dann auf errungene Entwicklungsschritte, wie den<br />

Mopedführerschein oder „das in eine eigene Wohnung“ ziehen stolz.<br />

64


• „Ich hab schon viel was mitgemacht in meinem Le<strong>be</strong>n, a<strong>be</strong>r was sollst tun?<br />

Das ist halt einmal so. Ich bin eigentlich froh, dass ich den Moped-<br />

Führerschein geschafft hab. Hat mich eh gewundert, weil ich ja nicht sehe auf<br />

einem Auge, gell?“<br />

Selbständigkeit<br />

Zwei der <strong>be</strong>fragten Frauen <strong>be</strong>schäftigt die Selbständigkeit.<br />

• „Und ich möchte schauen, dass ich mein eigenes Le<strong>be</strong>n auch so gestalten<br />

kann, wie ich es will.“<br />

Da<strong>be</strong>i <strong>be</strong>obachtet sie andere, die es ihrer Meinung nach geschafft ha<strong>be</strong>n.<br />

• „Ich ha<strong>be</strong> es <strong>be</strong>i einigen von meinen Freunden schon gesehen, die das<br />

können. Und die können es. Nur ab und zu, die Eltern, die ha<strong>be</strong>n Angst davor,<br />

dass Menschen mit Lernschwierigkeiten gar nicht wohnen können. A<strong>be</strong>r ich<br />

spreche aus Erfahrung: Menschen mit Lernschwierigkeiten können das. Sie<br />

brauchen nur die Zeit dazu.“<br />

Eine andere Frau lernte durch Nachahmung ihr Le<strong>be</strong>n immer mehr in die Hand zu<br />

nehmen. Sie kann inzwischen alle Formulare sel<strong>be</strong>r ausfüllen. Das war nicht immer<br />

so, doch sie wusste sich zu helfen:<br />

• „Und ich ha<strong>be</strong> vorher schon mitgeschaut <strong>be</strong>i der Mutti, was sie gemacht<br />

ha<strong>be</strong>n, a<strong>be</strong>r gewisse Sachen waren dann wirklich sehr schwer zu verstehen,<br />

dass du zehn Mal nachfragen hast müssen, bitte um um was geht es da<br />

[Pause]“<br />

Ein junger Mann philosophiert ü<strong>be</strong>r den Le<strong>be</strong>nsweg und die Selbständigkeit:<br />

• „[...] jeder muss einmal selbständig werden. Und ich versuche, so gut wie<br />

möglich, auf eigenen Beinen zu stehen.“<br />

Gesteht sich a<strong>be</strong>r fast im sel<strong>be</strong>n Atemzug ein:<br />

• „Was mir leider immer wieder meistens mehr mehr Probleme bringt als es<br />

eigentlich erledigen sollte.“<br />

Männer <strong>be</strong>ziehen ihre Selbständigkeit im und aus dem Tun.<br />

• „Wenn ich eine Gemeindewohnung ha<strong>be</strong>, wenn ich irgendwas Schriftliches zu<br />

machen ha<strong>be</strong> oder Amtswege, weißt eh, dann mache ich alles sel<strong>be</strong>r.“<br />

• „[...] und 65 m2 musst erst einmal putzen können, mit einer Hand. Mach ich<br />

eigentlich alles. Sel<strong>be</strong>r <strong>be</strong>igebracht.“<br />

Männerbild<br />

Zwei Frauen ha<strong>be</strong>n keine guten Erfahrungen im Zusammenle<strong>be</strong>n mit Männer und<br />

drücken dies auch direkt aus:<br />

65


“<br />

• „Putzen tun sie [die Männer] halt nicht so gerne, a<strong>be</strong>r [Pause] [lacht] a<strong>be</strong>r <strong>be</strong>i<br />

uns gehört das halt dazu.“<br />

• „[[..] manche Männer sind wirklich, wie man so schön sagt, Schweine.<br />

Einer der <strong>be</strong>fragten Männer macht sich ausführlich Gedanken darü<strong>be</strong>r, dass Männer<br />

mit Behinderung dem klassischen Männerbild zwar nicht entsprechen, dieses a<strong>be</strong>r<br />

internalisiert ha<strong>be</strong>n. Darin sieht er eine Chance das Bild von Männlichkeit generell zu<br />

ü<strong>be</strong>rdenken und neue Wege im Miteinander zu suchen. 43<br />

Frauendiskriminierung<br />

Frauendiskriminierung wurde nur auf Nachfrage ein Thema. Direkt angesprochen<br />

fühlen sich Frauen nicht diskriminiert, nehmen es jedoch sehr wohl <strong>be</strong>i anderen<br />

Frauen wahr. Eine sieht sich persönlich nicht als <strong>be</strong>nachteiligt an, meint a<strong>be</strong>r, das<br />

läge wohl daran, dass sie selbst so etwas wie eine Kämpfernatur wäre. Eine andere<br />

ortet Diskriminierungen <strong>be</strong>i Frauen aus ihrer unmittelbaren Umgebung. Ü<strong>be</strong>r die<br />

Leiterin in ihrer Ar<strong>be</strong>itsstelle sagt sie:<br />

• „Sie bräuchte sich normalerweise gar nicht kümmern um uns Behinderte, weil<br />

sie hat nicht einmal die Betreuerzulage, ne.“<br />

Für ihre Pflegemutter setzte sie sich ganz <strong>be</strong>sonders ein, indem sie voller Empörung<br />

äußert, dass diese ü<strong>be</strong>r 30 Jahre Pflegemutter von insgesamt 14 Pflegekindern war<br />

und jetzt keine eigene Pension <strong>be</strong>kommt.<br />

Frauenbild<br />

Es gibt eine Unsicherheit in <strong>be</strong>zug auf das Frauenbild sowohl <strong>be</strong>i den Frauen als<br />

auch <strong>be</strong>i den Männern. Traditionelle Werte stehen ne<strong>be</strong>n progressiven und es<br />

entsteht der Eindruck, dass die Entscheidung für das eine oder andere noch nicht<br />

gefallen ist.<br />

Frauen sagen:<br />

• „Und ich denke, das ist <strong>be</strong>sser, wenn ich so was mach und ich das alles lern,<br />

waschen, bügeln und so, und kochen. Dann ge<strong>be</strong> ich später mal eine gute<br />

Hausfrau ab und der Mann der mich kriegt, kann sich <strong>be</strong>glückwünschen, im<br />

Prinzip.“<br />

• „Und jetzt bin ich 20 und ich bin eine erwachsene Frau und sollte selbst meine<br />

Entscheidungen treffen.<br />

43 Was ja in den Wohngemeinschaften umzusetzen versucht wird, jedoch auch hier, wie sonst, <strong>be</strong>im<br />

Mithelfen bleibt.<br />

66


Männer sagen:<br />

• „Mir ist wichtig, dass sie ihren Job fertig macht, dass sie dann fix angestellt<br />

wird und dann kann sie von mir aus <strong>be</strong>i mir […] einziehen.“<br />

• […] Frauen und vor allem <strong>be</strong>hinderte Frauen ha<strong>be</strong>n es sowohl im Privatle<strong>be</strong>n<br />

als auch im <strong>be</strong>ruflichen Le<strong>be</strong>n um einiges schwerer […]“<br />

Familie<br />

Wie eine Frau/ein Mann im Le<strong>be</strong>n steht, hängt sehr davon ab, welche<br />

Ausgangs<strong>be</strong>dingungen sie/er am Anfang ihres Le<strong>be</strong>ns vorgefunden hat. Dies kann<br />

unsere Studie sehr unterstreichen: Wenn jemand mit einer ganz schweren<br />

Behinderung auf die Welt kommt und Eltern – oder auch Pflegeeltern – hat, die sich<br />

darum <strong>be</strong>mühen, dass das Kind das Bestmögliche <strong>be</strong>kommt oder auch nur in<br />

Frieden aufwachsen kann, dann kann auch ein Le<strong>be</strong>n mit mehrfacher Behinderung<br />

gelingen.<br />

Und umgekehrt: Wir ha<strong>be</strong>n je drei Frauen und drei Männer mit Gewalterfahrung in<br />

unserer Studie. Zwei davon ha<strong>be</strong>n dauerhafte Behinderungen aufgrund von<br />

elterlicher Gewalt. Das, was ihnen angetan wurde, <strong>be</strong>stimmt auch heute noch ihr<br />

Verhalten gegenü<strong>be</strong>r anderen Menschen und stellt eine zusätzliche Hürde dar.<br />

Kindheit<br />

Frauen/Männer mit Lernschwierigkeiten hatten zum Teil Schwierigkeiten, sich an die<br />

Vergangenheit zu erinnern. Wo<strong>be</strong>i Vergangenheit <strong>be</strong>i 2 bis 3 Jahren zurück <strong>be</strong>ginnt.<br />

Allerdings ist es auch möglich, dass das mangelnde Erinnerungsvermögen mit der<br />

Stresssituation, die ein solches Interview, wie wir es durchgeführt ha<strong>be</strong>n, darstellt.<br />

Bei einer Frau, <strong>be</strong>i der wir das Interview wiederholen mussten, war dies auffällig.<br />

Während sie <strong>be</strong>im ersten Interview gar nichts erzählen konnte, war sie <strong>be</strong>im zweiten<br />

Mal viel weniger zurückhaltend und erzählte einige Erlebnisse aus der frühen<br />

Kindheit.<br />

Insgesamt ha<strong>be</strong>n 4 von den 12 <strong>be</strong>fragten Frauen ü<strong>be</strong>r ihre Kindheit gesprochen.<br />

Eine Frau erzählt von der Landwirtschaft, die sie zu Hause hatten und wo sie immer<br />

vor und nach der Schule helfen musste. Eine andere spricht ü<strong>be</strong>r ihre Pflegefamilie,<br />

<strong>be</strong>i der sie aufgewachsen ist:<br />

67


• „Ja, dass ich ü<strong>be</strong>rhaupt so weit gekommen bin, ist einmal die Familie G., wo<br />

ich dreißig Jahre lang gelebt ha<strong>be</strong>. Die ha<strong>be</strong>n mich mit fünf Jahren<br />

genommen.“<br />

Wiederum eine andere wurde ganz nervös <strong>be</strong>i dieser Frage:<br />

• „ Weil daheim waren sie so schiach zu mir, viel schiach gewesen [...].“<br />

und wollte gar nicht mehr erzählen und schon gar nicht das Gesagte auf Band<br />

aufnehmen.<br />

Eine weitere erzählt Episoden:<br />

• „Ja, da ha<strong>be</strong> ich immer Hasen gefüttert. Da ha<strong>be</strong> ich Hasen gestreichelt und<br />

dann bin ich in den Stall hinein und dann ha<strong>be</strong>n wir ein kleines Kalb<br />

<strong>be</strong>kommen [...].“ – „Und einmal bin ich als Kleiner aufs Dach hinaufgestiegen<br />

und dann bin ich vom Dach nicht heruntergekommen. Und das war meine<br />

größte Idee, die ich gemacht ha<strong>be</strong>. Das ha<strong>be</strong> ich „volle Wäsch“ gemacht, da<br />

hat mir keiner etwas sagen können. Dann ist die Feuerwehr gekommen. Und<br />

hat mich heruntergeholt [lacht sehr fröhlich]. Dann ha<strong>be</strong>n sie die Leiter geholt,<br />

dass sie mich herunterholen können. Ansonsten wäre ich nicht mehr<br />

heruntergekommen. Hinaufgestiegen aufs Dach und fertig.“<br />

Die Erinnerungen von zwei der drei Männer, die sich zur Kindheit äußerten, <strong>be</strong>ziehen<br />

sich in erster Linie aufs Lernen.<br />

Der eine hat viel vom Vater gelernt und mit ihm gear<strong>be</strong>itet hat und dies als sehr<br />

schön gefunden. Der andere war in einem Internat untergebracht. Doch er erinnert<br />

sich auch noch daran, dass seine Mutter eine Hausmeisterei <strong>be</strong>trie<strong>be</strong>n hat und er ihr<br />

geholfen hat. Beide erinnerten sich gerne.<br />

• „Das war schön.“ – „Ja, so im Großen und Ganzen war sie eigentlich eh<br />

schön.“<br />

Der dritte, der <strong>be</strong>i einer Pflegefamilie aufgewachsen ist, erzählt von seiner Kindheit,<br />

was er vom Hörensagen weiß:<br />

• „Was schlimm, war schlimm eigentlich. Raufkommen bin ich ja eigentlich zur<br />

Pflegemutter. Die richtige Mutter hat mich ü<strong>be</strong>r den Wickeltisch runterfallen<br />

gelassen.“<br />

Seither ist er <strong>be</strong>hindert. Das hat er bis heute – er ist inzwischen fast 25 Jahre alt –<br />

nicht verkraftet.<br />

68


Familienle<strong>be</strong>n<br />

Zu Familienle<strong>be</strong>n gibt es 7 Wortmeldungen von 5 Frauen (n=12), die sehr<br />

gegensätzlich sind. Eine Frau ist sehr dankbar darü<strong>be</strong>r, dass sie es so gut erwischt<br />

hat:<br />

• „A<strong>be</strong>r sage ich ja, der Familie G. ha<strong>be</strong> ich schon viel zu verdanken. Die ha<strong>be</strong>n<br />

mich wirklich groß gezogen wie einen Gesunden ne. Die ha<strong>be</strong>n vier eigene<br />

gehabt und vierzehn Pflegekinder hat sie groß gezogen, die Mutti [...]“<br />

klagt die andere:<br />

• „Also das Schicksal, was sich in meiner Familie abgespielt hat, ist ziemlich<br />

schwer.“<br />

Eine 20-Jährige, die noch immer zu Hause <strong>be</strong>i ihren Pflegeeltern wohnt und diese als<br />

ihre Eltern <strong>be</strong>trachtet, erzählt ü<strong>be</strong>r Alltäglichkeiten mit ihren Geschwistern. Sie kommt<br />

während des Interviews immer wieder auf ihre Familienmitglieder zu sprechen. Von<br />

ihnen fühlt sie sich <strong>be</strong>schützt und unterstützt. Um sie macht sie sich viele Gedanken<br />

und mit ihnen leidet sie, wenn sie – wie gerade die Oma – ins Spital müssen.<br />

Die gemachten Äußerungen der Männer sind wohlwollend distanziert.<br />

Vater<br />

• „[…]ich kann nichts sagen, dass in meiner Kindheit irgendetwas war, wo ich<br />

jetzt traumatisiert wäre bis zu meinem Le<strong>be</strong>nsende […]“<br />

• […]ich bin in einem normalen Elternhaus groß geworden.“<br />

Gesondert erwähnt wird der Vater von den Frauen nur dort, wo es traumatische<br />

Erlebnisse mit ihm gege<strong>be</strong>n hat. In unserer Studie sind es zwei Frauen, die darü<strong>be</strong>r<br />

sprechen.<br />

• „Ja, die Geschichte war so. Mein Papa hat zu trinken angefangen. Und ich<br />

ha<strong>be</strong> das seelisch einfach nicht mehr ausgehalten. Er war immer schon mit<br />

den Nerven fertig und hat sich nicht um mich <strong>be</strong>müht, gar nichts“,<br />

klagt eine junge Frau. Und eine ältere Frau zeigte uns ihr Fotoalbum und sagte dazu:<br />

• „Und das ist mein Vater, der ist gestor<strong>be</strong>n, der was mich immer geschlagen<br />

hat, der hat mich geschlagen immer so viel.“<br />

Von den Männern äußern sich 4 ü<strong>be</strong>r ihren Vater. Einer der Väter hat sich schon vor<br />

der Geburt des Sohnes verabschiedet:<br />

69


• „[...] Der hat ja schon vor meiner Geburt von meiner Mutter verlangt, dass sie<br />

etwas unterschrei<strong>be</strong>n soll, dass ich nicht von ihm bin.“<br />

und ein Loch hinterlassen, das dieser mit Phantasiegeschichten auffüllte:<br />

• „Mittlerweile bin ich drauf gekommen, dass meine Rollenbilder ja alle<br />

irgendwie aus der Phantasie kommen, nicht. Und alle irgendwie so mit<br />

A<strong>be</strong>nteuer zu tun ha<strong>be</strong>n, [Pause] die männlichen […]“<br />

Ein anderer wurde von seinem Vater mit seinen Exzessen psychisch sehr unter<br />

Druck gesetzt. Was seine Existenz nachhaltig gefährdete:<br />

• „Unser Bauernhof ist eh drauf gegangen, weil der Vater so ein Trottel war. Er<br />

hat ja alles versoffen und verhurt.“<br />

Ein weiterer Mann musste vom Vater sehr viele Schläge einstecken, sodass er mit<br />

seinen 25 voller Wut auf ihn ist:<br />

• „[...] Und ich will nicht informiert werden, wenn mein Vater gestor<strong>be</strong>n ist. Ich<br />

will nicht informiert werden. Ich gehe nicht zu Begräbnis. Freut mich, wenn er<br />

gestor<strong>be</strong>n ist.“<br />

Nur ein Mann spricht positiv ü<strong>be</strong>r das, was er von seinem Vater alles gelernt hat:<br />

• „Also, ich ha<strong>be</strong> viel von meinem Vater gelernt. Also ich ha<strong>be</strong> mit ihm immer<br />

viel mitgear<strong>be</strong>itet.“ – „ Mir hat es eigentlich immer gefallen.“<br />

Kontakt zu den Eltern<br />

Auch im Erwachsenenle<strong>be</strong>n ha<strong>be</strong>n die Eltern bzw. andere Familienmitglieder noch<br />

einiges mitzureden und ein regelmäßiger Kontakt spielt in vielen Fällen eine große<br />

Rolle.<br />

6 von 12 Frauen äußern sich dazu. Sie sind bis auf einen sehr positiv:<br />

Eine Frau spricht darü<strong>be</strong>r, wie sich der Kontakt zu den Eltern durch ihren Auszug<br />

ver<strong>be</strong>sserte, meint a<strong>be</strong>r:<br />

• „[...] vielleicht fasst man das dann anders auf. A<strong>be</strong>r ich glau<strong>be</strong> schon, dass die<br />

Eltern dann auch anders sind. Sie schätzen es einfach mehr.“<br />

Eine andere erzählt von ihrem Bruder:<br />

• „Bin ich zwischendurch <strong>be</strong>i meinem Bruder zuhause. Weil er krank war, was<br />

gehabt hat. Ha<strong>be</strong> ich ihn <strong>be</strong>sucht.“<br />

Und eine weitere:<br />

70


• „Mein Elternhaus ist in [Ort]. Meine Eltern sind auch schon ü<strong>be</strong>r 80. A<strong>be</strong>r sie<br />

le<strong>be</strong>n noch. Gott sei Dank.“<br />

Wieder eine andere <strong>be</strong>sucht noch immer ihre Pflegemutter, <strong>be</strong>i der sie 30 Jahre<br />

gewohnt hat und der sie viel verdankt. Und eine junge Frau, die noch zu Hause<br />

wohnt, <strong>be</strong>tont im Interview immer wieder, wie sehr sie mit ihren Eltern zufrieden ist.<br />

Nur eine Frau hat keinen Kontakt und leidet sehr darunter. Zur Mutter, die in einem<br />

Altersheim wohnt, hatte sie nie guten Kontakt. Der Kontakt zum Elternhaus, in dem<br />

die Brüder le<strong>be</strong>n, geht ihr jedoch sehr ab. Vor allem auch weil die Brüder ihr<br />

nachtragen, dass sie von zu Hause weggegangen ist.<br />

Von den Männern äußern sich drei von den acht ü<strong>be</strong>r den jetzigen Elternkontakt.<br />

Ein ü<strong>be</strong>r 50jähriger Mann erzählt ü<strong>be</strong>r eine Ar<strong>be</strong>it, nach der er den Schmutz schwer<br />

von den Händen <strong>be</strong>kommen hat, als erstes von der Reaktion seiner Mutter.<br />

• „Da ha<strong>be</strong> ich mir die Hände gewaschen und dann sind die Nägel trotzdem<br />

schwarz gewesen. Die Mama hat geglaubt, ich wasche mich nicht.“<br />

Ein anderer, der auch schon ü<strong>be</strong>r 50 ist, freut sich, dass seine Mutter noch lebt:<br />

• „[...] jetzt ist sie a<strong>be</strong>r im Spital und wir müssen dann einmal rauf fahren und sie<br />

<strong>be</strong>suchen. Jetzt ist schon lange, dass ich da bin und ich ha<strong>be</strong> sie schon lange<br />

nicht mehr gesehen.“<br />

Ein 24-Jähriger, der erst vor ca. einem Jahr ausgezogen ist und jetzt ein eigenes<br />

Zimmer <strong>be</strong>wohnt, fährt regelmäßig nach Hause:<br />

• „Ja, wenn das Wetter tut, fahre ich schon hin, ja. [Pause] Oft nehme ich wieder<br />

mal wen mit oder so.“<br />

Freizeitgestaltung<br />

Freizeitaktivitäten werden von den InterviewpartnerInnen insgesamt am häufigsten<br />

genannt.<br />

Sie scheinen einen Bereich darzustellen, der am meisten <strong>be</strong>schäftigt und Freude<br />

<strong>be</strong>reitet.<br />

Für die interviewten Mädchen und Frauen sind FreundInnen ein wichtiger Bestandteil<br />

der Freizeitgestaltung. Sie unternehmen was mit den Freundinnen und Freunden,<br />

71


gehen Kaffeetrinken oder treffen sich am Wochenende. Soziale Kontakte scheinen<br />

ihnen wichtig.<br />

Die <strong>be</strong>fragten Burschen und Männer ha<strong>be</strong>n zwar auch Kontakte, a<strong>be</strong>r nicht so<br />

intensiv wie die Mädchen und Frauen. Sie unterhalten sich z.B. mit NachbarInnen<br />

oder Hausmeister. FreundInnen scheinen keine zentrale Rolle zu spielen. Ein<br />

Interviewpartner sagt pointiert:<br />

• „Und ich meine, auch ha<strong>be</strong> ich derzeit nicht das, was man einen Freund<br />

nennt, [Pause]“<br />

In Punkto <strong>be</strong>vorzugte Aktivitäten unterscheiden sich die interviewten Frauen klar von<br />

den Männern. Mädchen sind Zuseherinnen am Fußballplatz, Burschen und Männer<br />

ge<strong>be</strong>n an, selbst zu spielen.<br />

Frauen gehen zum Frisör, „um sich schön zu machen“, Männer gehen „fischen und<br />

Bogenschießen“.<br />

E<strong>be</strong>nfalls frauenspezifisch sind „Spaziergänge, Entspannungssachen,<br />

Wellnessprogramm, Tanzkurse, Einkaufen, häkeln und Bilder sticken“.<br />

Die Männer ge<strong>be</strong>n an: Darts spielen, Pokern, Fortgehen, Ministrieren, CP-funken, in<br />

der Holzwerkstatt ar<strong>be</strong>iten, ins Gasthaus gehen, oder im Internet zu surfen:<br />

• „[...] dann bin ich natürlich – wie Sie sicher schon <strong>be</strong>merkt ha<strong>be</strong>n [lacht} –<br />

ziemlich oft im Internet auch <strong>be</strong>schäftigt. Und da vergeht die Zeit damit, Mails<br />

zu schrei<strong>be</strong>n oder vielleicht im Chat-room zu chaten. Also immer wieder ...<br />

damit es mir ja nicht fad wird.“<br />

Haustiere sind für Frauen wie Männer ein Thema:<br />

Ein Interviewpartner sagt dazu:<br />

• „Mit meiner Katze ha<strong>be</strong> ich die größte Freude.“<br />

Ein weiterer:<br />

• „Was mir abgeht sind die Viecher. Viecher sind wie Kinder.“<br />

Einige Befragte machen bzw. planen in ihrer Freizeit größere Projekte:<br />

Eine Frau:<br />

• „Jetzt bin ich im Begriff in der Firma eine Zeitung zu gründen ü<strong>be</strong>r unsere<br />

Firma, weil die ziemlich un<strong>be</strong>kannt ist […] Ich möchte sie gründen, ja.“<br />

72


Ein Mann:<br />

• „Und eines was ich gemacht ha<strong>be</strong>, ich ha<strong>be</strong> ein Projekt gemacht […]. Wir<br />

ge<strong>be</strong>n ab Septem<strong>be</strong>r ein Backbuch heraus, wo wirklich alles drin ist. Von der<br />

Handkaiser, bis zum Brot, bis zum Plunderteig“.<br />

Sportlich sind interviewte Frauen wie Männer aktiv, sofern sie keine körperliche<br />

Beeinträchtigung ha<strong>be</strong>n. Die Aktivitäten sind sehr vielfältig und reichen von<br />

Schwimmen, ü<strong>be</strong>r Schifahren, Langlaufen, Laufen, Weitspringen, Softball,<br />

Tischtennis bis hin zu Sportarten, speziell für Frauen und Männer mit Behinderung:<br />

Eine Frau:<br />

• „Und dann mache ich ne<strong>be</strong>n<strong>be</strong>i eigentlich Sport. Ich spiele Torball, das ist eine<br />

Sportart für Blinde und Seh<strong>be</strong>hinderte. Also sprich, jeder Seh<strong>be</strong>hinderte muss<br />

eine schwarze Brille tragen und die Blinden natürlich auch. Und es wird mit<br />

einem Klingelball gespielt. Und das Feld ist so groß wie ein Volleyballfeld. Also<br />

13 x 7 hat es. Wo die 7 Meter sind ist ein Tor mit 1m 30 Höhe, ü<strong>be</strong>r die<br />

ganzen 7 Meter. Und auf der gegenü<strong>be</strong>rliegenden Seite noch einmal. Und<br />

eine Mannschaft <strong>be</strong>steht aus 3 Personen und 2 Wechselspieler, a<strong>be</strong>r spielen<br />

dürfen nur 3 im Spielfeld. Und der Ball ist wie gesagt mit Klingel ausgestattet<br />

und in der Mitte sind drei Leinen gespannt, in der Höhe von 30 cm in einem<br />

Meter Abstand und der Ball muss unter den Leinen durch geworfen werden<br />

und die gegnerische Mannschaft, also mit der Hand muss durch geworfen<br />

werden und die gegnerische Mannschaft, ah muss sich halt so ganz lang<br />

machen, generell so lang wie möglich und den Ball nicht ins Tor, dass er nicht<br />

ins Tor geht, der Ball. Und die Staatsmeisterschaften sind dieses Jahr in <strong>Graz</strong>.<br />

Das ist am 27. Novem<strong>be</strong>r.“<br />

Für RollstuhlfahrerInnen ist die Freizeitgestaltung ein „heißes Thema“:<br />

• „Freizeit. Heißes Thema. Kaum möglich für Rollstuhlfahrer, außer man plant<br />

es wirklich generalstabsmäßig ahh [Pause] und teilt sich die Woche<br />

tatsächlich ein.“<br />

Behinderungsspezifische Themen<br />

Einstellung zur Behinderung<br />

Wenn Frauen von Behinderung und Einschränkung sprechen, erwähnen sie im<br />

gleichen Atemzug die Notwendigkeit, die eigene Behinderung zu akzeptieren:<br />

• „Und die [Behinderungen] dürfen sein. Und zum Teil sollen sie sein, weil ganz<br />

einfach, es sind verschiedenste Sachen: Es kann sein, aufgrund dieser<br />

ü<strong>be</strong>rgehenden Behinderung, der Nichtakzeptanz, dem Körper viel zu viel<br />

zugemutet wird. Der Körper, irgendwann a<strong>be</strong>r sagt: Nicht mit mir!“<br />

73


Eine Interviewpartnerin meint, dass <strong>be</strong>i Frauen öfters die Gefahr <strong>be</strong>stehe, dass sie<br />

sich in die „Beschütz-mich-Rolle“ fallen lassen und jegliche Verantwortung für die<br />

eigene Person abge<strong>be</strong>n. Das sei ein frauenspezifisches Phänomen.<br />

Eine andere Interviewpartnerin ist der Meinung, dass Frauen mit Behinderung sehr<br />

viele Fähigkeiten ha<strong>be</strong>n.<br />

• „Sie müssen a<strong>be</strong>r lernen, wie man sagen kann, wenn irgendetwas stört“.<br />

Männer erle<strong>be</strong>n ihre Behinderung, ins<strong>be</strong>sondere körperliche Beeinträchtigungen als<br />

persönliche Einschränkung:<br />

• „Mein Le<strong>be</strong>n ist schlicht anstrengend. [Pause] E<strong>be</strong>n auch <strong>be</strong>dingt durch diese<br />

Mehrfach<strong>be</strong>lastungen“.<br />

• „Ich brauche nie wieder irgendwie nach Afrika gehen und ein<br />

Ü<strong>be</strong>rle<strong>be</strong>nstraining machen, weil das ha<strong>be</strong> ich 365 Tage im Jahr - 24 Stunden<br />

lang. - von in der Früh bis am A<strong>be</strong>nd. Ich brauche diesen Extrakick nicht<br />

mehr.“<br />

Belastend sind vor allem die Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung:<br />

• „Also, wie gesagt, dass sie von vorneherein annehmen, dass man in dem<br />

Augenblick, wo man in irgendeiner Weise Unterstützung braucht vom Staat<br />

ahh, vollkommen [Pause] also ü<strong>be</strong>rhaupt nicht mehr fähig ist, irgendwie sein<br />

Le<strong>be</strong>n zu organisieren. Oder fähig ist, ahh [Pause] die Dinge, die man<br />

braucht, für sich sel<strong>be</strong>r auszusuchen.“<br />

Die Behinderung unter positiven Aspekten zu sehen, wird als langer Prozess<br />

empfunden.<br />

Ein Interviewpartner sagt a<strong>be</strong>r:<br />

• „Ich ha<strong>be</strong> zum Beispiel ahh - obwohl ich ein vollkommener Chaot bin [Pause]<br />

einen ziemlich hohen Selbstorganisationsgrad, den nur relativ wenig<br />

Menschen ha<strong>be</strong>n.“<br />

Ein anderer meint zu seinem Schlaganfall:<br />

• „Wenn das nicht passiert wäre, ja dann, […] wäre ich eingesperrt worden<br />

auch noch“.<br />

Ü<strong>be</strong>r mehrfach<strong>be</strong>hinderte Frauen und Männer sagt ein Interviewpartner:<br />

• „Die sind ein Muster an Effizienz. Mit ganz wenigen Mitteln trotzdem am<br />

Le<strong>be</strong>n blei<strong>be</strong>n. [Pause] Und in irgendeiner Weise ahhh [Pause] so mit der<br />

Umwelt korrespondieren können, dass sie das <strong>be</strong>kommen, was sie brauchen.<br />

[Pause] Das sind zum Beispiel Fähigkeiten, die sehr vielen Leuten abgehen,<br />

74


nicht? Oder die ganz viel Geld dafür ausge<strong>be</strong>n, ah um diese Fähigkeiten sich<br />

anzutrainieren oder zu ü<strong>be</strong>n“.<br />

Diskriminierung<br />

Für Diskriminierungsmechanismen, auch jene die außerhalb der<br />

<strong>be</strong>hindertenspezifischen Diskriminierung liegen, sind Frauen und Männer mit<br />

Behinderung sehr sensi<strong>be</strong>l.<br />

So sagt ein Interviewpartner zum Thema der allgemeinen Diskriminierungen:<br />

• „Ich ha<strong>be</strong> das Gefühl du hast braune Augen und ich ha<strong>be</strong> blaue Augen, ich<br />

haue dir eine hinein. Ja? Das ist auch so eine Art. Die die die Leute kapieren<br />

das nicht. Die die sehen einen Menschen, der anders ist und sagen: Jetzt<br />

haue ich dem eine hinein. [Pause] Und wie hat Gott, wie hat Jesus einmal<br />

gesagt: Der, der ohne Sünde sei, werfe den ersten Stein. Das kann niemand<br />

sein, weil jeder hat eine Sünde <strong>be</strong>gangen, jeder hat Fehler gemacht. Sonst<br />

sind wir keine Menschen, sondern Götter. Und ich meine, das ist etwas, was<br />

ich niemals, niemals einsehen werde auf der Welt. Weil die Weltmacht nach<br />

dem derzeitigen Trei<strong>be</strong>n immer so ist. Wir sind intolerant ge..gegen<br />

Homosexuelle, untolerant gegen Les<strong>be</strong>n, untolerant gegen Bisexuelle. Das<br />

ha<strong>be</strong>n wir ja gesehen <strong>be</strong>im Arnold Schwarzenegger. Der hat gegen eine<br />

Schwulenehe plädiert. Ich ha<strong>be</strong> mir gedacht, was ist denn da auch schon<br />

da<strong>be</strong>i?“<br />

Frauen werden laut ihren Aussagen nicht verbal angegriffen, sondern sprechen<br />

davon, dass ihnen Hilfe entgegengebracht wird, nach der sie nicht verlangen:<br />

• „jemandem eine Hilfe anbieten [Stimme wird lauter] und du brauchst sie nicht!<br />

Und das ist ein Ding, was ich nicht mag.“<br />

• „Oder wenn Leute mich einfach von hinten angreifen, das mag ich ü<strong>be</strong>rhaupt<br />

nicht.“<br />

• „Oder einfach nehmen und irgendwo hin schie<strong>be</strong>n, das mag ich nicht.“<br />

Verbal angegriffen werden Frauen, wenn es um das Thema „Mutterschaft und<br />

Behinderung“ geht:<br />

• „Dadurch, dass ich mit Normalsehenden zusammen ar<strong>be</strong>ite, ha<strong>be</strong> ich damit<br />

schon ein Problem. Z.B. die ha<strong>be</strong>n zum Thema Kind gesagt, weil irgendwie<br />

ha<strong>be</strong>n wir zum Thema Familie diskutiert: Was erlaubst du dir eigentlich mit<br />

deiner Seh<strong>be</strong>hinderung ein Kind in die Welt zu setzen! Also da hat es mir<br />

einmal wirklich alle Haare aufgestellt. Da bin ich wirklich einmal gestiegen.<br />

Weil ich denke mir, andere Mütter ha<strong>be</strong>n genau so Dinge, die sie nicht so gut<br />

können. Und ha<strong>be</strong>n Angst dadurch. Warum soll man mit einer<br />

Seh<strong>be</strong>hinderung kein Kind in die Welt setzen?“<br />

Behindertenspezifische Diskriminierung wird von den Männern oft als offene, direkte<br />

Diskriminierung erlebt:<br />

75


• „Dann wirst du ausgelacht […]“<br />

• „[…] die fahren mich oft an mit dem Rad auf meinem wehen Fuß.“<br />

• „Das merke ich auch, wenn ich von der Ar<strong>be</strong>it heimfahre. Nur wegen 2<br />

Stationen, die ich fahre. Da maulen sie. Und sagen: ma schau [Pause], dann<br />

tun sie mich ausspotten.“<br />

• „Einmal war ein Fall,[…] da bin ich mit dem Rad gefahren, ha<strong>be</strong>n mich halt<br />

ein paar Leute, da war ich mit dem Rad unterwegs, ha<strong>be</strong>n sie mich halt, wie<br />

ich gestanden bin, ein paar Leute, ha<strong>be</strong>n sie mich aufgenommen mit dem<br />

Rad und dann ha<strong>be</strong>n sie mich fallen lassen, fallen lassen am Boden, da<br />

ha<strong>be</strong>n sie mich richtig so hinten aufgeho<strong>be</strong>n und ha<strong>be</strong>n mich fallen gelassen.“<br />

Der Umgang von Behörden mit Frauen und Männern mit Behinderung wird<br />

fol<strong>gender</strong>maßen kritisiert:<br />

• „Behinderte Menschen, auch deren Privatle<strong>be</strong>n ist öffentliches Gut [Pause]<br />

Ansonsten muss man permanent und pausenlos seine Verhältnisse offen<br />

legen. [Pause] Angefangen von seiner Medizin, also vom<br />

Gesundheitszustand bis zu - was weiß ich - bis zu den finanziellen<br />

Verhältnissen ständig und pausenlos.“<br />

Diskriminierungen am Ar<strong>be</strong>itsplatz <strong>be</strong>nennen ins<strong>be</strong>sondere Frauen mit Behinderung.<br />

Auch geschützte Ar<strong>be</strong>itsplätze oder die Ar<strong>be</strong>it in einer Beschäftigungstherapie sind<br />

keine Garantie für einen wertschätzenden Umgang:<br />

• „Ich hab geschützte Ar<strong>be</strong>itsplätze gehabt und ich bin einfach diskriminiert<br />

worden.“<br />

Eine Frau in Beschäftigungstherapie <strong>be</strong>richtet:<br />

• „Wir sind im Keller unten, den ganzen Tag kein Tageslicht. […]. Da ha<strong>be</strong>n sie<br />

wirklich nicht mitgedacht. […] Da sieht man einmal wie die Ar<strong>be</strong>it gewertet<br />

wird, nämlich gar nicht. Ja, schon deprimierend, a<strong>be</strong>r wir machen das Beste<br />

daraus, sonst erträgt man das eh nicht (lacht).“<br />

Die Erfahrungen von Frauen am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt sprechen für wiederholte und<br />

punktuelle Unterdrückung:<br />

• „Die ha<strong>be</strong>n gesagt, ich bin zu blöd fürs Putzen, obwohl ich mich <strong>be</strong>müht ha<strong>be</strong>,<br />

wirklich das Ganze zu reinigen und alles.“<br />

• „Ich ha<strong>be</strong> mit meinen Kolleginnen oft einen relativen Streit, ich hab auf<br />

meinem Schreibtisch einen Saustall nach ihrer Bezeichnung. Ich sage, das ist<br />

Ordnung. Ich finde in diesem Chaos alles. Das ist ein Ding, wo ich und meine<br />

Kollegin auch immer zum Streiten kommen oder zu diskutieren anfangen.<br />

Oder z.B. wenn sie mir etwas nicht auf den Platz hinstellt, wo ich es hingestellt<br />

ha<strong>be</strong>, dann finde ich es nicht mehr. Dann sagt sie wieder, du hast so einen<br />

Saustall gehabt, ich ha<strong>be</strong> zusammenräumen müssen. A<strong>be</strong>r nur ich finde es<br />

nachher nicht mehr [lacht]. Also ich lie<strong>be</strong> meine Unordnung, für mich ist das<br />

Ordnung. […] Also ich sage immer, ich ha<strong>be</strong> meine eigene Ordnung. Und das<br />

76


können auch viele Leute, Normalsehende nicht so akzeptieren. Z.B., wenn du<br />

gewisse Dinge anders machst, als sie das wollen. […]“<br />

Frauenspezifische Unter<strong>be</strong>zahlung wird als weitere Benachteiligung am ersten<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarkt erlebt:<br />

• „Vom Ar<strong>be</strong>itsverhältnis her sind die Frauen wirklich <strong>be</strong>nachteiligt. Die werden<br />

immer anders <strong>be</strong>zahlt als Männer.“<br />

Männer mit Behinderung stehen am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt unter männertypischem<br />

„Akkord- und Erfolgsdruck“, den sie „nicht wirklich großartig aushalten“.<br />

Einigkeit zwischen Frauen und Männern mit Behinderung <strong>be</strong>steht <strong>be</strong>i der Aussage.<br />

• „dass <strong>be</strong>hinderte Menschen ähnlich wie ahh a.. Frauen [Pause], witzigerweise<br />

ahh [Pause] zumindest doppelt <strong>be</strong>lastet, wenn nicht drei-vierfach <strong>be</strong>lastet<br />

sind.“<br />

• „ja, und was <strong>be</strong>i Frauen möglicherweise noch dazukommt, vor allem, wenn sie<br />

in Partnerschaften - fällt mir jetzt gerade ein, von wegen leisten - ahhhm dass<br />

sie, ne<strong>be</strong>n den üblichen Belastungen, die eine Behinderung mit bringt,<br />

natürlich auch noch die Belastungen ha<strong>be</strong>n, ahh aufgrund der Tatsache, dass<br />

sie Frau sind. …Also sprich, wenn sie <strong>be</strong>rufstätig sind, ha<strong>be</strong>n sie dann zu<br />

Hause noch den Haushalt. Wenn sie in einer Beziehung le<strong>be</strong>n, ha<strong>be</strong>n sie<br />

dann auch noch die Beziehungspflege, ahhh und ha<strong>be</strong>n sie dann unter<br />

Umständen ja dann auch noch die Verantwortung für die Kindererziehung.<br />

[Pause] Und was der Mann dann macht, das weiß ich meistens nicht, nicht!<br />

A<strong>be</strong>r ahh [Pause] das ist, - ich meine, es ist für <strong>be</strong>hinderte Männer schon<br />

schwer genug, eine Beziehung einzugehen - [Pause] ahh und es ist noch<br />

verdammt viel schwieriger für [Pause] eine <strong>be</strong>hinderte Frau. [Pause] Wenn sie<br />

nicht dem, wenn sie nicht irgendeinem gängigen Klischee ahh entsprechen.“<br />

Hilfe und Unterstützung<br />

Ü<strong>be</strong>r die Hilfs<strong>be</strong>dürftigkeit und die tatsächlich <strong>be</strong>kommene Hilfe äußern sich 7 von 12<br />

Frauen und 6 von 8 Männern.<br />

Da<strong>be</strong>i ist vor allem die Art der Behinderung von großer Bedeutung.<br />

Für Frauen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, scheint es selbstverständlich zu<br />

sein, dass in erster Linie Verwandte die Assistenz machen. Hier sind es die<br />

weiblichen Verwandten, die dafür zuständig sind:<br />

• „Ich ha<strong>be</strong> auch eine Schwester, die nicht <strong>be</strong>hindert ist und ja, die macht für<br />

mich die grö<strong>be</strong>ren Ar<strong>be</strong>iten.“<br />

Die Frauen äußern sich auch sehr löblich ü<strong>be</strong>r Hilfe von Nachbarn und FreundInnen:<br />

77


• „[...] und die Nachbarn rundherum sind sehr <strong>be</strong>hindertenfreundlich. Sie ha<strong>be</strong>n<br />

gesagt, wenn ich was brauche, kann ich jederzeit zu ihnen kommen.“<br />

• „Ich ha<strong>be</strong> auch Zivildiener im M., die wirklich sehr nett sind. Und auch wirklich,<br />

wirklich total super mithelfen.“<br />

• „A<strong>be</strong>r mein Glück ist ja, das manche Leute sich kümmern um mich.“<br />

Anerkennung der Unterstützung von Seiten der Pflegeeltern kommt von einer<br />

anderen Frau:<br />

• „Und [lacht] also die ganze Familie hat trainiert mit mir und geübt, ne.“<br />

Nur eine seh<strong>be</strong>hinderte Frau äußert sich kritisch:<br />

• „[...] ich meine, man muss akzeptieren, wenn manche Leute nicht helfen<br />

wollen, a<strong>be</strong>r das ist ja absolut kein Problem. A<strong>be</strong>r der Großteil der Menschen<br />

ist hilfs<strong>be</strong>reit.“<br />

Von den allein le<strong>be</strong>nden Männern, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, kamen<br />

dazu die meisten Wortmeldungen:<br />

• „Ich kann nicht alleine einkaufen gehen, jetzt momentan […] Nein, also<br />

aufstehen kann ich gar nicht.“<br />

• „[…] muss man (es) a<strong>be</strong>r auch aushalten, ahh dauernd ahh wegen jedem<br />

kleinen Blödsinn – und sei es nur wenn ein Zettel oder sonst etwas<br />

hinunterfliegt -, jemand anderen zu brauchen.“<br />

Ein Mann macht sich Gedanken darü<strong>be</strong>r, wie diese Hilfe von Fremden so organisiert<br />

werden könnte, dass für <strong>be</strong>ide ein Nutzen da<strong>be</strong>i herausschauen kann:<br />

• „[…] dass selbst un<strong>be</strong>hinderte Menschen einen <strong>be</strong>hinderten Menschen einmal<br />

ein Stück weit ahh des Weges <strong>be</strong>gleiten, damit sie ihr Le<strong>be</strong>n auf die Reihe<br />

kriegen.“<br />

Und artikuliert auch, dass es für sie nicht so selbstverständlich ist, dass diese Hilfe –<br />

persönliche Assistenz genannt – immer ganz selbstverständlich von den Frauen, sei<br />

es nun von der Mutter oder von der Partnerin geleistet werden soll:<br />

• „[…] ha<strong>be</strong> ich einen Lernprozess hinter mir, der offensichtlich nicht so wirklich<br />

Gang und Gä<strong>be</strong> ist <strong>be</strong>i <strong>be</strong>hinderten Männern. – Die natürlich alle noch<br />

glau<strong>be</strong>n, meinen, dass es selbstverständlich ist, dass die Frau die Assistenz<br />

macht, und zwar die komplette.“<br />

• „Also alles, was irgendwie so mit Assistenz aufgrund von Behinderung, Alter<br />

oder sonst etwas, zusammenhängt, fällt für mich nur mehr sehr <strong>be</strong>dingt unter<br />

dieses Beistandsding.“<br />

Bei vorü<strong>be</strong>rgehenden Krankheiten oder Behinderungen aufgrund von Krankheiten<br />

wäre es noch einzusehen, dann a<strong>be</strong>r auch nur, wenn die Frau nicht <strong>be</strong>rufstätig ist.<br />

• „Ansonsten braucht es dringend [Pause] Zukauf von außen“,<br />

78


fordert ein Mann sehr vehement von der Gesellschaft ein.<br />

Bei Assistenzleistungen von Seiten der Partnerin ist das ganz <strong>be</strong>sonders heikel,<br />

denn<br />

• „Im Prinzip sind es zwei Verhältnisse. Weil du musst eine Partnerschaft<br />

ha<strong>be</strong>n, und brauchst und hast a<strong>be</strong>r auch so etwas Ähnliches wie eine<br />

Dienstleistungs<strong>be</strong>ziehung.“<br />

Jede Assistenzleistung wird von einem im Rollstuhl sitzenden Mann als „ein Eingriff<br />

in die Intimsphäre“ <strong>be</strong>zeichnet und dann ist es umso <strong>be</strong>schwerlicher, wenn man dafür<br />

den mühsamen Weg der Antragstellung gehen muss. Behinderte Menschen ha<strong>be</strong>n<br />

einfach „einen erhöhten Grundaufwand“. Ein Rollstuhlfahrer/eine Rollstuhlfahrerin<br />

braucht eine barrierefreie Wohnung. Dafür ist schon von vorneherein eine gewisse<br />

Größe Voraussetzung. Dazu kommen auch noch erhöhte Heizkosten, da es für<br />

jemand, der ständig sitzt, nicht möglich ist, <strong>be</strong>i einer Innentemperatur von 20 Grad zu<br />

le<strong>be</strong>n ohne sich ständig zu verkühlen.<br />

Unterstützung ganz anderer Art hat ein junger Mann erfahren, der aufgrund der<br />

Diagnose „schwerst<strong>be</strong>hindert“ große Schwierigkeiten da<strong>be</strong>i hatte, eine<br />

Grundausbildung in Lesen und Schrei<strong>be</strong>n zu <strong>be</strong>kommen, obwohl er durchaus dazu<br />

fähig gewesen wäre. Dieses „runterstellen“, wie er es <strong>be</strong>zeichnet, <strong>be</strong>einträchtigt auch<br />

heute noch seinen Selbstwert.<br />

Wenn er nicht Pflegeeltern gehabt hätte, die ihm private Nachhilfestunden finanziert<br />

hätten, könnte er heute nicht lesen und schrei<strong>be</strong>n.<br />

Ü<strong>be</strong>r die Hürden der Antragstellung <strong>be</strong>schweren sich die Männer <strong>be</strong>sonders:<br />

• „Nicht, dass ich es nicht könnte, a<strong>be</strong>r es ist einfach dermaßen mühsam […]<br />

ahh […] diese ganzen Formulare etc. auszufüllen. Hängt doch damit<br />

zusammen, dass man für jeden […] Handgriff und für jedes Ding, das man<br />

irgendwie von irgendjemanden braucht, ahh […] ahh sei es von der<br />

Krankenversicherung oder von der Behindertenhilfe 1000de Formulare<br />

ausfüllen muss.“<br />

Für manche ist es dann so mühsam, dass sie im Endeffekt freiwillig darauf<br />

verzichten.<br />

• „Da ha<strong>be</strong> ich eh schon 50 Kopien raufgeschickt zu den Stellen und was ha<strong>be</strong><br />

ich <strong>be</strong>kommen? Das ganze Geld ha<strong>be</strong> ich nicht <strong>be</strong>kommen. [Pause] Ich ha<strong>be</strong><br />

gesagt, da suche ich gar nicht mehr an. Da zahle ich lie<strong>be</strong>r selbst, da ha<strong>be</strong> ich<br />

mehr davon. Ich mache es einfach nicht mehr. Das hat mich Nerven gekostet!“<br />

79


Dazu kommt noch die entwürdigende Art der Beamten, die ü<strong>be</strong>r den Kopf hinweg<br />

entscheiden, was sie genehmigen und was nicht. Sie fühlen sich von dieser Art von<br />

Bittstellertum entwürdigt, sodass sie entweder darauf verzichten oder depressiv<br />

werden.<br />

• „Ja ganz verstehe ich das nicht da draußen, wie können die ü<strong>be</strong>r einen weg<br />

entscheiden? Das verstehe ich nicht. Die kennen dich nicht einmal. Und<br />

ge<strong>be</strong>n dich ein und das war´s“.<br />

• „Die Mitar<strong>be</strong>iter der Krankenkassen […] sind Horror für mich. Die ha<strong>be</strong>n nur,<br />

wie gesagt, die schauen nur auf das, was es kostet. […] Ha<strong>be</strong>n keine Ahnung,<br />

dass ein Rollstuhl genauso wie ahh Füße […] ahh […] nicht un<strong>be</strong>dingt <strong>be</strong>im<br />

nächsten Mal, wenn man ums Eck fährt, zusammenbrechen muss und<br />

zusammenbrechen darf, sondern ein bisschen stabil, robust und sonst was<br />

sein muss. Und wenn das Ding stabil, robust und sonst was sein muss und<br />

den Anforderungen des Alltags gewachsen, dann […] kostet es auch<br />

dementsprechend mehr.“<br />

Von Seiten der Frauen gab es zu diesen o<strong>be</strong>n abgehandelten Themen gar keine<br />

Wortmeldung. Frauen scheinen viel zufriedener und dankbarer zu sein mit dem, was<br />

sie <strong>be</strong>kommen. Für sie ist es nicht selbstverständlich, dass man Unterstützung<br />

<strong>be</strong>kommen muss. Eine Frau sah es sogar als Diskriminierung an, wenn sie für einen<br />

Fortbildungskurs Unterstützung <strong>be</strong>kommen hätte, die andere nicht <strong>be</strong>kommen. Für<br />

sie ist es ein Zeichen von Normalität, wenn ihr keine Sonderstellung eingeräumt wird.<br />

Normalität<br />

Das Thema Normalität wird relativ selten angesprochen. Es sind eine Frau und zwei<br />

Männer, die sich dazu äußern.<br />

Bei den Frauen ist es eine mit Seh<strong>be</strong>hinderung, die für sich Normalität in<br />

Zusammenhang mit Hilfsmittel<strong>be</strong>schaffung fol<strong>gender</strong>maßen thematisiert:<br />

• „Ein normaler Mensch, ein Nicht<strong>be</strong>hinderter muss sich den PC auch sel<strong>be</strong>r<br />

kaufen. Drucker, Scanner und das weitere auch und für den Rest, der wird<br />

teilweise finanziert, wenn du im Berufsle<strong>be</strong>n bist.“<br />

Ein junger Mann drückt es im Zusammenhang mit einem Freizeit<strong>be</strong>dürfnis aus:<br />

• „Von Zeit zu Zeit gehe ich auch natürlich fort, wie jeder normale Bursch...“<br />

Der zweite spricht darü<strong>be</strong>r in Zusammenhang mit einem Mehraufwand, den er als<br />

Mehrfach-Behinderter hat:<br />

• „Ich ar<strong>be</strong>ite, damit ich mir die Wohnung und die Assistenz leisten kann derzeit.<br />

[…] Und trotzdem ist mein Konto permanent ü<strong>be</strong>rzogen, […] weil ich einfach<br />

auch noch andere, weil ich einfach den normalen Le<strong>be</strong>nsaufwand auch noch<br />

ha<strong>be</strong>.“<br />

80


In diesem Zusammenhang äußert er auch das Bedürfnis, einmal ü<strong>be</strong>r sein Le<strong>be</strong>n<br />

reflektieren zu können, wozu er bisher keine Zeit hatte oder sich nahm:<br />

• „Ich ha<strong>be</strong> zum Beispiel in meinem ganzen Le<strong>be</strong>n nie wirklich Zeit gehabt, mich<br />

auch nur wirklich damit auseinanderzusetzen, [Pause] ahh was es jetzt<br />

wirklich heißt, mit diesen massiven Einschränkungen ahh weiterhin ein<br />

normales Le<strong>be</strong>n zu führen.“<br />

Mobilität<br />

Mobilität ist für 6 von 12 Frauen und 6 von 8 Männer ein Thema. Jedoch mit sehr<br />

unterschiedlichen Zugängen.<br />

Die Wortmeldungen der Frauen sind mehr <strong>be</strong>schrei<strong>be</strong>nd als kritisch anmerkend. Sie<br />

erzählen ü<strong>be</strong>r den Weg zu und von der Ar<strong>be</strong>it, den sie mit dem Bus zurücklegen,<br />

oder wie lange sie zu Fuß in den nächsten Ort gehen müssen. Eine Frau merkt an,<br />

dass sie auf das Behindertentaxi angewiesen ist, weil sie, auf zwei Stöcken gehend,<br />

nicht in den Bus einsteigen könne. Für die Frau mit Seh<strong>be</strong>hinderung ist das<br />

Mobilitätstraining, das sie in der Volks- und Hauptschule so ne<strong>be</strong>n<strong>be</strong>i und während<br />

ihrer Ausbildung im Besonderen gemacht hat, zentral:<br />

• „[…] in Wien ha<strong>be</strong> ich wirklich dann das Le<strong>be</strong>n selbst gelernt. Sprich, da bin<br />

ich wirklich darauf gekommen, was das Le<strong>be</strong>n selbst <strong>be</strong>deutet und ich bin<br />

wirklich total mobil worden in diese Richtung.“<br />

Ein junger Mann vom Land freut sich ü<strong>be</strong>r seinen Mopedführerschein, einerseits weil<br />

er ihn für die Ar<strong>be</strong>it mobiler macht:<br />

• „Weil mit der Ar<strong>be</strong>it war es oft so, dass keine Busverbindungen waren....“<br />

und andererseits gibt ihm der damit verbundene Erfolg auch Selbstvertrauen:<br />

• „Ich bin eigentlich froh, dass ich den Moped-Führerschein geschafft hab. Hat<br />

mich eh gewundert, weil ich ja nichts sehe auf einem Auge, gell?“<br />

Ein zweiter junger Mann vom Land spricht darü<strong>be</strong>r in Zusammenhang mit<br />

Assistenzleistungen innerhalb eines Shuttledienstes von der Tageswerkstätte nach<br />

Hause:<br />

• „Und ich sitze im Bus in der letzten Reihe, komplett schief, weil ich muss zwei<br />

Rollstühle zugleich halten. Da halte ich halt so verkreuzt.“<br />

Ein Mann, der in der Stadt wohnt und öffentliche Verkehrsmittel <strong>be</strong>nutzt, erzählt, wie<br />

er einmal vom Busfahrer positiv in Schutz genommen wurde:<br />

• „[…] ich steige in den [Bus] ein, wo eh nur einer Platz hat. Da wollte mich ein<br />

Mädchen, so ein [Schimpfwort] verjagen. Ich meine ich ha<strong>be</strong> eine<br />

81


Behinderung. Und der Busfahrer, der kennt mich ja. Weißt wie schnell die<br />

aussteigen konnte!?“<br />

Für Körper<strong>be</strong>hinderte hat Mobilität noch einmal eine andere Bedeutung:<br />

• „[…] d.h. meine Anfahrtswege zu irgendwelchen Vergnügungsstätten auch<br />

hier im Umkreis <strong>be</strong>laufen sich auf eine hal<strong>be</strong> Stunde jeweils.“<br />

• „Die U-Bahn war schon ein bisschen blöd. - […] Ha<strong>be</strong>n wir müssen<br />

einbremsen. Und der andere hat müssen zurückhalten. Weil es so steil ü<strong>be</strong>r<br />

die Rolltreppe gegangen ist.“<br />

Barrierefreiheit<br />

Bei den Frauen sind es nicht diejenigen, die selbst im Rollstuhl sitzen, die auf das<br />

Problem hinweisen. Es ist eine Frau, die ihre Erfahrungen nach einem<br />

Rettungstransport schildert:<br />

• „ Da ha<strong>be</strong>n sie mich mit der Rettung nach Hause gebracht, da ha<strong>be</strong>n sie mich<br />

nicht einmal mit dem Bett hinein gebracht […] Das war eine Schinderei für die<br />

Rettungsleute, wie sie mich da ü<strong>be</strong>r die Stiege hinauftragen mussten.“<br />

Die von uns <strong>be</strong>fragten rollstuhlfahrenden Männer nehmen ihre Umwelt kritischer in<br />

<strong>be</strong>zug auf Barrierefreiheit wahr.<br />

• „[…] eines der Hauptprobleme für <strong>be</strong>hinderte Menschen, ins<strong>be</strong>sondere wenn<br />

sie Rollstuhlfahren sind, sind die baulichen Barrieren und die Ü<strong>be</strong>rwindung<br />

dieser Barrieren.“<br />

Was der nächste schon sehr konkret anspricht:<br />

• „Ja, und das ist auch klass, <strong>be</strong>i der Wohnung kommt man auch herein mit dem<br />

Rollstuhl.“<br />

4.5.9 Gesamtinterpretation<br />

Die hier aufgezeichneten 20 Interviews ha<strong>be</strong>n das Ziel, 12 <strong>be</strong>hinderte Frauen und 8<br />

<strong>be</strong>hinderten Männer ü<strong>be</strong>r ihr Le<strong>be</strong>n sprechen zu lassen. Damit wird eine breite<br />

Palette von unterschiedlichen Biographien vorgestellt, die einen gemeinsamen<br />

Nenner ha<strong>be</strong>n: Alle InterviewpartnerInnen ha<strong>be</strong>n eine als Behinderung definierte<br />

Abweichung von der Norm.<br />

Mit der Teilnahme an dieser Studie ha<strong>be</strong>n sie einen ersten Schritt aus der<br />

Anonymität gemacht. In der Interviewsituation war die Wichtigkeit dieses Schrittes<br />

82


deutlich zu spüren. Sowohl Frauen als auch Männer waren sichtlich stolz darauf, mit<br />

ihrer Teilnahme einen Beitrag für andere zu leisten, ernst genommen zu werden und<br />

wichtig zu sein.<br />

Die hier ausgewählten Zitate aus den einzelnen Le<strong>be</strong>nserfahrungen ha<strong>be</strong>n keinerlei<br />

Anspruch auf Verallgemeinerung. Sie vermitteln a<strong>be</strong>r den Eindruck, dass es sich um<br />

Biographien handelt, die in vielerlei Hinsicht alltäglich sind und von vielen Frauen und<br />

Männern geteilt werden könnten. Die weitgehende Zufriedenheit, die viele<br />

ausdrücken, hat eine hohe Glaubwürdigkeit. Die vier Frauen ha<strong>be</strong>n nachvollziehbar<br />

Grund zufrieden zu sein. Ihre Le<strong>be</strong>nssituation hat sich ganz offensichtlich zum<br />

Besseren verändert hat, oder sie ha<strong>be</strong>n viel Hilfe aus der näheren und weiteren<br />

Umgebung erhalten. Dennoch ist es notwendig, gerade in diesem Bereich mit einer<br />

Interpretation sehr vorsichtig zu sein. Manche Erfahrungen können mit Ängsten und<br />

Tabus verbunden sein, ü<strong>be</strong>r die nicht ohne weiteres gesprochen wird 44 . Ein weiterer<br />

Grund für den Ausdruck von Zufriedenheit kann auch darin <strong>be</strong>gründet sein, dass<br />

diese Frauen es nicht gewohnt sind, ü<strong>be</strong>r ihre Situation als Expertinnen zu sprechen,<br />

und sie von Kindheit auf gehört ha<strong>be</strong>n, dass es gut ist, zufrieden zu sein. Oder auch,<br />

dass sie es als inneren Auftrag gesehen ha<strong>be</strong>n, ein möglichst positives Bild zu<br />

zeichnen 45 .<br />

Dort, wo die Interviewten ü<strong>be</strong>r ihre Erfahrung mit der eigenen Behinderung und einer<br />

dies<strong>be</strong>züglichen Diskriminierung sprechen, gehen sie auf die Themen ein, der der<br />

Anlass für die Studie waren. Auch in diesem Bereich ist ein deutlicher<br />

geschlechtspezifischer Unterschied festzustellen. Auffallend ist, dass Frauen dazu<br />

neigen, sich mit ihrer Behinderung zu arrangieren und einen Weg suchen, wie sie sie<br />

akzeptieren können. Die interviewten Männer erle<strong>be</strong>n die Behinderung eher als<br />

persönliche Einschränkung und reagieren viel sensibler auf dies<strong>be</strong>zügliche<br />

Diskriminierungen. Die interviewten Frauen sind dankbar für Unterstützungen, die sie<br />

<strong>be</strong>kommen und ärgern sich höchstens ü<strong>be</strong>r zu gut gemeinte Hilfestellungen. Die<br />

<strong>be</strong>fragten Männer fordern offener und selbstverständlicher Hilfeleistungen von der<br />

Gesellschaft. Sie wollen selbständig und unabhängig sein, auch wenn sie oft<br />

44<br />

Vgl. Sigot (2003), S.55. Sigot <strong>be</strong>schreibt sie, wie sehr unausgesprochene Erfahrungen der Frauen<br />

zu Sprachlosigkeit führen kann.<br />

45<br />

Wenn Frauen selbst ein Buch schrei<strong>be</strong>n, in dem sie ü<strong>be</strong>r ihre Erfahrungen als <strong>be</strong>hinderte Frauen<br />

<strong>be</strong>richten, schrei<strong>be</strong>n sie viel kritischer ü<strong>be</strong>r ihre Situation. Nachzulesen <strong>be</strong>i Ewinkel/Hermes (2002)<br />

83


selbstverständlich Hilfe von Partnerinnen <strong>be</strong>kommen, wie es einer der <strong>be</strong>fragten<br />

Männer stellvertretend für andere ausdrückt.<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ne<strong>be</strong>n der Art und Schwere der<br />

Behinderung folgende Faktoren den individuellen Le<strong>be</strong>nslauf der <strong>be</strong>fragten Frauen<br />

und Männer am nachhaltigsten <strong>be</strong>stimmen:<br />

Familiäres Umfeld<br />

Wie jemand von Geburt an angenommen und in den ersten Le<strong>be</strong>nsjahren <strong>be</strong>gleitet<br />

wird, <strong>be</strong>stimmt die Art und Weise, wie jemand im Erwachsenenalter mit den<br />

Herausforderungen, die an sie/ihn gestellt werden, umgehen kann. Da<strong>be</strong>i spielt es<br />

eine untergeordnete Rolle, ob dies die leiblichen oder Pflegeeltern sind. Wenn es in<br />

dieser ersten Phase zu Störungen kommt, welche im schlimmsten Fall als Gewalt<br />

auftritt, prägt sie das ganze Le<strong>be</strong>n. Diese Erfahrungen kann auch spätere<br />

Zuwendung nicht wieder gut machen.<br />

Von Gewalt sind nach den Aussagen drei Frauen und drei Männer <strong>be</strong>troffen. Zwei<br />

davon, wiederum eine Frau und ein Mann, ha<strong>be</strong>n nicht nur psychische, sondern auch<br />

physische Schäden davongetragen.<br />

Eine Konsequenz daraus ist: Besonders wenn ein Kind von Geburt an eine<br />

Behinderung hat und die Eltern nicht darauf vor<strong>be</strong>reitet waren, ist Begleitung<br />

notwendig, um mit der Situation klar zu kommen 46 . Elternar<strong>be</strong>it ist deshalb in<br />

vielfacher Weise wichtige Voraussetzung für die Stärkung <strong>be</strong>hinderter Frauen und<br />

Männer.<br />

Ausbildung/Beruf/Ar<strong>be</strong>it<br />

Für die interviewten <strong>be</strong>hinderten Frauen und Männer ist etwas den eigenen<br />

Neigungen und Fähigkeiten entsprechend zu lernen und damit einen Beitrag in der<br />

Gemeinschaft leisten zu können, e<strong>be</strong>nso wichtig, wie die Anerkennung, die sie dafür<br />

erhalten.<br />

Zwar ist in den Interviews sehr deutlich geworden, dass für alle 20<br />

InterviewpartnerInnen Ar<strong>be</strong>it einen zentralen Stellenwert hat und 18 von 20 auch<br />

46 Vgl. Pieper (1993). Anhand von 8 Biographien von Geburt an <strong>be</strong>hinderten Frauen und Männern gibt<br />

sie einen Ü<strong>be</strong>rblick ü<strong>be</strong>r die verschiedenen biographischen Prozesse, durch die aus der von Geburt<br />

an <strong>be</strong>stehenden physischen Schädigung eine sozial erzeugte Behinderung wird. Da<strong>be</strong>i räumt sie den<br />

elterlichen Erfahrungen einen wichtigen Platz ein und meint, dass die Begleitung, vor allem <strong>be</strong>i der<br />

Diagnose und in der Anfangsphase der Elternschaft, von ganz großer Bedeutung ist. S. 333f.<br />

84


täglich entweder in Ausbildung oder in einer Art von Beschäftigung sind. Dennoch<br />

<strong>be</strong>steht in diesem Bereich für sie die größte Anstrengung. Hier zeigt sich deutlich ein<br />

Unterschied zwischen Frauen und Männern.<br />

Sowohl Frauen als auch Männer richten sich stark nach den gesellschaftlichen und<br />

geschlechtsspezifischen Möglichkeiten. Dennoch arrangieren sich Frauen mit ihren<br />

geringeren Möglichkeiten <strong>be</strong>sser und schneller als Männer. Frauen mit Behinderung<br />

wird von vorneherein weniger in Aussicht gestellt. Ein Handwerk, ob gelernt oder<br />

angelernt, rangiert in der gesellschaftlichen Wertescala weit höher als ein<br />

Küchenhilfsjob. Er bringt in der Regel mehr Geld und ist öfter am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt zu<br />

finden. Daher erle<strong>be</strong>n manche Männer eine Beschäftigungstherapie als etwas wie<br />

eine Endstation: Wenn sonst nichts mehr geht.<br />

Für manche Frauen wird schon ein Traum wahr, wenn sie in einer<br />

Beschäftigungstherapie Aufnahme finden. Es scheint, als ob sie sich nicht mehr<br />

erhoffen können. Und es gibt wenige, die „Kämpfernaturen“ sind, wie dies eine<br />

Interviewpartnerin explizit ausdrückt und eine andere implizit zu sein scheint. Letztere<br />

ist die einzige, die ihre Unzufriedenheit mit ihrem Nicht-Ar<strong>be</strong>itsverhältnis in der<br />

Beschäftigungstherapie deutlich ausspricht. Sie will eine richtige Pension und keine<br />

Sozialpension: Weil sie mehr als 20 Jahre in der Wäscherei gear<strong>be</strong>itet hat, 40<br />

Stunden pro Woche und das noch zu schlechten Bedingungen: im Keller ohne<br />

Tageslicht.<br />

Ein Interviewpartner warf die Frage auf: Ist es wirklich notwendig, Ar<strong>be</strong>it zu<br />

kategorisieren? In den 1. und 2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt zum Beispiel? Für <strong>be</strong>hinderte Frauen<br />

und Männer stellt diese Einteilung eine zusätzliche Hürde dar 47 .<br />

Um die Situation für Frauen zu ver<strong>be</strong>ssern, sind hier in erster Linie strukturelle<br />

Veränderungen notwendig. Die Strategie des <strong>gender</strong> mainstreaming zielt auf diese<br />

Veränderung ab. Gleichstellung von Frauen und Männern hat als<br />

Grundvoraussetzung die gleichen Bedingungen am Ar<strong>be</strong>itsmarkt. Diese können sich<br />

nicht darin erschöpfen, dass jede Stellenanzeige für Frauen und Männer<br />

47 Ein Leiter gab uns <strong>be</strong>im Interview die Auskunft, dass nur Männer Chancen auf eine Integration am<br />

1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt hätten. Männer stoßen auf der untersten Leiter der Hierarchie in den<br />

Dienstleistungs<strong>be</strong>rufen auf Frauen. Dort könnten sie als <strong>be</strong>hinderte Männer <strong>be</strong>stehen. Behinderte<br />

Frauen stellen damit eine Konkurrenz dar und werden daher nicht genommen.<br />

85


ausgeschrie<strong>be</strong>n sein muss. Dafür ist auch notwendig, dass traditionell weibliche<br />

Ar<strong>be</strong>it gesellschaftlich aufgewertet und anerkannt wird, und strukturell durch Lohn<br />

und Aufstiegschancen gleich<strong>be</strong>handelt wird. Auf der Basis dieser<br />

Selbstverständlichkeit ist es möglich, durch Empowermentstrategien die Frauen<br />

selbst zu stärken, um sie aus der, von ihnen oft als einzige Ü<strong>be</strong>rle<strong>be</strong>nsstrategie<br />

angesehenen, „Opfer-Rolle“ heraus zu <strong>be</strong>gleiten. Mit solchen Rahmen<strong>be</strong>dingungen<br />

macht es Sinn, sie darin zu <strong>be</strong>stärken, ihre eigenen Interessen kennen und<br />

durchsetzen zu lernen. Die Strategie, <strong>be</strong>hinderte Frauen individuell durch<br />

Empowerment zu stärken, ist also nur dann effektiv, wenn die Rahmen<strong>be</strong>dingungen<br />

gestärkten Frauen gleiche Ar<strong>be</strong>itsmöglichkeiten eröffnen.<br />

Aus den Interviews geht hervor, dass <strong>be</strong>hinderte Frauen und Männer sich durchaus<br />

ihrer Fähigkeiten <strong>be</strong>wusst sind. Ressourcenorientierung ist hier eine sehr<br />

empfehlenswerte Strategie, um sie weiter zu unterstützen.<br />

Wohnsituation<br />

Die Möglichkeit, einen Raum zu ha<strong>be</strong>n, wo man sich zurückziehen und privat sein,<br />

wo man a<strong>be</strong>r auch mit FreundInnen zusammen sein kann, ist zentral für das<br />

psychische Gleichgewicht und spielte <strong>be</strong>i allen Interviewten eine große Rolle. So<br />

steht auch <strong>be</strong>i zwei Frauen und drei Männern das Wohnen im Zentrum ihrer<br />

Ausführungen <strong>be</strong>im Interview. Bis auf einen jungen Mann sind alle von uns <strong>be</strong>fragten<br />

Frauen und Männer mit der derzeitigen Wohnsituation zufrieden oder ha<strong>be</strong>n in<br />

absehbarer Zeit die Aussicht auf Veränderung. Da<strong>be</strong>i spielt es keine Rolle, ob sie in<br />

einer Institution oder privat le<strong>be</strong>n. Eine Frau und ein Mann mittleren Alters ha<strong>be</strong>n<br />

gerade erst eine eigene Wohnung <strong>be</strong>zogen und freuen sich sehr ü<strong>be</strong>r die neue<br />

Unabhängigkeit. Zwei Frauen, die in einer Institution eine für sie optimale<br />

Wohnsituation gefunden ha<strong>be</strong>n, wünschen sich, dass es so blei<strong>be</strong>n soll. Von den<br />

drei Frauen und den zwei Männern, die noch zu Hause <strong>be</strong>i den Eltern wohnen, will<br />

nur einer ganz dringend von zu Hause wegziehen und sieht derzeit keine<br />

Möglichkeiten, dies zu verwirklichen. Die <strong>be</strong>iden Paare werden in absehbarer Zeit in<br />

eine gemeinsame Wohnung ziehen, eines innerhalb einer Institution, das zweite in<br />

eine Gemeindewohnung.<br />

Beziehung<br />

86


Der Wunsch nach einer Beziehung ist individuell verschieden und hängt sehr von<br />

den bisherigen Erfahrungen ab. Es ist auffallend, dass Frauen ab ca. 40 Jahren, die<br />

derzeit in keiner Beziehung le<strong>be</strong>n, auch kein Interesse <strong>be</strong>kunden, je wieder eine<br />

eingehen zu wollen 48 . Für jüngere Frauen ist Beziehung hingegen ein zentrales<br />

Thema, vor allem, wenn sie noch keine Beziehungserfahrung ha<strong>be</strong>n. Zivildiener sind<br />

da<strong>be</strong>i wichtige Projektionsmänner, was leider immer wieder zu Enttäuschungen<br />

führt 49 . Für junge Männer sind Beziehungen e<strong>be</strong>nso mit Wünschen und Träumen<br />

<strong>be</strong>setzt, die sehr viel Raum im vordergründigen Interesse einnehmen können. Bei<br />

den älteren der <strong>be</strong>fragten Männer gehört eine Partnerin/Freundin zur<br />

Selbstverständlichkeit, auch wenn sie derzeit in keiner Beziehung le<strong>be</strong>n.<br />

Freizeitgestaltung<br />

Sie ist ne<strong>be</strong>n der Ar<strong>be</strong>it zentral im Le<strong>be</strong>n der <strong>be</strong>fragten Frauen und Männer und<br />

unterscheidet sich dem Wunsch nach nicht wesentlich von den Wünschen nicht<br />

<strong>be</strong>hinderter Frauen und Männer. Umso schwerwie<strong>gender</strong> ist es, wenn manches<br />

aufgrund von mangelnder Barrierefreiheit nur schwer, bzw. mit großen Hindernissen,<br />

zu organisieren ist. Vor allem Frauen halten Mobilität nicht für selbstverständlich. Sie<br />

sehen sich persönlich dafür zuständig und sind dankbar für alles, was sie<br />

<strong>be</strong>kommen.<br />

Abschließend eine Beobachtung aus dem ExpertInnentreffen der <strong>be</strong>hinderten Frauen<br />

und Männer, zu dem wir alle InterviewpartnerInnen eingeladen ha<strong>be</strong>n: Die<br />

anwesenden Männer ha<strong>be</strong>n viel öfter und ausdauernder das Wort ergriffen als die<br />

Frauen. Auf Nachfragen äußerten Frauen damals, dass es nicht darum ginge, dass<br />

sie nichts zu sagen hätten, sondern eher darum, dass sie einfach länger brauchen,<br />

um in einer Runde warm zu werden. Das entspricht auch den Beobachtungen<br />

frauenspezifischen Verhaltens in Gruppen nicht <strong>be</strong>hinderter Personen. Daher ist es<br />

wünschenswert, frauenspezifische Trainings anzubieten, in denen Frauen in<br />

Gruppen mehr Selbstvertrauen gewinnen können.<br />

48 Dies deckt sich auch mit den Erfahrungen aus der Frauengruppe 40+, die das<br />

<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> gemeinsam mit der Le<strong>be</strong>nshilfe <strong>Graz</strong> und Umgebung ins Le<strong>be</strong>n gerufen<br />

hat. Dort <strong>be</strong>kunden 10 von 13 Frauen: Männer interessieren uns nicht.<br />

49 Eine Leiterin <strong>be</strong>tonte im Interview die Wichtigkeit von Zivildienern in Behinderteneinrichtungen<br />

<strong>be</strong>sonders für die jungen Frauen, die sonst kaum Möglichkeiten zu längerem Kontakt mit jungen<br />

Männern ha<strong>be</strong>n.<br />

87


4.6 Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />

Die Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen stellen den zweiten Teil der Untersuchung dar.<br />

4.6.1 Die Methode<br />

Kurz nochmals zum Design und zum Ziel der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen: Im Rahmen der<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden acht Frauen mit Behinderung, die am ersten<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarkt <strong>be</strong>schäftigt sind, als Expertinnen in eigener Sache <strong>be</strong>fragt. Um<br />

unterschiedliche Perspektiven <strong>be</strong>rücksichtigen zu können, wurde <strong>be</strong>i jeder Analyse<br />

zusätzlich eine Kollegin der Frau mit Behinderung sowie ein/e Vorgesetzt/e <strong>be</strong>fragt.<br />

Ne<strong>be</strong>n dem Ar<strong>be</strong>itsalltag wurden u. a. Rahmen<strong>be</strong>dingungen, Entlohnung, mögliche<br />

Problemkonstellationen und vorhandene bzw. wünschenswerte<br />

Unterstützungsangebote thematisiert.<br />

Die Kontaktaufnahme mit den erwerbstätigen Frauen mit Behinderung, den<br />

Unternehmen und den Ar<strong>be</strong>itskollegInnen erfolgte durch Unterstützung des<br />

Bundessozialamtes, das die Freiwilligkeit der Teilnahme gewährleistete durch<br />

vorherige Zustimmungen der TeilnehmerInnnen.<br />

Ziel der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen war die Analyse der Ar<strong>be</strong>its(platz)situation von Frauen<br />

mit Behinderung sowie das Aufzeigen angemessener und humaner<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatzmöglichkeiten für Mädchen und Frauen mit Behinderung aus deren Sicht,<br />

aus Sicht der UnternehmerInnen und der KollegInnen.<br />

Die Interviews als Basis der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurden anhand eines<br />

Interviewleitfadens geführt (siehe Anhang).<br />

88


Auswahlkriterien für die Frauen mit Behinderung waren:<br />

• Art der Behinderung (körperliche Einschränkung, Lernschwierigkeiten,<br />

Sinnes<strong>be</strong>hinderung oder psychische Problematik)<br />

• mindestens einjährige Berufstätigkeit am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

• keine Ausbildung ü<strong>be</strong>r Maturaniveau, da diesem Bereich erst kürzlich eine<br />

Studie veröffentlicht wurde.<br />

Einer Frau mit Behinderung wurden Fragen zu folgenden Bereichen gestellt:<br />

• Ar<strong>be</strong>itsalltag<br />

• Befindlichkeit<br />

• Team<br />

• Einkommen<br />

• Einstieg<br />

• Berufswahl<br />

• Unterstützung<br />

• Einschränkung<br />

• Stellenwert von Ar<strong>be</strong>it<br />

• <strong>be</strong>rufliche Zukunft<br />

• Privates<br />

• Tipps für Frauen mit Behinderung<br />

• Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

• Wünsche/Zukunft<br />

In den Interviews mit den Kolleginnen wurden folgende Punkte thematisiert:<br />

• Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>reich<br />

• Vor<strong>be</strong>reitung auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />

• Erwartungen und Befürchtungen<br />

• Veränderungen durch den Eintritt einer Frau mit Behinderung<br />

• Wünsche<br />

• Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

89


Entsprechend die Fragen <strong>be</strong>i den Interviews mit den Unternehmen:<br />

• Motivation/Nutzen<br />

• Unterstützung<br />

• Anpassungen am Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />

• Erwartungen und Befürchtungen<br />

• Veränderungen durch den Eintritt einer Frau mit Behinderung<br />

• Vor<strong>be</strong>reitung auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />

• Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

Als Ergänzung zu den Interviews werden die Führungskräfte der Unternehmen<br />

ge<strong>be</strong>ten, einen Kurzfragebogen auszufüllen, der ne<strong>be</strong>n statistischen Anga<strong>be</strong>n die<br />

Bereiche Frauenförderung, Förderung von Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung und hier<br />

inkludiert Gesundheitsförderung <strong>be</strong>handelt. Hier<strong>be</strong>i wurde auf die Gender Health<br />

Audits zurückgegriffen, die das <strong>Frauengesundheitszentrum</strong> im Rahmen des<br />

Frauengesundheitsprogramms 2001 durchgeführt hat. 50 Der Fragebogen und die<br />

Auswertung <strong>be</strong>finden sich im Anhang.<br />

Im Interviewleitfaden für die Frauen mit Behinderung sind die Fragen auch in leicht<br />

verständlicher Form formuliert, um den Bedürfnissen der Frauen mit<br />

Lernschwierigkeiten gerecht zu werden.<br />

Alle Interviews wurden mit Tonband aufgenommen und anschließend transkribiert.<br />

Die Auswertung erfolgte mit Hilfe der Software ATLAS/ti. Als Kategorien wurden im<br />

Wesentlichen die o<strong>be</strong>n angeführten Themen<strong>be</strong>reiche verwendet.<br />

Eine Anmerkung zu den Zitaten in Auswertung und Interpretation: Die Zitate wurden<br />

wortwörtlich ü<strong>be</strong>rnommen. In manchen Fällen wurden grammatikalische<br />

Unkorrektheiten, wie sie in gesprochener Sprache selbstverständlich auftreten<br />

<strong>be</strong>reinigt. Auslassungen werden <strong>be</strong>hutsam vorgenommen und so, dass der<br />

Sinnzusammenhang nicht verloren geht. Ausgelassen wurden <strong>be</strong>ispielsweise<br />

Wortwiederholungen oder Leerfloskeln.<br />

50 Rásky, Éva, Groth, Sylvia: Das Frauengesundheitsprogramm <strong>Graz</strong>. Gender Health Audit in sechs<br />

<strong>Graz</strong>er Betrie<strong>be</strong>n. Linz 2003.<br />

90


4.6.2 Kontaktaufnahme<br />

Der Kontakt zu den Frauen für das Durchführen der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen wurde vom<br />

Bundessozialamt bzw. im Projekt ü<strong>be</strong>r Einrichtungen bzw. Betrie<strong>be</strong>, die das<br />

Bundessozialamt fördert, hergestellt. In einem Fall erfolgte die Kontaktaufnahme<br />

direkt mit der Frau mit Behinderung.<br />

Das Durchführen der Interviews basierte auf dem Einverständnis der<br />

Ar<strong>be</strong>itge<strong>be</strong>rInnen, das vorab telefonisch eingeholt wurde sowie auf Basis der<br />

Freiwilligkeit der Mitar<strong>be</strong>iterinnen mit Behinderung, der Ar<strong>be</strong>itge<strong>be</strong>rInnen und der<br />

Ar<strong>be</strong>itskollegInnen. Anonymität <strong>be</strong>züglich der Aussagen wurde jeder interviewten<br />

Person zugesichert.<br />

Bei der Auswahl der Firmen wurde darauf Wert gelegt, einen ausgewogenen Anteil<br />

an Firmen bis zu bzw. ü<strong>be</strong>r 25 Mitar<strong>be</strong>iterInnen zu kontaktieren. Vier der<br />

Unternehmen, die an der Studie teilnahmen hatten unter, vier ü<strong>be</strong>r 25<br />

Mitar<strong>be</strong>iterInnen. In allen Betrie<strong>be</strong>n ü<strong>be</strong>rwog der Anteil der weiblichen Mitar<strong>be</strong>iter.<br />

Die Firmen zeigten sich durchwegs interessiert an der Studie und waren – bis auf ein<br />

Fall – zur Teilnahme <strong>be</strong>reit. Die Rekrutierung von Frauen mit körperlichen<br />

Einschränkungen stellte kein Problem dar, im Gegenteil. 51 Schwieriger war es,<br />

Frauen mit Lernschwierigkeiten zu finden. Viele der Frauen, die für ein Interview in<br />

Frage gekommen wären, wollten nicht ü<strong>be</strong>r ihre Ar<strong>be</strong>itssituation sprechen. Die<br />

Studienteilnehmerin mit Seh<strong>be</strong>hinderung war sofort zu einem Interview <strong>be</strong>reit.<br />

Als unerwartet großes Problem stellte sich die Suche nach einer Frau mit<br />

psychischer Beeinträchtigung dar. Zum einen gibt es offensichtlich wenige Frauen,<br />

die wir kontaktierten, mit psychischer Beeinträchtigung, die am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

<strong>be</strong>schäftigt sind - viele der Frauen waren erst kurze Zeit am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt oder<br />

noch in einer Qualifizierungsmaßnahme. Zum anderen war keine der Frauen, die den<br />

51 Hier hätten wir mehr Interviewpartnerinnen als notwendig gehabt. Möglicherweise spiegelt dies die<br />

Situation am Ar<strong>be</strong>itsmarkt wider; wir vermuten, dass der Anteil an Frauen mit körperlichen<br />

Einschränkungen sehr hoch ist. Klarheit bringt möglicherweise die Folgestudie, an der ab Jänner 2005<br />

gear<strong>be</strong>itet wird. (siehe „Ausblick“).<br />

91


Kriterien entsprochen hätte, zu einem Interview <strong>be</strong>reit. Ein großes Hindernis stellten<br />

auch die Interviews mit Kollege/In und Leitung für die Frauen mit psychischer<br />

Beeinträchtigung dar. Viele Frauen hatten bisher in ihrem Betrieb nicht ü<strong>be</strong>r ihre<br />

Erkrankung gesprochen und wollten nicht, dass die durch die Interviews <strong>be</strong>kannt<br />

wird. Andere fürchteten, dass Kollege/in und Leitung von dem Interview erfahren<br />

würden und ließen sich auch von der Versicherung, dass dies in den Interviews nicht<br />

vorgesehen ist, nicht umstimmen. Einige Frauen wollten generell nicht ü<strong>be</strong>r ihre<br />

Einschränkung sprechen.<br />

Die annähernd 50 Kontakte, die <strong>be</strong>i der Suche hergestellt wurden, zeigen, dass<br />

psychische Problematik ein Tabu in unserer Gesellschaft ist und dass gerade hier<br />

großer Handlungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht.<br />

Das Interview mit der Frau mit psychischer Einschränkung kam letztendlich durch<br />

Zufall zustande. Als wir nach monatelangen Recherchen resigniert hatten und <strong>be</strong>reits<br />

auf der Suche nach einer Interviewpartnerin mit einer anderen Art der Behinderung<br />

waren, kam <strong>be</strong>i einem Betriebskontakt das Problem <strong>be</strong>i der Kontaktaufnahme zu<br />

einer Frau mit psychischer Einschränkung zur Sprache. Im Laufe des Gesprächs<br />

stellte sich heraus, dass der Betrieb auch Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit psychischer<br />

Einschränkung <strong>be</strong>schäftigt, und es konnte eine Interviewpartnerin vermittelt werden.<br />

92


4.6.3 Die Stichpro<strong>be</strong><br />

Regionale Verteilung der Interviews<br />

Bei den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen war der Ar<strong>be</strong>itsort Frauen mit Behinderung kein<br />

vorrangiges Auswahlkriterium, daher der höhere Anteil der <strong>be</strong>fragten Frauen im<br />

<strong>Graz</strong>er Raum. Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass in gewissen Regionen keine<br />

der Frauen, die den Kriterien entsprochen hätten, zu einem Interview <strong>be</strong>reit waren.<br />

Beispielsweise konnte keine Frau aus der Südsteiermark als Gesprächspartnerin<br />

gefunden werden, die Ar<strong>be</strong>itsassistenz hat uns jedoch eine Interviewpartnerin aus<br />

<strong>Graz</strong> vermittelt.<br />

Die regionale Verteilung der Interviews:<br />

1<br />

Abbildung 17: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Regionale Verteilung der Interviews<br />

6<br />

1<br />

93


Altersstruktur<br />

Sechs der Interviewpartnerinnen sind zwischen 21 und 30 Jahre alt; zwei zwischen<br />

31 und 40. Das Durchschnittsalter liegt <strong>be</strong>i 27 Jahren. Die jüngste Interviewpartnerin<br />

ist 22, die älteste 39.<br />

Le<strong>be</strong>nssituation<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

Abbildung 18: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Altersstruktur<br />

Alle acht Interviewpartnerinnen der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen sind ledig; eine Frau war<br />

verheiratet, ist mittlerweile geschieden.<br />

5<br />

0<br />

18 bis 20 J.<br />

Altersstruktur - der Ar<strong>be</strong>itsplatzalaysen<br />

Frauen - Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />

0<br />

21 bis 30 J.<br />

Zu vier der Frauen liegen zu dieser Fragestellung keine näheren Anga<strong>be</strong>n vor. Drei<br />

Frauen le<strong>be</strong>n in Partnerschaft, eine Frau ist allein stehend.<br />

Alle acht Frauen wohnen privat: Zwei alleine, zwei mit Partner, drei mit Angehörigen<br />

und eine Frau sowohl mit Partner als auch mit Angehörigen.<br />

6<br />

31 bis 40 J.<br />

2<br />

ab 40<br />

0<br />

Durchschnitt<br />

27<br />

94


Arten der Behinderung<br />

In den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen sind drei Frauen mit körperlicher Beeinträchtigung, drei<br />

Frauen mit Lernschwierigkeiten, eine Frau mit psychischer Problematik und eine mit<br />

Sinnes<strong>be</strong>hinderung vertreten. In vier Fällen <strong>be</strong>ruht die Behinderung auf einer<br />

chronischen Erkrankung.<br />

Ausbildung<br />

Arten der Behinderung - Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />

Frauen nach Arten der Behinderung - Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />

Lernschwierigkeiten; 3<br />

Abbildung 19: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Frauen nach Arten der Behinderung<br />

Fünf der Interviewpartnerinnen ge<strong>be</strong>n als höchsten Abschluss den<br />

Hauptschulabschluss an, zwei <strong>be</strong>suchten eine BHS, eine Frau hat Matura. Zwei der<br />

Frauen <strong>be</strong>suchten in der Hauptschule eine Integrationsklasse.<br />

körperliche Beeinträchtigung; 3<br />

psychische Problematik; 1 Sinnes<strong>be</strong>hinderung; 1<br />

95


Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />

Abbildung 20: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen: Höchster Schulabschluss<br />

Fünf der Interviewpartnerinnen ar<strong>be</strong>iten an einem Büroar<strong>be</strong>itsplatz, eine Frau ist im<br />

Handel tätig, eine im Gastronomie<strong>be</strong>reich und eine Frau ar<strong>be</strong>itet in einem<br />

Seniorenheim.<br />

Fünf Frauen ar<strong>be</strong>iten ganztags, drei Teilzeit – 20, 25 bzw. 32,5 Stunden.<br />

Im Schnitt ar<strong>be</strong>iten die Frauen mit Behinderung seit drei Jahren an ihrem<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatz. Zwei Frauen sind seit vier Jahren im jeweiligen Unternehmen, eine drei<br />

Jahre, eine andere 3,5. Vier Frauen sind seit zwei Jahren im interviewten Betrieb<br />

<strong>be</strong>schäftigt.<br />

10<br />

Einkommenssituation<br />

Höchster Schulabschluss - Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

0<br />

Vier der Interviewpartnerinnen verdienen unter 1000 Euro, vier Einkommen liegen<br />

ü<strong>be</strong>r 1000 Euro. Im Vergleich zu den narrativen Interviews zeigt sich hier eine<br />

deutlich andere Einkommensstruktur. Am 1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt tätige Frauen verdienen<br />

deutlich mehr als jene, die in Beschäftigungstherapie sind.<br />

5<br />

Sonderschule Hauptschule BHS AHS<br />

2<br />

1<br />

96


7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

Einkommen - Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />

0 0 0<br />

4 4<br />

bis 50 € bis 100 € bis 200 € bis 1000 € > 1000 €<br />

Abbildung 21: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen: Einkommenssituation<br />

97


4.6.4 Interviewsituation<br />

Die Interviews wurden, wo es möglich war am Ar<strong>be</strong>itsplatz durchgeführt, um einen<br />

Einblick in die Ar<strong>be</strong>itssituation und das Ar<strong>be</strong>itsumfeld zu erhalten.<br />

Sie<strong>be</strong>n der Interviews mit Frauen mit Behinderung fanden am Ar<strong>be</strong>itsplatz statt, eine<br />

Frau wählte von sich aus das <strong>Frauengesundheitszentrum</strong> als Ort. Vier Interviews<br />

wurden während der Ar<strong>be</strong>itszeit der Frauen gehalten, vier fanden außerhalb der<br />

Ar<strong>be</strong>it statt. Eine Frau war in ihrem Urlaub zum Interview <strong>be</strong>reit. Bis auf einem<br />

Interview war es immer möglich, ungestört zu sprechen. In diesem Fall stand leider<br />

nur ein mehr oder weniger ruhiger Bereich in einem Lagerraum zur Verfügung, der<br />

immer wieder von Mitar<strong>be</strong>iterInnen des Betrie<strong>be</strong>s <strong>be</strong>treten wurde.<br />

Alle Interviews mit den Kolleginnen sowie mit den LeiterInnen fanden am Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />

statt. Mit einer Kollegin wurde das Interview außerhalb der Ar<strong>be</strong>itszeit geführt, alle<br />

Gespräche mit den LeiterInnen in deren Ar<strong>be</strong>itszeit.<br />

98


4.6.5 Auswertung und Interpretation<br />

4.6.5.1 Vor<strong>be</strong>merkung<br />

Es ist wichtig, die Anonymität der InterviewpartnerInnen und Unternehmen zu<br />

schützen. Unter Einhaltung der Anonymitätskriterien erfolgt die Auswertung und<br />

Interpretation der Interviews auf zwei E<strong>be</strong>nen – auf der strukturellen und der<br />

Beziehungs- und Kommunikationse<strong>be</strong>ne.<br />

Die strukturelle Analyse <strong>be</strong>handelt Rahmen<strong>be</strong>dingungen, Strukturen, Ressourcen<br />

und <strong>be</strong>triebliche Bereiche mit Handlungs<strong>be</strong>darf. In der strukturellen Auswertung<br />

werden den Personen und Unternehmen keine „Namen“ zugeordnet, sondern es<br />

wird allgemein von Frau mit Behinderung, Kollegin und Unternehmen geschrie<strong>be</strong>n.<br />

Diese Vorgangsweise wird zum einen angewandt, um keine Querverbindungen<br />

zwischen der Frau mit Behinderung, ihrer Kollegin und dem Unternehmen herstellen<br />

zu können, die in der Folge zum Erkennen der <strong>be</strong>troffenen Person/des <strong>be</strong>troffenen<br />

Unternehmens führen könnten. In Beispielen, wo Querverbindungen für eine <strong>be</strong>ssere<br />

Verständlichkeit notwendig und parallel dazu die Anonymität nicht gefährdet ist,<br />

werden diese hergestellt.<br />

In den Einzelanalysen werden diese Querverbindungen für die Beziehungs- und<br />

Kommunikationse<strong>be</strong>ne hergestellt, um feststellen zu können, wie die Wahrnehmung<br />

von Frau mit Behinderung, Kollegin und Unternehmen ü<strong>be</strong>reinstimmen.<br />

Ausgangspunkt für eine Einzelanalyse sind die Aussagen einer individuellen Frau mit<br />

Behinderung, die mit denen der Kollegin und der Leitung verglichen werden.<br />

Rahmen<strong>be</strong>dingungen, die Rückschlüsse auf die Frau mit Behinderung oder das<br />

Unternehmen her<strong>be</strong>iführen könnten, wurden hier ausgeklammert.<br />

99


4.6.5.2 Strukturelle Analyse<br />

4.6.5.2.1 Interviews mit Frauen mit Behinderung<br />

Auswertung<br />

Die Auswertung der Interviews der Frauen mit Behinderung ist nach den Kategorien<br />

des Interviewleitfadens gegliedert (siehe Methode).<br />

Ar<strong>be</strong>itsalltag<br />

Die <strong>be</strong>troffenen Frauen hatten folgende Berufe:<br />

• Bibliothekarin<br />

• Bürokraft 2 x<br />

• Küchenhilfe<br />

• Regal<strong>be</strong>treuerin<br />

• Senioren<strong>be</strong>treuerin<br />

• Telefonistin<br />

• Versicherungskauffrau/Büroangestellte<br />

Dieser Ü<strong>be</strong>rblick illustriert, dass „frauentypische“ Berufe unter den <strong>be</strong>fragten Frauen<br />

ü<strong>be</strong>rwiegen.<br />

Ihr Ar<strong>be</strong>itsalltag gestaltet sich je nach Beruf unterschiedlich:<br />

• „[...] Computer einschalten und dann fängt das Übliche an, was e<strong>be</strong>n zu<br />

unserer Ar<strong>be</strong>it gehört. Katalogisieren von Büchern.“<br />

• „Also ich bin für administrative Tätigkeiten [...] <strong>be</strong>schäftigt. Das heißt ich<br />

mache die [...] Abrechnungen, den diversen Schriftverkehr, bin für die<br />

Homepage verantwortlich, mache den Jahres<strong>be</strong>richt. Also Folder, Plakate [...]<br />

Einladungen.“<br />

• „Karteikarten. Exekutionen stempeln, dann Liste am PC schrei<strong>be</strong>n.“<br />

100


• „In der Früh tue ich meistens Salat putzen [...]. Danach gehe ich zum Geschirr<br />

- Geschirr abwaschen, dann Geschirr wegräumen. Ich tue ne<strong>be</strong>n<strong>be</strong>i noch<br />

Wagerl putzen.“<br />

• „Also in der Früh einmal die Milch. [...] Dann wenn man mit allem fertig ist,<br />

dann Datenkontrolle. [...] Vorziehen ist auch noch. Und mit dem Jimmy [Anm.<br />

= Putzmaschine] am A<strong>be</strong>nd fahren. [...] Getränke nachteilen.“<br />

• „[...] Spaziergang oder Spiele. [...] Und ich mache dann auch noch die<br />

Kaffeerunde. [...] Und ich teile noch die Wäsche aus. [...] Was mache ich sonst<br />

noch? Müsste ich ü<strong>be</strong>rlegen. Die Post.“<br />

• „Bin um cirka halb acht in der Firma. Dann werden die ganzen Geräte, die<br />

zwei Computer, drei Computer in die Höhe gefahren, die Programme geladen.<br />

Meine Notizzetteln hergerichtet [...].“<br />

• Meine Hauptaufga<strong>be</strong> ist dann halt, das Ordnen von den Polizzen und die<br />

Polizzenordner nach Kategorien. Und nachher muss ich das in das<br />

Betriebssystem einge<strong>be</strong>n. [...] Dann wird unsere Excel-Aufstellung gemacht,<br />

was Privatvorsorge, was Haus ist und was sonstige Sachen sind rund ums<br />

Auto. Und nachher anhand von den ganzen Daten mache ich eine<br />

Risikoanalyse [...]. Die KFZ, die ganzen Anträge, die so in den<br />

Versicherungs<strong>be</strong>reich reinfallen. [...] Es ist eigentlich quer durch die Bank.“<br />

Befindlichkeit <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it<br />

Nach der alltäglichen Ar<strong>be</strong>itssituation wird dem Thema Befindlichkeit <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it in<br />

den Interviews breiter Raum eingeräumt.<br />

Alle GesprächspartnerInnen äußern sich positiv: „Mir geht es <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it recht<br />

gut.“ wo<strong>be</strong>i die Situation in manchen Fällen zu Beginn doch schwierig gewesen ist:<br />

„Obwohl es oft sehr große Hindernisse sind, die man ü<strong>be</strong>rspringen muss. A<strong>be</strong>r mit<br />

Hilfe von den Kollegen geht das oft ganz rasch oder ohne Probleme.“ Eine Frau, die<br />

<strong>be</strong>reits längere Zeit <strong>be</strong>schäftigt ist, stellt fest: „Also <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it sel<strong>be</strong>r geht es mir<br />

sehr gut.“ weist a<strong>be</strong>r darauf hin, dass das nicht immer so war: „Also ich muss sagen<br />

[...] ich ha<strong>be</strong> mir das sehr sehr mühsam [...] erar<strong>be</strong>itet. [...] Ich bin riesig froh,<br />

nachdem ich anfangs riesige Probleme gehabt ha<strong>be</strong>, puncto Ausbildung [...].“ Sie hat<br />

101


keine fachspezifische Ausbildung und war daher unsicher, ob sie die Ar<strong>be</strong>it<br />

<strong>be</strong>wältigen kann. Für diese Frau hat Ar<strong>be</strong>it mittlerweile einen <strong>be</strong>sonderen Stellenwert<br />

in ihrem Le<strong>be</strong>n <strong>be</strong>kommen: „[...] Das ist für mich wirklich zugleich Therapie. [...]<br />

Wenn ich da montags her fahre, mir taugt es einfach. Ich spüre auch, wenn ich<br />

vorher zu Hause, da ha<strong>be</strong> ich Schmerzen, da tut es weh, und denke mir, nein, ich<br />

fahre lie<strong>be</strong>r ins Büro, ist die <strong>be</strong>ste Therapie.“ Wichtig ist das Gefühl, etwas geleistet<br />

zu ha<strong>be</strong>n: „Und dann fahre ich heim und dann bin ich angenehm müde. Und ha<strong>be</strong><br />

auch das Gefühl, etwas geschafft zu ha<strong>be</strong>n. Und dann ist das Problem des<br />

Handicaps [Pause] das tut dann nicht so weh. [...] Weil ich dann einfach auf der<br />

anderen Seite sehe, ich schaffe ja doch was. Das ist einfach [...] sehr sehr wichtig,<br />

von dem her.“<br />

Eine InterviewpartnerIn <strong>be</strong>gründet ihre Zufriedenheit fol<strong>gender</strong>maßen: „[...] den<br />

Traumjob, den gibt es eh nicht, der unsere Bedürfnisse abdeckt, was wir alles gerne<br />

täten in unserem Le<strong>be</strong>n. [...] Da ist eh klar. [...] Nur manches kommt uns mehr<br />

entgegen und manches weniger.“ Eine Frau meint: „[Ich] bin froh gewesen, dass ich<br />

ü<strong>be</strong>rhaupt die Ar<strong>be</strong>it gekriegt ha<strong>be</strong>.“ Für eine Frau wechselt die Stimmung <strong>be</strong>i der<br />

Ar<strong>be</strong>it: „Manchmal gut, manchmal mittel, manchmal eeemm.“<br />

Freude<br />

Die Antworten auf die Frage, was an der Ar<strong>be</strong>it <strong>be</strong>sonders Freude <strong>be</strong>reitet, fallen<br />

recht unterschiedlich aus. In vielen Fällen wird die Ar<strong>be</strong>it an sich genannt: „Beim<br />

Einteilen helfen.“ – „Wenn der Warentag kommt. [...] Da freut es mich umso mehr.“ –<br />

„Das Ar<strong>be</strong>iten am PC“ – „Ich tue irrsinnig gerne Veranstaltungen organisieren. [...]<br />

Man [kann] auch kreativ sein. Das macht mir riesigen Spaß“ und auch die<br />

Herausforderungen des Berufs „[...] Und es ist immer wieder was zum dazu Lernen.<br />

Und es entwickelt sich ständig weiter. [...] Ich lie<strong>be</strong> das an dem Beruf.“<br />

Viele erwähnen die gute Zusammenar<strong>be</strong>it mit den KollegInnen: „Und das<br />

Ar<strong>be</strong>itsklima, muss ich sagen, das ist ja auch super!“ – „[...] es sind so irrsinnig lie<strong>be</strong><br />

Leute.“ Und eine Frau <strong>be</strong>schreibt: “Und ich muss sagen, ich ha<strong>be</strong> vom Ar<strong>be</strong>itsumfeld<br />

102


her ein Riesenglück, ich werde nicht <strong>be</strong>vorzugt, sondern, ich bin einfach ja ganz<br />

normal da mitten drin.“<br />

Für einige der Studienteilnehmerinnen <strong>be</strong>steht die Freude darin, ü<strong>be</strong>rhaupt Ar<strong>be</strong>it zu<br />

ha<strong>be</strong>n – vor allem in An<strong>be</strong>tracht der Situation anderer Frauen und Männern mit<br />

Behinderung: „Also <strong>be</strong>sonders freut mich, dass ich ü<strong>be</strong>rhaupt einen Job ha<strong>be</strong>. Weil<br />

es gibt viele seh<strong>be</strong>hinderte oder blinde Menschen oder ü<strong>be</strong>rhaupt Behinderte, die<br />

ü<strong>be</strong>rhaupt keinen Job ha<strong>be</strong>n. Und es freut mich, dass ich trotzdem einen Job<br />

gefunden ha<strong>be</strong>.“<br />

Für eine Interviewpartnerin war das Wichtigste „in der Gesellschaft zu stehen [...].<br />

Einfach eine Aufga<strong>be</strong> zu ha<strong>be</strong>n, Verantwortung zu ha<strong>be</strong>n. Das ist einfach das<br />

Wesentlichste.“ Dieser „gesellschaftliche Wert“ von Ar<strong>be</strong>it, der auch positiven<br />

Einfluss auf den Selbstwert hat, wird im Laufe der Interviews immer wieder<br />

thematisiert und <strong>be</strong>gegnet uns auch <strong>be</strong>i anderen Fragestellungen (siehe z. B.<br />

„Einstieg“ oder „Privates“).<br />

Ar<strong>be</strong>it kann in machen Fällen positive Auswirkungen auf das gesamte Le<strong>be</strong>n ha<strong>be</strong>n:<br />

„Ich ha<strong>be</strong> gelernt mein Le<strong>be</strong>n zu organisieren. [...] Ich ha<strong>be</strong> mir lange nicht vorstellen<br />

können, mein Le<strong>be</strong>n selbständig le<strong>be</strong>n zu können.“<br />

„Geld verdienen“ wurde im Zusammenhang mit Freude an der Ar<strong>be</strong>it mehrmals<br />

genannt.<br />

Schwierigkeiten<br />

Schwierigkeiten <strong>be</strong>i Ar<strong>be</strong>it erge<strong>be</strong>n sich für viele der interviewten Frauen aus ihrer<br />

Behinderung. „[...] Dadurch dass ich den Bildschirm nicht sehe, muss ich den ganzen<br />

Bildschirm, wo ich die Telefonnummern abrufe, Zeile für Zeile abtasten. Das dauert<br />

oft eine ziemlich lange Zeit.“ <strong>be</strong>schreibt die blinde Frau ihre Schwierigkeiten <strong>be</strong>i der<br />

Ar<strong>be</strong>it. Eine Frau mit Lern<strong>be</strong>hinderung meint: „Schwer ist eigentlich gar nichts. Nur<br />

dass ich halt ab und zu etwas vergesse. [...] Dann muss ich wieder nachfragen.“ Die<br />

103


Bibliothekarin, eine Frau mit Körper<strong>be</strong>hinderung, antwortete: „Logischerweise zum<br />

Beispiel das Bücher stapeln. [Lachen].“<br />

Eine Frau, die erst vor kurzer Zeit in den Betrieb eingestiegen ist, sieht ihre<br />

mangelnde Routine als Schwierigkeit. Eine andere Interviewpartnerin kann schlecht<br />

mit Druck umgehen: „Wenn wer da steht und einfach Druck macht. Da werde ich so<br />

verwirrt [...] und nervös werde ich auch. Und [Pause] kenne mich nicht mehr aus.“<br />

Eine Interviewpartnerin im Rollstuhl thematisiert die Mühen des Alltags, die vom nicht<br />

funktionierenden Lift - „Der [Anm. =Lift] ist eingegangen [...] und ich war eingesperrt.<br />

[...] Für alle Fußgänger ist es ja einfach, <strong>be</strong>i der Feuertreppe runter. A<strong>be</strong>r ich nicht.“ –<br />

Sie <strong>be</strong>richtet ü<strong>be</strong>r die teils mühsame Benutzung von Treppenliften bis hin zum<br />

anstrengenden alltäglichen Ar<strong>be</strong>itsweg: „Das sind alles so Geschichten dann, wo ich<br />

mir nachher denke, jemand, der geht, kann sich das gar nicht vorstellen. Der hat null<br />

Einblick. Der kann sich nicht vorstellen, wie das ist, wenn du fünf Minuten bis zum<br />

Auto brauchst, dazwischen zwei Lifte <strong>be</strong>nutzt, eine Rampe rauf fährst und dann noch<br />

ins Auto einsteigen musst und dich selbst versorgen musst. Also [...] das darf man<br />

nicht unterschätzen. Das kostet sehr viel Zeit.“ Dieser erhöhte Zeitaufwand hat<br />

Auswirkungen auf das Privatle<strong>be</strong>n: „[...] Wenn ich heim komme, [ha<strong>be</strong>] ich keine Zeit<br />

mehr, dass ich bügle. Ich ha<strong>be</strong> auch keine Zeit mehr, dass ich irgendetwas anders<br />

zusammen räume.“ Ihr abschließendes Resümee: „Es ist eigentlich das Drumherum<br />

anstren<strong>gender</strong> als die Ar<strong>be</strong>it selbst“.<br />

In zwei Aussagen wird noch eine ganz andere E<strong>be</strong>ne angesprochen: „Schwierig ist<br />

es, um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen. Und darauf angewiesen zu sein.“ -<br />

„In meinem Fall <strong>be</strong>deutet das oft, gewisse Emotionen einfach nicht zu zeigen, oder ja<br />

[Pause] nicht zum Ausdruck bringen getrauen. Dann könnte ich eine Konsequenz<br />

ha<strong>be</strong>n [...].“ Im zweiten Fall versucht die Frau mit Körper<strong>be</strong>hinderung ihr Umfeld so<br />

einzurichten, dass sie nicht auf Hilfe angewiesen ist: „Weil in den meisten Dingen bin<br />

ich selbständig. Also für mich gibt es das Problem nicht, der ist so weit o<strong>be</strong>n und da<br />

komme ich jetzt nicht hin. [...] Ich weiß mir sel<strong>be</strong>r zu <strong>be</strong>helfen, nicht, wenn niemand<br />

da wäre. Oder ich bin auch so, dass ich wirklich nur in Notfällen um etwas bitte.“<br />

104


Stress<br />

Stress ergibt sich für viele Interviewpartnerinnen aus der Ar<strong>be</strong>itssituation – „Es ist oft,<br />

dass sehr viele Anrufe anstehen […]. Da <strong>be</strong>kommt man dann eine leichte Panik“ –<br />

„Ich muss immer sehr viel laufen. Immer sehr viel zu tun.“ Teils waren es die<br />

Umstände, die Stress erzeugen: „Es ist trotzdem immer noch jeden Tag eine<br />

Hetzerei. Und es ist auch a<strong>be</strong>nds, man geht aus der Firma raus und ist guter Dinge.<br />

Bis man dann daheim ist – aus. Aus, streichfähig. Das ist eigentlich das, was mich<br />

am meisten mitnimmt.“<br />

Stress entsteht auch durch hohe Ansprüche an sich selbst – zum Beispiel im<br />

Vergleich zu anderen: „Ja, wenn ich auf andere Leute schaue. […] Dann merke ich<br />

immer, die [...] oder sonst wer, kann […] so schnell ar<strong>be</strong>iten. Ich kann das nicht.“<br />

Eine andere Frau meint: „Und wenn mein Pensum, das ich mir in der Früh raufstelle,<br />

weil ich das machen will, und ich das nicht fertig bringe, das ist das, was mich<br />

innerlich stresst.“ und eine andere sagt ü<strong>be</strong>r sich: „[…] mein Maßstab ist sehr hoch.“<br />

Eine Interviewpartnerin kann „normalem“ Stress <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it durchaus positive<br />

Seiten abgewinnen: „Weil der […] Stress ist in einer gewissen Hinsicht so ein<br />

Adrenalinstoß, wo ich mir denke, okay, schaffe ich es? Dann so – ha! Es ist hinterher<br />

dann sogar noch ein positives Gefühl, wenn ich es dann erledigt ha<strong>be</strong>.“ Stress war<br />

für sie „auf einer anderen E<strong>be</strong>ne“: „[…] Hoffentlich […] unter Anführungszeichen,<br />

blockiere ich nicht den Ar<strong>be</strong>itsablauf der anderen dazu. […] bin ich nicht zu lästig<br />

oder zu mühsam fürs Umfeld, weil ich da einfach schon wieder einmal Hilfe brauche.“<br />

Erleichterung bringt zwar die Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz, dennoch richtet diese Frau<br />

ihren Alltag darauf aus, nicht zu oft um Hilfe bitten zu müssen. Ein spezielles<br />

Problem stellt der Gang auf die Toilette dar, da die Frau aufgrund ihrer<br />

Körper<strong>be</strong>hinderung – außer in ihrer adaptieren Wohnung – da<strong>be</strong>i auf Unterstützung<br />

angewiesen ist: „[…] Wenn ich um sechs Uhr aufstehe, wird einmal […] ein Liter<br />

Wasser getrunken. […] Also dass ich schaue, dass ich solange in der Wohnung bin,<br />

viel trinke, und dass ich das erledigen kann.“<br />

105


Team<br />

Gefragt wurde nach Art und Ausmaß der Zusammenar<strong>be</strong>it, der ersten Zeit im Team,<br />

der jetzigen Teamsituation, Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge, Benachteiligung und<br />

Freizeitkontakten zu KollegInnen.<br />

Die Art und Intensität der Zusammenar<strong>be</strong>it im Team ist von der Struktur des<br />

Betrie<strong>be</strong>s und vom Charakter der Ar<strong>be</strong>it abhängig und gestaltet sich<br />

dementsprechend unterschiedlich. Die meisten der Frauen ar<strong>be</strong>iten großteils alleine<br />

und selbständig und ha<strong>be</strong>n viele verschiedene Aufga<strong>be</strong>n<strong>be</strong>reiche abzudecken.<br />

Zusammenar<strong>be</strong>it <strong>be</strong>steht meist nur in Teil<strong>be</strong>reichen und hier oftmals nur mit einigen<br />

KollegInnen und nicht mit dem gesamten Team: „Wir machen eine Teamar<strong>be</strong>it.“ „[...]<br />

Hauptsächlich [ar<strong>be</strong>ite ich] mit unserer Geschäftsführerin.“ – „Ja, grundsätzlich<br />

zusammenar<strong>be</strong>iten [...] tun wir nicht. [...] Es hat jeder was Eigenes zu machen.“<br />

Die erste Zeit im Team wurde unterschiedlich erlebt, großteils positiv: „Das Verhältnis<br />

war sehr freundlich. Hat es nichts gege<strong>be</strong>n. Alle waren lieb.“ – „Sehr herzlich<br />

[Lachen].“ – „Ja, eigentlich recht gut. Ich ha<strong>be</strong> mich gut verstanden.“ Probleme<br />

entstanden manches Mal aufgrund der Anforderungen <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it: Eine Frau<br />

erzählt, dass die Einar<strong>be</strong>itungszeit schwierig war: „Da hat es dann oft schon relativ<br />

viele Probleme gege<strong>be</strong>n, weil man falsch weiter verbunden hat.“ Eine andere<br />

Interviewpartnerin <strong>be</strong>dauert, dass sie zu Beginn „ganz alleine in einem ganz kleinen<br />

Bürokammerl gesessen“ ist und dadurch kaum Verbindung zum restlichen Team<br />

<strong>be</strong>stand.<br />

In einem Fall resultierten die Anfangsprobleme aus Konflikten mit einer Kollegin, die<br />

von persönlichen Diffamierungen bis Mobbing gingen: „Ich muss ganz ehrlich sagen,<br />

ich bin nicht gerne hinauf gegangen. Weil ich schon gehört ha<strong>be</strong>, dass eine Kollegin,<br />

sehr ungut sein kann zu neuen Kolleginnen.“ Befürchtungen, die sich <strong>be</strong>stätigten:<br />

„Am Anfang ist es ein bissl gegangen, nur dann bin ich etwas gemobbt worden von<br />

einer Kollegin.“<br />

106


Zur gegenwärtigen Teamsituation im Vergleich zur Zeit des Einstiegs <strong>be</strong>fragt, zeigen<br />

sich fast alle Interviewpartnerinnen zufrieden. Die Freundlichkeit der KollegInnen und<br />

die Offenheit der Leitung werden als positiv gewertet, e<strong>be</strong>nso wie gegenseitige<br />

Rücksichtnahme und das Eingebunden-Sein in Entscheidungen: „Dass man gefragt<br />

wird, das ist sehr viel, zählt sehr viel für mich.“ Die mittlerweile erlangte Sicherheit in<br />

der Ar<strong>be</strong>it eröffnet mehr Möglichkeiten und gibt größere Freiheit <strong>be</strong>i der Gestaltung<br />

des Ar<strong>be</strong>itsablaufes: „Und was <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it so angenehm ist, je firmer man wird in<br />

der Materie, umso mehr kannst du dir einteilen.“ Die Zeit der Bewährung ist vorü<strong>be</strong>r<br />

und man kann sich der Anerkennung der KollegInnen gewiss sein: „Man muss sich,<br />

ich ha<strong>be</strong> immer den Eindruck gehabt, man muss sich zuerst einmal <strong>be</strong>währen, damit<br />

man [...] mitreden kann.“ Als positiv wird auch gesehen, dass man in Laufe der Zeit<br />

das anfänglich oft „ü<strong>be</strong>rgroße“ Engagement abgelegt hat und sich nun <strong>be</strong>sser<br />

abgrenzen kann: „Weil da [Anm.: zu Beginn] ha<strong>be</strong> ich geglaubt, ja, du musst es<br />

jedem Recht machen und du musst dir ein Hacksl ausreißen und du dich, ja da jetzt<br />

fast umbringen, damit du das alles erledigt hast, damit ja jeder zufrieden ist.“<br />

Negativ wertet eine Frau, dass die Ar<strong>be</strong>it stressiger geworden ist, eine Frau <strong>be</strong>klagt<br />

den schwierigen Umgang mit einer Kollegin.<br />

Im Mittelpunkt der Ver<strong>be</strong>sserungswünsche steht die Kommunikation im Team, der<br />

eine <strong>be</strong>sondere Bedeutung zukommt: „[...] Das Um und Auf im Team ist eigentlich die<br />

Kommunikation.“ Ist die Kommunikation im Betrieb gut, bringen die<br />

Interviewpartnerinnen keine Wünsche vor; werden Wünsche angeführt, so <strong>be</strong>ziehen<br />

diese sich bis auf eine Ausnahme (hier geht es um eine <strong>be</strong>ssere Ar<strong>be</strong>itsaufteilung)<br />

auf die Ver<strong>be</strong>sserung der Kommunikation: In zwei Fällen wird „Tratsch“ kritisiert, eine<br />

Frau wünscht sich einen freundlicheren Umgangston und dass man „mehr zuhört<br />

dem Anderen. [...] Mehr hinhören, zuhören.“ In einem Fall wird <strong>be</strong>dauert, dass durch<br />

das Wachsen des Unternehmens, die „Kommunikation untereinander fehlt“. Eine<br />

Interviewpartnerin erachtet auch eine Veränderung des eigenen Verhaltens als<br />

notwendig, um die Teamsituation zu ver<strong>be</strong>ssern: „Von meiner Seite her noch mehr<br />

Mut entwickeln und die Dinge klar anreden.“<br />

Auf die Frage, ob sie sich im Team <strong>be</strong>nachteiligt fühlen, antworten sechs Frauen<br />

spontan mit „nein“. Die blinde Frau fühlt sich im Team nicht <strong>be</strong>nachteiligt, a<strong>be</strong>r durch<br />

107


ihre Behinderung: „Sicher ist [es] oft, dass man <strong>be</strong>nachteiligt ist, weil man was nicht<br />

sieht. [...] Wenn ein Bild oder Fotos vom Urlaub oder so herum gereicht werden, da<br />

ist man dann sicher <strong>be</strong>nachteiligt.“ Eine Frau führt als Benachteiligung größere<br />

Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>lastung an: „Irgendwie ein bisschen stressiger als die anderen. Ich ha<strong>be</strong><br />

nämlich echt viel Stress <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it.“<br />

Die meisten der Frauen ha<strong>be</strong>n in ihrer Freizeit keinen Kontakt zu KollegInnen, wenn<br />

doch so war dieser meist nur auf eine Person aus dem Team <strong>be</strong>schränkt: „eigentlich<br />

nur mit der Frau B. [...] [Sie] ist einfach eine ganz tolle Freundin mittlerweile.“ Eine<br />

strikte Trennung wird von manchen Interviewpartnerinnen als sehr wichtig erachtet:<br />

„Und ich würde das [...] gar nicht wollen. Weil wenn ich daheim bin, bin ich daheim.<br />

Und dann ha<strong>be</strong> ich ein Privatle<strong>be</strong>n und nicht Ar<strong>be</strong>it. Und das ist für mich sehr<br />

wichtig.“<br />

Einkommen<br />

Sechs der Frauen zeigen sich mit ihrem Gehalt zufrieden. Eine Frau äußerte sich<br />

leicht unzufrieden; sie hat die Stelle erst vor relativ kurzer Zeit angetreten und nimmt<br />

noch an fach<strong>be</strong>zogenen Weiterbildungen teil. Nach Abschluss dieser internen<br />

Ausbildung, wird ihr Gehalt angeho<strong>be</strong>n.<br />

In einem einzigen Fall wird Kritik an der Einkommenssituation geübt. Eine Frau<br />

antwortet auf die Frage, ob sie mit dem Einkommen zufrieden sei, mit einem klaren<br />

„Gar nicht.“ Sie verfügt ü<strong>be</strong>r keine fachspezifische Ausbildung und ist daher als<br />

Hilfskraft eingestuft. Die niedrige Bezahlung und vor allem die Unnachgiebigkeit<br />

der Geschäftsführung in diesem Punkt schmerzen – „[...] das tut mir sehr weh, muss<br />

ich sagen.“ Sie <strong>be</strong>tont, dass es nicht um’s große Geld geht, sondern darum, dass<br />

ihre Leistung honoriert wird: „Ich meine, ich will jetzt auch nicht voll abcashen, das<br />

will ich auch nicht. A<strong>be</strong>r angemessen denke ich mir.“<br />

108


Einstieg<br />

Dem Thema „Einstieg ins Unternehmen“ sind mehrere Fragen gewidmet:<br />

Anfangszeit, Freude und Ängste dieser Zeit und Veränderungen werden thematisiert.<br />

Generell wird die Anfangszeit als gut <strong>be</strong>wertet. Positiv hervorgeho<strong>be</strong>n werden die<br />

freundliche Aufnahme im Betrieb, a<strong>be</strong>r auch die Tatsache, Ar<strong>be</strong>it gefunden zu<br />

ha<strong>be</strong>n: „Ja, für mich war damals so quasi die große Sensation – für alle und für mich<br />

sel<strong>be</strong>r e<strong>be</strong>n auch – [...] ich ha<strong>be</strong> jetzt wirklich endlich, ich ha<strong>be</strong> jetzt eine Ar<strong>be</strong>it. [...]<br />

Also ich war stolz, ich ha<strong>be</strong> es gar nicht glau<strong>be</strong>n können.“ Für eine Frau war die<br />

Gewöhnung an den Ar<strong>be</strong>itsprozess schwierig. „Es war für mich sehr schwer, weil ich<br />

ha<strong>be</strong> noch nie gear<strong>be</strong>itet vorher, nicht von 7 Uhr 45 in der Früh bis 16 Uhr 10 am<br />

A<strong>be</strong>nd. [...] Das war sehr schwer für mich.“ Eine andere <strong>be</strong>zeichnet ihren Einstieg als<br />

stressig, wo<strong>be</strong>i hier mehrere Aspekte mitspielten: Die Unerfahrenheit als junge<br />

Schulabgängerin, der weite Ar<strong>be</strong>itsweg, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln <strong>be</strong>wältigt<br />

werden musste - für eine Frau im Rollstuhl kein leichtes Unterfangen - und der<br />

Einstieg in ein Männerteam, die sich in der Folge als sehr nett und hilfs<strong>be</strong>reit<br />

erwiesen.<br />

Auf die Frage, worauf sie sich <strong>be</strong>im Einstieg gefreut hätten, lautet eine häufige<br />

Antwort: „Dass ich eine Ar<strong>be</strong>it ha<strong>be</strong>.“ Beinahe e<strong>be</strong>nso wichtig ist, eigenes Geld zu<br />

verdienen. Für viele der Frauen ist es wesentlich, etwas zu leisten, eine Aufga<strong>be</strong> zu<br />

ha<strong>be</strong>n. „Weil man fühlt sich, sobald man nichts zu tun hat, nutzlos. Und das war für<br />

mich so erleichternd, ar<strong>be</strong>iten zu gehen.“ In diesem Zusammenhang wird mehrmals<br />

die eigene Leistung für die Gesellschaft thematisiert: „[...] und du kannst trotzdem<br />

wieder etwas tun in der Gesellschaft.“ „[...] und dem Staat nicht auf der Tasche liegen<br />

[...].“ Ar<strong>be</strong>it dient a<strong>be</strong>r nicht nur dem Gelderwerb, sondern stärkt auch das<br />

Selbst<strong>be</strong>wusstsein: „Du hast einen Erfolg. Und Erfolg ist irrsinnig wichtig. Weil wenn<br />

du keinen Erfolg hast, dann ist das Selbst<strong>be</strong>wusstsein unter’m Hund.“<br />

Viele Interviewpartnerinnen fürchteten kurz vor Eintritt in den Betrieb, die angestrebte<br />

Ar<strong>be</strong>it doch nicht zu <strong>be</strong>kommen. Angst vor dem Ungewissen, ein mulmiges Gefühl<br />

109


angesichts des Neuen, Zweifel, ob man <strong>be</strong>stehen kann, werden als Bedenken der<br />

Anfangszeit erwähnt.<br />

Mobbing wird zweimal als Angstfaktor genannt, einmal auch ü<strong>be</strong>r den Berufseinsteig<br />

hinaus, wo<strong>be</strong>i eine Frau zwei Aspekte anführte: „[...] wegen der Behinderung. Oder<br />

gerade weil ich weiblich bin.“ In diesem Fall <strong>be</strong>stätigten sich die Befürchtungen nicht,<br />

im anderen meinte die Betroffene: „Es war zwischendurch auch Eifersucht in der Luft.<br />

Die hat sich a<strong>be</strong>r Gott sei Dank wieder gelegt.“ Eine Frau verwendet nicht das Wort<br />

Mobbing, meint jedoch, sie hätte Angst davor gehabt „dauernd der Putzlappen für<br />

jeden [zu] sein, der sich abreagieren will.“<br />

Gefragt nach den Veränderungen für die Frauen mit Behinderung von der<br />

Einstiegszeit bis zur gegenwärtigen Situation werden häufig größere Sicherheit in der<br />

Ar<strong>be</strong>it angeführt: „Damals ha<strong>be</strong> ich mich nicht so gut ausgekannt. Und jetzt kann ich<br />

alles.“ - „Ich tue mir leichter während dem Ar<strong>be</strong>iten.“ Weiters wird der Wegfall der<br />

anfänglichen Versagensängste genannt. Mehrmals erwähnen Frauen mit<br />

Behinderung – vor allem die, die <strong>be</strong>reits länger im Ar<strong>be</strong>itsprozess stehen – dass sie<br />

sich nun <strong>be</strong>sser abgrenzen können: „Es ist auch nicht so, dass ich mich jetzt zurück<br />

lehne und sage, das tue ich jetzt nicht, sondern [...] also, ich nehme mich einfach<br />

zurück, sagen wir so. Sagen wir, 120 Prozent ge<strong>be</strong> ich jetzt nicht mehr.“<br />

Berufswahl<br />

Die Interviewpartnerinnen wurden zu ihrem Traum<strong>be</strong>ruf als Jugendliche, ihrer<br />

<strong>be</strong>ruflichen Vergangenheit und ihren Weg zum gegenwärtigen Beruf <strong>be</strong>fragt.<br />

Eine einzige Frau ar<strong>be</strong>itet im Traum<strong>be</strong>ruf ihrer Jugend – sie wünschte sich <strong>be</strong>reits in<br />

der Schulzeit, im Büro tätig zu sein und hat dies auch nach einigen Umwegen<br />

erreicht. Eine Studienteilnehmerin hat ihren Traum<strong>be</strong>ruf (Friseurin) erlernt, kann<br />

diesen a<strong>be</strong>r aufgrund ihrer fortschreitenden Erkrankung nicht mehr ausü<strong>be</strong>n. Die<br />

angege<strong>be</strong>nen Berufswünsche reichen von Köchin ü<strong>be</strong>r Ar<strong>be</strong>it mit Kindern oder<br />

Tieren bis hin zu Archäologin oder Popstar. Die Gründe, weshalb der Wunsch<strong>be</strong>ruf<br />

nicht erreicht wurde, sind unterschiedlich: In manchen Fällen war die Behinderung<br />

110


der Frau ausschlagge<strong>be</strong>nd: „Ja, mein Traum<strong>be</strong>ruf wäre es eigentlich immer schon<br />

gewesen, etwas mit Kindern und Tieren zu machen. Dadurch dass a<strong>be</strong>r als<br />

Vollblinder nicht die Möglichkeit ist, hat mich dann das Handwerk angezogen.“ –<br />

„Mein Traum<strong>be</strong>ruf war eigentlich immer Köchin. A<strong>be</strong>r von der Behinderung her wäre<br />

das sowieso nie gegangen.“ Bei den übrigen Interviewpartnerinnen änderten sich die<br />

<strong>be</strong>ruflichen Interessen, eine Frau konnte keine Begründung anführen, weshalb sie<br />

nicht ihren Wunsch<strong>be</strong>ruf ergriffen hat.<br />

Der <strong>be</strong>rufliche Werdegang der acht Interviewpartnerinnen ist individuell<br />

unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen, dass sie bis auf einem Fall,<br />

Unterstützungsmaßnahmen im weitesten Sinne zum Berufseinstieg in Anspruch<br />

nahmen.<br />

Fünf Frauen kamen ü<strong>be</strong>r Vermittlung einer Institution zu ihrem Beruf. Häufig erfolgte<br />

der Einstieg nach einem Praktikum, das von diesen Institutionen organisiert wurde. In<br />

einem Fall spielte der Zufall Regie, ein Gespräch im privaten Kreis führte zu einer<br />

Anstellung. In einem Fall fand eine Frau nach 100 erfolglosen Bewerbungen doch<br />

eine Ar<strong>be</strong>it und in einem weiteren Fall wurde aus der „Konsumentin“ einer<br />

Dienstleistung eine Mitar<strong>be</strong>iterin.<br />

Die häufigsten AnsprechpartnerInnen in puncto Berufswahl waren BeraterInnen in<br />

Institutionen. Eine Frau führt FreundInnen und Bekannte als wichtige Unterstützung<br />

an, eine Frau war in ihrer Entscheidung alleine auf sich gestellt und für eine Frau war<br />

die Ar<strong>be</strong>it an sich ausschlagend für ihre Berufswahl.<br />

Die Ausbildungswege für den jeweiligen Beruf verliefen je nach Ar<strong>be</strong>itsfeld<br />

unterschiedlich. Bei drei der Ar<strong>be</strong>itsplätze fand die Einschulung ausschließlich im<br />

Betrieb statt, in zwei Fällen wurden externe Weiterbildungen <strong>be</strong>sucht, in zwei<br />

weiteren erfolgte die Ausbildung ü<strong>be</strong>r die vermittelnde Einrichtung und in einem Fall<br />

war keine Ausbildung möglich, da diese nicht finanziert wurde.<br />

111


Unterstützung<br />

Fünf der Interviewpartnerinnen <strong>be</strong>nötigen am Ar<strong>be</strong>itsplatz keine Unterstützung, zwei<br />

Frauen führen KollegInnen als Unterstützung an, eine Frau mit schwerer körperlicher<br />

Einschränkung <strong>be</strong>anspruchte Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz. Ihr stand diese relativ neue<br />

Form der Unterstützung zum Zeitpunkt des Interviews erst seit drei Wochen zur<br />

Verfügung und sie zeigte sich sehr zufrieden. „[...] es ist für mich Luxus. [...] also ich<br />

schätze es total.“ Sie erachtet die Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz als einen wichtigen<br />

Schritt in die richtige Richtung weil es, „[...] ein kleines Stückerl wieder weiter aus<br />

dem Bittstellerdasein heraus [holt].“ Und sie sagt allgemein zum Thema Assistenz:<br />

„Auch so diese persönliche Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz, persönliche Assistenz <strong>be</strong>i der<br />

Ausbildung. [...] Ich bin so dankbar, ich bin wirklich so dankbar. Also ich muss<br />

wirklich ehrlich sagen, das ist für mich, wo ich mir denke, das ist wirklich wie<br />

Schlaraffenland [Lachen]. [...] Auf einmal [sind] Dinge für mich machbar, wo ich mir<br />

vorher gedacht ha<strong>be</strong>, wie organisiere ich mir das? [...] Und man ist jetzt nicht mehr so<br />

der Bittsteller, [...] weil ich einfach sagen kann, ja, ich kann jetzt diese Leistung<br />

entgelten. [...] Das macht einen nicht so klein.“ Sie thematisiert a<strong>be</strong>r auch die damit<br />

verbunden organisatorischen Schwierigkeiten: „[...] ich kann nicht für drei Minuten<br />

oder fünf Minuten eine Assistenz [holen], die jetzt 15 Kilometer extra her fährt ah und<br />

nachher wieder fahren soll.“<br />

Bis auf eine Frau, die sich mehr Entlastung durch ihre KollegInnen wünschte, sahen<br />

die Interviewpartnerinnen für sich keinen Bedarf an Unterstützung.<br />

Da die Einstiegsphase eine sensible Zeit darstellt, ha<strong>be</strong>n wir hier nach Unterstützung<br />

von Seiten des Betriebs und im privaten Umfeld gefragt: In zwei Fällen gab es<br />

institutionelle Unterstützung (Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>gleiter). Als <strong>be</strong>sondere Unterstützung vom<br />

Unternehmen wird angepasstes Mobiliar, die Möglichkeit, einen Führerscheinkurs<br />

während der Ar<strong>be</strong>itszeit zu machen sowie spezielle Einschulung genannt. Eine Frau<br />

gibt an, keine Unterstützung <strong>be</strong>nötigt zu ha<strong>be</strong>n. Eine Interviewpartnerin verneint<br />

Hilfsangebote in Anspruch genommen zu ha<strong>be</strong>n, wo<strong>be</strong>i dies aufgrund der Aussagen<br />

der Leitung und der Kollegin, die eine institutionelle Unterstützung erwähnen,<br />

relativiert wird. In einem Fall musste eine Frau in der Anfangszeit aufgrund der<br />

112


mangelnden Unterstützung folgende Bedingungen auf sich nehmen: „Also ich bin so<br />

quasi für vier Stunden von der Wohnung ins Büro mit der Rettung gebracht worden<br />

und in diesen vier Stunden ha<strong>be</strong> ich nicht aufs WC dürfen [Pause] müssen dürfen.<br />

[Lachen] So quasi für mich war niemand da.“<br />

Von den Interviewpartnerinnen erhielten einige im privaten Umfeld Unterstützung von<br />

Eltern, Le<strong>be</strong>nsgefährten, FreundInnen und Bekannten, einige waren auf sich alleine<br />

gestellt. In einem Fall versuchte die Familie die Frau von ihrer Entscheidung<br />

abzubringen.<br />

Einschränkung<br />

Die Einschränkungen der Studienteilnehmerinnen werden <strong>be</strong>wusst nicht in den<br />

Mittelpunkt gestellt, sie werden dennoch thematisiert, da dies sonst eine<br />

Verleugnung der Le<strong>be</strong>nsrealität der Frauen <strong>be</strong>deuten würde.<br />

Die Frauen wurden nach der Art ihrer Behinderung gefragt, nach den Stärken, die sie<br />

aufgrund ihres Handicaps erwor<strong>be</strong>n ha<strong>be</strong>n, und worunter sie aufgrund der<br />

Einschränkung leiden.<br />

Wie eingangs erwähnt, nahmen drei Frauen mit Lernschwierigkeiten an der Studie<br />

teil – eine Gesprächspartnerin <strong>be</strong>schreibt ihre Einschränkung mit den Worten: „Ich<br />

merke mir schwer.“ Die <strong>be</strong>iden anderen Betroffenen können ihre Behinderung nicht<br />

<strong>be</strong>nennen.<br />

Bei den Frauen mit körperlicher Beeinträchtigung resultiert ihre Behinderung aus<br />

einer chronischen Erkrankung. Eine Frau ist aufgrund einer Tumorerkrankung blind,<br />

eine Frau leidet an endogener Depression, sie ist medikamentös eingestellt und<br />

stabil.<br />

Stärken, die aufgrund der Einschränkung entwickelt wurden, liegen vor allem im<br />

Persönlichkeits<strong>be</strong>reich: „[…] Ich glau<strong>be</strong>, dass ich ein guter Zuhörer bin, dass ich auf<br />

Menschen teilweise <strong>be</strong>sser eingehen kann. Und vielleicht ein bisschen feinfühliger<br />

113


[…].“ – „Also eine gewisse Zähigkeit, Durchhaltevermögen, auch Sachen aushalten<br />

können, die, ja schmerzhaft, langwierig [sind]. […] Was ich einfach entwickelt ha<strong>be</strong>,<br />

das ist Organisationstalent.“ Manche Aussagen lassen erahnen, wie schmerzhaft der<br />

Umgang mit der Behinderung gewesen sein muss – und noch ist: „Man lernt einfach,<br />

ich ha<strong>be</strong> gelernt, lerne immer noch […] konstruktiver damit umzugehen.“ „Ich bin ein<br />

absoluter Kopfmensch geworden durch das. [...] Also und das sind so Dinge, das, wo<br />

ich mir denke, das ist alles durch die Krankheit gekommen. Weil ich ich ha<strong>be</strong> halt<br />

nicht können wie die anderen Kinder - jetzt gehst du hinü<strong>be</strong>r Eis laufen, nicht. Das<br />

hat es nicht gege<strong>be</strong>n.“ Eine Frau meint, dass sie aufgrund ihrer eigenen Erlebnisse<br />

„relativ gut auf Menschen eingehen kann und relativ gut zuhören kann und auch sehr<br />

hellhörig bin, wenn es um psychische Befindlichkeit geht.“ Und sie meint: „Ich bin<br />

sicher toleranter geworden. […] Man wird auch demütiger. […] Diese Frau spricht<br />

aus, was in vielen Interviews mitgeschwungen ist: „Man wird dann <strong>be</strong>scheidener.“<br />

Für die acht Interviewpartnerinnen war das „Leid“, das sie aufgrund ihrer<br />

Behinderung erle<strong>be</strong>n, höchst unterschiedlich. Eine Frau meint auf die Frage,<br />

worunter sie leide: „Ich sage einmal so – unter gar nichts.“ Ihre Einstellung ist: „Weil<br />

<strong>be</strong>i mir war es immer so, was du willst, das erreichst du. Und was nicht geht, geht<br />

halt nicht. Das ist so.“ Eine Interviewpartnerin mit Lernschwierigkeiten antwortet auf<br />

diese Frage: „Weiß ich nicht.“<br />

Für zwei Frauen ist, das „ständig auf Hilfe Angewiesen-Sein.“ <strong>be</strong>lastend: „[…] Ich<br />

gehe mich jetzt duschen und nicht erst morgen in der Früh, wenn die Assistentin<br />

kommt, also so. Da leide ich schon sehr.“ Eine andere Frau meint: „A<strong>be</strong>r ich brauche<br />

immer Hilfe, in meinem ganzen Le<strong>be</strong>n. Ich ha<strong>be</strong> es nicht so leicht wie die anderen,<br />

die keine Behinderungen ha<strong>be</strong>n.“<br />

Mehrmals <strong>be</strong>ziehen sich die Aussagen direkt auf die Behinderung: „Es gibt sicher<br />

viele Sachen, die man auch sehen möchte.“ Dennoch gä<strong>be</strong> es für diese Frau<br />

Schlimmeres: „[...] Mein Motto ist es, ich bin lie<strong>be</strong>r blind als geh<strong>be</strong>hindert oder<br />

taubstumm. Weil ich komme ü<strong>be</strong>rall hin. [...] Ich <strong>be</strong>komme trotzdem alles mit.“ Eine<br />

Frau mit Lernschwierigkeiten meint: „Schlecht gehen tut mir das schon <strong>be</strong>i meinen<br />

Freunden. Ich kann ihnen ab und zu nicht immer die Wahrheit ü<strong>be</strong>r mich sagen. [...]<br />

Dass sie nicht wissen, dass ich so vergesslich bin, dann lüge ich sie ein bisschen<br />

114


an.“ Eine Interviewpartnerin <strong>be</strong>dauert, dass sie aufgrund ihrer Krankheit „[...] nicht<br />

machen konnte, was ich gerne gemacht hätte.“ Eine Frau meint, dass ihr nach<br />

eigener Definition „schlechtes Auftreten vor Menschen“ mit ihrer Behinderung<br />

zusammenhinge: „Da kommt mir schon vor, dass das auch aufgrund der<br />

Behinderung auch ist.“<br />

Eine Frau spricht in diesen Zusammenhang von Partnerschaft: „Es geht auch bis zu<br />

dem Thema Verlust der Partnerschaft. Also ich ha<strong>be</strong> jetzt […] in diesem Handicap in<br />

dieser Situation vier Jahre lang eine Beziehung gelebt und die a<strong>be</strong>r auch aufgrund<br />

des Handicaps gescheitert ist. Also so auch wie mein Mann aus dem Grund<br />

gegangen ist, weil er gesagt hat, er kann einfach nicht mehr mit der Behinderung.<br />

[…] Und das sind einfach Dinge, wo ich einfach denke, ja, darf ich nicht mehr le<strong>be</strong>n?<br />

[…]“ Zum Thema Mutterschaft meint sie: „[...] Es ist ganz definitiv klar, ich ha<strong>be</strong><br />

sel<strong>be</strong>r, ich werde sel<strong>be</strong>r keine Kinder ha<strong>be</strong>n. [...] Also das [...] war ein sehr<br />

schmerzhafter Trauerprozess.“<br />

Stellenwert von Ar<strong>be</strong>it<br />

Alle Interviewpartnerinnen messen Ar<strong>be</strong>it in ihrem Le<strong>be</strong>n einen sehr hohen<br />

Stellenwert <strong>be</strong>i. Wichtig ist den Frauen, eine Beschäftigung zu ha<strong>be</strong>n: „Weil wenn ich<br />

nämlich keine Ar<strong>be</strong>it ha<strong>be</strong> und daheim sitze, das zipft mich auch an. [...] Nein, wird<br />

mir langweilig.“ Wesentlich ist die Bestätigung, gebraucht zu werden und etwas<br />

leisten zu können. „Es ist für mich wichtig, weil es ist eine Bestätigung, finde ich,<br />

dass man gebraucht wird.“ In diesem Zusammenhang wird wiederum der<br />

Zusammenhang zwischen Ar<strong>be</strong>it und Selbstwert thematisiert: „Es ist ja <strong>be</strong>wiesen,<br />

dass wenn Leute längere Zeit ar<strong>be</strong>itslos sind, dass sie [das] Selbstwertgefühl<br />

verlieren, weil die Tagesstruktur fällt dann weg und das Gefühl dazu zu gehören fällt<br />

weg.“ Auch der gesellschaftliche Wert der eigenen Ar<strong>be</strong>it wird angesprochen. Die<br />

Folge von längerer Zeit ohne Beschäftigung ist, „man fühlt sich manchmal wie ein<br />

Sozialschmarotzer. [...] Fühlt man sich nicht wohl in der Haut.“ Nicht zuletzt ist Ar<strong>be</strong>it<br />

wichtig, weil man „sel<strong>be</strong>r Geld hat bzw. Geld verdient, worauf man stolz sein kann.“<br />

115


Ne<strong>be</strong>n der Ar<strong>be</strong>it kommt Familie ein <strong>be</strong>sonderer Stellenwert zu: „A<strong>be</strong>r ich ha<strong>be</strong><br />

immer das Prinzip gehabt, die Firma darf nie wichtiger sein als die Familie. Auf<br />

keinen Fall. Weil die Familie ist das, was dir bleibt. Firma – das kann jederzeit pari<br />

gehen.“ Eine Frau, die allein stehend ist, gibt Ar<strong>be</strong>it „den größten“ Stellenwert in<br />

ihrem Le<strong>be</strong>n, weil dies ein Bereich ist, der „[...] so heil ist, [...] so schön in Ordnung,<br />

so harmonisch. [...] Das ist so meine Ressource.“<br />

Berufliche Zukunft<br />

Gefragt nach den Vorstellungen für ihre <strong>be</strong>ruflichen Pläne äußern sie<strong>be</strong>n der acht<br />

Interviewpartnerinnen den Wunsch, im Betrieb blei<strong>be</strong>n zu können. Eine dieser<br />

Frauen ü<strong>be</strong>rlegt, sich langfristig neu zu orientieren. Eine andere Frau möchte nicht<br />

mehr lange an ihrem jetzigen Ar<strong>be</strong>itplatz blei<strong>be</strong>n: „Vielleicht ein Jahr noch.“ Sie hat<br />

noch keine Vorstellung, was sie danach machen könnte.<br />

Privates<br />

Zum Bereich Privatle<strong>be</strong>n werden zwei Fragen gestellt: Was hat sich durch die<br />

Berufstätigkeit im Privatle<strong>be</strong>n verändert? Wie gut lassen sich Beruf und Privatle<strong>be</strong>n<br />

vereinbaren?<br />

Für <strong>be</strong>inahe alle Interviewpartnerinnen veränderte sich aufgrund ihrer Berufstätigkeit<br />

die private Situation - teilweise waren die Veränderungen weit reichend: „Ich bin noch<br />

mehr selbständiger geworden als [...] ich sowieso schon war. Ich ha<strong>be</strong> einen Freund<br />

gefunden. Ich ha<strong>be</strong> abgenommen. Ich ha<strong>be</strong> mir eine eigene Wohnung kaufen<br />

können. Andere Sachen leisten können. Und ich ha<strong>be</strong> mehr Zeit für meine Freunde.“<br />

Für einige änderte sich die Situation in der Familie: „Ich bin unabhängiger geworden.“<br />

oder „Ich verstehe mich jetzt wieder <strong>be</strong>sser mit meinen Verwandten.“<br />

Durch die Ar<strong>be</strong>it verändert sich nicht nur das Bild der anderen, sondern auch das<br />

Selbstbild: „Man wird vollwertiger durch die Ar<strong>be</strong>it“ meint eine Studienteilnehmerin.<br />

Eine andere sagt in diesem Zusammenhang: „Ich [...] fühle mich <strong>be</strong>sser als Mensch.<br />

116


Wertvoller. Also als, doch als wieder sinnvolleres Mitglied der Gesellschaft. [...] Man<br />

fühlt sich wohler in seiner Haut, wenn man merkt, man kann trotzdem noch etwas<br />

leisten.“ Eine andere Frau <strong>be</strong>zeichnet die Ar<strong>be</strong>it als „Anker“, der ihr aus einer Zeit in<br />

der sie „ein Häufchen Elend“ war und „keine Perspektive“ hatte, geholfen hat.<br />

Gefragt nach der Vereinbarkeit von Beruf und Privatle<strong>be</strong>n äußern sich die meisten<br />

Gesprächspartnerinnen zufrieden. Frauen, die in einer Beziehung le<strong>be</strong>n, ha<strong>be</strong>n eine<br />

differenziertere Sichtweise. Für sie ist wichtig, dass der Partner ihre Berufstätigkeit<br />

akzeptiert und sie im Alltag unterstützt: „Ja, ich lasse das oft daheim liegen, was mir<br />

nicht so wichtig ist. Ich muss sagen, der [Partner], der hilft mir ziemlich viel. Er<br />

unterstützt mich schon. Auch <strong>be</strong>i der Hausar<strong>be</strong>it und solchen Sachen. Und dafür<br />

ha<strong>be</strong>n wir dann das Wochenende [...].“ – „Es ist ein großes Entgegenkommen“, meint<br />

eine Frau ü<strong>be</strong>r die Unterstützung durch ihren Partner, die nicht als<br />

Selbstverständlichkeit genommen werden darf: „In anderen Beziehungen ha<strong>be</strong> ich<br />

gesehen, dass es an dem auseinander gegangen ist.“<br />

Tipps für Frauen mit Behinderung<br />

Gefragt nach Tipps für Frauen mit Behinderung fallen die Antworten recht<br />

unterschiedlich aus. Aus manchen Aussagen war ersichtlich, dass es den<br />

Interviewpartnerinnen wichtig ist, den Erwartungen ihrer Umwelt zu entsprechen:<br />

„Dass sie ordentlich ar<strong>be</strong>itet. Und dass sie will, eigentlich.“ oder „Zu versuchen, das<br />

so wie es die Chefin oder der Chef ha<strong>be</strong>n will, zu machen.“<br />

Andere stellen die Behinderung in den Mittelpunkt: „Ich glau<strong>be</strong>, das Um und Auf,<br />

wenn du ein Handicap hast, ist, dass du voll hinter der Behinderung stehst. Ich<br />

glau<strong>be</strong> das feste Auftreten, und dass man sich in der Gesellschaft nicht von Blicken<br />

und Gerede einschränken lässt. Einfach durch, denke ich mir.“<br />

Eine andere Studienteilnehmerin meint, wichtig für Frauen mit Behinderung am<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarkt ist „dass sie sich nicht unter kriegen lassen von den anderen.“<br />

117


Immer wieder wird die Forderung gestellt, die individuellen Bedürfnisse und<br />

Fähigkeiten zu <strong>be</strong>rücksichtigen: „Das ist eine sehr individuelle Geschichte. Je nach<br />

dem, was der kann, wie weit die Einschränkung geht. Also es gehört schon<br />

angepasst.“<br />

Ein Ratschlag lautet: „Man kann nicht sagen, ja also das nehme ich jetzt nicht und<br />

vielleicht kommt ja noch was Besseres. Man muss wirklich die Chance am Schopfe<br />

packen und das Beste daraus machen. Es bleibt nichts anderes.“<br />

Auch im Rahmen dieser Frage wurde Selbstü<strong>be</strong>rforderung thematisiert: „Und eins ist<br />

auch noch wichtig: Man muss auf alle Fälle auch nein sagen können. Manchmal ist<br />

es auch wichtig, dass man sagt, so bis daher und nicht weiter. Wo die Grenze ist,<br />

muss man sel<strong>be</strong>r wissen. Weil der andere – ü<strong>be</strong>rhaupt jemand, der keine Erfahrung<br />

mit Behinderten hat – kann das nicht abschätzen, wo Ende ist. A<strong>be</strong>r das ist e<strong>be</strong>n<br />

eine Frage von Selbstkenntnis. Man muss sich sel<strong>be</strong>r sehr gut kennen.“<br />

In allen Aussagen ging es um Ermutigung, Stärkung der eigenen Position als Frau<br />

mit Handicap und auch um den Mut, seine Träume zu verwirklichen: „Eines weiß ich<br />

einmal auf jeden Fall, sich nicht verkriechen, sondern wirklich heraus zu gehen ins<br />

Le<strong>be</strong>n. Einfach mutig sein, <strong>be</strong>harrlich sein und die Wünsche, wenn sie noch so<br />

unrealistisch im Moment zwar scheinen, verwirklichen wollen.“<br />

Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

„Die Köpfe der Leute.“ Diese Antwort zeigt den Grundtenor der Antworten auf die<br />

Frage nach notwendigen Veränderungen am Ar<strong>be</strong>itsmarkt. „A<strong>be</strong>r das Wichtigste ist<br />

die Einstellung von den Leuten“, meint die Frau weiter. Wo<strong>be</strong>i nicht nur<br />

Unternehmen, sondern die auch die Gesellschaft gefordert ist: „Dass da eine<br />

gewisse Bewusstseinsänderung jetzt von der Gesellschaft oder auch von den<br />

Ar<strong>be</strong>itge<strong>be</strong>rn <strong>be</strong>ginnen muss. Dass einfach auch die Leute mit Handicap einen Platz<br />

ha<strong>be</strong>n.“ Die Frau fürchtet, dass für sie kein Platz in der freien Wirtschaft wäre: „[...]<br />

Das ist im Moment für mich so das Schwierigste, wenn man im Moment so schaut,<br />

[...] es ist der Leistungsdruck. [...] Wie viel Platz ist jetzt in der freien Wirtschaft, wo<br />

118


ich sagen könnte...? Ich hätte Angst, dort nicht <strong>be</strong>stehen zu können [...].“ In diesem<br />

Zusammenhang liefert eine andere Frau mit Behinderung folgendes Bild unserer<br />

Gesellschaft: „So sind die meisten Leute. Sie glau<strong>be</strong>n, nur weil du <strong>be</strong>hindert bist, bist<br />

du auch dumm. Sie glau<strong>be</strong>n, du kannst nicht. Sie glau<strong>be</strong>n, du willst nicht. Ja. Und<br />

das gehört geändert. Auf jeden Fall. Und alles andere, was baulich ist oder so, dass<br />

kommt dann eh.“<br />

Von den Unternehmen im Speziellen wird mehr Aufgeschlossenheit gefordert: „Ich<br />

meine, die Unternehmer sollen ein bisschen offener werden. Dass sie nicht von Haus<br />

aus sagen <strong>be</strong>hindert, nein danke. Sondern, dass sie dem auch eine Chance ge<strong>be</strong>n,<br />

so wie jedem andern auch.“ Eine Frau plädiert dafür, „dass die ein bisschen einen<br />

Druck <strong>be</strong>kommen. Ich meine, sie müssen sowieso zahlen, wenn sie keinen<br />

Behinderten aufnehmen. A<strong>be</strong>r dass da noch irgendein anderer Druck drauf kommt.“<br />

Frauen und Männer dürfen nicht nur billige Ar<strong>be</strong>itskräfte sein: „Der [Anm. = Partner]<br />

hat in einer Firma gear<strong>be</strong>itet. Nach drei Jahren ist die Förderung abgelaufen und er<br />

hat gehen können von der Firma. Dass so etwas nicht geht.“<br />

Von einigen Frauen wird der Kündigungsschutz für Frauen und Männer mit<br />

Behinderung angesprochen und durchaus ambivalent <strong>be</strong>urteilt: „Ich meine der<br />

geschützte Ar<strong>be</strong>itsplatz – ist alles ein Für und Wider. Ich meine, ein Privater kann<br />

sich das sicher nicht leisten, wenn ich drei Monate in Krankenstand gehe, dass er<br />

mich da haltet“, meint eine Frau. Und weiter: „[...] Ich meine, verstehe ich auch, dass<br />

jemand sagt [...] ich nehme keinen Behinderten mehr auf mit geschütztem<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatz, weil so einen ha<strong>be</strong> ich schon, für den ich zahlen muss. Ich verstehe die<br />

unternehmerische Seite auch.“ Eine andere Interviewpartnerin sagt: „[...] Und wenn<br />

er disziplinäre Probleme hat oder Ar<strong>be</strong>itsverweigerung oder seine Ar<strong>be</strong>it absichtlich<br />

schlecht macht, dann sollte er sehr wohl kündbar sein.“<br />

Als wichtigen Faktor für die Integration von Frau mit Behinderung am Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

werden institutionelle Unterstützungsangebote genannt.<br />

119


Wünsche<br />

Einer der häufigsten Wünsche in Bezug auf Ar<strong>be</strong>it ist, „dass es so bleibt, wie es ist.“<br />

Manche Wünsche sind sehr persönlich: „Mein größter Wunsch ist, dass ich die<br />

Prüfung nächstes Jahr <strong>be</strong>stehe.“ Andere <strong>be</strong>treffen – auch wenn sie aus persönlicher<br />

Betroffenheit heraus formuliert werden - alle Frauen mit Behinderung: Eine Frau mit<br />

schwerer körperlicher Einschränkung wünschte sich, „dass ich so barrierefrei als<br />

möglich meine Tätigkeit machen kann [...] dass ich weitgehend selbst<strong>be</strong>stimmt<br />

ar<strong>be</strong>iten kann.“ Angst hat sie davor, „dass diese Sachen [Anm.<br />

Unterstützungsanbote] wieder eingespart werden“.<br />

In mehreren Fällen wird <strong>be</strong>i dieser Fragestellung die Sorge um den Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />

geäußert: „Dass ich den Job <strong>be</strong>halten kann“, wünscht sich eine Frau. „Dass [mein<br />

Beruf] nicht gestrichen wird oder nicht ein Auslaufmodell ist“, hofft eine andere.<br />

Mehrmals wird der Wunsch nach Weiterbildung ausgesprochen. „Dass man sich [...]<br />

kontinuierlich weiterbilden kann“, meint eine Frau; mit dem Nachsatz<br />

„selbst<strong>be</strong>stimmt.“ Sie wünscht sich speziell: „[...] Weiterbildungsmaßnahmen, die<br />

nicht ich nicht sel<strong>be</strong>r finanzieren muss.“ Auch eine andere Interviewpartnerin spricht<br />

die Finanzierung an: „Dass es vielleicht doch einmal ein bisschen ein Geld gibt für<br />

Weiterbildung.“<br />

Die meisten Wünsche für den privaten Bereich <strong>be</strong>ziehen sich auf Partnerschaft und<br />

Familie. Frauen, die in einer Partnerschaft le<strong>be</strong>n, wünschen, diese möge Bestand<br />

ha<strong>be</strong>n: „Dass ich, ja mit meinem Freund, zusammen blei<strong>be</strong>n kann oder dass es so<br />

bleibt, dass wir zusammen sind. Und dass wir auch einmal eine Familie gründen.“<br />

Frauen, die allein stehend sind, äußern den Wunsch nach Partnerschaft: „[...] no, na,<br />

ned, jeder Single wünscht sich das [Lachen] eigentlich natürlich auch im<br />

weitgehenden Sinne jetzt Familie, respektive Partnerschaft. [Pause] Trotz Handicap.“<br />

Partnerschaft kommt ein sehr hoher Stellenwert zu: „[...] also ich spüre das für mich<br />

so einfach, dass das Singlele<strong>be</strong>n [...] ich sage einmal, es mindert die Le<strong>be</strong>nsqualität.“<br />

120


Interpretation<br />

Für alle acht Studienteilnehmerinnen mit Behinderung hat Ar<strong>be</strong>it einen sehr hohen<br />

Stellenwert. „Ar<strong>be</strong>it ist für mich sehr wichtig.“ – „Ar<strong>be</strong>it ist sehr wichtig, weil man fit<br />

bleibt.“ – „[Ar<strong>be</strong>it hat] einen sehr hohen Stellenwert. Sehr wichtig“, sind einige<br />

Aussagen dazu. Die eingangs erwähnte These der Frauengesundheitsforschung, die<br />

<strong>be</strong>sagt, dass Erwerbsar<strong>be</strong>it einen hohen Stellenwert <strong>be</strong>züglich der sozialen<br />

Integration einerseits und der Selbstwertsteigerung andererseits hat, wird <strong>be</strong>stätigt.<br />

Durch die Ar<strong>be</strong>it verändern sich Selbstbild und Selbstwertgefühl, wo<strong>be</strong>i in vielen<br />

Aussagen der „Wert“ für die Gesellschaft Erwähnung findet: „Man wird vollwertiger<br />

durch die Ar<strong>be</strong>it“ meint eine Studienteilnehmerin. Eine andere sagt in diesem<br />

Zusammenhang: „In der Gesellschaft zu stehen [...]. Einfach eine Aufga<strong>be</strong> zu ha<strong>be</strong>n,<br />

Verantwortung zu ha<strong>be</strong>n. Das ist einfach das Wesentlichste.“ Ein weiteres Beispiel:<br />

„Ich [...] fühle mich <strong>be</strong>sser als Mensch. Wertvoller. Also als, doch als wieder<br />

sinnvolleres Mitglied der Gesellschaft.“ Eine andere Frau <strong>be</strong>zeichnet die Ar<strong>be</strong>it als<br />

„Anker“, der ihr aus einer Zeit in der sie „ein Häufchen Elend“ war und „keine<br />

Perspektive“ hatte, geholfen hat. Sie meint Ar<strong>be</strong>it, „das ist so meine Ressource.“ In<br />

diesem Zusammenhang kommt auch dem finanziellen Aspekt eine wesentliche<br />

Bedeutung zu: „Geld-Verdienen“ sorgt für (finanzielle) Unabhängigkeit und steigert<br />

das Selbst<strong>be</strong>wusstsein: „[Ar<strong>be</strong>it ist wichtig] weil man sel<strong>be</strong>r Geld hat bzw. Geld<br />

verdient, worauf man stolz sein kann.“ Diese Aussagen zeigen, welch große<br />

Bedeutung Ar<strong>be</strong>it für das Selbstbild und Selbst<strong>be</strong>wusstsein hat – gerade für Frauen<br />

mit Behinderung. Ar<strong>be</strong>it bringt gesellschaftliche Anerkennung, hebt das<br />

Selbst<strong>be</strong>wusstsein und trägt letztendlich zur Gesundheitsförderung <strong>be</strong>i. Für alle<br />

interviewten Frauen mit Behinderung ist Erwerbsar<strong>be</strong>it ein wichtiger Bestandteil ihres<br />

Le<strong>be</strong>ns.<br />

Wie durch Studien <strong>be</strong>legt sind Frauen mit Behinderung am Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

<strong>be</strong>nachteiligt. Dieser Tatsache sind sich die acht Frauen der Studie <strong>be</strong>wusst und<br />

daraus resultiert große Dankbarkeit, ü<strong>be</strong>rhaupt Ar<strong>be</strong>it gefunden zu ha<strong>be</strong>n. Nochmals<br />

zur Erinnerung die Aussage der Frau mit Seh<strong>be</strong>hinderung: „Also <strong>be</strong>sonders freut<br />

mich, dass ich ü<strong>be</strong>rhaupt einen Job ha<strong>be</strong>. Weil es gibt viele seh<strong>be</strong>hinderte oder<br />

blinde Menschen oder ü<strong>be</strong>rhaupt Behinderte, die ü<strong>be</strong>rhaupt keinen Job ha<strong>be</strong>n. Und<br />

121


es freut mich, dass ich trotzdem einen Job gefunden ha<strong>be</strong>.“ Auch in fol<strong>gender</strong><br />

Aussage wird diese Dankbarkeit deutlich: „[...] dass ich da ar<strong>be</strong>iten kann und darf.“<br />

Bei der Analyse der Interviews stellte sich für uns daher die Frage, ob hohe<br />

Zufriedenheit und selten geäußerte Kritik, nicht auf diese Dankbarkeitshaltung<br />

zurückzuführen sind. Ein Beispiel sind die schwierigen Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>dingungen, die eine<br />

Interviewpartnerin in der Anfangszeit auf sich nehmen musste: „Also ich bin so quasi<br />

für vier Stunden von der Wohnung ins Büro mit der Rettung gebracht worden und in<br />

diesen vier Stunden ha<strong>be</strong> ich nicht aufs WC dürfen [Pause] müssen dürfen.“ Trotz<br />

aller Widrigkeiten <strong>be</strong>tont sie, „für mich war damals a<strong>be</strong>r viel die größere Freude [...]<br />

einfach etwas tun zu dürfen.“<br />

Angesichts der Zufriedenheit mit der objektiv schlechten Einkommenssituation stellt<br />

sich in manchen Fällen die Frage ob dies nicht auf die genannte Dankbarkeitshaltung<br />

zurückzuführen ist. Bestätigt wird diese Ü<strong>be</strong>rlegung durch das Resümee jener Frau,<br />

die sich unzufrieden ü<strong>be</strong>r ihr Gehalt äußert, a<strong>be</strong>r abschließend meint: „A<strong>be</strong>r noch<br />

schlimmer wäre, keinen Ar<strong>be</strong>itsplatz zu ha<strong>be</strong>n [...].“Auch <strong>be</strong>i den vielen verneinenden<br />

Antworten <strong>be</strong>züglich Benachteiligung stellt sich die Frage, ob nicht aufgrund der<br />

Dankbarkeit für den Job Frauen mit Behinderung weniger kritisch sind bzw.<br />

Benachteiligungen <strong>be</strong>i Seite schie<strong>be</strong>n. Dieser „Verdacht“ kommt auch im Hinblick auf<br />

so manche Aussagen von Kolleginnen und LeiterInnen auf, die ein Gefühl von<br />

Benachteiligung gerechtfertigt erscheinen lassen. Als Beispiel soll eine Frau dienen,<br />

die eine Benachteiligung verneint, a<strong>be</strong>r in anderen Zusammenhang von<br />

Schwierigkeiten im Team spricht, und die im Nachsatz feststellt: „A<strong>be</strong>r wissen’s, so<br />

schlimm war’s dann auch nicht. Ja. [Pause] Es geht dann schon. [Pause] Ja. [kurzes<br />

Lachen].“ Auch einige Aussage zur Teamsituation, die als positiv <strong>be</strong>urteilt wird, wie<br />

„Jetzt geht’s eh. [Pause] Ja“, lassen Uneingestandenes oder Unausgesprochenes<br />

vermuten.<br />

Dankbarkeit für den Ar<strong>be</strong>itsplatz wird von einer Führungskraft und einer Kollegin<br />

„eingefordert“: „Also, du musst, sie hat das damals so formuliert, du musst auch den<br />

Wert sehen, dass du ü<strong>be</strong>rhaupt den Ar<strong>be</strong>itsplatz hast, weil es könnte auch jemand<br />

ohne Handicap da sitzen.“ - „[...] sie hat einen Ar<strong>be</strong>itsplatz, sie soll froh sein, dass<br />

122


sie, dass sie... Nicht froh sein, sie soll schauen, dass sie da blei<strong>be</strong>n kann, weil es ist<br />

schön, wenn man einen Ar<strong>be</strong>itsplatz hat heute, ha<strong>be</strong> ich gesagt.“<br />

Gesellschaftlicher Auftrag sollte sein, dass für Frauen mit Behinderung eine<br />

„Normalität“ geschaffen wird, in der sie nicht dankbar sein müssen, sondern ihre<br />

Bedürfnisse selbstverständlich Beachtung finden und sie ihr Recht auf Berufstätigkeit<br />

als gesellschaftliche Teilha<strong>be</strong> umsetzen können. Hier ist ein Lernprozess notwendig<br />

wie eine Aussage einer Interviewpartnerin zeigt: „Also ich ha<strong>be</strong> einfach gelernt, das<br />

klar auszudrücken, früher ha<strong>be</strong> ich mir gar nicht getraut zu sagen, ich bin nicht<br />

zufrieden.“ Im Sinne der Förderung von Frauen mit Behinderung ist es daher<br />

notwendig, die Frauen zu stärken, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu artikulieren.<br />

Wichtige Ressourcen für Frauen mit Behinderung sind am Ar<strong>be</strong>itplatz KollegInnen:<br />

Eine Frau erwähnt lo<strong>be</strong>nd die Unterstützung der KollegInnen <strong>be</strong>i der Bewältigung<br />

von Schwierigkeiten: „A<strong>be</strong>r mit Hilfe von den Kollegen geht das oft ganz rasch oder<br />

ohne Probleme.“ Die Bibliothekarin, die das Stapeln von Büchern als Schwierigkeit in<br />

ihrer Ar<strong>be</strong>it anführt meint: „A<strong>be</strong>r da ha<strong>be</strong> ich meistens jemanden, der mir hilft.“ Jene<br />

Frau, die für fünf Minuten Assistenzleistung nicht die Begleiterin 15 km anreisen<br />

lassen möchte, <strong>be</strong>kommt <strong>be</strong>im Toilettengang von ihren KollegInnen Unterstützung.<br />

Im Privat<strong>be</strong>reich finden die meisten Frauen mit Behinderung stärkenden Rückhalt in<br />

ihren Familien, die für sie eine wesentliche Rolle spielen.<br />

Auffällig war die pragmatische Haltung der Interviewpartnerinnen, die sich in<br />

mehreren Zusammenhängen zeigte. Beispiel <strong>be</strong>i der Berufswahl: Vielen Frauen mit<br />

Behinderung machten sich <strong>be</strong>reits als Jugendliche klar, dass sie aufgrund ihrer<br />

Behinderung ihren Traum<strong>be</strong>ruf nicht verwirklichen können. Hier stellt sich die Frage,<br />

ob die Behinderung der Frau den Berufswunsch verunmöglichte oder die<br />

gesellschaftlichen Bedingungen des Umgang mit der Behinderung: So fragt man<br />

sich, weshalb sollte eine blinde Frau nicht mit Kindern ar<strong>be</strong>iten können? Eine Frau<br />

meinte zum Thema Berufswahl: „[...] den Traumjob, den gibt es eh nicht, der unsere<br />

Bedürfnisse abdeckt, was wir alles gerne täten in unserem Le<strong>be</strong>n.“ Pragmatismus<br />

zeigt sich auch in den Tipps für Frauen mit Behinderung, wo ein Ratschlag lautet:<br />

„Man kann nicht sagen, ja also das nehme ich jetzt nicht und vielleicht kommt ja noch<br />

was Besseres. Man muss wirklich die Chance am Schopfe packen und das Beste<br />

123


daraus machen. Es bleibt nichts anderes.“ [...] Weil es ist ein Irrsinn zu glau<strong>be</strong>n als<br />

Behinderter, wo es in der Steiermark ü<strong>be</strong>rhaupt so schwer ist, was zu kriegen, dass<br />

du dann... dass du dir das dann auch noch aussuchen kannst.“ Oder eine Aussage<br />

zum Thema Mutterschaft: „[...] daher ich keine Kinder ha<strong>be</strong>n kann, ist das halt für<br />

mich kein Ziel. Und andere würde es vielleicht schlimm treffen, a<strong>be</strong>r ich ha<strong>be</strong> mich<br />

schon von Jugend an damit abgefunden gehabt.“<br />

Bezüglich Berufswahl ist auffällig, dass alle Frauen in mehr oder minder traditionellen<br />

Frauen<strong>be</strong>rufen ar<strong>be</strong>iten. Gerade für Frauen mit körperlichen Einschränkungen<br />

scheint Büroar<strong>be</strong>it eine der wenigen <strong>be</strong>ruflichen Perspektiven zu sein. Eine Frau mit<br />

Körper<strong>be</strong>hinderung <strong>be</strong>schreibt ihren Weg zu ihrem jetzigen Beruf fol<strong>gender</strong>maßen<br />

„[...] also für mich war einfach dann so [Pause], was kann ich noch tun? [...] Und<br />

[Pause] vor allem, wo finde ich das? Also, wenn dann kommt für mich eine<br />

Bürotätigkeit in Frage.“ Hier sollte ü<strong>be</strong>rlegt werden, ob nicht differenzierte<br />

Berufsorientierung für Frauen mit Behinderung nicht mehr Möglichkeiten eröffnen<br />

könnte.<br />

Handlungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht darin, die Frauen mit Behinderung aus ihrer „Bittstellerrolle“<br />

zu <strong>be</strong>freien. Denn um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen ist für viele schwer und<br />

es entspricht auch nicht den Menschenrechten. „[...] Ich bin auch so, dass ich wirklich<br />

nur in Notfällen um etwas bitte“, meint eine Frau mit körperlicher Einschränkung. In<br />

diesen Aussagen schwingen wohl negative Erfahrungen mit, die diese Frau gemacht<br />

hat und immer noch macht. Eine Gesprächspartnerin, der es sehr schwer fällt, um<br />

Hilfe zu bitten, sieht dies jedoch als Fehler ihrer Seite – wo<strong>be</strong>i man hier anzumerken<br />

ist, dass sie in einem aufgeschlossenen Betrieb ar<strong>be</strong>itet, in dem es für alle<br />

selbstverständlich ist, ihr die notwendige Hilfe zukommen zu lassen: „Also das ist<br />

zwar mein eigenes Problem, a<strong>be</strong>r das ist eine große Schwäche von mir.“ Zum einen<br />

zeigt diese Aussage, wie sehr die Situation als Bittstellerin das Selbstwertgefühl<br />

<strong>be</strong>einträchtigt, zum anderen ist <strong>be</strong>zeichnend, dass dies als eigenes Versagen<br />

gewertet wird und nicht als Problem einer Umwelt, die nicht barrierefrei gestaltet ist<br />

und die notwendige Unterstützung bietet. Auf den ersten Blick scheint das Problem<br />

des Hilfe-Annehmens Frauen mit körperlicher Einschränkung stärker zu <strong>be</strong>treffen,<br />

vielleicht auch, weil sie auf mehr (offensichtliche) Barrieren stoßen. A<strong>be</strong>r auch für<br />

eine Frau mit Lernschwierigkeiten ist das Angewiesen-Sein auf Hilfe schwierig, wie<br />

124


fol<strong>gender</strong> Satz zeigt: „Ich meine, früher ha<strong>be</strong> ich mir immer gedacht, dass ich es<br />

ohne [...] fremde Hilfe schaffe, a<strong>be</strong>r [kurzes Lachen] ich bin halt nicht so wie die<br />

anderen.“<br />

Die Aussage einer Frau, die Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz und für eine Ausbildung in<br />

Anspruch nimmt, zeigt einen Weg, wie die Situation von Frauen mit Behinderung<br />

ver<strong>be</strong>ssert werden könnte: „Auch so diese persönliche Assistenz am Ar<strong>be</strong>itsplatz,<br />

persönliche Assistenz <strong>be</strong>i der Ausbildung. [...] Ich bin so dankbar, ich bin wirklich so<br />

dankbar. Also ich muss wirklich ehrlich sagen, das ist für mich, wo ich mir denke, das<br />

ist wirklich wie Schlaraffenland. [...] Auf einmal [sind] Dinge für mich machbar, wo ich<br />

mir vorher gedacht ha<strong>be</strong>, wie organisiere ich mir das? Ich meine, ich ha<strong>be</strong> sie mir<br />

zwar, war so mühsam, das ist jetzt einfach einfacher. Und man ist jetzt nicht mehr so<br />

der Bittsteller, [...] weil ich einfach sagen kann, ja ich kann jetzt diese Leistung<br />

entgelten. Das ist einmal total, das macht einen nicht so klein.“ Ein erweitertes<br />

Angebot an Unterstützungen könnte die Frauen mit Behinderung von Bittstellern zu<br />

Dienstleistungsempfängerinnen machen und somit ihr Selbst<strong>be</strong>wusstsein stärken.<br />

Dass drei von acht Frauen mit Behinderung das Thema Mobbing als Befürchtung<br />

anführen weist auf ein mögliches Problem hin: Die Aussagen in den Interviews<br />

lassen vermuten, dass Mobbing gegen Frauen mit Behinderung häufig stattfindet.<br />

Viele der Interviewpartnerinnen thematisieren in den Gesprächen nicht immer eigene<br />

Erfahrungen, wussten a<strong>be</strong>r von Mobbing zu <strong>be</strong>richten, das Bekannte und<br />

FreundInnen mit Behinderung erfahren ha<strong>be</strong>n. Andere fürchten, dass, wenn sie in<br />

einen anderen Betrieb wechseln müssten, Mobbing ausgesetzt sein könnten. Dem<br />

könnten Maßnahmen zur Stärkung der Frauen mit Behinderung sowie<br />

Aufklärungsar<strong>be</strong>it in Betrie<strong>be</strong>n entgegenwirken.<br />

Ein weiterer Bereich, in dem Handlungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht, <strong>be</strong>trifft die<br />

Selbstü<strong>be</strong>rforderung von Frauen mit Behinderung. Es scheint so, dass gerade<br />

Frauen mit Handicap dazu neigen, mehr leisten zu wollen als in ihrer Kraft liegt. Sie<br />

wollen – und müssen wohl auch – <strong>be</strong>weisen, dass sie mithalten können, dass sie<br />

leistungsfähig sind, ein Problem, das auch von Kolleginnen (siehe „Interpretation“)<br />

und LeiterInnen (siehe „Interpretation“) gesehen wurde. Die Stärkung der Frauen<br />

könnte dazu <strong>be</strong>itragen, ihnen ihr Gefühl, sich ständig <strong>be</strong>währen zu müssen, deutlich<br />

125


zu machen und Alternativen zu finden. Darü<strong>be</strong>r hinaus ist es sicherlich notwendig,<br />

das gesellschaftliche Bild zu verändern, das von einer generell verringerten<br />

Leistungsfähigkeit von Frauen und Männern mit Behinderung ausgeht und sie in die<br />

„Zwangslage“ bringt, mehr leisten zu müssen als andere, um anerkannt zu sein.<br />

Abschließend noch zum <strong>gender</strong> - Aspekt: Die Frauen mit Behinderung sprechen<br />

häufig von „Behinderten“ und differenzieren selten zwischen Frauen und Männern mit<br />

Behinderung. Weibliche „Behinderte“ werden unter die männliche Form subsumiert.<br />

Einige Beispiele: „Weil es gibt viele seh<strong>be</strong>hinderte oder blinde Menschen oder<br />

ü<strong>be</strong>rhaupt Behinderte, die ü<strong>be</strong>rhaupt keinen Job ha<strong>be</strong>n.“ - „Ich meine, sie müssen<br />

sowieso zahlen, wenn sie keinen Behinderten aufnehmen“ – „Und ich glau<strong>be</strong>, das ist<br />

ü<strong>be</strong>rhaupt das Wichtigste für Behinderte, dass sie was zu tun ha<strong>be</strong>n.“ – „Und das ist,<br />

man kann das, man kann das jedem Behinderten nur wünschen, wirklich.“ –<br />

„Natürlich ist es als Behinderter sehr schwer, ü<strong>be</strong>rhaupt eine Beziehung zu ha<strong>be</strong>n.“ -<br />

„Dass sie nicht die Augen zu machen und sagen, oh nein ein Behinderter [....]“<br />

Auch wenn die Frauen ü<strong>be</strong>r sich selbst sprechen, verwenden sie die männliche<br />

Form: „Weil als Behinderter bist du automatisch alleine.“ - „Ich bin kein <strong>be</strong>günstigter<br />

Behinderter.“<br />

In manchen Aussagen findet man auch die weibliche Form: „Und, ich meine, man<br />

muss dazu sagen, ich bin eine ehrgeizige Person, und [...] ah, ich ha<strong>be</strong> mir gestern<br />

eigentlich so ü<strong>be</strong>rlegt, wenn das jetzt als Beispiel genommen wird für andere<br />

<strong>be</strong>hinderte Frauen, also mein Maßstab ist sehr hoch.“ - „[...] da sage ich einmal ha<strong>be</strong><br />

ich als Behinderte wie in einer goldene Kugel [...] ist ein angenehmes Umfeld.“<br />

126


4.6.5.2.2 Interviews mit Kolleginnen<br />

Auswertung<br />

In den KollegInneninterviews wurden folgende Punkte angesprochen: Gemeinsame<br />

Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>reiche mit der Frau mit Behinderung, <strong>be</strong>triebliche Vor<strong>be</strong>reitung auf die<br />

Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung, persönliche Erwartungen und Befürchtungen,<br />

Veränderungen durch den Eintritt der Frau mit Behinderung, Wünsche für die weitere<br />

Zusammenar<strong>be</strong>it und Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt.<br />

Ar<strong>be</strong>it<br />

Die Kolleginnen wurden gefragt, in welchen Bereichen sie mit der Frau mit<br />

Behinderung zusammenar<strong>be</strong>iten, wie die Ar<strong>be</strong>it aufgeteilt ist und wie zufrieden sie<br />

mit dieser Aufteilung sind.<br />

In den meisten <strong>be</strong>suchten Unternehmen hat jede/r Mitar<strong>be</strong>iterIn zum Teil Bereiche,<br />

die eigenverantwortlich <strong>be</strong>ar<strong>be</strong>itet wurden: „Jeder hat in der Abteilung irgendwie sein<br />

eigenes Ding. A<strong>be</strong>r man ar<strong>be</strong>itet schon zusammen.“ Aufgrund von<br />

Ü<strong>be</strong>rschneidungen von Kompetenz<strong>be</strong>reichen ist eine fachliche Zusammenar<strong>be</strong>it<br />

zwischen den Frauen mit Behinderung und der Kollegin großteils gege<strong>be</strong>n. In<br />

manchen Fällen handelt es sich um ein „ständiges Zusammenar<strong>be</strong>iten“, in anderen<br />

Fällen ist die Gemeinsamkeit auf „organisatorische Sachen“, „Rücksprachen“ und<br />

Fragen <strong>be</strong>schränkt. In einem Fall nennt eine Kollegin ne<strong>be</strong>n den morgendlichen<br />

Besprechungen ihre Kontrollfunktion als Teil der Zusammenar<strong>be</strong>it.<br />

Alle acht Kolleginnen äußern sich zufrieden ü<strong>be</strong>r die Ar<strong>be</strong>itsaufteilung zwischen ihr<br />

und der Frau mit Behinderung.<br />

127


Vor<strong>be</strong>reitung<br />

Dem Thema Vor<strong>be</strong>reitung wurde breiter Raum gege<strong>be</strong>n: Es wurde nach der<br />

Vor<strong>be</strong>reitung durch den Betrieb, der persönlichen Vor<strong>be</strong>reitung, der Zufriedenheit<br />

damit und dies<strong>be</strong>züglichen Veränderungsvorschlägen gefragt.<br />

In allen acht Betrie<strong>be</strong>n gab es keine spezielle Vor<strong>be</strong>reitung der Mitar<strong>be</strong>iterInnen -<br />

„[...] es hat nur geheißen, ja, es kommt jemand zu uns in den Betrieb, <strong>be</strong>hindert [...].“<br />

In zwei Fällen <strong>be</strong>stand schon vor dem Eintritt eine persönliche Bekanntschaft: „[...]<br />

Ich ha<strong>be</strong> die Frau K. eigentlich früher auch schon gekannt, also das war dann nichts<br />

Aufregendes. Und für mich ist sie kein Mensch mit einer Behinderung.“ Im anderen<br />

Fall vertiefte sich durch die gemeinsame Ar<strong>be</strong>it die Bekanntschaft: „Weil sich einfach<br />

auch eine freundschaftliche Bande geknüpft hat.“<br />

Eine Kollegin meint zum Thema Vor<strong>be</strong>reitung: „Also es hat nicht wirklich viel<br />

Vor<strong>be</strong>reitung gebraucht, weil wir mit der richtigen Einstellung in den Betrieb<br />

gekommen sind.“ Es handelt sich hier<strong>be</strong>i um einen Verein, der im<br />

Behinderten<strong>be</strong>reich tätig ist und deren Mitar<strong>be</strong>iterInnen daher im Umgang mit<br />

Personen mit Behinderung geschult sind. Die Kollegin hält Vor<strong>be</strong>reitung jedoch<br />

allgemein für wichtig: „Etwas anderes wäre, wenn man in einem Betrieb ist und man<br />

dann sozusagen urplötzlich mit einem Kollegen konfrontiert wird, der eine<br />

Behinderung hat und man irgendwo nicht un<strong>be</strong>dingt einen positiven Zugang hat.“<br />

Fallweise wurden Gespräche mit den Mitar<strong>be</strong>iterinnen geführt; meist war die<br />

Einführung eher informell: „Wir müssen ihr immer [die Ar<strong>be</strong>it] zeigen und [sie] halt<br />

immer mit laufen lassen. [...] Dass sie sieht, wie genau das gehört und wie das<br />

gemacht gehört.“ – „Ich weiß, dass die Chefin zu uns gesagt hat, wir kriegen ein Mädl<br />

herein [...] Und sie [...] hat uns vor<strong>be</strong>reitet darauf, da sie gesagt hat, was alles mit ihr<br />

los ist. Was das Problem <strong>be</strong>i ihr ist.“<br />

128


Manches Mal ließ man das Ganze auf sich zukommen: „Abgewartet. Wir ha<strong>be</strong>n<br />

abgewartet, dass sie kommt. Und dass wir sagen, ja gut, wir werden das Beste<br />

daraus machen.<br />

Bis auf eine Kollegin zeigen sich alle mit der Art der Vor<strong>be</strong>reitung zufrieden: „Ich<br />

meine, muss echt sagen, also ich wüsste keinen, den das gestört hat. […] Also jeder,<br />

hat sie eigentlich mit offenen Armen empfangen.“ In einem Fall meint die Kollegin:<br />

„[...] einerseits sind wir schon irgendwie ins kalte Wasser hinein geworfen worden,<br />

a<strong>be</strong>r andererseits ist das irgendwie Voraussetzung gewesen.“<br />

Die Kolleginnen wurden nach ihrer persönlichen Vor<strong>be</strong>reitung gefragt und in<br />

manchen Fällen schien diese Frage Verwirrung auszulösen: „Persönlich? Also für<br />

mich war da ü<strong>be</strong>rhaupt kein Problem, also, ich muss sagen, [...] wenn ich jetzt so<br />

zurück denke, ich wüsste jetzt gar nicht, was ich genau jetzt gedacht ha<strong>be</strong>. [...] Ich<br />

weiß gar nicht, ob ich mir ü<strong>be</strong>rhaupt Gedanken gemacht ha<strong>be</strong>.“ Eine Kollegin, die<br />

<strong>be</strong>reits lange Zeit im Sozial<strong>be</strong>reich tätig ist und dadurch mit Frauen und Männern mit<br />

verschiedenen Arten von Behinderung Erfahrung hat, <strong>be</strong>reitete sich in <strong>be</strong>stimmter<br />

Weise vor: „Na ja, die persönliche Vor<strong>be</strong>reitung ist das, dass ich mir e<strong>be</strong>n aus dem<br />

Akt herausgeschaut ha<strong>be</strong> [...] welche Diagnose [...] da [ist]. Und [ich] mein Wissen<br />

[vertieft ha<strong>be</strong>].“ Es war für sie wichtig zu wissen, „wo liegen die Bereiche, wo ich<br />

sagen kann, okay, das müssen wir gemeinsam klären oder da muss e<strong>be</strong>n der<br />

Fachmann […] mir sagen, das ist in dem Bereich nicht mehr möglich.“<br />

Die Kolleginnen hätten in puncto Vor<strong>be</strong>reitung nichts anders gemacht bzw. äußern<br />

keine Wünsche. Eine Kollegin meine: „[Ich] kann nicht sagen, dass du irgendwie<br />

etwas anders machen kannst. Weil die M. [Anm. = Chefin] hat sel<strong>be</strong>r nicht genau<br />

gewusst, was los ist, nicht.“<br />

Erwartungen und Befürchtungen vor Ar<strong>be</strong>itseintritt der Frau mit Behinderung<br />

Vier der Gesprächspartnerinnen hatten keine konkreten Erwartungen an die Kollegin<br />

mit Behinderung. Gab es Erwartungen, so waren diese recht unterschiedlich: „[Dass<br />

sie] probiert, das so gut zu machen wie sie kann.“ und „Dass sie e<strong>be</strong>n die Ar<strong>be</strong>it<br />

129


gerne macht, dass sie es versteht“, war die Erwartung an eine Frau mit<br />

Lernschwierigkeiten. „Dass sie mich auch fragen kommt. Und wenn es 30 Mal die<br />

gleiche Frage ist“, wünschte sich die Kollegin. „Das hat sie leider weniger gemacht.“<br />

<strong>be</strong>dauert sie. Eine ganz andere E<strong>be</strong>ne wird hier angesprochen: „Dass sie sich wohl<br />

fühlt. Dass sie zu den Leuten Vertrauen fasst.“ Auch eine andere Kollegin<br />

thematisiert die zwischenmenschliche E<strong>be</strong>ne: Sie wünschte sich Offenheit, dass<br />

<strong>be</strong>ide Seiten „Vertrauen aufbauen“ und dass auch Probleme angesprochen werden<br />

können. Sie zog ein positives Resümee: „Also von meine Warte aus ha<strong>be</strong> ich das<br />

Gefühl, dass sie kommt, wenn ihr was nicht passt und ich auch relativ gut mitkriege,<br />

was läuft. […] Die [Erwartungen] ha<strong>be</strong>n sich sehr gut erfüllt, ja.“ Eine Frau hatte<br />

sofort einen sehr positiven Eindruck von der künftigen Kollegin: „Ich ha<strong>be</strong> gleich<br />

gewusst, sie ist ein kluges Köpfchen, rein einschätzungsmäßig.“ Diese Einschätzung<br />

hat sich für sie <strong>be</strong>stätigt: „[...] die Erwartungen [sind] eingetroffen, wenn nicht sogar<br />

ü<strong>be</strong>rhöht, im positiven Sinne.“<br />

In einem Fall <strong>be</strong>gegnete man der Kollegin mit „großer Erwartung“: „Und wir ha<strong>be</strong>n<br />

gedacht, wenn die so eine Schulung macht […] da wird schon einiges gehen.“ Die<br />

Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. Man glaubte, sie könne von Beginn an voll<br />

mitar<strong>be</strong>iten, a<strong>be</strong>r „da hat man am Anfang Schritt für Schritt alles genau erklären<br />

[müssen].“ Die Kollegin meint weiter: „Ich glau<strong>be</strong>, wir müssen sel<strong>be</strong>r auch lernen,<br />

dass wir verstehen, dass das keine 100 Prozent sind. [...] Und wir müssen auch mit<br />

dem lernen umzugehen. Das können wir noch nicht momentan. [...] Das dauert.“ Sie<br />

meint, dass sie ihre Erwartungen <strong>be</strong>reits zurückgesteckt hat, weil „ich sehe es jetzt,<br />

was eine Behinderung ist.“<br />

Drei Frauen hatten keine Befürchtungen <strong>be</strong>züglich der Kollegin mit Behinderung. Bei<br />

zwei Frauen mit Körper<strong>be</strong>hinderung und der Frau mit Seh<strong>be</strong>hinderung wurden<br />

Bedenken <strong>be</strong>züglich der körperlichen Belastbarkeit geäußert: „Dass sie es […]<br />

körperlich nicht schafft. Weil sie am Anfang sehr schnell erschöpft war.“ - „Und sie ist<br />

halt natürlich leider ein bisschen anfälliger und auch etwas kranker.“ - „Ja, <strong>be</strong>i<br />

gewissen Sachen ha<strong>be</strong> ich mir schon gedacht, wenn das vermehrt auftritt, ob das<br />

körperlich gut für sie ist?“ Eine Frau hatte Befürchtungen, dass sich die Kollegin<br />

durch ihre Schuld verletzen könnte: „Weil sie doch ein zerbrechlicher Mensch ist.“<br />

Diesen Problemen <strong>be</strong>gegnet man, indem körperlich anstrengende Ar<strong>be</strong>iten von<br />

130


anderen KollegInnen ü<strong>be</strong>rnommen werden bzw. indem man den Ar<strong>be</strong>itsplatz so<br />

anpasste, dass Belastungen vermieden werden können. In einem Fall erwiesen sich<br />

„die Stimmungsschwankungen“ der neuen Mitar<strong>be</strong>iterin als Problem. Die Probleme<br />

<strong>be</strong>sserten sich „und jetzt mittlerweile geht es eh wieder.“ Anerkennend erwähnt die<br />

Kollegin das Bemühen der Frau mit Behinderung: „Sie probiert es wirklich so gut sie<br />

kann zu meistern.“<br />

Eine Kollegin <strong>be</strong>fürchtete anfangs Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen<br />

Bereich: „[…] dass wir sozusagen vom Menschlichen her nicht […] zusammen<br />

kommen könnten.“ Und sie hatte Sorge, dass die Frau mit Behinderung „sich nicht<br />

wehren [würde] […] oder gewisse Bereiche sie ü<strong>be</strong>rfordern.“ Sie stellt abschließend<br />

fest: „Das waren die Ängste, die sich a<strong>be</strong>r in den ersten Gesprächen geklärt ha<strong>be</strong>n.<br />

Wir kommen recht gut zusammen.“<br />

Veränderungen durch den Eintritt der Kollegin mit Behinderung<br />

Die Frage nach Veränderungen durch den Eintritt einer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />

wurde global gestellt und wie erwartet unterschiedlich interpretiert. Die meisten<br />

Antworten <strong>be</strong>ziehen sich auf die Teamsituation. „Also es ist schon auch ein bisschen<br />

ein Aufschwung auch herein gekommen, sicher. E<strong>be</strong>n weil sie ein bisschen eine<br />

Reschere ist.“ In einem anderen Unternehmen waren die Veränderungen weniger<br />

positiv: „Wir sind so eine kleine Clique gewesen. [...] Man ist [...] <strong>be</strong>im Reden ein<br />

bisschen vorsichtiger geworden.“ Erst allmählich fasst man Vertrauen: „[...] Jetzt das<br />

letzte hal<strong>be</strong> Jahr [...] ist sie schon – es wird immer mehr, immer mehr wird sie<br />

integriert.“ (Die Frau ist seit mehr als zwei Jahren im Betrieb.)<br />

Auch im Denken der Mitar<strong>be</strong>iterInnen ändert sich einiges. Für alle Beteiligten war der<br />

Eintritt der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung ein Lernprozess: „A<strong>be</strong>r ich sehe es als sehr<br />

positiv, weil man irgendwo lernt. [...] Und das gefällt mir eigentlich sehr gut [...] an<br />

unserer Ar<strong>be</strong>itsstätte, dass alle <strong>be</strong>reit sind, irgendwie miteinander da weiter zu gehen<br />

und zu lernen.“ Eine andere Kollegin meint, dass sich „für einen Teil der<br />

Bediensteten sicher das [geändert hat], dass e<strong>be</strong>n gewisse Behinderungen nicht<br />

un<strong>be</strong>dingt ar<strong>be</strong>itseinschränkend sein müssen, dass es eine Bereicherung sein kann.“<br />

131


Sie thematisiert im Weiteren eine Haltung, mit denen Frauen und Männer mit<br />

Behinderung in der Ar<strong>be</strong>itswelt wohl immer wieder konfrontiert sind: „Entweder du<br />

bist <strong>be</strong>hindert, dann hast also wie ein kleines Kind zu folgen und zu funktionieren in<br />

dem Bereich. Oder du bist gesund und dann mache das, was man dir aufträgt. Dass<br />

a<strong>be</strong>r dazwischen der Spielraum e<strong>be</strong>n ist, ein Behinderter ist kein kleines Kind,<br />

sondern er hat nur Defizite in <strong>be</strong>stimmten Bereichen und andererseits [ist] er nicht<br />

<strong>be</strong>lastbar in allen Bereichen - und die Bereiche muss ich einfach akzeptieren lernen.“<br />

– das <strong>be</strong>reitet manchen Mitar<strong>be</strong>iterInnen Probleme, <strong>be</strong>richtete die Kollegin aus ihrer<br />

langen Erfahrung.<br />

Der Faktor Zeit wird in den Interviews mehrmals angesprochen: - „Ich meine, es ist<br />

sicher so, dass man die Zeit ein bisschen anders <strong>be</strong>werten muss. Weil einfach [sie]<br />

durch ihre Beeinträchtigung sicher für das eine oder andere einfach ein bisschen<br />

mehr Zeit braucht.“<br />

Andere Antworten zum Thema Veränderungen <strong>be</strong>ziehen sich auf die Ar<strong>be</strong>it: „[Sie<br />

hat] den Chef und mich schon sehr entlastet.“ oder „Sie [...] ist eine Erleichterung.“<br />

lauten die Äußerungen.<br />

Eine Kollegin meint, es ha<strong>be</strong> sich „gar nichts“ geändert. „Sie läuft mit wie eine<br />

normale Angestellte, wie jeder von uns. Außer dass man ein bisschen vorsichtiger<br />

reden muss mir ihr [...].“<br />

Andere Gesprächsparterinnen gehen von einer problemorientierten Sichtweise aus:<br />

„Wir ha<strong>be</strong>n da ü<strong>be</strong>rhaupt kein Problem.“ Auch andere Kolleginnen <strong>be</strong>tonen, „da gibt<br />

es keine Probleme.“<br />

Wünsche<br />

Gefragt nach den Wünschen für die weitere Zusammenar<strong>be</strong>it wird am häufigsten,<br />

„dass sie weiter <strong>be</strong>i und bleibt“ genannt, eine Antwort, in der sich die Zufriedenheit<br />

der Kolleginnen widerspiegelt. „Ich könnte mir [...] keine <strong>be</strong>ssere Kollegin wünschen.“<br />

132


„Dass sie zufrieden ist, vor allem; dass es ihr gefällt“, dieser erste spontane Satz<br />

zeugt vom Bemühen um die Kollegin mit Behinderung, das in diesem Interview (und<br />

auch in dem mit der Leitung) zu spüren war. Man ist <strong>be</strong>müht auf die Anliegen der<br />

Kollegin mit Behinderung einzugehen: „Ab und zu kommt sie schon her und meint,<br />

das und das passt nicht. Und dann schauen wir halt, dass wir das irgendwie<br />

ausbügeln können.“ Auch in anderen Betrie<strong>be</strong>n steht das Wohl der Frau mit<br />

Behinderung im Mittelpunkt: „Ja, dass das, was wir so angedacht ha<strong>be</strong>n in der<br />

letzten Zeit verwirklichen lässt. Dass sie einfach mehr und mehr in den [...]<br />

Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>reichen zuständig wird, wo [...] ihre Hauptqualifikationen liegen“, womit ein<br />

Wunsch der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap in Erfüllung ginge.<br />

Andere Wünsche sind: „[...] Der Wunsch ist wirklich das, dass [...] [sie] durchhält und<br />

wirklich immer wieder kommt und sagt, das und das hätte ich gerne als Hilfe oder<br />

das und das kann ich nicht verstehen [...]. Und umgekehrt, dass ich sie soweit<br />

schützen und [ihr] helfen kann, dass sie e<strong>be</strong>n wirklich ihre Freude <strong>be</strong>im Job <strong>be</strong>hält.“<br />

Einige Wünsche <strong>be</strong>ziehen sich auf die Ar<strong>be</strong>itssituation: „Dass sie e<strong>be</strong>n schneller<br />

wird. [...] Dass sie wirklich sich <strong>be</strong>mühen anfängt.“ Eine Kollegin wünscht sich mehr<br />

Kollegialität und Flexibilität. Sie kritisiert, dass „sie da ein bisschen auf ihre Krankheit<br />

ausspielt. Dass sie da irgendwas nützt.“ Sie führt ein konkretes Beispiel an, in dem<br />

die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung in Zeiten großer Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>lastung nicht <strong>be</strong>reit war,<br />

aus dem Krankenstand zur Ar<strong>be</strong>it zu kommen: „Und weil der Arzt gesagt hat, sie soll<br />

noch zu Hause blei<strong>be</strong>n, ist sie noch zu Hause geblie<strong>be</strong>n.“<br />

Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

Die Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge der Kolleginnen ähneln denen der Frauen mit<br />

Behinderung. Von der Gesellschaft und den Unternehmen im Speziellen wird mehr<br />

Offenheit gefordert: „Dass wir einfach halt alle offen [einem anderen] gegenü<strong>be</strong>r<br />

treten.“<br />

Mögliche Gründe für die schwierige Lage von Frauen und Männern mit Behinderung<br />

werden in den Antworten thematisiert: „Ich glau<strong>be</strong> einmal, dass viele Unternehmen<br />

133


vielleicht Angst ha<strong>be</strong>n davor, so wen aufzunehmen.“ Speziell auf die Situation von<br />

Frauen und Männern mit psychischer Problematik <strong>be</strong>zogen führt die Kollegin die<br />

Angst darauf zurück: „[...] weil niemand da ist, der einem sagen kann, wo es lang<br />

geht.“ Daher erachtet sie „mehr Anlaufstellen, mehr Betreuungsstellen [...] und auch<br />

mehr Zugang zu Supervisionen, für Betroffene sel<strong>be</strong>r [a<strong>be</strong>r auch] im Team, [...]“<br />

sowie sie das Angebot von „Firmengesprächen“ oder „Seminaren“ für wichtig und<br />

hilfreich hält. Ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem, das Frauen und<br />

Männer mit Behinderung im Besonderen trifft, wird e<strong>be</strong>nfalls thematisiert: „A<strong>be</strong>r<br />

heutzutage wird sowieso auf das Auftreten, Aussehen [mehr] geachtet als [...] wer<br />

was kann.“<br />

Viele Kolleginnen fordern: „Man sollte denen genau so eine Chance ge<strong>be</strong>n, weil die<br />

ha<strong>be</strong>n oft mehr los wie ein Gesunder [...].“ Wo<strong>be</strong>i es nicht um „irgendeine“<br />

Beschäftigung gehen soll: „[...] sicher solltest du <strong>be</strong>hinderten Leuten auch eine<br />

Chance ge<strong>be</strong>n zum Ar<strong>be</strong>iten. A<strong>be</strong>r solche Tätigkeiten, [die] ihnen Spaß machen! [...]<br />

Dass sie sich auch entfalten können.“ Dieses „Chance-Ge<strong>be</strong>n“ dürfe keine Gnade<br />

sein, sondern es muss ins Bewusstsein der Gesellschaft vordringen, dass Frauen<br />

und Männer mit Behinderung „ein Recht [ha<strong>be</strong>n] genauso wie wir am Ar<strong>be</strong>itsle<strong>be</strong>n<br />

teilzunehmen.“<br />

Zu den Mitteln, wie diese Offenheit erreicht werden kann, meint eine Kollegin: „Das<br />

Wichtigste für mich in dem Zusammenhang ist Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung“,<br />

und vertritt damit die Meinung vieler anderer. In Betrie<strong>be</strong>n ist es wichtig, dass man<br />

„dementsprechend die Infrastruktur [...] schafft.“ Professionelle Unterstützung sollte<br />

Bestandteil des Integrationsprozesses sein: „Und auch, wenn es jetzt menschliche<br />

Komplikationen gibt, die dann dort am Schopfe packt und einfach so viele<br />

Gesprächsrunden wie auch immer, oder Supervisionen macht, dass einfach das<br />

Umfeld das wirklich annimmt.“ Wichtig ist einer Kollegin, dass die „Führungse<strong>be</strong>ne,<br />

einfach ganz klar dahinter steht, dass man einen Menschen mit Behinderung<br />

aufnimmt.“<br />

Ein sehr konkreter Vorschlag lautet, dass man Betrie<strong>be</strong>n „einmal eine Form von<br />

Selbsterfahrung zukommen lässt. [...] Wenn die [Anm. <strong>be</strong>zieht sich auf Personen, die<br />

an einer Selbsterfahrung teilgenommen ha<strong>be</strong>n] einmal sel<strong>be</strong>r erlebt ha<strong>be</strong>n, wie<br />

134


schwierig es ist, [...] mit einer Behinderung dassel<strong>be</strong> zu tun wie ohne Behinderung,<br />

dann verändert sich die Einstellung [...].“ Mit dieser Einsicht, „verändert sich das<br />

ganze Umfeld mit.“<br />

Ein mehrmals angesprochener Punkt ist die Ar<strong>be</strong>itsplatzgestaltung, wo<strong>be</strong>i dies in<br />

erster Linie Frauen und Männer mit Körper<strong>be</strong>hinderung <strong>be</strong>trifft: Ar<strong>be</strong>itsplätze müssen<br />

so gestaltet sein, „dass es so wenig wie möglich Behinderungen gibt für denjenigen,<br />

damit er wirklich gut ar<strong>be</strong>iten kann.“<br />

135


Interpretation<br />

Die Aussagen der Kolleginnen werden differenziert analysiert. Es wird versucht, feine<br />

Zwischentöne herzuhören und die „Aussage hinter der Aussage“ zu erkennen. Zum<br />

einen geht es darum, Ressourcen für die Mitar<strong>be</strong>iterinnen mit Behinderung a<strong>be</strong>r auch<br />

für die Kolleginnen zu erkennen. Andererseits ist es ein Anliegen, Bereiche, in denen<br />

Handlungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht, aufzuzeigen, um präventiv und unterstützend wirken zu<br />

können. Gerade die Aussagen der Ar<strong>be</strong>itskolleginnen von Frauen mit Behinderung<br />

lassen erkennen, wo mögliche Problemfelder liegen und in welchen Bereichen<br />

Schwierigkeiten auftreten. A<strong>be</strong>r es scheint ein Tabu zu sein, ü<strong>be</strong>r Unsicherheiten<br />

oder Probleme, die im dem Umgang mit einer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />

auftreten können, offen zu sprechen. Eine Kollegin mit reicher Erfahrung im Umgang<br />

mit Frauen und Männern mit Behinderung formulierte das Problem fol<strong>gender</strong>maßen:<br />

„Ich [sage] immer, die größten Fehler werden dort gemacht, dass [sie] stigmatisiert<br />

werden von Anfang. Und die zweiten Fehler sind die massiven Ängste und es will<br />

sich e<strong>be</strong>n keiner [mit der Behinderung] auseinandersetzen.“<br />

Generell ist die Haltung der Kolleginnen gegenü<strong>be</strong>r der Frau mit Behinderung<br />

wertschätzend. Dies <strong>be</strong>legen Aussagen wie: „Ich könnte mir, wie gesagt, keine<br />

<strong>be</strong>ssere Kollegin wünschen.“ – „A<strong>be</strong>r sie ist super, also ich kann nichts sagen“, oder<br />

„Weil sie ist [...] sicher ein Fall, den wir nicht so gerne herge<strong>be</strong>n täten sicher nicht,<br />

nein.“ - „Sie ist da und sie gehört zu uns dazu.“ – „[...] ich bin auch stolz, dass sie es<br />

so gut macht jetzt.“ In manchen Fällen sprechen die Kolleginnen von Freundschaft:<br />

„[Wir ha<strong>be</strong>n] eigentlich eine sehr intensive freundschaftliche Beziehung [...].“- „Weil<br />

sich einfach auch eine freundschaftliche Bande geknüpft hat.“ Wie <strong>be</strong>reits in der<br />

Auswertung zu sehen, ist man um das Wohl<strong>be</strong>finden der Frau mit Behinderung<br />

<strong>be</strong>müht und <strong>be</strong>rücksichtigt ihre Bedürfnisse. Hier ein weiteres Beispiel: „Also wenn<br />

man schon gemerkt hat, sie ist <strong>be</strong>drückt, ein jeder [hat gefragt] immer: [...] Was ist<br />

heute los? Willst du reden darü<strong>be</strong>r? [...] Und sobald wer gemerkt hat, sie hat<br />

irgendwas, ist man sofort darauf eingegangen und hat man mit ihr auch geredet ü<strong>be</strong>r<br />

das.“<br />

136


Die Ver<strong>be</strong>sserung der Ar<strong>be</strong>itssituation im Betrieb durch die Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />

Behinderung wird mehrmals anerkennend erwähnt: „[...] sie ist schon eine spürbare<br />

Entlastung.“ Eine Kollegin meint auf ihre persönliche Situation <strong>be</strong>zogen: „Und das<br />

war, sie war [zu Beginn] eine große Stütze und ist es heute noch. Und ohne sie wäre<br />

ich sicher nicht so weit gekommen.“ An den Frauen mit Behinderung wird weiters ihr<br />

Auftreten geschätzt. Sie werden immer wieder als <strong>be</strong>eindruckende Persönlichkeiten<br />

<strong>be</strong>schrie<strong>be</strong>n: „Weil sie so eine Persönlichkeit hat [...]. Sie ist wirklich toll.“ Wichtig ist<br />

der Lernprozess, der aufgrund einer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap stattfindet. Nicht<br />

zuletzt spiegelt sich die hohe Zufriedenheit in der häufigen Nennung des Wunsches,<br />

„dass sie bleibt“, wider.<br />

Obwohl <strong>be</strong>i der Konzeption der Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen Bewertungen von Seiten der<br />

Kollegin <strong>be</strong>wusst ausgeschlossen wurden – es werden keine Fragen dazu gestellt -<br />

fließen Beurteilungen in den Gesprächen mit ein. Die positiven Aussagen<br />

ü<strong>be</strong>rwiegen hier<strong>be</strong>i deutlich: „Es läuft super.“ - „Die [Mitar<strong>be</strong>iterin] ist für alles<br />

einsetzbar.“ – „Sie <strong>be</strong>müht sich, ich muss sagen, sie <strong>be</strong>müht sich total.“ In manchem<br />

Lob klingt jedoch ein leicht negativer Beigeschmack mit: „Sie ist im Großen und<br />

Ganzen sehr brav.“ – „Sie tut eh. Sie <strong>be</strong>müht sich eh.“<br />

Handlungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht im Bereich Vor<strong>be</strong>reitung: In keinem Unternehmen hat eine<br />

spezielle Vor<strong>be</strong>reitung auf die neue Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung stattgefunden.<br />

„Schlechte“ oder fehlende Vor<strong>be</strong>reitung kann zu Schwierigkeiten - gerade in der<br />

Startphase - und zu Konflikten führen. Beispielsweise stellt sich <strong>be</strong>i der Aussage „Es<br />

war sicher für uns auch nicht leicht. [...] Und für sie auch nicht leicht,“ die Frage, ob<br />

nicht durch intensive Vor<strong>be</strong>reitung und Begleitung in der Anfangsphase<br />

Schwierigkeiten hätten vermieden werden können. „Weil da ha<strong>be</strong>n wir wirklich am<br />

Anfang sehr viele Probleme gehabt.“ Dies auch, weil die Erwartungen in diesem Fall<br />

sehr hoch waren: „Und wir ha<strong>be</strong>n gedacht, wenn die so eine Schulung macht […] da<br />

wird schon einiges gehen.“ Die Erwartungen konnten jedoch nicht erfüllt werden. Die<br />

Probleme der Einstiegsphase <strong>be</strong>trafen a<strong>be</strong>r nicht nur die Ar<strong>be</strong>itse<strong>be</strong>ne, sondern<br />

auch die zwischenmenschliche E<strong>be</strong>ne – u. a. hätte sich eine Kollegin als ältere mehr<br />

„Respekt“ von der neuen, jungen Kollegin gewünscht. A<strong>be</strong>r auch trotz Vor<strong>be</strong>reitung<br />

kann es zu Problemen kommen. In einem Unternehmen wurden die Mitar<strong>be</strong>iterInnen<br />

durch ein Gespräch auf die Frau mit Handicap vor<strong>be</strong>reitet und dennoch kam es zu<br />

137


Schwierigkeiten: „Ich denke dass es ein Fehler vielleicht, a<strong>be</strong>r ein Problem von<br />

meiner Seite auch war, dass ich das ein bisschen unterschätzt ha<strong>be</strong>. Und dann erst<br />

mit der Ar<strong>be</strong>it, also die ersten zwei drei Wochen, darauf gekommen bin, was sie<br />

wirklich für ein Handicap hat.“ Möglicherweise kann eine spezielle Vor<strong>be</strong>reitung auch<br />

ü<strong>be</strong>r Unsicherheiten hinweghelfen, wie sie eine Kollegin formuliert. „Weil du e<strong>be</strong>n<br />

nicht weißt, wie sollst du mit so einem Menschen umgehen?“<br />

Ein Problemfeld, das von den Kolleginnen am häufigsten angesprochen wird, ist der<br />

Faktor Zeit (siehe auch Auswertung Unternehmen – „Erwartungen und<br />

Befürchtungen“). Manche Frauen hatten aufgrund ihrer Behinderung ein geringeres<br />

Ar<strong>be</strong>itstempo: „[...] Obwohl das früher auch schon ein Problem war, mit der<br />

Langsamkeit. [...] Das war echt oft ein Problem. Was es heute auch oft ist.“– „Das ist<br />

sicher ein Problem, also wir sind alle schnell. [...] Und dadurch entsteht oft für [sie] so<br />

der Eindruck, sie bringt die Leistung nicht oder wir hätten gerne jemanden anderen<br />

an ihrer Stelle [...].“<br />

Schwierigkeiten gibt es in manchen Fällen mit der Qualität der Ar<strong>be</strong>it. Für die<br />

Kolleginnen ist es <strong>be</strong>lastend, wenn für sie Mehrar<strong>be</strong>it entsteht bzw. mehr „Betreuung“<br />

der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap erforderlich ist (siehe auch Auswertung<br />

Unternehmen): „Weil das ist dann im Prinzip die doppelte Ar<strong>be</strong>it. Wenn du sie<br />

schickst und du weißt dann eh schon im Vornhinein, dass [es] nicht wirklich [...]<br />

hinhauen wird, dass du es dann eh sel<strong>be</strong>r später machen musst, nicht.“ - „[...] Wenn<br />

was Neues dazu kommt, dann musst du halt immer schauen, macht sie das jetzt<br />

richtig, macht sie das jetzt falsch [...].“ – Schwierig wird es für Kolleginnen vor allem<br />

dann, wenn „offizielle“ Einstufung und reale Leistung nicht ü<strong>be</strong>reinstimmen: „Ich<br />

glau<strong>be</strong>, das müssen wir sel<strong>be</strong>r auch lernen, dass wir verstehen, dass das keine 100<br />

Prozent sind, dass das e<strong>be</strong>n 70, 80 Prozent sind. Wir müssen uns mit den 70, 80<br />

Prozent <strong>be</strong>gnügen.“ - „Im Endeffekt leisten sie dann nicht wirklich diese 80 Prozent<br />

oder 40 Prozent, sondern davon nur einen Bruchteil. Und die Ar<strong>be</strong>it bleibt a<strong>be</strong>r an<br />

den andern hängen. [...] wo ich ihnen gar nicht die Schuld ge<strong>be</strong>.“ Dass eine solche<br />

Situation Konfliktpotential am Ar<strong>be</strong>itsplatz birgt, liegt auf der Hand.<br />

Wie <strong>be</strong>reits von den Frauen mit Behinderung und später auch von den Unternehmen<br />

wird das Thema Ü<strong>be</strong>rforderung angesprochen: „[Es liegt] einfach ein bisschen eine<br />

138


Gefahr drinnen, dass sie sich zu viel aufhalst,“ meint eine Kollegin mit konkretem<br />

Bezug auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap, eine andere meint allgemein: „[...] Es kann<br />

so mancher Rollstuhlfahrer die <strong>be</strong>ste Sekretärin sein und dreimal so viel machen, nur<br />

damit sie ihren Posten <strong>be</strong>hält [...].“ Diese Aussagen decken sich mit jenen der Frauen<br />

mit Behinderung und den Unternehmen, die <strong>be</strong>ide davon sprechen, dass Frauen und<br />

Männer mit Behinderung mehr leisten müssen, um anerkannt zu sein.<br />

Sensibilisierung und Aufklärung für Unternehmen und Mitar<strong>be</strong>iterInnen könnten hier<br />

für die Frauen und Männer mit Behinderung unterstützend wirken.<br />

Abschließend einige Anmerkungen zur Ausgangsthese, dass Frauen und Männer<br />

nicht in ihrer Geschlechtlichkeit wahrgenommen werden. Sie wird auch hier<br />

mehrmals <strong>be</strong>stätigt. „Der Mensch“ steht im Mittelpunkt der Aussagen und nicht die<br />

Frau: „Als erstes kommt sie als Mensch [...]“ - „Und für mich ist sie kein Mensch mit<br />

einer Behinderung.“ Formulierungen, die auch in den Gesprächen mit LeiterInnen<br />

mehrmals verwendet werden.<br />

Wird von Frauen und Männern mit Behinderung gesprochen, wird häufig von<br />

„Menschen“ oder „Behinderten“ gesprochen: „[...] Menschen mit den<br />

unterschiedlichen Behinderungen.“ – „Wir ha<strong>be</strong>n mit Menschen mit Behinderung ah,<br />

e<strong>be</strong>n zu tun.“ – „[...] Menschen mit den unterschiedlichen Behinderungen.“ – „In der<br />

Familie kommst trotzdem mit den Behinderten aller Altersstufen und Varianten [in<br />

Kontakt].“ Frauen werden wiederum in der männlichen Form „mitgemeint“. Dazu die<br />

Aussage einer Kollegin, die viel Erfahrung mit der Ar<strong>be</strong>itssituation von Frauen und<br />

Männern mit Behinderung hat: „[...] Ja der Behinderte kommt in die Telefonzentrale<br />

oder der Behinderte kommt in die Schreibstu<strong>be</strong> oder was, nicht. Es heißt nie, die<br />

Frau oder der Herr, sondern der Behinderte.“<br />

Wird konkret von der Frau mit Behinderung gesprochen, findet noch am ehesten die<br />

weibliche Form Verwendung: „[Wenn] eine Abteilung eine Behinderte kriegt [...]“ –<br />

„A<strong>be</strong>r für mich war sie eine Kollegin wie jede andere.“ – „Wir [sind]<br />

Abteilungskolleginnen.“ – „Sie ist einfach eine neue Mitar<strong>be</strong>iterin.“ - „Ich könnte mir,<br />

wie gesagt, keine <strong>be</strong>ssere Kollegin wünschen.“<br />

139


Daraus ist zu schließen, dass die interviewten <strong>be</strong>hinderten Frauen ihre<br />

Geschlechtlichkeit nicht als solches erkennen, sondern sie sich eher in einer<br />

gemeinsamen geschlechtsneutralen Kategorie mit Männern sehen.<br />

140


4.6.5.2.3 Interviews mit Leitung<br />

Auswertung<br />

Ziel der Unternehmen-Interviews war es, festzustellen, was ein Unternehmen<br />

motiviert, eine Frau mit Behinderung anzustellen und welche Vorteile daraus für den<br />

Betrieb erwachsen. Es wurde nach Unterstützungen, die von den Unternehmen in<br />

Anspruch genommen werden bzw. wurden, und der Zufriedenheit mit diesen<br />

Angeboten gefragt. Weiters wurden notwendige Anpassungen für die Frau mit<br />

Behinderung im Unternehmen angesprochen. Bezogen auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />

Handicap wurden - wie <strong>be</strong>i den Kolleginnen-Interviews - Erwartungen und<br />

Befürchtungen, Veränderungen im Betrieb und der Bereich Vor<strong>be</strong>reitung<br />

thematisiert. Auch die Unternehmen wurden um Vorschläge ge<strong>be</strong>ten, die die<br />

Situation am Ar<strong>be</strong>itsmarkt für Frauen und Männern mit Behinderung ver<strong>be</strong>ssern<br />

könnten.<br />

In der Interpretation werden gemäß dem ressourcenorientierten Ansatz die positiven<br />

Aspekte, die sich aus der Beschäftigung einer Frau mit Behinderung, analysiert.<br />

Dane<strong>be</strong>n werden auch Bereiche thematisiert, in denen Handlungs- und<br />

Veränderungs<strong>be</strong>darf <strong>be</strong>steht.<br />

Motivation<br />

Als Motivation, eine Frau mit Behinderung einzustellen, führen die Unternehmen<br />

häufig soziales Engagement an. Manches Mal wird dies direkt und allgemein<br />

formuliert „ die [...] hat ja generell auch einen sozialen Auftrag und das ist eigentlich<br />

der Grund, warum wir also auch immer wieder Behinderte einstellen,“ oder „[...] Die<br />

grundlegende Motivation war ein <strong>be</strong>stimmtes Bewusstsein im Haus, dass es sinnvoll<br />

ist, Menschen mit Behinderungen einzustellen [...].“ In anderen Fällen ist dies indirekt<br />

ersichtlich und z. B. durch persönlicher Sorge um die Mitar<strong>be</strong>iterin <strong>be</strong>gründet, die im<br />

Unternehmen eine Ausbildung absolviert hat: „[...] und ich gewusst ha<strong>be</strong>, wenn sie<br />

irgendwo in einen anderen Betrieb kommt, läuft das für sie nicht so, weil sie eine ist,<br />

die irrsinnig viel ar<strong>be</strong>itet [...] und ich immer Angst gehabt ha<strong>be</strong>, dass sie dann wirklich<br />

141


ausgenutzt wird.“ Wichtig ist den Betrie<strong>be</strong>n, „dass die Menschen auch das<br />

Berufsle<strong>be</strong>n erfahren und genauso [...] eine Chance <strong>be</strong>kommen, Geld zu verdienen<br />

und selbständig zu ar<strong>be</strong>iten.“ Wo<strong>be</strong>i die Leitung eines kleinen und jungen<br />

Unternehmens <strong>be</strong>tont, „ohne Mithilfe vom Bundessozialamt wäre es wahrscheinlich<br />

finanziell nicht möglich gewesen.“ In einem anderen Unternehmen <strong>be</strong>dauert man<br />

„dass [im Moment] der Spargedanke sehr groß ist“ und stellt fest, „es wird immer<br />

schwieriger werden, Menschen mit Behinderung einzustellen, weil die Kosten enorm<br />

sind.“ Erschwerend kommt hier hinzu, dass mit Juli die Förderungen des<br />

Bundessozialamtes für öffentliche Einrichtungen weggefallen sind und die Leitung<br />

feststellt: „Ich kann nicht kostendeckend ar<strong>be</strong>iten, wenn ich so viel Behinderte ha<strong>be</strong>.“<br />

Positive Vorerfahrungen tragen zu einer offenen Haltung <strong>be</strong>i: „A<strong>be</strong>r es gibt ganz<br />

einfach ein [...] offeneres Klima [...] für Menschen mit Behinderung in jeder Art. Und<br />

wir ha<strong>be</strong>n nur in einem einzigen Fall wirklich Probleme gehabt.“<br />

Zwei Personen der Führungse<strong>be</strong>ne <strong>be</strong>gründen ihre Motivation u. a. durch<br />

persönliche Betroffenheit: „[...] Nachdem ich selbst schon seit einigen Jahren einen<br />

gewissen Behindertengrad ha<strong>be</strong>, und auch weiß, dass es für die Behinderten [...]<br />

nicht immer so leicht ist.“ Im zweiten Fall ist die Erfahrung mit einem <strong>be</strong>hinderten<br />

Kind ausschlagge<strong>be</strong>nd: „[...] Die Motivation ist einfach, [...] weil ich weiß – meine<br />

Tochter hat sel<strong>be</strong>r eine Behinderung. [...] A<strong>be</strong>r es ist trotzdem für mich wichtig, dass<br />

die Menschen auch das Berufsle<strong>be</strong>n erfahren und genauso [...] eine Chance<br />

<strong>be</strong>kommen, e<strong>be</strong>n [...] Geld zu verdienen und selbständig zu ar<strong>be</strong>iten.“<br />

Einige LeiterInnen <strong>be</strong>tonen die Stärken ihrer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung: „[Sie] war<br />

eingear<strong>be</strong>itet, hat den ganzen Betrieb gekannt und das hat dann so perfekt gepasst.“<br />

stellt die Leiterin ü<strong>be</strong>r eine Frau, die von dem Ausbildungs<strong>be</strong>trieb ü<strong>be</strong>rnommen<br />

wurde, fest. Eine andere Führungskraft meint: „Und ich ha<strong>be</strong> sie einfach kennen und<br />

schätzen gelernt.“<br />

In zwei Fällen war das Geschlecht für die Wahl des Unternehmens<br />

ausschlagge<strong>be</strong>nd: „Frauen ha<strong>be</strong>n eine dementsprechend freundlichere Stimme,<br />

deswegen ist es dann natürlich auch eine Dame geworden.“ lautet eine Begründung<br />

für die Anstellung der Frau mit Behinderung als Telefonistin. „Wir sind ein<br />

142


Frauen<strong>be</strong>trieb - aufgrund [von] Gesundheitswesen, Pflege, Altenpflege ist der<br />

Frauenanteil eigentlich enorm hoch“, ist die Argumentation im zweiten Fall.<br />

In zwei Fällen kann die Frage nach der Motivation <strong>be</strong>i der Einstellung nicht<br />

<strong>be</strong>antwortet werden: Einmal war die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung „schon vorher da“<br />

und hat der „neuen“ Leitung „sehr viel zeigen können. [...] Weil sie einfach von<br />

An<strong>be</strong>ginn an mit der Ar<strong>be</strong>it vertraut war und viel mit aufgebaut hat.“ Im anderen Fall<br />

kann nicht von persönlicher Motivation für die Einstellung gesprochen werden, weil<br />

„[…] Frau H. wurde unserer Abteilung [...] zugeteilt.“<br />

Nutzen<br />

Der Grund, weshalb Frauen mit Behinderung angestellt werden, ist häufig finanzieller<br />

Natur. Positiv ist: „[...] dass e<strong>be</strong>n diese Leute [...] wenig oder gar nichts kosten. [...]<br />

Deswegen nimmt der [...] Leute auf mit Behinderung, weil um wenig Geld eine<br />

Ar<strong>be</strong>itskraft.“ Negative Auswirkungen werden gesehen, wenn die Unterstützung<br />

fehlt: „Vorteile sehe ich im Moment nicht wirklich, weil ich muss die genau so<br />

<strong>be</strong>zahlen wie jeden anderen Mitar<strong>be</strong>iter [...] Und ganz im Gegenteil, es ist auch so,<br />

dass gewisse Behinderte ganz einfach eine Betreuung brauchen und dazu also noch<br />

die Ar<strong>be</strong>itszeit von anderen gesunden Mitar<strong>be</strong>itern natürlich immer unter<br />

Anführungszeichen auch noch verwendet werden muss, um diese <strong>be</strong>hinderten<br />

Mitar<strong>be</strong>iter zu unterstützen, zu fördern und wirklich zu integrieren.“ Die Leiterin fügt<br />

hinzu, „es ist natürlich das Zwischenmenschliche sehr wichtig [...].“<br />

Eine Führungskraft <strong>be</strong>tont „[...] wir unterscheiden nicht [...] un<strong>be</strong>dingt zwischen<br />

Behinderung [...] – e<strong>be</strong>n nicht und schon... Es geht um Qualität.“ Hier sieht das<br />

Unternehmen den Vorteil in den Stärken, die aus der Behinderung der Frau<br />

resultieren: „[...] Wir [ha<strong>be</strong>n] die Erfahrung gemacht, <strong>be</strong>i Behinderungen speziell jetzt<br />

[...] vom Sehvermögen her, dass einfach andere Sinnesorgane stärker ausgebildet<br />

sind, Bereich des Gehörs, Bereich [...], was das Speichervolumen des Gehirns<br />

an<strong>be</strong>langt. Und diese Stärken ha<strong>be</strong>n wir [...] immer zu nutzen gewusst. Das war<br />

eigentlich der Riesenvorteil.“<br />

143


Für ein Unternehmen ist seine Vorbildwirkung wesentlich: „Für uns ist die [...]<br />

Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung auch ganz wichtig, weil [...] ich auch immer wieder<br />

auch darauf hinweise, dass wir nicht nur Menschen mit Behinderung <strong>be</strong>treuen,<br />

sondern auch <strong>be</strong>schäftigen. Und dass die einfach am richtigen Platz die gleiche<br />

Leistung erbringen können wie alle andere auch. Das ist mir, gerade nach außen,<br />

sehr wichtig.“<br />

Zwei Führungskräfte meinen, sie könnten keinen Nutzen <strong>be</strong>nennen, da finanzielle<br />

Belange Angelegenheit der Zentrale sind.<br />

Unterstützung<br />

Bei der Frage nach Unterstützungsangeboten sprechen fünf von acht LeiterInnen<br />

finanzielle Belange an. Es werden monatliche Lohnzuschüsse und Förderungen für<br />

technische Hilfsmittel genannt: „Ich kriege [...] monatlich [Geld] zurück.“ - „[...] Wir<br />

ha<strong>be</strong>n die komplette Ausrüstung <strong>be</strong>kommen für ihren Ar<strong>be</strong>itsplatz [...].“ – „[...] Wir<br />

[sind] durch unsere Mitar<strong>be</strong>iterin zu einer Förderung ü<strong>be</strong>r das Bundessozialamt<br />

gekommen [...], was technische Geräte an<strong>be</strong>langt.“<br />

Als weitere Unterstützung wird Betreuung im weitesten Sinne genannt. Diese<br />

Angebote <strong>be</strong>standen meist zu Beginn des Ar<strong>be</strong>itsverhältnisses und liefen nach<br />

einiger Zeit aus: „[...] der Betreuer [...], der dann immer wieder her gekommen ist und<br />

schon geschaut hat, wie es ihr geht. [...] Das war eine recht gute Zusammenar<strong>be</strong>it.“<br />

In einem Fall, <strong>be</strong>i dem es nach Auslaufen der Einstiegsunterstützung Probleme in der<br />

Ar<strong>be</strong>it gab, ergriff die Leitung die Initiative: „Da ha<strong>be</strong> ich e<strong>be</strong>n ge<strong>be</strong>ten um<br />

Unterstützung.“ Ihr Resümee: „[...] Danach hat sich eigentlich die Ar<strong>be</strong>itsleistung<br />

wieder sehr ge<strong>be</strong>ssert.“<br />

In den Interviews wird mehrmals und in unterschiedlichen Zusammenhängen der<br />

Wunsch nach laufender Betreuung geäußert, um in schwierigen Zeiten richtig<br />

reagieren zu können: „Weil ich bin keine Pädagogin. [...] Ich weiß nicht, was ich da<br />

tun soll.“ Auch vom Unternehmen, das die Frau mit psychischer Problematik<br />

<strong>be</strong>schäftigt, wird Unterstützung gewünscht: „Interessant wäre natürlich, wenn es da<br />

144


Betreuer gä<strong>be</strong>, eine Supervision oder so.“ Im Übrigen auch ein Anliegen der<br />

interviewten Kollegin. Erstre<strong>be</strong>nswert wäre, wenn die Initiative nicht vom<br />

Unternehmen ausgehen müsste: „Ja, will ich, will nicht jedes Mal anrufen müssen,<br />

das passt nicht und das passt nicht. Also mir wäre es schon Recht, [wenn]<br />

nachgefragt wird. [...] Direkt an die Person.“<br />

In einem Betrieb, der <strong>be</strong>reits seit längerer Zeit Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung<br />

<strong>be</strong>schäftigt „war eigentlich alles <strong>be</strong>reits geregelt“ – das Haus ist barrierefrei<br />

zugänglich, Lift ist vorhanden und eine Behindertentoilette steht zur Verfügung.<br />

Zufriedenheit mit Unterstützung<br />

Die Zufriedenheit mit den Unterstützungsangeboten ist unter den UnternehmerInnen<br />

sehr groß: „Passt wunderbar.“ – „sehr zufrieden“ – „Es ist nie ein Problem,<br />

irgendetwas genehmigt zu <strong>be</strong>kommen“, lauten die Aussagen. Ein Unternehmer<br />

spricht die positiven Effekte von Unterstützungsmaßnahmen nicht nur aus eigener<br />

Sicht an. Erst mit Unterstützung ist ihm die Beschäftigung einer Frau mit<br />

Behinderung möglich. „Wenn das, also, was ich bis zur jetzigen Zeit ha<strong>be</strong>, so bleibt,<br />

also bin ich sehr zufrieden. Weil das ist für mich einfach ein Weg, wo ich der […]. die<br />

Chance ge<strong>be</strong>n kann, dass sie vollwertig ar<strong>be</strong>iten kann [...].“<br />

In einem Fall wurden bisher keine Unterstützungsangebote in Anspruch genommen.<br />

Man ist ü<strong>be</strong>r Fördermöglichkeiten nicht informiert, da a<strong>be</strong>r bauliche Veränderungen<br />

geplant sind (angeregt von der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung) zeigt man Interesse:<br />

„Jetzt, wo Sie die Frage stellen, werde ich mich erkundigen, ob das Bundessozialamt<br />

oder das Land dazu eine finanzielle Förderung... ob so etwas drinnen ist.“<br />

In dem Fall, wo die Unterstützung entzogen wurde, meint die Leitung: „Das Geld wird<br />

weniger und irgendwas bleibt auf der Strecke und meistens die Schwächsten.“<br />

145


Veränderungsmaßnahmen<br />

Gefragt nach den Anpassungen für den Ar<strong>be</strong>itsplatz der Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />

Behinderung zeigen sich Unterschiede je nach Art der Behinderung der Frau: Bei<br />

Frauen mit Körper<strong>be</strong>hinderung sind technische und bauliche Adaptionen notwendig.<br />

„Barrierefreier Ar<strong>be</strong>itsplatz [...] ein speziell adaptiertes Behinderten-WC [...] und<br />

Freisprecheinrichtung“ werden z. B. genannt. In einem Fall wurde „ein komplett neuer<br />

Ar<strong>be</strong>itplatz“ eingerichtet werden, was – wie der Unternehmer anmerkt - „auch nicht<br />

wenig kostet“. Auch für die blinde Frau waren technische Adaptionen notwendig,<br />

wo<strong>be</strong>i in diesem Fall ein Großteil der Ausstattung von VorgängerInnen mit<br />

Seh<strong>be</strong>hinderung ü<strong>be</strong>rnommen werden konnte. “Im Endeffekt das Einzige, was<br />

gekommen ist, ist [...] das neue Gerät – Brailletastatur.“<br />

Anders die Situation <strong>be</strong>i Frauen mit Lern<strong>be</strong>hinderung. Technische oder bauliche<br />

Veränderungen sind nicht erforderlich, a<strong>be</strong>r „notwendig war, dass sich die Mitar<strong>be</strong>iter<br />

ein bisschen umgestellt ha<strong>be</strong>n. Weil die […] einfach, ja, genauere Anweisungen<br />

gebraucht hat, weil sie nicht alles so schnell verstanden hat.“ In einem Fall, in dem<br />

die Leitung häufig mit der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung ar<strong>be</strong>itet, meint diese: „Ich als<br />

Person muss [mich] schon verändern, weil ich kann nicht mit ihr gleich sprechen wie<br />

mit den anderen. Also ich muss anders sprechen, lie<strong>be</strong>voller reden.“ Der<br />

Ar<strong>be</strong>itsablauf ist <strong>be</strong>i einer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Lernschwierigkeiten anders gestaltet: „Mit<br />

ihr muss ich hin gehen und das genau zeigen, was ich möchte. Weil ich merke, nur<br />

sagen, das hilft nichts.“<br />

Die Leitung der Frau mit psychischer Problematik verneinte spezielle Veränderungen<br />

– die Leitung ist jedoch nicht in den täglichen Ar<strong>be</strong>itsablauf involviert. Aus Aussagen<br />

der Kollegin ist ersichtlich, dass auch hier das Team sich auf die Frau eingestellt hat.<br />

Gefragt nach den Anpassungen, die noch sinnvoll wären, verneinen Unternehmen,<br />

die Frauen mit Lernschwierigkeiten <strong>be</strong>schäftigen, die Notwendigkeit von weiteren<br />

Veränderungen: „[...] Das hat sich inzwischen so eingespielt [...] das hat sich einfach<br />

alles erge<strong>be</strong>n [...]. Und das funktioniert jetzt.“ Man hat sich auf die speziellen<br />

Bedürfnisse der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap eingestellt und den Alltag<br />

146


dementsprechend organisiert: „Ich meine, natürlich schaut man dann und trainiert sie<br />

ein bisschen dahin und schreibt Checklisten, damit sie nichts vergisst.“ Auch im<br />

Unternehmen, das die blinde Frau <strong>be</strong>schäftigt, sind keine Änderungen notwendig,<br />

<strong>be</strong>tont wird, dass darauf geachtet wird, „dass sie wie jede andere Mitar<strong>be</strong>iterin auch<br />

<strong>be</strong>handelt wird.“<br />

Anders die Situation für Frauen mit körperlichen Einschränkungen. In einem Fall<br />

unterbreitete die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap selbst Vorschläge, zur Ver<strong>be</strong>sserung– z.<br />

B. „Türen mit Fühler“. Im anderen Unternehmen werden einige Anpassungen für<br />

notwendig erachtet. Diese werden <strong>be</strong>i der Planung für das neue Gebäude, das in<br />

Kürze <strong>be</strong>zogen wird, <strong>be</strong>rücksichtigt und sollen in Folge optimale Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>dingungen<br />

für die Frau mit Behinderung bieten.<br />

In zwei Fällen verweist die Unternehmensleitung zurück an die Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />

Handicap „da kann sie Antwort ge<strong>be</strong>n“ bzw. auch an die direkte Vorgesetzte der<br />

Betroffenen „da bin ich zu wenig nah am Geschehen.“<br />

Erwartungen und Befürchtungen vor Ar<strong>be</strong>itseintritt der Frau mit Behinderung<br />

Häufig ha<strong>be</strong>n die Unternehmen keine speziellen Erwartungen an die künftige<br />

Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung. In einem Fall spricht die Leitung nicht von<br />

Erwartungen, sondern von Neugierde: [Ich] ha<strong>be</strong> sie von früher schon gekannt und<br />

war einfach [...] von dem her schon neugierig, wie sie das schafft. [...] Und ich war, ja,<br />

positiv ü<strong>be</strong>rrascht, wie das alles geht. Und dass man das alles schaffen kann.“ Auch<br />

ein anderer Unternehmer hatte keine Erwartungen, sondern man ging von <strong>be</strong>iden<br />

Seiten mit der Einstellung heran: „Ge<strong>be</strong>n wir uns einfach gegenseitig die Chance,<br />

dass wir uns kennen lernen können.“<br />

Ein Statement zu diesem Punkt lautet: „Ich ha<strong>be</strong> prinzipiell <strong>be</strong>i niemandem<br />

irgendwelche Erwartungen.“ Hier wird nach folgendem Prinzip vorgegangen: „Ich<br />

schaue immer, wofür sich derjenige eignet. Und dann teile ich dem die Ar<strong>be</strong>it zu.“<br />

Die Leitung eines anderen Unternehmens äußert sich ähnlich: „[...] Wir ha<strong>be</strong>n also an<br />

unsere <strong>be</strong>hinderten Mitar<strong>be</strong>iter an und für sich keine Erwartungen.“<br />

147


Des Öfteren wird in den Interviews vom „normalen Umgang“ mit der Frau mit<br />

Behinderung gesprochen: Die Erwartungen sind „wie <strong>be</strong>i jedem anderen Mitar<strong>be</strong>iter.<br />

[...] Ich glau<strong>be</strong>, dass es wichtig ist, dass man einfach normal mit dem umgeht. [...]<br />

Keine Sonder<strong>be</strong>handlung.“ Später heißt es: „Die Anforderungen sind die gleichen [...]<br />

Das Einzige, [...] dass man einfach von der Einlernphase, dass man ein bisschen<br />

länger Zeit gibt. Das ist keine Frage.“ Auch in einem anderen Unternehmen geht man<br />

auf die Bedürfnisse, die sich aus der Einschränkung der Frau erga<strong>be</strong>n, ein: „Sie<br />

braucht irgendwo eine lenkende Hand.“ Manches Mal wird die Behinderung<br />

„vergessen“ – „Ich ha<strong>be</strong> ein bisschen nachgedacht ü<strong>be</strong>r das Gespräch und mir ist zu<br />

Bewusstsein gekommen, dass ich die [Frau] nicht als <strong>be</strong>hindert erle<strong>be</strong>. Sie erfüllt ihre<br />

Dienstpflichten ganz normal wie alle anderen.“<br />

In einem Fall waren die Erwartungen an die Mitar<strong>be</strong>iterin, die im Betrieb die<br />

Ausbildung machte, im Grunde genommen Selbstverpflichtungen: „[...] dass sie einen<br />

positiven Schulabschluss hat. Und dass sie einen guten sozialen Umgang lernt. [...]<br />

Ich ha<strong>be</strong> [...] versucht, sie da zu prägen und zu schauen, dass sie schon ein gutes<br />

Auftreten hat. [...] Ja vom Lernen her – wir ha<strong>be</strong>n viel mit trainiert.“ Wichtig war der<br />

Leitung, „dass sie als Mensch irgendwie auch etwas dazu lernt.“ Abschließend meint<br />

die LeiterIn: „Sie war für mich nicht nur die reine Ar<strong>be</strong>itskraft gewesen.“<br />

In einem Unternehmen waren die Erwartungen hoch gesteckt: „Die Erwartungen<br />

waren von mir schon höher. Schon niedriger als <strong>be</strong>i anderen Kollegen, a<strong>be</strong>r trotzdem<br />

höher gestellt. Bis ich dann drauf gekommen bin, hoppala, das ist ein zu hohes Maß.“<br />

In puncto Befürchtungen wird häufig der Faktor Zeit angesprochen (siehe auch<br />

Auswertung Kolleginnen-Interviews „Abschließende Bemerkungen“): „Befürchtungen,<br />

nein. Am ehesten war es, dass sie einfach sehr viel Unterstützung braucht, die mich<br />

vom Ar<strong>be</strong>iten abhält; abhalten könnte.“ – „Das war a<strong>be</strong>r nicht so.“ wird später erklärt.<br />

Auch eine andere Führungskraft meint, dass sie eigentlich keine Befürchtungen<br />

gehabt hätte, „nur, dass man halt Zeit aufwenden muss und sie selbst irgendwo mit<br />

<strong>be</strong>treuen muss.“ Eine andere Leiterin sagt: „Und das ist schon ab und zu ein<br />

Handicap, dass ich einfach [...] die Sachen, die sie gut erledigen könnte, a<strong>be</strong>r dazu<br />

einfach viel länger braucht, sel<strong>be</strong>r mache.“ Eine andere Aussage dazu ist: „Zeit hat<br />

148


sie mir gekostet, sehr viel Zeit. [...] und Energie hat sie mir auch sehr viel gekostet.“<br />

Wo<strong>be</strong>i festgestellt wird, dass nicht „sie als Person, sondern ihre Ar<strong>be</strong>it“ das Problem<br />

war und <strong>be</strong>tont wird: „Sie ist eine ganz eine lie<strong>be</strong>.“<br />

Drei Unternehmen hatten keine Befürchtungen im Vorfeld: Einmal wird dies mit<br />

positiven Erfahrungen <strong>be</strong>gründet: „[...] Durch die Erfahrung der anderen zwei<br />

Mitar<strong>be</strong>iter, hat man gemerkt, dass das reibungslos funktioniert.“ Ein anderes Mal<br />

„war [es] einfach eine Chance für uns <strong>be</strong>ide.“<br />

In einem Fall <strong>be</strong>ziehen sich die Befürchtungen auf intellektuellen Fähigkeiten der<br />

Frau mit Lernschwierigkeiten „wenn das mit dem Alpha<strong>be</strong>t nicht funktioniert hätte“;<br />

diese Bedenken wurden rasch zerstreut. Selbst wenn es nicht geklappt hätte, wäre<br />

es kein Problem gewesen – „Dann hätte ich geschaut, dass ich irgendeine andere<br />

Ar<strong>be</strong>it finde.“ Im anderen Fall sah man darin eine Schwierigkeit, dass die junge<br />

Mitar<strong>be</strong>iterin „keinen wirklich festen Halt gehabt hat“ und man fürchtete, dass ihre<br />

Entwicklung „in die falsche Richtung läuft.“ - „A<strong>be</strong>r ar<strong>be</strong>itsmäßig hat es keine<br />

Befürchtungen gege<strong>be</strong>n.“ In diesem Fall wurde professionelle Hilfe in Anspruch<br />

genommen, die im eigenen Betrieb vorhanden ist (Schwestern, Psychologen und<br />

Ärzte) – „[...] das war dann [...] ein Zusammenspiel mit der ganzen Firma“, um der<br />

Frau <strong>be</strong>i der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen – mit Erfolg.<br />

Vor<strong>be</strong>reitung auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />

Die LeiterInnen wurden zu ihrer persönlichen Vor<strong>be</strong>reitung auf die Frau mit<br />

Behinderung <strong>be</strong>fragt und wie sie ihre Mitar<strong>be</strong>iterInnen auf den Einstieg einer Frau mit<br />

Behinderung vor<strong>be</strong>reitet ha<strong>be</strong>n.<br />

Sechs der LeiterInnen ge<strong>be</strong>n an, sich persönlich nicht auf die Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />

Behinderung vor<strong>be</strong>reitet zu ha<strong>be</strong>n, wo<strong>be</strong>i die Gründe unterschiedlich waren: In<br />

einem Fall war Vor<strong>be</strong>reitung nicht möglich, weil „ich bin von einem Tag auf den<br />

anderen da her gekommen.“ Hier sind die Vorerfahrungen mit einem Mitar<strong>be</strong>iter mit<br />

Behinderung hilfreich. Eine Führungskraft meint: „Das ist <strong>be</strong>i uns tagtägliches Brot,<br />

weil wir e<strong>be</strong>n so viele Leute mit Handicap ha<strong>be</strong>n, dass man sich nicht wirklich<br />

149


vor<strong>be</strong>reitet..“ Ein anderer verneint Vor<strong>be</strong>reitung aus dem Grund, weil „<strong>be</strong>i mir ist ein<br />

jeder gleich. E<strong>be</strong>n, ob er irgendwas schnell versteht oder weniger schnell, [...] damit<br />

muss ich e<strong>be</strong>n le<strong>be</strong>n.“ In einem Fall <strong>be</strong>steht vor Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>ginn <strong>be</strong>reits eine<br />

persönliche Bekanntschaft, in einem anderen ist die Leitung dadurch, dass ein<br />

Familienmitglied diesel<strong>be</strong> Krankheit hat wie die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap, informiert.<br />

Eine Führungskraft verneint zunächst jegliche persönliche Vor<strong>be</strong>reitung, erzählt auf<br />

Nachfrage hin von einführenden Gesprächen mit der Mitar<strong>be</strong>iterin: „Ich ha<strong>be</strong> sie<br />

genauer gefragt ü<strong>be</strong>r ihre Krankheit [...].“<br />

In zwei Fällen erfolgt die persönliche Vor<strong>be</strong>reitung durch Mitar<strong>be</strong>iterInnen von den<br />

Institutionen, die die Frau mit Behinderung vermittelt ha<strong>be</strong>n. Eine Führungskraft hat<br />

„dann zusätzlich eine Ausbildung gemacht. [...] Ha<strong>be</strong> da viel gelernt [...] ü<strong>be</strong>r den<br />

Umgang mit solchen Klienten.“ Eine anderer hat „einen Tag lang als Blinder [...]<br />

erlebt“.<br />

Sechs LeiterInnen ge<strong>be</strong>n an, ihre Mitar<strong>be</strong>iterInnen nicht speziell auf die Kollegin mit<br />

Behinderung vor<strong>be</strong>reitet zu ha<strong>be</strong>n, wo<strong>be</strong>i die Gründe wieder sehr unterschiedlich<br />

waren: In einem Fall <strong>be</strong>stand zuvor eine persönliche Bekanntschaft. In einem<br />

anderen Unternehmen, erhalten nur Zivildiener eine spezielle Vor<strong>be</strong>reitung, weil „wir<br />

alles Mitar<strong>be</strong>iter ha<strong>be</strong>n, die [...] Menschen mit sehr schweren Körper<strong>be</strong>hinderungen<br />

<strong>be</strong>gleiten“ und daher mit dem Umgang mit Frauen und Männern mit<br />

Einschränkungen vertraut sind. Eine Leiterin, die nach der Frau mit Handicap in den<br />

Betrieb kam, verzichtete auf eine spezielle Vor<strong>be</strong>reitung ihrer Mitar<strong>be</strong>iterInnen:<br />

„Dadurch dass sie schon sehr lange da ist, war das für mich eigentlich kein Thema.“<br />

In einem Fall lautet die Aussage zur Vor<strong>be</strong>reitung: „Sie ist gekommen [...], sie hat da<br />

mit gear<strong>be</strong>itet und ein jeder hat sich auf sie und umgekehrt eingestellt.“ Auch in<br />

einem anderen Unternehmen gab es keine Vor<strong>be</strong>reitung. Die Mitar<strong>be</strong>iterInnen<br />

kannten die Frau mit Handicap aus einem Praktikum und „[...] sie ha<strong>be</strong>n das ohne<br />

irgendwas zur Kenntnis genommen“, dass sie nun in ein Angestelltenverhältnis<br />

ü<strong>be</strong>rnommen wird. Man entwickelte in der Abteilung „ein Sensorium“ für die<br />

Bedürfnisse der Frau mit Körper<strong>be</strong>hinderung (z. B. bauliche Barrieren). Eine Leiterin<br />

meint: „An solchen Dingen merkt man, dass da irgendwie eine gegenseitige<br />

Beziehung auch ü<strong>be</strong>rall entsteht, ohne, dass man da viel dazu tut.“ Das Handicap ist<br />

150


mittlerweile in den Hintergrund getreten: „In unserem Bewusstsein ist sie nicht als<br />

Behinderte, sondern als Kollegin.“ In <strong>be</strong>iden Fällen ging dieses Konzept auf. Die<br />

Frauen waren voll integriert, fühlten sich am Ar<strong>be</strong>itsplatz sehr wohl und auch die<br />

Kolleginnen äußerten sich zufrieden.<br />

In einem der Fälle ohne spezielle Vor<strong>be</strong>reitung kam es gerade in der Anfangsphase<br />

zu massiven Problemen, die sowohl von der Frau mit Behinderung als auch von der<br />

Kollegin thematisiert werden, nicht a<strong>be</strong>r von Unternehmensseite, wo<strong>be</strong>i zu vermuten<br />

ist, dass die Schwierigkeiten nicht bis zur Führungse<strong>be</strong>ne vorgedrungen sind.<br />

Eine Leiterin, die erst nach Eintritt der Frau mit psychischer Problematik, ihre Stelle<br />

als Vorgesetzte einnahm, konnte nur vermuten, dass die damalige unmittelbare<br />

Vorgesetzte die Mitar<strong>be</strong>iterInnen informiert hat. Sie erachtet gerade <strong>be</strong>i psychischer<br />

Problematik Vor<strong>be</strong>reitung als <strong>be</strong>sonders wichtig „[...] weil das ist wesentlich<br />

schwieriger als alles andere, weil du nicht weißt, wie du umgehen sollst. [...] Wie<br />

gehe ich mit dem Menschen um, damit man nichts falsch macht [...]?“<br />

In einem Unternehmen wurde nach dem Schnuppern der Frau mit Behinderung im<br />

Team deren Aufnahme diskutiert. Im Endeffekt hat „[es] für alle gepasst.“ Im Vorfeld<br />

„ha<strong>be</strong>n [wir] auch heiße Diskussionen gehabt, kann ich mich erinnern.“ Letztendlich<br />

war soziales Verantwortungsgefühl ausschlagge<strong>be</strong>nd: „Was passiert mit der [Frau],<br />

wenn wir sie nicht nehmen? Wenn wir ihr die Chance nicht ge<strong>be</strong>n? Und dann ha<strong>be</strong>n<br />

wir gesagt, das müssen wir machen.“ Dieses Teamgespräch wird von der Leiterin als<br />

Vor<strong>be</strong>reitung gesehen, die Kollegin meint zum Thema Vor<strong>be</strong>reitung: „[...] In dem Sinn<br />

sind wir nicht wirklich vor<strong>be</strong>reitet worden.“<br />

Veränderungen durch die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderungen<br />

Durch den Eintritt der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung verringert sich in einigen<br />

Betrie<strong>be</strong>n die Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>lastung: „[Es] ist für alle ein bisschen leichter geworden.“ –<br />

„[...] jeder [hat] ein bisschen Last abgege<strong>be</strong>n.“ – „Wenn sie nicht da wäre, wären halt<br />

noch mehr Rückstände.“ A<strong>be</strong>r auch die Persönlichkeit der Frau bringt<br />

Veränderungen: „Sie hat auch [...] ein bisschen Sonne da rein gebracht [...].“ - „[...]<br />

151


durch ihren Schwung, durch ihr Temperament [...] hat [sie] einfach einen frischen<br />

Wind dann herein gebracht.“ – „Und ich glau<strong>be</strong>, dass es auch einer [...] netten E<strong>be</strong>ne<br />

für die Abteilung auch gut war. Weil sie [...] einfach eine Bereichung ist.“<br />

„[...] Es hat sich e<strong>be</strong>n das geändert, dass es jemanden gibt, der ganz <strong>be</strong>wusst das<br />

Haus auf [...] Barrieren anschaut.“ Nicht nur die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung achtet<br />

auf Barrieren, sondern auch das Bewusstsein des Umfelds wird geschärft: „Und was<br />

es an Behinderungen gibt durch Verkehrsmittel oder durch verstellte Gehsteige und<br />

alle diese Dinge, an das alles denkt man nicht.“ Man lernt von der Mitar<strong>be</strong>iterin mit<br />

Behinderung: „Dass man mit Behinderung, dass man le<strong>be</strong>n kann damit.“ Der<br />

Lernprozess <strong>be</strong>ruht auf Gegenseitigkeit: „Weil es ist nicht nur wichtig für Behinderte,<br />

zu wissen, das man mit anderen umgehen kann, sondern auch für Menschen ohne<br />

Behinderung e<strong>be</strong>n wichtig, dass e<strong>be</strong>n die auch selbständige Personen sind.“ Die<br />

Mitar<strong>be</strong>iterInnen „merken, dass man mit Behinderten genauso normal ar<strong>be</strong>iten kann“<br />

und „Insofern ha<strong>be</strong>n e<strong>be</strong>n die anderen Mitar<strong>be</strong>iter auch gelernt, mit solchen<br />

Menschen umzugehen.“<br />

Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

Auf die Frage nach allgemeinen Ver<strong>be</strong>sserungsvorschlägen für Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit<br />

Behinderung wird häufig die Wichtigkeit von Aufklärung und Sensibilisierung <strong>be</strong>tont,<br />

wo<strong>be</strong>i in diesem Zusammenhang verschiedene Aspekte angesprochen werden:<br />

„Mitar<strong>be</strong>iterinnen oder Mitar<strong>be</strong>iter von Menschen mit Behinderung gehören wirklich<br />

vermehrt sensibilisiert. Weil ich kenne e<strong>be</strong>n viele dieser Geschichten: Nein, wenn die<br />

dann krank ist oder wenn sie oft krank ist, dann kriegen wir niemanden neuen, dann<br />

muss ich die Ar<strong>be</strong>it zusätzlich machen. Oder wenn sie zu langsam ist, muss ich die<br />

Ar<strong>be</strong>it machen. Also bitte, was sollen wir mit Menschen mit Behinderung als<br />

Ar<strong>be</strong>itskollegen? [...] Die Leiterin sagt weiters: „Das ist [...] sicher sehr schwierig, das<br />

man einfach allgemein die Gesellschaft, die Mitar<strong>be</strong>iter, die Chefs [...] sensibilisiert.“<br />

– „[...] Das wäre eher Sache der Schulen [...]“ meint eine Führungskraft. „[...] Das ist<br />

etwas, was in den Schulen eigentlich einen breiten Raum ha<strong>be</strong>n müsste, der uns<br />

vor<strong>be</strong>reitet darauf, dass die Menschen nicht alle gleich sind und dass es klasse ist,<br />

dass nicht alle gleich sind, so was würde ich mir wünschen.“ Erstre<strong>be</strong>nswert ist, dass<br />

152


sich in der Gesellschaft das Bewusstsein durchsetzt, dass „Mitar<strong>be</strong>iter mit<br />

Behinderung auch ein Recht ha<strong>be</strong>n, zu ar<strong>be</strong>iten [...] und eine entsprechende<br />

Bezahlung dafür <strong>be</strong>kommen.“ Diese Forderung findet sich auch in den Interviews mit<br />

den Frauen mit Behinderung – ein Beispiel: „Ich finde, das gehört zur<br />

Menschenwürde dazu, das Recht auf Ar<strong>be</strong>it.“<br />

Das Präsentieren von positiven Beispielen wird als eine Möglichkeit der<br />

Sensibilisierung gesehen. Ein Unternehmen ist <strong>be</strong>müht, die eigenen Erfahrungen<br />

publik zu machen: „Ich versuche immer wieder darauf hinzuweisen, dass es e<strong>be</strong>n<br />

gut möglich ist, jemanden mit Handicap zu [<strong>be</strong>schäftigen]. [...] Wenn der Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />

passt und das Umfeld [...].“ Eine andere Abteilungsleiterin regt an, mittels Werbung<br />

mehr Offenheit <strong>be</strong>i den Unternehmen zu erreichen: „[...] Es gehört viel mehr<br />

Werbung gemacht. Zu den Betrie<strong>be</strong>n hin. Weil es wissen viele [...] nicht einmal, dass<br />

es solche Leute gibt, die man aufnehmen kann. [...] [Die] auf einer Seite günstig sind,<br />

a<strong>be</strong>r auf der anderen Seite trotzdem zum Aufbauen sind [...] dass du sel<strong>be</strong>r stolz<br />

sein kannst, dass sie das machen.“ Informationsdefizite werden mehrmals<br />

angesprochen und auch der Kündigungsschutz: „Und auch vielleicht mehr noch<br />

präsent macht, welche Förderungsmöglichkeiten es auch gibt <strong>be</strong>i Menschen mit<br />

Behinderung. [In den] Betrie<strong>be</strong>[n] - wenn’s um die Einstellung geht - ist nur die<br />

Abwehrhaltung da, den kriege ich nie mehr los. A<strong>be</strong>r nicht, welche [...] Vorteile und<br />

welche positiven Wirkungen jemand hat, der eine Behinderung hat.“ Auch ein<br />

anderer Unternehmer spricht die Uninformiertheit vieler Betrie<strong>be</strong> an: „[...] Wenn ein<br />

Unternehmer hört <strong>be</strong>hindert, ist [es] schon aus für den. Weil er glaubt, <strong>be</strong>hindert, die<br />

kann ich nicht brauchen. Hat a<strong>be</strong>r vielleicht ü<strong>be</strong>rhaupt keine Ahnung, welche Art der<br />

Behinderung, was sie vielleicht trotzdem machen kann [...].“ Wo<strong>be</strong>i der Unternehmer<br />

sich selbst nicht ausnimmt: „Weil ich muss ehrlich sagen, das war <strong>be</strong>i uns ja auch<br />

eher Zufall, dass wir so zusammengekommen sind. Und wenn das nicht so gewesen<br />

wäre, ich muss ganz ehrlich sagen, ich hätte niemals daran gedacht, einen<br />

Behinderten einzustellen.“<br />

Die Einführung von Schnuppertagen wird – wie auch von den Interviewpartnerinnen<br />

mit Behinderung - mehrmals angeregt (siehe „Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarkt“). Sie sollen zum einen dem gegenseitigen Kennen-Lernen dienen, zum<br />

anderen Frauen und Männern mit Behinderung ermöglichen, Einblicke in<br />

153


verschiedene Ar<strong>be</strong>itsfelder zu erhalten: „Wo einfach derjenige [Anm. = Behinderte]<br />

die Möglichkeit hat, die Sparte kennen zu lernen. Und ich glau<strong>be</strong>, die Firmen sollten<br />

einfach auch einmal die Möglichkeit kriegen [...] diesen Menschen kennen [zu<br />

lernen].“ In diesem Zusammenhang richtet sich die Forderung an die Politik, dass „es<br />

vom Gesetzesge<strong>be</strong>r her irgendwie als zwingende Maßnahme vorgeschrie<strong>be</strong>n wird.“<br />

(siehe auch „Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt“ der Frauen mit<br />

Behinderung)<br />

Das Recht auf Weiterbildung wird mehrmals thematisiert: Es ist wichtig, dass auf<br />

„Fortbildung ein Anrecht“ <strong>be</strong>steht, meint eine Leiterin, „man bräuchte halt auch eine<br />

Unterstützung oder […] Förderungen für diese Behinderten, dass sie sich<br />

weiterbilden können“, damit sich ihnen neue Perspektiven eröffnen und sie sich<br />

weiter entwickeln können. Diese Forderungen decken sich mit denen der Frauen mit<br />

Behinderung (siehe „Wünsche“).<br />

Auch <strong>be</strong>i dieser Fragestellung wird nochmals der Wunsch nach laufender<br />

Unterstützung ausgesprochen. Die Bedürfnisse der Frauen sollen regelmäßig<br />

erho<strong>be</strong>n werden: „Ich denke mir, man müsste sich schon ein bisschen mehr<br />

kümmern. [...] Gerade für Frauen mit körperlicher Behinderung müsste man sich<br />

schon mehr oder intensiver darum kümmern.“ Dies ist auch <strong>be</strong>i Frauen mit anderen<br />

Behinderungsarten wünschenswert, im Besonderen <strong>be</strong>i psychischer Problematik:<br />

„[...] eine Beratung oder Hilfestellung oder Stelle, die nicht nur wartet, dass man<br />

kommt uns sagt: ‚Ich kann jetzt nicht mehr umgehen mit einer Sache, sondern, die<br />

von sich aus sagt: ‚Wie geht es ihnen eigentlich damit?’“ Wichtig ist, dass nicht die<br />

Frauen die Initiative ergreifen müssen, weil „Es gibt die eine Gruppe [...] die sich<br />

wehren kann, die sagt, das brauche ich, das will ich. Und es gibt die andere Gruppe,<br />

die ganz schön ruhig sind.“<br />

154


Interpretation<br />

Die Unternehmen, die an der Studie teilnahmen, sind der Beschäftigung von<br />

Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung gegenü<strong>be</strong>r sehr positiv eingestellt. Unternehmen,<br />

die mehrere Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Einschränkungen in Beschäftigung ha<strong>be</strong>n bzw.<br />

hatten, <strong>be</strong>richten durchwegs von guten Erfahrungen. In den Betrie<strong>be</strong>n herrscht ein<br />

offenes Klima und man ist <strong>be</strong>reit auch weiterhin Frauen und Männer mit Behinderung<br />

aufzunehmen.<br />

Geschätzt wird an den Frauen mit Behinderung, dass sie als zusätzliche Ar<strong>be</strong>itskraft<br />

die Mitar<strong>be</strong>iterInnen entlasten. E<strong>be</strong>nso werden Frauen mit Behinderung als<br />

Persönlichkeiten mit all ihren Stärken und Schwächen geschätzt. Ein weiterer<br />

positiver – und für Unternehmen nicht unwesentlicher - Aspekt, der aus der<br />

Beschäftigung von Frauen und Männern mit Behinderung entsteht, sind finanzielle<br />

Unterstützungen, die den Frauen mit Behinderungen im Speziellen und dem Betrieb<br />

im Allgemeinen helfen.<br />

Für UnternehmerInnen, die Frauen und Männer mit Behinderung <strong>be</strong>schäftigen, sind<br />

die finanziellen Leistungen der öffentlichen Hand wertvolle Hilfe zur Anstellung und<br />

oft unerlässlich. Deutlich geht aus den Interviews hervor, dass für viele Unternehmen<br />

Unterstützungen notwendig sind, um Frauen und Männer mit Behinderung ü<strong>be</strong>rhaupt<br />

<strong>be</strong>schäftigen zu können – gerade für Betrie<strong>be</strong>, die knapp kalkulieren müssen. Ein<br />

Unternehmer führte nur eine Schwierigkeiten an, die es für ihn <strong>be</strong>i der Anstellung der<br />

Frau mit Behinderung gab: „Das hat a<strong>be</strong>r mit der Behinderung selbst nichts zu tun<br />

[...] es ist wirklich rein um die finanzielle Seite gegangen. Und ich hätte es mir einfach<br />

nicht leisten können. Wenn ich es mir hätte leisten können, hätte ich sie<br />

logischerweise genommen, egal ob mit oder ohne Behinderung. A<strong>be</strong>r das war<br />

eigentlich meine Vor<strong>be</strong>reitung, die ich zu machen gehabt ha<strong>be</strong>, welche Möglichkeiten<br />

ha<strong>be</strong> ich? Schaffe ich es? Wie könnte ich es schaffen? Das war eigentlich, was mir<br />

einige Wochen schlaflose Nächte <strong>be</strong>reitet hat.“<br />

Ne<strong>be</strong>n der notwendigen finanzieller Unterstützung wird Betreuung als wichtig<br />

erachtet. Begleitung wird nicht nur für die Frauen mit Behinderung gewünscht,<br />

155


sondern auch für das Team. Diese Betreuung soll nicht nur in der Einstiegsphase<br />

<strong>be</strong>stehen, sondern laufend fortgesetzt werden. Bei psychischer Problematik wird<br />

Betreuungsangeboten eine <strong>be</strong>sondere Wichtigkeit <strong>be</strong>igemessen.<br />

Generell ha<strong>be</strong>n Unterstützungsangebote positive Auswirkungen für alle Beteiligten –<br />

die Frau mit Behinderung, die KollegInnen und das Unternehmen – und wirken<br />

nachhaltig: „[...] dann war sie eigentlich so weit selbständig, da hat sie keine<br />

Unterstützung mehr gebraucht.“<br />

Erstre<strong>be</strong>nswert ist, dass Betreuungseinrichtungen im weitesten Sinne an die Frauen<br />

mit Behinderung herantreten. Denn: „Es gibt die eine Gruppe [...] die sich wehren<br />

kann, die sagt, das brauche ich, das will ich. Und es gibt die andere Gruppe, die<br />

ganz schön ruhig sind.“ Bei Frauen der letzteren Gruppe <strong>be</strong>steht die Gefahr, dass<br />

ihre Bedürfnisse nicht wahrgenommen werden. Hier gilt es anzusetzen, um die<br />

Frauen zu ermutigen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu artikulieren und<br />

Handlungskompetenz zu entwickeln.<br />

Spezielle Vor<strong>be</strong>reitung auf eine Anstellung von Frauen mit Behinderung wird von<br />

den Unternehmen nicht als wichtig erachtet. Hier ist zu ü<strong>be</strong>rlegen, ob die<br />

Vorgehensweise nicht geändert werden sollte: Mangelnde Vor<strong>be</strong>reitung - egal ob für<br />

Leitung oder Mitar<strong>be</strong>iterInnen - kann die Ursache für Konflikte sein. So war u. a. eine<br />

zu hohe Erwartungshaltung für die Leitung und die Kolleginnen von Frauen mit<br />

Behinderung und auch die Frauen mit Handicap die Ursache für Schwierigkeiten<br />

(siehe Auswertung Kolleginnen-Interviews „Vor<strong>be</strong>reitung“ und „Erwartungen und<br />

Befürchtungen“). Hier stellt sich die Frage, ob nicht <strong>be</strong>ssere Vor<strong>be</strong>reitung und<br />

ehrliche Aufklärung ü<strong>be</strong>r die Leistungsfähigkeit der <strong>be</strong>troffenen Mitar<strong>be</strong>iterInnen<br />

Schwierigkeiten nicht verhindern könnten. Wird der Punkt Leistungsfähigkeit –<br />

vielleicht aus falscher Rücksichtnahme – nicht angesprochen, kann dies zu<br />

Schwierigkeiten führen.<br />

In puncto Anpassungen ist nach Behinderungsart der Frau zu differenzieren. Bei<br />

körperlichen Einschränkungen und auch <strong>be</strong>i Sinnes<strong>be</strong>hinderungen sind in erster<br />

Linie bauliche Maßnahmen notwendig, <strong>be</strong>i Lernschwierigkeiten muss sich das<br />

156


Umfeld den <strong>be</strong>sonderen Bedürfnissen der neuen Mitar<strong>be</strong>iterin anpassen, e<strong>be</strong>nso <strong>be</strong>i<br />

psychischer Problematik.<br />

Offenheit und guter Wille von <strong>be</strong>iden Seiten ist für Unternehmen alleine nicht<br />

ausreichend, oder wie es ein Leiter pointiert ausdrückt: „Seh<strong>be</strong>hinderung ist allein ist<br />

natürlich keine Qualifikation. Es muss auch funktionieren.“ Wichtig ist, dass die<br />

Leistung stimmt. „Auch wenn sie mir jetzt nicht viel kostet. Es ist trotzdem die Zeit,<br />

die ich dann verbringen muss, damit sie die Ar<strong>be</strong>it anständig macht. Ist trotzdem für<br />

mich mehr Aufwand. Auch wenn sie gratis wäre.“ In stressigen Zeiten wird dieser<br />

Mehraufwand zum Problem: „Wenn Stress ist, dann geht’s nicht immer. Dann muss<br />

die Ar<strong>be</strong>it gemacht werden.“ Wird der Aufwand zu groß, kann dies den Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />

der Frau mit Behinderung gefährden: „Dann ist es wieder zum Ü<strong>be</strong>rlegen, ob ich sie<br />

mir <strong>be</strong>halte oder nicht. Weil es kostet sehr viel Ar<strong>be</strong>itszeit und Ar<strong>be</strong>itsaufwand. Weil<br />

wenn ich die ganze Ar<strong>be</strong>it hinten nach noch einmal machen muss, dann bringt es<br />

nicht viel.“ Gerade in Unternehmen, die mit hohen Erfolgsquoten ar<strong>be</strong>iten, kann die<br />

geringere Leistungsfähigkeit zu Problemen führen (vgl. Aussagen zu offizieller<br />

Einstufung und realer Leistung in den „Abschließenden Bemerkungen“ der<br />

Kolleginnen-Interviews).<br />

Weitere Schwierigkeiten, die von Seiten der Unternehmen angesprochen werden,<br />

sind finanzielle Belastungen (wenn es keinen Ausgleich durch Förderungen gibt).<br />

Mehrmals wird „Normalität“ thematisiert: „Ich glau<strong>be</strong>, dass es wichtig ist, dass man<br />

einfach normal mit dem umgeht.“ - Sie erfüllt ihre Dienstpflichten ganz normal wie<br />

alle anderen.“ - „[Die Mitar<strong>be</strong>iterInnen] merken, dass man mit Behinderten genauso<br />

normal ar<strong>be</strong>iten kann.“ - „Jeder ist Mensch [...] und das ist das Wichtigste.“ Dieses<br />

Stre<strong>be</strong>n nach Normalität ist einerseits erfreulich und wird von den Frauen mit<br />

Behinderung auch gewünscht. So hebt eine Frau mit Behinderung positiv hervor: „[...]<br />

Ich werde nicht <strong>be</strong>vorzugt, sondern, ich bin einfach ja ganz normal da mitten drin.“<br />

(siehe „Befindlichkeit <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it“) Andererseits <strong>be</strong>steht die Gefahr, dass spezielle<br />

Bedürfnisse der Frauen mit Behinderung nicht wahrgenommen werden und sie daher<br />

Ü<strong>be</strong>rforderung ausgesetzt sind: „Wo die Grenze ist, muss man sel<strong>be</strong>r wissen. Weil<br />

der andere – ü<strong>be</strong>rhaupt jemand, der keine Erfahrung mit Behinderten hat – kann das<br />

nicht abschätzen, wo Ende ist.“ (siehe „Tipps für Frauen mit Behinderung“) Auch von<br />

157


Unternehmerseite wurden dies<strong>be</strong>züglich Bedenken geäußert: „[...] es gibt vielleicht<br />

ein kleine Manko [...], dass man unter Umständen vielleicht zu wenig Rücksicht<br />

nimmt.“ Die Bestätigung der obigen Aussage der Frau mit Behinderung folgt im<br />

Nachsatz: „Ich denke mir nur, sie sagt schon auch, wenn es ihr zu viel wird.“<br />

Von mehreren Seiten wird die Möglichkeit des gegenseitigen Kennen-Lernens von<br />

Frauen und Männern mit Behinderung einerseits und von Betrie<strong>be</strong>n anderseits<br />

gefordert. Dass dieses „Zusammenführen von <strong>be</strong>iden Seiten“ sehr erfolgreich sein<br />

kann, <strong>be</strong>legt alleine diese Studie, <strong>be</strong>i der fünf der acht Interviewpartnerinnen<br />

aufgrund eines Praktikums im Vorfeld oder persönlicher Bekanntschaft zu ihrer<br />

Ar<strong>be</strong>itsstelle gekommen sind. In diesem Zusammenhang richtet sich die Forderung<br />

an die Politik, dass „es vom Gesetzesge<strong>be</strong>r her irgendwie als zwingende Maßnahme<br />

vorgeschrie<strong>be</strong>n wird.“ (siehe auch „Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt“<br />

der Frauen mit Behinderung)<br />

Analysiert man die Interviews unter dem <strong>gender</strong> - Aspekt, ist festzustellen, dass<br />

generell nur selten geschlechtsspezifische Sprache verwendet wird. Einige Zitate aus<br />

dem Text: „Schon niedriger als <strong>be</strong>i anderen Kollegen [...]“- „[Erwartungen] wie <strong>be</strong>i<br />

jedem anderen Mitar<strong>be</strong>iter.“ „[...] ich muss die genau so <strong>be</strong>zahlen wie jeden anderen<br />

Mitar<strong>be</strong>iter.“ Nur wenige Aussagen sind geschlechtssensi<strong>be</strong>l formuliert, wie z. B.<br />

„Mitar<strong>be</strong>iterinnen oder Mitar<strong>be</strong>iter von Menschen mit Behinderung gehören wirklich<br />

vermehrt sensibilisiert.“ oder „[...] eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen[...].“<br />

Wie in den Interviews mit den Frauen mit Behinderung und deren Kolleginnen<br />

werden auch von den LeiterInnen Frauen und Männer mit Behinderung werden meist<br />

als „Menschen“ <strong>be</strong>zeichnet oder Frauen unter die männliche Form subsumiert: „A<strong>be</strong>r<br />

es ist trotzdem für mich wichtig, dass die Menschen auch das Berufsle<strong>be</strong>n erfahren.“<br />

- „A<strong>be</strong>r es gibt ganz einfach ein offeneres Klima [...] für Menschen mit Behinderungen<br />

in jeder Art.“ - „[...] für Menschen mit einem Handicap gehörte viel mehr viel mehr<br />

geredet, geschrie<strong>be</strong>n [...]“ - „[...] um diese <strong>be</strong>hinderten Mitar<strong>be</strong>iter zu unterstützen, zu<br />

fördern und wirklich zu integrieren.“ - .“Wir ha<strong>be</strong>n also an unser <strong>be</strong>hinderten<br />

Mitar<strong>be</strong>iter an und für sich keine Erwartungen.“ Selbst in Unternehmen, die mit<br />

Frauen und Männern mit Behinderung ar<strong>be</strong>iten, sind diese Formulierungen gängig:<br />

„[...] weil wir e<strong>be</strong>n Menschen mit Behinderung <strong>be</strong>treuen.“<br />

158


Wird konkret von der Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap gesprochen, findet am ehesten die<br />

weibliche Form Verwendung: „Sie ist gekommen und wir ha<strong>be</strong>n sie aufgenommen.<br />

Also, jetzt wirklich nicht nur in den Personalstand, sondern als Kollegin.“ –„[...] sie<br />

war eigentlich als Büromitar<strong>be</strong>iterin schon vorher da.“ - „Für uns ist die [...]<br />

Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung auch ganz wichtig, weil [...] ich auch immer wieder<br />

auch darauf hinweisen, dass wir nicht nur Menschen mit Behinderung <strong>be</strong>treuen,<br />

sondern auch <strong>be</strong>schäftigen.“ – „[...] Sie wird als hundertprozentige Mitar<strong>be</strong>iterin<br />

geführt.“<br />

159


4.6.5.3 Analyse der Beziehungse<strong>be</strong>ne<br />

Für die Analyse der Befindlichkeit der Frauen im Unternehmen und darü<strong>be</strong>r hinaus<br />

wurde <strong>be</strong>i der Auswertung auf das Zusammenwirken der Frauen mit Behinderung,<br />

ihrer/s ChefIn und der Kollegin geachtet.<br />

Auswertung<br />

In Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 1 meint die Frau mit Behinderung, dass ihr es mal <strong>be</strong>sser mal<br />

schlechter geht <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it. Diese wechselnde Stimmung wird auch von Kollegin<br />

und Leitung <strong>be</strong>stätigt führt zu Schwierigkeiten, da dadurch auch die Ar<strong>be</strong>itsleistung<br />

sinkt. Alles sind <strong>be</strong>müht, der Frau zu helfen und sie zu unterstützen. Ü<strong>be</strong>r die<br />

Teamsituation äußerst sich die Frau mit Behinderung zufrieden im Laufe des<br />

Interviews wird ersichtlich, dass es ihr in der Anfangszeit <strong>be</strong>sser gefallen hat und der<br />

Ar<strong>be</strong>itsdruck für sie durch eine neue Leitung gestiegen ist. Diese Aussage, die sich<br />

auch <strong>be</strong>i Kollegin und Leitung finden. Es <strong>be</strong>steht enger Kontakt zwischen Frau mit<br />

Behinderung, Kollegin und Leitung in der alltäglichen Ar<strong>be</strong>it.<br />

In Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 2 zeigen sich alle drei Seiten – Frau mit Behinderung, Kollegin<br />

und Leitung – sehr zufrieden. Auch die Interviewerin empfand <strong>be</strong>i ihrem Besuch die<br />

Stimmung im Unternehmen insgesamt als sehr positiv. Die Frau mit Behinderung<br />

<strong>be</strong>tont, dass sie mit ihrer Ar<strong>be</strong>it und dem Umfeld glücklich ist. Zwischen Frau mit<br />

Behinderung und Kollegin <strong>be</strong>steht enger Kontakt; der Kontakt der Mitar<strong>be</strong>iterin und<br />

der Leitung ist eher locker.<br />

Die Frau mit Behinderung, die an Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 3 teilnahm, ist mit ihrer Ar<strong>be</strong>its-<br />

und Teamsituation sehr zufrieden. Die Interviews mit Kollegin und Leitung <strong>be</strong>stätigen<br />

das positive Bild, das die Frau zeichnet. Man ist um das Wohl der Kollegin mit<br />

Behinderung <strong>be</strong>müht und geht auf ihre speziellen Bedürfnisse ein. Im Team und mit<br />

der Leitung herrscht enge Zusammenar<strong>be</strong>it.<br />

Auch <strong>be</strong>i Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 4 äußerst sich die Frau mit Behinderung zufrieden ü<strong>be</strong>r<br />

Ar<strong>be</strong>it und Teamsituation; eine Zufriedenheit die von Kollegin und Leitung <strong>be</strong>stätigt<br />

wird. In dem Unternehmen herrscht eine <strong>be</strong>inahe familiäre Stimmung. Alle<br />

160


Mitar<strong>be</strong>iterInnen des Unternehmens und die Leitung ar<strong>be</strong>iten eng zusammen, und<br />

man pflegt einen freundschaftlichen Umgang miteinander.<br />

Die Interviewpartnerin für Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 5 fühlt sich am Ar<strong>be</strong>itsplatz sehr wohl<br />

und <strong>be</strong>urteilt die Teamsituation positiv. Es werden Anfangsprobleme sowohl von der<br />

Frau mit Behinderung als auch der von Kollegin angesprochen. Für die Frau mit<br />

Behinderung sind die Schwierigkeiten ausgeräumt, die Kollegin sieht noch manche<br />

Problemfelder. Die Leitung äußert sich positiv ü<strong>be</strong>r die Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung.<br />

Die Leitung, die nicht in das alltägliche Geschehen involviert ist, thematisiert keine<br />

Probleme. Aufgrund der Ar<strong>be</strong>itsstruktur gibt es im Team kaum Zusammenar<strong>be</strong>it, der<br />

Kontakt zur Leitung ist gering.<br />

Die Frau mit Behinderung, die an Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 6 teilnahm, ist generell<br />

zufrieden mit der Situation am Ar<strong>be</strong>itsplatz. Kollegin und Leitung stellen eine<br />

wesentliche Unterstützung für die Frau dar; man geht mit viel Respekt und<br />

freundschaftlich miteinander um. Probleme, die die Frau mit Behinderung<br />

thematisiert, (an)erkennen auch die Kollegin und die Leitung als solche. Jede Seite<br />

ist – soweit möglich – um konstruktive Lösungen <strong>be</strong>müht. Viele Bereiche werden<br />

von der Frau mit Behinderung, der Kollegin und der Leitung alleine <strong>be</strong>ar<strong>be</strong>itet, daher<br />

ist keine ständige Zusammenar<strong>be</strong>it gege<strong>be</strong>n.<br />

Auch in Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 7 zeigt sich die Frau im Großen und Ganzen zufrieden,<br />

wünscht sich a<strong>be</strong>r Veränderungen an der Ar<strong>be</strong>itssituation. Die Probleme, die die<br />

Frau mit Behinderung seiht, erkennen die Kollegin und die Leitung nur zum Teil.<br />

Umgekehrt zeigen Kollegin und Leitung großes Bemühen um das Wohl der Frau mit<br />

Behinderung, was wiederum sie nicht so wahrnimmt. Hier sind die Frau mit<br />

Behinderung, die Kollegin und die Leitung gemeinsam in das alltägliche<br />

Ar<strong>be</strong>itsgeschehen eingebunden.<br />

Die Gesprächspartnerin von Ar<strong>be</strong>itsplatzanalyse 8 fühlt sich am Ar<strong>be</strong>itsplatz wohl,<br />

spricht a<strong>be</strong>r von Problemen im Team. Diese Probleme sieht auch die Kollegin, nicht<br />

a<strong>be</strong>r die Leitung, die nicht in der alltäglichen Ar<strong>be</strong>it involviert ist. In Teil<strong>be</strong>reichen<br />

<strong>be</strong>steht eine Zusammenar<strong>be</strong>it zwischen Frau mit Behinderung und der Kollegin; zur<br />

Leitung gibt es so gut wie nie Kontakt.<br />

161


Interpretation<br />

Auf der Beziehungse<strong>be</strong>ne zeigen sich kaum Diskrepanzen zwischen den Befragten.<br />

Die Beschreibungen der Ar<strong>be</strong>its- und Teamsituation und der Befindlichkeit der Frau<br />

mit Behinderung decken sich mit jenen der jeweiligen Kollegin und Leitung. Der<br />

Umgang miteinander ist zumindest kollegial, oft respektvoll und in manchen Fällen<br />

freundschaftlich.<br />

Spricht die Frau mit Handicap von Schwierigkeiten, werden diese auch von Kollegin<br />

und Leitung gesehen, a<strong>be</strong>r nicht immer gleich geschätzt. In allen Unternehmen ist<br />

man <strong>be</strong>müht lösungsorientiert zu sein. Sowohl die Frauen mit Behinderung als auch<br />

Kolleginnen und LeiterInnen versuchen, Probleme rasch auszuräumen und ein Klima<br />

der guten Zusammenar<strong>be</strong>it zu schaffen.<br />

162


4.6.5.4 Gesamtinterpretation<br />

Alle acht Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen zeichnen ein positives Bild von der Situation von<br />

Frauen mit Behinderung am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt. Die Frauen mit Behinderung sind<br />

durchwegs zufrieden mit ihrer Ar<strong>be</strong>its- und Teamsituation; Kolleginnen wie<br />

LeiterInnen empfinden es als positiv, eine Kollegin mit Behinderung zu ha<strong>be</strong>n.<br />

Im Folgenden sind die wichtigsten Erkenntnisse aus den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />

zusammengefasst:<br />

Ar<strong>be</strong>it hat für Frauen mit Behinderung einen hohen Stellenwert, sie stellt in ihrem<br />

Le<strong>be</strong>n eine wichtige Ressource dar. Erwerbsar<strong>be</strong>it hebt das Selbstwertgefühl, sie<br />

macht finanziell unabhängig und sie ist für Frauen mit Behinderung wichtig, weil sie<br />

dadurch das Gefühl ha<strong>be</strong>n einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.<br />

Verbunden mit dem hohen Stellenwert der Ar<strong>be</strong>it steht große Dankbarkeit für die<br />

Möglichkeit zu ar<strong>be</strong>iten, die in allen Interviews der Frauen mit Behinderung zu spüren<br />

ist. Bei der Interpretation der Interviews mit den Frauen mit Behinderung stellt sich<br />

daher die Frage, ob die geringe Anzahl an kritischen Aussagen nicht auf diese<br />

Dankbarkeitshaltung heraus zu erklären ist. Fest steht, dass einige der Frauen<br />

„schlechte“ Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>dingungen auf sich nahmen, um ü<strong>be</strong>rhaupt einer Ar<strong>be</strong>it<br />

nachgehen zu können.<br />

Frauen ar<strong>be</strong>iten immer noch in „traditionellen“ Frauen<strong>be</strong>rufen, wie auch diese acht<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen zeigen. Häufig scheint Büroar<strong>be</strong>it im weitesten Sinne eine der<br />

wenigen Ar<strong>be</strong>itsfelder, die Frauen – vor allem mit körperlichen Einschränkungen –<br />

zur Verfügung stehen.<br />

Unterstützungsangebote müssen nach Art der Behinderung der Frau differenziert<br />

werden. Für Frauen mit körperlichen Einschränkungen und mit Sinnes<strong>be</strong>hinderungen<br />

sind bauliche Anpassungen und <strong>be</strong>hinderungsgerechte Adaptionen des<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatzes notwendig. Frauen mit Lernschwierigkeiten und mit psychischer<br />

Problematik <strong>be</strong>nötigen Unterstützung durch ihr Umfeld. Ihre Bedürfnisse müssen <strong>be</strong>i<br />

Ar<strong>be</strong>itsstruktur und –tempo <strong>be</strong>rücksichtig werden.<br />

163


Frauen mit Behinderung neigen zu Selbstü<strong>be</strong>rforderung – dies zeigt sich sowohl in<br />

den Interviews mit den Frauen mit Handicap, in den Kolleginneninterviews als auch<br />

in den Gesprächen mit den LeiterInnen. Hier <strong>be</strong>steht ein enger Zusammenhang zum<br />

gesellschaftlichen Bild, das Frauen und Männer mit Behinderung generell eine<br />

geringe Leistungsfähigkeit zuspricht und die Betroffenen „zwingt“ sich ständig zu<br />

<strong>be</strong>währen.<br />

Eine spezielle Situation ergibt sich für Frauen mit psychischer Einschränkung.<br />

Psychische Probleme sind ein Tabuthema in unserer Gesellschaft und führen zu<br />

einer starken Stigmatisierung. Kolleginnen und LeiterInnen stehen der Situation oft<br />

hilflos gegenü<strong>be</strong>r und sind unsicher, wie sie sich gegenü<strong>be</strong>r der/dem Mitar<strong>be</strong>iterIn<br />

mit psychischer Problematik verhalten sollen. In diesem Zusammenhang wird von<br />

allen Seiten vermehrte Unterstützung gefordert. Hier ist noch viel an Aufklärungs-<br />

und Sensibilisierungsar<strong>be</strong>it zu leisten.<br />

Die Haltung der Kolleginnen gegenü<strong>be</strong>r der Frau mit Behinderung war generell<br />

wertschätzend. Kolleginnen wie auch LeiterInnen sind um das Wohlergehen der<br />

Mitar<strong>be</strong>iterin mit Handicap <strong>be</strong>müht, spezielle Bedürfnisse werden <strong>be</strong>rücksichtigt.<br />

Durch den Eintritt einer Frau mit Behinderung ändern sich in den jeweiligen<br />

Unternehmen das Bewusstsein und die Denkweise der Mitar<strong>be</strong>iterInnen. Man lernt<br />

voneinander, entwickelt ein Sensorium für die Bedürfnisse von Frauen und Männern<br />

mit Behinderung. Somit trägt die Integration von Frauen mit Behinderung am<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarkt zu einem gesellschaftlichen Umdenkprozess <strong>be</strong>i und hat eine<br />

nachhaltige Wirkung, die dem Ziel der Normalisierung näher kommen lässt.<br />

Schwierigkeiten sehen die Kolleginnen, wenn offizielle Einstufung und tatsächliche<br />

Leistung divergieren und dadurch Mehrar<strong>be</strong>it entsteht, die von ihnen ausgeglichen<br />

werden muss.<br />

Die in der Studie <strong>be</strong>fragten Unternehmen sind gegenü<strong>be</strong>r der Beschäftigung von<br />

Frauen mit Behinderung positiv eingestellt. Motivation für die Einstellung einer Frau<br />

mit Behinderung ist in erster Linie soziales Verantwortungsgefühl. Vorteile sehen die<br />

164


Unternehmen vor allem in den finanziellen Förderungen, die eine Beschäftigung<br />

einer/s Mitar<strong>be</strong>iterIn mit Behinderung grundsätzlich ermöglicht.<br />

Für Unternehmen sind finanzielle Unterstützung sehr wichtig, um Frauen und Männer<br />

mit Behinderung <strong>be</strong>schäftigen zu können. Die Zufriedenheit mit <strong>be</strong>stehenden<br />

Angeboten ist sehr groß.<br />

Einigkeit herrscht zwischen den Frauen mit Behinderung, den Kolleginnen und den<br />

Unternehmen, dass mehr Offenheit notwendig ist, um die Ar<strong>be</strong>itsmarktsituation von<br />

Frauen mit Behinderung zu ver<strong>be</strong>ssern – wo<strong>be</strong>i dies nicht nur Unternehmen, sondern<br />

auch die Gesellschaft <strong>be</strong>trifft. Sensibilisierungsmaßnahmen und Aufklärungsar<strong>be</strong>iten<br />

werden in diesen Zusammenhang als wichtig erachtet.<br />

Eine weitere gemeinsame Forderung ist jene, nach Möglichkeiten zum gegenseitigen<br />

Kennen-Lernen von Frauen mit Behinderung einerseits und Unternehmen im Vorfeld<br />

einer möglichen Anstellung andererseits.<br />

E<strong>be</strong>nfalls von allen drei Seiten werden laufende Unterstützungsangebote für Frauen<br />

mit Behinderung gefordert. Als wichtig wird erachtet, dass nicht die Frau selbst oder<br />

die Unternehmen Kontakt herstellen müssen, sondern dass die Initiative von den<br />

Einrichtungen wie Ar<strong>be</strong>itsassistenz oder Joballianz ausgeht.<br />

In folgenden Bereichen wird seitens dieser Studie Handlungs<strong>be</strong>darf festgestellt:<br />

In allen Interviews mit den Frauen mit Behinderung ist eine starke<br />

Dankbarkeitshaltung erkennbar, was eine eher kritiklose Haltung zur Folge hat. Zum<br />

einen ist es wichtig, das Recht von Frauen mit Behinderung auf Ar<strong>be</strong>it in der<br />

Gesellschaft <strong>be</strong>wusst zu machen. Zum anderen vermag eine Stärkung der<br />

Handlungskompetenz der Frauen mit Behinderung ihre Position zu stärken und<br />

ermöglicht ihnen, ihre Bedürfnisse selbst<strong>be</strong>wusst zu artikulieren.<br />

Mobbing wurde in den Interviews von den Frauen mit Behinderung relativ häufig<br />

thematisiert – dieses Problem scheint Frauen mit Behinderung häufig zu treffen.<br />

165


Stärkung der Frauen, a<strong>be</strong>r auch Aufklärung in den Unternehmen könnten dem<br />

entgegenwirken.<br />

Schwierig ist für Frauen mit Behinderung ihre Position als „Bittstellerin“. „Um Hilfe<br />

bitten zu müssen“ senkt das Selbstwertgefühl. Wichtig wären Angebote wie<br />

persönliche Assistenz, die dies<strong>be</strong>züglich eine Ver<strong>be</strong>sserung bringen könnten.<br />

In nur wenigen Betrie<strong>be</strong>n fand eine Vor<strong>be</strong>reitung der Mitar<strong>be</strong>iterInnen auf die<br />

Kollegin mit Handicap statt. Diese Vorgangsweise kann – muss a<strong>be</strong>r nicht – zu<br />

Schwierigkeiten führen, wenn z. B. die Erwartungen zu hoch gesteckt sind oder<br />

Unsicherheiten im Umgang mit der Frau mit Handicap nicht thematisiert werden.<br />

Betrachtet man die Interviews unter dem <strong>gender</strong> - Aspekt wird die Ausgangsthese,<br />

dass Frauen und Männer mit Behinderung nicht in ihrer Geschlechtlichkeit<br />

wahrgenommen werden, <strong>be</strong>stätigt. Sowohl die Frauen mit Behinderung selbst, als<br />

auch die Kolleginnen und die LeiterInnen <strong>be</strong>dienen sich nur selten einer<br />

geschlechtssensiblen Sprache. Meist wird die weibliche Form unter die männliche<br />

subsumiert; man spricht von „Kollegen“, „Mitar<strong>be</strong>itern“, „Behinderten“ und<br />

„Menschen“.<br />

166


4.7 LeiterInnengespräche<br />

4.7.1 Das Ziel<br />

Ziel der LeiterInnengespräche war die Sensibilisierung für das Thema <strong>gender</strong><br />

mainstreaming, das Wecken eines Problem<strong>be</strong>wusstseins auf Seite der<br />

Führungskräfte für die Sinnhaftigkeit und Einführung von <strong>gender</strong> mainstreaming in<br />

ihren Einrichtungen sowie das Erhe<strong>be</strong>n der grundsätzlichen Einstellung gegenü<strong>be</strong>r<br />

dieser innovativen politischen Strategie.<br />

4.7.2 Die Methode<br />

In den LeiterInnengesprächen wurde mit 15 LeiterInnen steirischer<br />

Behinderteneinrichtungen ein Interview zum Themen<strong>be</strong>reich <strong>gender</strong> mainstreaming<br />

geführt. In den Gesprächen wurde <strong>be</strong> <strong>gender</strong> anhand eines vom<br />

<strong>Frauengesundheitszentrum</strong> entworfenen Folders vorgestellt. Weitere<br />

Gesprächsinhalte bildeten die persönliche Erfahrung mit und die Einstellung zu<br />

<strong>gender</strong> mainstreaming seitens der Führungskräfte sowie die Sensibilisierung für<br />

dieses Thema in ihrer Institution. Die 15 LeiterInnen wurden zufällig ausgewählt,<br />

wo<strong>be</strong>i darauf geachtet wurde, LeiterInnen von größeren und kleineren<br />

Behinderteneinrichtungen zu <strong>be</strong>fragen. Die Gespräche wurden anhand eines<br />

Interviewleitfadens geführt und im Nachhinein dokumentiert und ausgewertet.<br />

4.7.3 Ergebnisse<br />

Die hier vorliegende Ergebnispräsentation spiegelt und <strong>be</strong>schreibt ausschließlich die<br />

Aussagen, Vorstellungen und Erfahrungen der <strong>be</strong>fragten LeiterInnen. Wenn in Folge<br />

von Ideen und Wahrnehmungen gesprochen wird, so <strong>be</strong>ziehen sich diese auf die<br />

getätigten Aussagen der Befragten.<br />

167


Wissen ü<strong>be</strong>r und Erfahrungen mit <strong>gender</strong> mainstreaming<br />

Im ersten Schwerpunkt der Befragung ging es generell um Erfahrungen der<br />

LeiterInnen mit <strong>gender</strong> mainstreaming. Das Spektrum ihrer bisherigen Erfahrungen<br />

ist hier sehr breit gestreut. Die Palette reicht Unwissenheit von die Bedeutung des<br />

Wortes <strong>gender</strong> mainstreaming, ü<strong>be</strong>r keine Erfahrung damit, bis hin zu Erfahrung in<br />

der Pojektantragsar<strong>be</strong>it ins<strong>be</strong>sondere im Beriech von EU Projekten, da <strong>gender</strong><br />

mainstreaming als Strategie hier zwingend vorgeschrie<strong>be</strong>n ist. In zwei der <strong>be</strong>fragten<br />

Einrichtungen gibt es eine/n <strong>gender</strong>-mainstreaming-Beauftragte/n – in einem Fall<br />

eine Frau, im anderen Fall ein Mann, die/der einen Unilehrgang <strong>be</strong>sucht ha<strong>be</strong>n.<br />

Eine Sensibilisierung zu <strong>gender</strong> mainstreaming scheint zu <strong>be</strong>ginnen und Raum zu<br />

greifen. Eine der Einrichtungen hielt zum Beispiel einen <strong>gender</strong>-Workshop für alle<br />

Mitar<strong>be</strong>iterInnen einer Abteilung ab, als es einen Fall von sexueller Belästigung gab.<br />

Eine andere Interviewpartnerin sprach davon, dass in ihrem Unternehmen im<br />

täglichen Ar<strong>be</strong>iten „intuitiv“ auf die unterschiedlichen Wünsche/Bedürfnisse von<br />

Frauen und Männern eingegangen und darauf geachtet wird, ihren Selbstwert<br />

aufzubauen. Wiederum ein anderer Interviewpartner sprach davon, dass sie, wenn in<br />

einer Einrichtung erstmals ein männlicher Kollege aufgenommen wird, <strong>be</strong>müht sind,<br />

die weiblichen Mitar<strong>be</strong>iterinnen zu stützen, damit sie nicht Inhalte an ihn abge<strong>be</strong>n.<br />

Denn der Befragte meinte, dass Frauen dazu neigen, ihren männlichen Kollegen<br />

Verantwortung zu ü<strong>be</strong>rlassen.<br />

In einem der <strong>be</strong>fragten Unternehmen gab es im vergangenen Jahr eine Klausur für<br />

Führungskräfte zum Thema <strong>gender</strong> mainstreaming. Ziel der Klausur war es, einen<br />

Beitrag zur geschlechtsspezifischen Gleichstellung zu leisten. Was es nach Aussage<br />

des Interviewpartners auf alle Fälle gebracht hat, war eine erste Sensibilisierung und<br />

eine Vorstellung der Methoden der Evaluierung.<br />

Eine weitere Institution ist gerade da<strong>be</strong>i, ein Geschlechterraster zur statistischen,<br />

geschlechtsspezifischen Datenerhebung zu entwickeln. Die Motivation, sich mit<br />

<strong>gender</strong> mainstreaming zu <strong>be</strong>fassen, erfolgt aus zwei Gründen: Der Zugang zu<br />

168


<strong>gender</strong> mainstreaming erfolgt aufgrund der Anforderung der Förderge<strong>be</strong>rInnen<br />

und/oder aus persönlichem Interesse einzelner Mitar<strong>be</strong>iterInnen.<br />

Das Geschlechterverhältnis unter Mitar<strong>be</strong>iterInnen- und auf Führungse<strong>be</strong>ne<br />

Bei der Frage nach dem Geschlechterverhältnis innerhalb der Leitung bzw. Führung<br />

der jeweiligen Behinderteneinrichtung <strong>be</strong>trifft, erga<strong>be</strong>n sich folgende Antworten:<br />

Die Führungse<strong>be</strong>ne ist oft ganz in männlicher Hand, <strong>be</strong>stenfalls wird sie von einem<br />

Mann und einer Frau geteilt <strong>be</strong>setzt, in Ausnahmefällen von einer Frau. In der E<strong>be</strong>ne<br />

des mittleren Managements, das in vielen Fällen die Leitung eines Tel<strong>be</strong>reiches<br />

<strong>be</strong>deutet, sind in der Mehrzahl Frauen vertreten. Der administrative Bereich ist in<br />

Frauenhand, während die Hausmeisterei in Männerhand ist.<br />

In der unteren E<strong>be</strong>ne (Betreuung und Pflege) sind Frauen stärker im Bereich der<br />

Pflege vertreten. Der Bereich der Finanzen (Steuer<strong>be</strong>rater) liegt in Männerhand,<br />

Sekretariat oder Bibliotheken werden von Frauen geleitet. Die hohe Anzahl der<br />

weiblichen Mitar<strong>be</strong>iter wird von den Leitungskräften mit der schlechten Bezahlung<br />

und dem gesellschaftlichen Stellenwert von Sozialar<strong>be</strong>it erklärt.<br />

Das Geschlechterverhältnis der KlientInnen aus Sicht der LeiterInnen<br />

Es gibt sowohl Einrichtungen, in denen das männliche Klientel ü<strong>be</strong>rwiegt als auch<br />

Vereinigungen, wo sich das Klientel von männlichen und weiblichen Personen die<br />

Waage hält bzw. der Frauenanteil O<strong>be</strong>rhand gewinnt. Allerdings sind in<br />

männertypischen Berufen mehr Männer, in frauentypischen Breichen mehr Frauen<br />

vertreten.<br />

Wahrnehmung von geschlechtsspezifischen Unterschieden ü<strong>be</strong>r die<br />

Mitar<strong>be</strong>iterInnen aus Sicht der LeiterInnen<br />

Die Führung nimmt eher Geschlechterrivalitäten, wenn eine Frau an der Spitze steht.<br />

Oder es wird die Frage „Wo sind die Frauen ü<strong>be</strong>rhaupt in Führungspositionen<br />

169


anzutreffen?“ in den Raum gestellt. Jedoch wo soziales Engagement Voraussetzung<br />

ist, sind eher Frauen vertreten. Den pädagogischen Aufga<strong>be</strong>n bzw. Anforderungen<br />

sind erfahrungsgemäß Frauen viel eher gewachsen als Männer, so ein Befragter<br />

meinte.<br />

Der Sozial<strong>be</strong>reich ist eine Frauendomäne, jedoch wenn es um die Finanzen geht,<br />

sind auch Männer zu finden. Die Motivation der Frauen, so ein Befragter, in den<br />

Sozial<strong>be</strong>reich zu gehen, hat viel mit dem Ausle<strong>be</strong>n von Mütterlichkeit zu tun,. Er<br />

meinte, es geht auch darum, dass Frauen hier formale Macht ü<strong>be</strong>r andere ausle<strong>be</strong>n,<br />

ohne diese nach außen hin transparent machen zu müssen. Allerdings wird in letzter<br />

Zeit im Bereich der Betreuung auf Gleichgeschlechtlichkeit Wert gelegt, sodass<br />

Männer, die sich für Betreuung interessieren, <strong>be</strong>vorzugt aufgenommen werden.<br />

Wahrnehmung ü<strong>be</strong>r geschlechtsspezifischer Unterschiede <strong>be</strong>i KlientInnen aus<br />

Sicht der LeiterInnen<br />

Die Aussagen der LeiterInnen <strong>be</strong>stätigen, dass Frauen bzw. Männer mit<br />

Behinderung sich für geschlechtstypische Berufe entscheiden. Bereichsspezifisch<br />

gehen Männer in die Bereiche Transport, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft; Frauen<br />

wählen Dienstleistungs<strong>be</strong>rufe oder freie Berufe.<br />

Frauen sind offener für das Inanspruchnehmen von professionellen Hilfen in<br />

Beratungsstellen. Männer sind <strong>be</strong>i ihrer Berufswahl geradliniger und weichen weniger<br />

von ihren Idealvorstellungen ab. Frauen hingegen neigen dazu sich anzupassen,<br />

sind kompromiss<strong>be</strong>reiter.<br />

Oft ist zu <strong>be</strong>merken, dass die Betreuungswünsche nicht vom Geschlecht, sondern<br />

von der Art der Behinderung abhängig sind. Freundinnen bzw. Ehefrauen sind eher<br />

<strong>be</strong>reit, die Männer zu <strong>be</strong>treuen/pflegen. Seitens der Männer ist das eine seltene<br />

Ausnahme. Was wiederum das traditionelle Bild von der Frau stärkt, die für den<br />

häuslich-familiären Support zuständig ist. Mädchen und Frauen mit Behinderung wird<br />

außer Haus nichts zugetraut.<br />

170


Was die finanzielle Unterstützung <strong>be</strong>trifft, <strong>be</strong>kommen Männer höheres<br />

Ar<strong>be</strong>itslosengeld bzw. Notstand. Frauen sind schlechter abgesichert.<br />

Ideen für geschlechtsspezifische Maßnahmen auf Mitar<strong>be</strong>iterInnene<strong>be</strong>ne aus<br />

Sicht der LeiterInnen<br />

Die <strong>be</strong>fragten LeiterInnen machten folgende Aussagen, aus denen sich eine breite<br />

Meinungspalette ergibt:<br />

1. Männer müssen ihren Beitrag leisten, Frauen jedoch auch.<br />

2. Neutrale (geschlechtsneutrale) Beratung und Betreuung wäre wünschenswert.<br />

3. Forderung nach mehr Männern als Mitar<strong>be</strong>iter im Sozial<strong>be</strong>reich.<br />

Sie meinten, Männer sind allein schon wegen der körperlichen Schwerar<strong>be</strong>it aus dem<br />

Behinderten<strong>be</strong>reich nicht weg zu denken. Für Frauen bzw. Männer mit Kindern<br />

müsste die Kinder<strong>be</strong>treuung ausgebaut werden. In Sozial<strong>be</strong>rufen zu ar<strong>be</strong>iten, birgt<br />

gerade für Männer die Gefahr, einen Prestigeverlust zu erleiden; auch die Bezahlung<br />

erscheint Männern als zu gering. Dem müsste man entgegenwirken, indem für<br />

Männer und Frauen die Bezahlung angeho<strong>be</strong>n wird.<br />

Ideen für geschlechtsspezifische Maßnahmen auf KlientInnene<strong>be</strong>ne aus Sicht<br />

der LeiterInnen<br />

• Der Zugang zur Beratung soll geschlechtssensi<strong>be</strong>l sein. Diejenigen, die weiter<br />

verweisen, ar<strong>be</strong>iten nicht geschlechtssensi<strong>be</strong>l.<br />

• Selbst<strong>be</strong>wusstseinstrainings für <strong>be</strong>hinderte Frauen wären wünschenswert und<br />

notwendig. Frauen brauchen zudem mehr finanzielle Unterstützung, denn<br />

finanzielle Sicherheit nimmt ihnen Ängste.<br />

• Beratungsstellen aufzusuchen und Informationen einzuholen, scheint für viele<br />

Männer <strong>be</strong>reits ein Hindernis zu sein. Deshalb plant eine der <strong>be</strong>fragten<br />

Einrichtungen ein mobiles Beratungsangebot. Da Frauen Defizite im fundierten<br />

EDV- Wissen ha<strong>be</strong>n, wäre gerade hier eine Ausbildungsfinanzierung sinnvoll und<br />

notwendig.<br />

171


Weitere Ideen für geschlechtssensiblen Umgang aus Sicht der LeiterInnen<br />

• Selbst<strong>be</strong>wusster Umgang mit dem eigenen Können müsste sehr früh <strong>be</strong>ginnen.<br />

Das „Verhätscheln von Mädchen und Bu<strong>be</strong>n mit Behinderung“, so eine Befragte,<br />

seitens der Eltern lähmt die Möglichkeit der Entwicklung; Elterna<strong>be</strong>nde müsste<br />

fixer Bestandteil in der Berufsfindung sein.<br />

• Wie immer ist es auch notwendig hinter die Kulissen zu schauen, um die Realität<br />

der Behindertenorganisationen mit den Leitbildern von <strong>gender</strong> mainstreaming zu<br />

vergleichen. Denn, nicht alle Einrichtungen, so eine Befragte, die vorge<strong>be</strong>n<br />

<strong>gender</strong> mainstreaming zu <strong>be</strong>trei<strong>be</strong>n, tun dies tatsächlich.<br />

• „Können wir uns Behinderung ü<strong>be</strong>rhaupt noch leisten?“ – hier stellt sich ein Leiter<br />

die Finanzierbarkeitsfrage.<br />

• Geschlechtsspezifische Projekte sollten so früh wie möglich starten und vom<br />

Kindergartenalter bis ins Berufsle<strong>be</strong>n als Begleitmaßnahme durchgeführt werden.<br />

• Als Frau oder Mann mit Behinderung selbst<strong>be</strong>stimmt zu le<strong>be</strong>n, setzt auch voraus,<br />

zu wissen, was man will. Viele Frauen und Männer mit Behinderung wissen das<br />

a<strong>be</strong>r nicht. Hier wären Empowermentkurse empfehlenswert.<br />

• Behinderte und Nicht-Behinderte müssen den Weg des Kooperierens gehen. Nur<br />

so kann Veränderung passieren.<br />

Zusammenfassung und Ausblick<br />

Mit den geführten Gesprächen konnte das Ziel, den Ist-Zustandes zu erhe<strong>be</strong>n und<br />

für <strong>gender</strong> mainstreaming zu sensibilisieren, erreicht werden.<br />

Die Vereinbarung der Gesprächstermine gestaltete sich durchwegs einfach und die<br />

LeiterInnen zeigten eine grundsätzliche Offenheit gegenü<strong>be</strong>r <strong>gender</strong> mainstreaming<br />

als politische Strategie. Durch Anforderungen der Finanzge<strong>be</strong>rInnen geraten alle<br />

Befragten allmählich unter Druck, sich mit dem Thema <strong>gender</strong> mainstreaming zu<br />

<strong>be</strong>fassen – vermehrt jene, die Gelder aus EU-Töpfen <strong>be</strong>kommen, wo die Einhaltung<br />

von <strong>gender</strong> mainstreaming vorgeschrie<strong>be</strong>n wird.<br />

172


Die Art und Weise der Umsetzung von <strong>gender</strong> mainstreaming gestaltet sich je nach<br />

Einrichtung unterschiedlich: Die Umsetzungspalette reicht von Einrichtungen, die<br />

<strong>gender</strong> mainstreaming am Papier <strong>be</strong>trei<strong>be</strong>n, ü<strong>be</strong>r jene, die <strong>gender</strong> - Beauftragte<br />

<strong>be</strong>nennen, bis zu jenen, die ein <strong>gender</strong>spezifisches Projekt planen, oder auf der<br />

anderen Seite jenen, die von <strong>gender</strong> mainstreaming zwar <strong>be</strong>reits gehört ha<strong>be</strong>n, a<strong>be</strong>r<br />

nicht wissen, was es der Inhalt des Wortes ist.<br />

Da<strong>be</strong>i konnte im Rahmen dieser Studie kein Unterscheid zwischen Wünschen und<br />

Umsetzungskapazität von <strong>gender</strong> mainstreaming in größeren bzw. kleineren<br />

Behinderteneinrichtungen festgestellt werden. Die Art der Umsetzung scheint eher<br />

abhängig vom persönlichen Engagement einzelner Mitar<strong>be</strong>iterInnen oder der<br />

Möglichkeit durch die Beachtung und Umsetzung von <strong>gender</strong> mainstreaming zu<br />

Fördergeldern zu kommen.<br />

Für das Weiterar<strong>be</strong>iten wird aus den geführten Gesprächen der Schluss gezogen,<br />

wie wichtig es ist, auf der strukturellen sowie der LeiterInnen-, Mitar<strong>be</strong>iterInnen- und<br />

KlientInnene<strong>be</strong>ne von Behinderteneinrichtungen anzusetzen.<br />

Die Beachtung der strukturellen E<strong>be</strong>ne <strong>be</strong>deutet, klare Vorschriften und Regelungen<br />

<strong>be</strong>züglich der Einhaltung von und der Verga<strong>be</strong> von finanziellen Mitteln zu machen.<br />

LeiterInnen- und Mitar<strong>be</strong>iterInnen müssen persönlich angesprochen und <strong>be</strong>rührt<br />

werden, um die Sinnhaftigkeit von top-down Regelungen erfassen und damit in<br />

diesem Fall, die Wichtigkeit der Umsetzung von <strong>gender</strong> mainstreaming erfassen zu<br />

können.<br />

173


4.8 Österreichisches Netzwerk für Frauen mit und ohne<br />

Behinderung<br />

4.8.1 Das Ziel<br />

Ziel der Teilnahme des <strong>Frauengesundheitszentrum</strong>s an dem „Österreichischen<br />

Netzwerk für Frauen mit und ohne Behinderung“ ist es, der Zielgruppe „Frauen mit<br />

Behinderung“ öffentlich Stimme zu verleihen und ü<strong>be</strong>r Eigenkompetenz deren<br />

Austausch und Vernetzung zu fördern.<br />

4.8.2 Ablauf und Ergebnisse der Treffen<br />

Die Idee zu einem Netzwerk für Frauen mit und ohne Behinderung entstand im Zuge<br />

des Kongresses „Behindertsein in Europa“ im Jahr 2003, wo die österreichischen<br />

TeilnehmerInnen erkannten, dass dem Thema „Frausein mit Behinderung“ öffentlich<br />

noch nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wurde.<br />

Bisher traf sich das Frauennetz für Frauen mit und ohne Behinderung drei Mal. Am 1.<br />

März 2004 fand das Gründungstreffen des Frauennetzwerkes in Linz statt. 20 Frauen<br />

mit und ohne Behinderung aus ganz Österreich nahmen daran teil. Bei diesem<br />

Treffen wurde <strong>be</strong>schlossen, dass Frauen mit Behinderung im ersten Jahr das Sagen<br />

ha<strong>be</strong>n, sprich alle Entscheidungen rund um das Netzwerk werden von Frauen mit<br />

Behinderung getroffen.<br />

Zum zweiten Netzwerktreffen am 27. Mai 2004 in Linz, das im Rahmen des<br />

Zukunftsforums der Miteinander GmbH im Linzer Rathaus abgehalten wurde, kamen<br />

60 Frauen mit und ohne Behinderung. Vorträge, Referate und anschleißende<br />

Workshops machten den Tag zu einem gelungenen Informations- und<br />

Austauschforum. Brigitte Fa<strong>be</strong>r, Mit<strong>be</strong>gründerin des deutschen Wei<strong>be</strong>rnetzes,<br />

schilderte die Gründungsphase des Netzes in Deutschland und gab Einblicke in die<br />

heutige Situation. Die wissenschaftliche Expertin Mathilde Niehaus aus Köln<br />

174


eferierte ü<strong>be</strong>r Möglichkeiten und Grenzen in der Netzwerkar<strong>be</strong>it von Frauen mit<br />

Behinderung. Aiha Zemp aus der Schweiz schilderte auf <strong>be</strong>rührende Art ihr Le<strong>be</strong>n<br />

aus der Sicht einer <strong>be</strong>hinderten Frau. Ihr Fazit: „Ü<strong>be</strong>rall, wo man uns zur Normalität<br />

zwingt, gibt es Schwierigkeiten, sei es in gesellschaftlicher als auch in finanzieller<br />

Hinsicht“. Abschließend <strong>be</strong>richtete die Wiener Forscherin Barbara Kreilinger ü<strong>be</strong>r die<br />

Ergebnisse in der Broschüre „Frau sein-barrierefrei“.<br />

Das dritte Treffen am 08. Okto<strong>be</strong>r 2004 in Wien, in den Räumlichkeiten des Zentrums<br />

für Kompetenzen stellte ein inhaltliches Ar<strong>be</strong>iten von Frauen mit und ohne<br />

Behinderung dar. Die Zahl der Teilnehmenden war geringer als <strong>be</strong>i den ersten<br />

Treffen und brachte zum Ausdruck, dass mehr Frauen mit Behinderung für das<br />

Netzwerk gewonnen bzw. parallel dazu auf regionaler E<strong>be</strong>ne angesprochen und<br />

mobilisiert werden müssen.<br />

Im Zentrum der Aktivitäten des Netzwerkes für Frauen mit und ohne Behinderung<br />

stehen das Frausein, die Auseinandersetzung mit dem Frausein und das Vernetzen<br />

untereinander.<br />

Ein nächster Schritt wird es sein, weiterhin Vernetzung zu <strong>be</strong>trei<strong>be</strong>n, mehr Frauen<br />

mit Behinderung zu gewinnen und in der Öffentlichkeit tätig zu werden.<br />

Das <strong>Frauengesundheitszentrum</strong> unterstützt auf Grundlage der bisherigen<br />

Erfahrungen die Seite der Frauen mit Behinderung und holt sich gleichzeitig aus den<br />

Treffen wertvolle Anregungen für das eigene, projekt<strong>be</strong>zogene Ar<strong>be</strong>iten.<br />

175


4.9 Expertinnen<strong>be</strong>iräte + Treffen der InterviewpartnerInnen<br />

4.9.1 Ziel des ExpertInnen<strong>be</strong>iräte<br />

Im Juni und im Novem<strong>be</strong>r 2004 fanden zwei ExpertInnen<strong>be</strong>iräte statt, e<strong>be</strong>nfalls im<br />

Novem<strong>be</strong>r das Treffen der InterviewpartnerInnen.<br />

TeilnehmerInnen der ExpertInnen<strong>be</strong>iräte waren Frauen und Männer, die selbst eine<br />

Behinderung ha<strong>be</strong>n, VertreterInnen aus Politik und Wissenschaft sowie aus dem<br />

Behindertenwesen.<br />

Die Namen der TeilnehmerInnen am Treffen der InterviewpartnerInnen werden aus<br />

Gründen der Anonymität hier nicht genannt.<br />

Im ersten Beirat wurde das Forschungsdesign <strong>be</strong> <strong>gender</strong> vorgestellt und die Fragen<br />

zu narrativen Interviews und Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen sowie die Fragebögen für die<br />

Unternehmen <strong>be</strong>sprochen.<br />

Beim zweiten Expertinnen<strong>be</strong>irat im Novem<strong>be</strong>r wurden die vorläufigen Ergebnisse von<br />

<strong>be</strong> <strong>gender</strong> vorgestellt und der daraus resultierende Maßnahmenkatalog diskutiert.<br />

Die ExpertInnen machten wertvolle Anregungen und ga<strong>be</strong>n Rückmeldungen, die die<br />

Mitar<strong>be</strong>iterinnen in die Studie aufnahmen. Sie sind in separaten Protokollen<br />

dokumentiert und ausgesendet worden.<br />

Auch <strong>be</strong>im Treffen der InterviewpartnerInnen wurden die vorläufigen Ergebnisse von<br />

<strong>be</strong> <strong>gender</strong> vorgestellt und diskutiert und die Interviewten <strong>be</strong>kamen die Möglichkeit, in<br />

der Gruppe ü<strong>be</strong>r Veränderungswünsche <strong>be</strong>züglich geschlechtsspezifischer Themen<br />

Ideen auszutauschen.<br />

176


4.9.2 Ergebnisse<br />

Der erste Expertinnen<strong>be</strong>irat brachte viele wertvolle Anregungen und Denkanstöße für<br />

uns; hier einige der wichtigsten Punkte, die in der Studie umgesetzt wurden:<br />

Sprachlich einfache Formulierungen in den Interviews wurden als wichtig erachtet.<br />

Es wurde daher vorgeschlagen, die Interviews von Capito (a´tempo) in eine Leichter-<br />

Lesen-Fassung zu „ü<strong>be</strong>rsetzen“. Die Finanzierung wurde vom Bundessozialamt<br />

ü<strong>be</strong>rnommen.<br />

Ein Vertreter aus der Wissenschaft schlug vor, gegenseitig Pro<strong>be</strong>interviews zu<br />

führen, was wir vor Beginn der Forschungsar<strong>be</strong>it gemacht ha<strong>be</strong>n.<br />

Eine Expertin aus der Politik gibt zu <strong>be</strong>denken, dass die Fragen sehr offen sind und<br />

Männer und Frauen mit Behinderung ev. Schwierigkeiten ha<strong>be</strong>n, auf derart offene<br />

Fragen spontan zu antworten. Infolge wurden die narrativen Interviews <strong>be</strong>i Bedarf mit<br />

Zwischenfragen ergänzt.<br />

Die Art der Behinderung solle „nach objektiven und subjektiven Kriterien“ abgefragt<br />

werden. Der Selbsteinschätzung der Betroffenen wurde große Bedeutung<br />

<strong>be</strong>igemessen. Als Definition wurde die WHO-Abstufung empfohlen. Bei der Abfrage<br />

der Daten, die u. a. die Art der Behinderung enthalten, wurden daher die Frauen und<br />

Männer mit Behinderung selbst <strong>be</strong>fragt. Rückfragen an Angehörige oder<br />

BetreuerInnen erfolgten nur <strong>be</strong>i Bedarf und im Absprache mit der/dem<br />

InterviewpartnerIn.<br />

Auf Anregung einer Frau mit Behinderung wurden die Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen neu<br />

konzipiert. Sie führte an, dass es schwierig ist, den LeiterInnen und KollegInnen<br />

diesel<strong>be</strong>n Fragen zu stellen, wie der Frau mit Behinderung. Die ExpertInnen einigen<br />

sich darauf, die ChefInnen und KollegInnen <strong>be</strong>züglich der Rahmen<strong>be</strong>dingungen, der<br />

„Vorteile“ und Motivation eine Frau mit Beh. anzustellen, zu <strong>be</strong>fragen.<br />

177


Auch wurde angeboten, Kontakte zu möglichen InterviewpartnerInnen herzustellen –<br />

ein Angebot, das genutzt wurde.<br />

Die ExpertInnen der zweiten Beiratssitzung hielten sowohl die Durchführung eines<br />

Modellprojekts als auch die Weiterführung der Forschung für notwendig. Die<br />

Stärkung der Frauen mit Behinderung soll im Mittelpunkt des Modellprojekts stehen –<br />

wo<strong>be</strong>i sowohl auf der E<strong>be</strong>ne der Frauen, auf UnternehmerInnene<strong>be</strong>ne als auch auf<br />

Organisationse<strong>be</strong>ne anzusetzen ist. Eine detaillierte Erhebung von Daten und die<br />

Fortführung der narrativen Interviews in der Modellregion wurden für die<br />

Forschungsstudie vorgeschlagen. Diese Anregungen fanden im Neuantrag<br />

Niederschlag und mündeten in den im Ausblick vorgestellten Projektkonzeptionen.<br />

4.9.3 Treffen der InterviewpartnerInnen<br />

Im Treffen der InterviewpartnerInnen stand e<strong>be</strong>nso die Stärkung der<br />

Handlungskompetenz von Frauen und Männern mit Behinderung im Mittelpunkt. Der<br />

Wunsch nach der Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch wurde ausgesprochen.<br />

Um die Situation für Frauen und Männer mit Behinderung am Ar<strong>be</strong>itsmarkt zu<br />

ver<strong>be</strong>ssern, wurde zum einen die Sensibilisierung der Unternehmen für wichtig<br />

erachtet, zum anderen a<strong>be</strong>r auch die Schaffung von passenden strukturellen<br />

Bedingungen (z. B. Assistenzleistungen) gefordert.<br />

Um Frauen spezifisch zu fördern, wurde offenkundig, dass es notwendig ist ihnen<br />

genug Zeit einzuräumen und die Möglichkeit zu ge<strong>be</strong>n, sich untereinander in einer<br />

geschlechtshomogenen Gruppe auszutauschen.<br />

178


5 Ausblick<br />

Be <strong>gender</strong> findet 2005 in folgenden zwei Folgeprojekten Fortsetzung:<br />

Modellprojekt in den Bezirken Leibnitz und Radkersburg<br />

Forschungsstudie in den Bezirken Leibnitz und Radkersburg<br />

5.1 Das Modellprojekt<br />

Konzeptionell ist das Umsetzungsprojekt so angelegt, dass es seine Wirkung auf vier<br />

E<strong>be</strong>nen erzielt, nämlich auf E<strong>be</strong>ne der Frauen mit Behinderung, der<br />

Behinderteneinrichtungen, der breiten Öffentlichkeit und der UnternehmerInnen. Im<br />

Sinne eines aussagekräftigen, ü<strong>be</strong>rtragbaren und nachhaltigen Modellprojektes wird<br />

die Umsetzung wissenschaftlich <strong>be</strong>gleitet und evaluiert.<br />

Ausgangspunkt für das Modellprojekt sind die Ergebnisse von <strong>be</strong> <strong>gender</strong> und<br />

folgende Problemstellung: Ar<strong>be</strong>it ist für Frauen mit Behinderung zentrales Thema, ob<br />

in einer Beschäftigungstherapie oder am ersten Ar<strong>be</strong>itsmarkt. Gerade aufgrund ihres,<br />

von der weiblichen Normalbiographie abweichenden Le<strong>be</strong>nsentwurfes, in dem<br />

Partnerschaft oder Ehe als Reproduktionsweg im Regelfall ausgeschlossen<br />

scheinen, konzentrieren sich Frauen mit Behinderung auf eine sinnstiftende<br />

Beschäftigung. Dem gegenü<strong>be</strong>r steht die geschlechtsspezifische Segmentierung des<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarktes ins<strong>be</strong>sondere im Bereich der Ar<strong>be</strong>itsmöglichkeiten für Frauen mit<br />

Behinderung. Dazu kommt, dass Frauen mit Behinderung in Beschäftigungen und<br />

Tätigkeits<strong>be</strong>reichen sind, die in sich selbst <strong>be</strong>reits gesellschaftlich abgewertet sind.<br />

Die Bewältigungsstrategien der Frauen sehen so aus, dass sie entweder resignieren<br />

und mit der Zeit derartige Bedingungen akzeptieren, oder in Eigenregie in immer<br />

wieder neue Beschäftigungsverhältnisse eindringen. Die erfolgt wiederholt zu ähnlich<br />

entwertenden Bedingungen.<br />

Eigene Bedürfnisse werden hinten angestellt, aus Angst, auch diese Beschäftigung<br />

zu verlieren, aus nicht vorhandener Situationsreflexion, aus Angepasstheit oder aus<br />

179


dem sozialisations<strong>be</strong>dingten Unvermögen Bedürfnisse wahrzunehmen, sie in einem<br />

nächsten Schritt zu artikulieren und infolge Veränderungen einzufordern.<br />

Im Bild der Öffentlichkeit ha<strong>be</strong>n Frauen mit Behinderung zudem keinen Platz. Als<br />

Ar<strong>be</strong>itskraft werden sie nur partiell, als Frauen gar nicht wahrgenommen.<br />

Das Modellprojekt verfolgt folgendes Ziel: Frauen mit Behinderung sollen in<br />

gegenseitiger Bestärkung <strong>be</strong>fähigt werden, Bedürfnisse zu erkennen,<br />

Handlungskompetenzen zu entwickeln und Selbst<strong>be</strong>wusstsein zu erlangen. Ü<strong>be</strong>r das<br />

Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten und Grenzen entsteht ein veränderter Blick auf<br />

Berufswahl und Berufssituationen. Jene, die wissen was und wie sie es wollen,<br />

sprich, ihre Entscheidungen <strong>be</strong>wusst treffen, stehen längerfristig hinter ihrer<br />

Berufsentscheidung. Im Sinne einer Frau mit Behinderung, die davor steht, sich für<br />

einen Beruf zu entscheiden, könnte dies <strong>be</strong>deuten, dass sie die Entscheidung<br />

<strong>be</strong>wusst und ü<strong>be</strong>rlegt trifft, sich an ihren Ressourcen und Fähigkeiten orientiert und<br />

damit auch mit der getroffenen Wahl identifizieren und im positivsten Falle langfristig<br />

dahinter stehen kann.<br />

Die Maßnahmen des Modellprojekts umfassen vier E<strong>be</strong>nen:<br />

• E<strong>be</strong>ne der Frauen mit Behinderung<br />

• E<strong>be</strong>ne der Organisationen im Behinderten<strong>be</strong>reich<br />

• E<strong>be</strong>ne der Unternehmen<br />

• E<strong>be</strong>ne der Öffentlichkeit<br />

Maßnahmen für und mit Frauen mit Behinderung erfolgen in drei Bereichen:<br />

• Frauengruppen: „Ich, mein Beruf und du!“<br />

In einem ersten Schritt ist es Ziel, regionale Frauengruppen für Frauen mit<br />

Behinderung anzubieten. Frauengruppen als Austauschplattform bieten das<br />

Erkennen und Stärken eigener Fähigkeiten. Die <strong>be</strong>rufliche und private<br />

Umsetzung dieser entsteht in Folge. Ü<strong>be</strong>r die regionale Verankerung der<br />

Frauengruppen schaffen sich Frauen mit Behinderung öffentlich Stimme.<br />

180


• Frauen<strong>be</strong>ratung<br />

Beratung <strong>be</strong>deutet im Bereich der Behindertenhilfe oft institutionsinterne<br />

Beratung für Frauen und Männer. Externe Beratungseinrichtungen in der<br />

Behindertenar<strong>be</strong>it sind rar, frauenspezifische Beratungseinrichtungen sind<br />

zum Großteil nicht barrierefrei, ha<strong>be</strong>n <strong>be</strong>hinderte Frauen bisher nicht als<br />

Zielgruppe und sind regional nicht verankert. Gerade für Frauen mit<br />

Behinderung, die ü<strong>be</strong>r geringes Einkommen verfügen und mit<br />

Mobilitätseinschränkungen konfrontiert sind, ist es oft nicht möglich eine<br />

frauenspezifische Beratung in Anspruch zu nehmen. Dem soll durch das<br />

Einrichten einer frauenspezifischen Einzel<strong>be</strong>ratung in den Bezirken Leibnitz<br />

und Radkersburg entgegengewirkt werden, die somit zur Stärkung und<br />

Unterstützung von Frauen mit Behinderung <strong>be</strong>iträgt.<br />

• Ausbildung von Frauen mit Behinderung zu Trainerinnen und<br />

Beraterinnen<br />

Frauen mit Behinderung ha<strong>be</strong>n derzeit wenige Möglichkeiten als Beraterinnen<br />

oder Trainerinnen tätig zu werden. Dem geht eine fehlende Ausbildung von<br />

Frauen mit Behinderung im Beratungs- und Trainings<strong>be</strong>reich voraus. Ziel ist<br />

das konzeptionelle Entwickeln eines Fortbildungsangebotes für Frauen mit<br />

Behinderung, welches sowohl <strong>be</strong>hindertenspezifisches als auch<br />

geschlechtsspezifisches Ar<strong>be</strong>iten integriert und zusammenführt. In einem<br />

weiteren Schritt soll ein Ausbildungslehrgang für Frauen mit Behinderung zu<br />

Trainerinnen/Beraterinnen angeboten werden. Die ausgebildeten<br />

Trainerinnen/Beraterinnen werden <strong>be</strong>fähigt, Frauen<strong>be</strong>ratung durchzuführen<br />

und anzubieten bzw. selbst Frauengruppen zu leiten. Auf diese Weise wird<br />

Frauen mit Behinderung langfristig ein innovativer und sinnstiftender Weg der<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarktintegration ermöglicht.<br />

Auf der E<strong>be</strong>ne der Organisationen wird das Implementieren von <strong>gender</strong><br />

mainstreaming in jenen Behinderteneinrichtungen, die in den Bezirken Leibnitz und<br />

Radkersburg tätig sind, angestrebt.<br />

181


Um auf E<strong>be</strong>ne der Unternehmen eine Sensibilisierung für die <strong>gender</strong> - Perspektive<br />

zu erlangen, werden die Mitar<strong>be</strong>iterInnen der Joballianz und Ar<strong>be</strong>itsassistenz für das<br />

Konzept des <strong>gender</strong> mainstreaming sensibilisiert und ge<strong>be</strong>n dies an<br />

UnternehmerInnen weiter.<br />

In allen Bereichen erfolgt eine wissenschaftliche Begleitung und Dokumentation.<br />

5.2 Die Forschungsstudie<br />

Be <strong>gender</strong> hat gezeigt, wie wichtig es im Sinne genereller Datenerhebung,<br />

Bestandsaufnahmen sowie fol<strong>gender</strong> Projektentwicklungen und –durchführungen ist,<br />

dem aktuellen Forschungsdefizit im Bereich der Frauen und Männer mit Behinderung<br />

entgegenzutreten. Mit <strong>be</strong> <strong>gender</strong> konnte eine Ersterhebung in der Steiermark<br />

stattfinden. Das Aufzeigen genereller Trends und Tendenzen sowie inhaltlicher<br />

Aussagen ist möglich geworden. Im Zuge einer steiermarkweiten qualitativen Studie<br />

war es nicht Ziel, repräsentative bzw. regionale Aussagen treffen zu können. In<br />

Ergänzung zu dem aus <strong>be</strong> <strong>gender</strong> entstandenen Umsetzungsmodell wird es nun<br />

nötig, qualitativ in die Tiefe zu gehen, bzw. sich mit quantitativen Erhebungen zu<br />

<strong>be</strong>fassen.<br />

Es gibt in Österreich bisher keine Daten ü<strong>be</strong>r die Anzahl von Frauen und Männern<br />

mit Behinderung. Vorhandene Zahlen sind auf Schätzungen zurückzuführen. So<br />

stammen die gültigen Daten zu der Anzahl körperlich <strong>be</strong>einträchtigter Personen in<br />

Österreich aus der Mikrozensuserhebung und enthalten die subjektive Einschätzung<br />

der Bevölkerung zu der Anzahl körperlich <strong>be</strong>einträchtigter Personen. 52<br />

Geschlechtsspezifische Erhebungen sind nicht vorhanden.<br />

Allgemein erfasst ist die Aus<strong>be</strong>zahlung von Fördermittel und -gelder an Frauen und<br />

Männer mit Behinderung. Fördermittel werden von den verschiedensten Stellen, wie<br />

Land, Bundessozialamt, AMS etc. aus<strong>be</strong>zahlt. Eine Person kann hier<strong>be</strong>i Gelder von<br />

zwei oder mehreren der genannten Stellen erhalten. Es kommt demnach zu<br />

Ü<strong>be</strong>rschneidungen. Damit ist es ausgehend von den Zahlen der Leistungsträger<br />

52 Vgl. Bericht der Bundesregierung ü<strong>be</strong>r die Lage der <strong>be</strong>hinderten Menschen in Österreich, 2003.<br />

182


nicht möglich, eine Aussage ü<strong>be</strong>r die Anzahl von Frauen und Männern mit<br />

Behinderung treffen zu können.<br />

Ziel der Forschungsstudie ist es, dem aktuellen/regionalen Forschungsdefizit<br />

entgegenzutreten und Mädchen und Frauen mit Behinderung aus den Regionen<br />

Leibnitz/Radkersburg als ExpertInnen in eigener Sache zu <strong>be</strong>fragen. Eine<br />

repräsentative Forschung soll Licht in die <strong>be</strong>rufliche Situation und das <strong>be</strong>rufliche<br />

Erle<strong>be</strong>n von Frauen mit Behinderung bringen und infolge die schrittweise,<br />

geschlechtsspezifische Integration von Frauen mit Behinderung am ersten<br />

Ar<strong>be</strong>itsmarkt unterstützen, bzw. Grundlage für weitere Maßnahmenentwicklungen<br />

sein. Denn: Die gewonnenen Aussagen stehen stellvertretend für in Österreich<br />

le<strong>be</strong>nde Frauen mit Behinderung.<br />

Das ergänzende Forschungsprojekt erhebt qualitativ und quantitativ einen<br />

repräsentativen Anteil der Frauen mit Behinderung in einer ausgewählten Region. Im<br />

Bereich der Forschung ist die Durchführung einer Erhebung der Grundgesamtheit<br />

der Frauen und Männer mit Behinderung in der Region geplant. Die Ergebnisse<br />

dieser Erhebung <strong>be</strong>stimmen die Anzahl der auf qualitativem Wege zu interviewenden<br />

Frauen und sind gleichzeitig Grundlage für die mögliche Durchführung einer<br />

quantitativen Studie.<br />

So kann exemplarisch in einer ländlichen Modellregion Forschung mit Umsetzung<br />

verbunden werden, um eine Datenbasis zu ha<strong>be</strong>n, um den Anliegen von <strong>be</strong>hinderten<br />

Frauen <strong>be</strong>dürfnisgerecht nachzugehen, Einrichtungen und Unternehmen zu<br />

sensibilisieren und die Öffentlichkeit zu informieren.<br />

183


6 Literaturverzeichnis<br />

Baacke, Dieter; Schulze, Theodor (Hrsg.): Geschichten lernen. Zur Einübung<br />

pädagogischen Verstehens. Juventa Verlag, München 1979.<br />

Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am<br />

Main 1986.<br />

Breiter, Marion: Projekt VITA. Erkundungsstudie zur <strong>be</strong>ruflichen Le<strong>be</strong>nssituation von<br />

gehörlosen Frauen im Raum Wien und Umgebung. Wien, NÖ, Burgenland, 2002.<br />

Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz<br />

(Hrsg.): Bericht der Bundesregierung ü<strong>be</strong>r die Lage der <strong>be</strong>hinderten Menschen in<br />

Österreich. Wien 2003.<br />

Ewinkel, Carola; Hermes, Gisela: Geschlecht <strong>be</strong>hindert – <strong>be</strong>sonderes Merkmal Frau.<br />

Ein Buch von <strong>be</strong>hinderten Frauen. AG SPAK, Neu-Ulm 2002.<br />

Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von Keupp, Heiner; Rosenstiel, Lutz von; Wolff, Stephan<br />

(Hrsg.): Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden<br />

und Anwendungen. München 1991.<br />

Götzinger, Kornelia; Haider, Monika u. a.: Frau sein - barrierefrei. Wien: 2004.<br />

Jakomini, Sandra: Frauen im Tunnelbau. Analyse der Ursachen ihrer<br />

Unterrepräsentanz und Konzeptionen einer praxisgeleiteten Weiterbildung zur<br />

tiefbautechnischen Berufsentwicklung. <strong>Graz</strong> 2003.<br />

Imrie Rob: Demystifiying disability: a review of the International Classification of<br />

Functioning, Disability and Health. In: Socilogy of Health & Illness. 26/3, 2004. S. 287<br />

– 305.<br />

König, Renate (Hrsg in ): Das Interview. Formen – Technik – Auswertung. Köln, 7.<br />

Aufl., 1972.<br />

184


Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Methoden und Techniken. Band 2.<br />

München 1989.<br />

Pieper, Maria: „Seit Geburt körper<strong>be</strong>hindert…“ Behinderung als kontinuierliche<br />

le<strong>be</strong>nsgeschichtliche Erfahrung aus der Sicht Betroffener und deren Familien.<br />

Deutscher Studien Verlag, Weinheim 1993.<br />

Rásky, Éva; Groth, Sylvia: Das Frauengesundheitsprogramm <strong>Graz</strong>. Gender Health<br />

Audit in sechs <strong>Graz</strong>er Betrie<strong>be</strong>n. Linz 2003.<br />

Schütze, Fritz: Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien I, Studienbrief der<br />

Fernuniversität Hagen, 1987.<br />

Sigot, Marion: Die Le<strong>be</strong>nssituation von Frauen mit geistiger Behinderung. Klagenfurt,<br />

2003.<br />

Witt-Löw Kerstin, Breiter, Marion: „PERSPEKTIVA - eine Erkundungsstudie zur<br />

Le<strong>be</strong>ns- und Berufssituation blinder und hochgradig seh<strong>be</strong>hinderter Frauen in Wien“.<br />

Wien, NÖ, Burgenland, 2004.<br />

Bericht der Bundesregierung ü<strong>be</strong>r die Lage der <strong>be</strong>hinderten Menschen in Österreich.<br />

Wien 2003.<br />

gem.or.at<br />

www.ar<strong>be</strong>it-wirtschaft.at/aw_02_2001/art4.htm<br />

www.dimidi.de<br />

www.fgoe.org/Ottawa-Charta.pdf<br />

185


7 Anhang<br />

7.1 Stammdatenblatt<br />

Geschlecht Weiblich<br />

Männlich<br />

Alter 15 bis 20 Jahre<br />

21 bis 30 Jahre<br />

31 bis 40 Jahre<br />

Ab 40 Jahre<br />

Alter genau<br />

Familienstand ledig<br />

verheiratet<br />

Kinder Ja Wie viele<br />

nein Wie alt<br />

Schulform Volksschule<br />

Hauptschule<br />

Sonderschule<br />

Integrationsklasse<br />

Ausbildung –<br />

höchster<br />

Abschluss<br />

Hauptschule<br />

Sonderschule<br />

Teilqualifizierung<br />

Lehre<br />

Ar<strong>be</strong>it Ja<br />

Nein/ar<strong>be</strong>itslos<br />

Wo<br />

Was<br />

Werkstätte<br />

2. Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

1. Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

Ausbildungsplatz<br />

Art der<br />

Chronische<br />

Behinderung Erkrankungen<br />

Körperliche<br />

Beeinträchtigungen<br />

Sinnes<strong>be</strong>hinderung<br />

en<br />

Psychische<br />

Problematik mit<br />

multiplen<br />

körperlichen<br />

Beschwerden<br />

Lernschwierigkeiten<br />

Behindertenstatus Landes<strong>be</strong>hinderten<br />

gesetz<br />

Begünstigte<br />

Behinderte<br />

Begünstigbar<br />

186


Alter <strong>be</strong>i Eintritt<br />

der Behinderung<br />

Region <strong>Graz</strong><br />

Steiermark nord<br />

Steiermark ost<br />

Steiermark west<br />

Steiermark süd<br />

Größe des<br />

Wohnortes<br />

Wohnsituation Privat Allein<br />

Mit Partner/in Mit Kind(ern)<br />

Mit Angehörigen Mutter<br />

Vater<br />

Geschwister<br />

Großeltern<br />

Sonstige<br />

Finanzielle<br />

Situation<br />

Institution Heim Gemischt<br />

Nicht gemischt<br />

Dauerunterbringung<br />

Trainingswohnung Wie groß<br />

Gemischt<br />

Nicht-Gemischt<br />

Wohn-Assistenz Allein<br />

WG<br />

Ausmaß<br />

(Stunden/Woche<br />

)<br />

Sonstige<br />

Lohn (monatlich) Bis € 50.-<br />

Bis € 100.-<br />

Bis € 200.-<br />

Bis € 1000.-<br />

Mehr<br />

Sonstiges Pension Wie viel?<br />

Taschengeld Wie viel?<br />

....... Wie viel?<br />

....... Wie viel?<br />

187


7.2 Ablauf<strong>be</strong>schreibung des narrativen Interviews:<br />

Vorgespräch (ohne Tonbandaufnahme)<br />

1) Vorstellen meiner Person: - privat (Alter, Familie, Wohnort, Was mich<br />

interessiert)<br />

2) Vorstellen des Projektes:<br />

Warum machen wir dieses Projekt?<br />

Was soll da<strong>be</strong>i herauskommen?<br />

- <strong>be</strong>ruflich (Was ich im <strong>Frauengesundheitszentrum</strong> mache)<br />

Wir wollen herausfinden, wie es Frauen und Männer mit Behinderung in ihrem<br />

Berufsle<strong>be</strong>n geht, welche Erfahrung mit Ausbildung sie gemacht ha<strong>be</strong>n,<br />

welche Ar<strong>be</strong>it sie machen, wie es ihnen gefällt und welche Wünsche sie<br />

ha<strong>be</strong>n.<br />

Dazu <strong>be</strong>fragen wir 12 Frauen und 8 Männer. Ihre Erzählungen nehmen wir auf<br />

Band auf. Das wird dann abgeschrie<strong>be</strong>n und aus allen zusammen wird dann<br />

ein kleines Heft gemacht.<br />

Die Ergebnisse werden im Rahmen einer großen Veranstaltung vorgestellt.<br />

3) Beschreibung des Interviews:<br />

Wie soll das Interview konkret ablaufen?<br />

Ich werde Ihnen nacheinander drei Fragen stellen und Sie erzählen mir alles,<br />

was Ihnen dazu einfällt. Also zuerst stelle ich eine Frage. Lassen Sie sich <strong>be</strong>i<br />

der Beantwortung soviel Zeit wie Sie brauchen. Erst wenn Ihnen nichts mehr<br />

einfällt, werde ich die nächste Frage stellen. Und dann, wenn Sie fertig sind,<br />

die dritte.<br />

Nach jeder Frage gibt es die Möglichkeit, eine Pause zu machen. Da<strong>be</strong>i wird<br />

dann das Tonband abgeschaltet.<br />

Die drei Fragen sind:<br />

<strong>be</strong>antwortet):<br />

1) Erzählen Sie mir bitte aus Ihrem jetzigen Le<strong>be</strong>n<br />

Nachfrage (wenn nicht von vorneherein<br />

188


eantwortet):<br />

4) Beginn des Interviews<br />

Erzählen Sie mir noch etwas von ihrer<br />

jetzigen Ar<strong>be</strong>it<br />

2) Erzählen Sie mir bitte aus Ihrem früheren Le<strong>be</strong>n<br />

Nachfrage (wenn nicht von vorneherein<br />

Erzählen Sie mir noch etwas von ihrer<br />

früheren Ar<strong>be</strong>it<br />

3) Was wünschen Sie sich für die Zukunft?<br />

Ich möchte jetzt mit dem Interview <strong>be</strong>ginnen. Sind Sie <strong>be</strong>reit dafür? Ich nehme<br />

das Gespräch ab jetzt mit dem Band auf. Wenn sie wollen kann Ihr Name<br />

genannt werden, wenn nicht, dann bleibt er anonym und auch das Band wird<br />

nach dem Abschrei<strong>be</strong>n vernichtet.<br />

DAS INTERVIEW (Tonbandaufnahme)<br />

Nach dem Interview (ohne Tonbandaufnahme)<br />

1) Nach Beendigung des Gespräches hinterlasse ich meine Telefonnummer, falls<br />

noch Fragen auftauchen.<br />

2) Das fertig transkribierte Interview wird der Frau/dem Mann zugesandt.<br />

Gleichzeitig wird nachgefragt, ob sie/er <strong>be</strong>reit für ein Foto oder für die Beteiligung<br />

an der Präsentation im Jänner ist.<br />

189


7.3 Interviewleitfaden zu den Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen<br />

Ar<strong>be</strong>itsalltag<br />

Fragen an die Frauen mit Behinderung<br />

Denken Sie bitte an einen Ar<strong>be</strong>itstag von Ihnen...<br />

Was machen Sie jeden Tag in der Ar<strong>be</strong>it?<br />

Was machen Sie in der Früh/zu Mittag/am Nachmittag?<br />

Ist das jeden Tag gleich?<br />

Was macht Ihnen Spaß?<br />

Was ist schwierig für Sie?<br />

Befindlichkeit<br />

Wie geht es Ihnen <strong>be</strong>i der Ar<strong>be</strong>it?<br />

Was freut Sie an der Ar<strong>be</strong>it?<br />

Was stresst Sie?<br />

Was macht Ihnen Druck? Was ist zuviel für Sie?<br />

Team<br />

Ich möchte mit Ihnen auch ü<strong>be</strong>r die Zusammenar<strong>be</strong>it mit den anderen sprechen...<br />

Mit wem ar<strong>be</strong>iten Sie zusammen?<br />

Wer sind die Leute, mit denen Sie zusammenar<strong>be</strong>iten?<br />

Wie sieht die Zusammenar<strong>be</strong>it aus?<br />

Was tun Sie mit den anderen?<br />

Wenn Sie zurückdenken - Wie ha<strong>be</strong>n Sie die Aufnahme im Team/<strong>be</strong>i den<br />

Kolleginnen und Kollegen erlebt?<br />

Wenn Sie zurückdenken, an die Zeit, als Sie <strong>be</strong>i XY angefangen ha<strong>be</strong>n... - Wie war<br />

es, als Sie angefangen ha<strong>be</strong>n mit den Kollegen und Kolleginnen zusammen zu<br />

ar<strong>be</strong>iten?<br />

Wie gefällt es Ihnen jetzt im Team/mit den anderen?<br />

Was würden Sie ver<strong>be</strong>ssern?<br />

Was hätten Sie gerne anders?<br />

Fühlen Sie sich <strong>be</strong>nachteiligt?<br />

Werden Sie anders <strong>be</strong>handelt als die anderen?<br />

Verbringen Sie mit Kolleginnen oder Kollegen gemeinsam die Freizeit?<br />

Sind Sie auch nach der Ar<strong>be</strong>it mit Kolleginnen oder Kollegen zusammen?<br />

190


Einkommen<br />

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Einkommen?<br />

Sind Sie zufrieden mit dem Geld, das Sie verdienen? (Reicht das Geld?)<br />

Einstieg<br />

Denken Sie bitte zurück, als Sie hier <strong>be</strong>gonnen ha<strong>be</strong>n...<br />

Denken Sie bitte zurück, als Sie <strong>be</strong>i ... <strong>be</strong>gonnen ha<strong>be</strong>n.<br />

Seit wann ar<strong>be</strong>iten Sie da?<br />

Wann ha<strong>be</strong>n Sie da angefangen?<br />

Wie war es, als Sie angefangen ha<strong>be</strong>n, da zu ar<strong>be</strong>iten?<br />

Worauf ha<strong>be</strong>n Sie sich gefreut?<br />

Wovor ha<strong>be</strong>n Sie Angst gehabt?<br />

Welchen Unterschied gibt es zwischen damals und jetzt?<br />

Was ist anders geworden?<br />

Berufswahl<br />

Mich interessiert, wie Sie zu Ihrem Beruf gekommen sind... Wie es war, als Sie einen<br />

Beruf gesucht ha<strong>be</strong>n...<br />

Was ha<strong>be</strong>n Sie gemacht, <strong>be</strong>vor Sie hier <strong>be</strong>gonnen ha<strong>be</strong>n?<br />

Wie war das, <strong>be</strong>vor Sie hier gear<strong>be</strong>itet ha<strong>be</strong>n – was ha<strong>be</strong>n Sie gemacht?<br />

Wie sind Sie in diesen Beruf gekommen?<br />

Wer war für Ihre Berufswahl ausschlagend?<br />

Mit wem ha<strong>be</strong>n Sie darü<strong>be</strong>r gesprochen, welchen Beruf Sie ha<strong>be</strong>n wollen? Was hat<br />

er/sie gesagt?<br />

Welche Berufswünsche hatten Sie als Jugendliche?<br />

Warum ha<strong>be</strong>n sich Ihre Berufswünsche nicht erfüllt?<br />

Warum ar<strong>be</strong>iten Sie nicht in Ihrem Traum<strong>be</strong>ruf?<br />

Welche Ausbildungen waren für diesen Job notwendig?<br />

Was ha<strong>be</strong>n Sie für den Job lernen müssen?<br />

Wie sind Sie in diesen Betrieb gekommen?<br />

Unterstützung<br />

Als nächstes ha<strong>be</strong> ich einige Fragen zur Unterstützung, die sie vielleicht <strong>be</strong>nötigen...<br />

Benötigen Sie am Ar<strong>be</strong>itsplatz Hilfe/Unterstützung?<br />

Welche Hilfe hat es <strong>be</strong>im Einstieg im Betrieb gege<strong>be</strong>n?<br />

Welche Hilfe hat es im Betrieb gege<strong>be</strong>n, als Sie <strong>be</strong>i XY angefangen ha<strong>be</strong>n?<br />

Welche Unterstützung hat es <strong>be</strong>im Einstieg aus dem privaten Bereich<br />

gege<strong>be</strong>n?<br />

191


Welche Unterstützung hat es von zu Hause/von Ihren Eltern/im Wohnheim gege<strong>be</strong>n,<br />

als Sie hier angefangen ha<strong>be</strong>n?<br />

Welche laufende Unterstützung gibt es?<br />

Welche Hilfe gibt es jetzt?<br />

Sind Sie mit der Unterstützung zufrieden?<br />

Fehlt Ihnen noch Hilfe/Unterstützung?<br />

Bräuchten Sie noch mehr Hilfe?<br />

Einschränkung<br />

In diesem Zusammenhang möchte ich mit Ihnen ü<strong>be</strong>r Ihre Einschränkung sprechen...<br />

Welche Einschränkung ha<strong>be</strong>n Sie?<br />

Was können Sie aufgrund Ihrer Einschränkung <strong>be</strong>sonders gut?<br />

Wo leiden Sie darunter, dass Sie diese Einschränkung ha<strong>be</strong>n?<br />

Stellenwert von Ar<strong>be</strong>it<br />

Wenn Sie an Ihr Le<strong>be</strong>n, ans Private, die Ar<strong>be</strong>it denken...<br />

Wie wichtig ist Ar<strong>be</strong>it für Sie?<br />

Berufliche Zukunft<br />

Wenn Sie an die Zukunft denken...<br />

Möchten Sie weiter hier ar<strong>be</strong>iten? Möchten Sie etwas anderes machen?<br />

Privates<br />

Welche Auswirkungen hat die Ar<strong>be</strong>it auf Ihr Privatle<strong>be</strong>n...<br />

Was hat sich in Ihrem Privatle<strong>be</strong>n durch den Job verändert?<br />

Was hat sich zu Hause/in der Familie durch den Job verändert?<br />

Wie gut lassen sich Beruf und Privates vereinbaren?<br />

Tipps für Frauen mit Behinderung/Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

Aufgrund dieser Studie werden Angebote für Frauen mit Behinderung erar<strong>be</strong>itet...<br />

Was würden Sie Frauen mit Behinderung für ihre Berufstätigkeit raten?<br />

Welche Veränderungen am Ar<strong>be</strong>itsmarkt halten Sie für Frauen mit Behinderung<br />

für wichtig?<br />

192


Was würden Sie verändern, damit Frauen mit Behinderung leichter ar<strong>be</strong>iten (gehen)<br />

können?<br />

Wünsche/Zukunft<br />

Abschließend zur Ihren Wünschen...<br />

Was wünschen Sie sich für die Zukunft – in der Ar<strong>be</strong>it?<br />

Was wünschen Sie sich für die Zukunft – privat/zu Hause/im Wohnheim?<br />

193


Fragen an das Unternehmen<br />

Motivation/Nutzen<br />

Was war Ihre Motivation, eine Frau mit Behinderung einzustellen?<br />

Welchen Vorteil hat Ihr Unternehmen, wenn es Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung<br />

einstellt?<br />

Unterstützung<br />

Welche Unterstützungsangebote wurden bzw. werden von Ihrem Unternehmen in<br />

Anspruch genommen?<br />

Wie zufrieden sind Sie mit den Unterstützungsangeboten?<br />

Ar<strong>be</strong>itsplatz<br />

Welche speziellen Veränderungen waren für den Ar<strong>be</strong>itsplatz von Frau A notwendig?<br />

Gibt es Anpassungen, die noch sinnvoll wären?<br />

Erwartungen und Befürchtungen<br />

Welche Erwartungen hatten Sie vor dem Eintritt von Frau A?<br />

Welche Befürchtungen hatten Sie vor dem Eintritt von Frau A?<br />

Was hat sich <strong>be</strong>wahrheitet?<br />

Veränderungen durch den Eintritt der Frau mit Behinderung<br />

Was hat sich in Ihrem Unternehmen durch den Eintritt von Frau A geändert?<br />

Vor<strong>be</strong>reitung<br />

Wie ha<strong>be</strong>n Sie sich persönlich auf den Eintritt einer Mitar<strong>be</strong>iterin mit Behinderung<br />

vor<strong>be</strong>reitet?<br />

Wie ha<strong>be</strong>n Sie die Mitar<strong>be</strong>iter und Mitar<strong>be</strong>iterInnen vor<strong>be</strong>reitet?<br />

Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

Welche Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge ha<strong>be</strong>n Sie für die Beschäftigung von<br />

Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung?<br />

194


Fragen an Kollegin<br />

Ar<strong>be</strong>its<strong>be</strong>reich<br />

In welchen Bereichen ar<strong>be</strong>iten Sie mit Frau A zusammen?<br />

Wie ist die Ar<strong>be</strong>it zwischen Ihnen aufgeteilt?<br />

Sind Sie damit zufrieden?<br />

Vor<strong>be</strong>reitung<br />

Wie wurden Sie vom Betrieb darauf vor<strong>be</strong>reitet, dass Sie ein Kollegin mit<br />

Behinderung ha<strong>be</strong>n werden?<br />

Wie zufrieden waren Sie mit dieser Vor<strong>be</strong>reitung?<br />

Wie ha<strong>be</strong>n Sie sich persönlich darauf vor<strong>be</strong>reitet?<br />

Was hätte man anders machen können?<br />

Was hätten Sie sich gewünscht?<br />

Erwartungen und Befürchtungen<br />

Welche Erwartungen hatten Sie für die Zusammenar<strong>be</strong>it mit Frau A?<br />

Welche Befürchtungen hatten Sie für die Zusammenar<strong>be</strong>it Frau A?<br />

Was hat sich <strong>be</strong>wahrheitet?<br />

Veränderungen durch den Eintritt der Frau mit Behinderung<br />

Was hat sich durch den Eintritt von Frau A geändert?<br />

Wünsche/Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge<br />

Welche Wünsche ha<strong>be</strong>n Sie an die weitere Zusammenar<strong>be</strong>it mit Frau A?<br />

Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge für den Ar<strong>be</strong>itsmarkt<br />

Welche Ver<strong>be</strong>sserungsvorschläge ha<strong>be</strong>n Sie für die Beschäftigung mit<br />

Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung?<br />

195


7.4 Firmenfragebogen zu Frauenförderung und Förderung von<br />

Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung + Auswertung<br />

Frauenförderung<br />

1. Ist es Ihrem Unternehmen ein Anliegen, Frauen <strong>be</strong>sonders zu fördern?<br />

ja 7<br />

nein 1<br />

2. Werden in Stellenausschreibungen speziell Frauen und Mädchen<br />

angesprochen?<br />

ja 2<br />

nein 6<br />

3. Werden Betreuungspflichten von Frauen und Männern <strong>be</strong>rücksichtigt?<br />

ja 6<br />

nein 2<br />

4. Gibt es <strong>be</strong>triebliche<br />

Kinder<strong>be</strong>treuungseinrichtungen?<br />

ja 1<br />

nein 7<br />

5. Gibt es die Möglichkeit, dass Frauen und Männer Vorschläge und Kritik<br />

hinsichtlich der Chancengleichheit einbringen<br />

können?<br />

ja 8<br />

nein 0<br />

der Chancengleichheit von Frauen und Männern ein<strong>be</strong>zogen?<br />

ja 2<br />

nein 3<br />

ja/nein 53 2<br />

keine Anga<strong>be</strong>n 54 1<br />

53 Hier wird der erste Teil der Frage <strong>be</strong>jaht, der zweite verneint.<br />

54 Ein Unternehmen ist in Punkt Chancengleichheit um eine sehr differenzierte Sichtweise <strong>be</strong>müht und<br />

wollte daher keine Anga<strong>be</strong>n zu diesen Fragen machen.<br />

196


Förderung von Mitar<strong>be</strong>iterInnen mit Behinderung<br />

1. Ist es Ihrem Unternehmen ein Anliegen, Menschen mit Behinderung <strong>be</strong>sonders zu fördern?<br />

Ja 7<br />

Nein 1<br />

2. Werden in Stellenausschreibungen speziell Personen mit Behinderung angesprochen?<br />

Ja 0<br />

Nein 7<br />

keine Anga<strong>be</strong>n 1<br />

3. Gibt es die Möglichkeit, dass Personen mit Behinderung Vorschläge und Kritik<br />

hinsichtlich der Chancengleichheit einbringen können?<br />

Ja 8<br />

Nein 0<br />

4. Werden regelmäßig Mitar<strong>be</strong>iterInnen-Gespräche geführt und werden da<strong>be</strong>i auch systematisch Fragen<br />

der Chancengleichheit von Personen mit und Personen ohne Behinderung ein<strong>be</strong>zogen?<br />

Ja 2<br />

Nein 2<br />

ja/nein 3<br />

keine Anga<strong>be</strong>n 1<br />

197


8 Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1: Regionale Verteilung der Interviews.....................................................21<br />

Abbildung 2: Altersstruktur der InterviewpartnerInnen..............................................22<br />

Abbildung 3: Le<strong>be</strong>nssituation der Frauen und Männer mit Behinderung..................23<br />

Abbildung 4: Frauen nach Arten der Behinderung....................................................24<br />

Abbildung 5: Männer nach Arten der Behinderung...................................................24<br />

Abbildung 6: Höchster Schulabschluss.....................................................................25<br />

Abbildung 7: Erwerbstätigkeit....................................................................................26<br />

Abbildung 8: Erwerbstätigkeit Verteilung Frauen - Männer.......................................27<br />

Abbildung 9: Frauen: Schulbildung und Erwerbstätigkeit..........................................28<br />

Abbildung 10: Männer: Schuldbildung und Erwerbstätigkeit.....................................28<br />

Abbildung 11: Einkommenssituation der Frauen und Männer mit Behinderung .......29<br />

Abbildung 12: Narrative Interviews – Regionale Verteilung der Interviews...............40<br />

Abbildung 13: Narrative Interviews – Frauen nach Arten der Behinderung ..............40<br />

Abbildung 14: Narrative Interviews – Männer nach Arten der Behinderung..............41<br />

Abbildung 15: Narrative Interviews - Altersstruktur...................................................41<br />

Abbildung 16: Narrative Interviews – Wohnsituation.................................................42<br />

Abbildung 17: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Regionale Verteilung der Interviews..............93<br />

Abbildung 18: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Altersstruktur.................................................94<br />

Abbildung 19: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen – Frauen nach Arten der Behinderung.............95<br />

Abbildung 20: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen: Höchster Schulabschluss................................96<br />

Abbildung 21: Ar<strong>be</strong>itsplatzanalysen: Einkommenssituation......................................97<br />

198


9 Ta<strong>be</strong>llenverzeichnis<br />

Ta<strong>be</strong>lle 1: Schulbildung und Erwerbstätigkeit...........................................................27<br />

Ta<strong>be</strong>lle 2: Narrative Interviews - Kategorien.............................................................39<br />

Ta<strong>be</strong>lle 3: Vordergründiges Interesse der Frauen.....................................................48<br />

Ta<strong>be</strong>lle 4: Narrative Interviews – Vordergründiges Interesse der Männer................49<br />

Ta<strong>be</strong>lle 5: Narrative Interviews - Berufliche Situation - Frauen.................................51<br />

Ta<strong>be</strong>lle 6: Narrative Interviews - Berufliche Situation - Männer................................51<br />

Ta<strong>be</strong>lle 7: Narrative Interviews – Wohnsituation Frauen...........................................55<br />

Ta<strong>be</strong>lle 8: Narrative Interviews – Wohnsituation Männer..........................................56<br />

199

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