Bionik, Biomimetik - Naturwissenschaftliche Rundschau
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Übersicht<br />
a<br />
b<br />
Abb. 8. Insekt als biologisches Vorbild für die Entwicklung dezentral<br />
gesteuerter Laufmaschinen. – a. Die Gemeine Stabheuschrecke (Carausius<br />
morosus). [Photo H. Scharstein]. – b. LAURON II, die zweite Generation<br />
eines nach dem Vorbild der Stabheuschrecke konstruierten<br />
Laufroboters. [Photo K. Luginsland, Landesmuseum für Technik und Arbeit,<br />
Mannheim]<br />
Selbstreinigende Oberflächen: Der Lotus-Effekt<br />
Eines der bekanntesten Beispiele bionischer Forschung ist<br />
die von dem Botaniker Wilhelm Barthlott entdeckte Selbstreinigungsfähigkeit<br />
vieler Pflanzen. Mitte der 70er Jahre hatte<br />
er festgestellt, dass die Oberflächen unbenetzbarer, also wasserabstoßender<br />
Pflanzenblätter nur selten verschmutzt sind.<br />
Diese Beobachtung ergab sich im Rahmen einer repräsentativen<br />
Untersuchung mikroskopisch kleiner Oberflächenstrukturen<br />
hinsichtlich ihrer Eignung für die systematische<br />
Einteilung von Pflanzen [33]. Diese Eigenschaft zeigt sich bei<br />
vielen Pflanzen, die mit feinen Wachsstrukturen bedeckt<br />
sind, besonders eindrucksvoll jedoch bei der Indischen Lotosblume<br />
(Nelumbo nucifera), dem Symbol der Reinheit in asiatischen<br />
Religionen. Die strukturelle Grundlage des Selbstreinigungseffektes<br />
ist die Kombination aus wasserabweisendem<br />
(hydrophobem) Material (Pflanzenwachse) und einer<br />
geeigneten Mikro- und/oder Nanostruktur [34]. Im Fall der<br />
Lotospflanze handelt es sich bei der Strukturierung um eine<br />
Kombination aus einer mikroskopisch fein genoppten Blattoberfläche,<br />
deren Struktur durch die 20 bis 50 µm großen<br />
Zellen der Epidermis bestimmt wird, und aus Wachskristallen<br />
im Größenbereich von 0,5–3 µm (Abb. 9a,b). Auf den unbenetzbaren,<br />
fein genoppten Blattoberflächen ziehen sich<br />
die Wassertropfen in kugeliger Form zusammen und rollen<br />
bei geringsten Erschütterungen und/oder kleinsten Neigungswinkeln<br />
rückstandsfrei ab (Abb. 9c). Wegen der geringen<br />
Kontaktfläche auf der rauhen Oberfläche bleiben auch<br />
Schmutzpartikel schlecht auf dem Blatt haften. Rollt ein<br />
Tropfen über die Oberfläche, so nimmt er dabei die<br />
Schmutzpartikel auf und entfernt sie beim Ablaufen von der<br />
Blattoberfläche (Abb. 9d). Auf glatten Oberflächen verlaufen<br />
die Wassertropfen und „kriechen“ über die Schmutzpartikel<br />
hinweg, ohne den Schmutz mitzunehmen. 1987 griff Wilhelm<br />
Barthlott die Beobachtung wieder auf, und es gelang<br />
ihm, zusammen mit seinem Mitarbeiter Christoph Neinhuis,<br />
die physikalisch-chemische Basis des „Lotus-Effekts“ im<br />
Detail zu entschlüsseln, seine Bedeutung für die Biologie zu<br />
verstehen und eine nach diesem Prinzip funktionierende<br />
künstliche Schmutz abweisende Oberfläche herzustellen [35,<br />
36]. In Kooperation mit verschiedenen Industriepartnern<br />
a c<br />
Abb. 9. Lotus-Effekt. – a. Ein Blatt der<br />
Lotosblume (Nelumbo nucifera) nach<br />
Kontamination mit dem Farbstoff Sudan III.<br />
Selbst dieser hartnäckige Farbstoff wird<br />
durch einfaches Besprühen mit Wasser in<br />
wenigen Sekunden vollständig vom Blatt<br />
entfernt. – b. Rasterelektronenmikroskopische<br />
Aufnahme der Blattoberfläche. Deutlich<br />
erkennbar ist die doppelte Strukturierung aus<br />
Epidermispapillen und feinen Wachskristallen.<br />
– c. Aufgrund der wasserabweisenden<br />
Chemie der Wachse und der<br />
Rauhigkeit der Oberfläche kugelt sich ein<br />
Wassertropfen vollständig ab und haftet<br />
praktisch nicht am Blatt. – d. Funktionsweise<br />
der Selbstreinigung durch den Lotus-Effekt:<br />
Die glatte Oberfläche (links) wird von den<br />
Wassertropfen benetzt, und die Schmutzpartikel<br />
werden nur verschoben, wenn die Tropfen<br />
b d<br />
über sie hinwegkriechen. Auf der rauhen, fein<br />
genoppten Oberfläche (rechts) haften<br />
Schmutzpartikel schlecht, werden von den abperlenden Wassertropfen aufgenommen und von der Oberfläche abgewaschen. Aus [35]<br />
184 <strong>Naturwissenschaftliche</strong> <strong>Rundschau</strong> | 57. Jahrgang, Heft 4, 2004