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Künstlerin des Monats
Rezension
Rüdiger Heins
Alles kann warten
Rezension über den Bildband von Helga Zumstein
Die Künstlerin erzählt ihre Geschichten nicht mit Worten, wie das etwa Erzähler oder Dichter machen,
um ihren inneren Welten Ausdruck zu verleihen. Vielmehr
sind die Bilder der Helga Zumstein gemalte Geschichten, die
in der Postmoderne angesiedelt sind.
Ein wichtiges Element in der „Kunst des Malens“ ist wohl,
den Betrachter oder die Betrachterin in einen Dialog mit
dem Gemalten auf der Leinwand zu verführen, bei dem
Geschichten entstehen, die erzählt werden wollen. Diese
Verführung gelingt der Künstlerin nonchalant.
Wir wissen nur sehr wenig über diese Helga, diese Zumstein.
Sie hat sich kein Narrativ zugelegt, bei dem die Bedeutung
der Künstlerin im Vordergrund steht. Vielmehr steht sie
hinter ihrem Werk, das sich auch ohne sie mühelos entfalten kann. Die Abwesenheit der Künstlerin
spricht für ihre Größe. Ich unterstelle ihr, dass sie sich der Bedeutung ihrer Kunst durchaus bewusst
ist. Von diesem Wissen macht sie allerdings keinen Gebrauch.
Die Malerin zählt für mich zu den bescheidenen Künstlerinnen, deren Wirkung sich in ihren Bildern
entfaltet. Die Anwesenheit Helga Zumsteins in ihren szenischen Einaktern genügt, um mehr über sie
zu erfahren.
Helga Zumstein lebt und arbeitet in Brig-Glis und sie bringt ihre Geschichten mit, wie könnte es anders
sein, Pinsel und Farbe auf die Leinwand.
Die Walliserin bewegt sich auf den Pfaden der Anna Waser, eines Talents aus dem 18. Jahrhundert,
in dem für Frauen der Beruf als Kunstmalerin undenkbar gewesen wäre. Oder etwa einer Mili Weber,
ebenfalls Schweizer Malerin, aus St. Moritz, die mit ihren Werken den Bildbetrachter in märchenhafte
Kulissen entführt, die Neugierde, Spannung und Freude beim Anschauen entstehen lassen.
Abstrakte Transmitter
× Helgs Zumstein, Happy day
Versuche, die Malerei Helga Zumsteins in eine Kategorie einzuordnen, scheitern an der Originalität
ihrer Werke. Immerhin: Einen Versuch ist es wert, denn ihr Pinselstrich ist von einer brillanten Eleganz
geprägt, der sich unaufdringlich in der Bildkulisse entfaltet und somit seinen unverkennbaren
Stil begründet. Unverkennbar sind auch Zumsteins Wurzeln in der informellen Malerei. Abstrakte
Stilelemente verwendet sie als gestalterischen Transmitter, um dem Setting, in das ihre Protagonisten
eingewoben sind, eine gewisse Geschwindigkeit abzuringen, welche die Szene zum gestalterischen
Leben erweckt.
Abstrakte Malerei ist also die Kraftquelle dafür, eine Szene in Bewegung zu bringen.
Die Auswahl ihrer Motive machen vor keinem Thema des menschlichen Daseins Halt: Kindheit,
Liebe, Krankheit, Trauer, Landschaft, Tiere. Eine fast schon theatralische Auswahl, die einen William
Shakespeare erahnen lässt; denn es entsteht der Eindruck, dass alles, was sie malt, auch szenisch
aufgebaut ist.
32 07/ 08/2022 www.experimenta.de 33