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Landschaft Westfalen 02/2022

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AUSGABE 2 / APRIL 2<strong>02</strong>2<br />

www.landschaft-westfalen.de<br />

Einzelpreis: 2,40 Euro<br />

Regional lesen, entscheiden, bewegen!<br />

Genossenschaften:<br />

Antworten für die<br />

Landwirtschaft<br />

Seite 3<br />

Landtagswahl:<br />

Parteidisput<br />

um ländliche Räume<br />

Seite 4<br />

Corona-Proteste:<br />

Auswirkungen auf den<br />

Zusammenhalt<br />

Seite 7<br />

Autobahnen:<br />

Schwachpunkte in der<br />

Infrastruktur<br />

Seite 12<br />

Synodaler Weg:<br />

Aufbegehren gegen die<br />

Kirchenoberen<br />

Seite 14<br />

Verlage bitten um Hilfe<br />

für die Ukraine<br />

Münster. Der Landwirtschaftsverlag<br />

Münster stellt zusammen mit<br />

seinen Töchtern und Beteiligungen<br />

insgesamt 50.000 Euro für die vom<br />

Krieg in der Ukraine betroffenen<br />

Menschen zur Verfügung. Das Geld<br />

geht an die Caritas in Polen, die<br />

zusammen mit der Landwirtschaftskammer<br />

Lublin im Osten Polens<br />

nahe der ukrainischen Grenze sowie<br />

den dortigen Landfrauen und Landwirten<br />

konkrete Hilfsmaßnahmen<br />

umsetzt. An der Aktion beteiligen<br />

sich auch die Deutsche Medien<br />

Manufaktur, die LV digital, der Lebensmittel<br />

Praxis Verlag, der Polnische<br />

Landwirtschaftsverlag, der Max<br />

Eyth Verlag und die AgriDirect mit<br />

eigenen Spenden.<br />

„Der russische Überfall bringt unermessliches<br />

Leid über die Menschen<br />

in der Ukraine. Und je länger<br />

der Krieg dauert, desto schwieriger<br />

wird es, die Schutz suchenden Bürgerinnen<br />

und Bürger zu versorgen.<br />

Wir laden unsere Leser, Kunden und<br />

Partner aus unseren drei großen<br />

Verlagsbereichen Landwirtschaft,<br />

Lebensmittel und Landleben ein,<br />

sich mit weiteren Spenden an<br />

unserer Aktion ‚Gemeinsam für die<br />

Ukraine‘ zu beteiligen. Jeder Euro<br />

hilft“, bitten Werner Gehring,<br />

Ludger Schulze Pals und Malte<br />

Schwerdtfeger, Geschäftsführer des<br />

Landwirtschaftsverlags, um Unterstützung<br />

der Hilfsmaßnahmen.<br />

In Deutschland führt das Spendenkonto<br />

die Caritas Münster:<br />

Caritasverband für die Diözese<br />

Münster e. V.<br />

IBAN: DE47 4006 <strong>02</strong>65 0004 1005 05<br />

BIC: GENODEM1DKM<br />

Verwendungszweck:<br />

„Flüchtlingshilfe Caritas Lublin“<br />

LPV GmbH Hülsbrockstraße 2–8 48165 Münster<br />

ZKZ 32935 PVst+4 DPAG Entgelt bezahlt<br />

Sie entscheiden!<br />

Dem ländlichen Raum <strong>Westfalen</strong>s kommt bei<br />

der Landtagswahl eine Schlüsselrolle zu<br />

Eine stärkere Berücksichtigung in den politischen<br />

Entscheidungsprozessen, der Vorrang<br />

kooperativer Lösungen vor Ordnungsrecht<br />

und der Respekt und Schutz des Eigentums an<br />

Grund und Boden – das sind die Forderungen,<br />

die das „Aktionsbündnis Ländlicher Raum“ zur Landtagswahl<br />

in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> aufstellt. Die 16 Verbände<br />

der Agrar-, Wald- und Gartenbauwirtschaft, die sich im<br />

Aktionsbündnis zusammengeschlossen haben, fordern<br />

zudem, dass die Schlüsselrolle des ländlichen Raums beim<br />

Ausbau erneuerbarer Energien anerkannt wird.<br />

Hier sollen Hürden im Genehmigungsverfahren abgebaut<br />

werden. In ihrem Positionspapier fordern sie außerdem<br />

eine Infrastruktur, die eine regionale und klimafreundliche<br />

Versorgung mit lokal erzeugten Produkten sicherstellt.<br />

Eine ökonomisch, ökologisch und sozial ausgerichtete<br />

Landwirtschaft könne ihren Beitrag zu Klimaschutz,<br />

Wiedergewählt: Hubertus Beringmeier.<br />

Foto: Marlies Grüter<br />

Von Stefan Legge<br />

Das Klischee von der ländlichen Idylle hat die Parteien eingeholt. Foto: Adobe Stock<br />

Zweite Amtszeit<br />

Münster. Hubertus Beringmeier aus<br />

Hövelhof-Espeln (Kreis Paderborn)<br />

bleibt Präsident des Westfälisch-Lippischen<br />

Landwirtschaftsverbands<br />

(WLV). Mit 96 Prozent der Stimmen<br />

wählten die Delegierten des Landesverbandsausschusses<br />

den 60-jährigen<br />

Schweinemäster und Ackerbauern für<br />

zwei weitere Jahre zum obersten Vertreter<br />

des regionalen Bauernverbands.<br />

Stand bereits die erste Amtszeit des<br />

Präsidenten aufgrund der Corona-<br />

Pandemie ganz im Zeichen des Krisenmanagements,<br />

so sieht Beringmeier<br />

auch für die kommenden Jahre die<br />

Landwirtschaft vor großen Herausforderungen<br />

– nicht zuletzt wegen des<br />

Ukrainekrieges.<br />

Biodiversität und Tierwohl nur erbringen, wenn sie von<br />

der Politik und der Gesellschaft unterstützt werde.<br />

Wenn am 15. Mai in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> ein neuer<br />

Landtag gewählt wird, fällt dem ländlichen Raum auch<br />

bei der Wahlentscheidung eine Schlüsselrolle zu. Bei<br />

dem zu erwartenden engen Rennen werden die Wählerinnen<br />

und Wähler aus <strong>Westfalen</strong> das Zünglein an der<br />

Waage sein. Folgerichtig werben die Parteien im Vorfeld<br />

eifrig um Stimmen. Die SPD hat mit dem parlamentarischen<br />

Instrument der Großen Anfrage die Regierungsparteien<br />

zu detaillierten Auskünften ihrer Politik im<br />

ländlichen Raum gezwungen. Die Schlussfolgerung der<br />

Sozialdemokraten: „Klischees von Landidylle und durch<br />

Land- und Forstwirtschaft geprägte Regionen entsprechen<br />

nicht mehr der Realität.“ CDU und FDP hätten keine<br />

Strategie. Die Regierungsparteien halten dagegen.<br />

Mehr auf den Seiten 4 und 5<br />

„Die Kostenexplosion<br />

bei Energie<br />

und Getreide ist<br />

ein Vorgeschmack<br />

darauf, was<br />

vielleicht noch<br />

kommen kann.“<br />

Hubertus Beringmeier,<br />

WLV-Präsident<br />

Es geht um<br />

Menschen, um<br />

nichts anderes<br />

Gern wird in diesen Tagen Egon<br />

Bahr zitiert: „In der internationalen<br />

Politik geht es nie um Demokratie<br />

oder Menschenrechte. Es geht um die<br />

Interessen von Staaten. Merken Sie<br />

sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht<br />

erzählt“, schrieb er<br />

im Jahr 2013 Schülerinnen und Schülern<br />

ins Gewissen. Das mag wohl<br />

stimmen, und es geht nicht nur um<br />

die Interessen von Staaten, sondern<br />

die Interessen der in den Staaten maßgeblichen<br />

Gruppen. Und es geht nicht<br />

darum, da hatte Egon Bahr ganz bestimmt<br />

recht, dass wir unsere Vorstellungen<br />

von Demokratie irgendwohin<br />

exportieren. „Die Hoffnung auf eine<br />

friedliche Welt verlangt neben dem<br />

Stolz auf den eigenen Weg die Demut<br />

gegenüber allen, die eine andere politische<br />

Struktur und einen anderen<br />

Weg gehen wollen.“<br />

Es ist hier nicht der Platz und der<br />

Ort, die Widersprüche zwischen den<br />

Interessenlagen verschiedener Akteure<br />

aufzulösen. Wenn wir jedoch fast<br />

täglich lesen, dass die Hoffnung auf<br />

eine friedliche Welt im kleinsten<br />

Raum nicht gelingt, wie, bitte schön,<br />

erwarten wir dann, dass dies im Großen<br />

geschieht? Wenn Grundschulkinder<br />

andere auf dem Schulhof „blöde<br />

Russen“ schimpfen (so geschehen<br />

auch in Ostwestfalen) oder sogar Lehrerinnen<br />

von Schülerinnen Rechtfertigungen<br />

für die russische Kriegspolitik<br />

verlangen, zeigt das doch, wie weit<br />

politische Ideale und Alltagsrealität<br />

voneinander entfernt sind – und das<br />

geht ausnahmsweise mal nicht als<br />

mahnende Adresse an die Politik.<br />

Glücklicherweise ist die Hilfs- und<br />

Spendenbereitschaft groß, und man<br />

kann solche Vorfälle als Einzelfälle<br />

abtun. Sollte man aber nicht. Denn<br />

der Frieden beginnt im Alltag, auf<br />

Schulhöfen, in Belegschaften, aber<br />

auch, und da schließt sich der Kreis,<br />

dort, wo interessengeleitete Entscheidungen<br />

über Investitionen und Geschäftsbeziehungen<br />

getroffen werden.<br />

Irgendwann wird dieser Krieg vorbei<br />

sein, und dann gilt es, daraus Lehren<br />

zu ziehen. Die wichtigste Lehre wird<br />

sein: Es geht um Menschen. Den Respekt<br />

vor anderen und dem Weg, den<br />

sie gehen wollen, können wir jeden<br />

Tag üben, auch jetzt schon und bei<br />

jedem anderen kontroversen Thema.<br />

Für eine friedlichere Welt.<br />

Nicole Ritter<br />

KOLUMNE


BUCH EINS<br />

2 | Akzente<br />

AUSGABE 2 /APRIL 2<strong>02</strong>2<br />

KOMMENTARE<br />

DIE WAHRHEIT ÜBER …<br />

PERSÖNLICH<br />

… DAS BAUMATERIAL DER ERDE untersuchen<br />

Forscherinnen und Forscher<br />

unter der Leitung der Westfälischen<br />

Wilhelms-Universität Münster (WWU).<br />

Die Entstehung der Planeten gibt immer noch<br />

Rätsel auf. Foto: Getty Images/Nasa<br />

Erde und Mars sind demnach aus Materie<br />

entstanden, die zum größten Teil aus<br />

dem inneren Sonnensystem stammt.<br />

Bisher beschreiben zwei Theorien, wie<br />

aus Staub und Gasen, die vor etwa 4,6<br />

Milliarden Jahren die Sonne umkreisten,<br />

im Laufe von Millionen von Jahren die<br />

inneren Gesteinsplaneten entstanden<br />

sein könnten. Die ältere Theorie besagt,<br />

der Staub habe sich zu immer größeren<br />

Brocken zusammengeballt. Daraus seien<br />

die Planeten Erde, Venus, Merkur<br />

und Mars hervorgegangen. Eine neuere<br />

Theorie geht davon aus, dass millimeterkleine<br />

Staubklümpchen aus dem<br />

äußeren Sonnensystem Richtung Sonne<br />

wanderten und sich an den Planetenvorgänger<br />

des inneren Sonnensystems<br />

anlagerten. Doch welche Theorie ist<br />

nun die wahrscheinlichere? Dieser Frage<br />

gingen internationale Forschungsteams<br />

nach, mit dabei Christoph Burkhardt<br />

von der WWU. Er erklärt: „Wir<br />

wollten herausfinden, ob das Baumaterial<br />

von Erde und Mars dem äußeren<br />

oder inneren Sonnensystem entstammt.<br />

Hinweise darauf entnehmen die Forscher<br />

zwei Arten von Meteoriten: Während<br />

sogenannte kohlige Chondrite, die<br />

bis zu einigen Prozent Kohlenstoff enthalten<br />

können, jenseits der Jupiterbahn<br />

entstanden , sind ihre kohlenstoffärmeren<br />

Cousins, die nicht kohligen Chondrite,<br />

echte Kinder des inneren Sonnensystems.<br />

In ihrer aktuellen Studie<br />

untersuchten die Forscher nun Proben<br />

von insgesamt 17 Marsmeteoriten. Die<br />

Ergebnisse zeigen, dass die äußeren<br />

Gesteinsschichten von Erde und Mars<br />

Chondriten-Meteoriten geben Auskunft, wie es<br />

gewesen sein könnte. Foto Getty Images<br />

nur wenig mit den kohligen Chondriten<br />

des äußeren Sonnensystems gemein<br />

haben. Ihr Anteil am ursprünglichen<br />

Baumaterial beider Planeten beträgt<br />

nur ungefähr 4 Prozent. Es müsse außerdem<br />

weiteres Baumaterial gegeben<br />

haben, das aufgrund seiner Zusammensetzung<br />

seinen Ursprung ebenfalls im<br />

inneren Sonnensystem gehabt haben<br />

muss, erläutert Christoph Burkhardt<br />

und schlussfolgert: „Das passt gut zur<br />

Planetenentstehung aus den Zusammenstößen<br />

großer Körper im inneren<br />

Sonnensystem.“<br />

Die Lage ist ernst<br />

IHK-Hauptgeschäftsführer Fritz Jaeckel will<br />

die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sichern<br />

Meine ganz persönliche Brückengeschichte<br />

geht so: Anfang Dezember<br />

fuhr ich nichtsahnend in die<br />

Umgehung der Rahmedetal-Brücke<br />

bei Lüdenscheid, auf dem Hinweg<br />

kostete mich das die ohnehin eingeplante<br />

halbe Stunde Puffer, auf dem<br />

Rückweg legte ich die wenigen Kilometer<br />

durch die Innenstadt in sagenhaften<br />

zwei Stunden zurück. Mehr<br />

stehend als fahrend, mit schlechtem<br />

Gewissen wegen der Menschen, vor<br />

deren Haustüren sich das abspielt. Irgendwann<br />

nahezu mit dem Zähnen<br />

im Lenkrad und kurz davor, schreiend<br />

aus dem Auto zu springen.<br />

Eine der Gretchenfragen: Wie schnell gelingt der Ausbau erneuerbarer Energien? Foto: Roberto Pfeil/dpa<br />

Schon vor dem Angriffskrieg Russlands<br />

auf die Ukraine kannte die Entwicklung<br />

der Energiepreise nur eine<br />

Richtung: nach oben. Besonders unter<br />

Druck steht dabei die Industrie.<br />

Bei der IHK-Konjunkturumfrage im Januar bezeichneten<br />

bereits 10 Prozent der Industriebetriebe<br />

die Entwicklung der Energiekosten als<br />

existenzgefährdend. 61 Prozent rechneten mit<br />

weiter stark steigenden Energiekosten. Der<br />

Krieg hat die Lage nun noch einmal dramatisch<br />

verschärft: Nach einer aktuellen IHK-Umfrage<br />

bekommen bereits mehr als 90 Prozent der Industrieunternehmen<br />

die höheren Energiekosten<br />

zu spüren.<br />

Für Produktionsbetriebe, besonders für die energieintensiven,<br />

ist der aktuelle Anstieg der Energiekosten besonders<br />

kritisch, weil sie die Kosten oft nicht auf die Kunden<br />

abwälzen können. Damit verschlechtert sich nicht nur<br />

die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Unternehmen und<br />

ganzer Wertschöpfungsketten, es fehlt auch zunehmend<br />

an den finanziellen Möglichkeiten für Investitionen, die<br />

betrieblich notwendig und politisch gewünscht sind. Wer<br />

auf seinen Kosten sitzen bleibt, kann nicht in Digitalisierung<br />

oder CO2-sparende Technologien investieren. Eine<br />

Vervielfachung der Energiekosten droht energieintensiven<br />

Unternehmen sogar die Betriebsfähigkeit zu nehmen. So<br />

mancher mittelständische Produktionsbetrieb denkt inzwischen<br />

über eine temporäre Stilllegung von Teilen der<br />

Produktion nach.<br />

Deutschland hat seit Jahren die höchsten Strompreise<br />

in Europa. Die Steigerung der Erdgaspreise wurde seit der<br />

zweiten Jahreshälfte 2<strong>02</strong>1 zum Problem und traf die industriellen<br />

Wertschöpfungsketten in der gesamten Breite.<br />

Die aktuelle Krise in Osteuropa verstärkt diese Entwicklung<br />

erheblich. So droht nun Energie in unserer arbeitsteiligen<br />

Ökonomie zum Engpass zu werden, unabhängig<br />

davon, was wir noch zukünftig in der Klima- und Energiepolitik<br />

entscheiden werden.<br />

Fritz Jaeckel ist Hauptgeschäftsführer<br />

der IHK<br />

Nord <strong>Westfalen</strong>.<br />

Foto: Roman Mensing<br />

LÜDENSCHEID<br />

Diese Brücke ist erst der Anfang<br />

Von Nicole Ritter<br />

Seither umfahre ich die Vollsperrung<br />

weiträumig. Wer in Lüdenscheid<br />

wohnt, kann den rund 20.000 Fahrzeugen,<br />

die jeden Tag an seinem<br />

Wohn- oder Geschäftshaus vorbeilärmen,<br />

nicht einfach ausweichen.<br />

Auch die Aussicht, dass der Neubau<br />

der Brücke, wenn es gut läuft, nur<br />

fünf statt der üblichen acht oder zehn<br />

Jahre dauert, ist dann vermutlich ein<br />

schwacher Trost. So viel Dauerlärm<br />

und Feinstaub verträgt kein Mensch,<br />

das zu erwarten ist illusorisch. Und so<br />

viel Verständnis, wie es jetzt immer<br />

wieder von Verantwortlichen erbeten<br />

wird, kann auch niemand aufbringen.<br />

Bezeichnend ist, dass inzwischen Teile der Industrie<br />

die Versorgungssicherheit zunehmend<br />

als gefährdet einstufen. Grund sind Kündigungen<br />

von Lieferverträgen und Schwierigkeiten,<br />

neue Verträge abzuschließen. Dabei geht es<br />

einerseits um einen Mangel an Grünstrom. Der<br />

fehlt auf breiter Front, denn nur weniger als die<br />

Hälfte des Strombedarfs wird deutschlandweit<br />

heute aus erneuerbaren Energien erzeugt. Andererseits<br />

geht es auch um die Lieferfähigkeit<br />

zum Beispiel bei Gas, das als Brückentechnologie<br />

dienen soll, bis eine leistungsfähige und<br />

wirtschaftliche Wasserstofftechnologie zur<br />

Verfügung steht. Bis dahin ist es noch ein weiter<br />

Weg, aber die Region ist dafür gut aufgestellt.<br />

Betreiber der Infrastruktur, Forschungseinrichtungen<br />

und Unternehmen arbeiten bereits an der Wasserstoffversorgung.<br />

Auch unsere niederländischen Nachbarn<br />

setzen auf Wasserstoff. Das darf natürlich nicht darüber<br />

hinwegtäuschen, dass die regional erzeugte Menge an Wasserstoff<br />

für eine Vollversorgung unserer Region nicht ausreichen<br />

wird.<br />

Hinzu kommt das sogenannte Reshoring, also die<br />

Rückverlagerung von Produktionen ins Inland, das den<br />

Energiebedarf noch weiter erhöhen wird. Mit der Corona-<br />

Krise entbrannte die Diskussion um das Reshoring und<br />

wird jetzt durch den Ukraine-Konflikt weiter befeuert.<br />

Deutschland wird auch deshalb weiterhin ein Energieimportland<br />

bleiben.<br />

Unsere Industrie hat keine Wahl. Sie muss sich schnell<br />

an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Dazu<br />

müssen Produktionsprozesse energieeffizienter werden,<br />

Innovationen an vielen Stellen greifen, Stoffkreisläufe<br />

geschlossen, bürokratische Hürden abgebaut und den<br />

Marktkräften mehr Raum gegeben werden. Dann besteht<br />

eine Chance, dass die Industrie auch mit hohen Energiekosten<br />

langfristig wettbewerbsfähig bleiben kann. Daran<br />

müssen wir arbeiten, dann hat die Industrie bei uns eine<br />

Zukunft.<br />

Was es jetzt braucht, sind wirklich<br />

gute Ideen. Für die Betroffenen in Lüdenscheid,<br />

aber auch für die Infrastruktur<br />

und Mobilitätskonzepte der<br />

Zukunft.<br />

Das Beste, was man jetzt tun kann,<br />

ist, die Brückenkrise – und es ist ja beileibe<br />

nicht die einzige Brücke, die in<br />

die Knie zu gehen droht – als Chance<br />

zu verstehen und Infrastruktur zukunftsfähig<br />

und klimagerecht neu zu<br />

denken und umzugestalten. Die Lüdenscheiderinnen<br />

und Lüdenscheider<br />

könnten aus ihrer Not eine Tugend<br />

machen und zielstrebig vorangehen<br />

– sie haben allen Grund dazu.<br />

Kann Krieg<br />

gerecht sein?<br />

Wer in den 1980er-Jahren der Bundesrepublik<br />

politisch sozialisiert ist,<br />

mag sich angesichts der Weltlage<br />

fragen, welche pazifistische Position<br />

heute möglich ist. Ruhrbischof Franz-<br />

Josef Overbeck ist auch Militärbischof.<br />

Im Interview mit der Rheinischen<br />

Post gibt er einen klaren<br />

Hinweis, wie das geht:<br />

„Frieden ist ein Werk der Gerechtigkeit,<br />

so können wir in der Bibel beim<br />

Propheten Jesaja lesen. Von daher<br />

kann es durchaus Kriege geben,<br />

die der Wiederherstellung von gerechten<br />

Zuständen dienen. Aber nur, um<br />

allein dieses Ziel zu erreichen – und<br />

nicht, um andere Länder zu erobern,<br />

Menschen zu ermorden, Recht zu<br />

brechen, die Würde der Menschen mit<br />

Füßen zu treten. Ein solcher Krieg<br />

kann niemals gerecht sein.“<br />

Franz-Josef Overbeck ist seit 2009 Bischof in<br />

Essen. Foto: Nicole Cornauge/Bistum Essen<br />

Impressum<br />

VERTRIEB:<br />

Meike Wildschütz, Telefon: 0 25 01/801 44 82,<br />

E-Mail: vertrieb@lp-verlag.de<br />

VERLAG:<br />

BUNTEKUH Medien in der LPV GmbH.<br />

Geschäftsführer: Dr. Thorsten Weiland<br />

Anschrift: Hülsebrockstraße 2–8, 48165 Münster.<br />

E-Mail: thorsten.weiland@lp-verlag.de,<br />

Telefon: 0 25 01/801 61 71<br />

Internet: www.buntekuh-medien.de<br />

DRUCK:<br />

Druckzentrum Nordsee, Am Grollhamm 4,<br />

27574 Bremerhaven<br />

REDAKTION:<br />

Dr. Thorsten Weiland (Chefredakteur,<br />

v.i.S.d.P.), Nicole Ritter (Stellv. Chefredakteurin,<br />

Leitung BUNTEKUH Medien), Manuel Glasfort,<br />

Stefan Legge<br />

Schlussredaktion: Schlussredaktion.de<br />

Redaktionsadresse: wie Verlagsadresse<br />

E-Mail: redaktion@landschaft-westfalen.de,<br />

Telefon: 0 25 01/801 61 71<br />

Internet: www.landschaft-westfalen.de<br />

Konzeption: Anja Steinig, Studio F, Berlin<br />

Illustrationen: Neil Gower, Marianna Weber<br />

Layout: Martha Lajewski<br />

Marketing: Lukas Wünnemann<br />

ANZEIGEN:<br />

Dr. Peter Wiggers (Leitung, verantwortlich<br />

für den Anzeigenteil)<br />

Anzeigenservice: Telefon: 0 25 01/801 63 00,<br />

E-Mail: anzeigen@lv.de<br />

UNTERSTÜTZERKREIS:<br />

<strong>Landschaft</strong> <strong>Westfalen</strong> wird aktiv unterstützt von<br />

der Stiftung Westfälische <strong>Landschaft</strong> und dem<br />

Raiffeisenverband <strong>Westfalen</strong>-Lippe (RVWL).<br />

Bankverbindung: Volksbank Münsterland<br />

Nord eG, IBAN DE86 4036 1906 1071 6969 01;<br />

BIC GENODEM1IBB.<br />

Rechnungseingang ausschließlich per E-Mail an:<br />

rechnungseingang@lp-verlag.de<br />

Einzelpreis: 2,40 Euro; jährlich 6 Ausgaben<br />

Nachdruck: Kein Teil dieser Zeitung darf ohne<br />

Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder<br />

verbreitet werden.


APRIL 2<strong>02</strong>2 / AUSGABE 2<br />

BUCH EINS<br />

Agenda | 3<br />

BORKEN<br />

„Wir gehen da gemeinsam durch!“<br />

Wie die Agri V Raiffeisen Genossenschaft auf Veränderungen in der Landwirtschaft reagiert<br />

Von Stefan Legge<br />

Für viele landwirtschaftliche Betriebe<br />

in der Region ist die Viehhaltung das<br />

wichtigste Standbein. Hier der<br />

Standort der Agri V Raiffeisen Genossenschaft<br />

in Borken-Burlo mit eigenem<br />

Mischfutterwerk. Fotos: Agri V<br />

Wenn Stefan Nießing und Berthold Brake<br />

alle ihre Geschäftsstellen auf einer Rundtour<br />

mit dem Auto abklappern wollten,<br />

hätten sie am Ende mehr als 400 Kilometer<br />

auf dem Tacho. Die geschäftsführenden<br />

Vorstände der Agri V Raiffeisen eG leiten ein Unternehmen,<br />

das links und rechts des Rheins von Metelen bis<br />

Kamp-Lintfort und von Bottrop bis Kleve Standorte unterhält.<br />

Bei ihrer Tour durch die Region, in der die meisten Kühe<br />

und Schweine pro Hektar in Deutschland gehalten werden,<br />

kämen Nießing und Brake bei vielen ihrer Kunden vorbei.<br />

Futtermittel, Dünger, Pflanzenschutz und Vieh – die Agri V<br />

ist im Bezug- und Absatzgeschäft für die Landwirte der Region<br />

mit einem Jahresumsatz von rund 300 Millionen Euro<br />

ein Schwergewicht. Das Unternehmen gehört mit seinen<br />

360 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum viel zitierten<br />

vor- und nachgelagertem Bereich der Landwirtschaft.<br />

„Wir hatten immer mit Herausforderungen zu tun, aber<br />

was da jetzt auf die Landwirtschaft zukommt, ist schon<br />

besonders“, sagt Nießing. Umbau der Tierhaltung, Insektenschutzpaket,<br />

Düngeverordnung – die Liste ließe sich<br />

fortsetzen. Noch bevor dieser Transformationsprozess<br />

überhaupt in Gang geraten kann, hatten die Schweinehalter<br />

mit einer langwierigen Preismisere bei gleichzeitig steigenden<br />

Kosten für Futter und Betriebsmittel zu kämpfen.<br />

„Der Markt für Schweinefleisch dreht sich gerade, sonst<br />

hätten wir sicher bis Mitte des Jahres schon 20 Prozent der<br />

Schweinehalter verloren“, schätzt Nießing.<br />

Weniger Schweine – weniger Geschäft<br />

Dass viele Schweinebauern derzeit eher ans Aufhören als<br />

ans Durchhalten denken, hat auch mit den Zukunftsaussichten<br />

zu tun. Der Konsum von Schweinefleisch in<br />

Deutschland ist rückläufig, die Änderung der Haltungsbedingungen<br />

erfordern hohe Investitionen, und der Handel<br />

erhöht den Druck durch die Einführung eigener Standards.<br />

Die Afrikanische Schweinepest und der daraus<br />

folgende Exportstopp nach Asien führen zudem dazu, dass<br />

günstiges Schweinefleisch beispielsweise aus Spanien in<br />

Deutschland landet.<br />

„Das alles treibt einem schon die Schweißperlen auf die<br />

Stirn“, sagt Nießing. Denn weniger Schweine bedeutet<br />

weniger Geschäft. Immerhin hat die Agri V im vergangenen<br />

Geschäftsjahr 274.000 Ferkel, 345.000 Schweine und<br />

36.000 Kälber gehandelt. Aber auch beim Futtermittelumsatz<br />

wird sich der Rückgang der Tierhaltung bemerkbar<br />

machen. In Burlo, Barlo, Dingden und Raesfeld unterhält<br />

das Unternehmen eigene Mischfutterwerke. Dieses Geschäftsfeld<br />

machte zuletzt immerhin 80 Millionen Euro<br />

Umsatz pro Jahr.<br />

Genossenschaftlicher Gedanke steht vorn<br />

Wenn die Farm-to-Fork-Strategie der Europäischen Union<br />

nun für 2030 eine Verringerung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln<br />

um 50 Prozent und eine Verringerung<br />

der Düngemittel um 20 Prozent vorsieht, dann trübt das<br />

die Aussichten auf das landwirtschaftliche Geschäft ebenfalls.<br />

Was also tun?<br />

„DER<br />

MARKT FÜR<br />

SCHWEINE-<br />

FLEISCH<br />

DREHT SICH<br />

GERADE,<br />

SONST<br />

HÄTTEN WIR<br />

SICHERLICH<br />

BIS MITTE<br />

DES JAHRES<br />

SCHON<br />

20 PROZENT<br />

DER HALTER<br />

VERLOREN.“<br />

Stefan Nießing<br />

„Wir orientieren uns am Bedarf unserer Mitglieder und<br />

Kunden“, sagt Stefan Nießing. „Bei allen unseren Ideen<br />

steht der genossenschaftliche Gedanke ganz vorn. Wir sind<br />

zur Versorgung der Landwirtschaft und der bestmöglichen<br />

Vermarktung ihrer Produkte gegründet worden. An diesem<br />

Grundsatz halten wir fest.“ Konkret bedeute dies, dass man<br />

die Landwirte an günstigen Konditionen durch Vorkäufe<br />

partizipieren lasse. Außerdem lasse man sie mit den Herausforderungen<br />

nicht allein. „Beispielsweise schaffen wir<br />

mit einer elektronischen Ackerschlagkartei Lösungen für<br />

die Betriebe.“ 500 Landwirten werde damit eine wertvolle<br />

Hilfestellung beim wachsenden Dokumentationsaufwand<br />

gegeben. Zwei Vollzeit- und eine Teilzeitkraft unterstützen<br />

auch dann, wenn es für den Betrieb in einer Kontrolle brenzlig<br />

wird. „Das schätzen die Landwirte sehr“, sagt Nießing.<br />

Auch im Bereich Pflanzenbau setzt die Agri V auf Dienstleistung:<br />

„Unsere 17 Berater geben Empfehlungen, die abgestimmt<br />

sind auf den Standort des jeweiligen Betriebes.<br />

Das nehmen wir sehr ernst und machen auch eigene Feldversuche,<br />

um fundierte Hinweise geben zu können.“<br />

Nießing bringt es auf den Punkt: „Wir versuchen einfach<br />

mehr anzubieten als der Wettbewerb.“<br />

„Wir brauchen alle Kanäle!“<br />

Die Konkurrenten sitzen aber längst nicht mehr nur in der<br />

Nachbarschaft. „Zur Realität gehört auch, dass Amazon<br />

und Co. uns das Leben ganz schön schwer machen“, sagt<br />

Nießing. Deshalb hat sich die Agri V vor drei Jahren der<br />

Plattform akoro angeschlossen. 34 Genossenschaften haben<br />

mit einer Investition von über 3,5 Millionen Euro einen<br />

digitalen Marktplatz geschaffen, auf dem sie den Kunden<br />

perspektivisch rund um die Uhr zur Verfügung stehen.<br />

„Die Landwirte wünschen sich mehr Flexibilität und einen<br />

besseren Zugang zum Markt. Das können wir mit akoro<br />

zukünftig abbilden“, erläutert Nießing.<br />

Schafft das mehr Preistransparenz für die Kunden? „Ja“,<br />

sagt Nießing. Mindert diese Transparenz nicht die Marge?<br />

Nießing: „Sehr wahrscheinlich. Aber das ist die Zukunft,<br />

und wir können es uns als Unternehmen nicht leisten,<br />

einen Trend wie den Onlinehandel zu ignorieren. Wir<br />

brauchen alle Kanäle!“<br />

Rollrasen ist der Renner<br />

„Unsere Unternehmensphilosophie war außerdem immer<br />

die Suche nach neuen Geschäftsfeldern“, sagt Nießing. Die<br />

Diversität habe sich schon oft ausgezahlt. „Als wir im Viehgeschäft<br />

im letzten Jahr Federn lassen mussten, haben wir<br />

mit den Raiffeisenmärkten und unserem Energiegeschäft<br />

konstant Geld verdienen dürfen.“ Der Rollrasenverkauf<br />

mit einem Partner aus Venlo laufe deutschlandweit hervorragend.<br />

In mehr als 200 Raiffeisenmärkten kann der zuvor<br />

online bestellte Rasen samt Dünger vom Kunden abgeholt<br />

werden. Das bestehende Rollrasenangebot werde nun auf<br />

Heckenpflanzen und Bäume sowie Bewässerungstechnik<br />

und Mähroboter ausgeweitet. Auch Dachbegrünung sei für<br />

die Zukunft ein Riesenthema.<br />

An Innovationen mangelt es nicht. Ob eigens gemischtes<br />

Pferdefutter oder ein patentierter Futterspender – die<br />

Agri V lässt sich etwas einfallen. „Auch da hilft uns die genossenschaftliche<br />

Struktur. Über unseren Vorstand, Aufsichtsrat<br />

und Beirat haben wir immer das Ohr an der Basis<br />

und treffen die Entscheidungen gemeinsam“, sagt Nießing.<br />

Ein Steckenpferd von Nießing ist seit Jahren die Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Er ist Mitinitiator der Branchenkampagne<br />

„Mag doch jeder“, und auch die Agri V engagiert sich<br />

in den verschiedensten Projekten und Aktionen: kostenlose<br />

Blühmischungen, Baumpflanzaktionen, Informationskampagnen.<br />

„Wir sehen uns in der Verantwortung,<br />

unsere landwirtschaftlichen Kunden und Mitglieder wieder<br />

in die Mitte der Gesellschaft zu rücken.“<br />

Mit der aktuellen Situation in der Ukraine und den<br />

damit verbundenen Ausschlägen an den Rohstoffmärkten<br />

werden die Herausforderungen nicht kleiner werden.<br />

Stefan Nießing sieht die Agri V gut gerüstet: „Wir gehen<br />

da mit unseren Mitgliedern und unseren Kunden gemeinsam<br />

durch.“<br />

Berthold Brake (l.) und Stefan Nießing bilden das Duo im<br />

geschäftsführenden Vorstand der Genossenschaft.


BUCH EINS<br />

4 | Schwerpunkt<br />

AUSGABE 2 / APRIL 2<strong>02</strong>2<br />

APRIL 2<strong>02</strong>2 / AUSGABE 2<br />

BUCH EINS<br />

Schwerpunkt | 5<br />

ASPEKTE<br />

Kampf um die<br />

ländlichen Räume<br />

Guido Hitze ist seit<br />

2<strong>02</strong>0 Leiter der<br />

Landeszentrale für<br />

politische Bildung.<br />

Foto: lpb<br />

Im Vorfeld der Landtagswahl buhlen die Parteien um<br />

die Gunst der Wähler auf dem Land. Regierung und<br />

Opposition werfen sich gegenseitig vor, die ländlichen<br />

Wenn von Nordrhein-<strong>Westfalen</strong><br />

als Herzkammer der Sozialdemokratie<br />

die Rede ist, meinen<br />

die politischen Kommentatoren<br />

eher nicht die ländlichen<br />

Räume. Denn bis auf Teile in<br />

Ostwestfalen-Lippe waren die Landstriche jenseits von<br />

Ruhrgebiet und Rheinschiene in der Regel CDU-<br />

Hochburgen. Für die kommenden Landtagswahlen haben<br />

sich die Sozialdemokraten vorgenommen, die sechs<br />

Millionen Menschen in den ländlichen Räumen in NRW<br />

und ihre Wählerstimmen nicht kampflos herzugeben.<br />

Mit 296 Fragen hat die SPD-Landtagsfraktion der Landesregierung<br />

auf den Zahn gefühlt. Über das parlamen ta -<br />

rische Instrument der Großen Anfrage hat sie Auskunft<br />

verlangt, zu allen brennenden Themen der Landbevölkerung.<br />

Mobilität, Arbeit, Wohnen, Gesundheit –<br />

die Genossen wollten es genau wissen, und natürlich sind<br />

sie mit den Antworten nicht zufrieden. Pünktlich zur<br />

Landtagswahl halten sie den Regierungsparteien nun ihre<br />

Versäumnisse vor. „Die Landesregierung macht vor<br />

allem Politik für den ländlichen Raum mit Blick auf die<br />

Interessen der Landwirtschaft. Das geht an der Realität<br />

vorbei“, sagt André Stinka, SPD-Landtagsabgeordneter<br />

aus Coesfeld. Handwerk, gewerbliche Produktion und<br />

Dienstleistungen stellten mit rund 80 Prozent der Wertschöpfung<br />

längst viel bedeutendere Wirtschaftszweige<br />

dar. Die Landwirtschaft sei mit 1,5 Prozent an der Wertschöpfung<br />

nur noch eine Branche unter vielen.<br />

„Klischees von Landidylle und durch Land- und Forstwirtschaft<br />

geprägte Regionen entsprechen nicht mehr<br />

der Realität. Wir brauchen einen anderen Blick auf das<br />

Land“, sagt Stinka.<br />

„Die Genossen entdecken das Land für sich“<br />

Ein grundlegender Fehler sei zudem die holzschnittartige<br />

Trennung zwischen ländlichen und nichtländlichen<br />

Gebieten. Stinka: „Die Landesregierung hat keinen differenzierten<br />

Blick auf die ländlichen Räume.“<br />

Dabei gebe es hier große Unterschiede. Sehr ländliche<br />

Regionen mit einer guten sozioökonomischen Lage wie<br />

der Kreis Steinfurt könnten beispielsweise nicht mit<br />

dem ebenfalls ländlichen, aber wirtschaftlich schwächeren<br />

Kreis Höxter gleichgesetzt werden. „Das macht es<br />

notwendig, auch regionale Handlungskonzepte zu entwickeln“,<br />

ist Stinka überzeugt. Ein Konzept oder gar eine<br />

Räume nicht zu verstehen<br />

Von Stefan Legge<br />

Strategie vermag er bei CDU und FDP nicht zu erkennen.<br />

Die Regierungsparteien kontern mit beißender Ironie.<br />

„Es ist erfreulich, dass endlich auch die SPD den Blick auf<br />

den ländlichen Raum richtet, er ist schließlich ein<br />

wesentlicher Teil Nordrhein-<strong>Westfalen</strong>s“, kommentiert<br />

Markus Diekhoff, Sprecher der FDP-Landtagsfraktion<br />

unter anderem für Umwelt und Landwirtschaft. Auch<br />

Klaus Voussem, verkehrspolitischer Sprecher der<br />

CDU-Fraktion, wundert sich über die Sozialdemokraten:<br />

„Nach Jahren SPD-geführter Landesregierungen haben<br />

wir seit 2017 umgesteuert und Förderprogramme erst für<br />

den ländlichen Raum geöffnet.“ Zuvor hätte Rot-Grün<br />

versucht, mit dem Landesentwicklungsplan eine Weiterentwicklung<br />

kleinerer Orte zu verhindern. Auch das<br />

habe man korrigieren müssen. „Auf einmal entdecken<br />

die Genossen das Land für sich. Mein Eindruck ist aber:<br />

Die können ländliche Räume einfach nicht“, sagt<br />

Voussem.<br />

In der Zustandsbeschreibung der Unterschiede der<br />

ländlichen Räume geht er allerdings mit: „Wir haben uns<br />

viel zu lange von Bertelsmann-Studien einreden lassen:<br />

Das Land stirbt. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt echte<br />

Boom-Regionen und starke Wirtschaftsräume in <strong>Westfalen</strong>.<br />

Aber eben nicht überall.“ Wichtig sei, dass man<br />

den Kommunen einen Handlungsspielraum gebe, das<br />

habe man über das Gemeindefinanzierungsgesetz getan.<br />

Außerdem habe man mit der Heimatförderung viele<br />

Anreize gesetzt und vor allem für Ehrenamtliche wertvolle<br />

Unterstützung geschaffen.<br />

„KLISCHEES<br />

VON LAND-<br />

IDYLLE ENT-<br />

SPRECHEN<br />

NICHT MEHR<br />

DER<br />

REALITÄT.“<br />

André Stinka, SPD<br />

„Ehrenamt bricht weg“<br />

Heimat-Scheck, Heimat-Preis, Heimat-Werkstatt – für<br />

André Stinka und die SPD sind das nur Überschriften.<br />

„Der Begriff Heimat ist gut, auch das Ehrenamt zu<br />

fördern ist richtig, aber dafür brauchen wir echte Strukturen.“<br />

Ähnlich den Kommunalen Integrationszentren<br />

kann er sich Ehrenamtsagenturen vorstellen. Die sollen<br />

die wertvolle Arbeit vor Ort koordinieren. „Es ist doch<br />

absehbar, dass uns alleine schon aus demografischen Gründen<br />

beim Ehrenamt etwas wegbricht“, meint Stinka.<br />

Die Große Anfrage habe gezeigt, dass die Landesregierung<br />

oft nicht wisse, wie groß ein Problem tatsächlich<br />

ist oder noch wird. Beispiel Gesundheit: Hier könne die<br />

Landesregierung nicht beziffern, wie viele Hausärzte<br />

in Zukunft fehlen werden. Beispiel Fachkräftemangel:<br />

Auch hier wisse man nur, dass in Zukunft die Arbeitskräfte<br />

knapp werden. „Was wir brauchen, ist ein ressortübergreifender<br />

Kabinettsausschuss, wie er in Baden-<br />

Württemberg schon lange erfolgreich arbeitet“, sagt<br />

Stinka. Ein solcher Ausschuss könne die Zusammenarbeit<br />

der Ministerien zum Wohl der ländlichen Räume<br />

koordinieren.<br />

Klaus Voussem sieht die CDU und die Landesregierung<br />

dagegen auf dem richtigen Weg: „Wir haben in vielen<br />

Bereichen das Pendel wieder in Richtung Maß und Mitte<br />

gedreht. Beispielsweise beim Straßenbau wollte die<br />

Vorgängerregierung mit einer Streichliste wichtige Vorhaben<br />

wie Ortsumgehungen einkassieren. Das haben wir<br />

korrigiert.“ Mit der neuen Fakultät für Allgemeinmedizin<br />

in Bielefeld und der eingeführten Landarztquote<br />

unternehme man konkrete Schritte zur Aufrechterhaltung<br />

der medizinischen Versorgung. „Und hinter dem Fachkräftemangel<br />

steht oft ein Mobilitätsproblem, da haben<br />

wir mit unserem Azubi-Ticket schon erfolgreich<br />

gegengesteuert“, sagt Voussem.<br />

Sowohl die Antworten der Landesregierung auf die<br />

Fragen, als auch die Schlussfolgerungen der SPD aus<br />

ihrer Großen Anfrage gehen sehr ins Detail. Da haben sich<br />

die Autoren wirklich mit der Materie auseinandergesetzt.<br />

Die Lösungsansätze für die Herausforderungen liegen<br />

auch oft gar nicht weit auseinander. Wenn der Kampf um<br />

die Wählerstimmen auch ein Kampf um die besten<br />

Ideen ist, soll es den Menschen in den ländlichen Räumen<br />

<strong>Westfalen</strong>s nur recht sein.<br />

Der Coesfelder André Stinka sitzt für die SPD im Landtag<br />

und hat die Große Anfrage zum ländlichen Raum mitinitiiert.<br />

Foto: Max Hoffmeier<br />

Nichts los auf dem Land? Mit diesen und anderen Klischees will die SPD aufräumen. Dass Mobilität eine der großen Herausforderungen in den ländlichen Räumen ist,<br />

darin stimmen die Parteien im Landtagswahlkampf überein. Foto: Adobe Stock<br />

Finanzzuweisungen des Landes Nordrhein-<strong>Westfalen</strong><br />

ländliche Kommunen insgesamt<br />

nicht-ländliche Kommunen insgesamt<br />

1.015<br />

800<br />

854<br />

590<br />

451<br />

627<br />

424 556<br />

444<br />

381<br />

2000<br />

2005<br />

2010<br />

2015<br />

2019<br />

Finanzzuweisungen des Landes in Euro je Einwohner (Quelle: Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion)<br />

Typisierung ländlicher Räume in <strong>Westfalen</strong> (Thünen-Institut)<br />

Typ<br />

Kreise<br />

Sehr ländlich/gute sozioökonomische Lage<br />

Olpe, Siegen-Wittgenstein, Steinfurt<br />

Sehr ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage<br />

Höxter, Hochsauerlandkreis<br />

Eher ländlich/gute sozioökonomische Lage<br />

Borken, Coesfeld, Warendorf, Gütersloh, Herford, Paderborn<br />

Eher ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage<br />

Soest, Lippe, Minden-Lübbecke<br />

Quelle: Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion<br />

Wie demokratisch<br />

sind wir?<br />

Der Demokratiebericht der Landeszentrale für politische<br />

Bildung hat untersucht, wie die Menschen im Land unser<br />

politisches System verstehen.<br />

Die Demokratie als Staatsform wird von den allermeisten<br />

Menschen in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> nicht infrage gestellt. Das<br />

ist ein zentrales Ergebnis des ersten „Demokratieberichts zur<br />

Lage der politischen Bildung in NRW“. Für Guido Hitze, den<br />

Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, ist das aber<br />

kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen: „Unsere Demokratie<br />

ist kein garantierter Dauerzustand. Sie steht und fällt<br />

mit dem Verhalten der Menschen.“ Denn das zeigen die Ergebnisse<br />

des Berichts auch: Wie die Demokratie funktioniert,<br />

sehen viele Menschen kritisch.<br />

Teil der Studie ist eine repräsentative Befragung durch das<br />

Meinungsforschungsinstitut forsa. 88 Prozent der Befragten<br />

in NRW gaben an, mit ihrer persönlichen Situation zufrieden<br />

zu sein. 84 Prozent befürworteten die Demokratie als Staatsform.<br />

Auf die Frage, ob man mit der Demokratie, wie sie tatsächlich<br />

funktioniert, zufrieden ist, gaben nur noch 70 Prozent<br />

der Befragten eine zustimmende Antwort. „Quer durch alle<br />

gesellschaftlichen Schichten gibt es Menschen, die ihre eigenen<br />

Bedürfnisse und Vorstellungen nicht ausreichend befriedigt<br />

sehen. Viele von ihnen sehen auch das Funktionieren<br />

der Demokratie kritisch“, kommentiert Hitze.<br />

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Merkmalen, die der<br />

Demokratie zugeschrieben werden. Wahlen, Rechtsstaatlichkeit<br />

und Gewaltenteilung werden mit Zustimmungswerten<br />

über 90 Prozent als sehr wichtig bewertet. Je näher Demokratie<br />

an die Menschen aber heranrückt, beispielsweise in<br />

einem Konflikt, und je stärker die eigene Haltung und Toleranz<br />

gefragt ist, desto geringer ist die Zustimmung. So gehört nur<br />

für 63 Prozent der Befragten die Kompromissfähigkeit unbedingt<br />

zur Demokratie dazu. Hitze: „Demokratie wird abstrakt<br />

als richtig und wichtig verstanden, aber ein nicht geringer<br />

Teil der Bevölkerung sieht die damit verbundenen Konsequenzen<br />

als weniger wichtig an.“<br />

Verkürzung des Demokratieprinzips<br />

Eine deutliche Mehrheit der Menschen in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong><br />

(78 Prozent) ist an dem politischen Geschehen interessiert.<br />

Etwa ebenso viele glauben, dass es etwas bringt, sich<br />

politisch zu engagieren. Hier gibt es allerdings deutliche Abstufungen:<br />

Je höher der sozioökonomische Status, desto<br />

höher das Selbstwirksamkeitsgefühl.<br />

Bei der Frage, wie sich die Menschen über die Politik informieren,<br />

greift der Demokratiebericht auch auf andere Medienstudien<br />

zurück. Zwar ist das Fernsehen insgesamt nach<br />

wie vor das dominierende Medium, jüngere Befragte nutzen<br />

für die Informationsbeschaffung über politische Themen aber<br />

schwerpunktmäßig Online-Angebote und persönliche Gespräche.<br />

Nach Einschätzung von Guido Hitze lässt sich an<br />

diesem Punkt ein sozioökonomischer Effekt nicht so deutlich<br />

belegen: „Gerade in intellektuellen Kreisen verfestigen sich<br />

Strukturen, die die eigene Meinung absolut setzen. Das hängt<br />

viel davon ab, wie sich die Menschen informieren.“ Schnell<br />

sei man in einer Informationsblase gefangen. Hitze: „Wir haben<br />

es dann oft mit einer Verkürzung des Demokratieprinzips<br />

zu tun. Getreu dem Motto: Wir sind das Volk und damit die<br />

wahren Demokraten.“<br />

Auch bei der anstehenden Landtagswahl werde die Demokratie<br />

wieder auf die Probe gestellt. „Wenn Interessengruppen,<br />

Lobbyverbände oder auch Parteien ihre Positionen als<br />

alternativlos darstellen oder diese moralisch überhöhen, dann<br />

birgt das eine Eskalationsdynamik. Dann ist da kein Platz mehr<br />

für den demokratischen Kompromiss“, warnt Hitze.<br />

Ihre Meinung zum Thema?<br />

Schreiben Sie uns!<br />

Per E-Mail: redaktion@landschaft-westfalen.de oder Post:<br />

Redaktion <strong>Landschaft</strong> <strong>Westfalen</strong>, Hülsebrockstraße 2–8, 48165 Münster


BUCH EINS<br />

6 | Berichte AUSGABE 2 / APRIL 2<strong>02</strong>2<br />

Schweinestall der<br />

Zukunft im Kreis Soest<br />

Bad Sassendorf. Mehr Platz, Licht<br />

und Auslauf für die Schweine und<br />

zugleich weniger Emissionen im Sinne<br />

des Umweltschutzes: Gut zwei Jahre<br />

nach der Vorstellung des NRW-Musterprojekts<br />

im Kreis Soest ist nun der<br />

erste Spatenstich für den „Schweinestall<br />

der Zukunft“ erfolgt.<br />

In Bad Sassendorf entstehen zwei<br />

Ausbildungs- und Demonstrationsställe,<br />

in denen künftig erprobt wird,<br />

wie Schweine tier- und umweltgerechter<br />

gehalten werden können.<br />

Die Fertigstellung sei für August 2<strong>02</strong>3<br />

geplant, teilte das Landwirtschaftsministerium<br />

mit. Auf Praxistauglichkeit<br />

getestet werden unter anderem<br />

auch Liegebetten für Schweine und ein<br />

Wühlgarten. Realisiert werden die<br />

Musterställe von der Landwirtschaftskammer<br />

NRW auf dem Gelände<br />

des Versuchs- und Bildungszentrums<br />

Haus Düsse. Das Land fördert das<br />

Projekt.<br />

Neben Maßnahmen für mehr Tierwohl<br />

sollen auch technische Mittel erprobt<br />

werden, um Emissionen der Höfe zu<br />

reduzieren. Zudem werden beide<br />

Ställe mit verglasten Besucherplattformen<br />

ausgestattet. Das Projekt sei<br />

Teil einer Strategie des Landes<br />

zur Förderung des Tierwohls in der<br />

Nutztierhaltung, betonte das Ministerium.<br />

dpa<br />

Millioneninvestitionen<br />

für Autobahnen<br />

Hamm. Die für die Autobahnen im<br />

westfälischen Landesteil zuständige<br />

Autobahn GmbH des Bundes wird in<br />

diesem Jahr 530 Millionen Euro in<br />

den Neubau und Erhalt des Straßennetzes<br />

investieren. Das teilte die<br />

Niederlassung am Freitag in Hamm mit.<br />

Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum<br />

sei das ein Plus von 25 Millionen.<br />

Der Großteil der Summe fließt demnach<br />

in die Autobahn A45 und die<br />

zahlreichen maroden Talbrücken auf<br />

der Verbindung zwischen dem<br />

östlichen Ruhrgebiet und Frankfurt.<br />

Die Niederlassung <strong>Westfalen</strong> ist für<br />

1400 Kilometer Autobahnen zwischen<br />

Ostfriesland in Niedersachsen und<br />

Gießen in Hessen zuständig.<br />

Deshalb kommt auch nicht die ganze<br />

Summe von 530 Millionen NRW<br />

zugute. Ein großer Teil wird derzeit für<br />

den sechsspurigen Ausbau der A1<br />

nördlich von Osnabrück in Niedersachsen<br />

ausgegeben. dpa<br />

Mitgliederschwund der<br />

evangelischen Kirchen<br />

Detmold/Bielefeld. Auch in <strong>Westfalen</strong><br />

verlieren die evangelischen<br />

Kirchen Mitglieder. Die Evangelische<br />

Kirche von <strong>Westfalen</strong> hatte 2<strong>02</strong>1 noch<br />

2,05 Millionen Mitglieder.<br />

Das entspricht einem Minus von 2,3<br />

Prozent. Neben 35.500 Todesfällen gab<br />

es 20.800 Austritte. Getauft wurden<br />

dagegen nur 11.350 Menschen. Wie die<br />

Landeskirche in Bielefeld mitteilte,<br />

gab es 1620 Neueintritte.<br />

In der kleinsten Landeskirche in NRW,<br />

der Lippischen Landeskirche,<br />

gab es im vergangenen Jahr 148.749<br />

Mitglieder. Das entspricht einem<br />

Rückgang von 2,9 Prozent. 2<strong>02</strong>1 traten<br />

im Kreis Lippe 1529 Menschen<br />

aus und 2009 Menschen starben.<br />

Dem standen 95 Aufnahmen und 592<br />

Taufen gegenüber, wie die Landeskirche<br />

in Detmold mitteilte.<br />

Die evangelische Kirche im Rheinland<br />

hatte im vergangenen Jahr 2,33 Millionen<br />

Mitglieder. Das ist ein Rückgang<br />

von 2,7 Prozent im<br />

Vorjahresvergleich. Bundesweit hat<br />

die evangelische Kirche noch<br />

19,72 Millionen Mitglieder. dpa<br />

MÜNSTER<br />

„Starke Frauen machen<br />

starke Gesellschaften“<br />

Die SPD-Politikerin Svenja Schulze aus<br />

Münster hat das Ressort gewechselt<br />

Von Stefan Legge<br />

Aus dem Umweltministerium in<br />

das Bundesministerium für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit und Entwicklung<br />

– Svenja Schulze aus Münster<br />

ist derzeit die einzige Vertreterin<br />

aus <strong>Westfalen</strong> im Bundeskabinett. Für<br />

ihr neues Amt hat sie sich einiges vorgenommen:<br />

„Ich will eine feministische<br />

Entwicklungspolitik betreiben.<br />

Das bedeutet, dass wir bei unseren<br />

Projekten immer auch darauf achten,<br />

Frauen gezielt zu fördern oder mindestens<br />

gleichberechtigt einzubinden.<br />

Das ist weit mehr als Fürsorge gegenüber<br />

Frauen: Starke Frauen machen<br />

starke Gesellschaften. Unzählige Studien<br />

zeigen, dass es weniger Hunger,<br />

weniger Armut und mehr Stabilität<br />

gibt, wenn Frauen gleichberechtigt<br />

Verantwortung tragen.“<br />

Nachhaltige Lieferketten<br />

Beim Lieferkettengesetz gibt sie auf<br />

Anfrage von <strong>Landschaft</strong> <strong>Westfalen</strong> für<br />

kleine Unternehmen Entwarnung:<br />

„Das Gesetz ist auf jeden Fall ein<br />

Schritt in die richtige Richtung. Mir<br />

ist es wichtig, dass wir jetzt auch auf<br />

europäischer Ebene eine Regelung<br />

55 Sparkassen gibt es aktuell in <strong>Westfalen</strong>-Lippe.<br />

Foto: Julian Stratenschulte/dpa<br />

für faire und nachhaltige Lieferketten<br />

bekommen. Das würde noch deutlich<br />

größere entwicklungspolitische Fortschritte<br />

möglich machen. Aber es<br />

würde auch den Unternehmen in<br />

<strong>Westfalen</strong> nützen, wenn es europaweit<br />

gleiche Wettbewerbsbedingungen<br />

gibt.<br />

Dabei geht es übrigens nicht um<br />

den Bäcker oder den Kiosk um die<br />

Ecke, sondern ausdrücklich um große<br />

Unternehmen, die das auch leisten<br />

können. Ich verstehe, dass das ein<br />

Lernprozess ist, darum bietet mein<br />

Ministerium Beratungen an, um die<br />

Unternehmen bei der Umsetzung des<br />

Gesetzes zu unterstützen.“<br />

Impfstoffe aus Afrika<br />

Zur weltweiten Bekämpfung der Corona-Pandemie<br />

hat Svenja Schulze<br />

eine klare Meinung: „Die ungleiche<br />

Verteilung der Impfstoffe war weder<br />

gerecht noch nachhaltig, das beweist<br />

jede neue Virusvariante aufs Neue.<br />

Meine Botschaft ist: Impfgerechtigkeit<br />

ist der Ausweg aus der Pandemie.<br />

Mittelfristig ist die beste Lösung,<br />

eine eigene Impfstoffproduktion in<br />

Sparkassen: Die Inflation nagt an den Guthaben<br />

Münster. Die hohe Inflation nagt auch<br />

an den Guthaben von Sparkassenkunden<br />

in <strong>Westfalen</strong>. Man stelle insbesondere<br />

bei kleineren Einkommen niedrigere<br />

Kontostände fest, sagte Liane<br />

Buchholz, Präsidentin des Sparkassenverbands<br />

<strong>Westfalen</strong>-Lippe (SVWL) bei<br />

der Jahrespressekonferenz. Sie gehe<br />

davon aus, dass sich die Inflation in<br />

diesem Jahr spürbar zeigen werde.<br />

Buchholz äußerte sich kurz vor dem<br />

Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Die<br />

seither rasant gestiegenen Spritpreise<br />

dürften das Phänomen verschärfen.<br />

Buchholz rief die Europäische Zentralbank<br />

dazu auf, die Inflation energischer<br />

zu bekämpfen. Eine Leitzinserhöhung<br />

sei „zwingend notwendig“.<br />

Sturmschäden: Besonders<br />

Fichten sind betroffen<br />

Fichtenbestände sind geschwächt und bei Wind sehr anfällig. Foto: Jens Büttner/dpa<br />

Vertreterin <strong>Westfalen</strong>s im Bundeskabinett: Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze.<br />

Foto: Britta Pedersen/dpa<br />

Afrika aufzubauen – hier machen wir<br />

mit deutscher Unterstützung gerade<br />

wichtige Fortschritte. Kurzfristig geht<br />

es vor allem darum, die internationale<br />

Impfplattform Covax mit den nötigen<br />

Mitteln auszustatten. Deutschland<br />

geht hier mit gutem Beispiel<br />

voran und legt zudem einen Schwerpunkt<br />

auf Impflogistik. Denn Impfstoff<br />

ist zum Glück nicht mehr knapp,<br />

die Engpässe bestehen deshalb eher in<br />

logistischen Fragen von Kühlketten bis<br />

zu Schutzausrüstung: Die Herausforderung<br />

ist, den Impfstoff in die Länder<br />

und dort bis in die Dörfer und letztlich<br />

in die Oberarme zu bekommen.“<br />

Trotz anziehender Inflation und<br />

niedrigerer Kontostände bei Geringverdienern<br />

konnten Kundinnen und<br />

Kunden der westfälischen Sparkassen<br />

2<strong>02</strong>1 Geld beiseitelegen. Die<br />

Sparquote lag bei 15,2 Prozent – ein<br />

leichter Rückgang gegenüber dem<br />

Allzeithoch im ersten Pandemiejahr.<br />

Grund dafür seien auch die im Sommer<br />

gelockerten Corona-Maßnahmen,<br />

erklärte SVWL-Vizepräsident<br />

Jürgen Wannhoff: „Die Leute haben<br />

wieder mehr Geld ausgegeben.“ Die<br />

Sparquote sei aber immer noch historisch<br />

hoch.<br />

Immer mehr vom Ersparten fließt<br />

zudem in Wertpapiere. Die Sparkassen<br />

verzeichneten hier einen regel-<br />

Münster. Die gute Nachricht zuerst:<br />

Der Holzmarkt scheint sich etwas<br />

entspannt zu haben, jedenfalls rät das<br />

Umweltministerium des Landes<br />

Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> Waldbesitzern<br />

dazu, die aktuelle Aufnahmefähigkeit<br />

der Sägewerke zu nutzen und bei den<br />

jüngsten Stürmen gefallenes Holz zu<br />

beseitigen. Neben den großflächigen<br />

Windwürfen melden die Regionalforstämter<br />

zahlreiche kleine, nestartige<br />

Windwürfe. Die rasche Aufarbeitung<br />

und der Abtransport auch einzelner<br />

Fichten sei jetzt vordringlich,<br />

damit Borkenkäfer kein zusätzliches<br />

Brutmaterial haben.<br />

Regionale Schwerpunkte der<br />

Sturmschäden bilden die Wälder in<br />

den Regionen Sauerland und Siegen-<br />

Wittgenstein. Von den Sturmschäden<br />

sind überwiegend Nadelbäume betroffen.<br />

Die Schäden im Nadelholz<br />

Zahl der Hungernden steigt<br />

Um den Hunger in der Welt zu bekämpfen,<br />

ist für Schulze nicht die<br />

Ausweitung der Produktion von Nahrungsmitteln<br />

entscheidend: „Die<br />

Gründe dafür, dass die Zahl der Hungernden<br />

auf der Welt seit einigen Jahren<br />

wieder steigt, sind in erster Linie<br />

Kriege und Konflikte. Dann kam noch<br />

Corona hinzu. Allein im ersten Pandemiejahr<br />

sind knapp 100 Millionen<br />

Menschen in extreme Armut gerutscht<br />

und konnten für sich und ihre<br />

Familien weniger zu essen kaufen.<br />

Wenn wir also die Ursachen für den<br />

Hunger angehen wollen, geht es eben<br />

nicht nur um Fragen der Produktionssteigerung,<br />

sondern immer auch um<br />

die politischen Rahmenbedingungen<br />

für den Zugang zu Nahrung und um<br />

soziale Sicherungssysteme.“<br />

rechten Boom: Der Nettoabsatz von<br />

Wertpapieren an Privatpersonen hat<br />

gegenüber 2<strong>02</strong>0 von 1,4 auf 2,6 Milliarden<br />

Euro zugelegt – ein Plus von<br />

knapp 84 Prozent. Für die Sparkassen<br />

bedeutete das: mehr Einnahmen aus<br />

dem Provisionsgeschäft. Insgesamt<br />

erwirtschafteten die 55 Institute im<br />

Jahr 2<strong>02</strong>1 ein Ergebnis in Höhe von<br />

197 Millionen Euro, 28 Prozent mehr<br />

als im Vorjahr.<br />

Ob und wie viel davon an die Trägerkommunen<br />

ausgeschüttet wird,<br />

müssen die Verwaltungsräte der Sparkassen<br />

im Frühsommer entscheiden.<br />

Im Jahr 2<strong>02</strong>0 hätten rund 20 Institute<br />

zusammen etwa 60 Millionen Euro<br />

ausgeschüttet, sagte Wannhoff. mgl<br />

betragen NRW-weit 525.000 Festmeter,<br />

im Laubholz sind es 139.000<br />

Festmeter. Die Schäden beim Laubholz<br />

betreffen besonders die Regionen<br />

Hochstift und Ostwestfalen-Lippe.<br />

Insgesamt sind die Schäden damit<br />

deutlich geringer als nach dem letzten<br />

schweren Orkan „Friederike“ im Jahr<br />

2018. Damals waren im NRW 2 Millionen<br />

Festmeter Holz gefallen.<br />

„Damit der Wald seine vielfältigen<br />

Leistungen dauerhaft erfüllen<br />

kann, muss er vital und widerstandsfähig<br />

sein. Der Wiederaufbau des<br />

Waldes und seine Anpassung an die<br />

Folgen des Klimawandels sind zentrale<br />

Zukunftsaufgaben“, betont<br />

NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser.<br />

Die Landesregierung unterstützt<br />

den privaten und kommunalen<br />

Waldbesitz dabei mit finanziellen<br />

Hilfen. nri


APRIL 2<strong>02</strong>2 / AUSGABE 2<br />

BUCH EINS<br />

Berichte | 7<br />

MÜNSTER<br />

Reden, reden, reden<br />

Die Corona-Maßnahmen spalten.<br />

Was bedeutet das für die Zukunft?<br />

Von Nicole Ritter<br />

Eine Soziologenweisheit lautet:<br />

Die Stimmung ist schlechter als die<br />

Lage – ist die Spaltung der Gesellschaft<br />

nur ein Medienphänomen?<br />

Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten.<br />

Aus meiner Sicht ist es so,<br />

dass es auch früher schon Themen<br />

gab, zu denen unterschiedliche<br />

Gruppen unterschiedlicher Ansicht<br />

waren. In den letzten Jahren diskutieren<br />

wir aber zunehmend Fragen,<br />

die moralisch oder in Hinblick auf die<br />

Identität aufgeladen sind. Wenn Sie<br />

an frühere Fragen wie die Arbeitsmarkt-<br />

oder Finanzpolitik denken,<br />

dann hat man darüber gestritten, aber<br />

es spielte dabei keine Rolle, ob man<br />

zusammen Fußball spielen oder im<br />

Chor singen konnte.<br />

Heute ist es aber so, dass wenn<br />

Ihre Ansichten zur Pandemie so oder<br />

so sind und Sie sich dann entsprechend<br />

verhalten, Sie vom Alltagsleben<br />

ausgeschlossen werden. Und das<br />

führt dazu, dass diese unterschiedlichen<br />

Ansichten viel direktere Auswirkungen<br />

haben auf Ihr soziales<br />

Leben und viel mehr Emotionen damit<br />

verbunden sind. Insofern ist die<br />

Spaltung derzeit sehr real.<br />

Bernd Schlipphak ist<br />

Professor am Institut für<br />

Politikwissenschaft der<br />

WWU Münster.<br />

Foto: WWU/Benedikt<br />

Weischer<br />

Wenn wir andere von der öffentlichen<br />

Teilhabe ausschließen, welche<br />

Möglichkeiten haben wir,<br />

Spaltung zu überwinden?<br />

Bis vor Kurzem hätte ich noch gesagt,<br />

dass es sehr schwierig ist, diese Differenzen<br />

kurzfristig zu überwinden und<br />

wieder in einen Normalzustand zu<br />

kommen. Tatsächlich bin ich jetzt aber<br />

angesichts der noch größeren Wahrnehmung<br />

einer Bedrohung, die sich<br />

durch den Ukraine-Krieg ergeben hat,<br />

in diesem Punkt nicht mehr ganz so<br />

skeptisch. Die Wahrnehmung einer<br />

noch größeren Bedrohung kann dazu<br />

führen, dass andere Konflikte nicht<br />

mehr so wichtig erscheinen. Eine mögliche<br />

Folge ist, dass die eine Situation<br />

die andere überlagert. Oder die Konfliktpositionen<br />

richten sich aneinander<br />

aus, sodass die Position, die ich in dem<br />

einen Konflikt einnehme, bedingt,<br />

welche ich in dem anderen einnehme.<br />

Dann würde sie multipliziert.<br />

Gibt es einen Unterschied, wenn<br />

man in Städte oder aufs Land<br />

schaut?<br />

Wir haben in unserer Studie am Cluster<br />

„Religion und Politik“ zur Identitätsbildung<br />

gezeigt, dass Menschen,<br />

die offener sind gegenüber anderen,<br />

häufiger in der Stadt leben, während<br />

Menschen, die sich vor anderen Religionen<br />

und geflüchteten Menschen<br />

fürchten, eher auf dem Land wohnen.<br />

Zugleich haben wir aber auf dem<br />

Land, vermutlich auch aufgrund einer<br />

homogeneren Bevölkerungsstruktur,<br />

ein stärkeres Maß an sozialer Fürsorge,<br />

aber auch sozialer Kontrolle beobachtet.<br />

Ob und wie die Pandemie solche<br />

Unterschiede verstärkt oder verringert,<br />

wissen wir noch nicht.<br />

Müssen wir wieder mehr auf andere<br />

zugehen?<br />

Zugehen ist vielleicht das falsche<br />

Wort, aber ich glaube schon, dass wir<br />

darauf achten sollten, dass wir alle<br />

Positionen innerhalb des demokratischen<br />

Rahmens als Positionen ernst<br />

nehmen. Aus meiner Sicht wäre es<br />

sinnvoll, wenn alle Grundbedürfnisse,<br />

die eine größere Gruppe von Menschen<br />

beschäftigen, auch auf der politischen<br />

Ebene in der Diskussion berücksichtigt<br />

würden – wie gesagt,<br />

immer im Rahmen der freiheitlich-demokratischen<br />

Grundordnung. Wenn<br />

wir das schaffen, so glaube ich, lässt<br />

sich auch ein solcher Konflikt dadurch,<br />

dass er auf politischer Ebene ausverhandelt<br />

wird, auf gesellschaftlicher<br />

Eben besser verhandeln, und er lässt<br />

sich auch besser aushalten.<br />

Es geht einfach darum zu erkennen,<br />

wo die Bedürfnisunterschiede zwischen<br />

Menschen liegen und wie wir sie<br />

diskutieren und ernst nehmen können,<br />

ohne in radikale, nicht mehr demokratische<br />

Positionen abzudriften. Wenn<br />

es gelingt, dass sich die Menschen wieder<br />

repräsentiert und vertreten fühlen<br />

in der Debatte, dann lässt sich die Spaltung<br />

in den Griff bekommen.<br />

Hohe Drittmittelquote an<br />

westfälischen Unis<br />

Düsseldorf. Im Jahr 2<strong>02</strong>0 gaben die<br />

nordrhein-westfälischen Hochschulen<br />

(ohne medizinische Einrichtungen<br />

der Hochschulen) 7,7 Milliarden Euro<br />

für Lehre und Forschung aus. Wie<br />

Information und Technik Nordrhein-<br />

<strong>Westfalen</strong> als Statistisches Landesamt<br />

mitteilt, waren das etwa 425 Millionen<br />

Euro bzw. 5,8 Prozent mehr als im<br />

Jahr 2019. Von diesen Ausgaben entfielen<br />

4,7 Milliarden Euro (60,2 Prozent)<br />

auf Personalkosten, 2,4 Milliarden<br />

Euro (30,7 Prozent) auf Sachausgaben<br />

und 0,7 Milliarden Euro (9,2<br />

Prozent) auf Investitionen.<br />

Die Einnahmen der Hochschulen<br />

(ohne Zuweisungen und Zuschüsse<br />

vom Hochschulträger) beliefen sich<br />

im Jahr 2<strong>02</strong>0 auf rund 2,2 Milliarden<br />

Euro. Knapp zwei Drittel (1,4 Milliarden<br />

Euro) der Einnahmen waren Drittmittel;<br />

das waren 3 Prozent mehr als im<br />

Jahr 2019.<br />

Unter den westfälischen Hochschulen<br />

konnte die Ruhr-Universität Bochum<br />

mit 133 Millionen Euro die meisten<br />

Drittmittel verzeichnen, das sind knapp<br />

90 Prozent der Einnahmen der Hochschule.<br />

Die Westfälische Wilhelms-Universität<br />

Münster erreichte mit 99,5<br />

Millionen Euro eine Drittmittelquote<br />

von 85 Prozent der Einnahmen. Die Zuweisungen<br />

und Zuschüsse der Hochschulträger<br />

(einschließlich der Zuwendungen<br />

an die medizinischen Einrichtungen<br />

der Hochschulen) summierten<br />

sich im Jahr 2<strong>02</strong>0 auf gut 7 Milliarden<br />

Euro. Davon fließen rund 5,3 Milliarden<br />

Euro in die staatlichen Universitäten,<br />

Technischen Hochschulen und die<br />

Sporthochschule.<br />

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BUCH EINS<br />

8 | <strong>Westfalen</strong> in Zahlen<br />

AUSGABE 2 / APRIL 2<strong>02</strong>2<br />

Haushaltslage<br />

Eckdaten zu Arbeit und Einkommen in <strong>Westfalen</strong><br />

Wenig Geld für<br />

harte Arbeit<br />

71 % 4.429 3,2 Mio. 66 %<br />

Arbeiten um zu leben oder leben um<br />

zu arbeiten? Von den mehr als<br />

8 Millionen Menschen in <strong>Westfalen</strong><br />

sind rund die Hälfte erwerbstätig.<br />

Viele verdienen gutes Geld. Nach Angaben<br />

des NRW-Arbeitsministeriums<br />

müssen aber 21 Prozent der Beschäftigten<br />

mit einem Niedriglohn unter<br />

12,27 Euro zufrieden sein. Besonders<br />

im Gastgewerbe ist das Niedriglohnrisiko<br />

hoch. Auch Küchenhilfen, Kraftfahrer<br />

und Reinigungskräfte bekommen<br />

häufig lediglich den Mindestlohn.<br />

der Beschäftigten<br />

arbeiten Vollzeit<br />

Diese Zahl bezieht sich auf sozialversicherungspflichtige<br />

Arbeitsverhältnisse.<br />

Minijobberinnen und Minijobber,<br />

Selbstständige und deren mitarbeitende<br />

Familienangehörige werden nicht zu<br />

den Beschäftigten gezählt.<br />

Euro brutto<br />

im Monat<br />

ist der durchschnittliche Verdienst der<br />

vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmer in Nordrhein-<br />

<strong>Westfalen</strong>. Im Durchschnitt müssen sie<br />

dafür 38,1 Stunden in der Woche<br />

arbeiten. Der geschlechterspezifische<br />

Lohnunterschied wird mit 18 Prozent<br />

angegeben.<br />

Sozialversicherungspflichtige<br />

Mitte 2<strong>02</strong>1 standen 78 Prozent der<br />

Erwerbstätigen in <strong>Westfalen</strong> in einem<br />

sozialversicherungspflichtigen<br />

Arbeitsverhältnis. Alle Personen älter<br />

als 14 Jahre, die mehr als eine Stunde<br />

in der Woche gegen Entgelt irgendeiner<br />

beruflichen Tätigkeit nachgehen,<br />

gelten als erwerbstätig.<br />

der Hauptverdiener<br />

sind Männer<br />

Je mehr Personen in einer Wohnung<br />

oder einem Haus in <strong>Westfalen</strong> zusammenleben,<br />

desto wahrscheinlicher ist<br />

es, dass ein Mann den größeren Anteil<br />

zum Lebensunterhalt besteuert.<br />

6 %<br />

Beamte<br />

Die größte Gruppe der Erwerbstätigen<br />

stellen die Angestellten in NRW mit<br />

70 Prozent. Arbeiterinnen und Arbeiter<br />

(12 Prozent) und Selbstständige<br />

(8 Prozent) rangieren noch vor den<br />

beamteten Beschäftigten.<br />

Lisa Kristin Kapteinat, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im NRW-Landtag:<br />

„1,6 Millionen Menschen in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> werden nach der Erhöhung des<br />

Mindestlohns auf 12 Euro mehr Geld im Portemonnaie haben. Gerade in Branchen ohne<br />

Tarifvertrag hilft der höhere Mindestlohn, weil mehr als 40 Prozent der dort<br />

beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sofort mehr verdienen als bislang.“<br />

Erwerbsstatus der Menschen in <strong>Westfalen</strong> je Regierungsbezirk<br />

3,9 Mio.<br />

1.219<br />

1.326<br />

Erwerbstätige<br />

1.<strong>02</strong>3<br />

Erwerbstätige<br />

1.722<br />

Nichterwerbspersonen<br />

Nichterwerbspersonen<br />

1.736<br />

Erwerbstätige<br />

Haushalte<br />

Regierungsbezirk Münster Regierungsbezirk Detmold Regierungsbezirk Arnsberg<br />

gibt es in <strong>Westfalen</strong>. Der Regierungsbezirk<br />

Arnsberg führt hier die Statistik<br />

mit 1,75 Millionen vor dem Münsterland<br />

(1,25 Millionen) und Ostwestfalen<br />

(0,9 Millionen) an.<br />

49 %<br />

der Erwerbstätigen<br />

werden in Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> von<br />

der Statistik den sonstigen Dienstleistungen<br />

zugeordnet. Handel, Gastgewerbe<br />

und Verkehr kommen genau<br />

wie das produzierende Gewerbe auf<br />

etwa 25 Prozent. Land- und Forstwirtschaft<br />

auf 0,7 Prozent.<br />

46<br />

Erwerbslose<br />

970<br />

Nichterwerbspersonen<br />

Monatliches Nettoeinkommen der Haushalte<br />

in <strong>Westfalen</strong> je Regierungsbezirk<br />

32<br />

Erwerbslose<br />

506<br />

71<br />

Erwerbslose<br />

Zahlen aus 2<strong>02</strong>1 in Tausend.<br />

Erwerbstätige: Alle Personen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Erwerbslose: Alle Personen, die weniger als eine Stunde pro<br />

Woche arbeiten, aber mehr arbeiten wollen. Nichterwerbspersonen: Alle Personen, die weder erwerbstätig noch erwerbslos sind.<br />

390<br />

40 %<br />

270<br />

276<br />

309<br />

der Wohnungen<br />

in <strong>Westfalen</strong> werden nur von einer<br />

Person bewohnt. Unterteilt man die<br />

Singlehaushalte nach Geschlecht,<br />

haben in allen Regierungsbezirken die<br />

Frauen die Nase vorn.<br />

14 10 20 84<br />

Unter 500€<br />

183<br />

133 126<br />

92<br />

58<br />

500€ bis<br />

unter 900€<br />

900€ bis<br />

unter 1.300€<br />

74 55<br />

110<br />

1.300€ bis<br />

unter 1.500€<br />

174<br />

141<br />

1.500€ bis<br />

unter 2.000€<br />

180<br />

145<br />

2.000€ bis<br />

unter 2.600€<br />

141<br />

122<br />

200<br />

2.600€ bis<br />

unter 3.200€<br />

3.200€<br />

und mehr<br />

68<br />

57<br />

26<br />

ohne Angabe<br />

Münster<br />

Detmold<br />

Arnsberg<br />

Quellen: BBSR, ITNRW<br />

Zahlen aus 2<strong>02</strong>1, Haushalte in Tausend.<br />

356


AUSGABE 2 / APRIL 2<strong>02</strong>2<br />

www.landschaft-westfalen.de<br />

BUCH ZWEI<br />

Paderborn: Ein Erfinder will das Mikroplastikproblem lösen Seite 11 | Lüdenscheid: Eine marode Brücke und die Folgen Seite 12 |<br />

Borken: Ein Pilotprojekt für den Moorschutz Seite 14 | Selm: Ein 900 Jahre alter Kirchenbau in neuem Glanz Seite 16<br />

UNNA<br />

Was genau ist<br />

Heimat?<br />

Künstlerinnen und Künstler<br />

auf Spurensuche für das<br />

Westfälische Literaturbüro<br />

Von Nicole Ritter<br />

Aus der Serie „Von schlafenden Häusern und Menschen, die arbeiten“. Foto: Loredana Nemes<br />

Heimat: Ist das eine Emotion oder ein Ort? Realität<br />

oder Ideal? Ist sie dort, wo wir geboren oder<br />

aufgewachsen sind? Oder hier, wo wir jetzt<br />

leben? Existiert sie vielleicht gar nicht (mehr)?<br />

Ist sie unausweichliches Schicksal oder etwas, das man sich<br />

selbst schafft? Das sind nur einige der Fragen, mit denen<br />

sich das Literatur- und Fotografie-Projekt „Experiment<br />

Heimat“ auseinandersetzt.<br />

Im Auftrag des Westfälischen Literaturbüros Unna<br />

reisten international renommierte Fotografinnen und<br />

Fotografen, Autorinnen und Autoren an neun „heimatlich“<br />

konnotierte Orte in <strong>Westfalen</strong> und erforschten den schillernden<br />

und kontroversen Begriff. Mit dabei waren unter<br />

anderem Ute und Werner Mahler, Nora Gomringer und<br />

Wladimir Kaminer. Sie besuchten die Kolvenburg in Billerbeck<br />

und die Schlösser- und Burgenlandschaft im Münsterland,<br />

das Hermannsdenkmal und den Teutoburger Wald<br />

bei Detmold, die Widukindstadt Enger sowie die ehemaligen<br />

Arbeits- und heutigen Freizeitorte Schiffshebewerk<br />

Henrichenburg in Waltrop und Henrichshütte Hattingen.<br />

Die während der vielfältigen Spurensuche entstandenen<br />

Aufnahmen kuratierte Peter Bialobrzeski, selbst Fotograf<br />

und Professor an der Hochschule der Künste in Bremen, zu<br />

einer multimedialen Ausstellung. Begleitend dazu erscheint<br />

im Kunstverlag Hartmann Books ein 280 Seiten starker<br />

Band mit Fotos und Texten, die im Rahmen des Projekts<br />

entstanden sind. Darin auch der Essay „Der Geschmack<br />

von Heimat“ der Schriftstellerin Hatice Akyün, die das<br />

Projekt journalistisch begleitet hat.<br />

„Experiment Heimat“entstand in Kooperation mit Städten,<br />

LWL-Industriemuseen, Kulturämtern sowie zahlreichen<br />

Vereinen, Einrichtungen und Initiativen in <strong>Westfalen</strong>.<br />

Die Ausstellung startet am 10. April auf der Kolvenburg in<br />

Billerbeck und wird dann bis Februar 2<strong>02</strong>3 an mehreren<br />

Orten <strong>Westfalen</strong>s zu sehen sein.<br />

www.experimentheimat.de<br />

Milliardenschaden in der Region<br />

Bei Lüdenscheid ist auf der A45 der Verkehr für Jahre<br />

unterbrochen. Die Folgen sind immens<br />

Von Dirk Wohleb<br />

Lüdenscheid. Seit dem 2. Dezember<br />

2<strong>02</strong>1 ist die Brücke über dem Rahmedetal<br />

auf der A45 voll gesperrt. Das<br />

sorgt nicht nur für Ärger bei Lüdenscheidern,<br />

die den umgeleiteten Verkehr<br />

ertragen müssen, es hat auch<br />

enorme Folgen für die Wirtschaft.<br />

Das geht aus einer aktuellen Studie<br />

hervor: „Wir haben uns für einen konservativen<br />

Ansatz bei der Berechnung<br />

der volkswirtschaftlichen Schäden<br />

entschieden und kommen trotzdem<br />

auf mindestens 1,8 Milliarden Euro,<br />

die für die Dauer einer Neubauzeit von<br />

fünf Jahren entstehen würden“, sagt<br />

Hanno Kempermann, Geschäftsführer<br />

des Instituts der deutschen Wirtschaft<br />

Köln Consult GmbH. Dabei<br />

wurden Kosten durch längere Fahrzeiten<br />

berücksichtigt.<br />

Aber auch weitere Folgen gingen<br />

in die Berechnung ein: zum Beispiel<br />

geringere Umsätze in Einzelhandel<br />

und Gastronomie oder Zurückhaltung<br />

bei Investitionen. Die Region<br />

verliert an Attraktivität: „In Zeiten<br />

des Fachkräftemangels und der Transformation<br />

der Wirtschaft strapaziert<br />

die Brückensperrung die Region, die<br />

Umwelt und die Menschen über Gebühr“,<br />

sagt Ralf Geruschkat, Hauptgeschäftsführer<br />

der Südwestlichen<br />

Industrie- und Handelskammer<br />

(SIHK) zu Hagen. Gefragt sei nun ein<br />

strenger Zeitplan für den Neubau der<br />

Brücke, an dem sich die Verantwortlichen<br />

messen lassen müssten. Doch<br />

der liegt bislang nicht vor.<br />

Mehr zum Thema auf den Seiten 12 und 13<br />

Die Pfeiler stützen die Rahmedetalbrücke nicht mehr. Foto: Markus Klümper/dpa


BUCH ZWEI<br />

10 | Wir in <strong>Westfalen</strong><br />

AUSGABE 2 / APRIL 2<strong>02</strong>2<br />

IN DEN SCHUHEN VON …<br />

… Dirk Kaiser<br />

Verein Brückenschlag Ukraine<br />

Im Mai wählen die Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> den Landtag neu - hier<br />

illuminiert zum 75. Bestehen des Bundeslandes im August 2<strong>02</strong>1. Foto: Federico Gambarini/dpa<br />

BOCHUM<br />

Die Richtung stimmt –<br />

eigentlich<br />

Worauf es bei der Landtagswahl in<br />

Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> ankommt<br />

Von Dirk W. Erlhöfer, AGV Ruhr/<strong>Westfalen</strong><br />

Richtungweisende Wahlen? Stehen die in Deutschland nicht regelmäßig an?<br />

Selbst in der 16 Jahre währenden Ära Angela Merkels mit ihren Credos „Weiter<br />

so“ und „Sie kennen mich“? In Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> haben wir in dieser Zeit<br />

gleich mehrere Regierungsbündnisse erlebt und durchlebt. 2005 CDU/FDP,<br />

2010 eine rot-grüne Minderheitsregierung, die vorgezogenen Neuwahlen 2012<br />

mit einem im Anschluss gestärkten rot-grünen Regierungsbündnis und zuletzt<br />

eine schwarz-gelbe Regierung. Richtungsentscheidungen sind wir gewohnt<br />

in NRW. Für die Landtagswahl 2<strong>02</strong>2 können wir Arbeitgeber konstatieren:<br />

Die Richtung stimmt – eigentlich.<br />

Die Modernisierung muss weitergehen …<br />

Wirtschaftsfeindliche Regulierung und bürokratische Sonderwege sind innovations-<br />

und gründerfreundlicher Politik und ersten entschlossenen Schritten<br />

beim Bürokratieabbau gewichen. Das Klima für Unternehmertum, Innovationen,<br />

Investitionen und Arbeitsplätze ist deutlich besser geworden. Die<br />

Modernisierung unseres Landes muss aber weitergehen. Die Pandemie hat<br />

unsere Unternehmen und natürlich auch die Politik mit riesigen Herausforderungen<br />

konfrontiert. Es war eine einmalige Ausnahmesituation, die in den<br />

vergangenen beiden Jahren die politische Agenda auf den Kopf gestellt hat.<br />

Und natürlich hat dies auch den Erneuerungsprozess im Land gebremst. Dabei<br />

bleibt viel zu tun.<br />

… und das sind die Themen<br />

Infrastruktur: Die Planung, Genehmigung und der Bau von Autobahnbrücken<br />

hat oberste Priorität. Zu einem Super-GAU wie auf der A45 darf es nicht wieder<br />

kommen. Das Zehn-Punkte-Programm der Landesregierung zur Beschleunigung<br />

von Planung, Genehmigung und Bau von Verkehrsinfrastruktur muss konsequent<br />

umgesetzt und weiterentwickelt werden.<br />

Bürokratieabbau: Gerade kleine und mittelständische Unternehmen leiden<br />

unter zunehmender Bürokratie. Die Entfesselungspakete der Landesregierung<br />

haben gezeigt, dass Bürokratieabbau funktioniert. Diese Entfesselungsinitiative<br />

muss fortgesetzt werden und sich als Daueraufgabe auf allen Ebenen verstetigen.<br />

Digitalisierung: Eine Koordinierung und Steuerung der Digitalpolitik aus<br />

einer Hand ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Die Einführung eines Digitalministeriums<br />

hat sich bewährt. Der Netzausbau muss mit dem steigenden Bedarf<br />

Schritt halten, der neue Mobilfunkstandard 5G ist vor allem für Themen wie<br />

autonomes Fahren oder Industrie 4.0 entscheidend.<br />

Hochschulen/Fachkräftesicherung: NRW hat eine starke Hochschul- und<br />

Wissenschaftslandschaft. Mit diesem Pfund müssen wir noch stärker für die<br />

Fachkräftesicherung und Innovationsfähigkeit unseres Landes wuchern. Innovationen<br />

sind Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg, dauerhaften Wohlstand<br />

sowie soziale und gesellschaftliche Entwicklung. Und ohne Innovationen wird<br />

es uns nicht gelingen, die Themen unserer Zeit wie Digitalisierung, Dekarbonisierung<br />

oder demografischer Wandel erfolgreich zu gestalten. Gleichzeitig<br />

darf die Förderung der dualen Ausbildung, insbesondere im MINT-Bereich,<br />

nicht vernachlässigt werden.<br />

Der Leitspruch für die neue Landesregierung aus unserer<br />

Sicht: Definieren Sie nicht nur Ziele, sondern zeigen<br />

Sie auch die Wege dorthin auf.<br />

Die Arbeitgeberverbände Ruhr/<strong>Westfalen</strong> vertreten die Interessen von<br />

mehr als 420 Mitgliedern aus dem Arbeitgeberverband der chemischen<br />

Industrie <strong>Westfalen</strong>s, dem Arbeitgeberverband der Metall- und<br />

Elektroindustrie Ruhr/Vest, dem Arbeitgeberverband Ruhr-Lippe und<br />

dem Arbeitgeberverband Papier, Pappe, Kunststoff <strong>Westfalen</strong>. Dirk W.<br />

Erlhöfer ist Hauptgeschäftsführer der AGV. Foto: AGV<br />

„Wir machen gerade das, was wir am<br />

besten können“, sagt Dirk Kaiser.<br />

„Wir organisieren Gastfamilien für<br />

Menschen aus der Ukraine.“ Kaiser<br />

ist der neue Vorsitzende des Vereins<br />

Brückenschlag Ukraine e.V. in Bad<br />

Salzuflen. Menschen aus der Ukraine<br />

und Deutschland zusammenzubringen<br />

– das ist seit 20 Jahren das Ziel<br />

des Vereins. Etwa 20 Studierende aus<br />

der Stadt Lutsk kamen Jahr für Jahr<br />

zu Gastfamilien in die Kreise Lippe<br />

und Herford. Zwei Monate lernten<br />

sie die deutsche Kultur kennen und<br />

durften in Unternehmen und Verwaltungen<br />

hospitieren.<br />

„Über die Jahre ist da ein enormes<br />

Netzwerk und ein intensiver Austausch<br />

entstanden“, sagt Dirk Kaiser.<br />

350 Studierende und 200 Lehrer<br />

sind zu Bekannten und Freunden<br />

geworden. „Wir haben daher schon<br />

früh die Gefahr des Krieges heraufziehen<br />

sehen.“<br />

Kaiser, künstlerischer Leiter der<br />

Bünder Stadtkultur, ist erst 2016<br />

zum Verein gestoßen. „Ich habe<br />

keinen familiären Bezug zur Ukraine,<br />

und auch meine Großväter waren<br />

nicht als Soldaten dort. Ich fand ein-<br />

… Bernd Kochanek<br />

Vorsitzender im neu gegründeten<br />

LWL-Inklusionsbeirat<br />

Bernd Kochanek setzt sich für<br />

Inklusion ein. Foto: privat<br />

Warum braucht der <strong>Landschaft</strong>sverband<br />

<strong>Westfalen</strong>-Lippe (LWL) einen<br />

Inklusionsbeirat?<br />

Die Behinderten-Selbsthilfegruppen in<br />

<strong>Westfalen</strong> haben damit eine alte Forderung<br />

durchgesetzt. Nach dem Motto:<br />

„Nichts über uns ohne uns“ brauchen<br />

wir eine Schnittstelle zwischen den<br />

Politikern der <strong>Landschaft</strong>sversammlung,<br />

den Fachabteilungen des <strong>Landschaft</strong>sverbandes<br />

und den Betroffenen.<br />

Die UN-Behindertenrechtskonvention<br />

schreibt eine stärkere<br />

Beteiligung von Menschen mit Behinderung<br />

vor, insbesondere dort, wo<br />

Leistungen bewilligt werden. Der<br />

Schritt, beim LWL einen Inklusionsbeirat<br />

einzurichten, war daher überfällig,<br />

zumal der Beirat beim <strong>Landschaft</strong>sverband<br />

Rheinland schon jahrelang besteht<br />

und dort wertvolle Arbeit leistet.<br />

DREI FRAGEN AN …<br />

Dirk Kaiser organisiert Austausch<br />

und Hilfe. Foto: privat<br />

fach die Arbeit des Vereins klasse,<br />

und wir waren selbst Gasteltern für<br />

die Studierenden aus Lutsk.“<br />

Auf seinen Reisen in die Ukraine<br />

und im Gespräch mit den Menschen<br />

habe er eine große Sympathie<br />

entwickelt. Er freut sich auch über<br />

die Solidarität in Deutschland.<br />

Im Austausch mit den Menschen in<br />

der Ukraine sei ihm allerdings auch<br />

klar geworden, dass es große Unterschiede<br />

gibt. „Die Menschen haben<br />

eine andere Schrift, eine andere Religion<br />

und auf viele Dinge auch eine<br />

ganz andere Perspektive. Wir dürfen<br />

uns auf Menschen aus einem anderen<br />

Kulturkreis freuen.“<br />

Welche Ziele haben Sie als Vorsitzender<br />

für den Beirat?<br />

Ich bin der Sprecher eines stark zusammengesetzten<br />

Gremiums. Was wir<br />

als Forderung herausgeben, entscheiden<br />

wir gemeinsam. Das Besondere ist:<br />

Im Beirat haben ausschließlich die Vertreter<br />

der Menschen mit Behinderung<br />

Stimmrecht. Wir geben Empfehlungen<br />

an Politik und Verwaltung. Prüfpunkt<br />

für uns ist, inwieweit inklusive Lebensverhältnisse<br />

vom LWL tatsächlich angestrebt<br />

werden. Und wir wollen früh<br />

im Entscheidungsprozess gehört werden.<br />

Es bringt ja nichts, wenn wir fertige<br />

fachliche Vorlagen bekommen.<br />

Was sind aus Ihrer Sicht die die größten<br />

Herausforderungen der kommenden<br />

Jahre?<br />

Wir haben vier Bereiche bereits identifiziert:<br />

Arbeit, Bildung, Wohnen und<br />

Gesundheit/Psychiatrie. Im Bereich<br />

Arbeit stehen wir beispielsweise vor<br />

dem Problem, dass es nicht gelingt,<br />

mehr Menschen mit Behinderung in<br />

andere Arbeitsverhältnisse zu bringen,<br />

weil die Lobbyisten der Werkstattbetreiber<br />

dies torpedieren. Im Bereich<br />

Bildung hingegen stimmen einfach die<br />

Rahmenbedingungen nicht. Die inklusive<br />

Schule muss personell viel besser<br />

ausgestattet werden, damit sie ihre<br />

Aufgaben erfüllen kann. Kurzfristig<br />

muss dafür vielleicht Personal von den<br />

Förderschulen eingesetzt werden.<br />

Medaille aus<br />

Peking<br />

Laura Nolte, Bobpilotin aus Unna (l.),<br />

holte gemeinsam mit ihrer Anschieberin<br />

Deborah Levi in Peking olympisches<br />

Gold im Zweierbob. Die beiden<br />

sind damit die jüngsten Olympiasiegerinnen<br />

des Bobsports. Eine<br />

Medaille in den vorangegangenen<br />

Monobob-Läufen war der 23-Jährigen<br />

nicht vergönnt, in diesem Wettkampf<br />

hatte sie nur den vierten Platz belegt.<br />

Vorangegangen waren den Olympischen<br />

Spielen Weltcupsiege und Medaillenplätze<br />

bei den Weltcups in<br />

Winterberg und St. Moritz – Nolte<br />

war also bereits als Favoritin nach Peking<br />

gereist (siehe auch <strong>Landschaft</strong><br />

<strong>Westfalen</strong> Ausgabe 1/2<strong>02</strong>2).<br />

Bildung in<br />

Frauenhand<br />

Foto: Bezirksregierung Detmold<br />

Verantwortung für<br />

Detmold<br />

Marianne Thomann-Stahl ist erneut<br />

Regierungspräsidentin in Detmold.<br />

Die Volkswirtin kommt als Beamtin<br />

aus dem Ruhestand zurück und tritt<br />

die Nachfolge von Judith Pirscher an,<br />

die als Staatssekretärin ins Bundesministerium<br />

für Bildung und Forschung<br />

nach Berlin gewechselt ist. Thomann-<br />

Stahl war bereits von 2005 bis 2009<br />

Regierungspräsidentin in Detmold.<br />

Foto: Michael Kappeler/dpa<br />

Foto: Besim Mazhiqi<br />

Barbara Leufgen, Ökotrophologin<br />

und erlebnispädagogische Kompetenztrainerin,<br />

ist die erste Frau an der<br />

Spitze der Katholischen Landvolkshochschule<br />

Hardehausen und damit<br />

auch erste Laiin in diesem Amt in der<br />

mehr als 70-jährigen Geschichte des<br />

Hauses. Neben der Weiterentwicklung<br />

des Bildungsprogramms ist ihr<br />

aber auch die Seelsorge wichtig. Diese<br />

Aufgabe wird sie gemeinsam mit dem<br />

geistlichen Rektor Peter Jochem betreuen.<br />

Er ist bislang Studierendenseelsorger<br />

und Leiter der Katholischen<br />

Hochschulgemeinde Dortmund und<br />

ab Mai 2<strong>02</strong>2 in Hardehausen.


APRIL 2<strong>02</strong>2 / AUSGABE 2<br />

BUCH ZWEI<br />

Porträt | 11<br />

Ein Roboter, der die Bucht von San Francisco, den Hafen von Dubai oder die Lagune von Venedig selbstständig und mit minimaler Energie von Müll und Mikroplastik befreit – das ist die Vision von Roland Damann.<br />

Ein erster Prototyp, ähnlich dieser Animation, soll noch in diesem Jahr in Betrieb gehen. Fotos: SPRIND<br />

PADERBORN<br />

Aufsteigende Luftbläschen<br />

Roland Damann hat einen beeindruckenden Weg als Unternehmer hinter sich.<br />

Mit seiner neuesten Idee möchte er das Mikroplastikproblem lösen<br />

Von Stefan Legge<br />

Er kann nicht anders. Kaum hat man in seinem Büro Platz genommen,<br />

sprudelt es aus ihm heraus. Roland Damann ist ein Erfinder.<br />

50 Patente hat er über die Jahre angemeldet. Aber er ist auch<br />

Unternehmer. 350 Projekte hat er mit seinem Unternehmen<br />

enviplan aus Lichtenau-Henglarn in über 50 Ländern in 35 Jahren<br />

realisiert. Und er ist ein Visionär. Mit fast 63 Jahren konnte er die neu<br />

gegründete Bundesagentur für Sprunginnovation (SPRIND) davon überzeugen,<br />

in seine neueste Idee zu investieren.<br />

Sprunghaft ist die spannende Geschichte von Roland Damann eher nicht.<br />

Erzählt man sie der Reihe nach, dann erscheint sie eher gradlinig. Aber sprudeln<br />

wird es die ganze Zeit. Denn um aufsteigende Luftbläschen im Wasser ging es<br />

von Anfang an. „Die Begegnung mit einem Norweger auf einer Messe in Berlin<br />

war die Initialzündung“, erinnert sich Damann. Die Skandinavier hatten<br />

Mitte der 1980er-Jahre Mühe, genug Sauerstoff in die Aufzuchtbecken ihrer<br />

jungen Fische zu bringen. Damann, der nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre<br />

in das Stahlbauunternehmen seines Vaters in Lichtenau eingestiegen<br />

war, experimentierte auf diesem Gebiet. „Mein ,Aquatector‘ war in der<br />

Lage, das Problem für die Lachszüchter zu lösen“, sagt Damann. Die eiligst<br />

patentierte Erfindung blies feinste Bläschen mit Sauerstoff ins Wasser und ließ<br />

die jungen Fische prächtig gedeihen. So gut, dass die Lachszüchter immer<br />

mehr auf Masse setzten und bald ein ruinöser Preisverfall für junge Lachse zu<br />

beklagen war. Doch nicht nur die Lachsfarmer litten, auch die Umwelt; vor<br />

allem durch die großen Mengen an Abwasser. „Im Rückblick hat die Ausweitung<br />

der Lachsproduktion enorme Umweltschäden angerichtet. In Norwegen<br />

war sogar von einem ,Aquatector-Effekt‘ die Rede.“ Hätte es zu der Zeit schon<br />

ein Internet gegeben, Damann und sein „Aquatector“, der sich mehr als 1000<br />

Mal verkaufte, wären wohl noch viel stärker ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.<br />

Vom Saulus zum Paulus<br />

Damann blieb trotzdem am Ball und wandte seine Erfindung auf das Abwasserproblem<br />

an. Er wurde gewissermaßen vom Saulus zum Paulus. „Schon im<br />

Mittelalter hat man mit Blasebälgen Luftblasen in Fässer mit verschmutztem<br />

Wasser eingebracht und festgestellt, dass der Dreck sich an der Oberfläche<br />

sammelt“, erklärt er. Auch bei der Klärung von Abwasser können Luftbläschen<br />

also hilfreich sein. „Unsere herkömmliche Klärtechnik setzt darauf, dass sich<br />

Sedimente am Grund eines Klärbeckens ablagern. Dazu brauchen wir riesige<br />

Becken und viel Zeit. Schaffen wir es aber, kleinste und damit stabile Luftbläschen<br />

von unten in das Abwasser einzubringen, lagern sich die unerwünschten<br />

Schwebstoffe an die Bläschen an und steigen mit ihnen nach oben.“<br />

Damit war die Geschäftsidee für sein neues Unternehmen enviplan geboren.<br />

Damann nannte das Verfahren „Mikroflotation“ und konnte nach ersten<br />

Versuchen das Versprechen geben, dass 90 Prozent der hydrophoben, also nicht<br />

wasserlöslichen Stoffe, an der Oberfläche schwammen. Abgeschöpft oder<br />

abgesaugt, können diese Stoffe in Faultürmen der Klärwerke zusätzliche Energie<br />

liefern. Der Platzbedarf der neuen Technik beträgt nur einen Bruchteil der<br />

herkömmlichen Vorklärbecken. Ein Konzept, das Damann akribisch weiter<br />

perfektionierte und damit unter anderem den Innovationspreis NRW gewann.<br />

Als kleines mittelständisches Unternehmen machte Damann zu Beginn<br />

allerdings eine ernüchternde Erfahrung. „Wenn Sie als neuer Player auf einen<br />

Markt kommen, ist es immer schwer. Im kommunalen Bereich aber ganz<br />

Mit seinem Unternehmen enviplan hat<br />

Roland Damann 350 Projekte in 50 Ländern<br />

erfolgreich umgesetzt.<br />

„WIR KÖNNEN DEN EIN-<br />

TRAG VON MIKROPLASTIK<br />

STOPPEN UND GEWÄSSER<br />

SANIEREN.“<br />

Roland Damann,<br />

Microbubbles<br />

besonders“, berichtet er. „Wir bekamen kleinere Projekte, aber es wurde<br />

immer schön aufgepasst, dass wir nicht zu viel Unordnung stiften.“<br />

Schon bald orientierte er sich daher auch wieder über die deutschen Grenzen<br />

hinweg. Klärwerke, Industrieanlagen oder Kreuzfahrtschiffe in mehr als 50<br />

Ländern arbeiten mittlerweile mit dem Mikroflotationsverfahren.<br />

Abschied von enviplan<br />

enviplan und Roland Damann – das ist eine bewegte Geschichte. „Drei feindliche<br />

Übernahmen haben wir erfolgreich abgewehrt. Das hat Kraft gekostet“,<br />

erinnert sich der Familienvater. Einen akribisch vorbereiteten Verkauf an einen<br />

italienischen Investor ließ Damann kurz vor Abschluss platzen. „Die wollten<br />

zu stark in das operative Geschäft eingreifen“, sagt er. Gewinne investierte er<br />

immer in das Unternehmen. Doch jetzt soll Schluss sein: „Die Corona-Pandemie<br />

hat mir die Augen geöffnet. Mein Geschäftsführerkollege Andreas Stein<br />

und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind stark genug, das Unternehmen<br />

alleine zu führen.“ Zwar sagt er nach wie vor „wir“, wenn er über enviplan<br />

spricht, aber das will er sich noch abgewöhnen.<br />

Doch Schluss mit enviplan heißt nicht Schluss mit Bläschen. Auf seinem<br />

Büroschild im Paderborner Technologiepark steht nun „Microbubbles“. Was<br />

verbirgt sich dahinter? „Beim Anblick meines Staubsaugerroboters ist mir klar<br />

geworden, dass Mikroflotation nicht nur in geschlossenen Becken funktionieren<br />

kann“, sagt Damann. Und so sollen die aufsteigenden Luftbläschen jetzt<br />

ein Problem in den Griff bekommen, das weltweit gigantisch ist: Mikroplastik.<br />

Mission Mikroplastik<br />

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden im Jahr 300 Millionen Tonnen<br />

Plastik produziert. Tüten, Flaschen, Autoreifen – 60 Prozent der bis heute<br />

hergestellten Kunststoffe sind nach Schätzungen bereits in der Umwelt gelandet.<br />

Über Bäche und Flüsse auch vieles davon als Mikroplastik im Meer. „Wenn<br />

wir es schaffen, die Hotspots zu identifizieren, können wir Mikroflotation auch<br />

auf Flüssen, Stauseen oder im Meer zum Einsatz bringen“, glaubt Damann.<br />

Seine Vision: ein autonomes System, angetrieben mit einer Brennstoffzelle,<br />

das Mikroplastik erkennt und aus dem Wasser holt. Ein Roboter, der die Bucht<br />

von San Francisco, den Hafen von Dubai oder die Lagune von Venedig selbstständig<br />

und mit minimaler Energie von Müll und Mikroplastik befreit.<br />

„Wir kriegen das Zeug nicht mehr komplett aus den Weltmeeren, aber wir<br />

können den Eintrag stoppen und Gewässer sanieren“, ist Damann sicher.<br />

Rafael Laguna de la Vera, den Chef der SPRIND, hat er schnell überzeugt. Nach<br />

einem 80 Punkte umfassenden Kriterienkatalog und kritischen Prüfungen<br />

durch die Innovationsmanager ist es so weit: Microbubbles ist eine 100-prozentige<br />

Tochtergesellschaft der noch jungen Bundesagentur und wird von<br />

ihr finanziert. Ziel ist es, gemeinsam mit Hochschulen, Netzwerkpartnern und<br />

anderen Dienstleistern für jede Herausforderung im Projekt die passende<br />

Lösung zu finden. Sein Mitarbeiterteam aus Ingenieuren und Verfahrenstechnikern<br />

soll von derzeit acht Personen in den nächsten Monaten auf 25 anwachsen.<br />

Ob das nun die Sprunginnovation oder der „game changer“ für das Mikroplastikproblem<br />

wird? Man wird sehen. Roland Damann lässt es einfach<br />

weiter sprudeln. Der erste Prototyp eines kompakten Schwimmrings, der in<br />

seiner Mitte mit einer nebelartigen Blasenwolke Mikroplastikartikel an die<br />

Oberfläche transportiert, soll noch in diesem Jahr in Betrieb gehen.


BUCH ZWEI<br />

12 | Feature<br />

AUSGABE 2 / APRIL 2<strong>02</strong>2<br />

APRIL 2<strong>02</strong>2 / AUSGABE 2<br />

BUCH ZWEI<br />

Feature | 13<br />

LÜDENSCHEID<br />

Eine Operation an der<br />

Lebensader Sauerlandlinie<br />

Die Sperrung der Rahmedetalbrücke<br />

belastet Menschen und Wirtschaft vor Ort.<br />

Bis der Neubau fertig sein wird, werden<br />

Jahre ins Land gehen<br />

Von Dirk Wohleb<br />

Ein Künstlerkollektiv nutzte die gesperrte<br />

Rahmedetalbrücke für eine riesige Friedensbotschaft.<br />

Foto: Markus Klümper/dpa<br />

Warten auf Hilfe<br />

Seit vier Monaten herrscht in Lüdenscheid<br />

der Ausnahmezustand. Autos und Lkws<br />

schleppen sich durch die Innenstadt – eine<br />

große Belastung für die Anwohner. „Viele<br />

Bürger haben das Gefühl, vernachlässigt zu<br />

sein“, sagt Gordan Dudas, Lüdenscheider<br />

Landtagsabgeordneter der SPD. Das Land<br />

Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> will die Bürger unterstützen,<br />

wenn sie Lärmschutzfenster anschaffen.<br />

Aber auch Unternehmen sind<br />

stark betroffen. Das Land will sie durch<br />

zinsvergünstigte Kredite und Mittel aus<br />

regionalen Förderprogrammen unterstützen.<br />

Bislang sind die Hilfen aber nicht<br />

angekommen. Foto: Dieter Menne/dpa<br />

Dramatische Folgen:<br />

Wie sich die Sperrung der Rahmedetalbrücke auf Unternehmen auswirkt<br />

Längere<br />

Anfahrtszeiten<br />

der Mitarbeit<br />

76 %<br />

Gestörte<br />

Lieferketten<br />

66 %<br />

Höherer<br />

Ressourcenbedarf<br />

37 %<br />

L<br />

Lüdenscheid erstickt im Verkehrschaos. Seit am 2. Dezember<br />

2<strong>02</strong>1 die Autobahnbrücke an der A45 gesperrt wurde,<br />

hat sich der Alltag der Menschen verändert. Die Umleitung<br />

des Verkehrs führt mitten durch die Stadt. Rund<br />

20.000 Fahrzeuge quälen sich täglich durch die eng<br />

bebaute Innenstadt. Staus sind die Regel. Lärm, schlechte<br />

Luft und Abfälle, die Autofahrer in die Vorgärten werfen,<br />

bestimmen das Bild.<br />

Die Stimmung in der Stadt hat sich schlagartig verändert:<br />

Bürgermeister Sebastian Wagemeyer berichtet von<br />

Bürgern, die nachts wegen des Lärms nicht mehr durchschlafen<br />

können. Die Wohnungen der Anwohnerinnen<br />

und Anwohner sind nicht mit lärmschutztauglichen<br />

Scheiben ausgestattet. Der Einzelhandel klagt über Umsatzeinbrüche.<br />

Viele Menschen haben keine Lust mehr<br />

auf den Einkaufsbummel durch die Stadt.<br />

Mit der Sperrung der Autobahnbrücke ist die Lebensader<br />

der Region unterbrochen. Die Autobahn A45,<br />

auch als „Sauerlandlinie“ bekannt, ist ein wichtiger Verkehrsweg<br />

für die Region, Deutschland und Europa. Südwestfalen<br />

mit seinen 450.000 Einwohnern ist die Region<br />

mit der drittstärksten Wirtschaftsleistung in Deutschland<br />

– und mit zahlreichen mittelständischen Unternehmen,<br />

die in ihren Nischen Weltmarktführer sind.<br />

Sie sind darauf angewiesen, dass sie Maschinen und andere<br />

Produkte schnell transportieren können. Aber auch, dass<br />

Lieferanten sie schnell mit Rohstoffen versorgen können.<br />

Gestörte Lieferketten<br />

Vor allem die Automobilzulieferer trifft die Sperrung zur<br />

Unzeit: „Nach der ohnehin leicht abgeschwächten Konjunktur<br />

im Automotive-Bereich Ende 2<strong>02</strong>0, der anhal-<br />

tenden Corona-Pandemie und der Flutkatastrophe<br />

2<strong>02</strong>1 ist diese Situation für Lüdenscheid dramatisch“,<br />

sagt Danny Fischer, Geschäftsführer des Unternehmens<br />

IT Südwestfalen und Sprecher der Wirtschaftsjunioren<br />

Lüdenscheid. 66 Prozent der Unternemen berichten<br />

von gestörten Lieferketten infolge der Sperrung, wie eine<br />

Umfrage der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer<br />

zu Hagen (SIHK) zeigt. Fast jedes fünfte<br />

Unternehmen klagt über Produktionsausfälle. Logistikunternehmen<br />

benötigen mehr Fahrer für die längeren<br />

Fahrzeiten. Das bedeutet höhere Kosten und geringere<br />

Gewinne.<br />

Doch damit nicht genug: Es droht den Unternehmen,<br />

dass sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren.<br />

Die Anfahrtswege haben sich stark verlängert, geben 76<br />

Prozent der Unternehmen an. Kein Wunder, dass die<br />

Arbeitsplätze in Lüdenscheid und Umgebung stark an<br />

Attraktivität verloren haben. Unternehmen entwickeln<br />

Programme, um mehr Arbeit im Homeoffice zu ermöglichen.<br />

Manche Unternehmen greifen auch zu unkonventionellen<br />

Mitteln: In der Schraubenfabrik<br />

Betzer in Lüdenscheid beginnt die Frühschicht bereits<br />

um vier Uhr morgens, damit die Mitarbeiter pünktlich<br />

zur Arbeit kommen können.<br />

Doch wie konnte es so weit kommen? So plötzlich<br />

die Sperrung der Brücke kam, so lange waren die<br />

Schäden doch bekannt. Und nicht nur die Brücke über<br />

das Rahmedetal ist marode, insgesamt 65 Brücken<br />

auf der Sauerlandlinie müssen renoviert werden. Schon<br />

seit Jahren steht der Ausbau der Autobahn auf sechs<br />

Spuren an. Die Schäden an der Brücke im Rahmedetal<br />

sind also schon lange bekannt, aber nichts ist passiert.<br />

Auch im Rahmedetal selbst leben<br />

Menschen, die von der Brückenbaustelle<br />

massiv betroffen sein werden.<br />

Foto: Dieter Menne/dpa<br />

Drohender<br />

Produktionsausfall<br />

17 %<br />

Umfrage unter Unternehmen in der Region. Mehrfachnennungen möglich.<br />

Umfrage unter Unternehmen in der Region. Mehrfachnennungen möglich.<br />

Quelle: Südwestfälische Industrie- und Handelskammer zu Hagen (SIHK)<br />

Nun blieb als Notbremse nur die Sperrung der Brücke.<br />

Der Grund dafür: Das Stahlgerüst ist zerbeult, das Metall<br />

rissig. Messungen haben ergeben, dass sich die dünnen<br />

Bleche im Gerüst verformt haben. Elfriede Sauerwein-<br />

Braksiek, Direktorin der Niederlassung <strong>Westfalen</strong> der<br />

Autobahn GmbH des Bundes, vergleicht das mit zwei<br />

aufeinandergestellten Getränkedosen, die das Gewicht<br />

eines Menschen aushalten können. Wenn aber die untere<br />

Dose einen Knick hat, bricht alles zusammen.<br />

Das war so nicht geplant. „In der Regel werden die<br />

Brücken unter rollendem Rad gebaut“, sagt Sauerwein-<br />

Braksiek. Das heißt, dass der Verkehrsweg nicht<br />

vollständig gesperrt werden muss. Besteht eine Brücke<br />

aus zwei Teilen, wird der Verkehr auf einen Teil gelegt,<br />

der andere abgerissen und neu gebaut. Bei einer einteiligen<br />

Brücke wird ein Überbau auf Hilfspfeilern errichtet<br />

und anschließend verschoben, so wie etwa bei der Lennetalbrücke<br />

bei Hagen. Dann müssten die Brücken theoretisch<br />

nicht geschlossen werden.<br />

Bau in Rekordzeit gefordert<br />

Doch was passiert nun in Lüdenscheid? „Der Neubau der<br />

Brücke muss in Rekordzeit und mit minimalem bürokratischem<br />

Aufwand realisiert werden“, sagt Danny Fischer<br />

von den Wirtschaftsjunioren Lüdenscheid. An den<br />

finanziellen Mitteln liegt es nicht. Der Bund hat entsprechende<br />

Mittel eingeplant: „Der sechsspurige Ausbau<br />

der A45 steht im vordringlichen Bedarf des aktuellen<br />

Verkehrswegeplans 2030 und ist damit finanziert“,<br />

erläutert Elfriede Sauerwein-Braksiek. Ein konkreter Zeitplan<br />

liege aber derzeit weder für den Neubau der<br />

Rahmedtalbrücke noch für die anderen Brücken und den<br />

sechsspurigen Ausbau der A45 vor. „Hier muss priorisiert<br />

werden, welche Brückenneubauten innerhalb der<br />

notwendigen Planfeststellungsverfahren möglich<br />

sind“, sagt Autobahn-Direktorin. Das Problem ist das<br />

komplizierte deutsche Bau- und Verwaltungsrecht. Die<br />

Frage, die im Raum steht, ist, ob eine vollständige Neuplanung<br />

für den Neubau der Brücke notwendig ist? „Nein,<br />

der Planungsauftrag, der im Jahr 2015 vergeben wurde,<br />

ist Grundlage der jetzt wieder forcierten Planungen.<br />

Gleichzeitig wird geprüft, wie das Genehmigungsverfahren<br />

verkürzt werden kann“, betont Sauerwein-Braksiek.<br />

„Ich<br />

rechne<br />

mit einer<br />

Beeinträchtigung<br />

von<br />

fünf bis<br />

sieben<br />

Jahren.“<br />

Danny Fischer,<br />

IT-Unternehmer in<br />

Lüdenscheid<br />

Das Land Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> hat ein Zehn-Punkte-<br />

Programm vorgelegt, um den Bau von Brücken zu<br />

beschleunigen. Wesentlicher Punkt ist der Verzicht auf<br />

ein erneutes Planfeststellungsverfahren bei Bauten,<br />

die veraltete ersetzen. Das ist möglich, wenn es bereits<br />

einen gesetzlichen Planungsauftrag gibt. „Der Ersatzbau<br />

der Rahmedetalbrücke darf dann ohne Planfeststellung<br />

auf sechs Spuren erweitert werden. Das erleichtert und<br />

beschleunigt die Planung erheblich“, teilt das Verkehrsministerium<br />

des Landes Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> auf<br />

Anfrage mit. Auch ein Verzicht auf eine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung<br />

soll Zeit sparen. Da bereits die<br />

Prüfung für das bestehende Bauwerk vorliegt, soll auf<br />

eine neue zeitaufwendige Prüfung verzichtet werden.<br />

Komplizierte Vergabe<br />

Es sind aber auch die umfangreichen Vorgaben bei der<br />

Auftragsvergabe, die viel Zeit kosten. Bei einer herkömmlichen<br />

Ausschreibung wird ein Bauwerk von Experten<br />

zunächst in allen Details geplant und beschrieben.<br />

Erst im Anschluss wird der Bauauftrag ausgeschrieben.<br />

Das soll sich jetzt im konkreten Fall ändern: „Planung<br />

und Bau werden aus einer Hand geliefert und effizient<br />

abgestimmt“, heißt es aus dem Verkehrsministerium<br />

Nordrhein-<strong>Westfalen</strong>s. Dieses vereinfachte Vergabeverfahren<br />

soll Zeit sparen.<br />

Auch der Bund will für Tempo sorgen. Bundesverkehrsminister<br />

Volker Wissing hat Lüdenscheids Bürgermeister<br />

Sebastian Wagemeyer zum Bürgerbeauftragten<br />

bestellt. Er ist Ansprechpartner für Bürger und Unternehmen<br />

und soll zwischen allen Beteiligten vermitteln.<br />

Nun geht es im ersten Schritt darum, die Brücke abzureißen.<br />

Auch das ist eine Zeitfrage. Das Abtragen der Brücke<br />

mit einem Gerüst würde viel Zeit in Anspruch<br />

nehmen. „Mit einer Sprengung können wir erheblich Zeit<br />

sparen und die Prozesse für den Neubau schneller voranbringen“,<br />

sagt Bundesverkehrsminister Wissing.<br />

Doch selbst wenn die Brücke noch dieses Jahr gesprengt<br />

und der gesamte Prozess beschleunigt wird,<br />

stellen sich Unternehmer wie Danny Fischer auf eine lange<br />

Wartezeit und auf eine Geduldsprobe ein: „Ich rechne<br />

mit einer tatsächlichen Beeinträchtigung durch die Brückensperrung<br />

von rund fünf bis sieben Jahren.“


BUCH ZWEI<br />

14 | Berichte<br />

AUSGABE 2 / APRIL 2<strong>02</strong>2<br />

So schön kann<br />

das Dorfleben sein<br />

Münster. Leben auf dem Land - das<br />

erscheint manchem müden Städter<br />

wieder richtig sexy. Nach jüngeren<br />

Umfragen möchte die Mehrzahl der<br />

Menschen in Deutschland in Dörfern<br />

oder Kleinstädten leben. Dabei sind<br />

jenseits der Idylle die durchaus vorhandenen<br />

Problemfelder in ländlichen<br />

Räumen keineswegs neu, sondern<br />

schon seit Längerem bekannt: Es gibt<br />

eben kein 3G an jeder Milchkanne,<br />

die ärztliche Versorgung wird abgebaut,<br />

der nächste Supermarkt ist<br />

kilometerweit entfernt, und die Busverbindung<br />

fehlt. Hier sind gute<br />

Konzepte und Menschen gefragt, die<br />

sich für ihr Dorf engagieren.<br />

„Ländliche Räume brauchen eine<br />

zukunftsfeste Gesamtstrategie“, sagt<br />

Matthias Löb, Vorsitzender des Westfälischen<br />

Heimatbundes (WHB).<br />

Was gerade das bürgerschaftliche<br />

Engagement in diesem Bereich<br />

leistet - das zeigt das Projekt „Dorfideen<br />

mit Weitblick“ des WHB in<br />

Kooperation mit dem Wochenblatt<br />

für Landwirtschaft und Landleben aus<br />

dem Landwirtschaftsverlag.<br />

Die Initiatoren haben nun eine Handreichung<br />

vorgelegt, die originelle<br />

Ideen und inspirierende Beispiele aus<br />

der Praxis vorstellt. Ergänzt werden<br />

diese durch Statements von Fachwissenschaftlern<br />

aus der aktuellen Forschung<br />

und einen umfangreichen<br />

Serviceteil mit Hinweisen zu Fördermöglichkeiten<br />

und Netzwerken.<br />

www.whb.nrw<br />

Auf nach draußen:<br />

ein neues Magazin<br />

für Kinder<br />

Münster-Hiltrup. MATSCH! in den<br />

Händen halten – ohne dabei dreckig<br />

zu werden. Das ist ab sofort möglich:<br />

MATSCH! ist ein neues Magazin aus<br />

der Wochenblatt-Familie des Landwirtschaftsverlags,<br />

das sich an alle<br />

Kinder ab fünf Jahren richtet.<br />

PADERBORN<br />

„Die Zukunft der Kirche<br />

entscheidet sich jetzt!“<br />

Kann sich die katholische Kirche selbst reformieren?<br />

Fragen an Jan Hilkenbach, stimmberechtigtes Mitglied beim „Synodalen Weg“<br />

Von Stefan Legge<br />

Herr Hilkenbach, ist der Synodalversammlung<br />

mit ihren Beschlüssen<br />

zu Zölibat, Frauenweihe, Sexualmoral<br />

und kirchlichem Arbeitsrecht<br />

ein Befreiungsschlag<br />

gelungen?<br />

Zunächst freue ich mich über die positive<br />

Berichterstattung zu unserem<br />

Treffen in Frankfurt. Aber das war nur<br />

ein ganz kleiner Schritt auf einem weiten<br />

Weg. Wir haben in Frankfurt nur<br />

drei von 14 Texten in der zweiten Lesung<br />

behandelt, und nur einer davon<br />

– über die Bestellung des Diözesanbischofs<br />

– war ein konkreter Handlungstext.<br />

Viele Beschlüsse stehen<br />

noch aus, und mindestens genauso<br />

wichtig ist die Umsetzung. Als Befürworter<br />

möglichst weitreichender Reformen<br />

möchte ich daher den Tag<br />

nicht vor dem Abend loben.<br />

Haben Sie Zweifel, dass die Bischöfe<br />

am Ende mitziehen?<br />

„Es gibt in der Synodalversammlung<br />

keine Konfliktlinie zwischen Bischöfen<br />

und Laien. Die 230 Mitglieder bilden<br />

einen Querschnitt der katholischen<br />

Kirche in Deutschland. Eine<br />

alphabetische Sitzordnung verhindert<br />

zudem eine Fraktionsbildung. Aber es<br />

gibt natürlich Gegensätze. Nicht immer<br />

sind es Bischöfe, die an aus meiner<br />

Sicht schwierigen Positionen festhalten<br />

wollen. Am Ende brauchen wir<br />

Zweidrittelmehrheiten sowohl der<br />

Versammlung insgesamt, der Bischöfe<br />

und auf Antrag auch der weiblichen<br />

Mitglieder.<br />

Ist denn der Synodale Weg geeignet,<br />

die Kirche zu reformieren?<br />

Er ist ohne Alternative. Dieser Prozess<br />

ZUR PERSON<br />

Jan Hilkenbach ist hauptamtlicher Vorsitzender des BDKJ-Diözesanverbandes<br />

Paderborn – dem Dachverband der katholischen Jugendverbände im Erzbistum.<br />

Er vertritt das Diözesankomitee des Erzbistums im Zentralkomitee der deutschen<br />

Katholiken und wurde dort als stimmberechtigtes Mitglied in den „Synodalen Weg“<br />

gewählt. Nach Rekordaustrittszahlen und Negativschlagzeilen wurden die Ergebnisse<br />

der dritten Synodalversammlung zur „Erneuerung der Kirche“ zuletzt gelobt.<br />

Foto: Besim Mazhiqi/Erzbistum Paderborn<br />

ist eingeleitet worden, um die systemischen<br />

Ursachen, die sexualisierte<br />

Gewalt in der katholischen Kirche<br />

möglich gemacht haben, zu verändern.<br />

Um die richtigen Ableitungen<br />

wird in einer mühevollen Textarbeit<br />

gerungen. Vielen gehen die vorgeschlagenen<br />

Formulierungen nicht<br />

weit genug, anderen ist das schon zu<br />

viel.<br />

Aber die katholische Kirche ist<br />

doch keine Demokratie. Welche<br />

Wirkung haben die Beschlüsse?<br />

Die Deutsche Bischofskonferenz hat<br />

einstimmig für diesen Synodalen Weg<br />

votiert und das ZdK dazu eingeladen.<br />

Wir erwarten daher, dass man diesen<br />

Weg mit einer großen Konsequenz<br />

geht. Mir ist auch wichtig, dass es kein<br />

weiterer Dialogprozess ist, sondern<br />

ein echter Reformprozess.<br />

Die Ernsthaftigkeit, mit der die<br />

Bischöfe daran teilnehmen, lässt erkennen,<br />

dass auch sie den Ernst der<br />

Lage verstanden haben. Trotzdem<br />

weiß ich natürlich, dass nicht alle Beschlüsse<br />

eins zu eins umgesetzt werden,<br />

nur weil die Synodalen die Hand<br />

gehoben haben.<br />

Was erwarten Sie denn konkret?<br />

Ich bin realistisch. Wir werden am<br />

Ende des Synodalen Weges nicht das<br />

Zölibat abgeschafft haben und Frauen<br />

zu Priesterinnen weihen. Es muss aber<br />

zu spürbaren Veränderungen kommen.<br />

Das, was auf Diözesanebene umsetzbar<br />

ist, muss jetzt umgesetzt werden.<br />

Das sind wir den Betroffenen<br />

schuldig. In den letzten zwölf Jahren,<br />

seit Bekanntwerden der Dimension<br />

der Missbrauchsfälle, ist zu wenig passiert.<br />

Meiner Ansicht nach entscheidet<br />

sich gerade, ob die Kirche im Deutschland<br />

des 21. Jahrhunderts noch eine<br />

Rolle spielt oder nicht.<br />

Kann Rom am Ende den Reformeifer<br />

stoppen?<br />

Weltkirche ist mehr als Rom, und die<br />

Themen des Synodalen Weges sind<br />

keine Themen speziell der deutschen<br />

Kirche. Aber es stimmt, dass wir in der<br />

Vergangenheit schon erlebt haben,<br />

dass unsere Vorschläge im Vatikan<br />

keinen Anklang fanden.<br />

Für diesen Prozess erwarte ich,<br />

dass nicht nur die Bischöfe, sondern<br />

auch das Synodalpräsidium empfangen<br />

werden und man sich intensiv mit<br />

unseren Beschlüssen auseinandersetzt<br />

– beispielsweise im ausgerufenen<br />

weltweiten synodalen Prozess. Wir<br />

können aber auch in Deutschland<br />

schon jetzt eine ganze Menge machen,<br />

zum Beispiel das kirchliche Arbeitsrecht<br />

reformieren.<br />

Gut Ammeloe: Vorzeigeprojekt<br />

für kommunale Wälder<br />

Auf 44 Seiten dreht sich alles um<br />

Themen wie Umwelt, Natur, Wald,<br />

Landwirtschaft und Ernährung. Dazu<br />

gibt es einen Mix aus Geschichten<br />

zum Lesen oder Vorlesen, jede Menge<br />

Rätsel und Experimente sowie zahlreiche<br />

Anleitungen zum Selbermachen.<br />

Das Magazin ist als Begleiter von der<br />

Vorschulzeit bis hin zum Übergang an<br />

die weiterführenden Schulen gedacht.<br />

„Matsch im eigentlichen Sinne besteht<br />

aus zwei ganz einfachen und gleichzeitig<br />

hoch spannenden Elementen:<br />

Wasser und Erde. Wir möchten mit<br />

dem Heft vermitteln, dass die wahren<br />

Schätze direkt vor unseren Füßen<br />

in der Natur liegen, und wollen sie mit<br />

allen Sinnen erfahren“, erläutert Patrick<br />

Liste, Chefredakteur des Wochenblatts.<br />

Sein Team hat das Magazin gemeinsam<br />

mit der Landleben-Bloggerin,<br />

dreifachen Mutter und Journalistin<br />

Julia Nissen entwickelt. Im April geht<br />

es bundesweit an den Start und soll<br />

von da an monatlich erscheinen - garantiert<br />

ohne Einhörner und Glitzer.<br />

www.matsch-magazin.de<br />

Borken. Der <strong>Landschaft</strong>sverband<br />

<strong>Westfalen</strong>-Lippe (LWL) möchte rund<br />

75 Hektar seines Forstguts Ammeloe<br />

im Kreis Borken zu einem Klima- und<br />

Biodiversitätsgebiet entwickeln. Erste<br />

Pläne dafür wurden den Mitgliedern<br />

des Klimaausschusses vorgestellt.<br />

„Ziel ist es, entwässerte Bereiche<br />

wieder so weit zu bewässern, dass<br />

dort ein artenreiches und klimafreundliches<br />

Moor entsteht“, erklärte<br />

LWL-Direktor Matthias Löb. In entwässerten<br />

Böden finden Zersetzungsprozesse<br />

statt, die große Mengen an<br />

CO2 freisetzen. In sogenannten wiedervernässten<br />

Böden hingegen werden<br />

organische Reste von Wurzeln,<br />

Holz oder Laub unter sauerstoffarmen<br />

Bedingungen zu Torf umgewandelt.<br />

Auf diese Weise wird der Kohlenstoff<br />

dauerhaft gebunden. Löb: „Der LWL<br />

kommt damit seinem ambitionierten<br />

Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden,<br />

ein Stück näher.“<br />

Das LWL-Forstgut Ammeloe ist<br />

mit mehr als 600 Hektar die größte<br />

Fläche im Besitz des Kommunalverbandes.<br />

Der LWL-Bau- und Liegenschaftsbetrieb<br />

hatte zwischen 2010<br />

und 2012 versuchsweise bereits eine<br />

stark vernässte Ausgleichsfläche von<br />

etwa 9 Hektar im Gebiet „Schwattes<br />

Gatt“ aufgestaut. Löb: „Die Bäume<br />

stehen dort nun wieder im Moor und<br />

sterben ab – in diesem Fall ein positives<br />

Zeichen, da Bäume viel Feuchtigkeit<br />

aus dem Moor herausziehen.“<br />

Moorreste erhalten<br />

Nun soll mit diesen Erfahrungen eine<br />

weitere Fläche im Naturschutzgebiet<br />

„Lüntener Wald“ wiedervernässt<br />

werden. Bislang läuft ein Entwässerungsgraben<br />

durch diese Bereiche der<br />

LWL-Liegenschaft. LWL-Baudezernent<br />

Urs Frigger erläutert dazu:<br />

„Durch Anstauung dieser Gräben ließe<br />

sich mit relativ wenig Aufwand der<br />

Grundwasserspiegel großflächig anheben.“<br />

Einerseits entstünde so ein<br />

großes CO2-speicherndes Ökosystem,<br />

eine sogenannte CO2-Senke,<br />

andererseits würden noch vorhandene<br />

Moorreste in dem Gebiet erhalten<br />

bleiben. „Dass für ein neues Klimaund<br />

Biodiversitätsgebiet Bäume weichen<br />

müssen, klingt erst mal paradox“,<br />

sagt Frigger. „Allerdings binden<br />

Moore doppelt so viel CO2 wie Wälder<br />

– sie sind die größten Speicher von<br />

Kohlenstoff, die die Natur zu bieten<br />

hat, und damit unglaublich wertvoll<br />

für ein gesundes Klima.“<br />

Auf dem Forstgut Ammeloe soll wieder ein Moor entstehen. Foto: LWL<br />

Das „LWL-Klima- und Biodiversitätsgebiet<br />

Forstgut Ammeloe“ soll zu einem<br />

bundesweiten Vorzeigeprojekt<br />

für kommunal geführte Wälder werden.<br />

Der LWL geht bei seiner Umsetzung<br />

aktuell von etwa 200.000 Euro<br />

Kosten aus. Wissenschaftlich begleitet<br />

werden soll das Projekt von Fachleuten<br />

des LWL-Museums für Naturkunde<br />

in Münster unter Einbindung<br />

der wichtigen Akteure.


APRIL 2<strong>02</strong>2/ AUSGABE 2<br />

BUCH ZWEI<br />

Berichte | 15<br />

MÜNSTER<br />

<strong>Landschaft</strong>sversammlung mit<br />

Sorgen um Haushalt<br />

Die LWL-<strong>Landschaft</strong>sversammlung wählte einen neuen Direktor und<br />

verabschiedete ein Rekord-Ausgabevolumen<br />

Von Stefan Legge<br />

Die Würfel waren schon gefallen,<br />

als sich die 116 anwesenden Mitglieder<br />

der <strong>Landschaft</strong>sversammlung<br />

des <strong>Landschaft</strong>sverbandes <strong>Westfalen</strong>-<br />

Lippe (LWL) auf den Weg an die Wahlurnen<br />

machten. Dass Georg Lunemann,<br />

Kämmerer und Erster Landesrat<br />

des LWL, zum neuen Direktor des<br />

Kommunalverbandes gewählt würde,<br />

war bereits bekannt und nur noch<br />

Formsache. Mit 82 Jastimmen installierten<br />

die Parlamentsmitglieder den<br />

neuen Chef für 18.000 Beschäftigte<br />

und läuteten das Ende der Amtszeit des<br />

amtierenden Direktors Matthias Löb<br />

zum 30. Juni ein. Die Mehrheitsfraktionen<br />

von CDU und Bündnis 90/Die<br />

Grünen haben damit eine umstrittene<br />

Personalentscheidung durchgesetzt,<br />

bei der offenkundig nicht die Amtsführung<br />

des scheidenden LWL-Direktors,<br />

sondern die politische Farbenlehre<br />

die entscheidende Rolle gespielt hat.<br />

Der 54-jährige Lunemann, derzeit<br />

zuständig für Finanzen, Personal,<br />

Digitalisierung und Klimaschutz,<br />

stammt aus Olfen. Bevor er von 2010<br />

bis 2015 als Kämmerer der Stadt Gelsenkirchen<br />

tätig war, arbeitete er bereits<br />

zwölf Jahre für den LWL. 2015<br />

kehrte er als Landesrat zum <strong>Landschaft</strong>sverband<br />

zurück.<br />

Dass der LWL vor enormen Herausforderungen<br />

steht, wurde in der<br />

Haushaltsdebatte deutlich. Für das<br />

Jahr 2<strong>02</strong>2 hat die LWL-<strong>Landschaft</strong>sversammlung<br />

mit großer Mehrheit<br />

ein Ausgabenvolumen von insgesamt<br />

rund 3,7 Milliarden Euro verabschiedet.<br />

Das ist der größte Haushalt seit<br />

Bestehen des LWL. Für die 27 Kreise<br />

und kreisfreien Städte in <strong>Westfalen</strong>-<br />

Lippe bedeutet das: Der LWL lässt den<br />

Hebesatz zur <strong>Landschaft</strong>sumlage von<br />

15,4 Prozent im Jahr 2<strong>02</strong>1 auf nunmehr<br />

15,55 Prozent im Jahr 2<strong>02</strong>2 ansteigen.<br />

Die Mitgliedskörperschaften<br />

des LWL müssen für das Jahr 2<strong>02</strong>2<br />

über 2,5 Milliarden Euro überweisen.<br />

Dies sind rund 155 Millionen Euro<br />

mehr als 2<strong>02</strong>1. Durch den neuerlichen<br />

Eingriff in sein Eigenkapital, die sogenannte<br />

Ausgleichsrücklage mit<br />

44,3 Millionen Euro, verbleibt dem<br />

LWL künftig noch eine Rücklage von<br />

rund 75 Millionen Euro.<br />

In ihren Reden blickten vor allem<br />

die Oppositionsparteien sorgenvoll in<br />

die Zukunft. Der SPD-Fraktionsvorsitzende<br />

Karsten Koch wies darauf<br />

Georg Lunemann, bisher Kämmerer und Erster Landesrat des LWL,<br />

wird den Verband ab 1. Juli als Direktor führen. Foto: LWL<br />

hin, dass Sozialausgaben in der Zukunft<br />

weiter wachsen würden, sodass<br />

die Zahllast bei der <strong>Landschaft</strong>sumlage<br />

nach der jüngsten Steuerschätzung<br />

steigen werde. „In einer Größenordnung,<br />

die einige Kreise und Städte<br />

nicht verkraften können“, sagte Koch.<br />

Für die FDP/FW-Fraktion mahnte der<br />

Vorsitzende Arne Hermann Stopsack:<br />

„Für die kommunale Familie kommen<br />

schwierige Jahre. Es muss unser politisches<br />

Ziel sein, den Aufwuchs der<br />

Zahllast gegenüber der Mittelfristplanung<br />

deutlich zu reduzieren.“<br />

Auch die CDU-Fraktionsvorsitzende<br />

Eva Irrgang, Landrätin im Kreis Soest,<br />

teilt diese Einschätzung: „Einbrechende<br />

Steuereinnahmen infolge der<br />

Corona-Pandemie, immer neue Sozialstandards<br />

und eine dynamische<br />

Kostenentwicklung werden uns an<br />

die Grenzen unserer finanziellen Leistungsfähigkeit<br />

führen.“ Irrgang forderte<br />

Bund und Land auf, „die notwendige<br />

finanzielle Unterstützung<br />

frühzeitig bereitzustellen, aber auch<br />

kostentreibende Sozialstandards mit<br />

Geld zu hinterlegen“.<br />

OWL feiert den<br />

„UrbanLand Sommer“<br />

Detmold. Auf sieben großen Festen<br />

sollen die Projekte und Ideen des<br />

Strukturförderprogramms Regionale<br />

2<strong>02</strong>2 in Ostwestfalen (OWL) präsentiert<br />

werden. Im Mittelpunkt steht die<br />

Idee des „UrbanLand”, das Leben<br />

und Arbeiten zwischen ländlichen<br />

Räumen und Städten ermöglicht. In<br />

ganz OWL wurden Ideen für die Zukunftsfähigkeit<br />

der Region rund um<br />

dieses Thema entwickelt. 135 Millionen<br />

Euro an Fördermitteln werden<br />

insgesamt in Regionale-Projekte<br />

investiert. Dazu zählen unter anderem<br />

der Bildungscampus Gesundheit<br />

Weser-Egge, das Welcome-Haus<br />

Espelkamp und das MonoCab OWL,<br />

das eine Einschienenbahn auf<br />

stillgelegte Bahntrassen schickt. Viele<br />

Ideen und Pläne kreisen um die<br />

Themen Mobilität, Fachkräfte und<br />

Klimaschutz – und um die Frage,<br />

wie ein Ausgleich unterschiedlicher<br />

Interessen gelingen kann.<br />

Der „UrbanLand Sommer“ soll zum<br />

Schaufenster der Regionale-Projekte<br />

werden. Bei Festen in Lemgo (1. Mai,<br />

Kreis Lippe), Löhne (7./8. Mai, Kreis<br />

Herford), Bielefeld (28./29. Mai),<br />

Warburg (1.-3. Juli, Kreis Höxter),<br />

Hille (27./28. August, Kreis Minden-<br />

Lübbecke), Gütersloh (4. September)<br />

und Paderborn (18. September) ist<br />

mit der „UrbanLand-Welt“ auf<br />

300 Quadratmeter eine Info- und<br />

Aktionsfläche zu Gast. Experimentierstationen<br />

laden ein, in die Themen<br />

des Programms einzutauchen. Seit<br />

fünf Jahren arbeitet OWL auf das<br />

Regionale-Jahr 2<strong>02</strong>2 hin. „Es geht<br />

darum, die Region kräftiger und<br />

widerstandsfähiger für die Zukunft zu<br />

machen“, sagt Herbert Weber, Leiter<br />

der OWL GmbH, bei der die<br />

Organisation des Programms liegt.<br />

Mehr unter: www.urbanland-owl.de<br />

WERTHER<br />

Regional auf<br />

den Teller<br />

Landwirtschaftliche Tradition und familiäre<br />

Wurzeln – dafür steht die Kartoffelmanufaktur<br />

Pahmeyer in Ostwestfalen. Vom Feld bis zum<br />

Teller werden die Kartoffeln eigens angebaut, auf<br />

dem Hof gelagert und zu frischen Kartoffelprodukten<br />

wie Reibekuchen, Aufläufen und geschälten Kartoffeln<br />

für den Lebensmitteleinzel- sowie für den Großhandel<br />

weiterverarbeitet. 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

verbinden die Strukturen der Landwirtschaft, Produktion<br />

und Verwaltung und arbeiten täglich Hand in Hand<br />

an höchster Qualität. Seit dem 1. Januar 2<strong>02</strong>1 ist das<br />

Unternehmen einschließlich des Produktsortiments<br />

klimaneutral. www.pahmeyer.com<br />

WITTEN<br />

Fenster, Türen und eine<br />

Kiste für Bienen<br />

Nein, das ist keine Kartoffelkiste,<br />

sondern sozusagen<br />

ein Bienenhochhaus.<br />

Diese „Hohenheimer<br />

Einfachbeute“ , im Volksmund:<br />

Bienenstock, stammt aus der<br />

Holzwerkstatt des QuaBeD, was für<br />

„Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaft“<br />

der Diakonie<br />

Mark-Ruhr steht.<br />

In der Holzwerkstatt des QuaBeD<br />

entstehen Bühnenbilder für Theaterund<br />

Schulaufführungen, Kleinmöbel,<br />

Fenster und Türen – und eben auch<br />

die Einfachbeuten. Im Jahr 2018<br />

gemeinsam mit einem Imker entwickelt,<br />

werden sie aus PEFC-zertifizierter<br />

Weymouthskiefer aus regionalen<br />

Forstbetrieben des Sauerlandes<br />

und des Bergischen Landes<br />

gebaut und erfreuen sich bei Imkern<br />

und Imkervereinen großer Beliebtheit.<br />

Und sogar für ihre Holzabfälle<br />

hat die Werkstatt Verwendung:<br />

Diese landen in der Brikettierpresse.<br />

www.quabed.de<br />

Tolle Menschen,<br />

tolle Ideen:<br />

Produkte aus den<br />

westfälischen<br />

Regionen, die uns<br />

aufgefallen sind<br />

Sie stellen etwas Besonderes her?<br />

Dann schreiben Sie uns:<br />

redaktion@landschaft-westfalen.de


BUCH ZWEI<br />

16 | Ein Ort in ...<br />

SELM-CAPPENBERG<br />

Fast wie neu – aber 900<br />

Die heutige katholische Pfarrkirche<br />

St. Johannes Evangelist ist<br />

einer von nur zwei großen, in wesentlichen<br />

Teilen unverändert erhaltenen<br />

romanischen Kirchenbauten aus der<br />

Zeit vor 1150 in <strong>Westfalen</strong>. Sie war<br />

die Kirche des Prämonstratenserstifts,<br />

das 1122 in Cappenberg gegründet<br />

wurde. Dazu schenkte der in den Orden<br />

eingetretene Graf Gottfried von<br />

Cappenberg seinen Besitz dem Stift.<br />

Aus Anlass der 900. Wiederkehr dieses<br />

Ereignisses wurde der bald nach<br />

der Gründung begonnene Kirchenbau<br />

nun restauriert. Den größten Teil der<br />

Kosten der fast zweijährigen Maßnahme<br />

trug das Land Nordrhein-<strong>Westfalen</strong><br />

als Eigentümerin des Bauwerks.<br />

LWL-Denkmalpfleger Dirk Strohmann<br />

erläutert die umfangreichen<br />

Maßnahmen: „Das Land NRW hat<br />

die Dächer instand gesetzt, die zum<br />

Teil noch aus dem 19. Jahrhundert<br />

stammenden Bleiglasfenster reparieren<br />

und das Natursteinmauerwerk der<br />

Kirche aus heimischem Kalksandstein<br />

reinigen und neu verfugen lassen.<br />

Dringend erforderlich war ein barrierefreier<br />

Zugang zur Kirche, der jetzt<br />

nach Anhebung und Neupflasterung<br />

Die ehemalige Stiftskirche<br />

Cappenberg<br />

von Nordwesten nach<br />

der Restaurierung.<br />

Foto: LWL/Dülberg<br />

des Geländes vor dem Westportal<br />

über eine Rampe möglich ist.“ Im Inneren<br />

der Kirche haben Fachleute romanische<br />

und gotische Wandmalereien<br />

gesichert und kostbare Inventarstücke<br />

von der Romanik bis ins 19.<br />

Jahrhundert restauriert.<br />

Quelle: Geografische Kommission<br />

für <strong>Westfalen</strong> 2<strong>02</strong>0<br />

„Das Land NRW hat Bleiglasfenster<br />

instand gesetzt, die zum Teil noch aus dem<br />

19. Jahrhundert stammten.“ Dirk Strohmann, LWL<br />

MÜNSTERLAND<br />

Selfies aus einer anderen Zeit<br />

Drei Schlösser zeigen gemeinsam eine Ausstellung mit Werken des<br />

Porträtmalers Johann Christoph Rincklake<br />

Aus eins mach drei: Drei Schlösser<br />

im Münsterland sind ab 1. Juni<br />

Standorte jeweils einer Ausstellung<br />

mit Werken des Porträtmalers Johann<br />

Christph Rincklake. Der Künstler, der<br />

eigentlich <strong>Landschaft</strong>smaler werden<br />

wollte, dann aber im Porträtmalen<br />

den besseren Broterwerb fand, schafft<br />

im 18. Jahrhundert, was heute das<br />

Selfie erreicht: Die Form des Porträts<br />

wandelte sich. Rincklake und andere<br />

bildende Künstler seiner Zeit malten<br />

nicht mehr nur Adelige auf eine idealisierende<br />

Art und Weise, sondern<br />

immer häufiger auch Kaufleute, Kolonialwarenhändler<br />

oder Fabrikanten<br />

und ihre Familien. Diese wohlhabenden<br />

Bürger drückten damit ein erwachendes<br />

nicht adeliges Selbstbewusstsein<br />

der sich allmählich lockernden<br />

Ständegesellschaft aus.<br />

Porträts der Familie Korff im Haus Harkotten-von Korff. Foto: Birgit Gropp<br />

Rincklake selbst brachte es mit seinen<br />

Arbeiten schließlich zu einem der bedeuten<br />

Porträtmaler <strong>Westfalen</strong>s, zu<br />

seiner Zeit war er vielleicht sogar der<br />

berühmteste.<br />

Schlösser-Netzwerk<br />

Für die Ausstellung im Museum Abtei<br />

Liesborn (Wadersloh), Kulturgut<br />

Haus Nottbeck (Oelde) und dem Herrenhaus<br />

Harkotten ( Sassenberg) sammelte<br />

Projektmanagerin Christine<br />

Kolm Originale aus Schlössern, Burgen,<br />

Klöstern und Herrensitzen der<br />

Region zusammen. „Als Projektträger<br />

haben wir die Aufgabe, Akteure zusammenzubringen<br />

und Netzwerke<br />

aufzubauen. Und unsere Erfahrung<br />

hat gezeigt: Zusammen schafft man<br />

mehr als alleine. In diesem Fall war die<br />

Zusammenarbeit der drei Anwesen<br />

„Die Zusammenarbeit<br />

ist<br />

ein großer<br />

Gewinn<br />

für das<br />

Projekt.“<br />

Christine Kolm,<br />

Projektmanagerin<br />

ein großer Gewinn für das Projekt“,<br />

sagt Kolm. Und das überzeugte im<br />

übrigen auch das Regionale Kultur<br />

Programm des Landes Nordrhein-<br />

<strong>Westfalen</strong>, das die gemeinsame Konzeption<br />

unterstützt.<br />

Identität, Inszenierung und Interaktion<br />

sind die drei Themenschwerpunkte<br />

der Ausstellungen. Es geht<br />

dabei ebenso um das Handwerk der<br />

professionellen Porträtmalerei wie<br />

auch um die dargestellten Personen<br />

selbst, die multimedial zum Sprechen<br />

gebracht werden. Darüber hinaus werden<br />

das Leben und die Technik Rincklakes<br />

beleuchtet.<br />

Die Ausstellungen ergänzt ein<br />

gemeinsames Veranstaltungsprogramm,<br />

das pünktlich zum Schlösserund<br />

Burgentag am 19. Juni beginnt<br />

und bis zum 11. September läuft.<br />

EMMERTHAL<br />

Tour durch die Natur<br />

Für den Emmer-Radweg zwischen Steinheim und Emmerthal<br />

durch das Weserbergland gibt es eine neue Tourenkarte<br />

Unter passionierten Radlerinnen<br />

und Radlern gilt die Tour als<br />

leicht, denn sie führt meist über befestigte<br />

Straßen, doch die knapp 50<br />

Kilometer wollen abgestrampelt werden:<br />

der Emmer-Radweg verläuft von<br />

Steinheim über Wöbbel, Schieder,<br />

Lügde, Bad Pyrmont, Löwensen, Tahl,<br />

Welsede, Amelgatzen und Hämelschenburg<br />

nach Emmerthal und folgt<br />

dem Lauf des Flüsschens durch das<br />

Weserbergland.<br />

Wer am Zielort noch nicht genug<br />

hat, kann auf dem Weser-Radweg<br />

gleich weitertouren. An der Strecke<br />

gibt es natürlich viel Natur, aber auch<br />

einige kleinere und größer Attraktio-<br />

„Die Rückkehr des<br />

Bibers ist ein Beleg<br />

für die naturnahe<br />

Entwicklung um<br />

den Schiedersee.“<br />

Ute Röder, Kreis Lippe<br />

nen wie beispielsweise das Möbelmuseum<br />

und das Teddy- und Puppenmuseum<br />

in Steinheim, die Kilianskirche<br />

in Lügde und das Schloss Pyrmont.<br />

Kurz vor dem Zielort Emmerthal<br />

liegt mit Schloss Hämelschenburg ein<br />

Hauptwerk der Weserrenaissance. Besonderes<br />

Highlight der Tour: In Amelgatzen<br />

überquert man die Emmer an<br />

einer Furt. Der Schiedersee wurde<br />

zwischen 2012 und 2015 aufgestaut,<br />

dort wurden 2<strong>02</strong>0 auch die ersten Biber<br />

der Region gesichtet. Die Strecke<br />

ist in einem neuen Flyer des Touristikzentrums<br />

Westliches Weserbergland<br />

ausführlich beschrieben.<br />

www.westliches-weserbergland.de<br />

Der Schiedersee staut die Emmer in der Nähe<br />

des Städtchens Schieder-Schwalenberg. Foto: Adobe Stock

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