die seit seinem Amerika-Aufenthalt vergangen waren, stark verändert hatte Abb. 8. Die Einwohnerzahl des Bundesstaats hatte sich inzwischen verfünffacht und Sacramento war zur Bundeshauptstadt ernannt worden. Sein Aufenthalt auf dem amerikanischen Kontinent zog sich über fast vier Monate, in denen er Freunde und Bekannte treffen und auch das Grab seines Bruders besuchen wollte. Von Kalifornien aus reiste er auch dieses Mal auf dem Seeweg über New York, denn die 1862 beschlossene transkontinentale Eisenbahnverbindung war noch im Bau. Von dort aus reiste er weiter über Land bis an die Kanadische Grenze, um die Niagarafälle zu sehen. Hier in Amerika vermischte sich seine Reiselust aber auch wieder mit geschäftlichen Interessen, denen er unter anderem in New Mexico und Kuba nachging. Nun, kurz vor der Rückkehr, plagten ihn offenbar Zweifel, wie er sein zukünftiges Leben gestalten sollte: weiter als Geschäftsmann, als Literat oder der Wissenschaft zugewandt? Im Dezember 1865 verließ er Amerika. Im Frühjahr 1866 erhielt er in Paris die Erlaubnis, Vorlesungen an der Sorbonne zu besuchen. Er hatte sich entschieden. DER ERSTE SCHRITT ZUM FORSCHER: BEOBACHTEN, DOKUMENTIEREN, PUBLIZIEREN Während der Überfahrt von Yokohama nach San Francisco verfasste Schliemann in seiner nur 3 Quadratmeter großen Kajüte den für eine breite Öffentlichkeit bestimmten Reisebericht über China und Japan anhand seiner Tagebuchaufzeichnungen. Das Manuskript verkaufte er an den Pariser Verlag Librairie centrale, der es 1867 unter dem Titel Le Chine et le Japon au temps présent veröffentlichte. Fast hundert Jahre später erschien das Buch auch auf Deutsch unter dem Titel Reise nach China und Japan im Jahre 1865. <strong>Schliemanns</strong> erste Publikation erfuhr damals keine große Aufmerksamkeit. Heinrich Schliemann war ein unbekannter Name in der Welt der Autoren, als Schriftsteller war er ein unbeschriebenes Blatt und die Auflage seines Buches klein. Letztlich brachten aber vor allem die Etablierung der Fotografie zur Dokumentation, günstigere Reiseanbindungen und nicht zuletzt die Öffnung beider Länder mit sich, dass andere, vor allem bildstarke Reiseberichte mehr Aufmerksamkeit auf sich zogen und bis heute stärker präsent sind. Dabei ist sein Werk durchaus lesenswert. Schliemann war ein Mann des Wortes. Seine Eindrücke sind anschaulich und lebendig im Stil eines klassischen Abb. 8 San Francisco, Aquarell von Eduard Hildebrandt, 1863 Reiseberichts seiner Zeit geschrieben. Vieles von dem, was er detailliert beschreibt, findet sich wieder in zeitgleich entstandenen Aquarellen, wie die des preußischen Hofmalers Eduard Hildebrandt, der sich kurz zuvor auf der gleichen Reiseroute bewegt hatte, oder auf Bildern des portugiesischen Fotografen Felice Beato, der sich ab 1863 in Yokohama niedergelassen hatte. Es fällt auf, dass es oft die gleichen Eindrücke und Situationen sind, die so auf unterschiedliche Art dokumentiert wurden und sich im Detail hervorragend ergänzen. Gemeinsam ermöglichen sie einen zeitgenössischen Blick auf Länder, die Europa relativ fremd waren, und zeigen vor allem für China und Japan ein kurzes und spannendes Zeitfenster des politischen und kulturellen Umbruchs. Es ist wohlgemerkt ein subjektiver und vor allem europäischer Blick, der oft nur die Oberfläche streift und das offensichtlich Andersartige sieht, ohne die Tiefe der asiatischen Kulturen zu erfassen. Ausgewählte Literatur: Tobias Mühlenbruch, Heinrich Schliemann. Ein Itinerar (Marburg 2008). Liu Jing, Wahrnehmung des Fremden: China in deutschen und Deutschland in chinesischen Reiseberichten: vom Opiumkrieg bis zum Ersten Weltkrieg (online-Publikation 2001; https://d-nb.info/969951191). Heinrich Schliemann, Reise durch China und Japan im Jahre 1865, übers. Franz Georg Brustgi (Konstanz 1984/Berlin 1995); Orig. Le Chine et Japon au temps présent (Paris 1867). Wolfgang Richter, Heinrich Schliemann (Leipzig 1992). Ernst Meyer, Heinrich Schliemann. Kaufmann und Forscher (Zürich, Berlin, Frankfurt 1969). 115
WENDEZEIT Abb. 1 Hotelrechnung aus dem Grand Hotel in Neapel 116