Neurath, Deutschland, 5. 7. 2005
Neurath, Deutschland, 5. 7. 2005
Neurath, Deutschland, 5. 7. 2005
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„Wir sind seit einigen Stunden in Vidin in<br />
Bulgarien. Die Küste ist flacher als vorher,<br />
sehr grün und mit kleinen Sandstränden<br />
gesäumt; man sieht dort aber nur wenige<br />
Menschen – vor allem Jungs, die Steine<br />
ins Wasser werfen. Unser Platz in Vidin ist<br />
eher nüchtern; über alles ragt ein grauer<br />
Betonklotz, in dem alle Hafenbehörden<br />
untergebracht sind. Der Papierkram wird<br />
immer wilder. Dimitri eilt mit einer prall<br />
mit Dokumenten gefüllten Plastiktüte<br />
zwischen Hafenautoritäten und Schiff<br />
hin und her. Wir brauchen jetzt außer<br />
der sonst üblichen Crewlisten auch eine<br />
Proviant- und eine Zollliste und bestimmt<br />
noch einige andere mehr.“<br />
Christiane Schindler, 3. August<br />
„Es regnet!! Nach zwei Wochen feuchtschwüler<br />
Hitze regnet und gewittert es.<br />
(...) Seit dem zweiten Anschlag auf Albena<br />
haben wir noch mehr Grund, wachsam<br />
zu sein – ganz egal, wie das Wetter ist.<br />
Albena ist Bulgarin, Umweltaktivistin und<br />
Trägerin zahlreicher Umweltpreise, unter<br />
anderem des Umwelt-Nobelpreises. Sie<br />
lebt in einem Dorf in der Nähe von Nikopol,<br />
ca. 40 km nördlich von Pleven, und<br />
betreibt dort eine der größten Biolandwirtschaften<br />
des Landes. Zudem ist sie<br />
die Galionsfigur des Widerstandes gegen<br />
das geplante Atomkraftwerk im nahen<br />
Belene. Der Bau von Belene wurde 1987<br />
begonnen und hauptsächlich dank Albenas<br />
Initiative 1994 eingestellt.<br />
Der Sieg der Umweltschützer ist für<br />
Albena allerdings zur ernsten Gefahr<br />
geworden, denn Vertreter des in viele<br />
Kosloduji, Bugarien, <strong>5.</strong> August <strong>2005</strong><br />
Wirtschaftszweige verflochtenen Unternehmens<br />
TIM machen ihr seither das<br />
Leben schwer. Weil Albenas Aktivitäten<br />
die wirtschaftlichen Interessen des Imperiums<br />
durchkreuzten, muss sie mit Schikanen<br />
und Bedrohungen leben. Im Februar<br />
dieses Jahres erhielt sie nach zahlreichen<br />
anonymen die erste persönliche Morddrohung;<br />
seitdem hat sie einen Bodyguard,<br />
der die beiden Anschläge auf ihr Leben<br />
allerdings auch nicht verhindern konnte.<br />
Vor knapp zwei Wochen wurde sie auf offener<br />
Straße von einem Auto angefahren.<br />
Trotz der Aussage von 34 Zeugen wurde<br />
die Sache vom örtlichen Staatsanwalt fallengelassen<br />
– ebenso wie alle bisherigen<br />
Beschwerden Albenas. Gestern löste dann<br />
jemand an ihrem Wagen die Radmuttern,<br />
und sie entging nur knapp einem schweren<br />
Unfall. Hut ab vor dieser Frau, die den<br />
Einschüchterungen, Behinderungen und<br />
Bedrohungen dieser Mafia widersteht.“<br />
Christiane Schindler, 4. August<br />
„Immer noch Regen. Nikopol. Eine Hafenmole<br />
vor steilen Felsen, links um die Ecke<br />
ein paar Häuser, keine Gardinen, streunende<br />
Hunde, bettelnde Kinder. Hier verirrt<br />
sich kaum jemand her. Trotzdem wird<br />
die Ausstellung aufgebaut, schließlich ist<br />
das Albenas Ort. Von der rumänischen<br />
Seite gegenüber kommen auch ein paar<br />
Besucher, die froh sind über jede Unterstützung<br />
im Kampf gegen Belene. Albena<br />
ist da – mit ihren beiden Kindern und zwei<br />
Bodyguards, die mich faszinieren, weil sie<br />
so in jeder Hinsicht meiner Klischeevorstellung<br />
von Leibwächtern entsprechen.“<br />
Christiane Schindler, 6. August<br />
„Heute ist ein großer Tag. Aktion gegen<br />
das in Bau befindliche Atomkraftwerk<br />
Belene. Wir legen morgens in Svishtov ab<br />
und fahren – teilweise in Begleitung von<br />
Polizei – die Donau ein Stück flussaufwärts.<br />
Die Baustelle kommt nach ca. anderthalb<br />
Stunden in unser Blickfeld. Kräne,<br />
Gerüste, ein Betonmischer und eine<br />
Verladestation auf einem Riesengelände.<br />
Das soll also ein Atomkraftwerk werden<br />
– falls es dazu kommt. Wir sind jedenfalls<br />
hier, um dagegen zu protestieren. Zu uns<br />
stoßen noch zwei Schlauchboote. Die AktivistInnen<br />
des einen versuchen an Land<br />
zu gelangen um dort ein „Stop Belene“<br />
Banner aufzustellen, was vom Wachpersonal<br />
nach kurzer Zeit unterbrochen wird.<br />
Derweil erklimmen die Kollegen auf der<br />
Landseite den Wachturm. Auf dem Rückweg<br />
paradieren wir noch einmal vor dem<br />
Svishtover Ponton, auf dem sich die Presse<br />
versammelt hat.“<br />
Christiane Schindler, 10. August<br />
Leider wird die Berichterstattung<br />
vom letzten Abschnitt der Reise vom<br />
Redaktionsschluss unterbrochen.<br />
Doch die „Anna“ fährt weiter.<br />
Von ihrer Ankunft am Schwarzen<br />
Meer lesen Sie in der kommenden<br />
ACT-Ausgabe.<br />
Fotos: Seite 8: (oben von links)<br />
GP/Ingrid Fankhauser • GP/Christiane Schindler<br />
(unten von links) GP/Ratislav Prohazka • GP/Anna Rizman •<br />
Greenpeace • GP/Ratislav Prohazka<br />
Belene, Bugarien, 8. August <strong>2005</strong>