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frauenhaus

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Lisbeth Sippel: Die Radikalen, darunter viele aus der Lesbenszene,<br />

traten aus der Arbeitsgruppe aus. Sie wollten das<br />

Thema breiter angehen, sie prangerten den Sexismus generell<br />

an. Allerdings kritisierten auch wir Realos strukturelle<br />

Gewalt und wollten nicht einfach nur ein Sozialprojekt machen.<br />

Annemarie Leiser: Wir hofften darum auch, dass wir einander<br />

ergänzen würden – unsere Arbeit für das Frauenhaus und<br />

ihre Aktionen in der Öffentlichkeit. Allerdings waren wir<br />

dann ziemlich absorbiert mit unserem Projekt. Wir, also die<br />

Ar beitsgruppe Gewalt an Frauen, bestanden weiter, die andere<br />

Gruppe löste sich bald auf.<br />

Im Frühling 1977 gründeten zehn Frauen aus der Arbeitsgruppe<br />

den Verein zum Schutz misshandelter Frauen und deren Kinder.<br />

Protokolle sahen sie als wichtiges Kommunikationsmittel, um Abwesende<br />

auf dem Laufenden zu halten. Eine Sitzungsleitung war<br />

aber weiterhin tabu. Die Gruppe orientierte sich am Ideal der Basisdemokratie,<br />

Hierarchien waren verpönt. An der ersten Sitzung<br />

nahm Konstanze Pistor teil, eine Feministin aus Berlin, die zufällig<br />

gerade in Zürich war. Pistor und ihre Mitstreiterinnen hatten vor<br />

wenigen Monaten im Stadtteil Grunewald ein Frauenhaus eröffnet.<br />

Zuvor hatten die Feministinnen zwei Jahre lang in der Stadt für<br />

ihr Anliegen geweibelt, hatten die Öffentlichkeit sensibilisiert und<br />

erfolgreich Geld beantragt. So hörten die Zürcherinnen aufmerksam<br />

zu, als Pistor ihnen eine ganze Liste konkreter Ratschläge mitgab:<br />

Sie sollten eine Studie zur Problemlage erstellen, die Stadt um<br />

eine Liegenschaft ersuchen, Frauen in öffentlichen Positionen gezielt<br />

um Unterstützung anfragen («aber erst, nachdem das Projekt<br />

schon etwas gefestigt ist»), eine Kartei mit Pressekontakten erstellen<br />

und parallel zur ersten grossen Medienkonferenz ein Spendenkonto<br />

eröffnen.<br />

In den darauffolgenden Treffen gingen die Frauen zielstrebig an<br />

die Arbeit und liessen sich dabei von den Erfahrungen aus Berlin<br />

inspirieren. Um zu beweisen, dass auch in der Schweiz Frauen von<br />

ihren Männern misshandelt wurden, verschickten sie einen Fragebogen<br />

zu Art und Ausmass von Gewalt an mehrere Hundert Fachpersonen<br />

und Ämter, darunter Ärzte, Psychiaterinnen, Pfarrer und<br />

Eheberatungsstellen. Und sie traten in Kontakt mit Politiker:innen.<br />

Bei SP-Kantonsrat und Eheschutzrichter Armand Meyer stiessen<br />

sie auf offene Ohren. Meyer war in seinem Berufsalltag häufig mit<br />

Frauen konfrontiert, die von ihren Ehemännern misshandelt wurden.<br />

Er fühlte sich in diesen Situationen oft ohnmächtig, weil er den<br />

Frauen nicht die nötige Hilfe anbieten konnte – wenn sie den Weg<br />

zu ihm überhaupt fanden. Denn viele Frauen wagten den Schritt<br />

zum Arzt oder Richter schon gar nicht. Zu gross war ihre Angst vor<br />

noch grösseren Repressalien, sollte der Ehemann entdecken, dass<br />

die Frau die Gewalt nicht mehr einfach hinnahm.<br />

Zum einen fürchteten viele Frauen – zu Recht – das Gesetz: Gemäss<br />

Zivilgesetzbuch durfte der Mann als «Haupt der Familie» die<br />

eheliche Wohnung bestimmen. Zwar galt eine «ernsthafte Gefährdung<br />

der Gesundheit» eines Ehegatten als legitimer Grund, den<br />

Haushalt zu verlassen, jedoch nur für die Dauer der Gefährdung.<br />

Zum anderen mussten die Frauen Beweise vorlegen. Hatte eine Frau<br />

Mut gefasst und Meyers Amtsstube betreten, musste er sie nach<br />

Anhörung ihres Berichts wieder nach Hause schicken. Zwar konnte<br />

er mittels dringlicher superprovisorischer Massnahmen den<br />

Mann aus der Wohnung weisen. Doch zuvor musste er ihm rechtliches<br />

Gehör gewähren, was Zeit kostete.<br />

Am 18. April 1977 reichte Meyer im Kantonsrat eine Interpellation<br />

ein. Er forderte den Regierungsrat auf, Zahlen zum Problem<br />

«bedrängte Ehefrauen und ihre Kinder» zu erheben und Massnahmen<br />

in Form von Beratung und Notunterkünften zu ergreifen.<br />

Die Dringlichkeit seines Anliegens unterstrich er mit einer eigenen<br />

Zählung am Zürcher Bezirksgericht: Allein zwischen Januar und<br />

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