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14 ULTIMO<br />
FILME<br />
Beziehung zur Musik, womit die Regisseurin<br />
stets respektvoll umgeht.<br />
Für alle ist das Sammeln von Vinyl-Platten<br />
eindeutig die Königsdisziplin.<br />
So hat einer zwei Zimmer zum<br />
Musikhören. Seine Vinyl-Platten<br />
hört er im „besseren“. Da gibt es<br />
Rock- und Metal-Fans, die stolz auf<br />
ihre Jacken voller Badges ihrer Lieblingsbands<br />
sind. Und ja, auch die signierte<br />
und seit Jahren ungewaschene<br />
Jacke gibt es.<br />
Im Internet könne man Fanartikel<br />
kaufen, so ein Fan. Um Musik zu kaufen<br />
sei das Netz aber völlig ungeeignet.<br />
Dafür müsse man in den Laden,<br />
nur dort kann man stöbern, diskutieren,<br />
Schätze entdecken und die Gemeinschaft<br />
Gleichgesinnter erfahren.<br />
Im Internet ist man immer<br />
allein.<br />
Für sie alle ist das Sound it Out Anlaufstelle<br />
und Wassertränke. Welchen<br />
Respekt die Musikliebhaber voreinander<br />
haben, sieht man, wenn ein<br />
kleiner Live-Gig einer lokalen Musikerin<br />
im Sound it Out gezeigt wird.<br />
Gute Musik schätzen eben alle, egal<br />
welche Vorlieben sie sonst haben.<br />
Mit dem Verschwinden solcher Läden,<br />
diesen Inseln der Individualität,<br />
werden die Städte ärmer und austauschbarer.<br />
Olaf Kieser<br />
UK 2011 R, B & K: Jeanie Finlay<br />
AMERICAN PIE – DAS<br />
KLASSENTREFFEN<br />
Jahre später<br />
Die Schwanzschwinger von<br />
damals hängen heute etwas durch<br />
W<br />
ahrlich, das Leben ist grausam.<br />
Zwang es doch 1999 den pubertierenden<br />
Jim, vor den Augen<br />
der Weltöffentlichkeit mit einem<br />
amerikanischen Apfelkuchen zu kopulieren,<br />
einem „gedeckten“, wie<br />
Backwarenfachverkäuferinnen heute<br />
noch schmunzeln. Davon hat sich<br />
der Teenie-Film nie wieder erholt.<br />
Mit zwei offiziellen Nachfolgern<br />
und gefühlten 100 Spin Offs wurde<br />
American Pie zur Ikone fürs sexuell<br />
verwirrte Jungvolk, das immer nur<br />
das eine wollte: Poppen bis der Arzt<br />
kommt und den Partner fürs Leben.<br />
Und Witze mit Körperflüssigkeiten.<br />
13 Jahre nach der genrebildenden<br />
ejaculatio praecox zwingen nun die<br />
Fortsetzungsgesetze denselben Jim<br />
(immer noch Jason Biggs, der das Erwachsen<br />
werden auch nicht besser<br />
hingekriegt hat als der Rest des Original-Ensembles),<br />
die Szene gleich<br />
zwei Mal erneut zu ertragen. Einmal<br />
bloß als erzählte Reprise aus dem<br />
Mund seines Vaters, einmal als Variante,<br />
in der er sich nun plötzlich<br />
schamhaft einen Topfdeckel vors Gemächt<br />
presst. Der ist allerdings<br />
durchsichtig, und Jason Biggs muss<br />
nun damit weiter leben, nicht mal in<br />
der Kategorie „frontal transparency“<br />
lobend erwähnt zu werden.<br />
Da ist es schon lustiger, wenn Kuchenliebhaber<br />
Jim und seine Frau<br />
Michelle (Alyson Hannigan aus How<br />
I Met Your Mother) eher gar keinen<br />
Sex mehr miteinander haben und<br />
sich, peinlich, peinlich, vom eigenen<br />
gerade lauffähigen Kind beim getrennten<br />
Masturbieren erwischen<br />
lassen müssen. Da spritzt noch ein<br />
bisschen von der Respektlosigkeit herum,<br />
die das Original zum befreienden<br />
dreckigen Witz gegen die<br />
amerikanische Prüderie machte.<br />
Der Rest ist eher eine Obduktion.<br />
Die wilde Clique aus Highschool-Tagen<br />
kommt zum Jubiläum noch einmal<br />
an die Stätte früherer Verfehlungen<br />
zurück und benimmt sich daneben.<br />
Peinlich penibel werden Situationen<br />
und Locations von damals abgehakt<br />
und jeder möglicherweise<br />
dramatisch wertvolle Konflikt wird<br />
mit einer Defäkation in die Kühlbox<br />
des Gegners erledigt. Statt sich den<br />
bei Klassentreffen wirklich wichtigen<br />
Fragen zu stellen. Wer bin ich?<br />
Wer war ich? American Pie – Reunion<br />
tutso,alswürdeallesgut,wenn<br />
wir nur wieder so blöd würden wie<br />
wir damals waren.<br />
Oder steckt da etwa Kritik im weichen<br />
Kern des Kuchens? Ist der<br />
prä-pubertäre Held, geschlagen mit<br />
einer auch im Alter noch hinreißenden<br />
Mutter (die Kategorie MILF hat<br />
damals A.P.1 erfunden) das tragische<br />
Zentrum? Immerhin hat der<br />
Stiffmeister (Seann William Scott)<br />
den tollsten Job und trauert am peinlichstenseinenwildenTagennach.<br />
Wing<br />
American Pie: Reunion. USA 2011. R&B:<br />
Jon Hurwitz, Hayden Schlossberg K: Daryn<br />
Okada D: Jason Biggs, Alyson Hannigan,<br />
Chris Klein, Thomas Ian Nicholas,<br />
Seann William Scott, Eddie Kaye Thomas,<br />
Mena Suvari, Tara Reid, Eugene Levy,<br />
Jon Cho<br />
Besser als Internet: Plattenladen „Sound it Out“<br />
DIE LIEBENDEN<br />
Treu und traurig<br />
Eine ungewöhnliche<br />
Gefühlsmischung mit Musik<br />
zwischen Melodram und Komödie<br />
M<br />
eine Mutter war ein Hure“ sagt<br />
Véra (Chiara Mastroianni) zu<br />
Beginn aus dem Off, und in ihrer<br />
Stimme klingt keinerlei moralische<br />
Verurteilung, vielleicht sogar<br />
ein wenig Stolz. Eher zufällig wird<br />
die Schuhverkäuferin Madeleine (Ludivine<br />
Sagnier) im Paris der sechziger<br />
Jahre zur Nebenerwerbsprostituierten.<br />
Als sie in den geklauten nagelneuen<br />
Stöckelschuhen stolz nach<br />
Hause schreitet, wird sie von einem<br />
Mann versehentlich für ein käufliches<br />
Mädchen gehalten und lässt<br />
sich auf das Angebot ein.<br />
Eines Tages nimmt der junge<br />
tschechische Arzt Jaromil (Rasha<br />
Bukvic) ihre Dienste in Anspruch,<br />
und es dauert nicht lange, bis sie sich<br />
in den stattlichen Freier verliebt und<br />
ihm sogar nach Prag folgt, wo das<br />
Paar eine Tochter bekommt. Als die<br />
Russen in Prag einmarschieren und<br />
sich Jaromil schon längst mit einer<br />
anderen im Bett vergnügt, kehrt Madeleine<br />
mit dem Kind nach Paris zurück.<br />
Auch wenn sie dort den schmucken<br />
und soliden Gendarmen Fran-<br />
çois (Guillaume Denaiffe) heiratet,<br />
taucht der tschechische Ex-Mann<br />
über die Jahrzehnte immer wieder<br />
auf – und Madeleine verfällt ihm bis<br />
ins hohe Alter hinein stets aufs Neue.<br />
Während Madeleine selbst als<br />
Dame im fortgeschrittenen Alter (Catherine<br />
Deneuve) ein Kind der libertären<br />
Sechziger und eine glücklich<br />
unglückliche Liebende bleibt, ist ihre<br />
Tochter Véra ein Produkt der Achtziger,<br />
in denen mit dem Aufkommen<br />
von AIDS die Liebe ihre Unbeschwertheit<br />
verloren hat. Auch Vèra<br />
lässt sich durchs Leben treiben,<br />
kann sich aber auf keine feste<br />
Beziehung einlassen.<br />
Einerseits wird hier die Leichtigkeit,<br />
mit der die Elterngeneration in<br />
den Sechzigern sich in der Liebe ausprobiert<br />
hat, der Beziehungsunfähigkeit<br />
der Kinder des AIDS-Zeitalters<br />
gegenübergestellt, für die Liebe,<br />
Angst und Tod eng beieinander liegen.<br />
Andererseits zeigt Christophe<br />
Honoré auch, wie sehr die Töchter,<br />
die versuchen sich von der Lebensweise<br />
der Mütter abzugrenzen, deren<br />
Liebesverhaltensmuster unbewusst<br />
wiederholen. Dass es in der<br />
Welt immer Liebende und Geliebte<br />
gibt und es nur wenigen Menschen<br />
vergönnt ist, in beiden Rollen<br />
aufzugehen, ist die bittersüße Erkenntnis<br />
des Films.<br />
Diese emotionale Reise führt<br />
durch die Dekaden, vom Prager<br />
Frühling bis zu Nine Eleven, von Paris<br />
und London bis nach Montreal,<br />
versetzt mit einer Reihe von Chansons,<br />
die in Musicalmanier dargeboten<br />
werden. Federleichtes Lebensgefühle<br />
und schwermütige Momente<br />
liegen hier sehr dicht beieinander,<br />
wobei die Geschichte mit 135 Filmminuten<br />
deutlich überdimensioniert ist<br />
und viel zu stark auserzählt wird.<br />
Martin Schwickert<br />
Les Bien-aimes F/GB/CZ 2011 R&B: Christophe<br />
Honoré K: Rémy Chevrin D: Catherine<br />
Deneuve,Ludivine Sagnier, Chiara<br />
Mastroianni<br />
Dekaden der Zuneigung: „Die Liebenden“