Gesundheit Prävention Der Lauf zurück ins Leben Der Krebs ist besiegt, der Alltag kehrt wieder ein. Doch die Angst vor dem Rückfall begleitet Patienten noch lange. Viele nutzen jetzt die Chance auf einen Neuanfang mit einem besonders gesunden Lebensstil. Das raten Experten, um das Rezidivrisiko zu senken Ideal sind 30 Minuten Sport täglich. Aber selbst zehn Minuten bringen schon viel PD Dr. phil. Joachim Wiskemann, Sportwissenschaftler am Nationalen Centrum <strong>für</strong> Tumorerkrankungen, Heidelberg, nct-heidelberg.de → Sich von einer Krebserkrankung zu erholen, bedeutet, einen weiten Weg zu gehen. Elke Kindig (53) legt einen Teil dieser Strecke in Sportschuhen zurück. Etwa wenn sie an der Isar joggt, die ersten Minuten oft noch widerstrebend und in Gedanken To-do-Listen wälzend, bis sie nach einer halben Stunde in den Flow gerät. „Dann löst sich alles auf, man verschmilzt mit der Natur und der Bewegung. Das Gefühl ist schwer zu beschreiben“, sagt die Münchnerin, die 2017 an einem triple-negativen Brustkrebs erkrankt war. Diese Tumorvariante ist nicht nur besonders aggressiv. Sie birgt in den ersten Jahren nach Abschluss der Therapie ein hohes Risiko, erneut aufzutreten. Aktivität. In ihren blauen Joggingschuhen läuft Kindig dieser Gefahr ein gutes Stück davon. Um bemerkenswerte 42 Prozent sinkt die Wahrscheinlichkeit <strong>für</strong> die Rückkehr eines Mammakarzinoms, wenn Betroffene nach der Erstdiagnose sportlich aktiv werden. Das zeigt eine Studie der Deutschen Krebsgesellschaft aus dem Jahr 2019 mit mehr als 2000 Patientinnen nach den Wechseljahren. Für Prostataund Darmkrebs gibt es ähnliche Zahlen aus anderen Untersuchungen. „Diese Zusammenhänge wurden Mitte der 2000er-Jahre eher zufällig entdeckt. Inzwischen existieren Dutzende von Studien, die den präventiven Effekt von körperlicher Aktivität bestätigen“, sagt der Sportwissenschaftler Dr. Joachim Wiskemann, der am Nationalen Centrum <strong>für</strong> Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg die Arbeitsgruppe <strong>für</strong> Onkologische Sport- und Bewegungs therapie leitet. Forscher haben auch ermittelt, wie viel Training nötig ist, um Rückfälle fernzuhalten: Optimal sind zusammengerechnet drei bis vier Stunden Bewegung pro Woche auf dem Anstrengungsniveau einer flotten Walking-Einheit. „Selbstverständlich kann man auch Rad fahren, schwimmen oder wandern“, so Dr. Wiskemann. „Wichtig ist ein trainingswirksamer Reiz. Der Körper sollte nach Möglichkeit etwas belastet werden.“ Ob die Probanden das Wochenpensum auf zwei bis drei längere Touren verteilten oder jeden Tag 30 Minuten aktiv wurden, machte in den Studien keinen nennenswerten Unterschied. Sport wirkt ähnlich wie Hormonblocker Weitgehend offen sind die biologischen Mechanismen, die erklären, wieso etwa regelmäßiges Joggen das Krebswachstum hemmt. Vermutlich greifen mehrere tumorspezifische Effekte ineinander: etwa ein verringertes Übergewicht, eine erhöhte Durchblutung, antioxidative Wirkungen, verbesserte DNA- Reparaturmechanismen oder erniedrigte Blutspiegel von Wachstumsfaktoren wie etwa Insulin. Bei Frauen mit hormonabhängigem Brustkrebs kommt ein weiterer Faktor hinzu: „Sport senkt den Östrogenspiegel in Blut und Gewebe ebenso wie eine medikamentöse antihormonelle Therapie“, so die Deutsche Krebsgesellschaft. Ganz offensichtlich wirkt Bewegung als Breitbandmedikament gegen Rezidive. Doch wie nimmt man diese Pille am besten ein? Schließlich besitzt nicht jede Patientin so viel Körpererfahrung wie die Isar-Läuferin Kindig. Als Realschullehrerin <strong>für</strong> Deutsch und Sport war sie vor der Erkrankung quasi von Amts wegen in Form – und knüpfte nach Operation, Chemotherapie und Bestrahlung binnen weniger Monate eigenständig an diesen Lebensstil an. „Zu dem Zeitpunkt, als ich wieder Haare trug, konnte ich bereits zehn Kilometer gemütlich traben“, sagt die Pädagogin. Unterstützung. Krebspatienten hingegen, die vor ihrer Diagnose wenig Sport getrieben haben, benötigen in vielen Fällen professionelle Unterstützung. Erster Ansprechpartner ist der behandelnde Arzt: Er kennt den ➡ 54 <strong>my</strong> <strong>life</strong> 16/2022
In alter Form In alter Form Elke Kindig (53) joggt an der Münchner Isar. Das Laufen half der Lehrerin, ihr Körpergefühl wiederzufinden