Neurath, Deutschland, 5. 7. 2005
Neurath, Deutschland, 5. 7. 2005
Neurath, Deutschland, 5. 7. 2005
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Verlagspostamt 1050 Wien • P.b.b. • DVR. Nr. 0462276 • Zulassungsnr. 02Z033302M<br />
SEPTEMBER – NOVEMBER <strong>2005</strong><br />
Energy Revolution Tour <strong>2005</strong><br />
Elektroschrott • Blutdiamanten • Adbusters<br />
3
Internationale Greenpeace Aktionen<br />
2<br />
W e l t w e i t f ü r d e n K l i m a s c h u t z<br />
Scoresbysund, Grönland, 4. <strong>7.</strong> <strong>2005</strong><br />
„Rette mich“, steht auf dem Banner, das ein Eisbär<br />
der Kamera entgegenhält. Weil aber Eisbären keine<br />
Transparente halten, tut es ein kostümierter Aktivist<br />
auf einer schmelzenden Eisscholle im Rahmen einer<br />
Greenpeace-Tour. Tatsächlich gehören die Eisbären<br />
zu den ersten Opfern des Klimawandels. Durch den<br />
verlängerten Sommer in der Arktis verkürzt sich ihre<br />
Jagdzeit, sie werden nachweislich dünner, und die<br />
Zahl der Jungen nimmt ab.<br />
Foto: GP/ Steve Morgan<br />
<strong>Neurath</strong>, <strong>Deutschland</strong>, <strong>5.</strong> <strong>7.</strong> <strong>2005</strong><br />
Während die Regierungschefs der führenden<br />
Industrienationen (G8) in England tagen, macht<br />
Greenpeace mit zahlreichen Aktionen auf die Notwendigkeit<br />
von globalen Klimaschutzmaßnahmen<br />
aufmerksam. In <strong>Neurath</strong>, nahe Köln, projizieren<br />
AktivistInnen die Botschaft „Klimawandel – made<br />
in Germany“ auf die Kühltürme eines Braunkohlekraftwerks.<br />
Die Verbrennung von Kohle<br />
gehört durch den hohen CO 2-Ausstoß zu den<br />
Haupt ursachen des Klimawandels.<br />
Foto: Bernd Arnold /GP<br />
Charleroi, Belgien, 11. <strong>7.</strong> <strong>2005</strong><br />
Auch in Belgien ist ein Kraftwerk Ziel einer Aktion.<br />
Das Kohlekraftwerk gehört Electrabel, einem der<br />
führenden Stromerzeuger in Europa. Der Produzent<br />
von Strom aus Atomkraft und Kohle zeigt keinerlei<br />
Interesse an erneuerbaren Energien. Greenpeace<br />
fordert von der belgischen Regierung mit dieser<br />
Kletteraktion und einem Heißluftballon Maßnahmen<br />
zur Energieeinsparung, um die Kohlekraftwerke<br />
schließen zu können.<br />
Foto: GP/ Layla Aerts<br />
Cape Arctichesky, Russland, Sommer <strong>2005</strong><br />
Ein letzter Scherz noch, ein abschließender Gruß,<br />
dann verabschieden sich die Männer für über 100<br />
Tage, um mit Kanus die Arktis zu durchqueren.<br />
Greenpeace hat sich mit der Expedition „One<br />
World“ zusammengetan, um zu zeigen, dass die<br />
Überfahrt von Russland nach Kanada via Nordpol<br />
erstmals möglich ist, ohne vom Eis gestoppt zu<br />
werden. Wer dann immer noch am Klimawandel<br />
zweifelt, kann genauso gut die Erde für eine<br />
Scheibe halten.<br />
Foto: GP/ Mark Warford
Editorial Inhalt<br />
Plakat: Natalie Berger<br />
intro<br />
Die Schuldfrage<br />
Überschwemmungen in Österreich, Rumänien und<br />
Bulgarien, Waldbrände, Dürrewelle und Heuschreckenschwärme<br />
in Südeuropa, Wirbelstürme in den USA und<br />
Asien, gefährliche tropische Algen im Mittelmeer; jedes<br />
dieser Phänomene kann für sich Zufall sein, doch die<br />
Summe ergibt ein eindeutiges Bild: Wir sind ZeugInnen<br />
einer dramatischen Veränderung des Weltklimas.<br />
Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Infoscreen-Monitors<br />
geben sich die Menschen da auch gar<br />
keinen Illusionen hin. 61 Prozent der ÖsterreicherInnen<br />
nennen die Klimaveränderung als Verursacher dieser<br />
Naturkatastrophen.<br />
Interessant ist<br />
die Frage nach<br />
der Schuld.<br />
Nicht weil es<br />
um Strafe und<br />
Sühne ginge,<br />
sondern<br />
weil damit<br />
zugleich beantwortet<br />
ist,<br />
wer am ehesten<br />
handeln<br />
muss, um noch Schlimmeres zu verhindern.<br />
Und hier zeigt natürlich jeder auf den anderen. In besagter<br />
Umfrage nennen 68 Prozent die Wirtschaft, weil<br />
es ihr nur um Gewinnmaximierung gehe, und die Politik,<br />
weil sie keine klaren Grenzen setze. Nur 18 Prozent der<br />
Befragten sehen die größte Schuld bei den KonsumentInnen,<br />
weil sie kritiklos alles konsumieren und kaufen.<br />
PolitikerInnen und Wirtschaftstreibende freilich sehen<br />
das anders, sie zeichnen gern das Bild von mündigen<br />
KonsumentInnen, die mit ihrem Konsum- und Kaufverhalten<br />
das Angebot bestimmen.<br />
Die Antwort liegt, wie könnte es anders sein, in der<br />
Mitte. Die KonsumentInnen, die meinen jeden Tag<br />
Fleisch essen und jede Strecke mit dem Auto fahren zu<br />
müssen, haben am Klimawandel ebenso Anteil wie die<br />
UnternehmerInnen, die sich vor Umweltschutzmaßnahmen<br />
drücken, und wie die PolitikerInnen, die aus Angst<br />
vor den WählerInnen verabsäumen, den Rahmen für<br />
eine zukunftsfähige Gesellschaft zu schaffen.<br />
Würden die verschiedenen Gruppen die Energien, die<br />
sie aufwenden, um anderen die Schuld zu geben, in<br />
Maßnahmen gegen den Klimawandel stecken, wäre<br />
schon viel gewonnen.<br />
Dr. Bernhard Drumel<br />
Geschäftsführer von Greenpeace in Zentral- und Osteuropa<br />
Foto: GP/C. Wurnig<br />
ACT intro<br />
2 INTERNATIONALE AKTIONEN<br />
3 EDITORIAL<br />
ACTion<br />
4 ENERGY REVOLUTION TOUR <strong>2005</strong><br />
Das Greenpeace-Schiff „Anna“ bringt eine Botschaft<br />
von Polen bis ans Schwarze Meer:<br />
Eine Energie-Revolution ist möglich.<br />
6 „ICH MÖCHTE EIN BILD VON ANNA<br />
VOR DEN PYRAMIDEN“<br />
Im Gespräch mit Kapitän Heiner Kucz an Bord<br />
des Greenpeace-Schiffes „Anna“<br />
fACTs<br />
9 KLIMASCHLUSSLICHT ÖSTERREICH<br />
Machen Sie das Klima-Quiz, und verabschieden Sie sich<br />
von der Illusion, dass Österreich ein Umweltmusterland ist.<br />
ACTreport<br />
10 SCHROTTREIF?<br />
Die Zahl elektrischer Geräte nimmt rasant zu.<br />
Und damit auch, was nach ihrer meist nur kurzen<br />
Lebensdauer davon übrig bleibt: Elektronikschrott.<br />
13 ERFOLGE<br />
14 BLUTDIAMANTEN<br />
Diamanten sind begehrte Objekte. Doch was funkelt,<br />
wirft auch Schatten. In Brasilien sind diese besonders lang.<br />
ACTeure<br />
16 WIDER DEN ZYNISMUS<br />
Seit 15 Jahren kämpft das Magazin „Adbusters“ und die<br />
Culture Jammer-Bewegung für „geistigen Umweltschutz“.<br />
18 „WENN DU DIE WILDNIS VERDRÄNGT HAST,<br />
HAST DU AUCH DIE WILDHEIT IN DIR GETÖTET.“<br />
INTERVIEW mit Kalle Lasn, Gründer der Adbusters<br />
Media Foundation<br />
19 FOLLOW UP<br />
ACT kommentar<br />
20 GEBT UNS EINE ZWEITE ERDE Globale Probleme<br />
brauchen Institutionen, die auch globale Verantwortung<br />
übernehmen. Aber die sind derzeit nicht in Sicht.<br />
InterACTion<br />
22 INFORMIEREN ÜBER den Film „We feed the world“<br />
HELFEN DURCH Ein Testament für eine lebendige Welt!<br />
IMPRESSUM<br />
young ACT<br />
23 ACHTUNG GENTECHNIK!<br />
24 CARTOON von Gerhard Haderer<br />
3
Energy Revolution Tour <strong>2005</strong><br />
Ein Schiff. Ein Fluss. Eine Botschaft.<br />
Das Greenpeace-Schiff<br />
„Anna“ fährt von Polen bis nach<br />
Ägypten, um eine radikale<br />
Wende in der europäischen<br />
Energiepolitik zu fordern.<br />
„Anna“ ist 95 Jahre alt.<br />
Da kommt schon einiges an nautischen<br />
Erlebnissen und maritimen<br />
Eindrücken zusammen. Doch was dem 25<br />
Meter langen Schiff in den vergangenen<br />
Monaten geboten wurde, ist wohl einzigartig.<br />
Nachdem sie Ende Mai in Danzig vom Stapel<br />
gelaufen ist, gelangte sie über den Rhein-<br />
Main-Donau-Kanal nach Passau und weiter<br />
durch die sieben Donauländer Österreich,<br />
die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien,<br />
Bulgarien und Rumänien bis ans Schwarze<br />
Meer. Anschließend führt die Tour über den<br />
Bosporus und das Mittelmeer bis Kairo zu den<br />
Pyramiden von Gizeh. Wenn Sie dieses Heft<br />
lesen, ist die „Anna“ wohl noch unterwegs.<br />
Am Bug prangt neben dem Schiffsnamen ein<br />
leuchtender Regenbogen sowie der Schriftzug<br />
von Greenpeace, und auch ein Blick an<br />
und unter Deck lässt schnell erkennen: Dieses<br />
Schiff ist mit seltsamen Dingen beladen.<br />
Transparente, Schlauchboote, die Ausrüstung<br />
für eine mobile Ausstellung, ein Plakat mit<br />
Hunderten Zeichnungen und Unterschriften<br />
und ein gutes Dutzend AktivistInnen.<br />
Greenpeace ist unterwegs und trägt eine<br />
Botschaft durch Europa: Wir brauchen eine<br />
Energierevolution! Der immer offensichtlichere<br />
Klimawandel und das Wiedererstarken<br />
der Atomindustrie in Osteuropa machen eine<br />
Neuorientierung bei der Energieerzeugung<br />
notwendig, die sich nicht in der Errichtung<br />
von ein paar einsamen Windrädern erschöpfen<br />
kann. Greenpeace fordert den Ausbau<br />
von Sonnenenergie-, Windkraft- und Biomasseanlagen<br />
und die Stilllegung von Kohle- und<br />
Atomkraftwerken.<br />
Wo immer „Anna“ anlegt, stellen die AktivistInnen<br />
eine Klima-Ausstellung auf, die an<br />
Hand von Schautafeln, Sonnenkollektoren<br />
und einem kleinen Windrad zeigt, wohin die<br />
Reise gehen muss. Tausende Besucher nutzen<br />
die Gelegenheit, über Energiefragen zu diskutieren<br />
oder ein echtes Greenpeace-Schiff<br />
zu betreten. Egal, wo die „Anna“ anlegt, sie<br />
ist ein Medienereignis und hilft, die Botschaft<br />
von der notwendigen Energierevolution<br />
an die Öffentlichkeit zu bringen. Lesen Sie<br />
auf den folgenden Seiten Auszüge aus dem<br />
Schiffstagebuch.<br />
your s<br />
MEHR INFORMATIONEN<br />
zur Schiffstour<br />
http://www.greenpeace.at/shiptour.html<br />
zum Klimawandel<br />
http://www.greenpeace.at/klima.html<br />
zu Energiefragen<br />
http://www.greenpeace.at/energie.html<br />
zu Atomkraft<br />
http://www.greenpeace.at/atom.html<br />
„Gestern Abend startete die „Anna“ in<br />
Linz Richtung Dürnstein. Fahrtzeit: 13<br />
Stunden. Damit das Schiff rechtzeitig<br />
ankam, musste das Beiboot neben der<br />
„Anna“ herfahren, was für die Bootsführer<br />
Wind und Kälte die ganze Nacht über<br />
bedeutete. Nach dem Abbau der Ausstellung<br />
fielen die meisten AktivistInnen erst<br />
gegen ein Uhr nachts in die überfüllten<br />
Schlafstätten unter Deck. Wenigstens<br />
heute scheint die Sonne, und das große<br />
Interesse der Dürnsteiner und der Touristen<br />
an der Klima-Ausstellung entschädigt<br />
für die Strapazen der letzten Tage. Auch<br />
heute Nacht wird wieder durchgefahren.<br />
Ziel: Der Marina-Hafen am Handelskai in<br />
Wien.“<br />
Franko Petri, 6. Juli<br />
Dürnstein, Österreich, 6. Juli <strong>2005</strong> Wien, Österreich, <strong>7.</strong> Juli <strong>2005</strong> Wien, <strong>7.</strong> Juli <strong>2005</strong> im Gespräch mit Umweltminister Pröll<br />
4
„Der Donnerstag am Marina-Hafen in<br />
Wien war ein langer Tag für die Crew und<br />
Greenpeace insgesamt. Am Vormittag<br />
fand eine Pressekonferenz statt, am Nachmittag<br />
besuchten zahlreiche Besucher<br />
die Ausstellung, nachdem mehrere Radiosender,<br />
Zeitungen und das Fernsehen<br />
die Ausstellung angekündigt hatten. Am<br />
Abend waren zahlreiche Greenpeace-Förderer<br />
zum Schiff und zur Ausstellung geladen<br />
und hatten die Gelegenheit, mit einem<br />
Greenpeace-Schlauchboot zu fahren.<br />
Gegen Abend trafen auch der österreichische<br />
und der Schweizer Umweltminister<br />
sowie viel Prominenz aus Wirtschaft, Politik<br />
und Medien ein. Sie alle konnten sich<br />
in der Klima-Ausstellung ein Bild von der<br />
Dringlichkeit einer Energie-Revolution<br />
machen. Viele blieben auf der anschließenden<br />
„Energy Revolution Party“ bis zu<br />
den frühen Morgenstunden. Der ganze<br />
Tag war überschattet von den furchtbaren<br />
Anschlägen in London.“<br />
Franko Petri, <strong>7.</strong> Juli<br />
„Gegen 17 Uhr müssen wir die Ausstellung<br />
abbauen. Harte Arbeit. Vor ein Paar<br />
Wochen war ich bei einem Festival. Als<br />
die Zelte abgebaut und alle abgereist waren,<br />
blieb eine desolate Müllhalde über.<br />
Diesmal nicht. GreenpeacerInnen sind<br />
eben auch in der Praxis anders!“<br />
Corinna Windisch, 10. Juli<br />
Donauinsel Richtung Hainburg, Österreich, 8. Juli <strong>2005</strong><br />
„Bei Flusskilometer 1868 weht jetzt die<br />
slowakische Fahne am Mast. Wir füllen<br />
den Schiffsbauch mit Großmengen an<br />
Lebensmitteln, und ich komme erstmals<br />
in Kontakt mit den strengen Regeln an<br />
Bord. Alles hat einen sorgsam beschrifteten<br />
Platz, das Brot gehört in die momentan<br />
leer stehende Kiste mit der Aufschrift<br />
„Saft“, da die Getränke unter dem Tisch<br />
verstaut sind und die Brotkiste bis zum<br />
Rand mit Nudeln gefüllt ist.“<br />
Ann Katrin Schneider, 11. Juli<br />
„Alle paar Minuten treiben Sturmopfer<br />
aus Österreich an uns vorbei: Entwurzelte<br />
Bäume und ganze Inselgruppen aus<br />
Gestrüpp und undefinierbarem Treibgut<br />
haben sich auf den Weg zum Schwarzen<br />
Meer gemacht. Der Wasserpegel steigt<br />
und steigt, und die Donau ist momentan<br />
streckenweise für die Schifffahrt gesperrt.<br />
Nachmittags stürmt ein ganzer Kindergartenausflug<br />
das Ausstellungszelt und den<br />
Maltisch, endlich findet ein großflächiger<br />
Farbauftrag auf dem weißen Segel statt,<br />
das ja am Ende der Tour bunt bepinselt<br />
gehisst werden soll.“<br />
Ann Katrin Schneider, 12. Juli<br />
ion<br />
„Nachmittags rumpelt der grüne Bus auf<br />
die Anlegestelle zu. Im Inneren ist kein<br />
Kubikzentimeter verschwendet worden,<br />
Materialkisten, Zeltsäcke, Solarkollektoren<br />
und Autobatterien für die Photovoltaikanlage<br />
stapeln sich bis zur Decke. Das<br />
logistische Meisterwerk vollenden die<br />
beiden kleinen Schlauchboote, die zusammen<br />
mit Klappbänken und -tischen<br />
auf dem Dach festgezurrt sind.“<br />
Ann Katrin Schneider, 14. Juli<br />
„Zweimal schallt heute ein Sendebeitrag<br />
über die Schiffstour aus den Lautsprechern<br />
in den Straßen des Städtchens<br />
Stúrovo. Martin hat dem lokalen Radiosender<br />
dafür umgerechnet zwei Euro fünfzig<br />
gezahlt und die erweisen sich als sehr<br />
gute Investition, denn am Abend haben<br />
wir den bisher größten Besucheransturm.<br />
Ein Mann aus Levice erzählt, dass er über<br />
20 Jahre im nahe gelegenen Atomkraftwerk<br />
gearbeitet hat, aber jetzt mit seiner<br />
Schwester zusammen eine Firma leitet,<br />
die Solarkollektoren vertreibt.“<br />
Ann Katrin Schneider, 1<strong>5.</strong> Juli<br />
Fotos: Seite 4-5: (oben von links) 1-2: GP/Ingrid Fankhauser •<br />
3: GP/Christine Wurning • (unten von links)<br />
1: GP/Ingrid Fankhauser • 2-4: GP/Christine Wurning •<br />
5: GP/Rudi Froese • 6: GP/Ratislav Prochazka<br />
Voitsberg/Graz, Österreich, 12. Juli <strong>2005</strong> Bratislawa, Slowakei, 11. Juli <strong>2005</strong><br />
5
„Ich möchte ein Bild von Anna vor den Pyramiden“<br />
Im Gespräch mit Kapitän Heiner Kucz an Bord der „Anna“<br />
ACT: Was tun Sie, wenn Sie nicht gerade Kapitän<br />
auf einem Greenpeace-Schiff sind?<br />
Heiner Kucz: Normalerweise fahre ich Container-Schiffe,<br />
oder ich gehe segeln.<br />
ACT: Sind Sie das erste Mal für Greenpeace<br />
unterwegs?<br />
H. K.: Nein, ich habe das schon öfter gemacht.<br />
Auch „Anna“ habe ich schon mal gesegelt,<br />
von den Ostfriesischen Inseln nach Bochum<br />
und zurück.<br />
ACT: Werden Sie von Polen bis Ägypten<br />
durchgehend an Bord sein?<br />
H. K.: Nein, alle zwei Monate muss ich für<br />
eine Woche raus. Immer auf so engem Raum<br />
zu leben hält man nicht aus.<br />
ACT: Sie sind die Hochsee gewohnt: Was ist<br />
bei Flüssen anders?<br />
H. K.: Flüsse sind eindimensional, Meere zweidimensional.<br />
Die Bedingungen sind natürlich<br />
andere: Am Meer hat man es mit Winden, hier<br />
dafür mit Strömungen zu tun. Das Manövrieren<br />
macht Spaß. Letzte Nacht sind wir allerdings<br />
aufgelegen, weil der Wasserstand um über einen<br />
Meter gesunken ist. Das ist viel unberechenbarer<br />
als Ebbe und Flut. Aber heute habe<br />
ich gehört, das Wasser soll wieder steigen.<br />
ACT: Was ist die „Anna“ für ein Schiff?<br />
H. K.: Ein gemütliches. Sie wurde 1910 gebaut,<br />
ist 95 Jahre alt. Als wir in Belgien waren,<br />
haben wir ihren Geburtstag gefeiert. Sie hat<br />
uns auch ein Geschenk gemacht – verstopfte<br />
Schwerter. Aber sie ist ganz gut gepflegt.<br />
„Anna“ ist ein Museumsschiff. Der Eigner, ein<br />
Hotelier, hat uns das Schiff kostenlos zur Verfügung<br />
gestellt.<br />
ACT: Es ist also gechartert und muss nach<br />
Hamburg zurück?<br />
H. K.: Klar. Wenn wir dieses Jahr zurückkommen,<br />
sind wir gut. Was nach Ägypten passiert,<br />
ist noch offen. Am schönsten wäre, wenn das<br />
6<br />
Wetter einigermaßen mitspielt, über Italien<br />
und Frankreich zurückzukommen. Dann hätten<br />
wir eine richtige Rundreise auf Europas<br />
Flüssen gemacht.<br />
ACT: Entlang der Route gibt es fixe Termine:<br />
Sind die immer einzuhalten?<br />
H. K.: Die Schleusen sind manchmal schwer<br />
berechenbar. Es kommt vor, dass du vier Stunden<br />
davor liegst, dann glaubst du, du kommst<br />
mit, aber dann klappt das aus irgendeinem<br />
Grund nicht, und du hängst wieder vier Stunden<br />
da. So kann es passieren, dass der Tag fast<br />
vorbei ist, und du hast gerade 20 Kilometer<br />
gemacht.<br />
ACT: Wie reagieren die Menschen am Ufer,<br />
wenn sie das Greenpeace-Schiff sehen?<br />
H. K.: Nur positiv. Radfahrer klingeln und<br />
freuen sich, dass wir kommen. Keine grimmigen<br />
Gesichter.<br />
ACT: Donau abwärts werden die Abenteuer<br />
zunehmen. Ist rechtlich alles klar?<br />
H. K.: Ja, jetzt wird es spannender. Es gibt natürlich<br />
nicht nur einen Plan A, sondern immer<br />
auch Pläne B und C.<br />
ACT: Wie ist das dort, wo die Donau ein<br />
Grenzfluss ist, etwa zwischen Rumänien und<br />
Bulgarien?<br />
H. K.: Es gibt ein Gesetz, das die freie Durchfahrt<br />
gewährt. Aber wenn du von einem Land<br />
ins andere wechselst, dann musst du neu einklarieren.<br />
ACT: Wie viele Leute übernachten an Bord?<br />
H. K.: Mitunter bis zu 15 Personen. Das ist<br />
viel, aber auch gemütlich, man muss dann kuscheln.<br />
ACT: Noch irgendetwas, was Greenpeace-<br />
UnterstützerInnen interessieren könnte?<br />
H. K.: Meine Kontonummer vielleicht. (Lacht.)<br />
Nein, normalerweise fahre ich, wie gesagt,<br />
Containerschiffe, davon lebe ich. Nach vier<br />
Monaten habe ich genug Geld, etwas anderes<br />
zu tun. Mit Greenpeace zu fahren macht Spaß.<br />
Es ist eine Herausforderung, ich sehe das wie<br />
eine Expedition. Und ich möchte ein persönliches<br />
Bild haben: Anna vor den Pyramiden.<br />
Wenn wir bis dahinkommen, man weiß es ja<br />
nicht, wir können ja auch noch irgendwo beschlagnahmt<br />
werden oder sonst was.<br />
Interview: Roman Kellner<br />
Energy Revolution<br />
Tour <strong>2005</strong><br />
„Schlagabtausch: Die Slowaken fahren<br />
heute zurück nach Bratislava und in<br />
Esztergom kommt Ungarisch als neue<br />
Sprache an Bord hinzu.<br />
Vielleicht haben wir einen Poltergeist an<br />
Bord. Eine der slowakischen Aktivistinnen<br />
war spätabends allein unter Deck und<br />
schwört, sie habe plötzlich im Dunkeln ein<br />
weißes, einzelnes Bein in der Messe herumgehen<br />
sehen.“<br />
Ann Katrin Schneider, 16. Juli<br />
„Auf der „Anna“ werden die Segel gehisst.<br />
Die Mannschaft ist in ihrem Element<br />
und Judy, Dönci und Lukasz fahren parallel<br />
an Land neben der Flussstrecke her,<br />
um das Ereignis zu dokumentieren. Das<br />
Schiff sieht mit Segeln gleich doppelt so<br />
groß aus, der Auftritt in Vác ist dementsprechend<br />
beeindruckend.“<br />
Ann Katrin Schneider, 1<strong>7.</strong> Juli<br />
„Ich sitze in einem Internet-Café in Budapest,<br />
es kommt gerade eine Sendung<br />
über die Greenpeace-Tour im Radio und<br />
ein freundlicher Ungar vom Nebentisch<br />
übersetzt alles. Zehn Minuten lang wird<br />
über alternative Energiegewinnung gesprochen<br />
und keine Popmusik gespielt.“<br />
Ann Katrin Schneider, 19. Juli<br />
Budapest, Ungarn, 18. Juli <strong>2005</strong>
„Die „Anna“ ankert in Gesellschaft einiger<br />
verrotteter Transportkähne, die auf<br />
halber Strecke zwischen Budapest und<br />
Paks am Donauufer vor sich hin dümpeln.<br />
Sie sehen aus, als hätten sie sich zur ihrer<br />
letzten Ruhe hierher begeben. Die etwas<br />
melancholische Stimmung erinnert an einen<br />
Elefantenfriedhof, umso erstaunlicher<br />
ist es, dass die Hälfte der schrottreifen<br />
verrosteten Wracks zwei Stunden später<br />
verschwunden sind. Jemand muss sie<br />
noch für fahrtauglich halten.“<br />
Ann Katrin Schneider, 21. Juli<br />
„Wir liegen immer noch in Baja an Flusskilometer<br />
1478. Auf der Petöfi-sziget, einer<br />
gegenüberliegenden kleinen Insel,<br />
hat eine internationale Kanu-Gruppe ihr<br />
Nachtlager aufgeschlagen. Ihr nächster<br />
Halt ist auch Mohacs und ihr Endziel heißt<br />
„Fekete Tengere“ (Schwarzes Meer). Wir<br />
werden sie wohl noch öfter treffen.“<br />
Ann Katrin Schneider, 24. Juli<br />
„Mohàcs ist die letzte Station vor der<br />
kroatischen Grenze. Die Ungarn bleiben<br />
in Ungarn, die kroatischen AktivistInnen<br />
sind noch in Kroatien, und auf einmal ist<br />
da sehr viel Platz an Bord. Aber nicht lange.<br />
Abends dringt von überall volkstümliche<br />
Musik herüber. Auf dem Zeltplatz der<br />
Kanufahrer fiedelt eine Kapelle, bis kurz<br />
vor zwölf spielt eine schmissige Akkordeonband<br />
im nahe gelegenen Gastgarten.<br />
Dann werden dort die letzten Gäste vor<br />
die Tür gesetzt. Stille.“<br />
Ann Katrin Schneider, 2<strong>5.</strong> Juli<br />
Budapest, Ungarn, 18. Juli <strong>2005</strong><br />
„Die Pressekonferenz in Osijek an Bord<br />
der „Anna“ war sehr gut besucht und ich<br />
denke auch für die Journalisten ein außergewöhnliches<br />
Ereignis. (...) Nachdem wir<br />
die Nachricht von unseren Freunden der<br />
Osijeker Umweltgruppe erhielten, Kroatien<br />
werde von der Weltbank mit insgesamt<br />
5,5 Millionen Euro für den Ausbau der<br />
Gewinnung erneuerbarer Energie unterstützt,<br />
können wir diesen Tag zufrieden<br />
und den Gelsen ergeben mit einem ausgezeichneten<br />
Gulasch unseres Kapitäns<br />
Heiner abschließen.“<br />
Willi Swoboda, 2<strong>7.</strong> Juli<br />
„Nach nur wenigen Stunden legen wir in<br />
Novi Sad an. Die Crew scheint Vertrauen<br />
in mich gewonnen zu haben, und ich<br />
werde in das Geheimnis des Aufstellens<br />
der beiden Masten eingeweiht – überaus<br />
schweißtreibend, aber angesichts des<br />
alten Schiffes ein sehr interessanter Einblick<br />
in die alte Segeltechnik.“<br />
Willi Swoboda, 29. Juli<br />
„Mit dem Auslaufen aus Belgrad am frühen<br />
Montagmorgen beginnt eine der landschaftlich<br />
reizvollsten Etappen der Reise.<br />
Bei Kilometer 962 passieren wir die letzte<br />
Hochspannungsleitung und wuchten Annas<br />
Masten wieder hoch. Stolz gleitet sie<br />
über die breite grüne Donau, steuerbord<br />
(rechts) liegt Serbien und auf der Backbordseite<br />
Rumänien. Hier ist Winnetou<br />
in den Karl-May-Verfilmungen durch die<br />
zerklüfteten Felsen geritten!“<br />
Christiane Schindler, 1. August<br />
„Die Kataraktenschlucht ist beeindruckend.<br />
Der schönste Teil der Reise, sagen die, die<br />
schon länger an Bord sind. Die Wassertiefe<br />
schwankt zwischen 30 und 60 Metern<br />
– in der Mitte der Schlucht liegt der tiefste<br />
Punkt mit 103 Metern. Im hiesigen Nationalparks<br />
Djerdap leben über 50 verschiedene<br />
Arten von Säugetieren – unter anderem<br />
Wölfe, Luchse und Schakale – und über<br />
130 verschiedene Vogelarten. In dem 100<br />
km langen und mehr als 6 km breiten Park<br />
befinden sich außerdem archäologische<br />
Ausgrabungsstätten. Eine davon, Lepinski<br />
Vir, musste allerdings in den 70-er Jahren<br />
wegen des Baus eines riesigen Wasserkraftwerks<br />
verlegt werden. Der Dammbau<br />
hat das Ökosystem der Donau nachhaltig<br />
verändert: Mehrere Fischarten haben dort<br />
keine Überlebenschance mehr – unter anderem<br />
der Stör, ein gewaltiger Fisch und<br />
„Lieferant“ des schwarzen Kaviars.“<br />
Christiane Schindler, 2. August<br />
Fotos: Seite 6-7: (oben von links) 1: GP/Ratislav Prochazka •<br />
2-3: GP/Ingrid Fankhauser • 4: Greenpeace<br />
(unten von links) 1: GP/Thorsten Rueben • 2-4: Greenpeace<br />
??????????, Kroatien, 28. Juli <strong>2005</strong> ??????????, Kroatien, 28. Juli <strong>2005</strong><br />
7
8<br />
„Wir sind seit einigen Stunden in Vidin in<br />
Bulgarien. Die Küste ist flacher als vorher,<br />
sehr grün und mit kleinen Sandstränden<br />
gesäumt; man sieht dort aber nur wenige<br />
Menschen – vor allem Jungs, die Steine<br />
ins Wasser werfen. Unser Platz in Vidin ist<br />
eher nüchtern; über alles ragt ein grauer<br />
Betonklotz, in dem alle Hafenbehörden<br />
untergebracht sind. Der Papierkram wird<br />
immer wilder. Dimitri eilt mit einer prall<br />
mit Dokumenten gefüllten Plastiktüte<br />
zwischen Hafenautoritäten und Schiff<br />
hin und her. Wir brauchen jetzt außer<br />
der sonst üblichen Crewlisten auch eine<br />
Proviant- und eine Zollliste und bestimmt<br />
noch einige andere mehr.“<br />
Christiane Schindler, 3. August<br />
„Es regnet!! Nach zwei Wochen feuchtschwüler<br />
Hitze regnet und gewittert es.<br />
(...) Seit dem zweiten Anschlag auf Albena<br />
haben wir noch mehr Grund, wachsam<br />
zu sein – ganz egal, wie das Wetter ist.<br />
Albena ist Bulgarin, Umweltaktivistin und<br />
Trägerin zahlreicher Umweltpreise, unter<br />
anderem des Umwelt-Nobelpreises. Sie<br />
lebt in einem Dorf in der Nähe von Nikopol,<br />
ca. 40 km nördlich von Pleven, und<br />
betreibt dort eine der größten Biolandwirtschaften<br />
des Landes. Zudem ist sie<br />
die Galionsfigur des Widerstandes gegen<br />
das geplante Atomkraftwerk im nahen<br />
Belene. Der Bau von Belene wurde 1987<br />
begonnen und hauptsächlich dank Albenas<br />
Initiative 1994 eingestellt.<br />
Der Sieg der Umweltschützer ist für<br />
Albena allerdings zur ernsten Gefahr<br />
geworden, denn Vertreter des in viele<br />
Kosloduji, Bugarien, <strong>5.</strong> August <strong>2005</strong><br />
Wirtschaftszweige verflochtenen Unternehmens<br />
TIM machen ihr seither das<br />
Leben schwer. Weil Albenas Aktivitäten<br />
die wirtschaftlichen Interessen des Imperiums<br />
durchkreuzten, muss sie mit Schikanen<br />
und Bedrohungen leben. Im Februar<br />
dieses Jahres erhielt sie nach zahlreichen<br />
anonymen die erste persönliche Morddrohung;<br />
seitdem hat sie einen Bodyguard,<br />
der die beiden Anschläge auf ihr Leben<br />
allerdings auch nicht verhindern konnte.<br />
Vor knapp zwei Wochen wurde sie auf offener<br />
Straße von einem Auto angefahren.<br />
Trotz der Aussage von 34 Zeugen wurde<br />
die Sache vom örtlichen Staatsanwalt fallengelassen<br />
– ebenso wie alle bisherigen<br />
Beschwerden Albenas. Gestern löste dann<br />
jemand an ihrem Wagen die Radmuttern,<br />
und sie entging nur knapp einem schweren<br />
Unfall. Hut ab vor dieser Frau, die den<br />
Einschüchterungen, Behinderungen und<br />
Bedrohungen dieser Mafia widersteht.“<br />
Christiane Schindler, 4. August<br />
„Immer noch Regen. Nikopol. Eine Hafenmole<br />
vor steilen Felsen, links um die Ecke<br />
ein paar Häuser, keine Gardinen, streunende<br />
Hunde, bettelnde Kinder. Hier verirrt<br />
sich kaum jemand her. Trotzdem wird<br />
die Ausstellung aufgebaut, schließlich ist<br />
das Albenas Ort. Von der rumänischen<br />
Seite gegenüber kommen auch ein paar<br />
Besucher, die froh sind über jede Unterstützung<br />
im Kampf gegen Belene. Albena<br />
ist da – mit ihren beiden Kindern und zwei<br />
Bodyguards, die mich faszinieren, weil sie<br />
so in jeder Hinsicht meiner Klischeevorstellung<br />
von Leibwächtern entsprechen.“<br />
Christiane Schindler, 6. August<br />
„Heute ist ein großer Tag. Aktion gegen<br />
das in Bau befindliche Atomkraftwerk<br />
Belene. Wir legen morgens in Svishtov ab<br />
und fahren – teilweise in Begleitung von<br />
Polizei – die Donau ein Stück flussaufwärts.<br />
Die Baustelle kommt nach ca. anderthalb<br />
Stunden in unser Blickfeld. Kräne,<br />
Gerüste, ein Betonmischer und eine<br />
Verladestation auf einem Riesengelände.<br />
Das soll also ein Atomkraftwerk werden<br />
– falls es dazu kommt. Wir sind jedenfalls<br />
hier, um dagegen zu protestieren. Zu uns<br />
stoßen noch zwei Schlauchboote. Die AktivistInnen<br />
des einen versuchen an Land<br />
zu gelangen um dort ein „Stop Belene“<br />
Banner aufzustellen, was vom Wachpersonal<br />
nach kurzer Zeit unterbrochen wird.<br />
Derweil erklimmen die Kollegen auf der<br />
Landseite den Wachturm. Auf dem Rückweg<br />
paradieren wir noch einmal vor dem<br />
Svishtover Ponton, auf dem sich die Presse<br />
versammelt hat.“<br />
Christiane Schindler, 10. August<br />
Leider wird die Berichterstattung<br />
vom letzten Abschnitt der Reise vom<br />
Redaktionsschluss unterbrochen.<br />
Doch die „Anna“ fährt weiter.<br />
Von ihrer Ankunft am Schwarzen<br />
Meer lesen Sie in der kommenden<br />
ACT-Ausgabe.<br />
Fotos: Seite 8: (oben von links)<br />
GP/Ingrid Fankhauser • GP/Christiane Schindler<br />
(unten von links) GP/Ratislav Prohazka • GP/Anna Rizman •<br />
Greenpeace • GP/Ratislav Prohazka<br />
Belene, Bugarien, 8. August <strong>2005</strong>
1. Österreich muss bis 2010 13 Prozent seiner<br />
CO2-Emissionen einsparen, ausgehend vom<br />
Basisjahr 1990. Derzeit liegen wir bei ...<br />
a) minus 9 Prozent<br />
b) minus 2 Prozent<br />
c) plus 17 Prozent<br />
2. Unter welchem Minister war der Anstieg der<br />
Treibhausgas-Emissionen am höchsten?<br />
a) Josef Pröll<br />
b) Marilies Flemming<br />
c) Wilhelm Molterer<br />
3. In welchem Sektor nimmt der CO2-Ausstoß<br />
am stärksten zu?<br />
a) Verkehr<br />
b) Kohlekraftwerke<br />
c) Industrie<br />
4. Welcher Bereich des Verkehrs hat den<br />
höchsten Anstieg zu verzeichnen?<br />
a) LKW<br />
b) PKW<br />
c) Güterzüge<br />
<strong>5.</strong> In welchem der folgenden Länder ist der<br />
prozentuelle Anstieg der CO2-Emissionen<br />
seit 1990 am höchsten?<br />
a) Österreich<br />
b) USA<br />
c) Italien<br />
6. Welcher Regierungschef sprach sich im<br />
März gegen EU-weite verbindliche Klimaschutzziele<br />
aus?<br />
a) Chirac<br />
b) Schüssel<br />
c) Blair<br />
<strong>7.</strong> Im Rahmen der österreichischen Klimastrategie<br />
werden die Treibhausgasemissionen<br />
der Industrie und der Elektrizitätswirtschaft ...<br />
a) ansteigen<br />
b) gleich bleiben<br />
c) sinken<br />
8. Welches Treibhausgas ist das drittstärkste<br />
in Österreich und wird vom Kyoto-Klimaschutzprotokoll<br />
dennoch nicht erfasst?<br />
a) Lachgas<br />
b) Methan<br />
c) bodennahes Ozon<br />
Plakatkampagnensujets: Natalie Berger<br />
f s<br />
KLIMA-QUIZ: Beantworten Sie die folgenden Fragen und verabschieden Sie sich von<br />
der Illusion, dass Österreich ein Umweltmusterland ist. von Jurrien Westerhof und Erwin Mayer<br />
9. Welcher Verkehrsträger ist von der<br />
Treibhausgas-Reduktionsverpflichtung<br />
ausgenommen?<br />
a) U-Bahn<br />
b) Elektroautos<br />
c) Flugverkehr<br />
10. Wie viele Windräder können nach der<br />
geplanten Ökostrom-Gesetzesnovelle von<br />
Minister Bartenstein in Österreich noch<br />
gebaut werden?<br />
a) 7<br />
b) 70<br />
c) 700<br />
11. Der Anteil erneuerbare Energiequellen<br />
im österreichischen Strommix ...<br />
a) nimmt zu<br />
b) bleibt gleich<br />
c) nimmt ab<br />
Richtige Antworten:<br />
1c: Österreich liegt tatsächlich um 16,6<br />
Prozent oder 13 Millionen Tonnen über den<br />
Emissionen von 1990 und damit 23,2 Millionen<br />
Tonnen über dem Kyoto-Ziel.<br />
2a: 2003, im ersten Jahr seit dem Amtsantritt<br />
von Umweltminister Josef Pröll, sind die<br />
Treibhausgasemissionen angestiegen wie<br />
noch nie. Die Zahlen für 2004 liegen noch<br />
nicht vor, aber die Entwicklungen lassen<br />
vermuten, dass der Anstieg auch in diesem<br />
Jahr enorm sein wird.<br />
3a: Die Treibhausgasemissionen aus dem<br />
Verkehrssektor sind aufgrund des stark<br />
steigenden Kraftstoffverbrauchs seit 1990<br />
um 82 Prozent angestiegen. Der Anteil des<br />
Verkehrs an den gesamten Treibhausgasemissionen<br />
hat sich von 16 Prozent (1990)<br />
auf 25 Prozent (2003) erhöht, während der<br />
Anteil aller anderen Sektoren, mit Ausnahme<br />
der Energieaufbringung, gesunken ist.<br />
4a: Seit 1990 haben sich die CO 2-Emissionen<br />
aus dem LKW-Verkehr verdreifacht,<br />
damit war der Anstieg deutlich größer als<br />
beim PKW-Verkehr (ebenfalls beachtliche<br />
41 Prozent).<br />
5a: In den USA sind die Treibhausgasemissionen<br />
zwischen 1990 und 2003 um 13,4 Prozent<br />
angestiegen, in Österreich im gleichen Zeitraum<br />
um 16,6 Prozent.<br />
6b: Beim EU-Gipfel im März hat Bundeskanzler<br />
Wolfgang Schüssel als einziger Regierungschef<br />
gegen verbindliche Klimaschutzziele gestimmt<br />
und die Position vertreten, dass noch mehr<br />
Forschung notwendig sei. Damit liegt er auf<br />
einer Linie mit US-Präsident Bush. Alle anderen<br />
EU-Mitgliedsstaaten waren für CO 2-Reduktionsziele.<br />
7a: Im Rahmen der österreichischen Klimastrategie<br />
dürfen die Emissionen von Industrie<br />
und Elektrizitätswirtschaft von 30 auf 32,2 Mio.<br />
Tonnen ansteigen – trotz nationaler Reduktionsverpflichtung<br />
von 13 Prozent. Durch diesen<br />
erlaubten Anstieg werden andere Sektoren<br />
verstärkt einsparen müssen, und es werden im<br />
Ausland Emissionsrechte zugekauft werden<br />
müssen – mit Steuergeldern.<br />
8c: Bodennahes Ozon ist nicht nur sehr schädlich<br />
für die Gesundheit, es gehört auch zu den<br />
wichtigsten Treibhausgasen. Vom Kyoto-Klimaschutzprotokoll<br />
wird es dennoch nicht erfasst.<br />
9c: Trotz des rasanten Emissionsanstieges<br />
im globalen Transport sind die so genannten<br />
„Bunker Fuels“, also Schiffs- und Flugzeugtreibstoffe,<br />
von einer Reduktionsverpflichtung<br />
ausgenommen.<br />
10a: Die jetzt vorliegende Ökostrom-Novelle<br />
hat nur ein Ziel: das möglichst rasche Abdrehen<br />
des Ausbaus der Ökoenergie. Von der<br />
Industrie erfolgreich anlobbyiert, versucht jetzt<br />
Wirtschaftsminister Bartenstein mittels Gesetzesnovelle<br />
die Finanzierung des Baus von Windrädern,<br />
Biomasse- oder Sonnenenergie-Anlagen<br />
zu stoppen.<br />
11c: Trotz vieler neuer Ökostromanlagen in den<br />
vergangenen Jahren sinkt der Anteil des erneuerbaren<br />
Stroms, weil der Stromkonsum so rasch<br />
steigt (3,6 Prozent im vergangenen Jahr). Offizielles<br />
Ziel ist ein Erneuerbare-Energien-Anteil<br />
(inklusive Wasserkraft) von 78,1 Prozent bis<br />
2010. Setzt sich die derzeitige Entwicklung fort,<br />
wird der Anteil nur noch 61 Prozent betragen.<br />
9
Computer, Handys, Elektrogeräte ... die Zahl elektrischer und elektronischer Geräte nimmt<br />
rasant zu. Und damit auch, was nach ihrer meist nur kurzen Lebensdauer davon übrig<br />
bleibt: Elektronikschrott. Von einem wenig beachteten Umwelt-Übel berichtet Verena Ahne<br />
mit dem<br />
Bildschirm meines Laptops. Er wechselt<br />
von weiß auf schwarz, wie es<br />
ihm passt. Repariert werden kann das nicht,<br />
wurde mir gesagt – ich sollte mir besser einen<br />
externen Bildschirm zulegen. Aber ob sich<br />
das noch lohnt? Denn obwohl mein Schreibgerät<br />
sonst noch einwandfrei funktioniert,<br />
ist es mit seinen acht Jahren eigentlich ein<br />
Methusalem. Ein neues Gerät, sinniere ich,<br />
wäre schneller. Schöner. Hätte ein besseres<br />
Bild. Und ich könnte endlich problemlos die<br />
Hunderten Megabytes an Musik und Fotos<br />
speichern, mit denen UserInnen heute ständig<br />
konfrontiert sind.<br />
Was ich noch hin und her überlege, setzen<br />
Millionen andere laufend in die Tat um. So<br />
viele Computer wie <strong>2005</strong>, verkündete soeben<br />
mein Radio, wurden noch nie verkauft, seit<br />
es den neuen besten Freund des Menschen<br />
gibt. Alle drei, vier, von manchen alle zwei<br />
Jahre werden die elektronischen Helfer<br />
10<br />
Ich habe Probleme<br />
mittlerweile durch Nachfolgemodelle ersetzt.<br />
Und gehen – meist nach ein paar weiteren<br />
Jahren des Staubfängertums in Garagen oder<br />
Zimmerecken – schließlich den Weg aller<br />
Konsumgüter: Sie werden zu Schrott.<br />
Diese neue Art Müll aus elektrischen und<br />
elektronischen Geräten ist in den letzten<br />
Jahren zur mit Abstand schnellstwachsenden<br />
Abfallsparte geworden. Geschätzte fünf<br />
Prozent alles weltweit Weggeworfenen (ohne<br />
Industriemüll und Bauschutt) besteht bereits<br />
aus Computern und Handys, Radioweckern<br />
und Kühlschränken,<br />
Stereoanlagen und<br />
Fernsehern, Druckern<br />
und Fotoapparaten, elektronischem Kinderspielzeug<br />
und Küchengeräten, kurz allem, was<br />
in irgendeiner Form Strom frisst. Eine Lawine<br />
gefährlicher Abfälle von 20 bis 50 Millionen<br />
Tonnen pro Jahr – Tendenz stark steigend.<br />
Angetrieben wird der Schrott-Motor durch<br />
ständige Innovationen. Bar jeder Nachhaltig-<br />
keit werden in immer kürzeren Abständen<br />
modernere, leistungsfähigere Geräte zu<br />
immer günstigeren Preisen auf den Markt<br />
gebracht oder Produkte laufend so verändert,<br />
dass ein Austausch defekter Bestandteile<br />
schon nach ein paar Jahren nicht mehr<br />
möglich ist. Wer sich überhaupt noch um<br />
eine Reparatur bemüht, erkennt schnell,<br />
dass ein Neukauf kaum teurer ist – jedoch<br />
viel einfacher. Selbst ambitionierte Bastler<br />
scheitern am Einfallsreichtum der Firmen,<br />
ihre Waren möglichst kurzlebig zu gestalten:<br />
Eine Lawine gefährlicher Abfälle von 20 bis 50<br />
Millionen Tonnen pro Jahr – Tendenz stark steigend.<br />
Konnte früher aus Maschinen jedes Teilchen<br />
ausgebaut und ersetzt werden, sind Elektro-<br />
und Elektronikgeräte unserer Tage – hoch<br />
komplex, vielfach verklebt, dicht verschweißt<br />
– schon wegen Kleinigkeiten zum frühzeitigen<br />
Elektroniktod verdammt. Dazu kommen<br />
dann noch Netzgeräte, Batterien, Adapter,
Ladestationen und anderes Beiwerk mehr<br />
– ebenfalls stets so designt, dass es an neue<br />
Geräte nicht mehr angeschlossen werden<br />
kann. Das bedeutet: Mit jeder Neuanschaffung<br />
wird auch bisher verwendetes Zubehör<br />
überflüssig.<br />
Doch was geschieht mit all den kleinen<br />
Umweltbomben? Was tun mit Gebinden aus<br />
hunderterlei giftigen Chemikalien, Kunststoffen<br />
und Schwermetallen – Blei, Quecksilber,<br />
Kadmium; mit den wertvollen Kupfer-, Silber-<br />
, Gold- und Eisen-Herzen, den sperrigen<br />
Gehäusen aus Metall, Glas<br />
und Plastik?<br />
Gesetzlich vorgeschrieben ist<br />
hierzulande eine sachgerechte Entsorgung.<br />
Doch die Verfahren sind teuer, aufwändig,<br />
erfordern beachtliches Know-how. Und eine<br />
sammel- und abgabewillige Bevölkerung, die<br />
weiß, dass Altgeräte nicht einfach weggeschmissen<br />
werden sollten. Denn noch immer<br />
landet allzu viel Elektrisch-Elektronisches im<br />
Hausmüll, das auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen<br />
eine gesundheitsschädliche<br />
Wirkung entfalten kann. Aber auch was nach<br />
professionellem Verschrotten übrig bleibt, ist<br />
Gifts genug, um Sondermülllager zum Überquellen<br />
zu bringen.<br />
Andere machen es sich da leichter. Allen<br />
voran die USA, die als einzige Industrienation<br />
die so genannte Basler Konvention nicht<br />
ratifiziert haben: Von UNO und EU erarbeitet<br />
und 1992 in Kraft getreten, regelt sie den<br />
Handel mit gefährlichen Abfällen und deren<br />
Die USA, das müllreichste Land der Erde, schieben 90 Prozent<br />
ihres IT-Schrotts in Länder wie China, Indien und Pakistan.<br />
Entsorgung. Die Unterzeichnerländer haben<br />
sich weiters dazu verpflichtet, die Entstehung<br />
von gefährlichem Müll nach Möglichkeit zu<br />
verhindern und ihren Giftschrott nicht in die<br />
ärmeren Länder zu exportieren.<br />
Die USA, frei von solch ethischen Bedenken,<br />
tun genau das. Laut Berichten des Basel Ac-<br />
report<br />
tion Network, einer Organisation, die<br />
die Umsetzung der Basler Konvention beobachtet,<br />
schiebt das müllreichste Land der<br />
Erde 90 Prozent seines IT-Schrotts in Länder<br />
wie Indien, Pakistan und, hauptsächlich,<br />
China ab.<br />
Und was dort damit geschieht, füllt ein ganzes<br />
Handbuch für Umweltsünder. In Guiyu im<br />
Süden Chinas etwa stapeln sich Elektronika<br />
entlang der Flüsse, Straßen, Wege, ja, selbst<br />
auf den Feldern zu schauerlichen Türmen.<br />
Mit bloßen Händen, ohne Schutzvorkeh-<br />
rungen, zerlegen Arbeiter<br />
und Arbeiterinnen, viele von<br />
ihnen Kinder, die Abfälle des<br />
Westens in ihre Bestandteile. Sie lösen wertvolle<br />
Materialien wie Kupfer, Eisen, Nickel<br />
und Gold mit hochprozentigen Säuren von<br />
Platinen und aus Batterien – mit Chemikalien,<br />
so ätzend, dass sie eine Münze in wenigen<br />
Stunden auflösen. Die toxischen Flüssigkei-<br />
ten versickern im Boden oder rinnen<br />
▲<br />
▲<br />
▲
In Guiyu im Süden Chinas etwa stapeln sich Elektronika entlang der<br />
Flüsse, Straßen, Wege, selbst auf den Feldern zu schauerlichen Türmen.<br />
Ohne Schutz zerlegen ArbeiterInnen & Kinder die Abfälle des Westens.<br />
Greenpeace-Aktionen gegen gefährlichen E-Schrott der Hersteller.<br />
12<br />
ungeklärt in Flüsse und Bäche.<br />
Wen wundert’s, dass Gesundheitsschäden<br />
hier zum schwer verdienten<br />
täglich Brot gehören. 80 Prozent der<br />
Kinder in den betroffenen Dörfern<br />
leiden an Atemproblemen und Hautkrankheiten.<br />
Blei, z. B. in Bildröhren in<br />
großen Mengen verarbeitet, führt bei<br />
ihnen zu Entwicklungsstörungen, bei<br />
Erwachsenen zu Beeinträchtigungen<br />
des Nervensystems und der Fruchtbarkeit.<br />
Flammschutzmittel auf Platinen<br />
oder in Gehäusen reichern sich in der<br />
Umwelt an und können Gedächtnisverlust<br />
und Gehirnstörungen hervorrufen.<br />
Viele Metallgehäuse enthalten sechswertiges<br />
Chrom – jene stark Krebs<br />
erregende Substanz, gegen die in den<br />
USA die durch den gleichnamigen<br />
Kinofilm bekannte Umweltschützerin<br />
Erin Brokovich gekämpft hat. Oder<br />
Schwermetalle: Kadmium, wichtiger<br />
Bestandteil wieder aufladbarer Batterien<br />
sowie in Steckern und Schaltern zu<br />
finden, kann zu schweren Nieren- und<br />
Knochenschäden führen, Quecksilber<br />
aus Flachbildschirmen Hirn- und Nervenschäden<br />
auslösen. PVC und manch<br />
andere Kunststoffe wiederum setzen<br />
beim Verbrennen gefährliche Gase<br />
wie Dioxin frei. Die Krebs erregenden<br />
Stoffe verursachen schon in kleinsten<br />
Konzentrationen Gesundheitsschäden.<br />
In Süd- und Fernost hingegen brennen<br />
und schwelen die Gehäuse im Freien<br />
vor sich hin. Oh Laptop, mein Methusalem<br />
– langsam graut mir vor deinem<br />
Innenleben!<br />
Immerhin: Auch wenn in Europa kein<br />
Land seine Hände ganz in Unschuld<br />
waschen kann, hat die EU die Dringlichkeit<br />
des E-Schrott-Problems<br />
erkannt. In den letzten Jahren hat<br />
sie zwei Richtlinien ausgearbeitet,<br />
mit denen der Besorgnis erregenden<br />
Entwicklung zumindest ansatzweise<br />
entgegengesteuert werden soll: zum<br />
einen die sperrig klingende „Richtlinie<br />
zur Beschränkung der Verwendung<br />
bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro-<br />
und Elektronikgeräten“ (RoHS-<br />
Direktive). Sie gilt für Hersteller und<br />
Importeure, die ab 1. Juli 2006 einige<br />
giftige Substanzen nicht mehr verwenden<br />
bzw. Geräte mit diesen Bestandteilen<br />
nicht mehr in die EU importieren<br />
dürfen. Der Bannstrahl der Union<br />
trifft hier Blei, Quecksilber, Kadmium,<br />
sechswertiges Chrom und zwei Arten<br />
von Flammschutzmitteln. Andere Gifte,<br />
die auf der Liste hätten stehen sollen,<br />
wurden aufgrund heftiger Gegenwehr<br />
der Industrie allerdings wieder gestrichen.<br />
Greenpeace begrüßt die Entwicklung<br />
prinzipiell, setzt sich aber für<br />
eine Erweiterung der Verbote auf alle<br />
gefährlichen Chemikalien, Flammschutzmittel<br />
und andere halogenierten<br />
Stoffe wie PVC ein. Die Hersteller,<br />
so Greenpeace International in einer<br />
Broschüre zum Thema Elektroschrott,<br />
haben jahrelang vom anhaltenden<br />
Verkaufsboom profitiert, die Entsorgung<br />
ihrer gefährlichen Erzeugnisse<br />
hingegen Steuerzahlern, Gemeinden<br />
und Entwicklungsländern aufgebürdet.<br />
Es wäre an der Zeit, dass Produzenten<br />
für die gesamte Lebensdauer ihrer Produkte<br />
Verantwortung übernehmen.<br />
Auf der anderen Seite verpflichtet die<br />
Elektro- und Elektronik-Altgeräte-<br />
(WEEE)-Richtlinie seit Mitte August<br />
Hersteller und Händler unter anderem<br />
dazu, alte Geräte gratis zurückzunehmen<br />
und fachgerecht zu entsorgen<br />
(siehe Kasten).<br />
Die Kosten, die dadurch entstehen, sollen<br />
die E-Geräte-Bauer dazu veranlassen,<br />
ihre Waren künftig nach anderen<br />
Kriterien zu gestalten: zum Beispiel<br />
langlebiger, einfacher und gefahrenfrei<br />
zerleg- oder großteils recyclebar.<br />
Kritiker befürchten zwar, dass die<br />
hohen Entsorgungskosten direkt an die<br />
Konsumentinnen weitergeben werden<br />
oder dass sie den illegalen Export von<br />
Elektro- und Elektronikschrott in Entwicklungsländern<br />
noch attraktiver machen<br />
könnten – bei Kontrollen in EU-<br />
Häfen werden schon jetzt regelmäßig<br />
Frachtschiffe mit verbotenen Ladungen<br />
gefährlicher Abfälle sicher gestellt.<br />
Doch sofern die Einhaltung der beiden<br />
Verordnungen auch überwacht wird,<br />
sind sie immerhin ein erster Schritt in<br />
die richtige Richtung.<br />
Tja – und was bedeutet das nun für<br />
mich? Vielleicht sollte ich mir ja doch<br />
überlegen, den ausrangierten Alt-Laptop<br />
meiner Freundin zu übernehmen,<br />
bis er seinen letzten Stromzug getan<br />
hat. Sie weiß ohnehin nicht recht, was<br />
tun damit. Denn eigentlich funktioniert<br />
er ja noch einwandfrei ...<br />
Fotos: Seite 10-11: (unten von links) 1-3: GP/Natalie Behring •<br />
(rechts oben) GP/Pierre Virot •<br />
Seite 12: (von oben) 1-4: GP/ Natalie Behring •<br />
5: GP/ Tomas Bravo • Seite 13: (unten) GP/ Pierre Virot
Die neue Elektronikschrottverordnung<br />
(ab 13. August <strong>2005</strong>):<br />
• Alle elektrischen und elektronischen<br />
Geräte können kostenlos bei eigenen Abgabestellen,<br />
die „in ausreichender Zahl“<br />
eingerichtet werden müssen, oder beim<br />
Hersteller bzw. Importeur zurückgegeben<br />
werden.<br />
• Händler sind dann zur Rücknahme verpflichtet,<br />
wenn bei ihnen ein Neugerät<br />
gekauft wird.<br />
• Neue Geräte müssen mit dem Symbol<br />
einer durchgestrichenen Abfalltonne<br />
sowie mit dem Namen des Herstellers<br />
bzw. Importeurs gekennzeichnet sein.<br />
• Die Käufer müssen über die getrennte<br />
Sammlung von E-Schrott sowie über<br />
Auswirkungen gefährlicher Stoffe in den<br />
Geräten informiert werden (über Bedienungsanleitung<br />
oder Aushang am<br />
Verkaufsort).<br />
• Bis Ende 2006 muss jedes Land mindestens<br />
4 kg E-Schrott pro Einwohner und Jahr<br />
sammeln; diese Quote soll mit der Zeit<br />
erhöht werden.<br />
• Bis Ende 2006 sollen Geräte zu 50 bis 75<br />
Prozent ihres Gewichts wiederverwertet<br />
oder recycelt werden können.<br />
your s<br />
EIN KURZER GEDANKE VOR DEM<br />
NÄCHSTEN GANG INS GESCHÄFT:<br />
Ist ein Neukauf wirklich immer nötig? Lässt sich<br />
das alte Gerät wirklich nicht mehr reparieren?<br />
VIELLEICHT KANN NOCH JEMAND<br />
IHRE ALTEN, FUNKTIONSTÜCHTI-<br />
GEN SACHEN BRAUCHEN?<br />
Eine Schule, ein Kindergarten, Freunde? Es gibt<br />
auch Organisationen, die alte Geräte sammeln,<br />
wie der Verein zur Unterstützung von Menschen<br />
(www.vum.at).<br />
BRINGEN SIE KAPUTTE ELEKTRO-<br />
UND ELEKTRONIKGERÄTE ZU DEN<br />
RÜCK GABESTELLEN ODER IHREM<br />
HÄNDLER – das betrifft auch Kleinkram wie ein<br />
selbst blinkendes Fahrradrücklicht.<br />
Erfolge<br />
Gentech-Verbote bleiben<br />
Die EU-Kommission ist bekanntermaßen gentechnikfreundlich,<br />
doch nun haben ihr die UmweltministerInnen der einzelnen<br />
Länder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bei einer<br />
Abstimmung Ende Juni sprach sich eine Zweidrittel-Mehrheit<br />
für die Beibehaltung der Verbote von Gentech-Mais in einigen<br />
EU-Ländern, darunter Österreich, aus. „Ein historischer Tag<br />
und ein historisches Ergebnis“, freut sich Susanne Frommwald,<br />
Molekularbiologin bei Greenpeace, und fordert: „Jetzt wird es<br />
Zeit, dass auch die Kommission ihre konzern- und gentechnikfreundliche<br />
Politik überdenkt.“<br />
Und noch ein Riesenerfolg aus dem Bereich Gentechnik: NÖM stellt als erste österreichische<br />
Molkerei die gesamte konventionelle Frischmilchpalette auf „Gentechnik-frei“ um. Noch im<br />
September 2004 hatten Greenpeace-Aktivisten die NÖM-Zentrale in Baden bei Wien besetzt,<br />
um gegen den Einsatz von Gentech-Soja im Kuhfutter zu protestieren. „Ein Erfolg für die Konsumenten,<br />
für die Umwelt und nicht zuletzt für Greenpeace – und das bei gleich bleibendem<br />
Verkaufspreis“, freut sich Greenpeace-Sprecher Steffen Nichtenberger. „Jetzt ist bewiesen, dass<br />
es geht. Wir fordern die übrigen österreichischen Molkereien wie die Berglandmilch auf, dem<br />
Beispiel der NÖM zu folgen und die Gentech-Soja vom Menüplan ihrer Kühe zu streichen.“<br />
PVC-Spielzeug sicherer<br />
Greenpeace war im Jahr 1997 die erste Organisation, die PVC-<br />
Kinderspielzeug untersuchte und auf die Gefährlichkeit der<br />
darin enthaltenen Weichmacher hinwies. Nun endlich hat die<br />
Europäische Union die Verwendung von sechs dieser Weichmacher<br />
verboten. Ein Erfolg zwar, schön für Schwimmentchen und<br />
Kind, aber wenn Europa für jede gefährliche Chemikalie acht<br />
Jahre Zeit zum Handeln braucht, dann dauert das angesichts von<br />
100.000 großteils ungeprüfter Stoffen ein wenig lange. Greenpeace<br />
fordert daher ein viel strengeres EU-Chemikalienrecht.<br />
Walfleischfabrik verhindert<br />
Zwei Monate Ausharren auf einer Baustelle haben sich gelohnt:<br />
Die südkoreanische Stadt Ulsan hat ihr Bauvorhaben für eine<br />
neue Walfleischfabrik zurückgezogen! Greenpeace hatte auf<br />
dem dafür vorgesehenen Gelände ein Camp errichtet – eine<br />
„Botschaft für die Wale“ – und so dafür gesorgt, dass der Fang<br />
von Walen inzwischen auch in Korea abgelehnt wird.<br />
Die Bilanz der IWC-Tagung (Internationale Walfangkommission)<br />
in Ulsan hingegen fällt zwiespältig aus: Zwar konnten sämtliche<br />
Vorstöße Japans, den kommerziellen Walfang wieder einzuführen,<br />
abgewehrt werden, aber die knappen Abstimmungsergebnisse zeigen, wie sehr die<br />
Verbote auf der Kippe stehen.<br />
Gentechnikkritisches China<br />
Nachdem Greenpeace im Frühjahr aufgedeckt hatte, dass in<br />
China illegal Gentechnik-Reis angebaut wird, kam Bewegung<br />
in die Behörden des ostasiatischen Riesen. Nach einer Tagung<br />
des zuständigen Komitees steht nun fest: Heuer wird es in China<br />
keinen kommerziellen Anbau von Gentechnik-Reis mehr geben,<br />
und auch in Zukunft wird eine eher gentechnikkritische und<br />
vorsichtige Haltung dominieren. Daran kann auch Österreich<br />
nur größtes Interesse haben: China exportiert jedes Jahr mehr<br />
als 18.000 Tonnen Reis in die Europäische Union. In Österreich<br />
landen davon 40 Tonnen auf den Tellern.<br />
Fotos: (von oben) Paul Langrock /Zenit /GP • Gunter Bartos/GP • GP/ Jeremy Sutton-Hibbert • Greenpeace<br />
13
14<br />
Blutige<br />
Diamanten sind begehrte Objekte.<br />
Doch was funkelt, wirft auch Schatten.<br />
In Brasilien sind diese besonders lang.<br />
von Martin Frimmel<br />
Diam<br />
Antonio dos Santos<br />
träumte tief<br />
drinnen im brasilianischen Urwald von<br />
Diamanten und Reichtum. Unerschrocken<br />
meisterte er die reißenden Strömungen<br />
des Roosevelt-Flusses. Das Werkzeug: Sieb,<br />
Schwenkpfanne und Zinneimer. Sogar einen<br />
Taucherhelm hatte er im Rucksack verstaut. So<br />
schlug er sich fünf Tage lang durch das Dickicht.<br />
Dass die Edelsteine in einem indianischen Reservat<br />
lagen, kümmerte ihn wenig; er schlüpfte<br />
durch alle Kontrollen. Doch statt reiche Beute zu<br />
machen, rettete Dos Santos gerade noch seine<br />
nackte Haut. Er ist einer der wenigen Überlebenden<br />
eines Massakers, das im vergangenen<br />
Jahr die brasilianische Öffentlichkeit schockierte.<br />
Eine Gruppe Indianer der Cinta-Larga hatte 150<br />
Diamantensucher angegriffen, niedergeknüppelt<br />
und mit Pfeilen hingerichtet. „Sie haben sie<br />
aneinandergefesselt und wie Tiere abgestochen“,<br />
erzählt dos Santos.<br />
Pio Cinta Larga, der Anführer, bestreitet den<br />
Überfall nicht: „Wir sind Krieger. Die Bluttaten<br />
waren Warnungen. Wir wollen hier keine<br />
Weißen.“ Und er verweist auf die Vorgeschichte:<br />
„Wieder und wieder sind die Diamantensucher<br />
ungesetzlich in das Reservat eingedrungen.“<br />
„Sie sind dort völlig illegal“, bestätigt auch<br />
Mercio Pereira, der Präsident der Indianerbehörde<br />
„Funai“. Schon die Anwesenheit auf indianischem<br />
Gebiet ist Nichtindianern in Brasilien mit<br />
wenigen Ausnahmen verboten, das Schürfen von<br />
Juwelen in Indianerreservaten ist völlig untersagt.<br />
Errichtet im Jahr 1976 und benannt nach dem<br />
Ex-Präsidenten Theodore Roosevelt, ist das Reservat<br />
dicht bewaldet und mit Malaria verseucht.<br />
Dennoch zieht es seit Jahren Tausende von<br />
Glücksrittern, „Garimpeiros“ genannt, in das<br />
Gebiet im brasilianischen Bundesstaat Rondônia.<br />
Mit den Garimpeiros kamen Alkohol, Drogen,<br />
Geschlechtskrankheiten und Umweltzerstörung.<br />
„Die Weißen begegneten den Cinta Larga früher<br />
ausschließlich mit Gewalt“, so die Indianerspezialistin<br />
Maria Inês Hargreaves: „Für sie ist das<br />
unsere politische Sprache. Wir haben es ihnen<br />
vorgemacht.“ Die Diamantengesellschaften<br />
drängten in den 60er-Jahren mit voller Kraft in<br />
die Gebiete des Volkes. Sie gründeten Streitkräfte<br />
und führten regelrecht Kriege. Beim<br />
„Massaker Paralelo“ wurde ein ganzes Dorf<br />
niedergemetzelt, nur ein Kleinkind überlebte. In<br />
dieser Zeit schrumpfte die Zahl der Cinta Larga<br />
von <strong>5.</strong>000 auf etwa 1.300. „Das war ein klassischer<br />
Genozid!“, so Hargreaves. Der Gouverneur<br />
von Rondônia, Ivo Cassol, sieht das noch heute<br />
anders: „Es gibt viel Land und viele Diamanten<br />
für wenige Indios.“
anten<br />
Seit 1999 wurden nach Schätzungen der<br />
Regierung Diamanten im Wert von umgerechnet<br />
zwei Milliarden Euro aus dem 2<strong>7.</strong>000<br />
Quadratkilometer großen Gebiet geschmuggelt.<br />
Es beherbergt die größte Diamantenmine<br />
Südamerikas und zugleich eine der<br />
bedeutendsten internationalen Edelsteinschmugglerrouten.<br />
Vermutlich wird insge-<br />
Alles in allem kommen rund 65 Prozent der auf dem<br />
Weltmarkt angebotenen Edelsteine aus Brasilien.<br />
samt jeder fünfte Edelstein über den schwarzen<br />
Markt gehandelt. Die Berufsschmuggler<br />
können viele Geschichten erzählen, etwa von<br />
mit Diamanten gefüllten Zigarettenschachteln,<br />
die bei einer Festnahme betont nachlässig<br />
ins Gebüsch geworfen werden, als ob sie<br />
leer seien, um sie gleich nach der Freilassung<br />
wieder aufzulesen.<br />
Alles in allem kommen rund 65 Prozent der<br />
auf dem Weltmarkt angebotenen Edelsteine<br />
aus Brasilien. Eine halbe Million Brasilianer<br />
leben vom Suchen, Schleifen und Verkaufen<br />
der Steine. Eine Million Karat oder 200.000<br />
Gramm Diamanten werden in Brasilien jedes<br />
Jahr gewonnen. Ein großer Teil ist für den<br />
Export bestimmt, nicht zuletzt auch nach<br />
Österreich.<br />
Gier, Gewalt und Zerstörung<br />
Wo es um so viel Geld geht, bleibt die Moral<br />
gern auf der Strecke: Die neuen Raubritter<br />
sprengen und bohren im Tagbau und im Untergrund.<br />
Sie leiten Flüsse um und vertreiben<br />
indigene Völker aus den arg geschrumpften<br />
Heimatgebieten ihrer Vorfahren, um reiche<br />
Aktionäre in fernen Metropolen mit noch<br />
höheren Dividenden zu überhäufen. Gierig<br />
nach Juwelen, verwandeln sie idyllische<br />
Gegenden binnen kurzer Zeit in öde Mondlandschaften.<br />
Die Wurzeln liegen in der Kolonialzeit: Brasi-<br />
lien war von 1730 bis<br />
1870 der weltgrößte<br />
Diamantenproduzent;<br />
2,4 Millionen Karat Diamanten wurden abseits<br />
der Schmuggelware offiziell erfasst. Die<br />
Ausbeutung fand in einer einzigen Region<br />
statt: Diamantina. Die Umweltzerstörung<br />
folgte auf dem Fuße: Abholzung, Brandrodung<br />
und die Flussumleitung trugen entscheidend<br />
zur Zerstörung des Atlantikwaldes<br />
in Südbrasilien bei. Mehr als 30.000 km2 des<br />
kostbaren Küstenregenwaldes wurde schon<br />
in dieser Zeit vernichtet, dieser Tage existieren<br />
nur mehr acht Prozent.<br />
Wo es um so viel Geld geht, bleibt<br />
die Moral gern auf der Strecke.<br />
Bis heute graben hier die Garimpeiros etwa<br />
nach Smaragden. In den Minen werden täglich<br />
nur wenige Gramm dieser „grünen Diamanten“<br />
gefördert, zusammen mit 30 Tonnen<br />
von Gestein, die einfach abgeladen werden<br />
und die Landschaft unter sich begraben.<br />
Doch der Aufwand lohnt sich, ein Smaragd<br />
von fünf Karat bringt auf dem Weltmarkt bis<br />
zu 20.000 Euro.<br />
Wenn Grundwasser in<br />
die Stollen eindringt,<br />
bildet es mit dem Schwefel aus dem Dynamit<br />
eine ätzende Säure, die den Abhang hinunterfließt.<br />
Die abgestorbene Pflanzenwelt zeigt<br />
an, wie weit die gefährliche Brühe kommt.<br />
Die Lebenserwartung eines Garimpeiros<br />
ist gering. Mehr als zehn Jahre unter Tage<br />
schafft kaum jemand, weil Schwefel und<br />
Staub die Lungen angreifen.<br />
Bisher wurde vor dem Amazonas Halt gemacht,<br />
wenn diese Grenze allerdings fällt,<br />
drohen fatale Folgen: großflächige Vernichtung<br />
von Ökosystemen, eine erhöhte Sedimentbelastung<br />
von Flüssen, Verschmutzung<br />
von Gewässern durch Altöle und Chemikalien<br />
und Bodenerosion.<br />
Saubere Diamanten<br />
Doch es gibt auch Positives zu berichten: So<br />
hat die brasilianische Abteilung für Mineral-Produktion<br />
„Sivam“ aufgebaut, ein hoch<br />
entwickeltes Radarsystem, mit dessen Hilfe<br />
sich illegale Minen-Aktivitäten im Amazonas<br />
kontrollieren lassen. Die Infrarot- und<br />
Hitzesensoren können Bewegungen von<br />
Objekten ausforschen.<br />
Als Folge der Diskussion um „blutige Diamanten“<br />
in Afrika einigte sich die internationale<br />
Diamantenindustrie 2002 auf ein<br />
weltweit gültiges Gütesiegel. Auch Brasilien<br />
trat dem Abkommen bei. Im Rahmen des so<br />
genannten Kimberley-Prozesses sollen nur<br />
noch jene Diamanten<br />
legal gehandelt werden,<br />
die ein international<br />
verbürgtes und überprüftes Ursprungszertifikat<br />
tragen.<br />
Und auch zahlreiche internationale Menschenrechts-<br />
und Umweltorganisationen<br />
arbeiten daran, die Edelsteingewinnung und<br />
-verarbeitung ökologisch und sozial verträglicher<br />
zu gestalten. Das Ziel: über eine bessere<br />
Vermarktung der Rohstoffe und Fertigprodukte<br />
im Rahmen des Fairen Handels die Situation<br />
der Bevölkerung zu verbessern. Auch<br />
report<br />
in den betroffenen Ländern engagieren sich<br />
Bürgerinitiativen und NGO für eine umweltverträgliche<br />
Förderung der Rohstoffe, mehr<br />
Selbstbestimmungsrechte der Urbevölkerung<br />
und gerechte Preise.<br />
Das fünfte C<br />
Der Trend geht zu „Sauberen Diamanten“:<br />
Die von Goldschmieden und Edelsteinexperten<br />
gegründete „Fair Trade“-Initiative hat<br />
für Diamanten das Markenzeichen „5C“ entwickelt.<br />
Zu den in der Branche üblichen 4-C-<br />
Kriterien für Farbe (colour), Reinheit (clarity),<br />
Schliff (cut) und Gewicht (carat) kommt nun<br />
das fünfte „C“ für konflikt-, kinderarbeits-<br />
und korruptionsfrei, für saubere Umwelt-,<br />
Sozial- und Arbeitsbedingungen. Die NGO<br />
beliefert Goldschmiede mit fairen Juwelen<br />
und überprüft die Gewinnung, die Verarbeitung<br />
und den Handel, um die ökologisch und<br />
sozial gerechte Herstellung garantieren zu<br />
können.<br />
Ein Projekt der „Fair Trade“-Initiative ist die<br />
Benidito-Mine Minas Gerais, die fair gewonnene<br />
Juwelen liefert. Die Arbeiter sind anteilig<br />
am Gewinn beteiligt, langfristige Verträge<br />
garantieren Mindestpreise und Abnahmegarantien.<br />
Beim Abbau der Steine wird auf die<br />
kleinstmögliche Belastung von Boden, Luft<br />
und Wasser geachtet. Die staatliche Umweltbehörde<br />
gibt die Ablagerung von Abraum<br />
und den Einsatz von Sprengstoffen vor und<br />
überwacht die Einhaltung durch unangemeldete<br />
Kontrollen.<br />
Zurück in den Regenwald: Die Cinta Larga<br />
wollen die Diamanten nun selbst gewinnen.<br />
Pio hat das Gefühl für die Edelsteine, vielleicht<br />
einen sechsten Sinn. Mit den Augen<br />
allein ist es nicht getan, es braucht mehr,<br />
um die glitzernden Pretiosen zu finden. Pio<br />
beobachtet den Lauf des Wassers, das Gefälle<br />
und die Windungen. So erkennt er, wo von<br />
der Strömung erfasste Steine auflaufen<br />
und liegen bleiben. Pio: „Wenn nur wir die<br />
Diamanten verkaufen, könnten wir uns selbst<br />
versorgen und uns endlich Medikamente<br />
leisten!“<br />
Foto: © LAWRENCE LAWRY/Science Photo Library/CONTRAST<br />
your s<br />
MEHR INFORMATIONEN<br />
www.globalwitness.org/campaigns/diamonds/<br />
www.natural-resources.org/minerals/csr/<br />
15
Umweltschutz kann weit mehr sein<br />
als die Rettung der bedrohten Natur.<br />
Für das kanadische Magazin<br />
„Adbusters“ und die Culture-<br />
Jammer-Bewegung gehört dazu<br />
auch der Kampf gegen die<br />
„geistige Umweltverschmutzung“.<br />
von Roman Kellner<br />
Culture<br />
Jammer. Wir sind ein loses globales<br />
Netzwerk von Medienaktivisten,<br />
und wir verstehen uns als avantgardistische<br />
Pioniere der bedeutendsten sozialen Bewegung<br />
der kommenden zwanzig Jahre.“ Kalle<br />
Lasn liebt starke Ansagen. Und er hat Erfolg<br />
damit. Seit 15 Jahren gehören der 63-jährige<br />
Kanadier und sein Magazin „Adbusters“<br />
zur Speerspitze der so genannten Culture<br />
Jammer.<br />
„Culture Jammer“ und „Adbuster“ sind<br />
schwer zu übersetzende Wörter. „Kultur-Störer“<br />
und „Werbegegner“ bzw. „Werbungszerstörer“<br />
beschreiben nur vage, worauf es<br />
der Strömung, die vor allem in der westlichen<br />
Welt immer breitere Zustimmung findet, ankommt.<br />
Es geht um geistigen oder seelischen<br />
Umweltschutz, um die Emanzipation aus der<br />
Bevormundung durch Medien und Konzerne.<br />
Kalle Lasn hat ein Buch darüber geschrieben,<br />
„Culture Jamming“, das soeben auf Deutsch<br />
erschien (siehe<br />
Buchtipp). Seine<br />
These, die für die<br />
USA, aber dank der Verbreitung der nordamerikanischen<br />
Kultur zunehmend auch für<br />
den Rest der Welt gilt: Wir bestimmen unser<br />
Leben nicht mehr selbst. Längst seien wir<br />
von BürgerInnen zu reinen KonsumentInnen<br />
mutiert. Konzerne designen unser Leben,<br />
und wir zahlen auch noch bereitwillig dafür.<br />
Es gelte, Authentizität zurück zu gewinnen,<br />
denn mentaler Umweltschutz sei genauso<br />
16<br />
„Wir nennen uns<br />
wichtig wie saubere Luft oder reines Wasser.<br />
Lasn schlägt vor, das allerorts spürbare Unbehagen<br />
statt in Zynismus in Widerstand zu verwandeln:<br />
„Hat man einmal verstanden, dass<br />
der Konsumkapitalismus falsch ist und dass<br />
es deshalb nicht falsch ist, ihn zu „jammen“;<br />
hat man einmal kapiert, dass ziviler Ungehorsam<br />
eine lange und ehrenwerte Tradition<br />
hat, die bis Mahatma Gandhi, Martin Luther<br />
King und David Thoreau zurückreicht, und<br />
hat man angefangen, der Welt gegenüber<br />
als starkes menschliches Wesen und nicht<br />
als arme Konsumentendrohne aufzutreten,<br />
dann geschieht etwas Bemerkenswertes: Der<br />
Zynismus löst sich in Nichts auf.“<br />
Ein konsumfreier Tag<br />
Es bleibt nicht bei Worten. Von dem vierstöckigen<br />
Holzhaus im kanadischen Vancouver<br />
aus, wo die Adbusters Media Foundation<br />
ihren Sitz hat, sind schon viele Ideen um die<br />
Welt gegangen.<br />
Zum Beispiel der „Buy-Nothing-Day“ (bei<br />
uns: Kauf-Nix-Tag). In mittlerweile 50 Län-<br />
dern rufen Gruppen mit<br />
Happenings und witzigen<br />
Aktionen dazu auf, an<br />
einem speziellen Tag – in der Regel dem<br />
letzten Freitag im November – auf jeglichen<br />
Einkauf zu verzichten. Natürlich geht es nicht<br />
so sehr um den großen Konsumrückgang an<br />
diesem einen Tag, sondern um eine Bewusstseinsveränderung<br />
und eine Reflexion unseres<br />
Konsumverhaltens.<br />
Ganz ähnlich die „Turn-Off-Week“: Eine<br />
Woche lang, so der Vorschlag, mögen<br />
möglichst viele Menschen versuchen, den<br />
Fernseher ausgeschaltet zu lassen. Das mag<br />
hierzulande an lauen<br />
Sommerabenden,<br />
die zum Heurigen<br />
locken, kein Problem sein; in den USA, wo<br />
ein durchschnittliches Kind mehr Stunden vor<br />
dem Fernseher als in der Schule verbringt,<br />
bedeutet das plötzlich eine Menge gewonnener<br />
Lebenszeit.<br />
Die Idee dahinter ist, sich die Welt zurückzuerobern.<br />
Die unkritischen Medien- und<br />
WerbekonsumentInnen, die unreflektierten<br />
Marken-TrägerInnen sollen wieder selbst<br />
Konzerne designen unser Leben, und<br />
wir zahlen auch noch bereitwillig dafür.<br />
Die Idee dahinter ist, sich<br />
die Welt zurückzuerobern.<br />
eure<br />
handeln und mitbestimmen. Denn sie alle,<br />
so Lasn, seien längst Teil eines Spektakels,<br />
einer inszenierten Welt, die noch dazu die<br />
wahren Probleme verdeckt: „Fast alle befinden<br />
sich in einem Zustand des permanenten<br />
Leugnens. Tief in unserem Inneren wissen<br />
wir, dass der Planet stirbt, aber niemand will<br />
darüber reden.“<br />
Wer solche Ziele hat, darf die Geduld nicht<br />
verlieren. Tim Walker, Kampagnen-Direktor<br />
von Adbusters, auf die Frage, ob ihm nicht<br />
der schnelle und sichtbare Erfolg der Kampagnen<br />
abgeht: „Wir versuchen, auf lange<br />
Sicht die Gesellschaft zu verändern und<br />
Bewusstsein zu schaffen. Kampagnen wie die<br />
„Turn-Off-Week“ oder „Unbrand America“<br />
sind unmöglich nach kurzfristigen Erfolgen<br />
oder Misserfolgen zu bewerten.“<br />
Und die Geduld zahlt sich aus. Das stil- wie<br />
anspruchsvolle Hochglanzmagazin „Adbusters“<br />
erscheint mittlerweile in einer Auflage<br />
von 120.000 Stück weltweit. Das, wie es sich<br />
selbst nennt, „Journal of mental environ-<br />
ment“ wird nicht nur von<br />
werbe- und konsumkritischen<br />
Alternativen gekauft,<br />
sondern ob seiner originellen Zugänge und<br />
kreativen Werbeparodien auch von DesignerInnen<br />
und GrafikerInnen. Und mit dem<br />
Magazin rücken plötzlich auch unbequeme<br />
Themen wie Kostenwahrheit, die Allmacht<br />
der Marken oder die Kurzsichtigkeit unseres<br />
Wirtschaftssystems für neue Gesellschaftsgruppen<br />
ins Zentrum des Interesses.<br />
Angst vor der Wahrheit<br />
Lasn hat selbst lange von diesem System<br />
profitiert. Nach seiner Jugend in <strong>Deutschland</strong><br />
und Australien gründete der geborene Este<br />
ein Marktforschungsunternehmen in Japan<br />
und machte dort und später in Kanada ein<br />
Vermögen in der Branche. Die persönliche<br />
Wende kam im Jahr 1989, als Lasn, inzwischen<br />
Produzent von Dokumentarfilmen,<br />
einen Streifen über die Urwaldzerstörung an<br />
Kanadas Westküste drehte. Obwohl er bereit<br />
war, dafür zu zahlen, wollte keine Fernsehstation<br />
die Spots senden, um die Großkunden<br />
aus der Forstwirtschaft nicht zu verprellen.<br />
Für Lasn lag Widerstand immer schon näher
als Resignation, und so gründete er im Jahr<br />
darauf die Adbusters Media Foundation.<br />
Heute unterstützen weltweit rund 8<strong>5.</strong>000<br />
AktivistInnen via Internet und etwa 12.000<br />
„Culture Jammer“ in lokalen Gruppen<br />
die Arbeit an einer Welt, in der der Wille<br />
freier Menschen und nicht die Logik von<br />
Konzernen die Zukunft bestimmt. Hier ein<br />
paar StudentInnen, die ein Manifest für<br />
eine alternative Ökonomie an die Türe des<br />
Uni-Rektors nageln, dort ein paar AktivistInnen,<br />
die am Kauf-Nix-Tag mitten auf der<br />
belebten Einkaufsstraße Liegestühle und<br />
Sonnenschirme aufklappen.<br />
Natürlich schlafen auch die GegnerInnen<br />
nicht. Die großen amerikanischen Networks<br />
weigern sich noch immer, „Adbusters“-<br />
Spots auszustrahlen. Im vergangenen Jahr<br />
begründete ein CBS-Sprecher, warum sein<br />
Sender lieber auf Lasns Geld verzichtet:<br />
„Diese Spots stehen im Widerspruch zum<br />
gängigen Wirtschaftssystem der USA.“<br />
„Genau so ist es“, kann Lasn nur zustimmen<br />
und zögert nicht, sein Recht einzuklagen.<br />
Manchmal muss ein Sender die Spots dann<br />
sogar gratis zeigen.<br />
Auch die angegriffenen Konzerne sehen<br />
nicht gerne, wenn ihr um viel Geld erkauftes<br />
Image angepatzt wird. Schon vor Jahren<br />
zogen zwei von ihnen, Absolut Vodka und<br />
McDonalds, vor Gericht – und holten sich<br />
in Lasns Worten „blutige Nasen“. „Mc-<br />
Donalds“, frohlockt er, „war in Kanada so<br />
angeschlagen, dass ihre PR-Abteilung zwei<br />
Wochen lang nicht einmal mehr Anrufe<br />
beantwortet hat. Seither versuchen uns die<br />
Konzerne zu ignorieren. Aber ich weiß, dass<br />
sie beobachten, was wir tun.“<br />
Fotos: Adbusters<br />
your s<br />
DIE SITE VON ADBUSTERS<br />
www.adbusters.org<br />
LINKS ZU VERWANDTEN THEMEN<br />
KOMMUNIKATIONSGUERILLA<br />
http://kommunikationsguerilla.twoday.net/<br />
REPUBLICART<br />
http://republicart.net/disc/artsabotage/index.htm<br />
DIE RENITENTEN KONSUMENTINNEN<br />
http://www.renitent.at/<br />
THE YES MEN<br />
http://www.theyesmen.org/<br />
17
„Wenn du die Wildnis verdrängt hast,<br />
hast du auch die Wildheit in dir getötet.“<br />
INTERVIEW mit Kalle Lasn,<br />
Gründer der Adbusters<br />
Media Foundation<br />
18<br />
ACT: Ihr Buch, das soeben aktualisiert<br />
auf Deutsch erschien, stammt<br />
aus dem Jahr 1999. Sie kündigen<br />
darin eine Kulturrevolution an. Sind<br />
Sie sechs Jahre später immer noch<br />
so optimistisch?<br />
K. L.: Ja und Nein. Einerseits sind<br />
viele Dinge schlimmer geworden, im<br />
Umweltbereich oder bei der Bevormundung<br />
durch Medien und Konzerne.<br />
Auf der anderen Seite sind<br />
überall so viele kreative Ansätze<br />
von Widerstand zu spüren, das lässt<br />
hoffen.<br />
ACT: Es gibt heute nicht mehr viele,<br />
die von Revolution sprechen.<br />
K. L.: Ich glaube, dass Desillusionierung<br />
die Saat für eine Kulturre-<br />
volution ist. Ich kann<br />
nicht garantieren,<br />
dass die Saat aufgeht,<br />
aber ich bezweifle, dass die Ernüchterung<br />
noch steigerbar ist. Revolutionen,<br />
vor allem Kulturrevolutionen,<br />
haben so ein Momentum. Wenn man<br />
an das Apartheid-Regime in Südafrika<br />
denkt oder an die Sowjetunion:<br />
Es kann sich alles sehr schnell ändern.<br />
Ich habe mein ganzes Leben<br />
gedacht, dass mein Geburtsland<br />
Estland auf eine Art verloren ist und<br />
vielleicht irgendwann mal in ferner<br />
Zukunft unabhängig wird, aber<br />
niemals, dass ich das noch erlebe.<br />
Und dann, plötzlich, im Jahr 1989<br />
hat sich was geändert, Estland war<br />
frei, und die Geschichte hat mir eine<br />
Lehre erteilt.<br />
ACT: Sie meinen, die Revolution<br />
kommt aus der Ernüchterung – aber<br />
braucht es für radikale Veränderungen<br />
nicht eher Leid?<br />
K. L.: Natürlich, aber während die<br />
Menschen in der Dritten Welt zum<br />
Teil wirklich noch an Hunger, Kälte<br />
oder mangelnder Medizin leiden,<br />
geht es in der Ersten Welt um ein<br />
mentales Leiden. Das ist nicht weniger<br />
gefährlich oder provokativ.<br />
Wenn ein großer Teil der Bevölkerung<br />
an Depressionen leidet, an<br />
Angstattacken oder an Einsamkeit,<br />
wenn ein Teenager in der Schule<br />
zehn Menschen erschießt, wenn<br />
die Menschen einfach immer verrückter<br />
werden, dann ist das auch<br />
nicht auszuhalten. Ich denke nicht<br />
an eine Revolution wie die russische,<br />
wo Menschen auf der Straße<br />
kämpfen. Ich denke eher an einen<br />
Paradigmenwechsel, an eine globale<br />
Verschiebung in den Köpfen.<br />
Plötzlich ändern die Menschen ihr<br />
Essverhalten, singen andere Lieder,<br />
ihre Einstellung gegenüber Produkten<br />
und Konzernen ändert sich, ein<br />
„... ich war immer Außenseiter.<br />
So habe ich gelernt, zurückzukämpfen.“<br />
paar Gesetze ändern sich, das Konsumverhalten<br />
ändert sich, und schon<br />
haben wir eine Kulturrevolution. Es<br />
kann auf viele Arten geschehen.<br />
ACT: Adbusters ist sehr US-lastig.<br />
Was ist mit Europa?<br />
K. L.: Es ist der einzige Ort, der im<br />
Moment die intellektuelle, ökonomische<br />
und kulturelle Kraft hätte,<br />
gegen Amerika aufzustehen. Aber<br />
irgendwie fehlt es an Bewegung<br />
und Willenskraft, als ob Europa ein<br />
wenig zu bequem wäre.<br />
ACT: Woran könnte das liegen?<br />
K. L.: Vielleicht daran, dass sich die<br />
Menschen in Europa 2.000 Jahre<br />
lang an die Gurgel gegangen sind,<br />
und jetzt wollen sie einfach nur ihre<br />
Ruhe haben. Europa ist nicht bereit,<br />
wieder die Führung zu übernehmen.<br />
Ein anderer Grund könnte sein, dass<br />
es in Europa nicht mehr genug Na-
eure<br />
tur gibt. Wenn ich durch Europa<br />
fahre und diese kleinen Ansammlungen<br />
von Bäumen sehe, die ihr<br />
Wälder nennt, dann frage ich mich,<br />
wie kann man wilde Menschen hervorbringen,<br />
wenn es keine Wildnis<br />
mehr gibt? Es ist vielleicht alles ein<br />
wenig zu zivilisiert. Wenn du die<br />
Wildnis rundherum verdrängt hast,<br />
dann hast du auch die Wildheit in<br />
dir getötet.<br />
K. L: Wo kommt eigentlich Ihr<br />
Kampfgeist her?<br />
K. L.: Meine Eltern flohen im Krieg<br />
mit mir vor den herannahenden<br />
Sowjet-Truppen nach <strong>Deutschland</strong>,<br />
wo wir einige Jahre in einem<br />
Flüchtlingslager lebten. Als ich sieben<br />
war, emigrierten wir nach Australien.<br />
Dort wurde ich als Bürger<br />
zweiter Klasse behandelt, ich war<br />
immer Außenseiter. So habe ich<br />
gelernt, zurückzukämpfen. Diesen<br />
Kampfgeist habe ich mir wohl erhalten:<br />
Wenn mir jemand etwas antut,<br />
was mir nicht gefällt oder was<br />
sich arrogant anfühlt, dann werde<br />
ich wirklich sauer, und ich lasse es<br />
ihn wissen – ob das nun ein Konzern<br />
ist, George W. Bush oder ein<br />
Banker, ich lasse es ihn wissen. Und<br />
ich genieße diese Art zu leben.<br />
Interview: Roman Kellner<br />
Fotos: (Seite 18) GP/ Roman Kellner<br />
LESETIPP<br />
LASN, Kalle: „Culture Jamming.<br />
Die Rückeroberung der Zeichen.“<br />
Freiburg: orange-press 200<strong>5.</strong><br />
Follow-up<br />
20 Jahre Anschlag auf die Rainbow Warrior<br />
Am 10. Juli 1985 versenkte der französische Geheimdienst im Hafen von<br />
Auckland/Neuseeland das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior“ (siehe<br />
ACT 2/<strong>2005</strong>). Genau 20 Jahre nach dem Anschlag kehrt Greenpeace an<br />
den Ort des Geschehens zurück. Mit einer kleinen Zeremonie gedenkt die<br />
Crew des Nachfolgeschiffs „Rainbow Warrior II“ des ermordeten Fotografen<br />
Fernando Pereira und des gesunkenen Schiffs. Drei Taucher, darunter<br />
Pete Willcox, der Kapitän der Rainbow Warrior I, bringen eine Marmorskulptur<br />
zum Wrack hinunter: eine Taube mit einem Olivenzweig. „Die<br />
‘Rainbow Warrior’ ist ein Symbol für den Frieden. Und sie wird es immer<br />
sein“, versichert Kapitän Willcox später in einer Rede.<br />
Zeugen der Zerstörung<br />
Das Korallenstück überragt die beiden Männer, die es an Bord hieven, um<br />
ihr Netz zu lösen. Es ist nur Teil einer so genannten „Paragorgia“, über 500<br />
Jahre alt und in rund 1.000 Meter Tiefe zu Hause. Wenige Momente später<br />
werfen die Fischer das Tiergebilde zurück ins Wasser, wo es stirbt. Ein weiteres<br />
Opfer der Schleppnetzfischerei in der Tiefsee, eine der aggressivsten<br />
Fischereipraktiken aller Zeiten.<br />
Greenpeace konnte diese Szene Mitte Juni in der Tasmanischen See filmen<br />
und damit die Fischereiindustrie der Lüge überführen. Die behauptet nämlich<br />
immer noch, dass ihre bis zu zehn Tonnen schweren Fangschirme den<br />
Boden nicht berühren. Doch schon früher zeigte Greenpeace, dass diese Geräte auf dem Meeresgrund nur<br />
Zerstörung hinterlassen. Jahrhunderte alte Korallenwälder, meterhohe Schwämme – das alles fällt der Gier<br />
nach den letzen Fischbeständen zum Opfer. Greenpeace dokumentierte diese Szenen nicht zufällig zeitgleich<br />
mit dem UN-Treffen zum Thema Meere und Seerecht (UNICPOLOS) in New York. Greenpeace fordert<br />
von den Vereinten Nationen den sofortigen Stopp des Einsatzes von Grundschleppnetzen in der Tiefsee.<br />
Ihre Unterschrift ist gefragt<br />
Haben Sie die Gentechnik-Unterschriftslisten aus dem ACT 2/<strong>2005</strong> ausgefüllt<br />
an Greenpeace zurückgefaxt oder -geschickt? Ja? Dann vielen Dank<br />
dafür! Sie haben sie ausgefüllt, aber noch nicht an uns zurückgesandt? Dann<br />
tun Sie das doch bitte ganz rasch, es wäre schade um Ihre Unterschrift? Sie<br />
haben es vergessen? Dann holen Sie es doch bitte nach oder besorgen Sie<br />
sich eine neue Liste unter: http://www.greenpeace.at/unterschriftenliste.<br />
html oder telefonisch unter 01/545 45 80. Sie wissen gar nicht, worum es<br />
geht? Darum: Greenpeace versucht mit einer Million Unterschriften in ganz<br />
Europa eine Gesetzeslücke zu schließen: Produkte von Tieren, die mit Gentechnik-Futtermitteln<br />
gefüttert wurden, sollen gekennzeichnet sein. (Näheres auch auf Seite 23.) Bei dieser<br />
Aktion auf dem Linzer Taubenmarkt wies Greenpeace übrigens darauf hin, dass auch der Kaffeemilch-Hersteller<br />
„Maresi“ keinen Verzicht auf gentechnisch veränderte Futtermittel garantiert.<br />
Es geht auch ohne giftige Chemie<br />
Täglich sind wir Tausenden von Stoffen ausgesetzt, deren Wirkung wir<br />
nicht kennen. REACH, eine umfassende EU-Chemikalienreform, sollte<br />
Abhilfe schaffen. Doch nun will der deutsche Industriekommissar Günter<br />
Verheugen den EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso dazu<br />
bringen, dass die Chemieindustrie nur für diejenigen Produkte ausreichende<br />
Sicherheitsdaten vorlegen muss, die in sehr großen Mengen produziert<br />
werden! Nach diesem Vorschlag müssten nur noch sechs Prozent der Chemikalien<br />
am Markt untersucht werden. Aus der Vergangenheit wissen wir<br />
aber, dass Chemikalien auch in kleinsten Mengen verheerende Folgen für<br />
Gesundheit und Umwelt haben können.<br />
Das geht so nicht! Schicken Sie Verheugen ein Protestmail und lassen Sie ihn wissen, dass es Ihnen nicht<br />
egal ist, welche Stoffe Sie umgeben. http://de.einkaufsnetz.org/18124.html<br />
Fotos: (von oben) Pierre Gleizes /GP • GP/ Malcolm Pullman • GP/ Christine Wurnig • GP/ Phillip Reynaers<br />
19
Der zweite Planet<br />
Globale Probleme brauchen Institutionen, die auch globale Verantwortung übernehmen.<br />
Aber die sind derzeit nicht in Sicht. von Wolfgang Pekny<br />
Großalarm auf<br />
der New Yorker<br />
West Side. Das UN-Hauptquartier ist<br />
hermetisch abgeriegelt, Hubschrauber<br />
kreisen tief, übermotorisierte Polizeiboote<br />
patrouillieren am Hudson River. In Sichtweite<br />
der Freiheitsstatue und nur wenige Blöcke<br />
vom Ort des bisher folgenschwersten Terrorattentats<br />
entfernt muss sich die „freie Welt“<br />
wieder verteidigen. Aber nicht gegen Bomben<br />
oder Selbstmordattentäter, sondern gegen viele<br />
Tausend friedlich protestierende Menschen.<br />
Sie tragen keine Transparente, keine Stöcke<br />
und werfen keine Steine. Was sie verdächtig<br />
macht, sind ihre vielen Hautfarben, ihre babylonischen<br />
Sprachen und die seltsamen Logos<br />
auf ihren T-Shirts, Saris, Taschen, Turbanen<br />
und Krawatten: das Abbild von zwei Planeten,<br />
zwei identischen, blaugrünen Erden, dazu die<br />
bitter ironische Forderung: „Give us a second<br />
planet!“ (Gebt uns einen zweiten Planeten!)<br />
Ein zweiter Planet? Sind sie von Sinnen, diese<br />
Menschen, die als Vertreter der unterschiedlichsten<br />
Völker und Regionen angereist sind?<br />
Nun, wohl weniger als jene drinnen, im streng<br />
bewachten Hauptquartier der Vereinten<br />
Nationen. Dort wird seit Jahren diskutiert<br />
und agiert, als gäbe es den Reserveplaneten<br />
tatsächlich! Noch immer verspricht man<br />
jenen, die nichts haben, kommenden Wohlstand<br />
durch kommendes Wachstum. Doch der<br />
globale Kuchen ist längst auf Wenige verteilt,<br />
zum Gutteil sogar schon aufgegessen. Die<br />
Hungrigen möchten zum reich gedeckten<br />
Tisch drängen, doch jene, die dort bereits<br />
Platz genommen haben, denken nicht daran,<br />
etwas abzugeben. Einige Almosen vielleicht,<br />
aber kein faires Teilen. Da wird lieber<br />
systematisch die Lüge<br />
vom ewigen Wachstum<br />
aufrechterhalten. Das politische<br />
Credo gegen Armut, Hunger und Leid<br />
lautet: fleißig arbeiten, Handelsschranken<br />
abbauen – und den Anordnungen der internationalen<br />
Finanzinstitutionen gehorchen. Ein<br />
Rezept, das seit Jahrzehnten für die Armen<br />
keinen Erfolg zeitigt. Doch das einzugestehen<br />
hieße, über Alternativen nachdenken zu<br />
müssen, Alternativen zum Mythos „ewiges<br />
Wachstum“.<br />
Verheerender Zustand der Welt<br />
Im September <strong>2005</strong>, beim Millennium-Development-Gipfel<br />
der UN, liegen den Vertretern<br />
der knapp 200 Nationen die offiziellen Berichte<br />
zum Zustand der Staatengemeinschaft<br />
20<br />
Wenn jemand die Welt regiert,<br />
dann die USA, nicht die UNO!<br />
vor: Der Hunger von hunderten Millionen<br />
Menschen nicht gemildert, Kriege nicht<br />
eingedämmt, alarmierende Übernutzung und<br />
Zerstörung von Ökosystemen nicht verhindert,<br />
der Vormarsch vermeidbarer Krankheiten<br />
nicht gestoppt. Milliarden Menschen<br />
bleiben ohne Zugang zu sauberem Wasser,<br />
die Bedrohung durch Krieg und Terror wird<br />
durch steigendes Ungleichgewicht verschärft,<br />
die Kontrolle über die Ausbreitung von Atomwaffen<br />
ist mangelhaft. Zugleich machen die<br />
transnationalen Konzerne Gewinne wie noch<br />
nie, sprießen die Millionäre wie Pilze nach<br />
dem Regen, steigt die Zahl der Automobile<br />
rasant an, hat sich der Fleischkonsum seit den<br />
Fünfzigerjahren verfünffacht.<br />
Ein Offenbarungseid! Wäre die Welt ein<br />
Land, dann wäre das eine Bankrotterklärung!<br />
Jede Regierung hätte längst zurücktreten<br />
müssen. Aber die UN sind keine Regierung,<br />
nicht einmal die Vertretung der Interessen<br />
der Menschen und der Völker. Anders als<br />
ihre Satzungen vorgeben, „We, the people<br />
...“, sind die UN heute eher ein Verein von<br />
Staaten. Staaten, die in jedem Fall zuerst ihre<br />
eigenen Ziele im Sinn haben. Ob die meisten<br />
Vertreter der historisch oft zufällig und willkürlich<br />
entstanden Staaten dabei tatsächlich<br />
die Interessen der Menschen vertreten, die in<br />
ihrem Staatsgebiet leben, sei dahingestellt.<br />
Entstanden nach dem Schrecken zweier Weltkriege,<br />
sollten die UN vor allem eine „neutrale<br />
Plattform“ bieten, auf der die Staaten ihre<br />
Konflikte austragen können, bevor sie zu den<br />
Waffen greifen. In dieser Kalten-Krieg-Logik<br />
ist die UNO erstarrt, nach Einschätzung ihrer<br />
eigenen Mitarbeiter außer<br />
Stande, den Aufgaben<br />
einer fairen und zukunftsfähigen<br />
Gestaltung des Zusammenlebens<br />
auf dem Planeten gerecht zu werden. Eine<br />
Reform wäre dringend nötig, und die stünde<br />
– zumindest laut Tagesordnung – im September<br />
<strong>2005</strong> auch zur Debatte. Doch unter dem<br />
Einfluss der USA wird sich am Status quo<br />
kaum etwas ändern. Wenn jemand die Welt<br />
regiert, dann die USA, nicht die UNO!<br />
Das „Unternehmen Menschheit“ braucht so<br />
etwas wie eine „Global Governance“. Allerdings<br />
nicht – wie oft fälschlich übersetzt – als<br />
eine „Weltregierung“, sondern als transnationale<br />
Steuerung, gemeinsame Anleitung und<br />
Grenzsetzung.<br />
Erste Ansätze zu „Global Governance“ im<br />
Völkerrecht kamen erst allmählich zu den<br />
Aufgaben der UN dazu. Schließlich war – außer<br />
Krieg und Atombombe – zum Zeitpunkt<br />
der Gründung der UN keine planetare Gefahr<br />
bekannt. Kein Treibhauseffekt, kein Ozonloch,<br />
kein Artenschwund, keine schleichende<br />
Vergiftung.<br />
1972 traten erstmals die Umwelt, ihre Bedrohung<br />
und die daraus für den Menschen entstehenden<br />
Gefahren ins Blickfeld der UNO.<br />
Um die wachsende Zahl der Probleme im<br />
Auge zu behalten, wurde die UNEP, das UN-<br />
Umweltprogramm, geschaffen. Macht hat die<br />
UNEP bis heute keine – und Geld auch nicht.<br />
Seither gab es zwar viele Umweltabkommen,<br />
so zahlreich wie zahnlos, aber am Zustand des<br />
gemeinsamen Haushalts „Ökosystem Erde“<br />
hat sich nichts verbessert, an der Lage der<br />
meisten Bewohner auch nicht.<br />
Die Grenzen der UNO<br />
Mit dem Montreal-Protokoll zum Schutz der<br />
Ozonschicht wurde zwar ein völkerrechtlicher<br />
Weg erfolgreich begonnen, aber schon beim<br />
Kyoto-Protokoll zur Reduktion der menschgemachten<br />
Treibhausgasemissionen stößt die<br />
UNO an ihre Grenzen.<br />
Man kann ungestraft in Länder einfallen und<br />
Menschen töten, wenn sie in den Verdacht<br />
geraten, über gefährliche Waffen zu verfügen<br />
– Waffen, die die Mächtigen längst und selbstverständlich<br />
haben! Doch gegen Staaten, die<br />
sich aus ihrer globalen Verantwortung stehlen<br />
und internationale Verpflichtungen erst gar<br />
nicht eingehen, gibt es keine Sanktionen.<br />
Hat die UNO also eine Zukunft? Nicht, wenn<br />
wir ihr keine geben! Eines Tages wird eine<br />
wirklich globale Gemeinschaft die eigensinnigen<br />
Konstrukte der Nationalstaaten<br />
obsolet machen, wie einst Stammesfürsten<br />
und Herzogtümer hinfällig wurden, als sich<br />
die Staaten formten, die den neuen Aufgaben<br />
besser entsprachen. Waren es damals<br />
Abgrenzung, Ausweitung und Verteidigung<br />
nationaler Besitzstände, so sind es in Zukunft<br />
Einschränkung und das Teilen der globalen<br />
Besitzstände, die es zu organisieren gilt.<br />
„Global Governance“ wäre die Aufgabe für<br />
ein „United Peoples“-Gremium, eine gemeinsam<br />
getragene, langfristige Steuerung<br />
mit klaren Grenzen und fairen Regeln, zwar<br />
prinzipiell demokratisch, aber nicht kurzfristigen<br />
Befindlichkeiten ausgeliefert. Dieses<br />
Gremium hätte, wie jede Legislative, auch
eine Exekutivgewalt, um sich gegen unilaterale<br />
Falschspieler zur Wehr setzen zu können.<br />
Dabei hieße sich gegen das Diktat einer rücksichtslosen<br />
Minderheit zu wehren nicht, zu<br />
den Waffen zu rufen. Wer mitspielen möchte<br />
im globalen Wirtschaften, muss sich an die<br />
Regeln halten. Sonst gibt es Ausschluss. Und<br />
natürlich dürfen die Regeln des globalen Monopoly<br />
nicht länger allein von jenen bestimmt<br />
werden, die schon die besten Stücke an sich<br />
gerissen haben.<br />
Das heißt, es gäbe einen Ausstiegsplan aus<br />
den heutigen internationalen Finanzinstitutionen<br />
Weltbank, Währungsfonds und Welthandelsorganisation<br />
(WTO), die geschaffen<br />
wurden, wie sie sind, damit die Reichen den<br />
Armen die Regeln diktieren. Ersetzt werden<br />
könnte das System durch eine „International<br />
Clearing Union“, eine Organisation zum internationalen<br />
Zahlungsbilanzausgleich mit eigener<br />
fairer Währung, wie sie Maynard Keynes<br />
schon vor Gründung der<br />
Weltbank als Instrument<br />
zum Verhindern von Schuldenfallen<br />
vorschlug.<br />
Reduktion des<br />
ökologischen Fußabdrucks<br />
Anders als zu Keynes Zeiten geht es in<br />
Zukunft nicht nur um eine bessere Verteilung<br />
der Finanzmittel und der natürlichen<br />
Ressourcen, sondern auch um die absoluten<br />
Grenzen der letzteren. Eine „Konvention zur<br />
verpflichtenden Reduzierung des jeweiligen<br />
ökologischen Fußabdrucks auf ein global<br />
verträgliches Maß“ wäre der entscheidende<br />
Schritt, die Konvergenz der Staaten zu einer<br />
gerechteren und zukunftsfähigen Ressourcenverteilung<br />
einzuleiten.<br />
Doch bis diese Einsicht jemals handlungsrelevant<br />
wird, sind noch viele Irrwege zu erwarten,<br />
viel Hunger, viel Leid, viel Blutvergießen.<br />
Und bis dahin müssen alle guten Willens mit<br />
dem Vorlieb nehmen, was wir haben. Eine<br />
reformbedürftige UNO.<br />
Ein erster Schritt in die richtige Richtung<br />
wäre die von einigen europäischen Staaten<br />
vorgeschlagene Gründung einer UNEO,<br />
einer UN-Umweltorganisation. In ihr könnte<br />
die über zahlreiche Agenturen verstreute<br />
„Governance“ zu Umweltanliegen zusammengefasst<br />
und mit mehr Durchsetzungsmöglichkeiten<br />
ausstattet werden. Damit wäre<br />
allerdings immer noch keine Parität mit der<br />
WTO gegeben, die ja außerhalb des UN-Systems<br />
über beispiellose Macht verfügt, um die<br />
Interessen der neoliberalen Weltwirtschaft<br />
durchzusetzen. Der gut gemeinte Vorschlag<br />
wird am Veto der USA scheitern. Auf eine<br />
WEO, eine Welt-Umweltorganisation auf<br />
Augenhöhe mit einer reformierten Welthandelsorganisation,<br />
als globales Gegengewicht<br />
gegen die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen<br />
werden wir noch entsprechend länger<br />
warten müssen.<br />
Ebenso wie auf eine echte Reform des UN-<br />
Sicherheitsrates.<br />
Ein globaler Sicherheitsrat, der sich um die<br />
Zukunft aller Menschen sorgt und nicht nur<br />
um die Sicherheiten der Reichen und Mächtigen,<br />
würde auch tagen, wenn eine Gruppierung<br />
versucht, die angestrebte Fairness<br />
im Zugang zu Ressourcen und Wohlstand zu<br />
unterlaufen, indem sie etwa die Vereinbarungen<br />
zum Schutz der gemeinsamen Atmosphäre<br />
ignoriert.<br />
Es bedarf wenig prophetischer Fähigkeit, ein<br />
Scheitern der UN-Reformversuche im September<br />
<strong>2005</strong> vorherzusagen. Noch immer haben<br />
die USA ein historisch erklärbares, aber heute<br />
völlig anachronistisches Vetorecht.<br />
Doch die Veränderungen werden kommen.<br />
Die Menschheit ist eine Schicksalsgemeinschaft<br />
und gezwungen, den einen, den einzigen<br />
Planeten gemeinsam und weise zu<br />
Dort wird seit Jahren diskutiert und agiert,<br />
als gäbe es den Reserveplaneten tatsächlich.<br />
Illustration: Eva Kellner<br />
nutzen. Lokale Angelegenheiten verlangen<br />
lokale Kontrolle, globale Angelegenheiten<br />
erfordern globale Kontrolle und die Möglichkeit,<br />
sich mit gewaltfreien Möglichkeiten<br />
gegen jene zu wehren, die gegen die legitimen<br />
Interessen der Mehrheit der Menschheit<br />
verstoßen. Die Menschen, die vor dem UN-<br />
Hauptquartier demonstrieren, haben es längst<br />
verstanden: Es gibt keinen zweiten Planeten.<br />
your s<br />
LESETIPP<br />
Wuppertalinstitut für Klima, Umwelt Energie (Hg.):<br />
„Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale<br />
Gerechtigkeit.“ München: C.H. Beck 200<strong>5.</strong><br />
George Monbiot: „United People. Manifest für eine<br />
neue Weltordnung.“ München: Riemann 2003.<br />
kommentar<br />
21
gehen in den Kinofilm: “We feed the world”<br />
„Die Weltwirtschaft könnte problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren.<br />
Das heißt, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.“<br />
Jean Ziegler in „We feed the world“<br />
Der Film des österreichischen Regisseurs Erwin Wagenhofer „We feed<br />
the world“ dreht sich ums Essen und kann einem doch den Appetit verderben.<br />
Was essen wir, woher kommt unser Essen, woher kommt das<br />
Saatgut? Gibt es den traditionell arbeitenden Bauern überhaupt noch?<br />
Oder wurde aus ihm ein Agrar-Industrieller oder ein Landschaftspfleger?<br />
Wer streift den größten Profit unter den Lebensmittelproduzenten ein?<br />
Und wer bezahlt den Preis dafür? Die Antworten auf dies Fragen führten<br />
das Filmteam nach Frankreich, Spanien, Rumänien, in die Schweiz und<br />
nach Brasilien.<br />
„We feed the World“ ist ein Film über Ernährung und Globalisierung,<br />
Fischer und Bauern, Geflügelzüchter und Konzernlenker, Fernfahrer<br />
und Nahversorger, über Warenströme und Geldflüsse. Ein Film über<br />
den Mangel im Überfluss. Es wird Ihnen nachher nicht besser gehen,<br />
aber sie werden der Wahrheit ein Stück näher sein. Ab September <strong>2005</strong><br />
in österreichischen Kinos.<br />
MEHR INFORMATIONEN<br />
http://www.we-feed-the-world.at<br />
http://www.allegrofilm.at<br />
helfen durch ein Testament für eine lebendige Welt<br />
Ein gültiges Testament ist eine wichtige Maßnahme, um die Zukunft<br />
der eigenen Kinder und Enkelkinder zu sichern. Immer mehr Menschen<br />
gehen in ihren Vorkehrungen für die Zeit nach ihrem Leben über den<br />
unmittelbaren Familienkreis hinaus und bedenken auch Institutionen,<br />
denen sie zu Lebzeiten eng verbunden waren oder deren Arbeit sie für<br />
wichtig erachten, mit einer testamentarischen Zuwendung.<br />
Gerade mit Blick auf die kommenden Generationen gibt es allen Grund,<br />
sich Gedanken über unsere Umwelt zu machen. Wenn wir heute sorglos<br />
mit der Natur umgehen, müssen unsere Kinder und Enkel morgen mit<br />
den Konsequenzen leben.<br />
Weil das immer mehr Menschen so sehen, nimmt die Bedeutung von<br />
Testamentsspenden für Greenpeace weltweit zu. Um diese Form der<br />
Spende aus der Tabuzone zu holen, haben sich jetzt einige Personen<br />
entschlossen, über ihre Beweggründe, Greenpeace in ihrem Testament<br />
zu berücksichtigen, Auskunft zu geben. Ihre Erzählungen können Sie<br />
im Internet unter www.greenpeace.at/testamente.html nachlesen, oder<br />
Sie bestellen das Informationsmaterial telefonisch bei Veronika Graf<br />
unter 01/545 45 80-35<br />
Impressum<br />
Medieninhaber, Verleger und Herausgeber: Greenpeace in Zentral- und Osteuropa,<br />
Siebenbrunnengasse 44, 1050 Wien, Tel.: 01 / 54 54 580 - 0,<br />
net: www.greenpeace.at/, e-mail: office@greenpeace.at,<br />
Spendenkonto: P.S.K. <strong>7.</strong>70<strong>7.</strong>100 • www.greenpeace.at/spenden<br />
Chefredaktion: Roman Kellner<br />
Mitarbeit: Verena Ahne, Martin Frimmel, Angelika Krotz, Erwin Mayer, Wolfgang Pekny,<br />
Jurrien Westerhof • Korrektur: Elisabeth Gräf<br />
22<br />
Bildredaktion: Ingrid Fankhauser<br />
Grafische Gestaltung: www.hundundkatz.at<br />
Cartoon: Gerhard Haderer • Coversujet: Greenpeace / Ingrid Fankhauser<br />
Druck: Niederösterreichisches Pressehaus<br />
ACT erscheint viermal jährlich auf 100 % Recyclingpapier.<br />
Ab einer Jahresspende von • 40,- wird das ACT gratis zugesandt.<br />
Das nächste ACT erhalten Sie im Dezember 200<strong>5.</strong><br />
Foto: GP/Ingrid Fankhauser Fotos: Allegrofilm Produktions GmbH
Illustration: GP/Jurrien Westerhof & Willi Svoboda • Foto: GP/Christine Wurnig<br />
Achtung Gentechnik!<br />
Stell dir vor, du schneidest aus einer Zeitung Buchstaben aus, klebst<br />
sie auf einem Blatt Papier zu einem neuen Text zusammen und machst<br />
davon ein paar Kopien. So ähnlich funktioniert Gentechnik. Dabei werden<br />
Gene, das sind winzige Bausteine, aus denen jeder lebende Körper<br />
besteht, ausgeschnitten und woanders neu zusammengefügt. Das neue<br />
Ganze wird dann vervielfältigt. Das klingt ganz lustig, und der Körper,<br />
aus dem die Gene ausgeschnitten werden, geht dabei auch nicht kaputt.<br />
Trotzdem ist Vorsicht geboten: Gentechnik kann natürliche Abläufe in<br />
der Zelle verändern, und die Folgen sind nicht gleich abzusehen.<br />
Ein Gen – viele Aufgaben<br />
Gene bestimmen Eigenschaften: ob eine Blume weiße oder rote Blüten<br />
hat oder ob ein Apfel süß oder sauer schmeckt. Von Generation zu Generation<br />
können sich diese Eigenschaften vermischen und verändern.<br />
Es ist aber nicht ein Gen für eine Eigenschaft zuständig; dafür sind die<br />
Gene viel zu eng miteinander verbunden. Die Gentechnik kann daher<br />
nicht nur z. B. das rote Farb-Gen aus der Kirsche in die Banane einsetzen,<br />
um so rote Bananen zu erzeugen. Andere Eigenschaften kommen<br />
mit. Welche das sind, sieht man aber vielleicht erst viel später. Auch<br />
lässt sich die Natur nur schwer eingrenzen: Durch Pollenflug zum Beispiel<br />
können sich Eigenschaften „auskreuzen“, also auf andere Pflanzen<br />
oder andere Lebewesen übertragen. Greenpeace fordert daher einen<br />
vorsichtigen Umgang mit Gentechnik.<br />
Lücke im Gesetz<br />
Viele Menschen möchten vorsichtig sein und sich entscheiden können,<br />
ob sie mit Gentechnik in Berührung kommen oder nicht. In der<br />
EU müssen daher seit über einem Jahr Lebensmittel mit gentechnisch<br />
veränderten Bestandteilen gekennzeichnet werden. Es gibt aber noch<br />
eine große Lücke: Produkte wie Milch, Eier oder Fleisch von Tieren,<br />
die mit gentechnisch verändertem Futter ernährt werden, müssen nicht<br />
gekennzeichnet sein. Greenpeace will diese Lücke stopfen und sammelt<br />
daher EU-weit Unterschriften für eine erweiterte Kennzeichnung.<br />
Quiz<br />
young<br />
Was kannst du tun?<br />
Auch wenn du selbst vielleicht noch nicht unterschreiben darfst (für<br />
eine gültige Unterschrift musst du 16 Jahre alt sein), hast du bestimmt<br />
Erwachsene in deiner Umgebung, die sich dafür interessieren. Unterschriftenlisten<br />
gibt’s im Internet unter http://www.greenpeace.at/<br />
unterschriftenliste.html oder Tel.: 01/545 45 80<br />
1. Das Molekül, das alle Erbinformationen enthält, heißt ...<br />
a) DNA b) WTO c) DDR<br />
2. Welche Produkte sind neben Bio-Produkten garantiert<br />
gentechnikfrei? Die mit ...<br />
a) Kfz-Pickerl b) Euro-Zeichen c) ARGE-Gentechnikfrei-Siegel<br />
3. Tiere, die gentechnisch veränderte Futtermittel fressen,<br />
bekommen z. B. ...<br />
a) Schokolade b) Bananen c) Soja Auflösung: 1a, 2c, 3c<br />
Du willst bei Greenpeace mitmachen?<br />
Surf doch im Internet zu den Jugend-<br />
Aktionsgruppen: www.greenpeace.at/jugend.html<br />
23
www.greenpeace.at<br />
Spendenkonto: P.S.K. <strong>7.</strong>70<strong>7.</strong>100<br />
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