6_2022 Leseprobe
Ausgabe 6_2022 des BIOGAS Journals, herausgegeben vom Fachverband Biogas e.V.
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Fachverband Biogas e.V. | ZKZ 50073 | 25. Jahrgang<br />
www.biogas.org<br />
6_<strong>2022</strong><br />
Ab Seite 40<br />
TITELTHEMA<br />
Technik &<br />
Innovation<br />
CfD versus<br />
Erlösabschöpfung 30<br />
Gärdünger in<br />
Wertstoffe verwandeln 86<br />
„Turbomaische“:<br />
Forschungsergebnisse 96
INHALT<br />
Biogas Journal | 6_<strong>2022</strong><br />
32 40<br />
EDITORIAL<br />
3 Maximale Verunsicherung<br />
durch das BMWK!<br />
Von Horst Seide<br />
Präsident des<br />
Fachverbandes Biogas e.V.<br />
AKTUELLES<br />
6 Meldungen<br />
10 Bücher<br />
12 Termine<br />
14 Biogas-Kids<br />
16 „Biogas-Peaker“ kommen<br />
20 Jahre zu früh<br />
Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann<br />
20 Spatenstich für nächstes Wärmenetz<br />
Von Andrea Horbelt<br />
22 BIOGAS Convention Digital <strong>2022</strong> &<br />
EnergyDecentral<br />
MESSENEUHEITEN<br />
24 Messeneuheiten auf der<br />
EnergyDecentral<br />
POLITIK<br />
28 Auf der Suche nach der<br />
„Übergewinnabschöpfung“<br />
Von Bernward Janzing<br />
32 Moore, Wälder, Humusböden –<br />
die großen CO 2<br />
-Senken<br />
Von Bernward Janzing<br />
36 Gewinnabschöpfung und Biomassestrategie<br />
erfordern Aufmerksamkeit<br />
Von Jörg Schäfer<br />
Beilagenhinweis: Das Biogas Journal<br />
enthält Beilagen der Firmen agriKomp<br />
und CLEANline sowie den Fachverband<br />
Biogas Messeführer EnergyDecentral.<br />
4
Biogas Journal | 6_<strong>2022</strong><br />
INHALT<br />
Technik &<br />
Innovation<br />
40 Wiesengras, Biogas und<br />
Biokunststoffe<br />
Von Dipl.-Geograph Martin Frey<br />
46 Biogasverwertung neu gedacht<br />
Von Christian Dany<br />
54 Grüner Wasserstoff:<br />
Innovative Ansätze für Deponien<br />
und Landwirtschaft<br />
Von EUR Ing Marie-Luise Schaller<br />
TITELFOTO: REVERION GMBH I FOTOS: ADOBE STOCK_BRUNO MADER, MARTIN FREY, JÖRG BÖTHLING<br />
104<br />
58 Emsig, smart und auch mal störrisch<br />
Von Dipl.-Journ. Wolfgang Rudolph<br />
WISSENSCHAFT<br />
62 Beikrautregulierung:<br />
Dino gegen Traktorhacke<br />
Von Dipl.-Journ. Wolfgang Rudolph<br />
PRAXIS<br />
70 Mit TerraBayt zum „Kohleeinstieg“!?<br />
Von Christian Dany<br />
76 Wo der Mönch den Fermenter bedient<br />
Von Dipl.-Geograph Martin Frey<br />
80 Biogas plus Kompost für die<br />
Kippenböden<br />
Von Dipl.-Journ. Wolfgang Rudolph<br />
86 Gärdünger in Wertstoffe verwandeln<br />
Von Dipl.-Geograph Martin Frey<br />
92 Ein Verbundnetz ohne rotierende<br />
Generatoren: Das geht!<br />
Von Dipl.-Ing. Heinz Wraneschitz<br />
94 Anlagen des Monats September<br />
und Oktober<br />
96 Turbomaische: Erfahrungen mit einer<br />
Pilotanlage – biologische Vorbehandlung<br />
von Stroh und Mist<br />
Von Oliver Viertmann, Frank Scholwin,<br />
Johan Grope, Jens Strahl, Ulrich Spitzner,<br />
Petra Rabe, Thomas Balling, Dennis Plock,<br />
Angelika Konold-Schürlein, Steven Pulla<br />
INTERNATIONAL<br />
Israel<br />
104 Hip und Mini – ob das reicht?<br />
Von Dierk Jensen<br />
VERBAND<br />
Aus der Geschäftsstelle<br />
112 Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück?<br />
Von Dr. Stefan Rauh und<br />
Dipl.-Ing. agr. (FH) Manuel Maciejczyk<br />
118 Arbeitskreis Gaseinspeisung<br />
Sind Milliarden Jahre alte Lebewesen<br />
die Zukunft der Methanisierung?<br />
Von Dr. Andrea Bauer<br />
124 Strom, Wärme, Mobilität, Grüner<br />
Wasserstoff – das Multitalent<br />
Bioenergie jetzt entfesseln<br />
Von Dr. Simone Peter, BEE<br />
126 Erfolgsgeschichte: 10 Jahre<br />
Kooperation zwischen DVGW, DWA<br />
und Fachverband Biogas<br />
Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Manuel Maciejczyk<br />
130 Düngeberatung für Biogasanlagen –<br />
aus der Branche für die Branche<br />
Von Sophia Heinze M.Sc. und<br />
Florian Strippel M.Sc.<br />
RECHT<br />
134 Clearingstelle EEG | KWKG<br />
Ergebnisse zur Erneuerung und<br />
Neuinbetriebnahme im EEG 2004<br />
Von Birthe Kaps und Elena Richter<br />
138 Impressum<br />
5
TITELTHEMA<br />
Technik &<br />
Innovation<br />
Biogasverwertung neu gedacht<br />
Feldtest der<br />
ersten Reverion-<br />
Versuchsanlage mit<br />
der Biogasanlage im<br />
Hintergrund.<br />
Ein neuartiges Systemdesign der Startup-Firma Reverion soll die Effizienz und Flexibilität<br />
der Biogasnutzung revolutionieren: Basierend auf einer Festoxid-Brennstoffzelle verdoppelt<br />
es annähernd den elektrischen Wirkungsgrad. Im Revers-Betrieb wird die Brennstoffzelle<br />
zum Elektrolyseur, wodurch sich Wind- und Solarstromüberschüsse als synthetisches<br />
Methan ins Erdgasnetz einspeisen oder für Nutzungen vor Ort speichern lassen.<br />
Von Christian Dany<br />
Das Gewerbegebiet von Eresing in Oberbayern,<br />
in der Nähe des Ammersees gelegen,<br />
kann ein stattliches Öko-Profil vorweisen:<br />
Ein Teil der Betriebe wird von einem Biomasseheizwerk<br />
versorgt. Es gibt hier eine<br />
Solarfirma, einen Lebensmittelhändler mit bekannter<br />
Biomarke – und seit kurzem ein Startup-Unternehmen,<br />
das die Biogasverwertung revolutionieren will:<br />
die Reverion GmbH, eine Ausgründung aus der Technischen<br />
Universität München. Mit Hochtemperatur-<br />
Brennstoffzellen soll perspektivisch ein elektrischer<br />
Wirkungsgrad von 80 Prozent zu erreichen sein. Außerdem<br />
verspricht das neuartige Kreislauf-Systemdesign<br />
der Reverion-Anlage, weitere Energiewende-<br />
Anforderungen zu erfüllen.<br />
„Wir nutzen Feststoffoxidzellen, die sowohl als<br />
Brennstoffzellen zur Stromerzeugung als auch als<br />
Elektrolyseure zur Energiespeicherung betrieben<br />
werden können“, erklärt Dr. Stephan Herrmann, Geschäftsführer<br />
und Erfinder des Prozesses, „die beiden<br />
Betriebsarten ermöglichen durch kurze Umschaltzeiten<br />
eine flexible und schnelle Anpassung an die<br />
Marktbedingungen. Sie stabilisieren die Stromnetze,<br />
indem die Lücke zwischen fluktuierendem Angebot<br />
und hoher Nachfrage geschlossen wird und sorgen für<br />
eine saisonale Energiespeicherung.“<br />
Drei Jahre Entwicklungsarbeit<br />
Herrmann, bis vor kurzem Leiter der Arbeitsgruppe<br />
für Elektrochemische Energiewandlung am Lehrstuhl<br />
für Energiesysteme der TU München in Garching,<br />
hatte die Idee zu dem Kreislauf-Systemdesign im<br />
Rahmen seiner Dissertation entwickelt. Nach drei<br />
Jahren Entwicklungs- und Installationsarbeiten an<br />
der ersten Versuchsanlage schlossen Herrmann und<br />
seine Mitarbeiter Ende letzten Jahres erfolgreich ein<br />
Forschungsprojekt mit einem mehrwöchigen Feldtest<br />
an einer Praxis-Biogasanlage ab. Aus den Mitarbeitern<br />
wurden Hermanns Mitgründer der Reverion<br />
GmbH und mit dem Startup-Unternehmen sollen nun<br />
modulare, standardisierte Container hergestellt werden,<br />
die sich als Nachrüstlösung für Bestandsanlagen<br />
eignen, die aber auch Neuinstallationen wieder<br />
attraktiv machen sollen.<br />
FOTO: REVERION GMBH<br />
46
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
PRAXIS / TITEL<br />
FOTO: CHRISTIAN DANY<br />
Felix Fischer und Jeremias Weinrich<br />
vor einem Schaubild mit dem<br />
Reverion-Systemdesign.<br />
Anhand der ersten Versuchsanlage und<br />
eines Schaubildes erklären Stephan<br />
Herrmann, Felix Fischer und Jeremias<br />
Weinrich von Reverion den Prozess. Am<br />
besten lässt sich die Funktion der Anlage<br />
über den Weg des Gases durch die<br />
Bauteile nachvollziehen. „Die Anlage<br />
ist anschlussfertig konfiguriert, sodass<br />
sie nur eine Strom- und eine Gasleitung<br />
braucht“, beginnt Weinrich. Es gebe eine<br />
klare Schnittstelle zwischen Biogaserzeugung<br />
und der Verwertungseinheit. Das<br />
Biogas komme in den Container und werde<br />
zuerst entfeuchtet und entschwefelt.<br />
„Der Kreislaufprozess besteht im Wesentlichen<br />
aus den drei Hauptkomponenten<br />
Brennstoffzelle, Methanisierungsreaktor<br />
und CO 2<br />
-Abscheidung“, erklärt Fischer<br />
am Schaubild, „die CO 2<br />
-Abscheidung<br />
ist bei uns eine Druckwechseladsorption<br />
(PSA) – eins der gängigen Biomethanaufbereitungsverfahren.<br />
Hier kommt das<br />
gereinigte Biogas zuerst hinein. Im Gegensatz<br />
zu konventioneller Technik mit<br />
etwa 8 bar läuft die CO 2<br />
-Adsorption hier<br />
bei nur 3 bis 4 bar ab.“ Weinrich deutet<br />
auf den Kompressor, der das Gas auf den<br />
erforderlichen Druck bringt. Das im ersten<br />
Prototyp von einem marktbewährten<br />
Hersteller zugekaufte PSA-Modul soll in<br />
Zukunft durch eine optimal an die spezifischen<br />
Prozessbedingungen angepasste<br />
Eigenentwicklung ersetzt werden.<br />
SOFC: Strom durch<br />
Ionenwanderung<br />
Das abgeschiedene Methan strömt in die<br />
Brennstoffzelle. Die Jungunternehmer<br />
verwenden Festoxid-Brennstoffzellen<br />
(SOFC: solid oxide fuel cell, siehe Kasten)<br />
eines europäischen Herstellers, den<br />
die drei (noch) nicht nennen wollen. „Bei<br />
allen marktverfügbaren SOFC liegen die<br />
Leistungen unter 10 Kilowatt elektrischer<br />
Leistung (kW el<br />
) pro Stack (Stapel)“, sagt<br />
Herrmann. Für die Zielgröße der kommenden<br />
Pilotanlage von 100 kW el<br />
werde<br />
also eine hohe Anzahl Brennstoffzellen-<br />
Stacks gebraucht.<br />
„Auf der Anodenseite der Brennstoffzelle<br />
wird das Methan mit Wasserdampf befeuchtet<br />
und auf 650 Grad Celsius (°C)<br />
erwärmt. Es entsteht ein Gas-Dampf-<br />
Gemisch, wobei ein Steam-to-Carbon-<br />
Verhältnis von mindestens 1,6 bis 1,8:1<br />
beachtet werden muss, um Kohlenstoffablagerungen<br />
zu vermeiden“, erläutert<br />
er. Auf der anderen Seite, der Kathode,<br />
werde über ein Gebläse Luft zugeführt.<br />
„Während der Luftstickstoff in dem Prozess<br />
keine Rolle spielt, wandern Sauerstoffionen<br />
durch den Elektrolyten und<br />
oxidieren unser Brenngas.“<br />
Anders als bei konventionellen Brennstoffzellen-Systemen,<br />
die eine Abgas-<br />
Nachverbrennung haben, wandert im<br />
Reverion-Prozess das Restgas aus der<br />
Brennstoffzelle in eine katalytische<br />
Methanisierung. Fischer zufolge durchströme<br />
das Gas hier eine Schüttung aus<br />
„Katalysatorkügelchen“ in einem<br />
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PRAXIS / TITEL Biogas Journal | 6_<strong>2022</strong><br />
Schematische Darstellung einer Feststoffoxid-Brennstoffzelle<br />
SOFC: blau die Stromerzeugung, orange der Elektrolysemodus<br />
(H 2<br />
bzw. CH 4<br />
-Produktion).<br />
Container mit der<br />
Reverion-Anlage von<br />
außen.<br />
Festbettreaktor, wodurch es gewissermaßen aufbereitet<br />
und dem frischen Biogas wieder zugemischt<br />
werde: „Durch diese spezielle, patentierte Systemschaltung<br />
haben wir kein Abgas mehr – bis auf das<br />
abgeschiedene CO 2<br />
. Der gesamte Kohlenstoff aus<br />
dem Biogas liegt als CO 2<br />
in Reinform vor und könnte<br />
auch einer Nutzung zugeführt werden. Wir generieren<br />
also ein zusätzliches Produkt.“<br />
„Im Prozess wird auch bei weitem nicht der gesamte<br />
intern erzeugte Wasserdampf benötigt“, fährt Weinrich<br />
fort. Beim ersten Versuchsanlagen-Container<br />
mit 10 kW el<br />
SOFC-Leistung sei der Dampfüberschuss<br />
noch über einen Notkühler auf dem Dach „entsorgt“<br />
worden, weil in dieser Größenordnung die Wärmeauskopplung<br />
nicht lohnte. Dagegen solle beim zweiten<br />
Prototyp die Wärme für eine externe Nutzung bereitgestellt<br />
werden. „Die Reverion-Technologie verfügt<br />
über getrennte Kreisläufe zur Wasserdampferzeugung<br />
und zur Kühlung. Wir haben keine rotierenden<br />
Teile und keine Verbrauchsmaterialien“, fasst der<br />
Physiker zusammen, „das Design ist eine passive<br />
Aneinanderkettung von stationären Bauteilen. Die<br />
Innovation liegt in dem geschickten Zusammenspiel<br />
durch das neue Prozessdesign.“<br />
Wirkt der Kreislauf-Prozess schon ziemlich clever,<br />
kommt der Clou erst noch: der „Rückwärtsbetrieb“<br />
der Brennstoffzelle. „Sie arbeitet entweder als Stromerzeuger<br />
oder als Elektrolyseur – je nachdem, wieviel<br />
Spannung wir anlegen. Das lässt sich auf Knopfdruck<br />
sozusagen umpolen“, lässt Fischer einblicken. Nach<br />
der Umschaltung dauere es etwa eine Minute, bis das<br />
Gas durch den Prozess gelaufen und an der Brennstoffzelle<br />
die richtige Zusammensetzung angekommen<br />
sei.<br />
„Im Elektrolysemodus erzeugen wir aus Wasserdampf<br />
H 2<br />
. Der Sauerstoff wird abgespalten. Wir können in<br />
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BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
PRAXIS / TITEL<br />
Die Festoxid-Brennstoffzelle SOFC (solid oxide<br />
fuel cell) wird bei hohen Temperaturen von<br />
600 bis 1.000 Grad Celsius betrieben. Davon zu<br />
unterscheiden ist die PEM-FC (Proton Exchange<br />
Membrane Fuel Cell) im Niedertemperaturbereich<br />
von 60 bis 70 Grad Celsius. Letztere wird<br />
auch als Polymerelektrolyt-Brennstoffzelle<br />
bezeichnet, weil bei ihr eine Polymermembran<br />
als Elektrolyt dient. Die SOFC arbeitet dagegen<br />
mit einem Elektrolyt aus fester Keramik, der für<br />
Sauerstoffionen durchlässig ist, aber für Elektronen<br />
isolierend wirkt. Die Ionenwanderung<br />
sorgt für einen Stromfluss, außerdem wird bei<br />
dem Vorgang Wärme abgegeben. Während die<br />
SOFC die Brenngase H 2<br />
, CH 4<br />
und CO verwerten<br />
kann, muss der PEM-FC reiner Wasserstoff<br />
zugeführt werden. Mit einem elektrischen Wirkungsgrad<br />
zwischen 60 und 70 Prozent erreicht<br />
die SOFC eine höhere Effizienz als die PEM-FC<br />
mit circa 40 Prozent. Bei einem Großteil der<br />
bislang entwickelten Festoxid-Brennstoffzellen<br />
SOFC: ein Energiewende-Joker?<br />
wird Yttrium-stabilisiertes Zirkonoxid als Material<br />
für den Keramik-Elektrolyten verwendet. Der<br />
Zelltyp nennt sich NiO-YSZ wegen Nickeloxid als<br />
Anodenmaterial. „Das Problem bei SOFC war<br />
bislang die Langzeitstabilität, da aufgrund der<br />
hohen Temperaturen die Degradation sehr stark<br />
war“, sagt Felix Fischer von Reverion. Doch inzwischen<br />
habe sich in der Technik viel getan. Er<br />
rechnet mit fünf Jahren Lebensdauer, wobei laufende<br />
Entwicklungen mit metallgestützten Keramik-Zellen<br />
bald zehn Jahre erlauben sollen. In<br />
der Brennstoffzellen-Technologie sieht er großes<br />
Potenzial; auch was Kostensenkungen betrifft,<br />
denn der reine Materialwert mache in der Regel<br />
nur einen Bruchteil der Gesamtkosten aus.<br />
Durch den reversiblen Betrieb werden SOFC<br />
interessant für den Power-to-Gas-Prozess.<br />
Hier ermöglichen sie höhere Strom-zu-Strom-<br />
Wirkungsgrade als mit herkömmlicher Technik.<br />
Revers arbeitende SOFC werden SOEC<br />
(Festoxid-Elektrolyseurzelle, englisch: solid<br />
oxide electrolyzer cell) genannt. Vor allem in<br />
Asien wird die Entwicklung von SOFC und SOEC<br />
vorangetrieben. Die Hersteller und Entwickler<br />
aus dem europäischen Ausland lassen sich<br />
an einer Hand abzählen: Elcogen aus Estland,<br />
Ceres Power aus Großbritannien, Saint Gobain,<br />
Glas- und Keramikkonzern aus Frankreich, IEn,<br />
ein halbstaatliches Institut aus Polen, und Hexis<br />
aus der Schweiz.<br />
In Deutschland gibt es Solidpower aus Heinsberg,<br />
Sunfire aus Dresden und ebenfalls in<br />
Dresden die mPower GmbH, deren Muttergesellschaft<br />
mit der h2e Power Systems ein indisches<br />
Hightech-Unternehmen ist. Allerdings<br />
will Bosch bis 2024 in die Serienproduktion von<br />
SOFC einsteigen und dafür auf die Technologie<br />
des britischen Kooperationspartners Ceres Power<br />
zurückgreifen. In Bamberg, Salzgitter, Wernau<br />
und Homburg sollen Produktionslinien mit<br />
einer Gesamtleistung von 200 Megawatt pro<br />
Jahr aufgebaut werden.<br />
der Elektrolyse CO 2<br />
aus der Abscheidung zugeben,<br />
um ein Gemisch aus H 2<br />
und CO zu erzeugen – ein perfektes<br />
Gas für die Methanisierung. Im vorhandenen<br />
Reaktor entsteht dann wieder ein Gemisch aus Wasserdampf,<br />
CO 2<br />
und diesmal einem hohen Methangehalt,<br />
das dem Kreislauf zugeführt wird.“<br />
Laut Fischer sei es im reversiblen Betrieb möglich,<br />
das Methan auf verschiedene Arten zu verwenden –<br />
entweder zur Einspeisung ins Erdgasnetz oder zur<br />
lokalen Speicherung, um später größere Mengen<br />
Methan zu verstromen oder Fahrzeuge und Landmaschinen<br />
anzutreiben. „Dann hat man die vollständige<br />
Wertschöpfungskette von Biogas auf seinem<br />
Hof. Man nimmt CO 2<br />
aus dem Biogas, was bis jetzt<br />
ja immer Abfall ist, und Überschussstrom aus dem<br />
Netz und wandelt das in Methan um. Wir haben flexibel<br />
die Möglichkeit, entweder Methan oder ‚grünen‘<br />
Wasserstoff zu erzeugen. Wenn sich die H 2<br />
-Wirtschaft<br />
entwickelt und es irgendwann lokale H 2<br />
-Tankstellen<br />
gibt, muss nur ein Ventil umgeschaltet werden, um zu<br />
bestimmen, welches Produkt man haben will.“<br />
Im Elektrolysemodus kann die Anlage die<br />
Biomethan – langfristig flexibel.<br />
Egal, wie die Absatzströme sich ändern – Biomethan<br />
wird auch zukünftig der flexibelste und<br />
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PRAXIS / TITEL Biogas Journal | 6_<strong>2022</strong><br />
Luis Poblotzki an den<br />
Bildschirmen der<br />
Anlagensteuerung für<br />
die erste Versuchsanlage.<br />
zweieinhalbfache Leistung aufnehmen: Die Brennstoffzelle<br />
mit 100 kW el<br />
braucht als Elektrolyseur im<br />
Volllastbetrieb also 250 kW el<br />
. „Falls das Methan eingespeist<br />
wird, gilt es als ‚Speichergas‘, weil es synthetisch<br />
erzeugt wurde“, erklärt Fischer. Neben dem<br />
Strompreis richte sich die Anlagensteuerung dann<br />
auch nach dem Preis für regeneratives Methan. Perspektivisch<br />
solle die Anlage aber<br />
für die Strom-Direktvermarktung<br />
optimiert werden: Je nach Strompreis<br />
könne sie Strom erzeugen<br />
oder Strom aus dem Netz aufnehmen,<br />
um Methan oder Wasserstoff<br />
zu produzieren.<br />
„Die Anlage lässt sich zyklisch<br />
fahren und zum Beispiel für zwei<br />
bis drei Stunden täglich reversibel<br />
betreiben“, erläutert Weinrich<br />
die Möglichkeiten, „bei Zugang<br />
zum Erdgasnetz wird sie zum saisonalen<br />
Speicher: Man erzeugt<br />
tagsüber Gas und nachts Strom,<br />
wobei im Winter die Stromerzeugungsperioden<br />
dann länger<br />
werden können.“ Und Herrmann<br />
wirft ein: „Übers Jahr gesehen<br />
rechnen wir für etwa die Hälfte der Zeit mit Elektrolysebetrieb.“<br />
Das Einsatzprofil der Anlage sei jedoch maximal flexibel<br />
und könne an die Präferenzen des Betreibers und<br />
Bedingungen am Standort angepasst werden. Eine<br />
weitere Option sei, mit der Reverion eine Biomethan-<br />
Anlage nachzurüsten. Dann wäre eins der drei Bau-<br />
FOTOS: REVERION GMBH<br />
50
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
PRAXIS / TITEL<br />
FOTO: CHRISTIAN DANY<br />
teile, die CO 2<br />
-Abscheidung, schon da; genauso wie<br />
eine Einspeiseanlage. Die Reverion-Anlage könnte<br />
die Biomethananlage mit Eigenstrom versorgen.<br />
Momentan arbeitet die Startup-Firma am<br />
Aufbau des zweiten Prototyps. Fischer<br />
zufolge habe mit dem ersten Prototyp<br />
die Funktion des Systems mit Biogas<br />
in einem Feldtest über 1.500<br />
Betriebsstunden bestätigt werden<br />
können. Die erste Anlage<br />
sei mit kleineren Brennstoffzellen<br />
aus China auf eine SOFC-<br />
Leistung von 10 kW el<br />
gekommen.<br />
Mit der zweiten Anlage werde nun<br />
die Leistung mit einem europäischen<br />
Brennstoffzellen-Fabrikat auf 100 kW el<br />
erhöht und eine Wärmeauskopplung aufgebaut.<br />
„Wir kondensieren den bei der Verstromung<br />
entstehenden Dampf und haben dadurch eine Brennwertnutzung“,<br />
erläutert Herrmann, „auf Heizwert-<br />
Basis erreichen wir mit der Wärmeauskopplung einen<br />
Gesamt-Wirkungsgrad von rund 100 Prozent.“<br />
Die dritte wesentliche Weiterentwicklung betreffe die<br />
Anlagensteuerung: „Zwar läuft der Kreislauf-Prozess<br />
schon vollautomatisch, aber die Anlage soll künftig<br />
auf externe Signale, zum Beispiel von virtuellen<br />
„Sie hat immer<br />
etwas Sinnvolles zu tun.“<br />
Dr. Stephan Herrmann<br />
Kraftwerken, reagieren und selbstständig<br />
von Stromerzeugung auf Stromverbrauch zur<br />
Gasproduktion wechseln können“, erklärt Herrmann.<br />
Während bei der herkömmlichen Flexibilisierung von<br />
Biogasanlagen die Gasverwertung zu gewissen Zeiten<br />
stillstehe, solle die Reverion-Anlage immer durchlaufen,<br />
denn: „Sie hat immer etwas Sinnvolles zu tun.“<br />
Der Anlagenbetreiber könne auch in die Steuerung<br />
eingreifen, zum Beispiel um auf Gaserzeugung zu<br />
schalten, wenn die Ernte anstehe und er seinen Gas-<br />
Traktor betanken wolle. Denkbar sei auch, mit<br />
Dr. Stephan Herrmann,<br />
Geschäftsführer<br />
der Reverion<br />
GmbH, vor einer<br />
Abkantpresse in der<br />
Halle am neuen Firmenstandort<br />
Eresing.<br />
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51
PRAXIS / TITEL Biogas Journal | 6_<strong>2022</strong><br />
Neuer Firmensitz der Reverion<br />
GmbH in Eresing.<br />
Die Entwickler der<br />
Reverion-Anlage<br />
und Gründer der<br />
Reverion GmbH, von<br />
links: Felix Fischer,<br />
Jeremias Weinrich, Dr.<br />
Stephan Herrmann,<br />
Luis Poblotzki und<br />
Maximilian Hauck.<br />
eigenem Photovoltaikstrom in der Mittagszeit Methan<br />
zu erzeugen. „Kunden, die autark sein wollen, stehen<br />
bei uns stark im Fokus“, ergänzt Fischer.<br />
Genau in diese Richtung soll es bei dem geplanten<br />
Demonstrationsbetrieb mit der hochskalierten Anlage<br />
gehen: Ab April 2023 stehen Testläufe im Bioenergiedorf<br />
Schäferei in der Oberpfalz auf dem Programm.<br />
Dort betreiben sechs Landwirte eine Gemeinschafts-<br />
Biogasanlage mit 950 kW el<br />
. Die „Macher“ von Bayerns<br />
erstem Bioenergiedorf versorgen bereits ihre<br />
150-Einwohner-Ortschaft und ein Nachbardorf mit<br />
Wärme und betreiben eine Photovoltaikanlage am<br />
Biogas-Standort. Nun wollen sie mit der Reverion-<br />
Anlage einen neuen Ansatz testen, selbst erzeugtes<br />
Gas im Dorf nutzen zu können. Laut Herrmann ist vorgesehen,<br />
die Container-Installation bis Januar 2023<br />
fertigzustellen, sie in Eresing zu testen und dann<br />
nach Schäferei zu transportieren.<br />
Von 5 auf 33 Mitarbeiter<br />
Noch finden einige „Hardware“-Arbeiten am TUM-<br />
Campus in Garching statt. In der Halle am Firmenstandort<br />
Eresing wird gerade die Werkstatt<br />
ausgestattet. Herrmann zeigt eine kürzlich<br />
angelieferte Abkantpresse. Den Übergang<br />
von der Uni zur Firma fördert das Bundeswirtschaftsministerium<br />
über das Programm<br />
Exist. Zum bisherigen Entwickler-Team als<br />
auch zum fünfköpfigen Reverion-Gründerteam<br />
gehören noch Maximilian Hauck und<br />
Luis Poblotzki. Mittlerweile beschäftigt Reverion<br />
schon 25 Mitarbeiter, acht weitere<br />
sind bereits für Anfang 2023 eingestellt.<br />
Zur Finanzierung der Gründungsphase<br />
konnten mehrere Risikokapitalgeber gefunden<br />
werden. Größter Geldgeber ist die<br />
Extantia Capital aus Berlin, die in nachhaltige<br />
Technologien investiert. Entsprechend<br />
ihres Engagements erhielten die<br />
Investoren Stimmrechts-Anteile an der<br />
Reverion GmbH. Beteiligt ist auch der<br />
Münchner Biomethanhändler Landwärme<br />
GmbH. „Für sie ist es ein strategisches Investment,<br />
denn unser Produkt ergänzt ihre<br />
Wertschöpfungskette“, schildert Fischer.<br />
Noch als Studenten und Wissenschaftler<br />
der TU München gewannen die Reverion-<br />
Gründer letztes Jahr beim Studentenwettbewerb<br />
X-Prize Carbon Removal, der durch<br />
die Stiftung des Tesla-Gründers Elon Musk<br />
finanziert wird, eine Anschubförderung<br />
von 250.000 US-Dollar. Risikokapital,<br />
Preis- und Fördergelder zusammengenommen<br />
stehen dem Startup-Unternehmen<br />
somit insgesamt über 7 Millionen Euro für<br />
die Skalierung ihrer Technologie auf eine<br />
marktreife Größe zur Verfügung.<br />
Fischer und Herrmann hatten zuletzt mehrere öffentliche<br />
Auftritte. Auf der Energy Decentral in Hannover<br />
soll die Technologie erstmals einem größeren Publikum<br />
vorgestellt werden. „Wir nehmen ab jetzt auch<br />
Vorbestellungen an“, eröffnet Fischer, „allerdings<br />
sind wir mit unseren begrenzten Kapazitäten fürs<br />
nächste Jahr schon ausgebucht. Die Anlage könnte<br />
also frühestens 2024 geliefert werden und bis dahin<br />
können wir kein konkretes Preisangebot machen.“<br />
Herrmann nennt als grobe Prognose einen Betrag im<br />
hohen sechsstelligen Bereich, den eine 100-kW el<br />
-<br />
Reverion-Anlage im anschlussfertigen Container<br />
kosten soll.<br />
Autor<br />
Christian Dany<br />
Freier Journalist<br />
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FOTOS: OBEN_ CHRISTIAN DANY , UNTEN_REVERION GMBH<br />
52
PRAXIS<br />
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
Blick auf das Gelände der Zentraldeponie<br />
Cröbern. In der Bildmitte<br />
die Gasspeicher der KEA, dahinter<br />
der „Mount Cröbern“.<br />
Biogas plus Kompost<br />
für die Kippenböden<br />
In zwei Jahren Bauzeit entstand im sächsischen Störmthal für rund 25 Millionen (Mio.) Euro eine der<br />
deutschlandweit modernsten Anlagen zur Aufbereitung und energetischen Nutzung von organischen<br />
Abfällen. Durch das automatisierte Zusammenspiel von Fermentations- und Rotteprozessen ergibt sich<br />
für die Bergbaufolgelandschaft im Leipziger Südraum nach Aussage der Betreiber ein mehrfacher Klimaschutzgewinn.<br />
Denn neben CO 2<br />
-neutralem, regenerativem Biogas entstehe hochwertiger Kompost und<br />
Flüssigdünger. Damit lasse sich das Kohlenstoff-Speichervermögen auf den umliegenden Kippenböden<br />
verbessern und energieaufwändig hergestellter Industriedünger für die Pflanzenproduktion einsparen.<br />
Von Dipl.-Journ. Wolfgang Rudolph<br />
Südlich von Leipzig erhebt<br />
sich auf einer Grundfläche<br />
von sieben Fußballfeldern ein<br />
gut 70 Meter hoher Berg. Die<br />
von Einheimischen scherzhaft<br />
als „Mount Cröbern“ bezeichnete<br />
Erhebung besteht komplett aus Müll.<br />
Auf der Zentraldeponie Cröbern, so der<br />
Blick vom „Mount Cröbern“ auf die Tagebauseen vor den Toren von<br />
Leipzig. Der Abraumbagger links gehört zu einem Freiluftmuseum.<br />
amtliche Name, landete bis zur Inbetriebnahme<br />
einer mechanisch-biologischen<br />
Abfallbehandlungsanlage (MBA), was die<br />
860.000 Einwohner der Region in die<br />
schwarze Tonne warfen.<br />
Seit 2005, dem Start der kompletten<br />
stoffspezifischen Aufbereitung des Hausmülls,<br />
gelangen nur noch mineralische<br />
Abfälle wie Asbest, Schlacken<br />
und belastete Böden<br />
auf die Deponie. Die Bezeichnung<br />
Cröbern erinnert<br />
an eines der vom Kohlebergbau<br />
verschluckten Dörfer<br />
in der Region. Während<br />
sich ab den 1990er Jahren<br />
die Tagebaurestlöcher mit<br />
Wasser füllten und das Erholungsgebiet<br />
Neuseenland<br />
entstand, wuchs auf dem<br />
Kippengelände der inzwischen<br />
zu Teilen begrünte<br />
Deponieberg. Bewirtschaftet<br />
wird die Zentraldeponie<br />
Cröbern von der Westsächsischen Entsorgungs-<br />
und Verwertungsgesellschaft mbH<br />
(WEV), einem Unternehmen des von der<br />
Stadt und dem Landkreis Leipzig gegründeten<br />
Zweckverbandes Abfallwirtschaft<br />
Westsachsen (ZAW).<br />
Auf das Gelände am Fuße des „Mount<br />
Cröbern“ hatten WEV und ZAW im Juli<br />
dieses Jahres zu einem Bürgerfest eingeladen.<br />
Anlass war die weitgehende Fertigstellung<br />
der Kompost- und Energieanlage<br />
(KEA). Nach Abschluss der Inbetriebnahmephase<br />
sollen sich in dem Komplex<br />
jährlich bis zu 42.000 Tonnen über die<br />
Biotonne erfasster organischer Abfall in<br />
rund 3,8 Mio. Kubikmeter Biogas für die<br />
Verstromung sowie in zirka 15.000 Tonnen<br />
(t) hochwertigen Kompost und 2.500<br />
t Flüssigdünger umwandeln.<br />
„Nachdem vor zwei Jahren auch der Landkreis<br />
die in der Stadt Leipzig traditionell<br />
praktizierte gesonderte Sammlung von<br />
Bioabfällen einführte und sich der ZAW<br />
für eine regionale Verarbeitung ausge-<br />
FOTOS: CARMEN RUDOLPH<br />
80
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
PRAXIS<br />
Mit dem Befüllen des langsamlaufenden Zweiwellenzerkleinerers in der<br />
Annahmehalle startet der Prozess der Bioabfallverwertung.<br />
Befüllung eines Boxenfermenters mit Bioabfall, während in der<br />
dahinterliegenden Rottehalle gerade eine Box entleert wird.<br />
sprochen hatte, lag es nahe, die entsprechende<br />
Anlage auf dem Gelände der Zentraldeponie<br />
zu errichten. Schließlich war<br />
hier durch die MBA schon viel an notwendiger<br />
Infrastruktur wie Annahmehalle,<br />
Waage oder Sozialgebäude vorhanden“,<br />
begründet WEV-Geschäftsführer Bernd<br />
Beyer die Standortwahl.<br />
Boxenfermenter statt<br />
Pfropfenströmer<br />
In Abgrenzung zur MBA sei aber von Anfang<br />
an klar gewesen, dass mit der neuen<br />
Anlage sowohl Energie als auch hochwertiger<br />
Kompost zur Verbesserung der<br />
landwirtschaftlich genutzten Kippenböden<br />
erschlossen werden sollte. „Deshalb<br />
verwarfen wir während der Planung den<br />
zunächst vorgesehenen Propfenstromreaktor<br />
und entschieden uns, trotz der damit<br />
verbundenen geringeren Gasausbeute,<br />
für eine kombinierte Verwertung aus<br />
Boxenfermentation und Intensivrotte“,<br />
informiert der 56-jährige Diplomingenieur<br />
für technischen Umweltschutz.<br />
Grund sei die bei diesem Verfahren weniger<br />
starke mechanische Beanspruchung<br />
des Inputs. Insbesondere spröde Kunststoffe,<br />
etwa Blumentöpfe oder Einwegbesteck,<br />
würden dadurch nicht so stark<br />
zerkleinert und ließen sich besser aussieben.<br />
In den Analysen der ersten Kompostchargen<br />
habe sich dies bestätigt. Der<br />
ermittelte Flächenanteil an Fremdstoffen<br />
liege deutlich unter dem Grenzwert der<br />
Bundes-Gütegemeinschaft Kompost.<br />
Demnach darf die Fläche der aus einem<br />
Liter Kompost heraussortierten Schnipsel<br />
aus Plastik oder Metall zusammengefügt<br />
maximal eine Fläche von 15 Quadratzentimetern<br />
(etwa die Größe einer Scheckkarte)<br />
ergeben. Dazu trage auch der<br />
BioMethan-Aminwäsche:<br />
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Da geht nichts drüber: Geringster Methanschlupf (< 0,1 %) und Stromverbrauch,<br />
höchste Wirtschaftlichkeit bzw. Verfügbarkeit und die beste THG-Quote unter den<br />
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81
PRAXIS<br />
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
Herausforderungen beim<br />
Bau der KEA gemeistert<br />
Verfahrensgeber für die KEA ist die Herhof<br />
GmbH aus Solms, die wesentliche Lose gemeinsam<br />
mit der Finsterwalder Bau-Union<br />
(FBU) in einer Bau-Arbeitsgemeinschaft<br />
(ARGE) realisierte. Neben dem Mangel an<br />
Fachkräften sowie Lieferengpässen und Kostensteigerungen<br />
insbesondere bei Dämmstoffen<br />
mit der geforderten Schutzklasse und<br />
Elektronikbauteilen für die Automatisierung<br />
benennt deren Technischer Leiter Markus Witzstrock<br />
die Umsetzung der hohen Sicherheitsstandards,<br />
die sich aus der TRAS 120, dem<br />
technischen Regelwerk für Anlagensicherheit,<br />
ergeben, als Herausforderungen beim Bau der<br />
KEA Cröbern. Letztlich habe man aber in der<br />
ARGE und in Kooperation mit den weiteren<br />
beteiligten Unternehmen alle Probleme lösen<br />
können.<br />
Text: Wolfgang Rudolph<br />
insgesamt relativ niedrige Störstoffanteil<br />
im Sammelgut bei. „Die Infokampagnen,<br />
Aufkleber auf den Behältern und bei<br />
sichtbar vernachlässigter Trennung auch<br />
mal das Stehenlassen der Biotonne und<br />
deren spätere Abholung als kostenpflichtige<br />
Sondertour mit dem Müllauto haben<br />
sich ausgezahlt“, zeigt sich Recyclingexperte<br />
Beyer mit dem angelieferten Input<br />
zufrieden.<br />
Wie aus dem Rohstoff Bioabfall in der<br />
KEA die angestrebten nachhaltigen Produkte<br />
entstehen, erläutert Betriebsleiter<br />
Thomas Weigold bei einer Führung durch<br />
die Anlage, Der 35-jährige Ingenieur für<br />
Energie- und Umwelttechnik hat schon<br />
während seines Studiums an der HTWK<br />
Leipzig als Werkstudent auf dem Deponiestandort<br />
Cröbern gearbeitet und sich<br />
in seiner Bachelor- als auch in der Masterarbeit<br />
mit Themen zur Abfallaufbereitung<br />
befasst.<br />
Schonender Aufschluss des<br />
Biomülls am Anfang<br />
Alles beginnt in der zentralen Annahmehalle.<br />
Hier entladen auch die Spezialfahrzeuge<br />
für die Biotonne in einem gesonderten<br />
Bereich ihre Fracht. Nach dem<br />
schonenden Aufschluss in einem langsam<br />
laufenden Zweiwellenzerkleinerer bewegt<br />
Biogas Journal 210x140<br />
sich der Bioabfall auf einem Förderband<br />
zur Fermenterhalle. Bei diesem ersten<br />
Prozessschritt werden auch Kunststoffsäcke<br />
aufgerissen und Eisenteile mittels<br />
Elektromagneten aus dem Stoffstrom<br />
entfernt.<br />
In der Fermenterhalle dominieren die<br />
seitlich in einer Reihe angeordneten zehn<br />
großen Stahltüren. Dank einer aufblasbaren<br />
Dichtung sorgen sie während der<br />
dreiwöchigen Vergärung für den hermetischen<br />
Verschluss der dahinterliegenden<br />
30 Meter langen und gut 5 Meter breiten<br />
Garagenfermenter. Nach dem Befüllen<br />
der Boxentunnel mit jeweils etwa 250 t<br />
Biomasse vollzieht sich die anaerobe Umsetzung<br />
des organischen Materials hinter<br />
verschlossenen Türen.<br />
Die Vergärung wird durch Animpfen mit<br />
gegebenenfalls vorgewärmten Perkolat<br />
in Gang gesetzt und durch fortlaufende<br />
Berieselung bei einer in der Regel durch<br />
Selbsterwärmung erreichbaren Betriebstemperatur<br />
von 42 Grad Celsius (°C) aufrechterhalten.<br />
Das mit Bakterien angereicherte<br />
Perkolat kommt aus einem knapp<br />
800 Kubikmeter fassenden Tank, in<br />
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BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
PRAXIS<br />
Die Rottetunnel gleichen in Größe und Form den Boxenfermentern.<br />
Die Zuführung der Frischluft erfolgt über Düsen im Boden.<br />
Der getrocknete und hygienisierte Frischkompost wird in den Dosierbunker<br />
eines Kratzkettenförderers mit Dekompaktierwalze gefüllt.<br />
Aufsetzen einer Miete aus Frischkompost für die zwei- bis<br />
dreiwöchige Nachrotte auf der Kompostfläche.<br />
Da beim Aufsetzen der Mieten mit dem noch ungesiebten Kompost leichte<br />
Folienschnipsel vornehmlich oben liegen bleiben, sieht es nach mehr Störstoffen<br />
aus, als tatsächlich enthalten sind.<br />
Letzter Schritt ist die Siebung des Fertigkomposts mit dem<br />
Trommelsieb. Am günstigsten erwies sich in den Tests eine<br />
Maschenweite von 15 Millimetern.<br />
Anlagenleiter Thomas Weigold entnimmt eine<br />
Probe aus dem gesiebten Fertigkompost.<br />
Der fertige Kompost ist holzig, strukturreich<br />
und enthält nahezu keine Fremdstoffe.<br />
In den Containern befinden sich Pumpen und Verteiler sowie der Wärmetauscher für die<br />
Hygienisierung des als Flüssigdünger einsetzbaren überschüssigen Perkolats. Dahinter<br />
die Behälter für Perkolat (blau) und Flüssigdünger (schwarz).<br />
Auf dem Dach über den Fermenterboxen befinden<br />
sich die Speicher für das Gutgas (links) und<br />
das Schwachgas.<br />
83
PRAXIS<br />
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
Nach der Auswaschung des Ammoniaks<br />
durchströmt die Abluft aus der KEA<br />
großflächige Biofilter zur Entfernung<br />
von Gerüchen und CO 2<br />
.<br />
dem sich die Sickerlauge von vorangegangenen<br />
Batchprozessen sammelt.<br />
„Idealerweise arbeiten immer neun Boxen,<br />
während in einer der Materialumschlag<br />
erfolgt“, sagt Weigold. Dieses<br />
System der Befüllung und Entleerung sei<br />
auch deshalb vorteilhaft, weil sich in der<br />
Startphase der Fermentation zunächst<br />
Biogas mit einem niedrigen Methangehalt<br />
bildet. Durch die Vermischung mit<br />
höher kalorischem Biogas aus den weiter<br />
fortgeschrittenen Gärprozessen in den<br />
parallel laufenden Garagenfermentern<br />
erhöhe sich die Menge an Gutgas, das als<br />
Kraftstoff für die Verstromung in den beiden<br />
Blockheizkraftwerken (BHKW) mit je<br />
1.125 Kilowatt elektrischer Leistung verwertbar<br />
ist.<br />
Darüber hinaus anfallendes Schwachgas<br />
mit einem Methangehalt unter 20 Prozent<br />
wird abgefackelt. „Wir arbeiten aber<br />
daran, künftig auch mehr Schwachgas<br />
zu nutzen, beispielsweise für die thermische<br />
Behandlung der Abluft aus der<br />
mechanisch-biologischen Aufbereitung<br />
des Hausmülls“, verweist der Anlagenchef<br />
auf Bestrebungen zur weiteren Optimierung.<br />
Nach dem Biogasprozess in den<br />
Rottetunnel<br />
Die ausgegorene Biomasse transportieren<br />
Radlader in den angrenzenden Hallenbereich.<br />
Die von dort zugänglichen acht Rottetunnel<br />
gleichen in Größe und Form den<br />
Garagenfermentern und sind ebenfalls<br />
mit Stahltüren verschließbar. Die Befüllung<br />
der Boxen mit dem Radlader erfolgt<br />
unter gelegentlicher Zugabe von Material<br />
aus dem Überlauf der nachfolgenden<br />
Siebung. Denn in diesem nunmehr umgekehrten,<br />
aeroben Prozessschritt soll von<br />
unten zugeführte Luft durch das locker<br />
aufgeschichtete Haufwerk strömen können.<br />
Das Sauerstoffangebot bewirkt eine<br />
intensive Rotte aufgrund der sich nun<br />
explosionsartig vermehrenden aerophilen<br />
Mikroben.<br />
Die damit einhergehende Erwärmung bewirkt<br />
zugleich eine Entfeuchtung sowie<br />
die Hygienisierung. Letzteres erfordert<br />
beispielsweise die Aufrechterhaltung ei-<br />
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84
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
PRAXIS<br />
„Riecht frisch und erdig.<br />
Fühlt sich krümelig an und<br />
enthält nahezu keine<br />
Störstoffe“<br />
Thomas Weigold<br />
ner Temperatur von mindestens 60 °C<br />
über einen Zeitraum von sieben Tagen.<br />
Trocknungsgrad und Hygienisierungsfortschritt<br />
werden in der Abluft gemessen<br />
und aufgezeichnet. Sollte die Selbsterhitzung<br />
im Haufwerk nicht ausreichen,<br />
lässt sich die Zuführluft mit den BHKW-<br />
Abgasen vorwärmen.<br />
Nach einer Verweilzeit im Rottetunnel<br />
von zwei bis drei Wochen wird der auf<br />
eine Restfeuchte von 35 bis 38 Prozent<br />
getrocknete Frischkompost entnommen<br />
und in den auf der gegenüberliegenden<br />
Hallenseite montierten Dosierbunker eines<br />
Kratzkettenförderers mit Dekompaktierwalze<br />
gefüllt. Von dort bewegt er sich<br />
auf einem Förderband zum Kompostlagerplatz<br />
für die zwei- bis dreiwöchige<br />
Nachrotte. Auf der künftig teilüberdachten<br />
Betonfläche mit den aufgeschichteten<br />
Mieten befindet sich das Trommelsieb<br />
zum Aussieben der Fremdstoffe. In der<br />
Erprobung ist derzeit eine Siebmaschenweite<br />
von 15 Millimetern.<br />
„Die Herausforderung beim Zusammenspiel<br />
der Prozessphasen besteht darin,<br />
bei der Vergärung viel Biogas für die Verstromung<br />
zu erzeugen, aber noch genügend<br />
Organik für die intensive Rotte zu<br />
belassen, so dass Trocknung und Hygienisierung<br />
durch Selbsterwärmung erzielt<br />
werden und bei nicht zu langer Nachrotte<br />
Kompost mit dem Rottegrad IV bis V entsteht.<br />
Das gelingt uns mit jedem Durchlauf<br />
etwas besser“, sagt Weigold. Dabei<br />
entnimmt er dem Haufen eine Handvoll<br />
gesiebten Fertigkompost, riecht daran<br />
und zerbröselt die Probe zwischen Fingern<br />
und Daumen. „Riecht frisch und<br />
erdig. Fühlt sich krümelig an und enthält<br />
nahezu keine Störstoffe“, stellt er zufrieden<br />
fest.<br />
Der Qualitätskompost sowie der als Flüssigdünger<br />
nutzbare Überschuss an Perkolat<br />
aus der anaeroben Vergärung könnte<br />
also demnächst die Fruchtbarkeit der<br />
umliegenden Ackerböden erhöhen und<br />
so den Hinterlassenschaften des klimaschädlichen<br />
Braunkohletagebaus nachträglich<br />
einen Ökobonus abtrotzen. „Ein<br />
halbes Dutzend Agrarbetriebe, die zum<br />
Teil auf Kippenböden mit niedrigen Bodenwerten<br />
wirtschaften, sind interessiert.<br />
Sie haben bereits den Fertigkompost in<br />
der Anlage begutachtet und es gibt Gespräche<br />
mit der WEV“, berichtet Yvonne<br />
Kern, Geschäftsführerin des Kreisbauernverbandes<br />
Borna Geithain Leipzig e.V.<br />
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Dipl.-Journ. Wolfgang Rudolph<br />
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85
WISSENSCHAFT<br />
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
Foto 1: Biogasanlage Grabsleben mit angeschlossener Turbomaische.<br />
Turbomaische: Erfahrungen mit einer<br />
Pilotanlage – biologische Vorbehandlung<br />
von Stroh und Mist<br />
Im Forschungs- und Entwicklungsvorhaben „Effizientes Biogas aus biologisch behandeltem<br />
Stroh (EBBBS)“ wurde eine Pilotanlage zur biologischen Vorbehandlung von Getreidestroh<br />
und Mist am Standort der Biogasanlage Grabsleben errichtet und betrieben. Ziel<br />
war es, das „Turbomaische“-Verfahren im großtechnischen Maßstab zu erproben und das<br />
Potenzial des Verfahrens für Ertragssteigerungen zu bewerten.<br />
Von Oliver Viertmann, Frank Scholwin, Johan Grope, Jens Strahl, Ulrich Spitzner, Petra Rabe,<br />
Thomas Balling, Dennis Plock, Angelika Konold-Schürlein, Steven Pulla<br />
Das Verfahren wurde durch die Firma<br />
BIONOVA GmbH entwickelt, von MTM-<br />
Anlagenbau GmbH im Pilotmaßstab umgesetzt<br />
und in den Anlagenbestand der<br />
Biogasanlage Grabsleben integriert. Die<br />
Firma Phytobiotics Futterzusatzstoffe GmbH unterstützte<br />
bei der Durchführung und Auswertung von<br />
Laboranalysen. Die wissenschaftliche Begleitung<br />
erfolgte durch das Institut für Biogas, Kreislaufwirtschaft<br />
und Energie (IBKE). Gefördert wurde das<br />
Projekt durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe<br />
(FNR) aus Mitteln des Bundesministeriums für<br />
Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).<br />
Im Vergleich zu anderen Vorbehandlungsverfahren<br />
benötigt die Turbomaische (nachfolgend mit TM abgekürzt)<br />
weder Enzyme noch speziell gezüchtete Mikroorganismen<br />
noch hohe Temperaturen. Es ist lediglich<br />
der Zusatz von Prozessadditiven nötig, die jedoch<br />
deutlich geringere Kosten nach sich ziehen. Im Projekt<br />
wurden die Additive der Marke SensoPower von<br />
der Firma Phytobiotics Futterzusatzstoffe GmbH bereitgestellt.<br />
Dabei handelte es sich um ein Additiv zur<br />
Schaumbekämpfung und das Produkt SensoPower S,<br />
das den patentierten Wirkstoff Sangrovit enthält und<br />
eine Aktivierung und Stabilisierung der Mikroorganismen<br />
bewirkt.<br />
Wesentlicher Vorteil der Turbomaische ist der geringe<br />
Energieverbrauch. In der Pilotanlage wurde ein<br />
durchschnittlicher Leistungsbedarf an Strom von<br />
20,2 Kilowatt (kW) ermittelt. Bezogen auf die übliche<br />
96
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
WISSENSCHAFT<br />
Foto 2: TM-Pilotanlage – Stand 13. Juli 2020.<br />
Tabelle 1: Täglicher Substrateinsatz im Fermenter<br />
mit und ohne Turbomaische-Behandlung<br />
Tagesfütterungsmenge 01.09.20<br />
bis 16.11.20 im Mittel in t FM<br />
Tagesfütterungsmenge 17.11.20<br />
bis 24.01.21 im Mittel in t FM<br />
Maissilage 35,4 34,8<br />
Stroh unbehandelt 6,0 0,5<br />
Stroh behandelt 0 4,2<br />
Rindermist unbehandelt 6,9 0,2<br />
Rindermist behandelt 0 2,3<br />
Pferdemist unbehandelt 0,2 0<br />
Pferdemist behandelt 0 0,6<br />
Schafmist unbehandelt 0 0,7<br />
Schafmist behandelt 0 5,1<br />
Kartoffeln 0,2 0,8<br />
Rindergülle 0 1,8<br />
Schweinegülle 14,8 17,7<br />
HTK 5,5 5,9<br />
Einsatzstoffmenge von etwa 13,5 Tonnen (t) Frischmasse<br />
pro Tag ergibt sich ein spezifischer Strombedarf<br />
von 36 Kilowattstunden (kWh)/t Frischmasse. Im<br />
Vergleich erfordert die mechanische Aufbereitung in<br />
alternativen Verfahren 70 bis 150 kWh elektrische<br />
Energie pro Tonne Frischmasse. Es wird mindestens<br />
die Hälfte des Strombedarfes eingespart. Zu berücksichtigen<br />
ist, dass es sich hier um eine Pilotanlage<br />
handelt, die noch Potenzial hinsichtlich einer energetischen<br />
Optimierung hat.<br />
Die Turbomaische am Standort der<br />
Biogasanlage Grabsleben<br />
Die Biogasanlage Grabsleben besteht aus vier Fermentern<br />
(davon zwei liegende Fermenter F3 und F4),<br />
zwei Nachgärern und sieben Gärproduktlagern. Die<br />
Anlage wurde ursprünglich mit den Behältern F1,<br />
F2, NG1, GPL 1 bis 4 errichtet und 2019/20 um die<br />
restlichen Anlagenteile erweitert. Praktisch handelt<br />
es sich um zwei bis auf die Gasnutzung vollkommen<br />
voneinander unabhängige Biogasproduktionsanlagen.<br />
Neben 3,6 Megawatt (MW) installierter elektrischer<br />
Blockheizkraftwerk-(BHKW)-Leistung verfügt<br />
der Standort über eine Biogasaufbereitungsanlage<br />
mit einer Einspeisekapazität von 700 Normkubikmetern<br />
pro Stunde (Nm³/h). Die TM-Pilotanlage (Foto 2)<br />
ist an den liegenden Fermenter 3 (F3, graues Gebäude,<br />
Foto 1) angeschlossen.<br />
Die Pilotanlage besteht aus einem axial gerührten und<br />
von unten belüfteten Reaktor mit 180 Kubikmetern<br />
(m³) Nutzvolumen und einem Kontroll- und Pumpenraum<br />
(grün-weißer Container im Vordergrund, siehe<br />
Foto 2). Zur Optimierung der Prozessparameter fanden<br />
Untersuchungen an Versuchsfermentern (Foto 3) der<br />
Firma BIONOVA statt. Die Versuche erfolgten sowohl<br />
vorbereitend als auch parallel zum Betrieb der Pilotanlage.<br />
Behandelte Substrate<br />
In den Versuchszeiträumen kamen in Fermenter 3<br />
Maissilage, Kartoffeln, Stroh und tierische Exkremente<br />
[Hühnertrockenkot (HTK), Gülle und Mist]<br />
zum Einsatz. Die lignocellulosehaltigen Substrate<br />
Stroh, Rinder-, Pferde- und Schafmist wurden vor der<br />
Vergärung in der TM behandelt. In Tabelle 1 sind die<br />
in Fermenter 3 eingesetzten Substratmengen sowie<br />
die entsprechende Anzahl der Fütterungstage für den<br />
Zeitraum 01.09.2020 bis 24.01.2021 (146 Tage)<br />
aufgeführt.<br />
In diesem Zeitraum war vereinbart, dass Fermenter 3<br />
mit dem hier dargestellten, weitgehend unveränderten<br />
Substratmix gefüttert wird, um einen Vergleich<br />
vor und nach Inbetriebnahme der Turbomaische<br />
realisieren zu können. Da auf die Anlieferung der<br />
Mistarten kaum Einfluss besteht, war das Ziel des<br />
Misteinsatzes eine konstante Menge unabhängig<br />
von der Herkunftstierart. Der Betrieb der Turbomaische<br />
in diesem Zeitraum fand vom 17.11.2020 bis<br />
24.01.2021 (68 Tage) statt. Die grün markierten<br />
Zeilen zeigen die Substratmengen, die in der TM vorbehandelt<br />
wurden. Die zu behandelnden Substrate<br />
wurden mit der Dünnphase aus der Separation auf<br />
einen TS-Gehalt zwischen 13 Prozent und 14 Prozent<br />
angemischt und in die TM gepumpt.<br />
Erfahrungen aus dem Pilotbetrieb<br />
Die Pilotanlage wurde Ende 2019 / Anfang 2020 errichtet<br />
und nach einer Vielzahl von technischen<br />
97
WISSENSCHAFT<br />
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
Abbildung 1: Vergleich gemessener und simulierter Biogasmengen für Fermenter 3<br />
20.000<br />
Datenausfall<br />
BGA<br />
1. Betriebszeitraum<br />
Havarie<br />
BGA<br />
2. Betriebszeitraum<br />
18.000<br />
tägliche Biogasmengen in m³<br />
16.000<br />
14.000<br />
12.000<br />
10.000<br />
8.000<br />
6.000<br />
4.000<br />
2.000<br />
0<br />
01.09.2020<br />
01.10.2020<br />
01.11.2020<br />
01.12.2020<br />
01.01.2021<br />
Biogas simuliert F3 in m³/Tag<br />
01.02.2021<br />
01.03.2021<br />
01.04.2021<br />
01.05.2021<br />
01.06.2021<br />
01.07.2021<br />
01.08.2021<br />
01.09.2021<br />
01.10.2021<br />
Biogas in m³/Tag gemessen F3<br />
01.11.2021<br />
01.12.2021<br />
01.01.<strong>2022</strong><br />
01.02.<strong>2022</strong><br />
01.03.<strong>2022</strong><br />
Tests im November in Betrieb genommen. Lediglich<br />
die erwünschten TS-Gehalte in der Maische von >13<br />
Prozent wurden nicht erreicht. Über den gesamten<br />
Projektzeitraum ab Inbetriebnahme (16 Monate) gab<br />
es zwei Zeiträume (1 x 2,5 Monate, 1x 8 Monate),<br />
in denen der Turbomaische-Prozess stabil gelaufen<br />
ist. Dies lag zum großen Teil an einer Großhavarie<br />
der Biogasanlage (fast vollständiges Auslaufen eines<br />
Gärrestlagers mit Flutung von Pumpenräumen etc.)<br />
und deren Nachwirkungen.<br />
Nach der Havarie Anfang Februar 2021 dauerte<br />
es nach einigen Versuchen im Mai und Juni bis in<br />
den Spätsommer 2021, bis die Maische wieder in<br />
Betrieb gehen konnte, da unter anderem die Anlagensteuerung<br />
der Biogasanlage zerstört wurde und<br />
ausgetauscht werden musste. Um die Veränderungen<br />
des spezifischen Gasertrages ermitteln zu können,<br />
wurden die Gasmengen von Fermenter 3 separat erfasst<br />
und der Prozess im Fermenter als auch für die<br />
Gesamtanlage modelliert, um gegebenenfalls aus<br />
Änderungen der Anlagenbeschickung resultierende<br />
Änderungen im Gasertrag ausschließen zu können.<br />
Die gemessenen und modellierten Gasmengen werden<br />
in Abbildung 1 und Abbildung 2 veranschaulicht.<br />
Abbildung 1 veranschaulicht in Grün den gemessenen<br />
Gasertrag in Fermenter 3. Ende Oktober bis<br />
Anfang November ist die komplette Datenerfassung<br />
der Biogasanlage ausgefallen, so dass keine Messdaten<br />
verfügbar sind. Ab Mitte November war die TM<br />
in Betrieb für Stroh und Festmist. Ausgehend vom<br />
Substrateinsatz veranschaulicht die lila Linie die modellierte<br />
Gasmenge, die ohne Turbomaische-Einsatz<br />
zu erwarten wäre. Für diesen Zweck wurde im Projekt<br />
ein auf die Biogasanlage Grabsleben angepasstes<br />
Prozessmodell entwickelt.<br />
Die modellierte Gasbildung entspricht bis 20.10.20<br />
in etwa der gemessenen Gasbildung. Im Zeitraum<br />
zwischen Ende November 2020 und der Großhavarie<br />
Anfang Februar 2021 übersteigt die gemessene<br />
Gasbildung deutlich die modellierten Werte. Die<br />
Analyse der Gaszusammensetzung zeigt vor und nach<br />
Einsatz der TM keine relevanten Veränderungen der<br />
Methan- oder Kohlendioxidkonzentration, sodass die<br />
erhöhte Biogasmenge einer erhöhten Methanmenge<br />
entspricht.<br />
Die Veränderung der Differenz zwischen gemessener<br />
und modellierter Biogasmenge wird auf den Einsatz<br />
der TM zurückgeführt, Veränderungen anderer Einflussgrößen<br />
konnten weitestgehend ausgeschlossen<br />
werden. Nach dem Wiederanfahren der TM nach der<br />
Großhavarie lag die gemessene Gasmenge für rund<br />
14 Tage noch über den modellierten Werten, bevor die<br />
TM Mitte April 2021 bedingt durch Störungen (Rührwerk,<br />
starke Schaumbildung) abgeschaltet wurde. Im<br />
zweiten Versuchszeitraum ab August 2021 konnte<br />
der im ersten Versuchszeitraum erreichte Mehrertrag<br />
bis Ende Januar nicht mehr stabil erreicht werden.<br />
Etwa ab Ende Januar 2021 lag die gemessene Gasbildung<br />
dann wieder deutlich und relativ konstant<br />
oberhalb der modellierten Menge. Wie im vorangegangenen<br />
Abschnitt zur Analyse der Prozessparameter<br />
erwähnt, werden die unterschiedlichen<br />
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WISSENSCHAFT<br />
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
Abbildung 2: Vergleich gemessener und simulierter Biogasmengen für die Gesamtanlage<br />
aus Fermenter 3 und 4, Nachgärer 2, GPL 6 und 7<br />
45.000<br />
Datenausfall<br />
BGA<br />
1. Betriebszeitraum<br />
(2,5 Monate)<br />
Havarie<br />
BGA<br />
2. Betriebszeitraum<br />
(8 Monate)<br />
40.000<br />
35.000<br />
tägliche Biogasmengen in m³<br />
30.000<br />
25.000<br />
25.000<br />
20.000<br />
15.000<br />
10.000<br />
5.000<br />
0<br />
01.09.2020<br />
01.10.2020<br />
01.11.2020<br />
Biogas verbraucht (inkl. Ein- und Ausspeisung) in m³/Tag<br />
01.12.2020<br />
01.01.2021<br />
01.02.2021<br />
01.03.2021<br />
01.04.2021<br />
01.05.2021<br />
01.06.2021<br />
01.07.2021<br />
01.08.2021<br />
01.09.2021<br />
01.10.2021<br />
01.11.2021<br />
01.12.2021<br />
01.01.<strong>2022</strong><br />
01.02.<strong>2022</strong><br />
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BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
WISSENSCHAFT<br />
Foto 3: Versuchsfermenter der Firma BIONOVA.<br />
Ergebnisse der Gasbildung in den beiden<br />
Versuchszeiträumen in erster Linie auf<br />
die instabile Sauerstoffzehrung und hohe<br />
Temperaturschwankungen zurückgeführt.<br />
Analog zu Abbildung 1 veranschaulicht<br />
Abbildung 2 den gemessenen Gasertrag<br />
in der Gesamtanlage (hellblau) und den<br />
modellierten Gasertrag (dunkelblau).<br />
Von größter Bedeutung ist die Differenz<br />
zwischen modellierter und real erreichter<br />
Biogasbildung für die weitere Auswertung.<br />
Ab Einsatz der TM liegt der real<br />
gemessene Gasertrag in etwa mit dem<br />
modellierten Wert gleichauf, so dass eine<br />
spezifische Zunahme des realen Gasertrages<br />
im Vergleich zum modellierten Wert<br />
ab November 2020 auch aus den Daten<br />
der Gesamtanlage erkennbar ist. Im zweiten<br />
Versuchszeitraum ergibt sich kein<br />
deutliches Bild für die Gesamtanlage.<br />
Die zahlenmäßige Auswertung der Erkenntnisse<br />
aus dem ersten 2,5-monatigen<br />
Dauerbetrieb der Turbomaische zeigt Tabelle<br />
2. Es ist aus dem Vergleich der modellierten<br />
und gemessenen Bio gaserträge<br />
ein deutlicher Mehrertrag nach Einsatz<br />
der Turbomaische sichtbar. Besonders gut<br />
ist dieser bei der Bilanzierung des Hauptfermenters<br />
3 sichtbar.<br />
Wenn die Mehrerträge an Biogas allein<br />
auf die in der TM behandelten Substrate<br />
Mist und Stroh zurückgeführt werden –<br />
was ausgehend von den durchgeführten<br />
Untersuchungen höchstwahrscheinlich<br />
ist – zeigt die Auswertung substanzielle<br />
Mehrerträge. Allein bezogen auf den Fermenter<br />
3 wurde ein spezifischer Biogas-<br />
Mehrertrag im Bereich von 20 bis 69<br />
Prozent aus den behandelten Substraten<br />
Stroh und Mist erreicht. Überraschend<br />
war, dass die Datenanalyse trotz der sehr<br />
langen Aufenthaltszeit in der Gesamtanlage<br />
auch bezogen auf die Gesamtanlage<br />
spezifische Biogas-Mehrerträge in der<br />
Größenordnung von bis zu 70 % gezeigt<br />
hat. Ein entsprechend verminderter<br />
Substrateinsatz im Fermenter bestätigt<br />
diese Ergebnisse und plausibilisiert die<br />
Schlussfolgerungen. Bezogen auf<br />
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WISSENSCHAFT<br />
BIOGAS JOURNAL | 6_<strong>2022</strong><br />
Tabelle 2: Mehrertrag im an die Turbomaische angeschlossenen<br />
Fermenter 3 in den Versuchszeiträumen<br />
Zeitraum<br />
Tabelle 3: Auswahl von Prozessparametern und deren Zielwerten<br />
Prozessparameter<br />
Temperatur 32-36 °C<br />
Verweilzeit<br />
Mehrertrag Biogas<br />
ggü. dem Zeitraum<br />
vor IBN der TM<br />
Zielwert-(Bereich)<br />
>0,8 Tage besser 1 bis 1,5 d<br />
TS-Gehalt >11 % und