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Bionik, Biomimetik - Naturwissenschaftliche Rundschau

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Speck, Neinhuis: <strong>Bionik</strong>, <strong>Biomimetik</strong> – Ein interdisziplinäres Forschungsgebiet mit Zukunftspotential<br />

Wie bereits angedeutet, darf man nicht erwarten, dass die<br />

<strong>Bionik</strong> prinzipiell die „natürlichere“, „umweltverträglichere“<br />

Variante der Technik darstellt. Außerdem kann die <strong>Bionik</strong> –<br />

wie jede Wissenschaft – auch missbraucht werden. Diese<br />

Ambivalenz zeigt sich beispielsweise an den „Micro Air<br />

Vehicles“ (MAV), „intelligente Kleinstflugobjekte“, die mit<br />

Hilfe bionischer Methoden entwickelt werden. Sie können<br />

vielfältigen zivilen Zwecken dienen (etwa im Brandschutz<br />

oder bei der Überwachung von Vulkanen), aber auch eine<br />

neue Dimension in kriegerische Auseinandersetzungen bringen.<br />

Ausgewählte Beispiele<br />

bionischer/biomimetischer Forschung<br />

Formoptimierung nach dem Muster wachsender Bäume<br />

und Knochen<br />

Ausgehend von Beobachtungen der (Wuchs-)Form von<br />

Bäumen und anderer mechanisch stark belasteter natürlicher<br />

Strukturen wie Knochen hat sich Claus Mattheck vom<br />

Institut für Materialforschung des Forschungszentrums<br />

Karlsruhe mit den Gesetzmäßigkeiten ihrer Formgebung beschäftigt<br />

[17, 18]. Er konnte nachweisen, dass Strukturen bei<br />

minimalem Materialeinsatz den Festigkeitsanforderungen<br />

genügen, wenn auf ihrer Oberfläche überall gleiche Spannungen<br />

herrschen. Die Hypothese der konstanten Spannungen<br />

wurde bereits 1893 von dem Förster K. Metzger für Fichtenstämme<br />

formuliert [19]. Eine solche „Bauvorschrift“ führt<br />

dazu, dass bei Bäumen, Knochen, Zähnen und Krallen unter<br />

sparsamstem Materialeinsatz maximal belastbare Strukturen<br />

entstehen und lokale Schwachstellen vermieden werden<br />

(Abb. 4). Basierend auf seinen Untersuchungen an natürlichen<br />

Strukturen hat Claus Mattheck eine Reihe Computerunterstützter<br />

Methoden zur Gestaltoptimierung technischer<br />

Bauteile entwickelt [20, 21, 13], die seit mehr als einem Jahrzehnt<br />

erfolgreich in der Industrie eingesetzt werden:<br />

Bei der Computer-gestützten Optimierung (Computer Aided<br />

Optimisation: CAO-Verfahren) wird das in der Wachstumszone<br />

(Kambium) erfolgende sekundäre Dickenwachstum<br />

von Bäumen simuliert. Hierbei wird an die hochbelasteten<br />

Außenbereiche technischer Bauteile so lange Material<br />

angelagert, bis eine mechanisch optimierte Form mit konstanter<br />

Oberflächenspannung entstanden ist.<br />

Beim SKO-Verfahren (Soft Kill Option) hingegen wird nach<br />

dem Vorbild der Knochen-abbauenden Zellen (Osteoclasten)<br />

Material von unterbelasteten Stellen (im Innen- und Außenbereich)<br />

des im Computer simulierten Bauteils entfernt<br />

(Abb. 5a). Für sich genommen führt das SKO-Verfahren zu<br />

Leichtbau-Strukturen, die allerdings Spannungsspitzen an<br />

der Oberfläche haben können. Mit dem CAO-Verfahren hingegen<br />

erhält man Strukturen ohne derartige Spannungsspitzen<br />

und mit hoher Dauerfestigkeit, aber ohne Gewichtsoptimierung.<br />

Eine Kombination beider Verfahren ermöglicht es,<br />

die Vorteile zu vereinen, so dass im Ergebnis hochbelastbare<br />

form- und gewichtsoptimierte Strukturen entstehen. Auf diese<br />

Weise konstruierte man bereits Leichtmetall-Autofelgen<br />

mit 26% Gewichtsersparnis (Abb. 5b) und orthopädische<br />

Abb. 4. Natürliche Gestaltoptimierung führt bei Baumgabeln (Zwieseln)<br />

zu einer günstigen Spannungsverteilung und zu Formen ohne<br />

Kerbspannung. Die v. Mises-Spannung ist ein relatives Maß für die<br />

Spannungsverteilung. Aus [18]<br />

Schrauben mit 20fach höherer Lebensdauer (eingesetzt z. B.<br />

bei Rückgratoperationen) und minimierter Bruchgefahr.<br />

Mattheck entwickelte außerdem das CAIO-Verfahren<br />

(Computer Aided Internal Optimisation), mit dem der Faserverlauf<br />

in Faserverbundwerkstoffen entlang der Kraftlinien<br />

kerbspannungsmindernd optimiert werden kann, wodurch<br />

die Gefahr der Rissbildung vermindert wird.<br />

Optimierung von Flug- und Schwimmkörpern<br />

nach dem Vorbild schwimmender Wirbeltiere<br />

Eine andere Art der Formoptimierung wurde bereits in<br />

den 60er Jahren von Heinrich Hertel (TU Berlin) für Flugzeuge<br />

gefordert. Er regte die Konstruktion spindelförmiger Laminarrümpfe<br />

für Flugzeuge an, an denen die Luft über weite<br />

Bereiche des Rumpfes bis zur weit hinten liegenden dicksten<br />

Stelle in der Grenzschicht laminar bleibt. Hierdurch kann der<br />

Gesamtwiderstand stark verringert werden. Ausgehend von<br />

Untersuchungen spindelförmiger Körper, die sich konvergent<br />

bei schnell schwimmenden Fischen (z. B. Thunfisch,<br />

Schwertfisch), Delphinen und anderen Walen evolviert haben,<br />

war Hertel zur Überzeugung gelangt, dass Flugzeuge<br />

mit einem ähnlichen spindelförmigen Rumpf einen geringeren<br />

Luftwiderstand haben als solche mit herkömmlichem zylindrischem<br />

Rumpf [22]. Neuere Untersuchungen von Rudolf<br />

Bannasch (TU Berlin/EvoLogics GmbH Berlin) an Pinguinen<br />

<strong>Naturwissenschaftliche</strong> <strong>Rundschau</strong> | 57. Jahrgang, Heft 4, 2004 181

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