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Kolumne 61. Minute<br />
SNEIRK REDET MIT DEN TOMATEN<br />
Es herrscht wieder mal Aufruhr in der südlichen Tundra von Sneirk.<br />
Der Kleingartenverein sucht Gärtner! Dabei sind die Kleingärten doch<br />
so wichtig und bieten vielen hunderten von Menschen aus den Platten-<br />
bauten am Stadtrand ein Stück Natur, etwas Verantwortung und die<br />
Aufgabe, während der Sommermonate zu ihrem Stück Land zu schauen.<br />
Die Natur wächst zwar von alleine. Aber<br />
wie sagte meine Urgrossmutter väterlicherseits,<br />
so lange sie ihr irdisches<br />
Dasein bei vollem Bewusstsein erlebte:<br />
die rötesten Tomaten gibt es noch immer,<br />
wenn du jeden Morgen fünf Minuten<br />
mit ihnen sprichst … Genauso muss<br />
auch die Gemeinschaft der Kleingärtner<br />
gehegt und gepflegt sein. Es müssen ja<br />
nicht jeden Morgen fünf Minuten sein ...<br />
Es braucht also Gärtner. Und es braucht<br />
jene, die einen kleinen Teil ihrer Freizeit<br />
für die Gemeinschaft der Kleingärtner<br />
einsetzen. Denn wie soll man mit den<br />
Tomaten reden, wenn sich der Zaun um<br />
den Garten nicht öffnen lässt?<br />
Das mit dem Zaun ist so eine Sache.<br />
Sehr praktisch, aber einleuchtend. Fast<br />
gleich steht es um die Traditionen,<br />
welche die Kleingärtner im Verlaufe der<br />
vielen, vielen Jahre «erfunden» haben.<br />
61. MINUTE<br />
Das ist der aktuelle Kreisläufer-<br />
Blog zu den Geschehnissen des<br />
Handballclub TRAKTOR SNEIRK,<br />
dem Grossverein aus dem gleichnamigen<br />
Ort in der südrussischen<br />
Provinz Nrezul. Korrespondent für<br />
den Kreisläufer ist Igor Motzikov<br />
(78), orthodoxer Ortsgeistlicher und<br />
Waschmittel-Verkäufer im Aussendienst<br />
für die Braunkohle-Reviere<br />
Kirgisiens.<br />
<strong>KREISLÄUFER</strong><br />
Auch da wollen nur noch ganz wenige<br />
mitmachen, wenn es darum geht, sie am<br />
Leben zu erhalten. Schade: Das Karottenfüllen<br />
zu Ehren des heiligen St. Konstantin<br />
III war bisher immer ein feierlicher<br />
Brauch. Es gibt ihn nur noch in der Erinnerung,<br />
weil der Verein es nicht schaffte,<br />
ein Mitglied zu finden, das einen Teil des<br />
eigenen Gartens für Karotten nutzen<br />
wollte. Dabei erfreute sich der Anlass<br />
stets grosser Beliebtheit bei gross und<br />
klein.<br />
Auch andere schöne Bräuche gibt es<br />
nicht mehr. Ich sah mich deshalb gezwungen,<br />
die leidige Debatte von der<br />
Sonntagskanzel aus aufzunehmen. Und<br />
ich musste meine Gemeinde ermahnen.<br />
Schliesslich gibt es nichts Schwierigeres,<br />
als eingeschlafene Bräuche wieder<br />
aufzuwecken.<br />
Während vielen Jahren ging es den<br />
Kleingärten von Sneirk gut. Ja, es ging<br />
sogar blendend. Und warum? Weil jeder<br />
und jede sich nach Kräften bemühte.<br />
Dort half, wo es nötig war. Der eine hat<br />
den Zaun geflickt, der andere mit den<br />
Tomaten gesprochen. Jeder half so,<br />
dass seine eigenen Stärken zum Tragen<br />
kamen. Und jeder im Rahmen seiner<br />
Möglichkeiten. Schliesslich haben wir<br />
alle ja noch andere Verpflichtungen …<br />
Immer wieder gab es Auszeichnungen.<br />
Für die rotesten Tomaten oder die<br />
krummsten Gurken in der ganzen Kolchose.<br />
Alle waren sie stolz darauf. Denn<br />
nach jeder Auszeichnung traf sich die<br />
ganze Gemeinschaft zum feierlichen<br />
Abendessen bei gebratenem Bär und<br />
viel Vodka.<br />
CLUB<br />
Die vielen Erfolge schweissten zusammen.<br />
Gewachsen ist dabei eine grosse<br />
Solidarität. Ein Wort, das bei uns in<br />
Sneirk noch sehr wichtig ist. Wenn nämlich<br />
im Sommer während der langen<br />
Trockenzeit die Sonne unerbittlich auf<br />
unsere Äcker brennt und das Wasser für<br />
die Felder knapp wird, dann braucht es<br />
eines: Zusammenstehen und gemeinsam<br />
für Abhilfe sorgen. Regenwolken<br />
lassen sich zwar auch so nicht herbeizaubern.<br />
Aber gemeinsam Wasser hertragen.<br />
Ich hoffe sehr, dass meine mahnenden<br />
Worte von der Kanzel nützen. Es wäre<br />
doch schade um die Tomaten, wenn<br />
niemand mehr mit ihnen reden würde!<br />
Igor Motzikov<br />
SEPTEMBER 2011<br />
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