frauenhaus
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Wie die Zürcherinnen orientierten sie sich am Beispiel deutscher<br />
Frauengruppen, die die Selbstorganisation und Selbstbestimmung<br />
der Betroffenen ins Zentrum rückten. Doch die autonomen Feministinnen<br />
erhielten Konkurrenz von bürgerlicher Seite: In Basel<br />
boten christliche Heime misshandelten Frauen Schutz. In Bern war<br />
eine private Stiftung, das Mütter- und Pflegekinderhilfswerk, dabei,<br />
Wohnungen für Betroffene einzurichten, lehnte das Modell Frauenhaus<br />
jedoch ab, da sich dort «die Probleme der Frauen geradezu<br />
bal len». Die autonomen Feministinnen sahen es genau umgekehrt:<br />
Erst durch das Zusammenleben und den Austausch mit anderen<br />
Betroffenen würden misshandelte Frauen erkennen, dass ihre Situation<br />
kein individuelles Verschulden war. Christliche Heime und<br />
Hilfswerke waren für die Feministinnen nichts anderes als patriarchale<br />
Institutionen, die den Frauen helfen wollten, dabei aber nicht<br />
deren Autonomie im Blick hatten, sondern die Rückkehr zum geläuterten<br />
Ehemann ins traute Heim.<br />
Als am 22. August 1977 der Zürcher Kantonsrat die Interpellation<br />
von Armand Meyer behandelte, zogen die Feministinnen zum<br />
Rathaus am Limmatquai und verteilten Flugblätter an die eintrudelnden<br />
Kantonsräte – fast ausschliesslich Männer. Seit der Einführung<br />
des Frauenstimmrechts waren sechs Jahre vergangen, im<br />
180-köpfigen Kantonsparlament sassen gerade mal acht Frauen. Ein<br />
Kolumnist der Basler Zeitung hielt die Szene später in einer Glosse<br />
fest. Ein «schon leicht ergrauter Volksvertreter» habe beim Anblick<br />
der Feministinnen geflachst: «Die sehen ja noch ganz gesund aus!»<br />
Auch später im Ratssaal sei die Debatte von Heiterkeit geprägt gewesen.<br />
Die Antwort von Justizminister Arthur Bachmann auf die Interpellation<br />
Meyer war eine herbe Enttäuschung für die Vereinsfrauen,<br />
die die Diskussion auf der Tribüne verfolgten. Der Regierungsrat<br />
hatte die Fürsorge-, Erziehungs- und Polizeidirektion nach ihren<br />
Erfahrungen mit dem Problem gefragt. Ihre Antwort: In den meisten<br />
Fällen hätten Frauen wie Männer ihren Anteil an den Konflikten.<br />
Dabei seien es oft die Frauen, deren «ständige und peinigende<br />
Sticheleien, wortreiche Klagen und Beschuldigungen zu aggressiven<br />
Entladungen führen, mit denen der ‹Brutale› die erhaltenen Schmerzen<br />
und Erniedrigungen zu kompensieren sucht». Mit anderen Worten:<br />
Die Frauen waren selber schuld, sie hatten die Gewalt provoziert,<br />
eigentliche Opfer waren die Männer.<br />
Vor diesem Hintergrund sei zu befürchten, dass die Schaffung<br />
von Unterkünften eine «Sogwirkung» zur Folge hätte, «welche<br />
Frauen erlaubt, der Konfliktbewältigung auszuweichen, und brutale<br />
Männer in ihrer Haltung, Frauen und Kinder aus dem Hause zu<br />
jagen, bestätigt, weil der Staat ja hierfür vorgesorgt habe». Wichtiger<br />
als das Leid, das gewalttätige Ehemänner ihren Frauen zufügten,<br />
war in den Augen des Regierungsrats eine andere Tatsache: «Solche<br />
Akte der Brutalität (…) zerstören die Ehe als Urzelle des Staates (…).»<br />
Und – so konnte man zwischen den Zeilen lesen – indem man den<br />
Frauen die Möglichkeit gab, den gemeinsamen Haushalt zu verlassen,<br />
vernichte man die Ehe endgültig, anstatt sie zu kitten.<br />
Bei den Feministinnen auf der Zuschauertribüne rumorte es.<br />
Aufgewühlt hörten sie zu, als Armand Meyer entgegnete: «Dass<br />
damit die Familien zerstört werden, kann nicht behauptet werden,<br />
denn sie sind es längst.» Ratsmitglied Verena Grendelmeier von der<br />
LdU wies auf die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern<br />
und Frauen hin und kritisierte die Regierung: «Mit der bisherigen<br />
1.-August-Mentalität kommen wir nicht weiter!» Prompt konterte<br />
SVP-Kollege Carl Bertschinger, ob es die Angst vor Schlägen gewesen<br />
sei, die Grendelmeier bisher daran gehindert habe zu heiraten.<br />
Die Ratsherren hielten sich die Bäuche. Niemand verteidigte Grendelmeier.<br />
Jahre später erinnerte sich die Politikerin: «In der Pause<br />
kam ein anderer von der SVP und wollte sich entschuldigen. Ich<br />
sagte ihm, dass ich für eine öffentliche Beleidigung keine privaten<br />
Entschuldigungen entgegennehme.»<br />
Justizminister Bachmann von der SP, der zu Beginn die Antwort<br />
der Regierung vertreten hatte, dürfte es immer unwohler geworden<br />
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