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Schliemanns Welten

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Ithaka,<br />

der Peloponnes<br />

und Troja<br />

<strong>Schliemanns</strong> erste<br />

Reise in die griechische<br />

Vergangenheit<br />

BENJAMIN WEHRY<br />

1868 begab sich Heinrich Schliemann wieder<br />

auf Reisen. Von Paris aus, seinem Wohnsitz seit zwei Jahren,<br />

brach er in eine aus der Ilias und der Odyssee vertraute,<br />

ihm in Wirklichkeit aber noch nahezu unbekannte Welt<br />

auf, jene »Gegenden, in welchen noch so lebendige poetische<br />

Erinnerungen an das Altertum vorhanden sind«, wie<br />

er selbst schreibt. Es waren dies nicht nur der »Schauplatz<br />

der Begebenheiten« und das »Vaterland der Helden« des<br />

Trojanischen Krieges – der Siedlungshügel, unter dem Troja<br />

vermutet wurde, die Ruinen der hochgebauten Burg des<br />

Agamemnon in Mykene und die Königsfestungen im Norden<br />

des Peloponnes sowie Ithaka, die Insel des Odysseus –,<br />

sondern auch berühmte Stätten der griechischen Antike, die<br />

den Gebildeten durch die detaillierten Reiseberichte und die<br />

interpretierenden Beschreibungen des Pausanias und die<br />

Überlieferung anderer antiker Schriftsteller bekannt waren.<br />

Vorausgegangen waren tiefgreifende Veränderungen<br />

in seinem Leben, vor allem die Wahl der französischen<br />

Hauptstadt zum neuen Lebensmittelpunkt. Im Frühjahr<br />

1866 begann Schliemann, sich alleine ohne seine Frau Jekaterina,<br />

die Russland nicht verlassen wollte, in Paris einzurichten:<br />

Zunächst residierte er im Grand Hôtel du Louvre<br />

und im Grand Hôtel am Boulevard des Capucines nahe<br />

des neu erbauten Gare du Nord, als er die letzten Brücken<br />

hinter sich abbrach und die Liquidation seiner Handelsgeschäfte<br />

mit Rohstoffen und aller Bankdienstleistungen in St.<br />

Petersburg vorantrieb. Gleichzeitig kümmerte sich Schliemann<br />

um die Renditen seiner Pariser Immobiliengeschäfte,<br />

»bloß um etwas Interesse und Beschäftigung zu bekommen«,<br />

wie er an seinen Londoner Privatbankier Schröder<br />

1866 schreibt. Der Zeitpunkt für diese Geschäfte war gut<br />

gewählt. Denn seit Herbst 1853 wurde Paris zur größten<br />

Baustelle der Welt. Auf Geheiß des Kaisers und nach den<br />

Plänen des Pariser Stadtpräfekten Georges-Eugène Haussmann<br />

wurden die engen, unübersichtlichen Stadtstrukturen<br />

der französischen Hauptstadt in einem umfassenden<br />

Bauprogramm planiert, umgebaut, abgerissen und neu errichtet,<br />

die Stadtfläche wurde verdoppelt. Im Pariser Westen<br />

entlang der zu breiten, prächtigen Boulevards ausgebauten<br />

Hauptstraßen entstanden repräsentative Wohnhäuser für<br />

die reiche Stadtelite. Von den horrenden Mietpreissteigerungen,<br />

einer unmittelbaren Folge des gigantischen Haussmann’schen<br />

Stadtumbaus, dürfte auch der Hausbesitzer<br />

und Vermieter Schliemann profitiert haben. Vor diesem geschäftlichen<br />

Hintergrund war von seinem späteren Lebenswerk,<br />

die Historizität der Ilias und der Odyssee durch Ausgrabungen<br />

und Funde zu beweisen, 1866/67 noch nichts zu<br />

erkennen. Allerdings scheint er sich ab 1867 zunehmend<br />

aus der aktiven Betätigung seiner Immobiliengeschäfte zurückgezogen<br />

zu haben. Er setzte einen Verwalter ein und<br />

nutzte seine Zeit nun vermehrt für gesellschaftliche Soiréen<br />

und die Entwicklung und Kultivierung seiner geistigen und<br />

wissenschaftlichen Interessen. Nachdem er sich bereits seit<br />

1856 mit großem Eifer dem Erlernen des Altgriechischen<br />

gewidmet und damit die Voraussetzung geschaffen hatte,<br />

die antiken Schriftsteller, vor allem Homer und Pausanias,<br />

im Original zu lesen, bemühte sich Schliemann erfolgreich<br />

um die Zustimmung des Kultusministeriums in der Rue<br />

de Grenelle in St. Germain, ohne entsprechende Schulabschlüsse<br />

studieren zu dürfen. Im Frühjahr 1866 nahm er ein<br />

Abb. 1 Das Löwentor von Mykene, wie Schliemann es vorfand.<br />

Carl Rottmann, aquarellierte Federzeichnung , Ausschnitt, 1834<br />

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