M das Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft - Darmstadt No. 03 2022
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EDITORIAL<br />
3<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
die Organisation <strong>für</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit <strong>und</strong> Entwicklung<br />
(OECD) hat unlängst wegen des Krieges in der Ukraine die Erwartungen<br />
an <strong>das</strong> <strong>Wirtschaft</strong>swachstum deutlich zurückgeschraubt.<br />
Nach ihren Berechnungen soll <strong>das</strong> deutsche Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP) <strong>2022</strong> nur noch auf knapp zwei Prozent steigen – im vergangenen<br />
Dezember lag die Prognose noch bei vier Prozent. Demnach gibt es<br />
immer noch <strong>Wirtschaft</strong>swachstum, allerdings ist es verhaltener. Aber<br />
ist unser Wohlstand wirklich abhängig vom <strong>Wirtschaft</strong>swachstum?<br />
Gewiss brauchen wir zur Befriedigung unserer Bedürfnisse Dienstleistungen<br />
<strong>und</strong> materielle Güter. Doch ist ein bestimmtes Niveau erreicht,<br />
benötigen wir nicht immer mehr davon. So erklärten 59 Prozent der<br />
B<strong>und</strong>esbürger in einer repräsentativen Umfrage des Instituts <strong>für</strong> Demoskopie,<br />
sie seien mit dem Erreichten zufrieden, <strong>und</strong> zehn Prozent<br />
meinten sogar, weniger täte es auch. Immer mehr Menschen wissen,<br />
<strong>das</strong>s es wahrer Luxus ist, bewusst zu leben, die Sinne zu gebrauchen<br />
<strong>und</strong> Zeit <strong>für</strong> sich der Familie <strong>und</strong> andere zu haben.<br />
Unser künftiges Wohlergehen wird wahrscheinlich darin bestehen,<br />
überflüssigen Konsum zu vermeiden, Umweltressourcen zu schonen<br />
<strong>und</strong> gelegentliche Stille zu genießen sowie der Fähigkeit, mit sich<br />
selbst etwas anfangen zu können. Freude zu haben an der Natur, der<br />
Kunst <strong>und</strong> dem Lernen. Aber selbst diese Aktivitäten lösen vielfach<br />
indirekt Wachstum aus, weil sie bestimmte Investitionen benötigen.<br />
Es gibt keinen Gr<strong>und</strong>, auf soziales <strong>und</strong> ökologisches Wachstum zu<br />
verzichten, <strong>das</strong> an gesellschaftlichen Bedürfnissen <strong>und</strong> technischem<br />
Fortschritt ausgerichtet ist <strong>und</strong> dort kaufkräftige Nachfrage schafft,<br />
wo der gesellschaftliche Bedarf vorhanden ist. Wachstum, <strong>das</strong> aber<br />
auch die wahren Kosten der begrenzten natürlichen Ressourcen<br />
berücksichtigt. Da<strong>für</strong> ist die Bereitschaft der Menschen vonnöten,<br />
weniger zu besitzen. Aber sind wir tatsächlich bereit, mit weniger<br />
materiellem Wohlstand <strong>und</strong> mit weniger Kaufkraft zu leben?<br />
Damit radikaler Wachstumsverzicht Aussichten auf Erfolg hat, müssten<br />
alle Staaten gemeinsam entscheiden, sich wirtschaftlich nicht<br />
mehr weiterzuentwickeln. Nicht sehr realistisch. Möglich ist es aber<br />
qualitatives statt quantitatives Wachstum anzustreben. Zum Beispiel<br />
können wir heute mit erneuerbaren Energien unsere Klimaziele erreichen.<br />
So handelt man nachhaltig <strong>und</strong> sorgt zugleich <strong>für</strong> <strong>Wirtschaft</strong>swachstum.<br />
Schließlich sind unsere Ressourcen endlich – <strong>und</strong> Klimaschutz<br />
ist nötiger denn je, meint<br />
Ihre Friederike Oehmichen<br />
Sind also Wohlstand <strong>und</strong> Wachstum doch siamesischen Zwillinge?<br />
Verlangen doch auch Klimaschutz <strong>und</strong> Ressourcenknappheit eine<br />
neue Qualität des Wachstums. Hinzu kommen die Menschen in den<br />
Entwicklungsländern, deren Nachholbedürfnis erfordert auch materiellen<br />
Konsum, um menschenwürdige Mindeststandards zu erreichen.<br />
Die meisten Asiaten <strong>und</strong> Afrikaner denken nicht daran, von der Mangelwirtschaft<br />
unter Umgehung der Konsumgesellschaft schnurgerade<br />
zum Verzicht überzugehen. Und in unserer Wohlstandgesellschaft<br />
kann der Konsum von Dienstleistungen wie Bildung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />
nie hoch genug sein.<br />
<strong>No</strong><br />
<strong>03</strong><br />
<strong>2022</strong>