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A<br />
24 ULTIMO<br />
BÜCHER<br />
NATUR<br />
KAMPF UMS PARADIES<br />
T.C. Boyles apokalyptischer Umwelt-Krieg<br />
»Wenn das Schlachten vorbei ist«<br />
m Anfang gibt es einen Schiffbruch.<br />
Und dann gleich noch einen,<br />
bloß Jahrzehnte zuvor. So<br />
führt Thomas Coraghessan Boyle in<br />
seinem 13. Buch Thema und Methode<br />
am packenden Einzelfall vor:<br />
Den großen Untergang hinter allem<br />
einerseits, denn 460 Seiten später<br />
ist die Welt nicht mehr so, wie wir<br />
sie kennen und alles Überleben ist<br />
nur Schein. Die faktenwütige Aufmerksamkeit<br />
andererseits für den<br />
platt geschlagenen Zahn am Kronkorken<br />
einer Bierflasche, denn eine<br />
Schiffbrüchige überlebt nur, weil<br />
eine Kühlbox ihr Auftrieb gibt.<br />
Kaum 60 Seiten später hat die Enkelin<br />
der Überlebenden auch eine<br />
Art Schiffbruch, als ihre Informationsveranstaltung<br />
zu ökologisch<br />
wertvollen Ratten-Vergiftungsmaßnahmen<br />
zum Eklat gerät. Ein randalierender<br />
Extrem-Biot wirft ihr<br />
Nazi-Methoden im Umgang mit der<br />
Natur vor. Die Ratten, die mit dem<br />
zweiten Schiffbruch im 19. Jahrhundert<br />
auf die abgelegene, unbewohnte<br />
Inselgruppe vor der Küste<br />
Kaliforniens kamen, gelten mittlerweile<br />
als Bedrohung seltener Seevögel<br />
und sollen weg. Ausgerechnet<br />
ein unsympathischer Rüpel, der<br />
noch dazu nichts von Wissenschaft<br />
versteht, aber als Geschäftsmann<br />
erfolgreich war, will die Ratten<br />
retten.<br />
Damit der symbolische Kampf zwischen<br />
Angriff und Abwehr, Steuern<br />
und in Ruhe lassen nicht zu schematisch<br />
wird, verteilt Boyle die Karten<br />
unfair. Jede Haltung jeder Figur entsteht<br />
aus vielen kleinen Szenen und<br />
bisweilen langen inneren Monologen<br />
immer etwas schräg zum Naheliegenden.<br />
Der querulante Bewahrer<br />
verteidigt eine vom Menschen verursachte<br />
Schieflage (ohne Schiffe wärennieRattenaufdieInselngekommen)<br />
gegen menschliche Korrekturbemühungen<br />
und rettet sein Naturbewusstsein<br />
schließlich mit Hilfe chemischer<br />
Präparate, die Ratten gegen<br />
übliche Gifte immunisieren. Gleichzeitig<br />
wird er in vielen, fast kurzgeschichtenartigen<br />
Episoden, zum<br />
richtigen Menschen, an dem mehr<br />
interessiert, wer er ist, als ob er<br />
damit recht hat.<br />
Die Biologin fängt auf der Sympathieseite<br />
an, schon weil sie mit der<br />
ersten Schiffbrüchigen des Buches<br />
verwandt ist, und Durchbeißen ge-<br />
gen Widerstände sozusagen im Blut<br />
hat. Dann rettet sie schließlich hübsche<br />
Vögel vor fiesem Getier, und<br />
dass sie dabei auch mal zu Photoshop<br />
greift, macht anfangs nur fast unauffällige<br />
Flecken auf ihrem Charakter.<br />
So lädt sich der dumme Konflikt<br />
zwischen „Wiederherstellung“ und<br />
„Bewahrung“ schnell auf mit der Frage,<br />
ob es überhaupt ein „zurück“ geben<br />
kann, ob nicht jeder Zustand der<br />
Welt sein eigenes Recht auf Überleben<br />
hat, und ob sich irgendein<br />
Eingriff auf mehr als eigene<br />
Interessen stützen kann.<br />
Zum Glück diskutiert das Boyle<br />
nicht und schickt seine Figuren nicht<br />
zum philosophischen Berater. Er<br />
schreibt nur, in vollen Zügen und mit<br />
überwältigendem Detailreichtum,<br />
vom Krieg ums Paradies. Wobei unklar<br />
bleibt, ob das Paradies eine Insel<br />
ist, auf der die zufällig hineingeratenen<br />
Ratten am Ende ihre eigene<br />
Nahrungsgrundlage auffressen<br />
werden. Wing<br />
T.C. Boyle: Wenn das Schlachten vorbei<br />
ist. Aus dem Amerikanischen von<br />
Dirk van Gunsteren. München, Hanser<br />
2012, 461 S., 22,90<br />
SURREALISMUS<br />
Ganz woanders<br />
Bora Cosic flaniert durch das<br />
Belgrad seiner Erinnerungen<br />
ora Cosic, in Zagreb geboren<br />
und in Belgrad aufgewachsen Bund<br />
aus dem zerbrechenden Jugoslawien<br />
geflohen, ist gerade 80 geworden.<br />
Und erinnert sich in Frühstück<br />
im Majestic an seine Kindertage<br />
und als die Streiche der verfeindeten<br />
Fraktionen der serbischen Surrealisten<br />
zwischen den Kriegen das<br />
Schlimmste war, was passieren konnte.<br />
Er erinnert an das prachtvolle Hotel<br />
Majestic in seinem Viertel, und<br />
dass mit zunehmendem Alter der Eindruck<br />
zunimmt, dass die Welt nur gemalt<br />
sei, oder wie Cosic mehrfach<br />
schreibt: „Die Welt ist womöglich woanders“.<br />
Und als Beweis führt er an,<br />
dass die Belgrader Polizeistation<br />
dort entstand, wo sich früher das Irrenhaus<br />
befand. „Es ist dasselbe Gebäude,<br />
das im Jahr 1999 von den Raketen<br />
der Allianz zerstört wurde,<br />
nur dass dadurch der Wahnsinn hier<br />
nicht ausgelöscht wurde.“<br />
So plaudert er über die Ordnung<br />
der Dinge und dass nur die Kunst<br />
dem Leben einen Sinn zu geben vermag,<br />
weil sie die Welt richtig ordnet.<br />
Frühstück im Majestic ist ein durch<br />
und durch unsentimentaler und wehmütiger<br />
Blick auf eine Zeit, als manche<br />
Ideen vollkommen unverdächtig<br />
waren und man über die Zusammenhänge<br />
von milchigen Badezimmerscheiben<br />
und Impressionismus<br />
nachdenken konnte.<br />
Thomas Friedrich<br />
Bora Cosic: Frühstück im Majestic. Belgrader<br />
Erinnerungen. Aus dem Serbischen<br />
von Katharina Wolf-Grießhaber.<br />
Hanser, München 2012, 14,90