Raus in die Natur - Band 2 - Zwischen Karwendel und Spessart
Die Geschichte beginnt im Karwendel. Auf einer Mehrtageswanderung durchquerten wir mit unseren Kindern das Gebirge von Ost nach West. Anschließend erzähle ich über die Erlebnisse unserer Zugspitzbesteigung, die über das Reintal erfolgte. Mit dem Rad und im Schlauchkanadier erkundete ich die obere Isar, einem der schönsten bayerischen Alpenfl üsse, denn hier darf sie teilweise noch frei fließen. Angenehm war das radeln auch an der Isar entlang durch München. Auf dem Weg nach Deggendorf lernte ich dann eine Auenlandschaft kennen, die ihresgleichen sucht. An der breiten Donau ging es anschließend weiter bis nach Kehlheim. Mich beeindruckte nicht nur der Donaudurchbruch bei Weltenburg, sondern auch das untere Altmühltal. Dort faszinierten mich die steinzeitlichen Pfahlbauten wie auch die trutzigen Burgen hoch über dem Fluss. Über das liebliche Taubertal erreichten wir anschließend den Spessart und den Main. Der Fluss schlängelt sich in endlosen Schleifen durch das fränkische Schichtstufenland. Nun wird der Leser erneut auf den Fluss gelockt, denn ich erzähle, was ich zwischen Lohr und Wertheim beim paddeln erlebte. Am Ende des Buches sind es aber die alten Eichen und Buchen des Spessarts, die zu einer Wanderung in ein sagenhaftes Waldgebiet einladen.
Die Geschichte beginnt im Karwendel. Auf einer Mehrtageswanderung durchquerten wir mit unseren Kindern das Gebirge von Ost nach West. Anschließend erzähle ich über die Erlebnisse unserer Zugspitzbesteigung, die über das Reintal erfolgte. Mit dem Rad
und im Schlauchkanadier erkundete ich die obere Isar, einem der schönsten bayerischen Alpenfl üsse, denn hier darf sie teilweise noch frei fließen. Angenehm war das radeln auch an der Isar entlang durch München. Auf dem Weg nach Deggendorf lernte ich dann eine
Auenlandschaft kennen, die ihresgleichen sucht. An der breiten Donau ging es anschließend weiter bis nach Kehlheim. Mich beeindruckte nicht nur der Donaudurchbruch bei Weltenburg, sondern auch das untere Altmühltal. Dort faszinierten mich die steinzeitlichen
Pfahlbauten wie auch die trutzigen Burgen hoch über dem Fluss. Über das liebliche Taubertal erreichten wir anschließend den Spessart und den Main. Der Fluss schlängelt sich in endlosen Schleifen durch das fränkische Schichtstufenland. Nun wird der Leser erneut auf den Fluss gelockt,
denn ich erzähle, was ich zwischen Lohr und Wertheim beim paddeln erlebte. Am Ende des Buches sind es aber die alten Eichen und Buchen des Spessarts, die zu einer Wanderung in ein sagenhaftes Waldgebiet einladen.
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Seite 1
Wer
Lange
Sitzt
Muss
Rosten
2 Seite
Der Weg ist das Ziel
Wege mit Weitsicht
findet man vor allem
in den Alpen wie hier
im Karwendel.
Auf diesen Wegen
zu wandern, ist eine
Naturerfahrung,
die man durch nichts
ersetzen kann.
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Der Weg ist das Ziel
Wege mit Weitsicht
findet man vor allem
in den Alpen wie hier
im Karwendel.
Auf diesen Wegen
zu wandern, ist eine
Naturerfahrung,
die man durch nichts
ersetzen kann.
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Wandern
Wandern ist Natur pur. In Zeitlupe schwebt sie an dir vorbei und fordert doch
all deine Sinne. Du realisierst das Singen der Vögel im Frühling, das Summen
der Bienen und den Duft der Blüten im Sommer, das Rascheln des Herbstlaubs
im Sturmwind und das Knistern der Blätter, das beim Aufsetzen deiner Füße
entsteht.
Du saugst das leise Nichts im Winter auf, wenn alles ruht und schläft.
Wenn nur das leise „Flupp“ zu vernehmen ist, das unter deinen Füßen entsteht,
wenn diese auf dem Schnee aufsetzen und ihn zerdrücken.
Die Kälte beißt sich in dein Gesicht und du spürst, wie sie mit dem
aufkommenden Wind zunimmt.
Du spürst bei Windstille die wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut,
du bleibst stehen und verschließt die Augen, wenn die Sonne schräg über dem
Horizont steht und dich für einen kurzen Moment zum Innehalten einlädt.
Gutes Schuhwerk
an den Füßen ist die
Grundvoraussetzung
für angenehmes
Laufen in der Natur.
Je schwerer der
Rucksack, desto
besser muss der
Halt im Schuh sein.
Wandern ist aber auch die Sehnsucht, jene alten Wege zu gehen, die uns von der
Zivilisation wegführen, fort von den Ablenkungen dieser schnelllebigen Zeit
hin zu Orten, die uns Ausblicke in endlose Weiten ermöglichen.
Orte, die uns die Möglichkeit geben, in die Tiefe unserer Seele hinein zu horchen.
Es sind magische Orte und es sind die Wege dorthin. Sie zwingen uns zum Nachdenken
nach dem wohin.
Insofern ist Wandern Meditation, bei jedem Schritt nach vorne. Wandern kann uns
bis zum Rande unserer bekannten Welt führen, bis zu einem Abgrund, an dem es
nicht mehr weitergeht.
Die Essiggrundhütte
erreicht man über
den Hasenstabweg.
Sie liegt im Essiggrund,
einem Tal
mitten im Spessart.
Alte Eichen und
Buchen umrahmen
idyllisch die Hütte
und bestätigen dem
Wanderer, dass er
sich in einem der
schönsten Wälder
Bayerns befindet.
Beim Wandern macht es nichts aus, in welche Richtung du blickst,
ob es am Morgen, abends, mittags oder mitten in der Nacht ist.
Die Natur ist einfach immer da, wenn du läufst.
Dann konzentrierst du dich wieder auf deinen Weg, denn du
möchtest diese ganz bestimmte Strecke gehen, als wehte dort,
wo es dich hinzieht, eine besondere Luft.
Du fühlst dich wie ein Jäger aus einer längst vergessenen Zeit.
Doch es ist nicht die Luft, es ist dein Leben, das dir begegnet.
Beim Paddeln steht
das Flusserlebnis
im Vordergrund. Nur
so ist das Element
Wasser wirklich
spürbar. Auch die
Kraft, die ein Fluss
besitzt, lässt sich
nur von demjenigen
nachempfi nden, der
sie schon einmal
erfahren durfte. Egal
ob beim Paddeln
gegen den Strom
oder beim Befahren
einer schwierigen
Stelle.
Im gleichen langsamen Tempo wie beim Wandern lassen sich die Wege
auf dem Wasser erkunden. Die Dynamik des Gewässers, seine Kälte und
Strömungen, aber auch die Langsamkeit, mit der du dich fortbewegst.
Fließt der Fluss schneller, wirken vermehrt andere Eindrücke auf dich ein.
Deine Sinne fokusieren sich, weil du versuchst die Bewegung
zu kontrollieren.
Auch mit dem Rad lässt sich ein Flusstal erkunden.
Es ist eine weitere Möglichkeit, aktiv und gleichzeitig
umweltschonend unterwegs zu sein.
Doch das Erlebnis ist ein ganz anderes.
Aktiv draußen unterwegs
zu sein, fordert
uns, es vermittelt
aber gleichzeitig
Zufriedenheit.
Man merkt dies an
Kleinigkeiten, zum
Beispiel wie gut
doch frisches kaltes
Wasser an einem
schönen Rastplatz
schmeckt.
Beim Fahren im
Gelände werden
alle Sinne gefordert,
denn die Geschwindigkeit
muss ständig
dem Untergrund
angepasst werden.
Je schneller du mit
dem Rad fährst oder
je wilder ein Fluss
ist, der dich beim
Paddeln umgiebt,
desto weniger Natur
können deine Sinne
aufnehmen.
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Brotzeit an einem
halbschattigen Plätzchen
im Karwendeltal.
„Waldbaden“ entspannt.
Es erzeugt
ein Gefühlserlebnis,
das aufgrund seiner
positiven Auswirkungen
auf unser
Bewusstsein und unsere
Gesundheit immer
mehr umworben
wird. Man erreicht
nach gelaufener
Strecke an solchen
Orten einen Zustand
der Zufriedenheit mit
sich und der Natur.
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Wandern ist die älteste Art der Fortbewegung.
Du folgst einem Weg, zwischen den Bäumen
und Sträuchern hindurch. Sie sollten nicht zu
zahlreich sein, damit sie deinen Blick nicht
einengen. Auch der Boden sollte nicht zu üppig
bewachsen sein, damit deine Aufmerksamkeit nicht
von der Erde gefesselt wird.
Dir begegnet der Dunst, der dem Boden entströmt.
Du bist immer auf der Suche nach dem richtigen
Weg. Und während du läufst, merkst du,
das dies der Weg des Lebens sein muss.
Und immer hinterlässt du nur einen Fußabdruck,
mehr nicht.
Aktiv die Natur erleben.
Das heißt, sie in ihrer ganzen
Schönheit kennenzulernen.
Sie verbirgt sich hinter jeder
Ecke in unzähligen Details
und weckt unsere Neugierde.
Begleiten Sie uns eine Weile
und lassen Sie sich den Schatz
zeigen, der direkt vor unserer
Haustür liegt.
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01 Karwendeldurchquerung 4
02 Zugspitzbesteigung 30
03 An der Isar entlang 52
04 Auf dem weißen Fluss 66
12 Am Main 194
13 Mainviereck und Spessart 228
14 Auf dem Hasenstabweg 242
15 Licht und Schatten
(Auf dem Hasenstabsweg Teil 2) 264
05 Isar-Radweg Teil 2 80
06 Die untere Isar und ihre Auen
(Isar-Radweg Teil 3) 98
07 An der Donau entlang 112
08 Durch das Altmühltal 126
09 Wenn ein Fluss zum Erlebnis
wird (Paddeln auf der Altmühl) 136
Routenübersicht 288
Mit Kindern unterwegs
Wandern 4-29
Paddeln 136-143
Radfahren 126-135, 172-192
10 An der unteren Altmühl
(Durch das Altmühltal Teil 2) 144
11 Im Taubertal 172
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Zwischen Landau und
Deggendorf reizt die
Isar den Naturliebhaber
an unzähligen Stellen
mit ihrer Schönheit.
Hier kann man im
Sommer Wasseramsel,
Eisvogel und Flussregenpfeifer
beobachten.
Selten sind leider die
Fluss-Seeschwalbe und
der Flussuferläufer
geworden. Um diese
scheuen Tiere zu
beobachten, braucht
man jedoch die nötige
Ruhe und Zeit.
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Sommer
Für viele ist dies die schönste Jahreszeit. Du liegst an einem See oder an einem
schönen Fluss wie der Isar und träumst vor dich hin. Es umgibt dich das Gezwitscher
der Vögel und das Summen der Insekten. Ein bunter Distelfalter gaukelt über
die hohen Gräser der Ufervegetation hinweg. Dazu gesellt sich das Rauschen des
Wassers. Gelegentlich schaust du nach oben. Zwei emsige Kleiber laufen immer auf
der Suche nach Insekten an den Weiden auf und ab. Plötzlich bemerkst du einen
Fischreiher, der mit kräftigen Flügelschlägen über das Geschehen hinwegfliegt. Der
ein Meter große Reiher mit seinen knapp zwei Metern Flügelspannweite zeichnet
sich vor dem blau-weißen bayrischen Himmel deutlich ab. Es sind Eindrücke, die
einem ein Leben lang im Gedächtnis bleiben. Oft schreibe ich sie gleich mit in eine
Textdatei auf dem Handy und übertrage sie später zu Hause auf eine der Seiten, die
im Laufe der Zeit zu Büchern heranwachsen. Wesentlich schneller wächst jedoch im
Sommer die Flora, die mich gerade umgibt und noch dazu mit einer unbegreiflichen
Kraft und Fülle. Die Natur kommt jetzt zu ihrer maximalen Entfaltung. Doch warum
schreibe ich hier über den Sommer? Es ist die Jahreszeit, in der die folgende
Geschichte beginnt.
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Karwendeldurchquerung
Das Karwendel ist
mit seinen weißen
Kalkfelsen und den
weit ausladenden
Tälern eine Naturregion
der Superlative.
Viele behaupten
sogar, dass es das
schönste Gebirge in
den Alpen ist.
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In den Nördlichen Kalkalpen liegen die Gebirgskämme des Karwendels. Zwar zum
größeren Teil in Tirol, doch auch die Bayrischen Gebiete sind auf Grund ihrer
Schönheit und Naturwertigkeit beachtenswert. Hier zeigt sich eine Abfolge montaner
bis hochalpiner Lebensgemeinschaften, wobei sich Bergmischwald mit Krummholzgürtel,
saftig grünen Almen und alpine Rasen, mit Fels- und Schuttfluren abwechseln.
Im nördlichen Bereich grenzt die Isar, einer der schönsten bayerischen Flüsse
an das Karwendel und prägt es mit seiner wilden Flusslandschaft.
Das Karwendelgebirge zählt mit seinen elf zusammengefassten Schutzgebieten
zu den größten Naturlandschaften Mitteleuropas. Die Gebiete weisen zusammen eine
Größe von 730 km2 auf. Mit der auf der österreichischen Seite liegenden Birkarspitze
erreicht das Gebirge beachtliche 2749 Meter Höhe und auch im bayrischen Teil
kommt die Östliche Karwendelspitze auf 2537 Meter Höhe. Die Isar bei Vorderriß liegt
jedoch bei etwa 800 Metern, so dass sich der beschriebene Naturraum auf Höhendifferenzen
über 1700 Meter erstreckt. Man trifft dort zum Beispiel auf den seltenen
Weißrückenspecht oder sieht über den mächtigen Kalkfelsen einen Steinadler, dessen
Dichte in diesem Gebiet so hoch ist wie sonst nirgens im Alpenraum. Das Karwendel
beeindruckt somit vorallem jene Besucher, die sich „sanft“ durch dieses Gebirge
bewegen, denn nur so wird die Wanderung zu einem einmaligen Erlebnis.
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Die Route
Der beschriebene Wanderweg durchquert das Karwendelgebirge über 40 Kilometer
von Ost nach West. Bereits auf der Anfahrt durch das Natura2000-Gebiet kommen
wir durch das beeindruckende obere Isartal und folgen anschließend dem Rißbach
bis hinauf zu den Ahornböden in der Eng.
Die bekannte Route führt über die Falkenhütte und
das Karwendelhaus bis nach Scharnitz. Es ist eine
Teilstrecke des Karwendellauf-Klassikers, welcher
am Achensee in Pertisau beginnt und ganze 52
Kilometer misst. Während gute Läufer die Strecke
in viereinhalb Stunden durchrennen, waren wir
vier Tage gemütlich unterwegs und haben dabei
sicher mehr gesehen als ein Dauerläufer.
Ein Tag war alleine für die Besteigung des 2194 Meter hohen Hochalmkreuzes vorgesehen,
denn dieser Gipfel ist für Kinder besonders gut geeignet.
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Von der Eng Alm nach Scharnitz
August 2009
„Es ist fast so wie vor 21 Jahren“, meinte Kerstin, als wir in strömendem Regen an der Eng
losliefen. „Nur hatten wir damals noch ein wenig Schnee dabei”. „Was, Schnee?“, fragte Jan
sofort nach. „Da kann man doch nicht mehr wandern“. Jan, unser Ältester, wollte immer alles
ganz genau wissen. Er war neugierig und gerade mal acht Jahre alt.
„Damals waren wir unter Ponchos gelaufen“, erläuterten
wir, „die wiegen alleine schon ein knappes Kilo und darunter
trugen wir die alten Molleskin Bundeswehrhosen“.
Dadurch hatten wir eine ganze Menge zu schleppen
im Gegensatz zu heute. Denn die neuen Regenjacken
wiegen nur noch gerade mal 350 Gramm.
Als wir endlich mit dem Bus in der Eng angekommen
waren, regnete es immer noch in Strömen. Doch so
schnell ließen wir uns die Laune nicht verderben. Unser
kleines Energiebündel Lena war zu diesem Zeitpunkt
sechs Jahre alt. Doch trotz des bescheidenen Alters
waren beide für eine Mehrtagestour durch das Karwendel
bestens vorbereitet. Die Rucksäcke hatten wir in der
Eng noch kurzerhand mit Müllbeuteln überzogen und
los gings.
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„Federleicht und wasserdicht verpackt“, zwinkerte ich den Beiden zu. Motiviert
nahmen wir die ersten Höhenmeter unserer Bergtour unter unsere Füße. Meine Frau
Kerstin und ich staunten Bauklötze, als die Kinder so prima losliefen. Kein Wort über
das schlechte Wetter. Sie wollten einfach nur hoch in die Berge. Falkenhütte hieß
unser erstes Ziel. Mit ca. 700 Höhenmetern ein ganzes Stückchen Arbeit nicht nur für
die Beiden. Auf dem Weg waren Spinnennetze zu entdecken, die durch die Regentropfen
erst so richtig sichtbar werden. Ein schmales Bächlein hatte sich gebildet und
musste überquert werden. Viele kleine Dinge passieren auf so einer Wanderung und
mit Kindern kann man die Welt wirklich neu entdecken.
Oben:
Ein letzter Blick auf die
Infotafel. Kerstin zeigt
den Kindern den Weg,
der vor uns lag.
Der Große Ahornboden
ist eines der Wahrzeichen
des Naturparks
Karwendel.
Links:
Zweifelhafte Blicke kurz
vor dem Start der
Wanderung
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Links:
Urige Wurzeln trafen wir entlang des
Weges, der uns zunächst zur Falkenhütte
führte. Gut in unsere Regensachen
eingepackt, macht uns der Regen gar
nichts aus.
Unten:
Durch dichten Nebel waten wir bergan.
Doch bald verließen wir die Waldgrenze
und ich zeigte auf den richtigen Weg, der
bis hinauf zu einem Pass führt.
Durch die Feuchtigkeit
kommt das Grün der
Pfl anzen besonders gut
zur Geltung. Unter den
Blättern suchen nun
Insekten Schutz. Diese
Einblicke in die Natur
kann aber nur erleben,
wer auch mal bei
schlechtem Wetter
draußen unterwegs ist.
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Zielstrebig erreichten wir das Hohljoch auf 1794 Metern Höhe und staunten nicht
schlecht, als die Felswände plötzlich wie aus dem Nichts zwischen all dem Nebel vor
uns auftauchten. Am deutlichsten baute sich die Dreizinkenspitze mit ihrer steilen
Nordwand vor unseren Augen auf. „So hoch hab ich mir die Berge nicht vorgestellt“,
meinte Lena, als sie direkt in die Wand blickte. „Kann man da auch hochklettern?“,
fragte Jan. „Natürlich kann man das“, erwiderte ich, „da müssen wir aber noch ein
bisschen üben“.
Ich erzählte, dass die Routen genau so schwer sind wie die in der Lohrer Kletterhalle,
die wir damals regelmäßig besuchten. „Nur sind richtige Alpenwände viel höher.
Die Geschichten von möglichen Kletterrouten ließen die Laufzeit bis zur Falkenhütte
schrumpfen und als der letzte Aufstieg zur Hütte nahte, stimmte Kerstin noch ein paar
Lieder an. So erreichten wir zufrieden unser Nachtlager und bewunderten das Moutainbike,
das an einem Seil an der Hüttenvorderseite hing. Wie man unschwer sehen
konnte, ist das Karwendel nicht nur bei Wanderern beliebt. Wir hingegen waren froh,
dass der Regen aufgehört hatte. Einigermaßen trocken rückten wir in unser Lager ein
und zufrieden schliefen wir nach einem aufregenden Tag ein.
Grandiose Ausblicke mit
zahlreichen Karwendelbergen
erwarteten uns
am nächsten Tag bei
tollem Wetter. Neben
dem Schlauchkarkopf
sahen wir die Östliche
Hochjöchlspitze direkt
vor uns und den Kuhkopf
auf der anderen Seite
der Hochalm steil
emporsteigen. Doch zur
Hochalm war es noch ein
schönes Stück Weg.
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Der zweite Tag begann wesentlich angenehmer. Bereits
beim ersten Blick durch unser Lagerfenster kam mir ein
Gedanke: “Wo ist die Fototasche?“ Alle schliefen noch.
Ich versuchte daher im Schleichgang die Holztreppe zu
erreichen. Nachdem dies gelungen war, machte sich
diese aber anschließend mit lautem Geknarre bemerkbar.
Doch zum Fotografi eren musste ich nach unten.
Es war zwar noch frisch, aber die Sicht bereits wunderbar
klar. Nur Kuhglocken waren in diesen frühen
Stunden zu hören. Das Wetter hatte sich über Nacht
beruhigt und die herrlichen Berge erstrahlten nun in
hellgrau und weiß zu mir herüber. Muschelkalk vom
Feinsten. Rau und kantig, so dass wir uns beim späteren
Hinsetzen die Hosen fasrig reiben sollten. Als ich
wieder zurück im Lager angekommen war, raschelte
es bereits im ganzen Stock. Jeder Bergwanderer weiß,
was ich meine. Es ist unglaublich, wie viele Tüten und
Taschen abends und morgens zum Einsatz kommen. Da
wird alles herausgeräumt und bei jedem Öffnen hört man
Laute wie: „Aahh, wusst´ ich´s doch, die Unterste…“. Dann
alles wieder rein in die Tüte und brav wieder zurück in den
Rucksack gesteckt. Wir schmunzelten nur, hatten nach kurzer
Katzenwäsche schnell unsere sieben Sachen beisammen
und saßen beim Frühstück. Jeder freute sich auf einen schönen
Tag. Meine Sorge um meine gereizte Archillessehne war
wieder verfl ogen. Sie rieb zwar, aber es würde schon gehen.
Wir starteten so gegen 8.30 Uhr und waren bald wieder alleine
auf unserem Weg durch die Berge. Kurze Zeit später erreichten
wir eine malerische Hütte. Sie war so schön, wie ich
bisher noch keine gesehen hatte. Der Besitzer, ein lustiger
Geselle, der gestern Abend seine Späße auf der Falkenhütte
kund getan hatte, suchte auch heute das Gespräch vor seiner
Tür. Wir schwenkten leicht nach rechts und genossen das
herrliche Quellwasser am nahen Brunnen.
Zwischen Falkenhütte
und Karwendelhaus liegt
eine malerische Hütte.
So schön kann man sie
nicht mal erträumen.
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Wir folgten dem Adlerweg zum kleinen Ahornboden
hinunter. Die letzten Wolkenfetzen wurden von der bald
senkrecht stehenden Sonne aufgesaugt. Ein endlos blauer
Himmel überspannte uns und wir schwitzten alle beim anschließenden
Anstieg in Richtung Karwendelhaus gehörig.
„Nicht schlecht Herr Specht“, dachte ich, während wir den
Windungen des Weges nach oben folgten. Der gestrige
Regentag war nun restlos aus unserem Gedächtnis gestrichen,
die Kälte und Nässe des Vortages war vergessen.
Nach schweißtreibendem Anstieg hatten wir eine prima
Idee. Während die Kinder den Schmetterlingen hinterherjagten,
suchten wir einen schönen, kuhfl adenfreien Platz für
eine Pause. Wir legten uns nicht weit vom Karwendelhaus
entfernt in die Sonne und genossen den schon fortgeschrittenen
Tag. Nun kehrte für wenige Minuten Ruhe ein. Ein
Gefühl, das man mit kleinen Kindern eher selten hat und
nur wenige Augenblicke später war dieses Gefühl bereits
wieder vorbei. „Papa, Papa, da vorne sind tolle Schmetterlinge“,
rief Lena. Schon auf der letzten Rastbank hatte
sich ein Exemplar gaukelnd auf ihrem Kopf niedergelassen.
Voller Euphorie sprangen die Beiden nun den herrlichen
Tieren hinterher, während wir ihnen zuschauten.
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Ausblick vom Karwendelhaus
hinunter ins
Karwendelbachtal.
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Wir tranken und aßen etwas und versuchten die Beiden zum
Ausruhen zu bewegen. Doch Jan und Lena waren schon
kurz nach der Brotzeit wieder auf den Beinen gewesen. Die
müden Knochen hatten sie schnell wieder vergessen. Es ist
diese Mischung aus schöner Natur und Fangspielen, die sie
so begeisterte, eine wohl perfekte Kombination.
Nach einer Stunde schulterten wir wieder die Rucksäcke
und liefen das letzte Stück in Richtung Hütte. Unsere
Beiden waren nicht mehr zu bremsen. Fast im Laufschritt
nahmen sie die letzten Höhenmeter und wollen unbedingt
zuerst am Karwendelhaus sein. Wo waren die müden
Beine geblieben? Kurze Zeit später kamen wir an der
Hütte an. Herrlich schmiegt sich das Karwendelhaus an
den Fels. Wie ein Adlerhorst klebt das Bauwerk mitsamt
Terasse in der Felsenwand. Oberhalb der Hütte schützen
Lawinenzäune die Gäste vor bösen Überraschungen.
Bei böhigem Wind genossen wir nun den Ausblick vom
Karwendelhaus im Beisein einiger Alpendohlen.
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Kurze Rast auf dem Weg
zum Hochalmkreuz.
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Am nächsten Morgen brauchten wir etwas mehr Anlaufzeit,
denn die Nacht war nicht sehr erholsam. Erneut mussten
wir einige Schnarchgeräusche aus den gegenüberliegenden
Lagerplätzen ertragen. Dementsprechend müde saßen
wir an diesem Morgen am Tisch und rieben uns die Augen.
Auf die Anfrage nach einem freien Zimmer erhielten wir die
Aussage: „Für August, da müsst´s Ihr ein halbes Jahr im
Voraus reservieren, gell“. Doch das gute Wetter lockte uns
hinaus. Gut vom Frühstück gestärkt, stiegen wir hinter dem
Haus in die Route zum Hochalmkreuz ein. Eine angenehme
Kühle umgab uns, als wir im Schatten die ersten vor
uns liegenden Kletterpassagen hinter uns brachten.
es kaum erwarten, sich dort verewigen zu dürfen. „Natürlich
schreiben wir da was rein“, meinten wir, nachdem er nachgefragt
hatte„ aber bitte nach der Vesperpause“, so unsere Bitte.
Beim Essen schweiften unsere Blicke nun über die Bergketten
des Karwendels in Richtung Westen. Wir sahen bereits den
Wegverlauf für den nächsten Tag und bedauerten schon heute
das baldige Ende unserer Wanderung. Doch heute genossen wir
erst mal die Berge und das herrliche Wetter. Bald danach folgte
der Abstieg. Dabei machten wir noch einen kleinen Abstecher zu
einem nahegelegenen Schneefeld.
So kamen wir zügig voran. Ebenso schnell durchquerten
wir danach den Latschengürtel und waren bald im Geröll
angekommen. Ein Serpentienenpfad wand sich anschließend
vor uns empor in Richtung Gipfel. Wir passierten
zwei Gedenktafeln von verunglückten Bergsteigern und die
Kinder lauschten gefesselt unseren Geschichten, die wir
dazu erzählten. Dabei leuchteten ihre Augen
und beide liefen nun exakt auf dem Pfad
weiter. Doch wir denken, dass etwas Respekt
in den Bergen nicht schaden kann. Bald
erreichten wir das Gipfelkreuz. Der erste Griff galt
dem Gipfelbuch in der Blechdose. Jan konnte
22 Seite
Abstieg vom Hochalmkreuz.
Lena geht mutig
vorne weg.
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Beim Abstieg entdeckten wir ein kleines Rinnsal, das direkt
neben dem Schneefeld in Richtung Karwendelhaus
floss. Wir genossen die Stille und hielten unsere Füße
zum Entspannen in das kalte Wasser hinein. Anschließend
erkundeten wir das kleine Eisfeld. Jan und Lena
hatten einen gehörigen Spaß an der Rutschpartie und
sie wollten gar nicht mehr weitergehen. Dabei erzählten
sie vom letzten Winterurlaub. „Bald gehen wir wieder
Skifahren“, meinte Lena und rutschte noch ein letztes
Mal hangabwärts.
Das abschließende Wegstück zurück zur Hütte war
nach dieser längeren Pause im Schnee gar nicht mehr
so spannend. Wir kletterten die Passagen durch den
Lawinenschutz und erreichten zufrieden die Hütte. Bei
herrlich warmen Sonnenstrahlen genossen wir Apfelstrudel
und Schlagsahne zum Kaffee. Nach mehreren
Spielen lockte abschließend das Abendessen in der
Hütte. Doch an diesem Abend waren Gaststube und
Lager nicht ganz so überfüllt wie am Vortag, worüber
wir uns sehr freuten.
24 Seite
Abstieg vom Hochalmkreuz.
Kerstin kletterte
an den Drahtseilen
entlang nach unten.
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Nicht nur wir waren am nächsten Morgen früh auf den
Beinen. Auch viele Mountainbiker fuhren an diesem
Tag von Scharnitz hinauf zum Karwendelhaus. Dabei
beneideten wir jetzt schon ihre herrliche Abfahrt, die
den Radlern am Nachmittag bevorstand. Es muss ein
tolles Gefühl sein, das ich auch gerne einmal erleben
möchte. Doch wir waren gerade zu Fuß unterwegs und
dementsprechend langsam schrumpften die 13 Kilometer
zusammen. Bald musste also eine Pause her.
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Das Rißbachtal bildet
zwischen Östlicher- und
Westlicher Karwendelspitze
einen Halbbogen,
der bei schönem Wetter
gut zu erkennen ist.
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An einem herrlichen Fleckchen Erde ließen wir uns nieder
und schauten zurück in das gebogene Tal. Dies wäre ein
wunderbarer Zeltplatz, da waren wir uns alle einig. Während
wir unsere Brote aufteilten, fuhren noch viele Radler vorbei
und ich dachte so bei mir: „Mein altes Stahlross wird das
Karwendel auch irgendwann noch einmal besuchen“. Doch
auch der Rest der Familie hätte jetzt gerne den Rucksack
gegen ein Rad getauscht.
Zwei Paddler nahmen mich anschließend mit nach Vorderriß,
denn ich musste noch unser Auto am Sylvensteinsee abholen.
Noch einmal fuhr ich die Mautstraße an der Isar entlang
und schaute auf das kürzlich eingerichtete Natura 2000
Gebiet, das südlich vom Fluss bis hinauf an die Gipfel reicht.
„Eine gute Sache wird hier entstehen“, dachte ich. Gut für die
Natur und für uns Menschen, denn wir sind ein Teil von ihr.
28 Seite
Der Rißbach fl ießt in
einem Halbbogen
hinunter ins Tal und
mündet anschließend bei
Scharnitz in die Isar.
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30 Seite
Zugspitzbesteigung
Auf dem Weg zur
Knorrhütte, die auf
2052 Meter liegt,
verlässt der Weg die
Latschenregion und
es wird zunehmend
gebirgig. Gleichzeitig
ergeben sich grandiose
Aussichten
über das südliche
Wetterstein.
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Das Wettersteingebirge wird den Nördlichen Kalkalpen zugeordnet. Die kompakten
Berge befinden sich westlich von Mittenwald, südlich von Garmisch-Partenkirchen und
nördlich von Seefeld in Tirol. Im Westen des Gebirges liegt Ehrwald. Damit teilt es sich
zwischen Bayern und Österreich auf und ist auch von beiden Ländern aus erreichbar.
Der Hauptgipfel des Wettersteins ist die Zugspitze mit 2962 Metern. Sie ist gleichzeitig
der höchste Berg in Deutschland. Zwischen Alpspitze und Hochwanner fließt die Partnach
mitten durch das Gebirge. Der Fluss formte das schöne Rheintal, von dem ich
auf den nächsten Seiten erzählen werde. Doch auch Leutasch und Hammersbach
bieten alpine Gebirgsbachkulissen und somit ideale Gebiete nicht nur für Bergsteiger
und Kletterer, sondern auch für Bergwanderer. Diese müssen jedoch teilweise große
Höhen- und Distanzunterschiede bewältigen.
Die gute Erschließung mit Seilbahnen hat jedoch zur Folge, dass das Gebirge zu manchen
Zeiten stark durch Touristen frequentiert wird. Das hintere Reintal, das aufgrund
seiner Abgeschiedenheit seltener von Menschen begangen wird, genießt auch aus
Naturschutz-Sicht einen hohen Status. So wurden dort das FFH-Gebiet „Wettersteingebirge“
und das Vogelschutzgebiet „Schachen und Reintal“ ausgewiesen.
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Seite 33
Die Route
Der beschriebene Wanderweg führt zunächst von Garmisch-Partenkirchen entlang der
Partnach in das Herz des Wettersteingebirges. Nach halber Wegstrecke zur Reintalangerhütte
erreichen wir das Natura2000-Gebiet. Wir sind begeistert von der Hochwanner
Nordwand, aber auch vom grünen Märchenwald, der die Partnach im hinteren
Reintal umgibt.
Von den vier Routen, auf denen man auf die
Zugspitze steigen kann, ist die durch das Reintal
einerseits die längste, aber aufgrund der Abwechslung
wahrscheinlich auch die schönste, denn es geht
zunächst gemächlich nach oben. Dadurch entsteht
mehr Bereitschaft, mit der Natur in Kontakt zu treten.
Vor allem aber wird man mit Stille belohnt. Aus diesen Überlegungen heraus waren für
uns die kurzen und steilen Routen, die durch das Höllental oder über den Eibsee auf
den Gipfel führen, nicht zur Auswahl gestanden, zumal ich diese aus meiner Sturmund-Drangzeit
bereits kannte. Die Möglichkeit, den höchsten Gipfel unseres Landes
mit der Bergbahn zu bezwingen, war schon gar keine Option.
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Über das Reintal auf die Zugspitze
Juli 2018
Wir stehen direkt vor der Olympiaschanze in Garmisch. Nach einer Anfahrt ohne viel Verkehr
war der sonnige Tag ein gutes Zeichen für unsere bevorstehende Bergtour durch das Wettersteingebirge.
Die gigantische Partnachklamm, die auf der normalen Aufstiegsroute liegt, war
jedoch immer noch gesperrt. Massive Niederschläge im Juni hatten den Weg durch die Klamm
unpassierbar gemacht. Die Schlucht war somit erstmals seit 27 Jahren gesperrt.
Gerne hätten wir uns die schäumenden Fluten des glasklaren
Wassers angesehen, wenn sie über die grauen
Felswände talwärts rauschen. An diesem Tag mussten
wir die Klamm jedoch leider über die Partnachalm
umlaufen. Steil ging es so am Anfang bis zur Alm nach
oben. Anschließend liefen wir ohne nennenswerte Steigung
auf breiten Wegen und Forststraßen dem Reintal
entgegen.
Nach halber Wegstrecke zur Reintalangerhütte erreichten
wir das Natura2000-Gebiet. An einem Aussichtpunkt
konnten wir hinunter zur Partnach schauen. Der glasklare
Fluss schlängelt sich zwischen den Felsen hindurch
und transportiert dabei unzählige Gesteinsbrocken
mit hinunter ins Tal.
Nach etwa zwei Kilometern
setzten wir neben einer
Forsthütte unsere Rucksäcke
das erste Mal ab und nahmen
einen kräftigen Schluck aus
unseren Wasserfl aschen. Ein
Müsliriegel sorgte für eine
kleine Stärkung. Bald verengte
sich die Forststraße. Wir waren
im Reintal und seiner beeindruckenden
Natura2000-Kulisse
angekommen. An einem
Aussichtspunkt rauschte unter
uns der türkisblaue Gebirgsbach
an senkrechten Felsabbrüchen
entlang das Tal hinab.
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Die Partnach ist ein etwa 18
Kilometer langer Gebirgsfl uss,
dessen Quelle auf 1.440
Metern Höhe etwas westlich
der Reintalangerhütte liegt.
Gespeist wird die Partnach
jedoch vom Schmelzwasser
des 1100 Meter höher gelegenen
Schneefernergletscher.
Doch sein Abfl uss verschwindet
im Gesteinsboden unterhalb
des Gletschers und tritt
beim Partnachursprung wieder
an die Oberfl äche.
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Nach etwa drei Stunden erreichen wir die 1052 Meter
hoch gelegene Bockhütte. Hier legen wir erneut unsere
Rucksäcke ab und lassen uns von der Hüttenwirtin
einen Kaffee und ein Radler einschenken.
Die malerisch gelegene Hütte wird von einem traumhaften
Märchenwald umrahmt. Von der schattigen Bank
aus genießen wir den Blick in die Berge und in das
obere Reintal.
Wir folgen anschließend dem schmalen Pfad am
Bach entlang. Er führt uns durch eine landschaftliche
Traumkulisse. Abwechslungsreich windet sich der Weg
durch das Naturschutzgebiet bis zur Reintalangerhütte.
Im Ohr haben wir dabei immer das Rauschen des
türkisblauen Gewässers. Die Partnach zwingt sich auf
ihrer 18 Kilometer Strecke durch vier Klammen hindurch
und ist auf dem Weg nach Garmisch-Partenkirchen bis
heute ein naturnahes Gewässer geblieben. Nach einer
überwundenen Höhe von 740 Höhenmetern mündet sie
in Garmisch-Patenkirchen in die Loisach.
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Der Märchenwald im Reintal ist
Teil des 4.000 ha. großen
Naturschutzgebietes Schachen
und Reintal. Es besitzt einen
großen Reichtum an alpinen
Tier- und Pfl anzenarten.
Neben Alpenrosen stehen
Zirbelkiefern in Gruppen
zusammen. Sie bilden
gemeinsam mit den von
Flechten und Moosen bewachsenen
Fichten eine einmalige
Märchenlandschaft.
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Das südliche Wettersteingebirge baut sich mit dem
2746 Meter hohen Hochwanner vor uns auf. Der zweithöchste
Gipfel Deutschlands fällt mit seiner Nordwand
ins Reintal hin ab. Sie ist mit ihren 1400 Meter Wandhöhe
die höchste Nordwand in den Ostalpen.
Doch sie ist vielen nicht bekannt, denn sie verbirgt sich
im hinteren Reintal und fordert dem Besucher einen langen
Fußmarsch ab. Sie gilt jedoch als ein Juwel unter
Bergsteigern. Die klassische Führe wurde 1904 erstbegangen
und bietet auf 1400 Metern Kletterschwierigkeiten
bis in den 3. Grad. Die Schwierigkeit der Tour liegt
somit in ihrer Länge.
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Gemächlich steigen wir weiter
das Tal empor bis zum Ort der
legendären »Blaue Gumpe«.
Im Sommer 2005 jedoch
zerstörten starke Niederschläge
und Murenabgänge
diesen schönen Platz im
Reintal.
Unser erstes Etappenziel ist
die Reintalangerhütte. Sie liegt
direkt am Fluss und ist rund
herum mit Gebetsfahnen
geschmückt. Der idylische Ort
am Ende des Tages lädt uns
zum Entspannen ein.
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Am nächsten Morgen war ich bereits vor sechs Uhr
wach gewesen. Ich schlich mich aus dem Lager und
ging vom Knarren des Fußbodens begleitet auf den
Balkon, der sich gleich um die Ecke hinter dem Zimmer
befand. Mein erster Blick galt dem Wolkenbild am
Himmel. Das Wetter passte noch. Ich atmete tief ein
und begann mich auf den vor uns liegenden Tag zu
freuen. 30 Minuten später nahmen wir ein reichhaltiges
Frühstück ein und starteten anschließend zügig in
Richtung Talschluß. Eine Brücke führte uns über den
Fluss und nach einigen Wegwindungen überquerten
wir eine größere Grasfl äche. Anschließend führte ein
Steig steil hinauf in Richtung Knorrhütte. Wir gewannen
schnell an Höhe und blickten dabei oft zurück in das
schöne Reintal.
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Der Aufstieg wurde immer
schweißtreibender, denn die
Serpentinen wanden sich
immer steiler werdend nach
oben. Schnell brachten wir die
montane Stufe hinter uns und
blickten bald auf die letzten
Latschenkiefern hinab. Noch
eine halbe Stunde Wegstrecke
trennte uns jetzt noch von der
Knorrhütte.
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Die nächste Höhenstufe war
erreicht. Nun wechselten sich
Zwergsträucher und Grasmatten
ab und vor unseren Augen
tauchte bald die Knorrhütte auf.
Sie liegt auf 2052 Metern Höhe.
Polsterpfl anzen begleiteten nun
unseren steilen Aufstieg bis zur
Hütte. Dahinter zeigte sich das
Wettersteingebirge von seiner
schönsten Seite. Die Kalkfelsen
des Wettersteins leuchteten
weiß vor dem blauen
Himmel in den Farben des
Bayerischen Wappens.
Schöner kann es in den Bergen
nicht sein.
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Die Knorrhütte nutzten wir an diesem Morgen zunächst als Rucksackdepot und
packten unsere Rucksäcke um. Die folgenden Höhenmeter wollten wir nur mit dem
nötigsten Gepäck ersteigen. Nun ging es weiter bergauf. Hinter der Hütte weideten
einige Schafe auf den letzten Grasmatten direkt neben unserem Weg. Anschließend
wechselten sich Geröll und Eisfelder ab.
Beim Blick zurück stach das letzte Grün vor der aufziehenden Schlechtwetterfront
aus den hellgrauen Farben des Gerölls heraus. Eine Stunde später war der Himmel
bereits komplett zugezogen. Der Gipfel der Zugspitze blieb jedoch zum Glück sichtbar.
Wir querten das Skigebiet auf dem Zugspitzblatt und standen bald vor der letzten
Herausforderung unseres Aufstiegs bei dem 1.700 Höhenmeter zu überwinden
waren.
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Anschließend mussten wir uns durch ein steiles
Schuttkar empormühen. Jedem Schritt vorwärts folgten
gefühlte zwei Rutschpartien zurück, während unser
Puls stetig stieg. An ein Foto war jetzt nicht zu denken,
denn wir benötigten nun unsere ganze Aufmerksamkeit
für den steilen Aufstieg. Wir passierten die Wetterstation
und folgten einem Steig, der durch den Fels weiter
hinauf führte. Es waren die letzten Höhenmeter vor dem
Gipfelplateau. Mit Drahtseilen gesichert forderte der
Aufstieg noch einmal unsere ganze Kraft. Immer wieder
mussten wir stehenbleiben und tief durchatmen, denn
der sinkende Sauerstoffgehalt in der Luft ließ nach diesem
deftigen Aufstieg die körperliche Leistungsfähigkeit
erheblich sinken.
Geschafft. 2962 Meter über
Deutschland blickt uns das
Gipfelkreuz entgegen. Auf dem
höchsten Berg unseres Landes
angekommen, verhindert der
Nebel die Sicht hinab auf die
umliegenden Berge des
Wettersteins und der Ammergauer.
Auch vom türkisfarbenen
Eibsee sehen wir leider
nichts. Das schlechte Wetter
zwingt uns dazu, den Gipfelaufenthalt
im Münchner Haus zu
verbringen und bald wieder an
den Abstieg zu denken.
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Der Abstieg zur Knorrhütte war durch schlechtes Wetter geprägt. Wir hatten unsere
Regenjacken und die Rucksackhüllen übergezogen und mussten uns durch Nieselregen
hindurchkämpfen. Auch die Temperatur war erheblich gefallen, daher hatten wir
alles angezogen, was der Rucksack uns zu bieten hatte. Doch trotz allem freuten wir
uns, dass wir dem Trubel auf dem Gipfel auch bei diesem schlechten Wetter wieder
den Rücken zukehren konnten. Nach dem Queren des unteren Eisfeldes ließ der Regen
spürbar nach. Bald waren auch die Schafe wieder zu hören, die wir beim Aufstieg
bereits bewundert hatten. Erste Sonnenstrahlen blitzten wenig später aus dem noch
wolkenverhangenen Himmel und die besser werdende Sicht zeigte unter uns bald die
näherkommende Knorrhütte mit ihrer grauen Dachbedeckung.
Vom Auf- und Abstieg taten uns jetzt die Füße weh und wir waren froh, nach diesem
langen Tag wieder an der Hütte zu sein. Nun wurden die nassen Sachen in der
Trockenkammer aufgehängt und wir schlüpften in trockene Kleidung. Die reichlich
ausgestattete Speißekarte sorgte anschließend schnell für Glücksmomente und einen
feuchten Gaumen. Denn nach dieser Anstrengung freuten wir uns um so mehr auf
einen genussreichen Tagesausklang in der urigen Hütte.
Direkt neben dem Kachelofen studierten wir erneut die Wanderkarte und ließen den
Tag noch einmal in Gedanken an uns vorüberziehen. Wir waren vom Nadelwald aus
über die Latschenregion und die Zwergstauchvegetation hinauf ins Eis emporgestiegen.
Viele Eindrücke hatten wir gesammelt, die wir jetzt verarbeiten mussten. Ein
wenig Sorge bereitete uns nun das Wetter. Die Wolken waren erneut aufgezogen und
hatten dabei die Hütte gänzlich umhüllt. „Wie wird das Wetter aber Morgen werden?“,
fragte Kerstin. „Des wird schon“, war meine Antwort.
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Der Weg von der Knorrhütte über das Gatterl nach Ehrwald
ist eigentlich eine landschaftlich sehr schöne und
vielseitige Variante für den Abstieg von der Zugspitze.
Doch leider war uns keine gute Sicht vergönnt. Dichter
Nebel umhüllte die Knorrhütte bereits am folgenden
Morgen und wir mussten schon zu Beginn des Tages
mit Regenklamotten starten.
Am Vortag hatte ich mir noch beim Abstieg vom Gipfel
die Route hinüber zum Gatterl eingeprägt und so
konnten wir uns zumindest in der ersten halben Stunde
halbwegs orientieren. In weitem Bogen führte uns
zunächst der Weg von der Knorrhütte ohne großen
Höhenunterschied hinüber zum „Gatterl“.
„Gatterl“ ist ein uriger Name für einen Grenzübergang
hinüber nach Österreich. Gestern war der Übergang
noch als ein schiefl iegendes „W“ schon von weitem
erkennbar, heute mussten wir den genauen Zustieg
beinahe ertasten. Nachdem wir die Grundmauern
einer zerfallenen Kapelle passiert hatten, ging es auf
den letzten Metern vor dem „Gatterl“ noch einmal über
ein paar Kraxelmeter hinauf und anschließend gleich
wieder rechter Hand bergab.
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Jetzt war Gleichgewicht und teilweiser Handeinsatz angesagt.
Über große Steinabsätze ging es steil hinunter. Die
nassen Steine erforderten dabei unsere ganze Aufmerksamkeit.
Nach diesem kurzen Klettereinsatz mussten wir anschließend
über glitschige Grasnarben gleich wieder bergauf.
Der Pfad war hier aufgrund des gestrigen Regens kaum
begehbar. Auch die Gemsrudel, die hier oben in manchen
Wegbeschreibungen erwähnt werden, konnten wir aufgrund
der schlechten Sicht leider nicht beobachten. Doch
die Aussicht von hier aus muss grandios sein. In engen
Serpentinen windet sich der Steig nun um die Felsen.
Wir waren etwas traurig und zugleich doch begeistert wie
schnell sich die Formen im Nebel vor unseren Augen stetig
veränderten.
Der Grenzübergang über das
„Gatterl“ war früher sogar ein
bevorzugter Schmuggelweg.
Durch den Nebel, der sich an
diesem Tag um die Felszacken
schmiegte, konnten wir uns in
die Schauermärchen, die von
dieser Route berichten, recht
gut hineinfühlen.
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Nach dem Queren eines kleinen Schuttkars blitzte
die Sonne wieder unter den Wolken hervor und ein
faszinierendes Blau trat hinter dem Weiß zum Vorschein.
Diese mutmachenden Ausblicke wurden sogleich mit der
Kamera festgehalten. Doch wir mussten weiter, denn wir
hatten uns eine Zugverbindung herausgesucht, die für
unsere Heimfahrt ideal gewesen war.
Unser Weg führte uns dann gemächlich berab in Richtung
Ehrwalder Alm. Wir genossen dabei die landschaftlich
reizvolle Umgebung, die unseren Augen viel grün bot,
denn der Weg brachte uns über zahlreiche Almen hinab
bis ins Tal. Am Bahnhof angekommen, wartete auch
schon unser Zug, mit dem wir zurück nach Garmisch
fuhren.
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An der Isar entlang
An den Ufern der Isar
liegen wunderschöne
Buchten. Über diese
kann man mit dem
Boot bequem auf das
Wasser gelangen.
Die besten Ausblicke
auf den Fluss und die
Uferumgebung hat
man jedoch bei einem
kurzen Halt, wenn
man mit dem Rad auf
einer der zahlreichen
Brücken steht, die über
den Fluss führen.
Unsere heimischen Flüsse wie die Isar, die Altmühl oder der Main können zum
näheren Kennenlernen mit dem Paddelboot befahren werden oder man erkundet
ihren Verlauf einfach mit dem Rad. Sie näher kennen zu lernen macht Sinn, denn
die genannten Gewässer sind nicht nur Lebensader einer jeweiligen Region, an
ihren Ufern führen auch schöne Radwege entlang.
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Früher wurde ein Fluss vor allem als Transportweg für Waren aller Art genutzt.
Dies galt auch für die Isar, denn dort wurden mit dem Floß vor allem große Holzmengen
abwärts transportiert, wobei sich der Ursprung der bayerischen Floßfahrt
dort bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Im 15. Jahrhundert schlossen
sich die Flößer dann sogar zu organisierten Gewerben zusammen, wobei die Isar
eine Sonderstellung hatte, denn sie galt als der befahrendste Fluss, da er die
Hauptverkehrsader zwischen den südbayerischen Gemeinden und der im Norden
liegenden Donau bildete. Gerade seine Fließlänge von knapp 300 Kilometern
trugen zu dieser Entwicklung bei. Aber auch das Einzugsgebiet, das mit 8.370 km²
angegeben wird, ist erwähnenswert. Denn die Isar entwässert somit einen
beachtlichen Teil in Südbayern.
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Die Route
Die beschriebene Radtour startet in Mittenwald und führt an der Isar entlang bis zur
Mündung des Flusses in die Donau bei Deggendorf. Im oberen Teil durchquert man
einen in großen Teilen noch unzerschnittenen Naturraum, der mit seinen
Natura 2000-Gebieten „Karwendel mit Isar“ und „Oberes Isartal“ ein hohes Potential
an Tier- und Pflanzenvielfalt birgt.
Auf diesem Weg lernt man fünf verschiedene
Landschaftstypen kennen. Gleich zu Beginn
beeindruckt das Karwendelgebirge und anschließend
die Moränenlandschaft bis hinunter in die Münchner
Schotterebene. Dahinter weitet sich das Isartal und
der Fluss beeindruckt den Besucher durch immer
stärker ausgeprägtere Auenlandschaften. Am Ende
mündet die Isar in das Stromtal der Donau. Doch
auch menschliche Eingriffe in das Flusssystem
liegen auf dem Weg. Einer davon ist der große Sylvensteinspeicher,
der sich bereits am ersten Tag vor
mir ausbreitet.
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Auf dem Isar-Radweg
Juli 2017
Seit unserer Karwendeldurchquerung waren fast acht Jahre vergangen. Umso mehr freute ich mich, wieder
hier zu sein. Hinter der alten Festung “Porta Claudia” ging es von Scharnitz zunächst die ersten Kilometer
bergab bis nach Mittenwald. Meine Familie hatte mich dort abgesetzt. Doch bereits auf der Gebirgspionierstraße
überholten sie mich mit dem Camper. Lachend sah ich Jan und Lena hinter den Scheiben, als ich
gerade in die Rehbergstraße einbog.
Sie amüsierten sich köstlich, als sie mir beim Schwitzen
zusahen und dabei hinter den Scheiben saßen und mir
frech zuwinkten. Die Idee, einmal an der Isar entlangzufahren,
war schon vor vielen Jahren entstanden. Bereits
1990 hatten mich die klaren Bäche Isar und Scharnitz
fasziniert. Doch mit Anfang 20 reizten mich eher Touren
im Gebirge. Damals war ich von Scharnitz über die
Birkarspitze und das Hallerangerhaus bis nach Insbruck
gelaufen und hatte dabei das schöne Karwendelgebirge
in zwei Tagen zügig überquert. Urlaub war schon immer
knapp gewesen und daher war Effizienz das oberste
Gebot. Heute versuche ich mir mehr Zeit zu lassen.
Ich plane bewusst auch längere Pausen ein, um die
Schönheiten der Natur zu genießen. So setzte ich mich
an diesem Tag auch mal eine halbe Stunde ans Ufer
der Isar, um das Spiel des Wassers zu genießen, wenn
es im Bachlauf über die Steine springt.
Seite 57
Doch zunächst trat ich erst einmal in die Pedalen und das
schöne Städtchen Mittenwald war schon bald hinter mir. Die
Isar ist hier noch in einem geraden Bachbett gefangen, doch
der Radweg schlängelte sich einladend an der B2 entlang,
mal auf und mal ab an Krün vorbei bis nach Wallgau. Auf der
Risser Straße passierte ich noch einmal einen kurzgemähten
Golfplatz, doch bald mündete der Isar-Radweg auf eine
kostenpflichtige Mautstraße in Richtung Vorderriß ein und
endlich begann die Natur auf mich zu wirken. Denn auf den
folgenden 13 Kilometern kann die Isar bis nach Vorderriß
frei fließen. Daher bietet sie dort auch etwa 20 Flussuferläufer-Brutpaaren
eine Heimat. Trotz des diesigen Wetters
waren von einigen Standpunkten aus schöne Ausblicke in
das weitläufi g unter mir fl ießende Isartal möglich.
Links:
Der natürliche Verlauf
der oberen Isar ist ein
wichtiges Rückzugsgebiet
des Flussuferläufers.
Oben:
Die vielen Scheunen,
die sich herrlich in die
Landschaft fügen,
werden landwirtschaftlich
genutzt.
58 Seite
An einer Haltebucht führte ein schmaler Pfad an einen
Niedersitz, der gut versteckt über einer nach unten
abfallenden Böschung befestigt war. Von hier aus
konnte man durch die Fichtenäste über das obere
Isartal blicken. Ein Ort, an dem man stundenlang sitzen
und Tiere unten am Fluss beobachten kann. Es fiel mir
schwer, diesen herrlichen Fleck wieder zu verlassen.
Doch ich war motiviert, den ganzen Flusslauf zu
erkunden, der auf seinen 292 Kilometern Länge viele
Ausprägungen hat. Daher setzte ich nach etwa 30
Minuten meine Fahrt fort. Zunächst galt es, den oberen
Verlauf dieses typischen Gebirgs- bzw. Voralpenflusses
kennen zu lernen.
Wenn man mit dem
Fahrrad unterwegs ist,
bietet sich oft die
Möglichkeit, die
Flusslandschaft
hautnah zu erleben.
Zwischen Wallgau und dem
Sylvensteinsee begeistert die
Isar mit ihrem breiten Flussbett,
das sich ständig verlagert und mit
seinen ausgedehnten Schotterbänken
Freiräume für seltene
Tiere schafft. Durch die oft
wechselnden Verzweigungen der
Flussarme wird eine
Dynamik erschaffen, die man als
Naturwunder bezeichnen kann.
Dies zu ermöglichen, sollte Vorbildcharakter
für alle bayrischen
Alpenflüsse haben.
Seite 59
60 Seite
Am Sylvenstein-Stausee angekommen, quere ich den
See über eine Autobrücke und habe von dort aus einen
guten Ausblick über den Speichersee und die umliegenden
Berge. Danach geht es steil hinab am Stausee-
Kraftwerk vorbei bis nach Winkl.
Seite 61
Anschließend fahre ich
hinunter nach Lenggries und
kann dort eine außergewöhnlich
blumenreiche Ufervegetation
beobachten.
Hier wachsen noch Schneeheide,
Enzian und Heideröschen,
aber auch einige
Orchideenarten.
62 Seite
Der gelbe Frauenschuh
(großes Bild) und das
Helmknabenkraut (links),
aber auch die Sommerwurz,
sind Orchideenarten,
die entlang der Isar
wachsen.
Orchideen
Wohl keine heimische Pflanzenfamilie ist
so beliebt wie die Familie der Orchideen.
Das ist durchaus verständlich, denn die
meisten Arten sind nicht nur wunderschön
anzuschauen, die jüngste Familie
innerhalb der Pflanzen ist darüber hinaus
auch ökologisch sehr interessant. Eines
unserer faszinierendsten Exemplare ist
dabei der Frauenschuh, der mit seiner
Kesselfalle potenzielle Bestäuber auf eine
außergewöhnliche Art und Weise anlockt,
aber letztlich doch täuscht.
Seite 63
In Lenggries angekommen, habe ich bereits über 50 Kilometer
Isarerlebnis hinter mir, das zeigt mir ein Hinweisschild. Nach Bad
Tölz hatte ich jetzt noch zehn Kilometer zu radeln. Dabei staunte
ich darüber, wie sehr sich die Flusslandschaft seit meinem Start
bereist verändert hatte. Wenn man die Strecke quasi „unter die
Räder“ nimmt, geht doch alles ziemlich schnell. Das Mountainbikefahren
ist von meinen drei Fortbewegungsarten die schnellste, um
eine Landschaft zu durchqueren.
Eine Landschaft kann
man nur kennen lernen,
wenn man aktiv unterwegs
ist. Autofahrend
lässt sich die Natur nicht
erleben. Man muss
aussteigen und mit ihr
interaktiv werden.
Beim Wandern und Paddeln kann man noch tiefer in die Natur eintauchen
und sich gleichzeitig klimaschonend fortbewegen. Deshalb
bleibe ich beim Radeln immer wieder stehen oder setze mich einige
Minuten ans Ufer. Nur so kann man zum Beispiel eine Bachstelze
beobachten, die auf den Steinen entlangläuft und dabei mit ihrem
Schwanz auf und abwippt, oder einen Turmfalken erkennen, der
gelegentlich über unseren Köpfen seine Kreise zieht. Erst dann
habe ich das Gefühl, ein Teil meiner Umgebung zu sein. Dies zu
erleben, ist meiner Meinung nach nur möglich, wenn die Bewegung
durch einen Naturraum abgebremst und so quasi entschleunigt
erlebt wird. Erst dann entdeckt man neben einer Landschaft auch
seine Bewohner. Erst so begegnet man dem Leben wirklich.
64 Seite
Zwei Kanuten machen mit
ihren roten Booten gerade
eine kleine Pause.
Seite 65
Auf einer Brücke in Lenggries habe ich ein weiteres
Mal einen Ausblick über die Isar und die Berge im Hintergrund.
Ich beobachte zwei Kanuten mit ihren roten
Booten, die gerade eine kleine Pause auf dem Kiesbett
einlegen. Ich beneide zu diesem Zeitpunkt die Beiden
ein wenig, denn sie sind dem glasklaren, türkiesblauen
Fluss viel näher als ich. Mit einem Kanu oder Kajak
einen Fluss hinunter zu paddeln, ist die Königsklasse,
um ein Gewässer kennen zu lernen. Davon möchte ich
auf den nächsten Seiten erzählen.
Den Nachmittag verbrachten wir gemeinsam in Lenggries.
Nach einem Eis beendeten wir den schönen
Sommertag mit einem lustigen Volleyballspiel und
gemeinsamen Wassertreten am Fluss. Doch die Kälte
des Gebirgsfl usses schmerzte bald an unseren Füßen
und die Isar zeigte uns ein weiteres Mal, dass sie eben
doch ein wilder Fluss ist. Anschließend fuhr ich noch die
restlichen neun Kilometer nach Bad Tölz und beendete
dort nach knapp 60 Kilometern den ersten Tag meiner
Radtour. Vom zweiten Tag der Radtour wird dann ab
Seite 80 weiter berichtet.
Links:
Eine Raftinggruppe an
der Isar. Für viele ist dies
der Einstieg in das
Abenteuer „Wildwasser“,
denn es sitzt immer ein
Experte mit im Boot.
66 Seite
Seite 67
Die Route
Die Isar, die an ihrem Oberlauf nördlich von Lenggries mit der Einstufung
Wildwasser III eingeordnet ist, strömt ab Bad Tölz bei idealem Wasserstand
gemächlich durch den Süden Bayerns. Dennoch sollte man auch diesen Flussabschnitt,
der als Wildwasser I eingestuft ist, nicht unterschätzen und ich würde
ihn auch nicht für Paddeleinsteiger empfehlen.
Die beschriebene Route startet etwa sechs
Kilometer nördlich von Bad Tölz und endet
hinter dem Einstieg der Floßfahrten in Wolfratshausen.
Auf diesen etwa anderthalb Stunden,
wenn man lediglich die Paddelzeit rechnet,
legt man auf dem Fluss etwa 16 Kilometer zurück.
68 Seite
Auf dem weißen Fluss
September 2020
Der Tag hätte nicht schöner beginnen können. Bereits auf der Anfahrt in Richtung Bad Tölz verzog
sich der Hochnebel relativ rasch. An der geplanten Einstiegsstelle angekommen, strahlte die Sonne
bereits im schönsten bayerischen Blau vom Himmel.
Lena und ich fragten die Anwohner nach ihrem Einverständnis,
das Boot hinter ihrem Haus einsetzen zu
dürfen. Die Anwohner bejahten dies sehr freundlich und
wir starteten mit den Vorbereitungen.
Antransport, aufpumpen, das Boot beladen. Es ist
die immer wiederkehrende Prozedur, die einem die
morgentliche Herzfrequens das erste Mal nach oben
treibt. Lena machte nebenher schöne Bilder von Boot,
Kiesstrand und Isar. Bald setzte ich ein und stieß mich
mit dem Paddel vom Ufer ab. Wir hatten uns auf zwei
Stunden geeinigt. Dann wollte ich Lena und Kerstin am
besprochenen Isar-Steinstrand wiedersehen. Um kurz
nach 13 Uhr setzte ich meine ersten ruhigen Paddelschläge
in das Wasser.
Seite 69
Während den ersten
Minuten sieht man der Isar
ihre Wildheit noch nicht an.
Ich genoss es, wieder mit dem Boot auf dem Fluss zu
sein. Ein Hauch von Freiheit drang mit jedem Atemzug
hinab in meine Seele. Die schnellere Isar war neu für
mich, denn bisher hatte ich lediglich langsam fließende
Flüsse wie die fränkische Saale, die Altmühl, die Wiesent
und den Main erkundet. Auch die obere Donau, auf
der ich ebenfalls gepaddelt habe, fließt gemächlicher
dahin. Ich freute mich über diese neue Erfahrung, die
ich nun in den folgenden Stunden erleben durfte.
Die Ufervegetation schob sich wie im Kino an mir
vorbei. Der Fluss rauschte unter mir und mit meinen
Paddelschlägen brachte ich das Boot immer wieder
auf Kurs. Nach etwa 13 Minuten erreichte ich die erste
Steinwand. Links vor der Wand musste ich nun fleißig
rudern, um nicht in die Hauptströmung zu kommen. „Na
endlich“, dachte ich, „nun wird es spannend“. Wenige
Augenblicke später folgte eine Rechtskurve, in der ein
Baumstamm am Ufer fest hing. Auch diesen galt es
zu umfahren. Weitere drei Minuten später erreichte ich
die erste Strömungspassage. Die Herausforderungen
reihten sich nun in kurzen Abständen hintereinander.
Sie ließen mich die Isar, also die Kraft, die im fließenden
Wasser stecken kann, spüren. Darauf hatte ich
gehofft. Nicht zu schwer, aber doch spannend. Nach
diesem schönen Hindernis beruhigte sich die Isar wieder
ein wenig. Nun hatte ich etwas Zeit, ein paar Bilder
zu machen.
70 Seite
Nach 15 Minuten wird die
Isar rauer. Nur gelegentlich
und an wenig spektakulären
Abschnitten hole ich
meine Kamera hervor.
Seite 71
Ich drehte mich dazu mit dem Boot um 180 Grad und schaute in die Berge nach Süden
hinunter. Sie zauberten am Horizont eine perfekte Tapete an den blauen Himmel.
„Schöner kann auch Kanada nicht sein“, dachte ich bei mir. Ich kann dies aus eigener
Erfahrung behaupten, denn am Yukon sieht es an den Stellen, an denen ich war, fast
genauso aus. Die Isarauen, die ich hier gerade befahre, sind den wilden Flüssen im
Amerikanischen Norden zum Verwechseln ähnlich.
Nach der nächsten Flussbiegung wagte ich einen weiteren Blick zurück. Es war
fantastisch hier. Da kann man sich doch wirklich den Flug spraren und neben den
Kosten für das Ticket auch noch das Klima schonen.
72 Seite
Nach weiteren 13 Minuten erreichte ich erneut eine
Strömungspassage. Ich war nun eine gute halbe Stunde
unterwegs und genoss diese Abwechslung zwischen
ruhigerem Fahrwasser und dem bekannten „weißen
Wasser“, wie Wildwasserabschnitte auch genannt werden.
Der Name erklärt sich durch die Farbe, die durch
den Einschluss der Luft zustande kommt. Gleichzeitig
bedeutet die weiße Farbe vor allem Vorsicht, denn hier
sieht der Fluss nicht nur anders aus, das Wasser fließt
auch schneller und steigert gleichzeitig seine Kraft, mit
der es so ziemlich alles zerstören kann.
Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen,
verspürte ich zum Glück keine Angst, lediglich
Ehrfurcht, denn ich hatte mich gut auf diese Tour
vorbereitet. Auf ruhigen Flüssen hatte ich schon einige
Erfahrungen gesammelt und war mir sicher, mein Boot
nun auch hier beherrschen zu können. Zumindest
für die Isar in diesem Bereich. Zwei Minuten später
unterfuhr ich eine Brücke. Einen Campingplatz hatte ich
auch bereits passiert. Die Wohnwagen standen sehr
knapp am Ufer, wie ich fand. Ich war etwas verwundert
darüber, doch ich genoss die kurzen Einblicke, die man
nur vom Fluss aus haben kann.
Seite 73
Ich beobachtete Flussseeschwalben und Flussuferläufer.
Davor waren schon viele Enten, die meist in
Gruppen unterwegs sind, am Ufer zu sehen.
Doch gerade auf die Flussseeschwalben und Flussuferläufer,
die hier auf den Kiesbänken gerne brüten,
wollte ich besonders Acht geben. Diese seltenen Vögel
haben hier ihr Rückzugsgebiet. Daher betrat ich diese
Kiesbänke nicht, so wie es die Naturschutzregeln vorgeben.
Ich blieb auf dem Fluss, denn ich weiß, dass wir
auf unsere Natur in Zukunft noch viel mehr Rücksicht
nehmen müssen.
Etwa zehn Minuten nach einer Brücke erreichte ich die
nächste Strömungspassage. Im 90-Gradwinkel steuerte
ich auf die Stelle zu und konnte sie ohne Probleme
durchfahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits
eine Dreiviertelstunde auf dem Wasser verbracht und
wunderte mich, wie schnell diese spannende Zeit doch
vergangen war.
Nach einer guten Stunde erreichte ich die großen
Kiesbänke, die mir bereits auf der Karte aufgefallen
waren. Ein weiteres Mal dachte ich an Kanada. Hinter
der ersten großen Sandbank bog ich in eine scharfe
Rechtskurve ein. Ich drehte mein Boot, schaute nach
Süden auf die Berge und freute mich über die Vogelwelt,
die sich an den Kiesufern aufhielt.
74 Seite
Durch das Geschiebe
des Flusses entstehen
Sandbänke.
Sie nutzt zum Beispiel
der Flussuferläufer,
um seine Eier
abzulegen. Daher
dürfen Bootsfahrer
die Kiesbänke nicht
betreten.
Seite 75
Um das Feeling beim Befahren des Flusses hervorzuheben,
erzähle ich die nächsten Zeilen im Präsens.
Über mir kreisen Greifvögel. Doch zum Beobachten und
zum näheren Bestimmen habe ich keine Zeit. Alle zwei
bis drei Sekunden muss ich mich auf den Fluss konzentrieren.
Nach der letzten großen Kiesbank kommt noch
einmal eine Stromschnelle. Jetzt heißt es erneut Obacht
geben, denn ich muss sie gerade, das heißt mit der
Strömung durchfahren, um nicht zu kentern!
Geschafft. Nur wenige Augenblicke später bin ich
durch. „Nicht schlecht“, denke ich für einen Augenblick.
Auch vier Minunten später kommen mir die gleichen
Gedanken noch einmal, als ich erneut stärker paddeln
muss, um mit dem Boot nicht zu dicht an eine Steilwand
gedrückt zu werden. Ich gebe alles, um Kurs zu halten,
denn gegen das Wasser bin ich mit meinem Boot
machtlos.
Ich verdränge dabei die Gedanken, was passieren
würde, wenn mich die Strömung gegen die Steilwand
drücken würde. Paddelfehler werden umgehend
bestraft und das kann ich jetzt beim besten Willen nicht
gebrauchen. Im Ganzen sind es gute 16 Kilometer, die
ich auf der Isar zurücklege. Es sind Eindrücke, die ich
gerne mit den Worten „Natur pur“ umschreibe. Keine
Häuser, keine Straßen, keine Autos und kein Lärm.
Aber auch keine Hilfe, wenn ich kentere, das ist mir in
diesem Moment durchaus bewusst.
Zehn Minuten später erreichte ich den besprochenen Treffpunkt
mit Kerstin und Lena. Es war der Isar Steinstrand
nahe Wolfratshausen und er lag nun direkt vor mir. Nach
etwa anderthalb Stunden paddeln, freute ich mich auf die
bevorstehende Pause mit den Beiden. Sie winkten mir
schon von weitem zu und Lena machte ein paar schöne
Fotos.
76 Seite
Kurz vor dem Anlanden
am Steinstrand
von Wolfratshausen
stand Lena bereits
mit dem Foto auf
Lauerstellung um
ihren Vater zu fotografi
eren.
Seite 77
Zufrieden zog ich mein Boot aus dem Wasser. Die beiden
erwarteten mich mit einer Pizza, die ich nach diesem kleinen
Abenteuer besonders genoss. Ich gestand, dass ich
so richtig Kohldampf hatte, denn zum Paddeln braucht es
einiges an Energie, obwohl ich überwiegend nur steuernd
eingriff und die eigentliche Fortbewegungsarbeit dem Fluss
überließ.
Wir lagen anschließend auf dem Kiesstrand und genossen
die wärmenden Sonnenstrahlen auf unseren Körpern.
Doch trotz des schönen Wetters war es am Fluss nicht zu
warm. Ich begann nun zu erzählen. Dabei schwärmte ich
von den vielen Wasservögeln, die ich vom Boot aus gesehen
hatte. Ich erzählte von der unglaublichen Dynamik des
Flusses und von der Freude, die während der schwierigen
Stellen auf mich wirkten.
„Das ist besser als jede Achterbahn“, gab ich am Ende zu.
Vor allem aber war ich beeindruckt, „klein Kanada“ direkt
vor unserer Haustür entdeckt zu haben.
Die Beiden lauschten meinen Ausschweifungen noch eine
Weile. Dann zog ich erneut mein Boot aufs Wasser zurück.
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Von hier waren es nur noch etwa fünf Paddelminuten bis
zum Ausstieg an der Marienbrücke, die sich gleich neben
dem Einstieg der bekannten Wolfratshausener Floßtouren
befindet.
Zufrieden packte ich meine Sachen wieder ins Boot und
machte mich noch einmal auf, das letzte Stück der „Wilden
Isar“ zu befahren. Wetter und Pegelstand hatten mitgespielt
und so den Tag zu einem perfekten gemacht.
Noch einmal hieß
es kraftraubendes
Gegensteuern mit
den Paddeln.
Vor mir lagen noch
ein paar Flussbiegungen
bis zum endgültigen
Ausstieg in
Worfratshausen.
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80 Seite
Auf dem Isar-Radweg, Teil 2
Juli 2017
Der Fluss geizt nicht mit Abwechslung. Während er an unverbauten Streckenabschnitten Wildwassercharakter
hat, kann man hinter Bad Tölz am Isarstausee eine für den Fluss untypische
Ruhe erfahren, denn hier hat der Mensch das Gewässer gezähmt.
Dabei werden frei fl ießende Flüsse immer knapper.
Nur noch ein Drittel der großen Flüsse weltweit strömen
ungehindert von der Quelle bis zur Mündung. So
beeinträchtigen immer mehr Staudämme, Begradigungen
und andere menschliche Eingriffe den Lauf unserer
Gewässer. Das hat jedoch schwerwiegende Folgen
für ökologische Zusammenhänge. Daher warnen viele
Forscher und alle Naturschutzorganisationen vor dieser
weltweiten Entwicklung. Doch nicht nur Nil, Amazonas
oder Megastaudämme am Jangtse in China werden
immer mehr zum Problem wandernder Fische, auch
unsere Donau, der Main und ebenso die Isar sind davon
betroffen. Die Flüsse sind die Lebensadern unseres
Planeten. Für die Isar habe ich die Tier- und Pfl anzenwelt
in einem Buch zusammengefasst, auf das ich am
Ende meiner Isar-Radtour hinweisen werde.
Seite 81
Frisch gestärkt verließ ich Bad Tölz und fuhr am Fluss
entlang in nördlicher Richtung. Nach einer kurzen Strecke
auf der Landstraße führte mich der Isar-Radweg
nach Rothmühle und weiter durch den kühlenden Wald
nach Geretsried und Gartenberg. Geretsried hat etwa
23.000 Einwohner, doch davon bekam ich nicht viel mit,
denn der Isar-Radweg umläuft beide Städte und führte
mich geradewegs bis nach Wolfratshausen.
Dort angekommen, blieb ich am Fluss und fotografierte
die Ablegestelle der bekannten Holzfloßfahrt, die in
Wolfratshausen startet. Bald erreichte ich den Isarkanal,
der das Wasser in ein Betonbett eingezwängt und in
Richtung Norden weiterführt.
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Der Isarkanal kann mit
dem Floß sehr gut
befahren werden.
Dabei wird auf
Holzbänken kühles
Faßbier gereicht. Dazu
spielt Blasmusik. Auch
so kann man auf dem
Fluss bis nach
München treiben.
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Die Flößer auf der Isar
Der Ursprung der bayerischen Floßfahrt
liegt im 12. Jahrhundert. Das Wissen
der Flößer wurde über Generationen
weitergegeben. Daher haben bis heute
nur wenige Familien die Erlaubnis, mit
dem Floß auf der Isar zu fahren. Früher
wurden die Floße ausschließlich für
Holz- und Warentransporte genutzt. Im
15. Jahrhundert schlossen sich dann
Flößer zu organisierten Gewerben
zusammen. Die Isar hatte dabei eine
Sonderstellung. Sie galt als der häufigst
befahrene Fluss und bildete die Hauptverkehrsader
zwischen den südbayerischen
Gemeinden und der im Norden
liegenden Donau.
Wie an einer Perlenkette reihen sich auch heute noch
die Floße hintereinander. Ich zählte an diesem Tag über
15 Stück. Doch heute werden anstatt Holz meist Gäste
bis nach München transportiert. Ich schaute ihnen noch
einen Augenblick hinterher und dachte kurz daran, wie
ich mit meinen Lehrjahrskollegen auf gleichem Weg in
die Landeshauptstadt getragen wurde. Nun war ich aber
mit dem Rad unterwegs und trat weiter in die Pedalen.
84 Seite
Die hochmittelalterliche
Burg Grünwald, die
sich über dem Isartal
erhebt, ist bereits seit
dem 12. Jahrhundert
urkundlich nachweisbar.
Die heutige Anlage
stammt jedoch
überwiegend aus dem
15. Jahrhundert
Seite 85
Kurz vor Mühltal ging es noch einmal steil bergauf.
In der Mittagshitze kam ich ganz schön ins Schwitzen
und ich freute mich, als die ersten Straßlacher Höfe am
Horizont sichtbar wurden.
Amüsiert überholten mich drei Rentner am Anstieg mit
ihren e-Bikes und dem Spruch „Ganz schön steil hier
gell“. Ich nahm es mit Gelassenheit und zog auf der
langen Gerade nach der Frundsberger Höhe wieder
an ihnen vorbei. In Grünwald angekommen, wählte ich
den oberen Isarweg und schaute auf Pullach hinüber.
Tief hat sich hier der Fluß unter mir in die Landschaft
gegraben.
Bei den sommerlichen
Temperaturen ist ein
Fußbad in der kühlen
Isar eine verdiente
Abwechslung. Entspannt
saß ich im
Schatten und genoss,
wie der Fluss an mir
vorüberzog.
Ich rastete kurz auf einer einladenden Bank und
vereinbarte mit dem Rest der Familie den nächsten
Treffpunkt, was einem Eichelhäher gar nicht gefiel.
Dabei wollte ich ihn wirklich nicht stören. Anscheinend
war ich in sein Reich eingedrungen, das er lautstark
verteidigte.
86 Seite
Nach dem Hellabrunner Tierpark durchfuhr ich das
Naherholungsbebiet von München. Die Isar schlängelt
sich hier eingebettet in ein grünes Band über Sendling
bis hinein in die Innenstadt. Am Fluss lässt es sich bei
diesen sommerlichen Temperaturen gut aushalten.
Hinter Sendling ragten die beiden Kirchtürme von
St. Maximilian empor und wenig später erhob sich
das Deutsche Museum ebenfalls auf der gegenüberliegenden
Uferseite der Isar in den strahlendblauen
Himmel. Zum Maximilianeum war es jetzt nur noch ein
Katzensprung. Vorsichtig schlängelte ich mich durch die
Menschenansammlungen hindurch. Hier ist Radfahren
eine knifflige Angelegenheit und benötigte meine volle
Konzentration.
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Den gut ausgeschilderten Englischen Garten fand
ich auf anhieb und radelte dann geradewegs auf den
Chinesischen Turm zu, ihn hatten wir als Treffpunkt
ausgemacht.
Das wohlverdiente Radler schmeckte unsagbar gut zu
den Klängen der Blasmusik, die im „Oberstübchen“ des
Turms saß. Anschließend war Sightseeing angesagt.
Wir besichtigten den Marienplatz und die
Frauenkirche, den Stachus und das
Hofbräuhaus. Bei herrlichem Wetter ist
nicht nur die Isar, sondern auch München
eine Reise wert.
88 Seite
Wasserspiele bieten
nicht nur dem Betrachter
eine willkommene
Abwechslung.
Steinablagerungen
bilden entlang der Isar
unzählige Stufen, die
mehr Sauerstoff in das
Gewässer einbringen.
Sie helfen damit der
Isar, Schadstoffe
besser abzubauen.
Oft werden solche
Stufen künstlich
angelegt.
Am nächsten Morgen besuchten wir die Globetrotter-
Filiale. Ich informierte mich eine gute Stunde lang
in verschiedenen Etagen nach Neuheiten, die das
Outdoorleben erleichtern können und war letztlich stolz,
ohne Einkauf den Laden wieder verlassen zu haben.
Denn mal im Ernst, braucht man immer den neuesten
Schrei, wenn man draußen unterwegs ist?
Anschließend ging es wieder am Isarufer entlang. Vom
Friedensengel aus führte mich die Beschilderung in
nördliche Richtung über den Mittleren Isarkanal
durch alte Baumaleen hindurch in Richtung Ismaning.
Es ist erstaunlich, wie wenig von der Stadt man letztendlich
auf dem Radweg entlang der Isar mitbekommt.
Ich radelte weiter bis hinunter nach Moosburg und mir
kam es so vor, als würde die Flussaue immer schöner.
Seite 89
Hier an den mittleren
Isarauen bilden zusätzlich
der Schwabinger
Bach und der
Garchinger Mühlbach
eine breite Auenregion.
Gekennzeichnet als
FFH-Gebiet „Isarauen
von Unterföhring bis
Landshut“ bereichert
dieses 5276 Hektar
große Natura2000-
Gebiet unser Naturerbe.
90 Seite
Die Renaturierung
einiger
Teilstrecken an
der Isar zeigt
erste Erfolge.
Viele selten
gewordene
Tierarten wie
Huchen oder
Streber sollen
davon profi tieren.
Ein paar im Kreis liegende Baumstämme lockten mich erneut an das Isarufer.
Ich stellte mein Mountainbike ab und erkundete zu Fuß das Flussufer. Eine
Gruppe mit etwa 15 Döbel stand direkt unter mir und ich konnte die Fische
eine zeitlang beobachten. Über mir breiteten sich alte Weiden aus, durch
deren Äste blinzelten die Sonnenstrahlen aus einem freundlich hellblauen
Himmel auf mich herab. Dabei umrahmten die weißen Wolken die Baumkronen
malerisch. Unten im Fluss entdeckte ich aber auch zahlreiche Äschen
und Barben, die in Gruppen beieinander standen. Auch Raritäten wie Huchen
und Streber kommen hier vor. Die Renaturierung der Isar zeigt, dass es sich
für Mensch und Natur lohnt, denn viele selten gewordeneTierarten haben so
wieder eine lebenswertere Heimat gefunden.
Seite 91
Ich konnte mich gar
nicht satt sehen und
musste immer wieder
anhalten. Zeitweise
stieg ich im Abstand
von hundert Metern von
meinem Fahrrad ab,
denn ständig schimmerten
weiße Schotterbänke
zwischen
frischem Grün hindurch,
die mich an den
Fluss hinabzogen.
92 Seite
Der Gänsesäger gehört
zu den Entenvögeln
und hat sich mittlerweile
auch an der Isar
eingelebt. Er besitzt
einen roten schmalen,
sägeartig gezähnten
Schnabel mit einem
scharfen, gebogenen
Nagel an der Spitze.
Mit ihm kann er seine
Lieblingsspeise Fisch
gut festhalten.
Beeindruckt vom üppigen Grün, das sich am Flussufer
ausbreitete, erreichte ich Freising etwas später,
denn ständig war ich stehen geblieben. Von der
Stadt machte ich jedoch nur ein flüchtiges Bild. Es
zeigt die Domsiluette aus der Ferne, doch ich blieb
im Grünen. Eine kurze Strecke führte mich anschließend
an einem Damm entlang und bald tauchte auch
die Isar wieder auf, der ich weiter folgte.
DIe Isar wird im
Unterlauf immer ruhiger.
Gemächlich zieht der
Fluss bei Freising in
Richtung Donau und
verändert dabei seine
Farbe immer mehr in
Richtung grün.
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94 Seite
Plötzlich entdeckte ich eine kleine Menschengruppe,
die auf einer Schotterbank direkt am Fluß unter einem
vorzeitlichen Unterstand saß. Ich fühlte mich in diesem
Augenblick, als wäre ich in einer anderen Zeit angekommen.
Die Gruppe unten am Fluss vermittelte die
Sehnsucht nach mehr Naturnähe, die sich immer mehr
Menschen wünschen. Dabei befanden sie sich nur
wenige Kilometer von der Zivilisation entfernt.
In diesem Moment dachte ich an unsere Zukunft.
Vielleicht können wir einen letzten Rest ursprünglicher
Naturräume wirklich für unsere Kinder bewahren. Sie
wären uns dafür sehr dankbar. Doch der Eindruck, der
durch dieses Bild vermittelt wird, lässt hoffen, dass
unser Bezug zur Natur doch noch nicht ganz verloren
gegangen ist.
Ich entdeckte ein
weiteres Kleinod der
Natur. Bei Oberhummel
schlängelt sich ein
Seitenarm der Isar
direkt neben dem
Radweg durch die
weitläufi ge Landschaft
und bildet eine Aue.
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96 Seite
Eine Schautafel bei Oberhummel erzählte mir die Geschichte
der Isarregulierung. Letztlich müssen wir heute
aber erkennen, dass wir die Natur nicht übernutzen
dürfen. Denn mit der Regulierung der Flüsse verlieren
wir gleichzeitig die Lebensräume vieler Tiere und Pflanzen.
Der Artenschwund der aufgrund unseres Drangs,
die Natur zu beherrschen, immer stärker sprürbar wird,
zeigt uns, dass wir zukünftig einen anderen Weg gehen
müssen.
Naturerlebnisse, wie Wandern, Radfahren oder Kanutouren
können dabei unsere Kinder wieder näher an
unsere eigentlichen Lebensgrundlagen heranbringen.
Seite 97
In Moosburg lädt mich ein Biergarten zum Rasten ein. Noch ein letztes Mal hieß es
danach für etwa 17 Kilometer in die Pedalen treten. Nach dieser schweißtreibenden
Etappe tauchte vor mir die Burg Trausnitz auf. Sie erhebt sich oberhalb der Altstadt
der niederbayerischen Bezirkshauptstadt Landshut. Keramikscherbenfunde bezeugen,
dass die Besiedlung des Burgberges bis in die Urnenfelderkultur zurückreicht.
In Landshut angekommen, traf ich unter dem spitz zulaufenden Kirchturm auf meine
Familie. Hinter mir lagen drei Tage Isar-Radweg und ich war beeidruckt von diesem
schönen Fluss. Anschließend erzählte ich ihnen von meinen Geschichten, die ich
dabei erleben durfte.
98 Seite
Auf dem Isar-Radweg, Teil 3
Juli 2018
Ein Jahr später war ich wieder am Ländtor in Landshut. Das Wahrzeichen der Stadt ist eines von
ehemals acht Toren und es ist am besten erhalten geblieben. Von hier aus besuchte ich kurz die
Fußgängerzone und schlenderte dabei durch die Altstadt zur Basilika St. Martin, die für ihren
spitzen Kirchturm bekannt ist.
Landshut befi ndet sich auf beiden Seiten der Isar.
Markant thront die mittelalterliche Burg Trausnitz über
der Altstadt. Dort befi ndet sich die bekannte Kunst- und
Wunderkammer, in der Teile aus der Sammlung der
Wittelsbacher Herzöge ausgestellt sind.
Daneben hat man von der Burg aus einen herrlichen
Blick auf die historische Altstadt der 73.000 Einwohner
zählenden Stadt, die Sitz der Regierung von Niederbayern
ist. Doch ich war nicht zum Sightseeing gekommen,
sondern zum Radeln. Daher warf ich einen prüfenden
Blick nach oben der mich begeisterte, denn über mir
strahlte die Sonne vom hellblauen bayerischen Himmel
herab und ich freute mich tierisch über das Radeln an
der schönen Isar.
Seite 99
Vor dem hohen Backsteinturm der gotischen Martinskirche
machte ich noch kurz ein Selfie und verließ
anschließend die Altstadt. Bald schwenkte ich mit meinem
Mountainbike ein weiteres Mal in den traumhaften
Isar-Radweg ein.
Es dauerte gar nicht lange, bis ich von satten grünen
Farben umgeben war. Mit einem Strahlen im Gesicht
über das tolle Wetter und die bevorstehende Strecke
fuhr ich dem Altheimer Stausee entgegen.
100 Seite
Kurz vor Auloh liegt
direkt am Radweg der
Altheimer Stausee.
Er besteht aus zwei
Teilseen und endet
kurz vor Niederaichbach
mit einer
Wehranlage.
Über einen Deich ging
es nun weiter an den
beiden Gewässern
entlang, dabei bewunderte
ich die herrliche
Seenlandschaft der
aufgestauten Isar, die
ein wahres Paradies für
Wasservögel bietet.
Eine Schar Graugänse
überraschte mich mit
einem Schnatterkonzert,
nachdem sie auf
mich aufmerksam
geworden waren. Diese
Vögel gehören mit der
Saatgans zu den
größten Entenvögeln
unserer Heimat. Sie
sind durch ihrem
deutlich kräftigeren
orangenen Schnabel
von Saatgänsen gut zu
unterscheiden.
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102 Seite
Zwei Distelfi nken fl ogen
auf dem Damm vor mir
her und begleiteten
mich ein Stück auf
meinem Weg. In der
Ferne tauchte bald das
AKW Isar auf. Schon
von weitem war der
Kühlturm zu sehen.
Die knapp vier Kilometer lange Aufstiegshilfe beeindruckte
mich, denn sie überbrückt die beiden Teile
des Altheimer Stausees. Viele Fischarten profi tieren
nachweislich davon. Neben Barbe, Huchen, Brachse
und Rotaugen sind auch Spiegelkarpfen, Hecht und der
Wels in diesem Isarabschnitt heimisch.
Seite 103
Auf dem weiteren Weg nach Niederviehbach schlängelt sich ein schöner MTB-
Trail durch die Auenlandschaft. Ich blieb immer wieder stehen, um durch das
Gestrüpp hinunter an den Fluss zu gehen. Diese kleinen Pausen sind notwendig,
denn nur so kann man das Naturwunder Isarauen in seiner ganzen Schönheit
erleben.
Oft saß ich für mehrere Minuten direkt am Ufer und betrachtete die Spiegelungen
auf der Wasseroberfl äche. Auf dem Wasser wimmelte es vor lauter kleinen Spinnentieren.
Es war bewundernswert, wie sie über das Wasser tanzten. Getragen
werden sie dabei von kleinen Härchen, die sich an den Beinen der Tiere befi nden.
Mit ihrer Hilfe wird eine Oberfl ächenspannung erzeugt, die es ihnen ermöglicht,
schnell auf der Wasseroberfl äche zu laufen, ohne dabei einzusinken. Dabei sind
Wasserläufer eigentlich Wanzen, von denen in Europa 16 verschiedene Arten
vorkommen, doch sind sie kaum voneinander zu unterscheiden.
104 Seite
Ausblicke wie dieser
sind gleichzeitig
Einblicke in einen
grandiosen Lebensraum.
Natürliche
Flusslandschaften mit
ihren Auensystemen
gehören genau so wie
ursprüngliche Wälder
und Moore zu unserem
Naturerbe, das es zu
schützen gilt. Dies zu
erhalten, ist der Ansatz
für die Ausweisung der
Natura 2000-Gebiete.
Ausblicke, die man nie
vergisst. Vier Brücken
überqueren zwischen
Dingolfi ng und Landau
die Isar. Mit dem Rad
bietet sich am ehesten
die Möglichkeit über der
Mitte des Flusses
stehen zu bleiben um
dem fl ießenden Wasser
nachzuschauen und
dabei seine Kraftentfaltung
zu begreifen.
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106 Seite
Sechs Kilometer vor
Landau breitet sich kurz
hinter Mamming eine
weitere idyllische
Auenlandschaft aus.
Drei Schwäne zogen
gemächlich in Richtung
Gewässerrand. Ich
stieg erneut vom Rad
und näherte mich den
drei Vögeln mit dem
Fotoapparat.
Auch zwischen Landau
und Deggendorf reizt
die Isar den Naturliebhaber
an unzähligen
Stellen mit ihrer
Schönheit. Hier kann
man Wasseramsel,
Eisvogel und Flussregenpfeifer
beobachten.
Selten sind leider
Fluss-Seeschwalbe und
der Flussuferläufer
geworden. Ich brauchte
daher erneut viel Zeit
um die Eindrücke
einzusaugen.
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108 Seite
Seite 109
Auf den etwa 285 Kilometern, die der Fluss von seinem
Ursprung im Karwendel bis zur Einmündung in die Donau
zurücklegt, durchfließt er fünf verschiedene Landschaftsformen.
Nach dem Gebirge und der Moränenlandschaft
des nördlichen Karwendels folgt eine Schotterebene, die
den Fluss prägt. Dieser obere Bereich des Alpenflusses
birgt einzigartige Lebensgemeinschaften, an die sich die
Auwälder der mittleren Isar anschließen.
Im unteren Bereich wird der Fluss breiter und fließt gemächlicher
dahin. Dabei lässt er zahlreiche Auen entstehen. Am
Ende mündet die Isar bei Deggendorf in das Stromtal der Donau.
Dort fallen Seerosen und Schachtelhalme auf. Die Auen
bieten Schutz für Frösche und Kröten, aber auch für Ringelund
die Schlingnattern. Zusätzlich sind sie Leichgebiete vieler
selten gewordenen Fischarten.
110 Seite
Bei Oberpöring tauchte
ich noch einmal in
fantastische Auenlandschaften
ein. Sie reihen
sich wie an einer
Perlenschnur hängend
am Fluss entlang bis
nach Deggendorf.
Müde erreichte ich das
Gut Altholz, wo meine
Familie bereits wartete.
Gemeinsam ließen wir
den Tag bei gutem
Essen gemütlich
ausklingen.
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112 Seite
Die Donau
Seite 113
Die Donau fließt durch zehn Länder hindurch, durch so viele wie kein anderer Fluss
auf der Erde. Nachdem sich die beiden Quellflüsse Brigach und Breg im Mittleren
Schwarzwald zur Donau vereint haben, beginnt für ihn ein anstrengender Weg in
Richtung Osten. Zunächst schlängelt er sich zwischen den grandiosen
Kalkfelsen des ehemaligen Tethysmeeres hindurch. Anschließend quert die Donau
das nördliche Alpenvorland und fließt in Österreich durch das Wiener Becken und
durch die Pannonische Tiefebene. Dann hat der Fluss nach der Slowakei Ungarn
erreicht. Sein Weg führt ihn weiter nach Kroatien, Serbien, Bulgarien und Rumänien.
Hier fließt er durch das Walachische Tiefland in die Republik Moldau und mündet an
die Ukraine grenzend ins Schwarze Meer.
Auf ihrer Reise durch diese zehn Länder hat die Donau eine Strecke von 2857
Kilometern zurückgelegt. Sie ist somit nach der Wolga der zweitlängste Fluss in
Europa. Das gesamte Einzugsgebiet der Donau umfasst etwa 817.000 Quadratkilometer.
Durch die vielen Nebenflüsse kommt dabei ein mittleres Wasservolumen
von zur Zeit 6855 Kubikmeter pro Sekunde zusammen. Der Großteil der Wassermenge
wird in Deutschland über die Alpenflüsse Iller, Lech, Inn und Isar zugeführt.
Die Auenlandschaften wirken für das herangeführte Wasser dabei als notwendige
Pufferzonen.
114 Seite
An der Donau entlang
Juli 2017
Die Begeisterung für die Auenlandschaften an der unteren Isar war durch meine Radtour geweckt.
Gerade weil diese als Wasserrückhaltegebiete für Pflanzen, Tiere und Menschen so wichtig sind.
Daher war ich schon gespannt, in welchem Zustand sich die Auen an der Donau befinden würden.
Nach einem perfekten Frühstück auf Gut Altholz stieg
ich bereits um kurz vor acht Uhr auf mein Rad. Für die
vor mir liegenden rund 113 Kilometer nach Kehlheim
hatte ich etwa sechs Stunden eingeplant. Das herrliche
Wetter und das warme Licht des Morgens versüßten mir
den Start. Ich gleitete förmlich fast schwebend über die
Donaubrücke bei Deggendorf und schwenkte in einem
90 Gradbogen nach links auf den Donauradweg ein.
Die breite Schotterstraße verläuft nahezu parallel und
kerzengerade auf einem Damm einige Meter oberhalb
der Donau entlang. Dadurch kann man herrlich auf den
Fluss hinabschauen. Bereits nach wenigen Kilometern
lockte mich eine ausladende Kiesbank und ich machte
meine ersten Bilder am Ufer dieses großen Flusses.
Seite 115
Oben. Schnurgerade fürt
der Donauradweg bei
Deggendorf am Fluss
entlang.
Links: Ein Plätzchen
an der Donau, das mich
mit einem südeuropäischen
Flair anlockte.
Wenige Kilometer hinter
Deggendorf verweilte ich
für einen Moment an den
weitläufi gen Schotterbänken
die sich dort
ausbreiten und genoss
die morgentliche Ruhe
am zweitlängsten Fluss
Europas.
116 Seite
Die Donau fließt durch zehn Länder, doch
die Dimensionen des Gewässers kann man
erst begreifen, wenn man seinem Verlauf
folgt. Für die weiten Strecken eignet sich
das Fahrrad besonders gut, zumal der
Streckenverlauf entlang der Donau zu den
schönsten Radwegen Deutschlands zählt.
Seite 117
Im Sommer 2018 hatte die Donau einen extrem niedrigen
Wasserstand, denn aufgrund des Klimawandels schwanken die
Niederschlagsmengen mittlerweile erheblich. Was an Regen im
Sommer in den letzten Jahren fehlt, wird in den Wintermonaten
zunehmend zur Belastung für die Bevölkerung. Doch auch in
den heißen Monaten kann es zu extremen Wetterereignissen
kommen. Das Wetter ist unberechenbarer geworden. So fand
im Sommer 2013 die bisher verheerendste Flutkatastrophe in
der Geschichte Deggendorfs statt. Weite Teile des Landkreises
mit einer Flächengröße des Tegernsees waren damals überschwemmt.
Mehrere tausend Menschen mussten ihre Häuser
verlassen, weil sie teils meterhoch unter Wasser standen. Da
auch die Autobahnen 92 und 3 sowie sämtliche Bundesstraßen
überfluteten, war die Gegend um Deggendorf quasi von seiner
Umwelt abgeschnitten. Der Höchstpegel der Donau lag am 4.
Juni bei 8,08 Metern und übertraf damit den bisherigen Rekordpegel
um einen halben Meter. In diesem Sommer war auf meiner
Radtour jedoch extreme Trockenheit spürbar, wie die Wiesen
und Felder entlang des Radweges deutlich zeigten.
118 Seite
Das gesamte Einzugsgebiet der
Donau umfasst etwa 817.000
Quadratkilometer. Die vielen
Nebenfl üsse erzeugen dabei ein
hohes Wasservolumen, wobei
der Großteil der Wassermenge
der Donau in Deutschland über
die Alpenfl üsse Iller, Lech, Inn
und Isar zugeführt wird.
Die Auenlandschaften bieten
den herangeführten Wassermassen
notwendige Pufferzonen.
Sie werden vor allem im
Hinblick auf den immer stärker
werdenden Klimawandel immer
wichtiger.
Seite 119
Die beschriebene Route
an der Donau entlang
führt über eine Strecke von
113 Kilometern von Deggendorf
bis nach Kehlheim.
120 Seite
Im Landkreis Straubing-
Bogen kann man die
Ursprünglichkeit der
Donau beispielhaft an
der Öberauer Donauschleife
oder im
Landkreis Regensburg,
südlich von Wörth in der
Gmünder und Pfatterer
Au erleben.
Aufgrund des fortschreitenden
Verlustes der
Biodiversität sollten
jedoch weitere Flächen
renaturiert werden, denn
selten gewordene Arten
wie Großer Brachvogel,
Rotschenkel, Uferschnepfe
und Blaukehlchen
sind an solche
Flächen gebunden.
Seite 121
Doch Auenlandschaften und Seen dienen nicht nur als Rückzugsräume für seltene Tiere
und Pflanzen oder als Pufferzonen für den Hochwasserschutz, sie bereichern auch
unsere Lebensqualität als Erholungsziele. Während ich diesen Gedanken nachging,
durchfuhr ich bereits wieder ausgedehnte Maisfelder bei Pillnach. Bis zum Horizont
zogen sich die intensiv genutzten Anbauflächen hin, während die Hitze der senkrecht
stehenden Sonne erbarmungslos auf meine Arme brannte. Unter der Walhalla machte
ich eine kurze Trinkpause und radelte anschließend weiter nach Regensburg.
122 Seite
Nachdem ich die alte Römerstadt hinter mir gelassen
hatte, führte mich eine breite Schotterstraße an das Vereinsheim
des Regensburger Kanuclubs. Als ich den Steg
rechts vor mir sah, ging mir plötzlich ein toller Gedanke
durch den Kopf, denn der Holzsteg lud für einen Sprung
ins kühle Nass geradezu ein. Ich gab meinen Gedanken
nach und tauchte für wenige Augenblicke unter. Solche
spontanen Einfälle lassen sich auf einer Solotour am ehesten
realisieren. Schon nach ein paar Minuten war ich abgekühlt
und kletterte über die Stufen des Steeges wieder
aus dem Wasser. Wenige Kilometer nach meinem kurzen
Badestopp war vom Trubel der Großstadt bereits nichts
mehr zu sprüren. Ich hielt daher erneut an und genoss die
Stille zum Trinken an einem naturnahen Flussabschnitt.
Der Regensburger Dom überragt die
Bäume der Ufervegetation um Längen.
Doch an diesem Tag war kein Sightseeing
möglich, dafür reichte meine
Zeit einfach nicht. Daher verließ ich
die Altstadt gleich wieder und radelte
weiter die Donau aufwärts.
Seite 123
Der Radweg nach
Kehlheim verläuft
auf dem Scheitel
eines Damms entlang.
Er wurde als
Hochwasserschutz
für das Örtchen
Matting angelegt,
doch leider spendet
er in der Mittagssonne
kein bisschen
Schatten.
124 Seite
Nach einer weiteren Pause im Schatten folgte ich der Donau weiter in Richtung
Kehlheim. Gemütlich führte der Radweg an Lengfeld vorbei und bald sah ich den
Kirchturm von Bad Abbach vor mir. Ein Rad-Wegweiser zeigte, dass ich bereits
wieder 19 Kilometer hinter mir hatte. Doch der Schotter unter meinen Reifen und die
schwüle Hitze zehrten nun nach den vielen Kilometern an meinen Kräften.
Die Donau schreibt zeitlos ihre Windungen durch die Landschaft. So auch hier bei
Lengfeld. Vor mir lagen noch 17 Kilometer bis nach Kelheim und ich hatte bald stolze
100 Kilometer unter die Pedalen gebracht. Mühsehlig quälte ich mich vorwärts und
freute mich über jedes Lüftchen, das mir in den Nacken wehte.
Irgendwann hatte ich es geschafft. Am Zusammenfl uss von Donau und Altmühl traf
ich meine Familie. Ich hatte kaum mehr Kräfte um mich umzuziehen. Als Kerstin mit
dem Camper auf die Autobahn auffuhr, war ich bereits eingeschlafen.
Seite 125
Die Windungen
der Donau wurden
auf dem Weg nach
Kehlheim enger und
bald tauchten erste
Kalkfelsen in der
Ferne auf.
126 Seite
Durch das Altmühltal
Flüsse wie die
Altmühl durchdringen
mit ihren unzähligen
Schleifen weiträumig
unsere Landschaften.
Ein fortwährender
Veränderungsprozess,
der
die Lebensräume
vernetzt, denn viele
selten gewordene
Tier- und Pflanzenarten
sind auf diese
Süßwasserlebensräume
angewiesen.
Heute wird durch
Rückbaumaßnahmen
an Stauwehren,
die der Renaturierung
dienen, wieder
eine bessere Durchgängigkeit
geschaffen.
Dies ist ein
Segen für die Flusslandschaften
und ihre
Bewohner.
Seite 127
Die Altmühl entspringt am Südende der Frankenhöhe unterhalb des 500 Meter
hohen Breitharts und ist 227 Kilometer lang. Zunächst fließt sie nach Südosten,
knickt dann bei Altendorf ostwärts ab und schlängelt im weiteren Verlauf über Eichstätt
nach Dietfurt bis sie bei Kelheim in die Donau mündet. Dabei überwindet sie
einen Höhenunterschied von etwa 120 Metern und hat dabei ein Einzugsgebiet von
3.250 km².
Sie gehört damit zu den größten Flüssen in Franken und birgt dabei Naturschätze
von außergewöhnlicher Schönheit. Die breite Tallandschaft mit weit verzweigten
Gewässersystemen kann man bequem mit Rad und Boot erkunden.
Auch die Fränkische Seenplatte ist für Natur und Freizeit von großer Bedeutung.
Vor der Haustür von Gunzenhausen erstrecken sich nicht nur der naturschutzfachlich
hochwertige Altmühlsee, sondern auch die beiden Brombachseen. Sie bieten
sich als Naherholungsgebiet geradezu an, denn sie befinden sich nur knappe 40
Kilometer von der Metropole Nürnberg entfernt.
128 Seite
Foto: Gunther Zieger
An den fränkischen
Seen kann man
nicht nur gelegentlich
Seeadler beobachten.
So bietet etwa
die Beobachtungsstation
des LBV am
Altmühlsee die
Möglichkeit, eine
Vielzahl an Wasservögeln
kennenzulernen.
Seite 129
Die Route
Die Altmühl bietet sich mit ihrem sanften Gefälle als Radelregion geradezu an.
In Rothenburg ob der Tauber beginnt der offizielle Radweg und führt von dort zur
Altmühlquelle. Wir trafen kurz vor Colmberg das erste Mal auf die Altmühl und den ausgezeichneten
Weg. Ihn radelten wir von dort aus bis nach Treuchtlingen entlang.
Dabei besuchten wir noch die fränkische Seenplatte.
Die Altmühl eignet sich aber ebenfalls zum
Paddeln. Als alte Wasserratten entschieden wir
uns daher, den Fluss auch vom Wasser her zu
erkunden. In Treuchtlingen ging es los und die
Tour endete nach 16 Kilometern Paddelerlebnis
in Solnhofen. Das untere Altmühltal habe ich
fünf Jahre später mit dem Rad erkundet.
130 Seite
Durch das Altmühltal
Mai 2013
Bei schlechten Wetteraussichten waren wir an einem Freitagabend noch nach Treuchtlingen aufgebrochen
und hatten dort im Camper übernachtet. Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Zug
zurück nach Rothenburg. Von dort aus wollten wir starten. Das Wetter war immer noch schlecht,
doch wir dachten: “Bei Sonnenschein radeln, das kann ja jeder”.
Nach einer 1,5 Grad kalten Nacht im Camper freuten
wir uns auf die Wärme im Zug, während draußen die
Felder an uns vorbeizogen. Wir sahen auch viele
Touristen, die bereits in Richtung Innenstadt unterwegs
waren. Auch wir mussten nun aussteigen. Ein
Mädchen wurde dabei in der Schlange sehr unruhig,
denn sie hatte mit ihrem Fahrrad und den angehängten
Satteltaschen so ihre Probleme. Am Ende wurde
sie sogar hysterisch, denn sie dachte bestimmt, dass
sie aus dem Zug nicht mehr heraus kommen würde.
An allen Ecken schien es nun zu klemmen. Wir halfen
ein wenig beim Ausstieg und orientierten uns anschließend
am Bahnsteig, denn unsere Frage lautete:
“ In welche Richtung müssen wir losfahren?“
Seite 131
Bald nahm der Verkehr um uns herum ab, denn wir hatten
die ersten Felder am Rande Rothenburgs erreicht.
Vor uns lagen landwirtschaftlich genutzte Flächen so
weit das Auge reichte. Bald stand unser erster Anstieg
bevor und wir zogen die Mützen unter den Radhelmen
aus. Nun galt es, kräftig in die Pedalen treten. Ein
Angler bot uns direkt am Fahrradweg einen Kaffee an.
Sahen wir wirklich schon so erschöpft aus? Wir lehnten
dankend ab und fuhren weiter. Auf dem nächsten Bergrücken
angekommen, klatschte uns ein älteres Ehepaar
sogar Beifall. Die Kinder freuten sich darüber, während
wir die Beiden passierten. Nach dem Anstieg ging es
wieder gerade aus und die Kinder traten tüchtig in die
Pedalen. Rechts und links des Radwegs konnten wir
einige Greifvögel über den Feldern beobachten.
Es waren Bussarde und Milane, aber auch Turmfalken
und Sperber zu sehen. Dazu zwitscherten Feldlerchen
in den Weizenfeldern ihre Strophen. Um die Mittagszeit
kamen wir an einem kleinen Tante-Emma-Lädchen vorbei.
Auf dem Schild war „Nahkauf“ zu lesen. Wir betraten
den Laden und kauften leckere Brötchen, die wir vor dem
Laden in der Sonne bei mittlerweile 10 Grad genossen.
Weiter ging es über Feldlandschaften und an kleinen
fränkischen Gehöften vorbei bis nach Collenberg. Die
schöne Burg Colmberg war schon von weitem sichtbar.
Nun stießen wir zum ersten Mal auf die Altmühl, die hier
ihre ersten Kilometer Fließstrecke bereits hinter sich hat.
Rechts von uns lag ein Golfplatz und wir rätselten beim
Vorbeifahren, wer wohl die vielen Bälle einsammeln
würde, die dort lagen.
132 Seite
Wir kamen an einem schönen Rastplatz vorbei. Auf einer
Sitzgruppe unter Bäumen war es nun Zeit für einen Apfel
und ein paar Müsliriegel. Die Rast tat uns gut, doch die
Kälte scheuchte uns bald wieder auf. Kurze Zeit später
konnten wir ein Güllefahrzeug beobachten, das beim
Entladen der Gülle seine Duftspuren hinterließ. Wir
beeilten uns, um schnell an der Stelle vorbeizuradeln,
denn es tat gut, wieder frische Luft zu atmen. Kurze Zeit
später erreichten wir erneut eine gemütliche Bank. Da
unser Tagesziel Leutershausen nicht mehr weit entfernt
war, nutzten wir auch dieses schön hergerichtete Plätzchen
für eine kurze Trinkpause. Bald danach begrüßte
uns bereits die hübsche Altstadt von Leutershausen.
Die Sonne blinzelte hervor und wir erreichten nach einer
abschließenden Kaffeepause unsere Unterkunft.
Seite 133
Leutershausen ist für ein Ereignis bekannt, das zwei
Jahre vor dem Flug der Gebrüdern Wright stattgefunden
haben soll. 1901 startete ein gewisser Gustav Albin
Weißkopf mit seiner rechts gezeigten Konstruktion zu
seinem ersten Flug. Der Leutershausener überbrückte
mit seinem Flieger eine Strecke von zweieinhalb Kilometern
in Bridgeport (Connecticut), nachdem er in die USA
ausgewandert war. Ein wirtschaftlicher Erfolg blieb jedoch
aus. In seiner fränkischen Heimat baute man aber
seine Flugmaschine Nr. 21 orginalgetreu wieder nach
und widmete ihm ein Museum in seiner Heimatstadt.
Seinen Flieger konnten wir direkt neben dem Radweg
bewundern.
Abends gab es dann Cordon Bleu direkt gegenüber.
Nach einem tollen Frühstück am nächsten Morgen im
Tanzsaal der Neuen Post fuhren wir bei schlechtem
Wetter in Richtung Gunzenhausen weiter. Und wieder
musste ich meinen Hut vor Jan und Lena ziehen, da die
Beiden auch diesen Tag trotz schlechtem Wetter gut
meisterten. Dabei waren der stetige Nieselregen und die
fünf Grad Lufttemperatur kein Zuckerschleicken gewesen.
Stetig bließ uns der Seitenwind gegen die Räder
und es blieb während der ganzen 42 Kilometer langen
Tagesetappe von oben her nass. Auch der Versuch,
uns etwa zwölf Kilometer vor Gunzenhausen ein wenig
aufzuwärmen, brachte nicht viel. Die tanzenden Rauchschwalben,
die uns das letzte Stück am Altmühlkanal
entlang begleiteten und mit ihren Flugkünsten Erstaunliches
darboten, konnten nicht mehr begeistern.
Die Kinder fluchten am Ende nur noch. Finger und
Füße waren ausgekühlt und so schafften wir es mit
letzten Kräften zum Gasthof Arnold. Endlich wieder im
Trockenen, genossen wir die schöne Ferienwohnung
und nahmen ein heißes Bad. Danach sah die Welt schon
wieder viel besser aus.
134 Seite
Am dritten Tag hatte es endlich aufgehört zu regnen. Motiviert gingen wir zum
Frühstück und fühlten uns in der warmen Bauernstube gut aufgehoben. Nur
schweren Herzens verließen wir daher diesen gemütlichen Ort am Kachelofen.
Bald waren unsere sieben Sachen unter dem Regenschutz verschwunden.
Wir hatten alles angezogen, was der Rucksack hergab. Doch bereits der ausbleibende
Regen war ein angenehmes Geschenk. Alle kamen gut in den Tritt
und die schöne Auenlandschaft begann wieder auf uns zu wirken. Die Altmühl
zog gemächlich dahin und wir radelten von einer Ortschaft zur anderen mit
dem nächsten Ziel: Treuchtlingen.
Seit einigen Jahren wird die Altmühl in ihrem mittleren Verlauf ökologisch
umgestaltet. Durch diese Flussverlängerung hat sich wieder ein vielfältiger
Lebensraum für Planzen und Tiere gebildet. Auf vielen Hinweistafeln werden
die eingearbeiteten Altwasserarme und Feuchtbiotope gezeigt, aber auch der
Lebensraum Wasser erläutert. Nicht nur für die Kinder eine gute Gelegenheit,
Seite 135
Anschließend war noch ein Besuch des Karlsgrabens
vorgesehen. Es war der erste Versuch, eine Verbindung
zwischen Rhein und Donau zu schaffen. Ein erstes
großangelegtes Grabungsprojekt unternahm bereits
Karl der Große vor rund 1200 Jahren. Heute stellt sein
Nachfolger, der RMD-Kanal, eine der wichtigsten Wasserstraßen
Mitteleuropas dar.
Nachdem wir die alte Erfi ndung der im Bild sichtbaren
Wasserschnecke ausprobiert hatten, radelten wir die
letzten Kilometer nach Treuchtlingen hinab. Anschließend
gönnten wir uns den Badespaß im Wellenbad und
beendeten dort unsere Radtour.
136 Seite
Seite 137
138 Seite
Wenn ein Fluss zum Erlebnis wird
Mai 2013
In unserer Heimat gibt es viele Gewässer, die man mit dem Boot befahren kann. Die Isar,
die teilweise Wildwassercharakter hat, würde ich für Einsteiger jedoch auf keinen Fall empfehlen.
Für den Anfang eignen sich ruhigere Flüsse besser, wie etwa die sanft fließende Altmühl.
Wenn Sie mit Kindern paddeln möchten, sollten sie mit
kurzen Strecken beginnen. Hier ist bereits das Aufpumpen
des Bootes ein Erlebnis. Neben der richtigen Einweisung
über die Gefahren auf dem Fluss (Strömungen, Wehre
usw.), sollten die Kinder unbedingt ruhig im Boot sitzenbleiben.
Auch das Tragen einer Schutzweste, die es extra für
Kindergrößen zu kaufen gibt, ist ein Muss. Lassen Sie gelegentlich
die Kinder paddeln, auch wenn dadurch der ein
oder andere Uferkontakt nicht ausbleibt. Nur so bekommen
sie ein Gefühl für Boot, Fluss und Strömungen.
Einsteiger sollten Boote und Ausrüstung zunächst
ausleihen. Dies ist eine kostengünstige Möglichkeit, um
diese Wassersportart kennen zu lernen. Gerade für Kinder
ist Bootfahren eine Riesengaudi und das Naturerlebnis
bekommt man dann quasi nebenbei.
Seite 139
Wir starteten unsere
Paddeltour in Treuchtlingen.
Da wir mit
den Kindern bereits
die fränkische Saale
befahren hatten, war
der Start mit dem Boot
kein Problem mehr.
Mit gemütlichen Paddelschlägen
ging es
gemächlich die unzähligen
Altmühlschleifen
fl ussabwärts.
140 Seite
Jan und Lena waren begeistert, denn sie sahen die unterschiedlichsten Entenvögel
auf dem Fluss. „Die sind ja so schön bunt“, meinte Lena. Wenige Minuten später hatten
die Beiden beim Treideln, so nennt man das Untragen der Wehre, ihren Spaß. Wir gönnten
ihnen zwischen den Paddelstrecken ausgiebige Pausen zum Spielen, da sie im Boot ruhig
sitzen bleiben mussten, denn Kentern ist nicht nur für Kinder ein unangenehmes Erlebnis.
Die Bootslänge ist für die Wendigkeit ausschlaggebend. Da wir zu viert in einem
langen Boot saßen, mussten wir die Fließgeschwindigkeit vorausschauend beachten.
Nach einigen Minuten auf dem Fluss klappte das bereits gut. Nur einmal hatten wir
den Kurvenradius und die Länge unseres Bootes falsch einschätzt. Dabei kamen wir
zu dicht ans Ufer und mussten unter dem Weidengestrüpp hindurchtreiben.
Seite 141
Mit unserem 4-er
Kanu paddelten wir
den 12 Aposteln entgegen.
Auf einer der
schönsten Altmühlschleifen
zogen die
Felsen langsam an
uns vorrüber. Unterhalb
der Felsen ließen
wir uns treiben, um
möglichst lange den
Anblick der Apostel
genießen zu können.
142 Seite Die erste Pause in
Pappenheim. Hier
zogen wir nach gut
sieben Kilometern
unser Boot an Land.
Dabei aßen wir die
leckeren Sandwiches,
die wir in
Treuchtlingen
eingekauft hatten.
Nach der Weiterfahrt
und einer Treidelstelle
erreichten wir
Solnhofen.
Seite 143
Die Kalkfelsen der 12 Apostel haben eine lange Entstehungsgeschichte,
denn das Altmühltal hat sich im
Laufe der Jahrmillionen stetig verändert. Vor 147 Millionen
Jahren lag das heutige Altmühltal mitten in einer subtropischen
Insel- und Lagunenlandschaft. Ammoniten, Raubfische
und Krokodile bevölkerten damals das Jurameer und
Dinosaurier druchstreiften das Land, während Flugsaurier
und riesige Libellen den Himmel beherrschten.
Unter ihnen war ein halbgefi ederter Freund, der heute
als Bindeglied zwischen Reptilien und Vögeln zu einer
Berühmtheit geworden ist. Der Urvogel Archaeopteryx.
1860 wurde in Solnhofen der erste spektakuläre Fossilienfund
gemacht: der Abdruck einer Feder aus der Jurazeit,
der ein erster Hinweis auf den Urvogel war. Bald
darauf kamen auch vollständige Fossilien ans Licht, die
zeigten, dass der Archaeopteryx sowohl Merkmale der
Dinosaurier als auch der modernen Vögel trug.
Das faszinierende Tier wurde bisher nur im Naturpark
Altmühltal entdeckt. Ein Grund für uns, dem Museum
einen Besuch abzustatten. Im Altmühltal kann man
Sport, Natur und Kultur perfekt verbinden, denn die
Region ist voller historischer Sehenswürdigkeiten. Wie
Perlen an einer Schnur reihen sich Alte Städte, Burgen
und Aussichtsfelsen hintereinander. Nach dem Besuch
des Museums hatten wir nur noch wenige Kilometer bis
zur Hammersmühle zurückzulegen, denn dort endete
unsere Bootstour. Die untere Altmühl fl ießt anschließend
in Richtung Osten weiter und birgt eine Besonderheit,
denn in der Vorzeit vereinte sie sich bereits hier
mit der Donau, die damals über das Schuttertal in das
Altmühlbecken hineinfl oss, so hatte ich es jedenfalls
nachgelesen und war daher neugierig geworden.
144 Seite
Durch das Altmühltal, Teil 2
Mai 2018
Franken, Oberpfalz oder Bayern? Hinter Solnhofen verlässt die Altmühl Mittelfranken. Hinter der
Hammersmühle, an der wir unserere Bootsfahrt vor fünf Jahren beendet hatten, folgte ich nun den
Windungen des schönen Flusses in Richtung Osten.
So schnell wie die Flusswindungen wechseln hier auch
die Regierungsbezirke und ich fragte mich, was diese
Gegend an der unteren Altmühl ausmacht. Bereits früh
war sie als Siedlungsraum ausgewählt worden und
auch für den Warenaustausch schien es hier attraktiv
zu sein, zumal nur wenige Kilometer südlich während
der Mindel-Riß-Zwischeneiszeit, also vor etwa 250.000
Jahren, die Urdonau noch über die Schutter nach Südosten
abfl oss. Es konnte also von hier aus weitläufi ger
Handel nach Norden, Osten und Westen betrieben
werden.
Ich befand mich nun in Oberbayern und durchquerte den
kleinen Ort Hagenacker in Richtung Dollnstein. Über das
Handy erfuhr ich, dass hier im Grenzgebiet zwischen
Alemannen, Franken und Bayern bereits in der Hallstattzeit
Eisenverhüttung betrieben wurde.
Seite 145
Ich folgte der Altmühl weiter nach Osten. Die Kalkfelsen tauchten
nun immer öfter auf und das Tal weitete sich etwas. Immer
wieder beobachtete ich Kanuten auf der Altmühl. Gemächlich
ließen sie sich von der Strömung abwärts treiben, während ich
fleißig in die Pedalen treten durfte. Es war schweißtreibend an
diesem Tag, denn die Temperaturen kletterten immer weiter
nach oben und so freute ich mich bald um jeden Schatten
spendenden Baum.
146 Seite
Während Paddler
gemütlich auf der
Altmühl dahintreiben
und von der kühlenden
Wirkung des Wassers
profitieren, komme ich
beim Radeln immer
mehr ins Schwitzen.
Seite 147
An einer kleinen Brücke, nur wenige Kilometer vor
Obereichstätt, beobachtete ich einen Schwarm
Prachtlibellen. Sehr deutlich konnte ich von hier
oben aus die viergeteilten Flügel der Tiere erkennen.
Sie tanzten über der Wasseroberfl äche und
verleiteten mich dazu, hinunter ans Ufer zu gehen.
Ich beobachtete sie eine Weile, denn ich wollte ein
Foto machen, doch sie waren nicht gewillt, sich
abzusetzen. Auf der Suche nach einem geeigneten
Weibchen tanzten sie wie wild umher.
Doch eine Libelle setzte sich am nahen Ufer ab und mir
gelang ein Schnappschuss des schönen Insekts.
Die Wiese an der Kanu-Anlegestelle nutzte ich anschließend
für eine kurze Trinkpause. Ich schaute auf
meine Karte und sah, dass ich von Eichstätt gar nicht
mehr weit entfernt war. Ich band daher meine Fronttasche
um und radelte wieder los. Bald war die Silhouette
der Willibaldsburg zu sehen. Das erste Etappenziel war
in greifbare Nähe gerückt.
148 Seite
Mit seinen beiden Ecktürmen ragt das Bauwerk über
die umliegende Landschaft hinaus. Die Burganlage
wurde 1355 vom Nürnberger Bischof Berthold, einst
Burggraf von Zollern errichtet und diente bis 1725 als
Bischofssitz. In den folgenden Jahrhunderten wurde
die Willibaldsburg weiter ausgebaut. Ihren Namen hat
sie aber nicht von Ihrem Erbauer, sondern von einem
Heiligen, denn die Anlage wurde „auf dem Berge des
hl. Willibald“ errichtet. Es war 1633, als die Schweden
die Burg einnahmen. Im gleichen Jahr, in dem auch
die Burg meines Heimatdorfes Partenstein zerstört
wurde. Hier hatte man die Schäden des dreißigjährigen
Krieges beseitigen können und den Bischofssitz wieder
hergestellt. In Partenstein wurden die Überreste der
Burg erst vor einigen Jahren archäologisch erforscht
und teilsaniert. Nicht weit von der Altstadt entfernt, sah
ich eine Ansammlung von Seerosen auf der Altmühl.
Von diesen Pfl anzen gibt es weltweit über 50 Arten. Sie
bilden Schwimmblätter und Unterwasserblätter aus und
blühen normalerweise weiß, aber auch gelb, rot und
blau. Einige Sorten können auch orange, grün, violett
oder lila blühen. Dieses Exemplar gefi el mir besonders
gut, denn die rosa Blüten leuchteten auffallend hell in
der Mittagssonne.
Die Willibaldsburg
erhebt sich über der
Altmühl.
Seite 149
150 Seite
Am Marktplatz von Eichstätt grüßte noch einmal Willibald von seinem Brunnen herab.
Das schöne Rathaus überragt Brunnen und Maktplatz mit seinem prächtigen Giebelbau
aus dem Jahr 1444. Hier traf ich meine Familie, die im Schatten mit einer Brotzeit
auf mich wartete. Wir beschlossen zum Abkühlen ins nahegelegene Schwimmbad zu
gehen. „Eine gute Idee“, sagte ich. Die Ruhe unter einem Schattenbaum war nach der
Abkühlung im Becken ein Genuss. Doch meine Gedanken an die noch bevorstehenden
55 Kilometer holten mich bald aus dem Halbschlaf und ich stieg erneut auf mein Rad.
Seite 151
Es folgte eine lange Durststrecke. Nur wenige Kilometer
hinter Eichstätt traf ich auf einige Bäume, die mit Gespinstmotten
befallen waren. Diese Raupen überziehen
befallene Bäume und Sträucher mit einer silbrigen
Hülle. Gespenstisch sahen die laublosen Gehölze aus.
Für den Schaden waren die Raupen verantwortlich, die
die Blätter der befallenen Pfl anzen vollständig abfressen
und Stämme, Äste und Zweige komplett mit einem
weißen Gespinst überziehen. Den „seidigen Schleier“
spinnen die kleinen Raupen übrigens deshalb, weil sie
sich vor Fressfeinden oder Witterungseinfl üssen durch
Regen schützen wollen. Unter dem Schleier fressen sie
den befallenen Baum anschließend kahl. Die natürlichen
Gegenspieler dieser Raupen werden leider immer
seltener. Bis zu 80 verschiedene Insektenarten, darunter
Schlupfwespen und Raubwanzen, aber auch Vögel
können normalerweise eine ungehemmte Ausbreitung
der Gespinstmotten verhindern. Das Artensterben lässt
grüßen, doch nur wenige erkennen die Zusammenhänge.
Nach einigen hundert Metern Wegstrecke ist der
Baumbefall dann wieder vorbei. Hinweistafeln erinnern
wenig später an die Flussregulierungen, die hier vor
etwa 100 Jahren zwischen Landershofen und Pfünz
durchgeführt wurden. Man begradigte die so genannten
„Schlingen“, die die Heuernten auf den Talwiesen vernichteten.
Heute würde man sich an vielen Stellen den
ursprünglichen Verlauf wieder zurückwünschen, denn
für viele Amphibienarten wie Wasser-, See- und Teichfrosch,
aber auch Kamm- und Bergmolch sind Tümpel
und stehende Gewässerabschnitte für den Nachwuchs
überlebensnotwendig.
152 Seite
Bei Pfünz warf ich einen Blick auf die ausgedehnten
Magerrasenflächen, die sich über dem Altmühltal zwischen
Pappenheim und Kehlheim dahinziehen. Diese
Landschaftsform ist Bestandteil des NATURA 2000
Gebietes „Hirschberg und Altmühlleiten“ und umrahmt
die Hangflächen der Altmühl bis hinunter nach Kehlheim,
um die artenreichen Trockenlebensräume mit
ihren markanten Felserhebungen zu schützen.
Seite 153
Rechts und links an den Hanglagen überhalb des
Flusses fielen mir immer wieder die ausgedehnten
Freiflächen des etwa 4.000 Ha großen Projektgebietes
Altmühlleiten ins Auge. Es besitzt eine überaus artenreiche
Vielfalt an Tieren und Pfl anzen, die sich aufgrund
der abwechslungsreichen Landschaft hier entwickeln
konnte. So sind großfl ächige Magerrasenstrukturen anzutreffen,
die durch Felsen und Waldabschnitte immer
wieder aufgelockert werden.
Gerade auf den Magerrasenfl ächen, die durch Schafbeweidung
offen gehalten werden, konnten im Lauf
von Jahrhunderten Trockenlebensräume entstehen,
die deutschlandweit von großer Bedeutung sind. Über
360 Rote Liste-Arten konnten bisher im Projektgebiet
Altmühlleiten nachgewiesen werden.
154 Seite
Ich erreichte Inching. Hier ist das Altmühltal landwirtschaftlich
stark geprägt. Nur gelegentlich findet sich
eine Mohnblume an den Randbereichen der Felder,
die wie diese im oberen Bild vor den Felstürmen sehr
hilfreich war. In Inching angekommen fuhr ich direkt
unter einigen Felsstrukturen vorüber, die teilweise als
Kletterfelsen eingerichtet sind.
Auf dem weiteren Weg nach Walting stand ein Turmfalke
rüttelnd in der Luft. Er war auf der Suche nach
Mäusen, die er hier über den Feldern gerne jagt. Doch
mich zog es weiter nach Arnsberg. Die Festung Schloß
Arnsberg war bereits von weitem sichtbar. Während ich
den Ort rechter Hand an mir vorbeiziehen sah, wurde
ich vom Ruf eines Kuckucks begleitet. Die Rufe wirkten
beruhigend auf mich, während mir die Hitze
doch allmählich zu schaffen machte. Hinter Arensberg
zeigte sich eine Heidelerche direkt am Radweg,
nachdem ich durch ihre schönen Strophen aufmerksam
geworden war. Dass es aber eine seltene Heidelerche
und nicht die häufi ger vorkommende Feldlerche war,
erkannte ich an ihrem Flugverhalten, denn der Singfl ug
der Heidelerche verläuft schräg nach oben, wobei die
Feldlerche senkrecht singend startet.
Seite 155
Erleichtert erreichte
ich Kipfenberg, denn
hier hatte ich die Hälfte
meiner Strecke nach
Dietfurt geschafft.
Im Gasthof zur Post
grübelte ich über der
Speisekarte. „Frischer
Sauerbraten vom Rind
nach altbayrischem
Rezept mit Semelknödel
für 14.80 Euro“ war
da zu lesen. Da lief mir
glatt das Wasser im
Mund zusammen.
156 Seite
Die letzte Etappe wurde dann noch einmal anstrengend. Das änderte auch ein Turmfalkenpärchen
mit seinem sehenswerten Balzfl ug nicht. Die lange Sonnenscheindauer
an diesem Tag zehrte an meinen Kräften. Auch die Tatsache, dass ich in Kipfenberg
den Mittelpunkt Bayerns passiert hatte, konnte mich nicht mehr aufmuntern und
änderte nichts an meiner körperlichen Ermüdung. Da half schon eher ein kaltes Eis.
Dieses genoss ich im Schatten der Dorfkirche von Bailngries, doch wenig später saß
ich aber bereits wieder im Sattel.
Immer wieder quert der Radweg die Altmühl, so auch
in Kottingwörth. Noch vor der alten Wehrkirche
St. Vitus, die bereits im 11. Jahrhundert existierte,
führt die „Alte Salzstraße“ über den Fluss.
Zahlreiche Wasservögel wie Zwergtaucher,
Bläßhuhn, Teichhuhn und Stockenten tummelten
sich unter mir im Wasser. Noch einmal raffte ich mich auf
und ging auf Fotojagd. Dabei erwischte ich ein schönes Bläßhuhn.
Seite 157
Endlich angekommen.
Die Bedienung in
unserem Gasthof
servierte mir am frühen
Abend den heißbegehrten
Sauerbraten, der
mir schon am Mittag
geschmeckt hätte.
Bon appetit.
158 Seite
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Gut erholt startete ich am nächsten Morgen in den Tag,
denn mit dem Landgasthof zum Wolfsberg in Mühlbach
hatten wir eine sehr gute Wahl getroffen. Bald erreichte
ich wieder den Fluss und meine Blicke schweiften über
die glatte Oberfl äche des Wassers hinweg.
Die Schwarzerlen und Strauchgesellschaften spiegelten
sich immer wieder auffallend vor meinem seitlichen
Sichtfeld auf dem Fluss. Ich blieb stehen und beobachtete,
wie gelegentlich Fische kurz an die Oberfläche
kamen, um nach Insekten zu schnappen. Doch den Artenreichtum,
der sich unter der Wasseroberfläche tummelte,
konnte ich vom Rad aus leider nicht einsehen.
Die Altmühl ist ein langsam fl ießendes Gewässer und
zählt zur so genannten Barbenregion, die eine große
Vielfalt an Fischarten vorweisen kann. Es dominieren
natürlicherweise die Weißfi scharten Barbe, Aitel, Nase
und Rotauge. Auch Kleinfi scharten wie Gründling,
Schmerle und Laube kommen hinzu. In Altwasserbereichen
können ebenso Brachsen, Karpfen und die
Schleie vorkommen. Sie werden dort von den Raubfischen
Hecht, Wels, Zander und Flussbarsch gejagt.
Aufgrund der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die neben
dem bereits erreichten guten ökologischen Wasserzustand
auch eine Verbesserung der Durchgängigkeit
vorschreibt, ist man zunehmend aufgefordert, die im
letzten Jahrhundert vorgenommenen Flussbegradigungen
und die errichteten Querbauwerke teilweise wieder
zurückzunehmen. Gerade letztere verhindern die freie
Wanderung der hier vorkommenden Fische.
Der immer seltener werdende Aal ist ein gutes Beispiel
für die fehlende Durchgängigkeit auch dieses Flusses.
160 Seite
Zeugnisse der Vergangenheit
Zwischen Dietfurt und Kelheim traf ich auf eine wiedererrichtete
Siedlung. Auf dieser etwa 40 Kilometer langen Flussstrecke
wurden bisher etwa 18 Siedlungsfunde entdeckt. Sie
bezeugen, dass der Mensch hier bereits von der Steinzeit
bis in die Bronzezeit lebte.
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Mit dem Projekt „Archäologiepark Altmühltal“ hat
man einen für die damalige Zeit dicht besiedelten
Lebensraum teilweise wieder sichtbar gemacht.
Neben dem keltischen Stadttor in Gronsdorf,
einem eisenzeitlichen Herrenhof in Oberhofen und
einem Hügelgrab in Riedenburg ist auch diese
frühkeltische Siedlung in Oberhofen zu bestaunen.
162 Seite
Die Einträge aus der landwirtschaftlichen Überdüngung
schädigen immer noch den gemächlich dahinziehenden
Fluss. Einen Trost für das Auge wie dieses kleine
Mohnfeld, sieht man nur gelegentlich. Nach einer
weiteren Schleuse kreiste ein Rotmilan idyllisch über
dem Tal. Im Vordergrund erhob sich bereits Schloss
Rosenburg, das schon in der zweiten Hälfte des 12.
Jahrhunderts erbaut wurde.
Heute kann dort ein Falkenhof besucht werden. Neben
einigen Adlerarten wie dem Steinadler, dem Weißkopfseeadler
und dem Seeadler, sieht man hier auch Uhu
und Schnee-Eule neben Wanderfalke und Gerfalke
während der Vorführungen.
Auch das schöne Gefi eder des hoch über der Altmühl
beobachteten Rotmilans kann hier aus nächster Nähe
bestaunt werden. Er zählt zu den schönsten Greifen
unserer Heimat.
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Schloss Rosenburg
hoch über der Altmühl
164 Seite
Burgruine
Tachenstein
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Die Burgruine Tachenstein, die auf einem gegenüberliegenden
Felsen von Schloss Rosenburg liegt, ist die
Ruine einer ehemaligen Spornburg. Über den Resten
der von den Grafen von Riedenburg erbauten Anlage
weht heute unsere Fahne mit ihren schwarz rot goldenen
Farben.
Keine fünf Kilometer weiter fl ussabwärts erhebt sich
ein weiteres Bauwerk aus dem Mittelalter markant
über den natürlich gewachsenen Felsen. Ein gewisser
Wernherus de Prunne, der mitsamt seiner Burg Prunn
1037 erstmals urkundlich erwähnt wurde, ist der älteste
bekannte Besitzer dieser Anlage.
Gegenüber der Burg können zwei Klammhöhlen und
eine Klamm besichtigt werden. Daneben befindet sich
auch eine vorgeschichtliche Wallanlage auf dem bewaldeten
Berg. Heute sind diese Naturlandschaften entlang
der Altmühl als FFH-Gebiet „Trockenhänge im unteren
Altmühltal“ Bestandteil des Europäischen Natura 2000
Netzwerkes.
Von hier bis hinunter nach Kehlheim sind es keine zehn
Kilometer Radelstrecke mehr. Ich schaute auf die Uhr
und wunderte mich, dass ich trotz der vielen Sehenswürdigkeiten,
die ich besichtigt hatte, doch gut vorwärts
gekommen war. Zufrieden fuhr ich nun Kehlheim
entgegen.
166 Seite
Burg
Prunn
Seite 167
Ein letzter Blick zurück auf die Burg Prunn zeigt, wie malerisch und gleichzeitig uneinnehmbar
sich diese Festung über das Altmühltal erhebt.
Nach einigen Minuten fl ussabwärts windet sich die Holzbrücke „Tatzlwurm“ hinüber
nach Randeck und gegenüber von Altessing breitet sich ein Altwasser gegenüber
einer wiedererrichteten keltischen Schmiede aus. In unmittelbarer Nähe kann zusätzlich
die Tropfsteinhöhle Schulerloch besucht werden. Ich grüßte beim Vorbeifahren
zwei Angler, die es sich mit ihren Stühlen gemütlich gemacht hatten und bewunderte
kurz ihre bunten Schwimmer. „Ob da heute noch einer anbeißt“, wollte ich von
den beiden wissen? Sie lachten und meinten: „Na das wollen wir doch hoffen“. Ich
wünschte ihnen ein Petri heil und folgte der Altmühl noch ein kurzes Stück, bis sie
sich in Kehlheim mit der Donau vereint.
168 Seite
In Kehlheim traf ich am Marktplatz auf meine Familie. Die
Innenstadt war mit grün-roten Wimpelketten geschmückt. Im
historisch interessanten Stadtgebiet befi nden sich bronzezeitliche
Grab- und Siedlungsfunde, aber auch Gräberfelder
aus der Urnen- und Hallstattzeit. Doch erst archäologische
Ausgrabungen bestätigten eine Besiedelung Kehlheims und
der näheren Umgebung seit der Neandertalerzeit.
Zwischen dem dritten und ersten vorchristlichen Jahrhundert
befand sich auf dem Michelsberg ein spätkeltisches
Oppidum, welches sich in alten Aufzeichnungen als „Alkimoennis“
wiederfi ndet. Wir wollten daher unbedingt dort
hinauf, zumal heute die Befreiungshalle den Bergrücken
schmückt. Der mächtige Rundbau aus Kelheimer Kalkstein
ruht auf einem dreistufi g angelegten Sockel, der als achtzehneckiges
Polygon angelegt wurde. Die Außenfassade
wird durch 18 Strebepfeiler gegliedert, die umlaufend von
18 Kolossalstatuen geschmückt werden. Sie symbolisieren
die an den Schlachten gegen Napoleon beteiligten
deutschen Volksstämme.
Die Befreiungshalle in Kehlheim steht
auf einem achtzehneckigen Sockel. Sie
hat bei einer Höhe von 45 Metern einen
Hallendurchmesser von 29 Metern. Das
Bauwerk wurde im Andenken an die
gewonnenen Schlachten gegen Napoleon
während der Befreiungskriege errichtet.
Sie fanden zwischen 1813 und 1815 statt,
König Ludwig I. von Bayern gab für das
Gebäude den Auftrag und zwischen 1842
und 1863 wurde es errichtet.
Seite 169
170 Seite
Zwischen dem dritten und ersten vorchristlichen Jahrhundert
befand sich auf dem Michelsberg ein spätkeltisches
Oppidum, welches sich in alten Aufzeichnungen
als „Alkimoennis“ wiederfi ndet. Wir begeben uns daher
auf den Michelsberg, den heute die Befreiungshalle
schmückt. Der mächtige Rundbau aus Kelheimer
Kalkstein ruht auf einem dreistufi g angelegten Sockel,
der als achtzehneckiges Polygon angelegt wurde. Die
Außenfassade wird durch 18 Strebepfeiler gegliedert,
die umlaufend von 18 Kolossalstatuen geschmückt werden.
Sie symbolisieren die an den Schlachten gegen
Napoleon beteiligten deutschen Volksstämme.
Der Donaudurch bei Weltenburg
wird von bis zu 80 Meter hohen
Felswänden eingegrenzt, Dabei hat
ihn die Donau hier, im Gegensatz
zum Donaudurchbruch bei Beuron
nahe Sigmaringen, nicht selbst
durchbrochen. Die ursprünglich
als „Altmühldonau“ weiter nördlich
bei Dollnstein, Eichstätt, Beilngries
und Riedenburg fließende Urdonau
änderte mehrmals ihren Lauf und
nutzt erst seit etwa 80.000 Jahren
ihr heutiges Flussbett.
Seite 171
Unser nächster Halt ist der Donaudurchbruch und das dort errichtete Kloster Weltenburg.
Schon 45 n. Chr. lag in der Nähe auf dem Südufer der Donau der Endpunkt einer
römischen Grenz- und Militärstraße. Sie führte von hier aus an der Donau entlang
stromaufwärts bis zum Kastell Hüfingen bei Donaueschingen. Dieser als Donausüdstraße
bezeichnete Weg war lange Zeit eine der wichtigsten Ost-West-Verbindungen
nördlich der Alpen.
Das Kloster selbst soll um das Jahr 617 durch die iroschottischen Mönche Eustachius
und Agilus aus Luxeuil nach den Regeln des Heiligen Kolumban gegründet worden
sein. Doch die Geschichtsforschung ist mittlerweile anderer Meinung.
Archäologische Funde zeigen, dass das Gebiet um Weltenburg bereits um 600 christlich
geprägt war. Die Frage, ob Weltenburg das älteste Kloster Bayerns ist, kann man
damit heute nicht eindeutig beantworten. Das bekannte Klosterbier schmeckte uns im
Schatten des Klostergartens trotzdem.
Die Donau durchschneidet die trennenden Gebirge an weiteren vier Stellen. Es sind
Engtäler, die aufgrund erodierender Kräfte des Flusses entstanden sind und
außergewöhnliche Landschaftsformen entstehen ließen. Die bekanntesten sind die
Hainburger Pforte, die Wachau, das Eiserne Tor und der Donaudurchbruch
bei Beuron, den ich mit dem Boot erkundet habe und im nächsten Band beschreibe.
172 Seite
Im Taubertal
Die Tauber windet
sich in unzähligen
Schleifen durch die
Landschaft und ist
dabei einem ständigen
Veränderungsprozess
unterworfen.
Dieser vernetzt die
Lebensräume und
gibt vielen Tier- und
Pflanzenarten eine
Heimat.
Die Tauber entspringt am Westfuß der Frankenhöhe und fließt in nordwestlicher
Richtung etwa 130 km durch unsere Heimat, bis sie in Wertheim in den Main
mündet. Dabei überwindet sie einen Höhenunterschied von etwa 120 Meter und
hat ein Einzugsgebiet von 3.250 km².
Seite 173
Im Laufe der Zeit ist an der Tauber ein repräsentatives Mittelgebirgsflusstal mit
vielfältigen Komplexlebensräumen entstanden. Neben Hang- und Auewiesen
haben sich Feucht- und Trockenstandorte etabliert, die sich mit Laub- und
Mischwäldern, aber auch mit Streuobstwiesen abwechseln.
Das Taubertal gehört somit zu den größeren Flusslandschaften unserer Heimat
und birgt entlang ihres Flussbettes auch eine Fauna von außergewöhnlicher
Schönheit. So sind neben vielen Libellenarten auch Eisvögel und Wasseramseln
in ihrer Ufervegetation zu Hause.
Die Tallandschaft kann bequem mit Rad und teilweise auch mit dem Boot
erkundet werden. Sie wartet geradezu auf aufmerksame Besucher.
174 Seite
An der Tauber kann
man sehr gut Eisvögel
beobachten,
Doch um sie fotografieren
zu können,
muss man sehr
schnell sein und
gleichzeitig Glück
haben. Doch nur
wenn man oft genug
draußen unterweg ist,
kann man die fliegenden
Edelsteine
irgendwann in einem
Bild einfangen.
Seite 175
Die Route
Das liebliche Taubertal kann sehr gut mit dem Rad befahren werden. Für diese Tour
starteten wir von Roth am See und fuhren zunächst zur Tauberquelle. Zwei Tage
lang waren wir mit unseren damals zehn- und achtjährigen Kindern unterwegs.
Dabei lernten wir eine außergewöhnliche
Flusslandschaft kennen. Gleich hinter Rothenburg
sahen wir urige Wege mit tiefen Taleinschnitten.
Es stand aber auch viel Kultur auf
unserem Programm. Schließlich durchquerten
wir neben Rothenburg ob der Tauber auch
Creglingen oder Bad Mergentheim mit seinem
Deutschordensschloss. Kulturelle Höhepunkte
fi ndet man aber auch in Weikertsheim mit dessen Schlosspark. Am Ende besuchten wir
noch das mittelalterliche Kloster Bronnbach mit seinen prächtigen Sandsteinskulpturen
und natürlich die schöne Burg Wertheim.
176 Seite
Liebliches Taubertal
Juni 2011
Unsere Flusslandschaften lassen sich mit Kindern und mit dem Rad sehr gut erkunden.
Dies wollten wir auf einer Mehrtagestour durchs Taubertal endlich selbst ausprobieren. Dabei
verspricht die Tauber viel Abwechslung, denn neben der schönen Natur hat das Tal auch viel
Kulturelles zu bieten. Mit dem Zug fuhren wir nach Rot am See, um dort mit den Rädern zu starten.
Gut markierte Radwege führten uns zunächst durch
Felder hinüber zur Tauberquelle. Von dort ab sollte das
kleine Rinnsal unsere weitere Strecke begleiten. Zügig
ging es von da an ins Taubertal hinab. „Geht es eigentlich
nur bergab?“, fragte Jan. „Fast nur“, erwiderte ich.
Ein Vorteil, der wirklich Lust aufs Radfahren macht, so
war unser Plan gewesen. Den Kindern gefi el die Idee,
auch wenn einige Anstiege im Verlauf der Tour die ein
oder andere Frage aufkommen ließen.
Der Radwanderweg entlang der Tauber wird überall als
„der Klassiker“ angepriesen. Er führt von Rothenburg
ob der Tauber bis nach Wertheim. Der Vorschlag, auch
die Quelle in unsere Tour mit einzubeziehen, war dann
meine Idee gewesen, denn ich liebe frisches Quellwasser
und vor allem direkt daraus zu trinken.
Seite 177
Die Zuganbindung nach Rot am See war ideal gewesen.
Auch der Start mit dem Rad gelang ohne Schwierigkeiten.
Doch nach etwa 20 Kilometern übersahen wir eine
Markierung und fuhren geradeaus anstatt links abzubiegen.
Bald standen wir an einem schönen Anglersee,
doch unser eigentlicher Radweg war verschwunden.
Mühsam strampelten wir einen Feldweg bergauf. Die
ersten Fragen kamen auf. Zu allem Übel sprang auch
noch die Kette von Kerstins hinterem Ritzel ab und
verklemmte sich zwischen Rahmen und Rad. Nun hieß
es tief durchschnaufen, reparieren, schönreden und
weiterfahren.
Solche Pannen sind natürlich übel. Sie drücken aufs
Gemüt und nehmen einem die Lust am Radeln. Zum
Glück hatte es nicht ein Rad der Kinder getroffen, denn
sie hätten das vielleicht persönlich genommen. Das
schöne Wetter verdrängte aber bald das kleine Maleur
aus unseren Sinnen und die Schmerzen meiner zerschundenen
Hand behielt ich vorsichtshalber für mich.
Die letzten zehn Kilometer in Richtung Rothenburg ob
der Tauber verliefen dann ohne weitere Zwischenfälle.
Leider waren wir etwa eine Stunde hinter unseren Zeitplan
zurückgefallen und die Vorfreude auf ein Eis in der
Altstadt musste noch ein wenig Geduld haben.
Getreidefelder so
weit das Auge reicht.
Die Gegend rund um
die Tauberquelle ist
stark landwirtschaftlich
geprägt. Dabei
wechseln sich alte
Fachwerkhäuser mit
modernen Traktoren
ab.
178 Seite
Ein herrlicher Weg führte durch die Schlucht nahe der
Stadt und bald standen wir vor den Toren Rothenburgs.
Riesige Mauern verbanden die Türme der Stadtmauer
und wir schoben unsere Räder in das Innere der mittelalterlichen
Anlage.
Die herrlich restaurierte Altstadt gefi el nicht nur uns auf
Anhieb. Eine große Besucherzahl war an vielen Stellen
in Rothenburg anzutreffen. An einem einladenden Cafe
stellten wir die Räder ab und genossen unser verdientes
Eis, während Touristen an uns vorbeiströmten. Ihr
Ziel waren die Souvenirgeschäfte. Ausgeruht schoben
wir weiter die Altstadt hinauf bis zum Marktplatz und
weiter hinunter zur Burganlage.
Seite 179
Von der Wehranlage aus genossen wir den Ausblick auf
das Taubertal. Anschließend verließen wir den schönen
Aussichtsort in Richtung Norden, denn wir wollten noch
ein paar Kilometer radeln und dann in einem Gasthof
übernachten. In Bettwar fanden wir in der „alten Schreinerei“
eine ideale Bleibe. Bei köstlichem Essen endete
unser erster Tag auf der Terasse. Ein Gewitter brachte
abends noch etwas Regen und wir gingen nach unserem
perfekten Rehbraten mit Klösen in unser Zimmer.
In der Fußgängerzone
von Rothenburg
reihen sich die
Fachwerkhäuser
aneinander. Besonders
gut gefiel uns
der Ausblick vom
Burggarten auf die
Tauberschleife.
180 Seite
Wir schliefen wie die Murmeltiere, doch da unser Zimmer
keine Außenrollos besaß, war die Nacht schon um
sieben Uhr vorbei und eine halbe Stunde später saßen
wir bereits beim Frühstück. Vor unserem Tisch stand
Müsli in verschiedenen Variationen bereit, daneben
lagen frische Brötchen mit hausgemachter Marmelade
und es duftete nach frischem Kaffe. Herz was begehrst
du mehr.
Nach dem Frühstück packten wir gemütlich unsere sieben
Sachen zusammen und holten die Räder aus dem
Keller und schon bald spürten wir wieder den Fahrtwind
in unseren Gesichtern. Das Wetter sollte noch ein paar
Stunden halten und wir nutzten die Zeit, die Eindrücke
des Taubertals an uns vorbeiziehen zu lassen. Wiesen-
Flockenblumen ragten mit ihren lila Köpfen weit aus den
Wiesen hinaus. Dann kam wieder eine der Siedlungen.
die sich zwischen die Felder wie Knoten an einer Schnur
dem Taubertal entlangreihten.
Seite 181
Klatschmohn bildete schöne
Kontraste am Rand der Roggen-
felder. Die roten Blüten gefielen
den Kindern, doch sie sind vor
allem für die Insekten wichtig.
Auch wir würden uns solche
Anblicke viel öfter in der Landschaft
wünschen. Sie zu finden
wäre so einfach, wenn man die
Randstreifen an allen Feld- und
Radwegen nicht mulchen, sondern
länger stehen lassen würde.
182 Seite
Bald rollten wir in Creglingen ein und Hinweisschilder
machten uns auf ein Rosenfest am Römerschlösschen
aufmerksam. Wir beschlossen daher, dort einen kleinen
Zwischenstop zu machen. Hinter einem Bauwerk am
Hang gelegen, hatte der hiesige Gartenbauverein über
die Jahre ein herrliches Kleinod geschaffen. Viele heimische
Kräuter und Wein, vor allem aber Rosen, konnte
man hier bestaunen. Überhalb des Gartens hatten
die Blumenfreunde eine Tribüne aufgebaut. Von dort
schauten wir auf die Wiese darunter und bewunderten
die Muster aus Teelichtern, die von vielen fleißigen
Helfern dekoriert worden waren und die jedes Jahr
diesem Fest einen Rahmen gaben. Wir hofften für die
Veranstalter nur, dass das Wetter halten würde, denn
der Himmel schaute bereits bedrohlich aus. Wir verließen
den Ort wieder und fuhren weiter nach Röttingen.
Seite 183
Röttingen mit seiner mittelalterlichen Stadtmauer lag
direkt am Tauberradweg. In der Innenstadt angekommen,
warb ein Plakat für einen Bühnenauftritt in der
Burganlage. Das wäre auch eine schöne Idee gewesen,
doch das Wetter mit den immer dunkler werdenden
Wolken ließ uns keine Ruhe. Wir mussten ja weiter nach
Weikersheim. Dabei kamen wir an einer schönen Brücke
vorbei, die von Baltasar Neumann entworfen worden
war. Zu unserem Glück blieb es noch trocken.
Wir tasteten uns quasi Stück für Stück von Ort zu Ort
vorwärts. Bald blies uns jedoch heftiger Wind in die
Gesichter. Er wurde schließlich so stark, dass wir beinahe
unser eigenes Wort nicht mehr verstanden. Wir duckten
uns über die Lenker und traten in die Pedalen so gut es
eben ging. Ich glaube, dass wir auf den letzten paar Kilometern
nach Weikersheim mehr Kraft benötigt hatten als
während des gesamten vorherigen Tages. In Weikersheim
angekommen, waren die Kinder ziemlich erschöpft.
Wie lange sie noch fahren müssten, fragten sie mehrfach,
während wir versuchten, sie immer wieder aufzumuntern.
Eigentlich war unser nächster Halt am Weikertsheimer
Schloss geplant. Doch wir entschlossen uns,
direkt am Marktpatz eine Pause einzulegen und kehrten
dazu in ein kleines Cafe mit großen Fenstern ein. Gemütlich
war es hier und vor allem ganz ohne Wind. So
konnten wir ganz angenehm neue Kraft tanken.
184 Seite
Das Weikertsheimer Schloss ist eine Augenweide
und auch der Schlosspark gefi el uns. Er würde bei
Sonnenschein sicher noch prächtiger sein. Wir wollten
ihn aber trotz des schlechten Wetters anschauen und
schlenderten gemütlich durch die Anlage. Der Bau des
eindrucksvollen Residenzschlosses wurde im 16 Jh.
begonnen, wobei die Baustelle 200 Jahre unvollendet
bleiben sollte. An gleicher Stelle stand bereits vorher
ein Bauwerk, das Hohenloher Wasserschloss. Nach der
Säkularisation wurde dann das einst zusammenhängende
Territorium an der Tauber zwischen Bayern und
Baden-Württenberg aufgeteilt.
Wir verließen den Barockgarten und beendeten nach
80 gefahrenen Kilometern unsere Taubertour. Aber nur
vorläufi g. Bei nächster Gelegenheit wollen wir dann von
hier aus nach Wertheim weiterfahren, soviel stand fest,
als wir im Zug saßen um nach hause zurückzufahren.
Seite 185
Zwei Wochen später rollten unsere Räder bereits wieder
auf dem Radweg an der Tauber entlang. Zwei freie
Tage standen an und das Wetter versprach dieses Mal
besser zu werden. In Weikertsheim angekommen führten
uns die ersten Kilometer durch das breit gewordene
Tal. Hier zwischen Weikersheim und Bad Mergentheim
wird viel Wein angebaut. Die Hänge scheinen mit
Rebstöcken bis auf den letzten Platz besetzt zu sein.
Den Landesherren beschehrte dies große Einnahmen,
die sich in den Prachtbauten wiederspiegelten. Das
Weikertsheimer Schloss ist eines davon. In Bad Mergentheim
würden wir vor einem weiteren stehen.
Vorher bestaunten wir aber noch im Kurpark eine herrliche
Rosensammlung. Der Duft der Rosen stieg uns
schon beim Vorbeigehen in die Nase.
186 Seite
Das Schloss in Bad Mergentheim war einstiges
Machtzentrum des Deutschen Ordens. Der hohe Turm
überragt das Geschehen rund um den Marktplatz. Die
schwarz-weißen Fahnen an der Eingangsbrücke zum
Schloß und die vielen Ordenskreuze, die in Sandstein
gemeißelt überall zu fi nden sind, zeigen noch heute,
wer hier früher das Sagen hatte. Beeindruckend ist
auch das Ordensmuseum, dem wir einen Besuch abstatteten.
Dort kann man ein schönes Modell der Burg
Rehden in der Eingangshalle betrachten. Bei angenehmem
Wetter schlenderten wir durch den Innenhof und
betrachteten die fi ligranen Fassaden, die sich plastisch
in der Sonne präsentierten.
Seite 187
Auf dem Makrtplatz genossen wir dann leckeren
Rhabarberkuchen und Pizzastücke. Gestärkt gingen
wir anschließend an die Strecke. Unser Plan war
nun, weiter dem Taubertal zu folgen. In der Nähe von
Tauberbischofsheim wollten wir uns dann ein Zimmer
suchen. Wir wussten aber noch nicht, dass dies nicht so
einfach werden würde.
188 Seite
Entlang des Radweges hatten wir immer wieder
Gelegenheiten, die für Abwechslung sorgten. So zum
Beispiel ein Mühlenspiel mit Riesensteinen, das wir in
einer Parkanlage vorfanden. Ab und an fütterten wir auch
einfach nur die Enten, die in der Tauber schwammen.
Anschließend radelten wir weiter, durchquerten kleinere
Ortschaften und erreichten schließlich Grünsfeld, das
etwa vier Kilometer von der Tauber entfernt liegt. Dort
fanden wir endlich ein Quartier, nachdem wir vorher noch
zwei kraftraubende Kilometer einen Berg hochgestrampelt
waren.
Eine alte Mühle sollte für diesen Tag unsere Bleibe sein.
Es war eine perfekte Location, wie wir fanden. Mit Blick
auf einen Garten belohnte uns die gegenüberliegende
Pizzeria für die Anstrengungen des Tages.
Seite 189
Unsere Tour lief bis dahin „wie am Schnürchen“, wie man
so schön sagt. Der zweite Tag startete jedoch mit wesentlich
schlechterem Wetter, was uns die Laune aber nicht
trübte. Das gemütliche „Dahinfahren“ schien momentan
das ideale Betätigungsfeld für uns zu sein. Trotz der
kühleren Temperaturen und dem Gegenwind erreichten
wir gut gelaunt die Altstadt von Tauberbischofsheim.
Einen Tag früher wäre ein Fest in Tauberbischofsheim
gewesen, das mit dem Auftritt einer Soulband beendet
wurde. Wir schoben unsere Räder durch die Spuren der
letzten Nacht, aber auch durch den gerade stattfindenden
Flohmarkt. Nun setzte Nieselregen ein, während wir
die Stadt wieder verließen. Schnell war die Regenbegleidung
übergezogen und es ging am schönen Rathaus
vorbei hinunter zur Tauber. Eine alte Steinbrücke
führte uns über den Fluss und wir folgten dem Lauf der
Tauber nun auf der linken Flussseite.
190 Seite
Das Tal wurde nun enger und wir waren erstaunt über
die Naturbelassenheit dieses Flussabschnitts. In engen
Schleifen fl oss die Tauber jetzt gemächlich in Richtung
Wertheim weiter. Wie eine Schlange, die sich beherzt
ihren Weg bahnen muss, windete sie sich durch das Tal
dem Main entgegen.
Die Weinberge waren nun ganz verschwunden,
dagegen machten sich Waldhänge breit. Bei Kloster
Bronnbach schien nichts mehr vom landwirtschaftlich
geprägten Tal übrig geblieben zu sein.
Seite 191
Im Innenhof des Klosters Bronnbach kamen wir
dann aus dem Staunen kaum heraus, denn die hohe
Schule der Steinmetzkunst wurde innerhalb der
Klosteranlage sichtbar und es schien, als wollten uns
die Figuren ihre eigene Geschichte erzählen. Auch
RTL war von der Anlage begeistert und nutzte die
Örtlichkeiten als Drehort für seine DSDS-Show.
192 Seite
Noch einmal radelten wir zurück zur Tauber, doch unsere
Tour neigte sich so langsam dem Ende entgegen,
denn bis nach Wertheim war es nun nicht mehr weit.
Nach einer letzten Rast radelten wir gemütlich auf die
Stadt zu. Während die gleichnamige Burg schon von
Weitem sichtbar über Main und Tauber wacht, dringen
erste Verkehrsgeräusche aus der alten Mainstadt in
unsere Ohren. Kurz bevor wir die Tauber überqueren,
präsentiert sich die Burganlage vor unseren Augen in
ihrer ganzen Größe. Wie ein Bollwerk thront sie über
dem Taubertal und demonstriert gleichzeitig an der
Mündung hoch über dem Main den Machtanspruch des
einstigen Adels über diese Region. Der Main jedoch,
der sich wie ein größeres Geschwisterkind unter der
Burg mit der Tauber vereint, soll nun Gegenstand für
die nächste Tour dieses Buches sein. Ihn erkundete ich
bereits als Jugendlicher zusammen mit meinem Vater.
Es war eine Radtour, an die ich heute noch gerne
denke.
Die Burg Wertheim
liegt auf einer schmalen
Bergzunge zwischen
den Tälern von Main und
Tauber. Sie ist eine der
mächtigsten Burganlagen
weit über die Region
hinaus. Es gibt begründete
Hinweise darauf,
dass hier Teile des
Mittelalterepos des
Parzival entstanden
sind, dessen Niederschrift
zwischen 1200
und 1210 erfolgte.
Seite 193
194 Seite
Am Main
Ruhig wie ein Brett
liegt er da, der Main.
Bei schönem Wetter
spiegeln sich der
blaue Himmel, aber
auch die Höhen
der umliegenden
Berge auf der glatten
Wasseroberfl äche
und erzeugen dabei
fantastische Formen.
Seite 195
Der Main ist die Lebensader Frankens. Sanftmütig fließt er durch die Mittelgebirge
dieser Region. Im Spessart angekommen, windet er sich mit engen Schleifen wie eine
Schlange durch die Landschaft und prägt so die Ränder dieses einmaligen Waldes.
Für den Main wird eine Länge von 553 Kilometern angegeben. Vor der Wiedervereinigung
wurde er sogar als längster Fluss der damaligen BRD genannt. Sein
Einzugsgebiet mitsamt seinen Nebenflüssen umfasst eine Fläche von 27.292 km²
und er entwässert dabei den größten Teil Frankens.
Bereits bei den Kelten wurde er als Transportweg genutzt. Die Römer begannen auf ihm
auch größere Waren, vor allem aber Kriegsgerät zu transportieren. Doch ebenso große
Mengen Holz wurden auf dem Main verschifft. Die Flößerei, die auf dem Main erstmals
1386 erwähnt wurde und ihren Höhepunkt Anfang des 20. Jahrhunderts erreichte, wurde
immer weiter intensiviert. Zwischen 1900 und 1915 befuhren den Fluss fast 1800 Flöße
jährlich, wie Zählungen in Wertheim bestätigen. Doch die mangelnde natürliche Strömung
führte zu hohen Kosten für Löhne und Schleppkähne und man begann den Fluss
zur Wasserstraße auszubauen. Zwischen 1886 und 1960 wurden ganze 34 Staustufen
gebaut. Das Nachsehen hatten dabei die Wanderfische, wie etwa der Lachs, nach dem
früher zum Beispiel in Gemünden gefischt wurde.
196 Seite
An den Ufern des
Mains zwischen Lohr
und Wertheim liegen
faszinierende kleine
Buchten. Am besten
fi ndet man diese
Stellen vom Wasser
aus.
Seite 197
Die Route
Der Main ist ein langer und sehr schöner Paddelfluss, trotz der 34 Staustufen,
die ihn zerschneiden und mit dem Paddelboot umtragen werden müssen.
Zwischen Gemünden und Marktheidenfeld fließt er mitten durch den Spessart
und umrundet ihn anschließend.
Nachdem ich die Flusstrecke zwischen Gemünden
und Lohr bereits im ersten Band beschrieben
habe, möchte ich nun meine Paddelerlebnisse
von Lohr bis Wertheim erzählen. Dabei ist dieser
Abschnitt besonders schön, da der Wald bis direkt
an den Main heranreicht.
198 Seite
Auf dem Main durch den Spessart
Juli 2020
Das Wetter war nicht unbedingt optimal. Ich schaute von meinem Esszimmertisch hinaus auf
die Terasse und grübelte über mein Paddelvorhaben, während draußen vor dem Fenster kleine
Regentropfen auf dem Terassentisch aufploppten. Doch das Wetterradar meldete einen kurzen
Regenstopp zwischen neun und zwölf Uhr.
„Das müsste reichen“, dachte ich und startete mein
Vorhaben. Spontanität ist manchmal nicht schlecht, vor
allem wenn ein schöner Fluss nur sieben Kilometer vor
der Haustür liegt. 15 Minuten später war ich in Sackenbach
auf dem Parkplatz gleich hinter der Schleuse und
begann meinen Schlauchkanadier aufzupumpen. Die
Teerstraße in Lohr war zwar bereits trocken gewesen,
die Wiese am Main natürlich noch nicht. Doch während
des Aufpumpens ist ein bedeckter Himmel sowieso
Gold wert, denn man schwitzt dann nicht so leicht.
Schon saß ich nach nur vier Tagen Pause bereits wieder
zwischen den beiden Luftkammern meines Palavas,
denn am Samstag erst hatten wir eine Paddeltour auf
der Fränkischen Saale unternommen. Es war ein sehr
schönes Geburtstagsgeschenk meiner Freunde zu
meinem 50. gewesen.
Seite 199
Doch das Wetterglück vom letzten Samstag hatte
ich an diesem Tag leider nicht. Zum Glück aber blieb
es trocken. Ich querte mit schnellen Paddelschlägen
zügig den Main, um auf der anderen Seite die kleinen
Buchten hinter Steinbach genauer anzuschauen. Das
neue Doppelpaddel erwies mir dabei große Dienste,
denn auf einem ruhigen und breiten Fluss hat es
gewisse Vorteile gegenüber den Stechpaddeln, die
ich auf kleinen und windungsreichen Flüssen wie der
Wiesent oder der Saale normalerweise benutze. Auch
die Sitzposition hatte ich heute etwas anders arrangiert.
Mit Hilfe eines Sitzkissens und einer Lehne lag ich nun
angenehm im hinteren Teil des Bootes und gleitete mit
leichten Paddelschlägen von einer Bucht in die nächste.
Der Fischreiher, den ich beim Überqueren des Mains
am Ufer gesehen hatte, war in die ufernahen Bäume
gefl üchtet. Dort oben wartete er geduldig bis ich keine
Gefahr mehr für ihn darstellte, dann kam er wieder zum
fi schen zurück ans Wasser.
200 Seite
Mit gemütlichen Schlägen ging es mit der Strömung
sanft dahin und am Campingplatz in Lohr vorbei. Ich
passierte das Schwimmbad mit seiner schönen Liegewiese
und erreichte bald die Mainläde. Kurz dachte ich
an die bekannte Festwoche, die leider coronabedingt in
diesem Jahr nicht stattfinden konnte. In etwa drei Wochen
wäre es wieder so weit gewesen. Die Einschränkungen
sind doch gewaltig und es schmerzt, denn auch
ich bin dort normalerweise regelmäßig zu Gast.
Hinter der alten Mainbrücke hatte das Grün der Ufervegetation
bald wieder die Oberhand. Nur der Straßenlärm
war an dieser Stelle wieder lauter zu hören, da die
Geschwindigkeiten der Autos auf der Höhe des Industriegebietes
steigen. Die unangenehmen Geräusche
begleiteten mich bis etwa auf die Höhe des Obi-Baumarktes.
Dort schluckte endlich die Vegetation der alten
Bäume eines Naturschutzgebietes und die zunehmende
Entfernung der Straße den lästigen Schallpegel.
Ich tauchte nun in einen sattgrünen Flussabschnitt
ein. Rechts und links am Ufer erheben sich mächtige
Weiden und Erlen. Einzelne davon sind bereits abgestorben
und verleihen dem Streckenabschnitt einen
Hauch Natürlichkeit. Nur die Bojen für den Schiffverkehr
stören diese Eindrücke. „Bald wird wieder ein Koloss
in der Ferne auftauchen“, dachte ich. Dann musste ich
zügig in eine Bucht hineinpaddeln, wie bereits vor einer
Stunde, denn die Schiffe fahren teilweise im Tandem
den Main. Fast bedrohend wirken sie dann im Vergleich
zu einem winzigen Paddler.
Seite 201
Die Schwergutschiffe verfügen über besonders leistungsfähige
Ballastpumpen und Antriebsmotoren. Das merkt man
auf dem Wasser sofort. Ein kräftiger Sog zieht beim Auftauchen
dieser Riesen alles Wasser vor sich ab. Dabei überkommt
einen auch schon mal ein mulmiges Gefühl, wenn
plötzlich das Wasser unter dem nur knapp vier Meter langen
Paddelboot abgesaugt wird. Nach dem Passieren des
Schiffes werden die Wellen wieder nach außen gepresst,
schlagen an die Uferböschung und schwappen dabei
unter meinem Boot hindurch. Wenn man dieses kraftvolle
Schauspiel einmal auf dem Wasser mitbekommen hat,
wird schnell klar, warum die Uferbereiche unseres schönen
Mains mit derart schweren Quadern befestigt wurden. Eine
natürliche Vegetation ist aufgrund der Wasserstraße kaum
möglich. Erst der Steinwall sorgt für Festigkeit im Dienste
des Schwertransports. Das Paddeln wäre angenehmer,
wenn die Schwergutschiffe nicht wären.
Gelegentlich taucht eine schöne Bucht auf. Sie vermittelt,
wie es ohne die Wasserstraße überall am Main aussehen
würde. Ich muss gestehen, ich könnte mir kein schöneres
Geschenk vorstellen.
202 Seite
Bei herrlichstem Wetter kam ich eine Woche später an meine letzte Ausstiegsstelle
zurück. Ich trug mein Boot vom sonnigen Feldrand in den Schatten der umliegenden
Bäume, Es waren große Erlen und Weiden, die ihn an dieser Uferstelle spenden.
Schräg scheinte die Sonne durch das Geäst auf den sandigen Untergrund.
Ich breitete mein Boot aus und begann mit dem Aufpumpen.
Etwa 150 Stöße sind es pro Kammer, wobei das Boot drei Kammern hat. Anschließend
genoss ich noch ein wenig den Sonnenaufgang und wartete, bis mein Puls wieder
ruhiger geworden war. Nun befestigte ich meinen Sitz auf der Unterlage, um eine
ideale Sitzhöhe in meinem Boot zu gewährleisten. Dies ist wichtig, denn bei jedem
Paddelschlag schleife ich ansonsten an der oberen Gummikannte des Boots entlang,
was zu Verletzungen an den Händen führen kann. Diese unschönen Schrammen
möchte ich aber vermeiden und passe daher immer wieder das Volumen der Luftkammer
und somit die Sitzhöhe an. Die Utensilien waren anschließend schnell an
Bord und ich verließ schweren Herzens diese schöne sonnige Bucht.
Das Naturschutzgebiet
zwischen Lohr
und Rodenbach kann
vom Wasser aus seine
ganze Schönheit
präsentieren. Bei wunderbarem
Augustwetter
genoss ich diesen
Flussabschnitt.
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Das Naturschutzgebiet, das hier das Ufer säumt, begeisterte mich bereits nach wenigen
Paddelschlägen. Geradewegs steuerte ich auf eine abgestorbene Baumgruppe
zu, auf deren Ästen eine Gruppe Fischreiher zum Jagen ansitzt. Sie beschwerten sich
lautstark bei meiner Ankunft und drehten weite Runden über mir und um mein Boot
herum. Nach wenigen Minuten waren sie jedoch wieder vor Ort und nahmen ihren
alten Platz erneut ein. Ein paar Meter weiter ragte ein weiterer Baumstumpf aus dem
Wasser. Seerosengewächse umrahmten ihn und eine urige Stimmung machte sich
um mich herum breit. Ich fühlte mich für einen Augenblick wie auf einem Seitenarm
eines Urwaldfl usses. Dabei waren es nur klägliche Reste von Altwasserbeständen,
die an der unbefestigten Uferzone wachsen dürfen. Die Fahrrinne selbst ist durch
eine Aufschüttung in Richtung Mainmitte gesichert. Man hat jedoch die Randbereiche
naturnah wieder hergestellt. Es ist ein kleiner Flussabschnitt, der vorbildlich für
Nutzung und Naturnähe betrachtet werden kann. Einmal als Wasserstraße und an
den Randbereichen durch eine Schutzzone für die Natur. Leider ist nach wenigen
hundert Metern am Ortseingang von Rodenbach die Realität der reinen Wasserstraße
zurückgekehrt. Während melodisches Vogelgezwitscher über mir in den Weiden
ertönte, erreichten mich Sekunden später bereits halbmeterhohe Wellen, die mein
Boot aufschaukelten. Sie erreichten gleich darauf die Uferböschung, die nun wieder
befestigt war. Die Wellen zeigten mir, welche Kraft in ihnen steckt. Sie schlugen
lautstark gegen den harten Stein.
Idyllischer Mainabschnitt
bei
Rodenbach.
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Nach wenigen Paddelkilometern war ich in einer weiteren schönen Mainschleife angekommen.
Wie eine grüne Oase wirkten nun die üppigen Bäume und Sträucher auf mich, denn zwischen
Lohr-Rodenbach und Rothenfels kommen die bewaldeten Spessarthöhen besonders nah an den
Main heran. Dort fallen abgestorbene Baumreste auf, die mit ihrer hellen braun-grauen Farbe aus
dem üppigen Grün herausstechen. Sie werden von Wasservögeln rege genutzt. Mal sind es Fischreiher,
mal Kormorane oder gelegentlich schöne Eisvögel.
Auch auf diesem Flussabschnitt huschten zwei dieser fliegenden Edelsteine vor meinem Boot her
und flogen flussabwärts. Leider konnte ich ihnen nur für wenige Sekunden hinterherschauen, dann
waren sie schon wieder im Dickicht verschwunden. Einer der abgestorbenen Bäume fi el mir besonders
auf, denn ein dort sitztender Fischreiher bewegte sich kaum. Als ich sanft an ihm vorrüberpaddelte,
schaute er mich kurz an und setzte just sein halbflüssiges Geschäft direkt vor mir in den Fluss
ab. Mit einem lauten „Blupp“ glitt die Rakete in das Wasser. „Sauber“, sagte ich so vor mich hin und
fi ng an zu lachen. Ihn störte das nicht. „Dankeschön“ rief ich zu ihm hoch, doch da war ich bereits
etwa zwanzig Meter von ihm entfernt. Der Geselle hatte mich glatt ignoriert. Er hielt weiter nach
Fischen Ausschau, als hätte er mich gar nicht bemerkt.
Ich war jetzt etwa einen Kilometer vor Neustadt und das erste, was
ich sah, waren die leuchtend türkisen Türme des Klosters, die weit in
Richtung Lohr blicken. Bereits 738 soll der Ort als Rorinlacha an der
„Michil Statt“ (heutiger Michelsberg) gegründet worden sein. Namhafte
Persönlichkeiten, wie der damalige Bischof von Würzburg Burkard
und Karl Martell, werden mit der Gründung genannt und in Verbindung
gebracht.
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Schon 772 wurde das zweite Benediktinerkloster nur wenige hundert
Meter nördlich errichtet. Diesmal an der Neuen Statt (Niunstat) im Auftrag
von Karl dem Großen. Der zweite Bischof von Würzburg, Megingaud, war
mit dem Bau betraut worden. Man sieht daran, dass der Spessart schon
immer eine größere strategische Bedeutung gehabt haben muss. Beim
Vorbeipaddeln fi el mir auf, das sich Neustadt mit seinem Umland wie ein
Keil in den Spessart hineinschneidet. Warum die Würzburger Bischöfe
gerade an dieser Stelle auf Mainzer Gebiet siedeln mussten, ist eine lange
Geschichte, die am Ende zeigt, dass es der Kirche eben nicht immer nur
um den Glauben ihrer Schäfchen ging.
Ich querte hier den Main, fuhr nun linksmeinisch an der Uferpromenade
von Erlach entlang und unter der Fußgängerbrücke hindurch. Bald
schon war ich erneut von bewaldetem Ufer umgeben. Hinweisschilder
kündigten mögliche Wassersportler an und tatsächlich fuhren wenig
später die ersten Boote mit Wasserskifahrern im Schlepptau an mir vorbei.
Das wunderte mich nicht, denn ich war im Umfeld des Campingplatzes
angekommen, der auf einem sanften Vorsprung liegend sehr schön in
den Main hineinragt. Mit dem Gaibach endet wenig später nicht nur der
Campingplatz, sondern auch die Gemarkung von Neustadt und ich bog
mit der sanften Windung der nächsten Mainschleife um die Ecke und
erblickte auf dem Fels hoch über dem Main die Burg Rothenfels. Die
gleichnahmige und kleinste Stadt Bayerns wird jedoch leider von einer
Staustufe verdeckt. Der rote Fels, auf dem die Burg erbaut wurde, scheint
früher außergewöhnlich gewesen zu sein, denn er gab nicht nur Burg
und Stadt ihren Namen, auch das Wappen der Stadt zeigt dies eindeutig.
Während ich diese Zeilen in mein Handy sprach, begann mein Boot
erneut zu schaukeln und wieder prallten die Wellen gegen die Vegetation
des nahen Ufers. Bald hatte ich die letzten Meter bis zur Staustufe hinter
mir. Hinter einem Angler verließ ich den Fluss und freute mich über diesen
gelungenen Paddeltag.
208 Seite
Eine Woche später war ich wieder mit dem Boot unterwegs und kehrte nach Rothenfels
zurück. Am Ufer angekommen, stand die frühe Sonne noch schräg über dem
Main und brachte Wasserdampfschwaden zum Leuchten. Ein Zeichen für die kälteren
Temperaturen, die jetzt Ende August in den Morgenstunden bereits herrschten, aber
auch für den wärmer gewordenen Main. Denn in den Sommermonaten werden im
Wasser meist über 22 Grad Celsius gemessen. Am 12. August hatte die Wassertemperatur
des Mains in Würzburg und in Kahl sogar die 26 Grad überschritten. Der
Schwellenwert von 26 Grad gilt dabei als kritisch für die ökologischen Bedingungen
von Gewässern. Sobald dieser Wert längere Zeit darüber liegt, schadet dies den
Fischen und das hat einen einfachen Grund. Es sinkt mit der Erwärmung gleichzeitig
der Sauerstoffgehalt. Mit den knapp 23 Grad Wassertemperatur, auf die ich an
diesem Morgen traf, erschrak ich förmlich, denn es kam mir viel zu warm vor. Es
fühlte sich an, als ob ich mit den Füßen in einer warmen Badewanne stehen würde,
während ich mein Boot über die Uferböschung in Rothenfels in den Main hinabzog
und anschließend beim Einstieg ins Boot bis zu den Waden im Wasser stand.
Beim Lospaddeln schaute ich noch einmal auf die Burg Rothenfels hinauf und zur Altstadt
hinüber. Sie wurde in diesem Moment von der aufsteigenden Sonne angestrahlt
und die roten Fachwerke leuchteten auffällig zu mir herüber. Nur langsam erwärmte
sich die Luft und die Schwaden über dem Wasser verzogen sich nur zäh. Es ist
eine beeindruckende Stimmung, die der Main an solchen Tagen bietet, wenn man
einen Blick dafür hat. Vor mir lagen zwölf Kilometer bis nach Triefenstein, doch nach
wenigen Paddelschlägen gleitete ich bereits am Campingplatz von Zimmern vorbei
und genoss es, wieder auf dem Fluss zu sein. Vor mir querte ein Fischreiher über den
Main und ich beobachtete zwei Schwäne, die von einem Camper am anderen Ufer
gefüttert wurden. Anschließend erreichte ich die ersten Schilfstauden. Bis zu zwei
Meter stehen sie am Ufer direkt im Wasser noch vor den Weiden, die sich dahinter
erheben. Das Schnattern von Gänsen war aus der Ferne zu hören und ein kleiner
Trupp Rauchschwalben segelte knapp über der Wasseroberfl äche vor meinem Boot
hin und her. Sie jagten mit aufgerissenen Schnäbeln nach Mücken, die sie dicht über
dem Wasser jetzt am zahlreichsten vorfanden.
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Ich erreichte Hafenlohr und seine gemütliche Uferpromenade.
Durch einen Torbogen, der sich direkt hinter
einem Bootseinlass befi ndet, schaute ich hinauf zum
ummauerten Kirchhügel auf die Kirchturmspitze. Direkt
an der gegenüberliegenden Mainseite zeigte sich ein
ähnlicher Bootseinlass. Hier muss es früher eine Furt
gegeben haben, dachte ich, denn in Verlängerung der
Einlasstelle gegenüber zieht sich der Lisbachgraben
hinauf nach Karbach auf die fränkischen Platte. Auch an
der Einmündung des gleichnamigen Flusses Hafenlohr
in den Main laden Bänke und Tische zum Verweilen ein.
Ich schaute durch den alten Eisenbahntunnel hindurch
und sah, wie sich das Bächlein gemächlich plätschernd
auf den Main zubewegt. Ein Fachwerkhaus steht direkt
über dem Bach und das weiße Gefache leuchtete unter
der Brücke zu mir herüber. Mehrere Treppen vor und
hinter der Einmündung führen hinunter auf den Main.
Sie erleichtern den Einstieg für Paddelboote erheblich.
Hinter Hafenlohr gewinnt die natürliche Vegetation wieder
die Oberhand am Fluss. Ausladende Weiden säumten
nun die schilfbewachsenen Ufer. Auf einer Steinreihe
im Fluss watschelten Kanadagänse auf und ab. Sie
ließen sich bei ihrem Geschnatter nicht stören, doch sie
hatten gleichzeitig mein Boot fest im Auge, dass sich
jedesmal, wenn ich fotografi eren wollte, um 180 Grad
drehte. Dies geschieht aufgrund der einseitigen Belastung
im Boot immer wieder, denn ich sitze im hinteren
Teil und kann während des Fotografierens mit dem Paddel
nicht gegensteuern. Zugegeben, es nervt ein wenig,
wenn man viel fotografi ert, doch es ermöglicht einem
ebenso den Blick zurück auf die gepaddelte Strecke.
210 Seite
Ich paddelte nun auf Marktheidenfeld
zu. Die neue
Mainbrücke war schon von
weitem vom Main aus zu
sehen. Nach einer weiteren
Bootsumdrehung unter der
blauen Brücke vor Marktheidenfeld
konnte ich ein letztes
Mal die Kirchturmspitze von
Hafenlohr erkennen, bevor
der Ort endgültig hinter den
Bäumen verschwand.
Die Schilfgürtel in Marktheidenfeld
ragen hoch über dem Fluss
nach oben. Sie gedeihen hier
besonders prächtig.
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212 Seite
Anschließend paddelte ich auf die alte Mainbrücke zu. Der rote Sandstein hebt sich
hier gut vom Grün der Bäume und dem dunkleren Grün der Wasseroberfläche ab.
Beim Durchfahren eines Brückenbogens staunte ich über die schmalen Fugen zwischen
den großen Quadern. Exakt fügen sie sich ineinander und zeigen damit,
wie genau ein Steinmetz früher arbeiten musste.
Hinter der Brücke beginnt die Uferpromenade von Marktheidenfeld. In weitem Bogen
zieht sich die Schiffsanlegestelle von hier aus den Main abwärts. An diesem Tag war
kein Schiff und auch kein Boot zu sehen, doch ich konnte mich noch gut an die farbenprächtigen
Boote erinnern, die hier während des Drachenbootrennens vor einigen
Jahren das Schnellste aus der Umgebung ermittelten.
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Hinter Marktheidenfeld taucht der Main nach einer
Rechtskurve wieder in das saftige Grün des umliegenden
Spessarts ein. Die bewaldeten Hügel reichen auf
der weiteren Strecke nach Lengfurt erneut bis an den
Fluss hinab.
Auf einem abgestorbenen Baum konnte ich einen
Fischreiher beobachten. Als ich ihm zu nahe kam, ging
er kurz in die Hocke und hob anschließend ab. Mit
kräftigen Flügelschlägen fl og er hinüber an das andere
Ufer.
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Wenig später konnte ich eine
Schwanenfamilie und hoch
oben im Wald zwei Bussarde
beobachten,
die
sich im Flug
abwechselnd immer wieder
kurz berührten und nach eini-
zwischen
gen Augenblicken
den Ästen verschwanden. Es
sind diese Eindrücke, die sich
plötzlich ergeben und mich
immer aufs neue faszinieren.
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Leider wurde die Idylle bald wieder gestört. Die Straße
nach Triefenstein, die direkt am Main entlangführt,
verläuft hier sehr nah am Ufer entlang. Man hört daher
den Motorlärm, der sich in Abständen von etwa fünfzehn
Sekunden immer wieder ins Bewusstsein drängt.
Die Straße und auch die Fahrzeuge blieben jedoch zu
meinem Glück hinter den Bäumen verborgen.
Ausgedehnte Schilfgürtel begleiteten mich nun den
Fluss hinab und gelegentlich traf ich auf kleine Einbuchtungen
mit urigen Sandstränden.
Dann windete sich der Fluss erneut, diesmal in einer
weit gezogenen Linkskurve und es zog plötzlich Wind
auf. Die Wasseroberfl äche wellte sich mit den aufkommenden
Böhen und das Paddeln wurde merklich
schwerer. Ich war jetzt noch etwa zwei Kilometer von
der nächsten Staustufe entfernt, doch das Wasser
schien bereits zu stehen und nur langsam kam ich nun
vorwärts. Erleichtert erreichte ich wenig später meine
Ausstiegsstelle vor der Lengfurter Schleuse.
Anschließend zog ich meinen Schlauchkanadier aus
dem Wasser, wobei ich im Süden schon die Türme des
Triefensteiner Klosters über den Baumwipfeln herausspitzen
sah. Zufrieden packte ich mein Boot zusammen,
denn der Fluss hatte mich für eine kurze Zeit ein
weiteres Mal fest in seinen Bann gezogen.
216 Seite
Zwischen Marktheidenfeld
und Lengfurt fi ndet man
immer wieder idyllische Orte,
die jeden Naturliebhaber
begeistern.
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In der Woche darauf startete ich in Triefenstein bei
durchwachsenem Wetter und herbstlichen elf Grad Lufttemperatur.
Mit meinem Boot suchte ich einen geeigneten
Einstieg hinter der Triefensteiner Staustufe. Vor
mir ragten die Schuttkalkfelsen steil empor und immer
wieder suchte mein Blick die Kalkfelsen, während ich
das Boot aufpumpte. Dort oben würde ich am Nachmittag
nach meiner Rückker noch ganze 17 Greifvögel am
blauen Himmel beobachten können. Doch nun galt es
erst einmal, den Main weiter abwärts zu paddeln. Nach
der ersten Rechtskurve ließ ich das Lengfurter Zementwerk
schnell hinter mir und sah bald die Homburg, die
sich über dem gleichnahmigen Ortsteil von Triefenstein
über dem Fluss erhebt.
Das kräftige Rotbraun des schmucken Fachwerkbaus
setzt sich deutlich von der grünen Ufervegetation ab.
Direkt unter der Burg fl ießt der Bischbach in den Main.
Seine Kraft diente viele Jahrhunderte lang der alten
Papiermühle, die hinter der Homburg liegt und heute ein
Museum ist, als Energiespender. Doch dort angekommen,
verdeckten große Zitterpappeln die Sicht auf Burg
und Dorf. Nur die Weinberge ragten dahinter hervor.
Doch leider waren die weißen Kalkhänge aufgrund
des trüben Wetters nur schwach sichtbar, denn die
Sonne mühte sich an diesem Morgen vergeblich. Hinter
Trennfeld angekommen, schaute ich noch einmal auf
die Weinlagen des Kallmuth zurück. Dabei musste
ich an den guten Geschmack des dort wachsenden
Weines denken, den ich jetzt gerne in meinem Gaumen
geschmeckt hätte. Doch in diesem Moment war nur
meine Wasserfl asche greifbar, um den aufkommenden
Durst zu stillen.
218 Seite
Die Homburg erhebt sich
über dem Main. Im Hintergrund
der Burg wird Weinbau
auf dem kalkigen Untergrund
des Kallmuth betrieben.
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Auch eine alte Furth, die in Trennfeld den Main querte, konnte ich vom Wasser aus
erkennen. Nun tauchte ich wieder in üppiges Grün ein, während die Sonne immer
mehr die Oberhand bekam. Noch vor der Autobahnbrücke der A3, die hier den Main
quert, endet der Spessart auf der linken Mainseite. Seine weitere Grenze, die auch
die von Bayern und Baden-Würthenberg darstellt, verläuft von hier ab mitten auf dem
Fluss. Er teilt die beiden Bundesländer, bis er Freudenberg erreicht. Hier wurde ich
Zeuge einer nicht alltäglichen Begebenheit.
Ein Fuchs saß am Flussufer und schaute träumend auf den Fluss. Er schien mich
nicht zu bemerken, sodaß ich ihn sogar vom Boot heraus fotografieren konnte, auch
wenn die Aufnahme leider verwackelte. Dann, keine fünzig Meter weiter flussabwärts,
standen drei Rehe direkt am Wasser, die sich ebenfalls nicht stören ließen. Ich
konnte sie eine Weile sogar beim Äsen beobachten und dabei fotografieren. Ohne zu
paddeln, trieb ich ganz langsam an ihnen vorbei. Wenig später konnte ich schließlich
noch zwei schöne Eisvögel beobachten, wie sie über dem Wasser den Fluss entlangflogen.
„Na, das hat sich aber heute gelohnt“, dachte ich.
220 Seite
Naturidylle am Mainufer
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Hinter Bettingen erreichte ich die große Mainschleife. Hier vollzieht der Fluss eine
Kehre, mit der er den Bergrücken des Himmelreichs umfließt und sogar anschließend
wieder ein Stückchen nach Norden zurückmäandert. Dabei hat der Main im Laufe der
Jahrmillionen beinahe eine Insel geschaffen. Sie bildet heute ein naturnahes Rückzugsgebiet
für viele Tier und Pfl anzenarten. Davon künden auch die abgestorbenen
Baumriesen, die hier vermehrt am Ufer stehen, aber auch unzähliges Vogelgezwitscher,
das aus dem Wald dahinter heraushallte und bis über die Flussmitte zu hören
war.
Dies konnte auch der Grund für die hohe Eisvögeldichte sein, denn wenig später
sichtete ich noch einmal zwei einzelne Exemplare. Ich genoss nun die Ruhe und den
Wald, der dort bis ans Ufer reicht. Nichts außer Wald und Wasser wirkte nun auf mich
ein. Paddeln kann nicht herrlicher sein.
222 Seite
Urphar liegt eingebettet
an einer Mainschleife.
Seite 223
Ich erreichte den südlichsten Punkt der
Mainschleife. Zwei Schwäne schwammen
gemächlich über das Wasser und ich folgte
ihnen an der Innenseite der Flussbiegung.
Die schönsten Buchten tauchten
nun auf. Teilweise lassen sich diese
sogar befahren. Man fühlt sich plötzlich,
als sei man in der Wildnis angekommen.
224 Seite
Ich spürte beim Aussteigen den Sand
unter meinen Teva-Sandalen, dann
schaute ich über den klaren Grund der
Bucht zurück auf den Main hinaus. Unglaublich
waren die Natureindrücke, die
hier auf mich wirkten.
Seite 225
Traumhafte Buchten und alte Bäume,
die ihre Schatten auf die Wasseroberfläche
werfen. Beim Fotografieren kann man
da die Zeit schon mal vergessen.
226 Seite
Die Blätter an den Ästen, die zwischen
mir und der Sonne im Wind
hin und her tanzten, sorgten für Licht
und Schatten auf meinem Gesicht.
Ich saß am Main und wollte gar nicht
mehr weg von hier. Doch bald drangen
die Geräusche der Fahrzeuge
in meine Ohren, die auf der anderen
Mainseite entlangfuhren.
Eine Zeit lang hatte ich sie verdrängen
können. Nun riefen sie mich
wieder zurück ins Weltgeschehen,
dem ich eigentlich auf meinen Touren
entfliehen will. Ich kehrte zurück
auf den Main und paddle noch ein
wenig auf und ab. Die Staustufe Eichel
konnte ich bereits sehen. Dann
kam ich zu jenem Schild, an dem ich
mein Fahrrad zurückgelassen hatte.
Seite 227
Ich holte mein Boot aus dem Wasser, entleerte
es, zog meine nass gewordene Hose
aus und wechselte sie, denn zum Glück hatte
ich in meinem wasserdichten Packsack
frische Klamotten dabei. Das Boot musste
jetzt abgetrocknet und zusammengepackt
werden. Dann fuhr ich mit dem Rad zurück
zum Auto. Es waren Handgriffe, die sich
im Laufe der Zeit auf meiner Mainreise
automatisiert hatten.
Auf dem Radweg strahlten mir bald die
Weinberge des Kallmuths entgegen. Nun
glänzte auch der hellgraue Kalk in der Sonne
und zeigte mir seine schönen Strukturen.
Am Himmel über den Kiefern der Berghänge
kreisten nun die 17 Greife, die ich vorhin
bereits erwähnt hatte. Es waren Bussarde
und die schöneren Rotmilane, die man gut
an den weißgebänderten Unterseiten und
dem gegabelten Schwanz erkennen kann.
Ich beobachte die faszinierenden Vögel
noch eine Weile. Doch ich musste zurück,
denn mein Boot lag ja noch am Ufer unter
dem Naturschutzgebiet Leidenrain. Bald
danach erreichte ich die Stelle und lud
meine Sachen ein. Noch einmal schaute ich
hinüber zu jener schönen Bucht, wo ich gewesen
war, direkt unter dem Himmelreich.
228 Seite
Der Spessart
Der Spessart bietet dem Wanderer einmalige Erlebnisse. Er ist eines der größten
zusammenhängenden Waldgebiete Europas. Alte, mächtige Eichen und Buchen
können hier noch bewundert werden. Quasi im Vorbeilaufen können Wanderer bis
zu sieben Spechtarten rufen und klopfen hören und mit etwas Geduld sogar beobachten.
Und noch vieles mehr. Über 4000 Tier- und 1.500 Pflanzenarten wurden
bisher im Spessart gezählt. Darunter auch Raritäten wie der Schwarzstorch oder
der Mittelspecht. Sie alle sind in diesem Waldkomplex heimisch.
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Außerdem hat die Gegend historische Zeugnisse zu bieten. Die fränkische Kulturlandschaft
zeigt sich durch Burgen, Schlösser und Ruinen, die hoch über den Tälern hinter
den Bäumen hervorragen. Klöster und Kirchen findet man ebenfalls in abgelegenen
Dörfern. Doch bald verschwindet der Weg anschließend wieder im Grün des Waldes.
Wie durch einen Torbogen taucht dann der Wanderer in die alten Eichen- und Buchenwälder
ein. Dazwischen führen die Wege über Wiesen und durch Bachtäler in das
nächste Dorf hinein. Dort erzählen schmucke Fachwerkbauten von ihrer langen
Geschichte.
Diese abwechslungsreiche Landschaft war ein wesentlicher Grund, weshalb sich bereits
früh Wanderfreunde im Spessart zusammenfanden. Heute zählt der Spessartbund, der
auch die Wege unterhält, etwa 17.000 Mitglieder, die in 88 Ortsgruppen organisiert sind.
230 Seite
Das Naturschutzgebiet
Spessartwiesen ist
mit seinen 269 ha von
beachtlicher Größe.
Es zieht sich von
Partenstein über
Krommenthal bis nach
Heigenbrücken hin.
Seite 231
Die Route
Das Wechselspiel zwischen Main und Spessart kann man vom Rad aus besonders gut
erleben. Vielleicht ist deshalb das Radfahren um das Mainviereck bei vielen Spessartern
zur Tradition geworden. Ich möchte daher nun von meiner ersten größeren Radtour
erzählen, die ich als Jugendlicher zusammen mit meinem Vater unternommen hatte.
Zunächst radelten wir von Partenstein durch das
NSG Spessartwiesen bis nach Aschaffenburg. Dann
am Main entlang über Miltenberg weiter bis Wertheim.
Nach einer Übernachtung ging es hinein in den
Spessart bis nach Mespelbrunn. Über die
Höhenstraße am Eselsweg entlang erreichten wir
die „Sieben Wege“ und den Aussichtspunkt am
Pollasch. Anschließend radelten wir über die
Spessartwiesen wieder zurück nach Hause.
232 Seite
Mainviereck und Spessart
August 1984
Radfahren war bereits früh mein Ding, doch leider scheiterten größere Touren, an die man sich als
Jugendlicher gerne herantasten möchte, an einem vernünftigen Bike. Die Räder, auf die ich zu Hause
in der Scheune stieß, würde ich heute als Drahtesel bezeichnen. Doch auch damit konnte man einiges
machen. Mit guten Vorsätzen startete ich mit meinem Vater auf eine außergewönliche Tour.
Aubachtal hinter Partenstein
(Bild aus 2020)
Seite 233
Wir fuhren in Partenstein los, direkt unter dem Schlossberg,
von wo man einen herrlichen Ausblick über unsere Gemeinde,
aber auch über das Lohrtal hat. An schönen Tagen kann
man von dort oben sogar die Windräder auf der Frankenplatte
sehen. Fröhlich strampelten wir mit unseren beladenen
Radtaschen auf der Staatsstraße durch das Aubachtal. Die Bezeichnung
NSG Spessartwiesen gab es damals noch gar nicht,
denn das Naturschutzgebiet wurde erst 2001 ausgewiesen.
Das schöne Tal gefi el mir schon als Kind, denn oft war ich dort
mit meinen Eltern spazieren. Auch später war ich mit meinen
eigenen Kindern an Sonntagvormittagen im Aubachtal unterwegs,
um den naturnahen Bach zu erkunden. Nun radelten wir
das ganze Tal entlang und immer wieder waren von der Straße
aus Einblicke in die Spessartwiesen möglich. Wir hörten den
Aubach rauschen, der durch das Tal mäandert und manchmal
sehr nahe an der Straße vorbeifl ießt.
Wir radelten über Krommenthal nach Neuhütten und Heigenbrücken.
An einen separaten Radweg durch den Spessart
kann ich mich jedoch nicht erinnern. Hinter Krommental knickt
der Aubach in Richtung Wiesthal ab und wir folgten nun
dem Lohrbach. Bis nach Heigenbrücken waren wir auf der
Staatsstraße 2317 unterwegs gewesen, danach ging es weiter
am Lohrbach entlang bis nach Jakobsthal. An einer Quelle
direkt an der Straße legten wir unsere erste kleine Pause ein.
Die Vögel zwitscherten in den Bäumen und wir lauschten dem
Hasselbach, der hier durch das Tal fließt. Die Pause war eine
gute Idee, denn hinter Jakobsthal ging es steil bergauf. An
den Skiliftanlagen vorbeigekommen, erreichten wir fast außer
Atem den Engländer und unsere „Dreigangschaltungen“ hatten
sich das erste Mal bewähren müssen. An diesem bekannten
Ausflugsziel nutzten wir die Bänke und Tische für eine Brotzeit.
234 Seite
Wir folgten anschließend der Höhenstraße in Richtung
Aschaffenburg. Nach etwa zwei Kilometern machte das
Radeln endlich so richtig Spaß, denn von hier aus ging
es bis nach Sailauf steil bergab. Ich fuhr hinter meinem
Vater her und kann mich noch gut daran erinnern, wie sein
Rad plötzlich zu rauchen begann. Es waren die Bremsen,
die heiß liefen. Unten im Ort angekommen stiegen wir ab
und schauten nach. „Alles OK“, meinte mein Vater und
weiter ging es. Ich muss gestehen, dass ich damals das
Ganze ziemlich lustig fand. Noch viele Jahre war dies ein
Gesprächsstoff, wenn die Verwandschaft zusammensaß.
Das alte Rad meines Vaters war sowieso eine Ausnahmeerscheinung.
Das Alter des dunkelroten Vehikels war kaum
einzuschätzen und glänzen tat da sowieso nichts mehr,
doch das war meinem Vater noch nie wichtig gewesen.
„Für die Radtour um den Main tut´s das“, meinte er. Dafür
hatte ich zu Weihnachten von meinem Opa ein tolles Rad
bekommen. Es war dunkelbau und vom feinsten. Sogar mit
einem Tachometer, der bergab nach Seilauf sagenhafte
60 Km/h angezeigt hatte. Es war kein Wunder, dass dabei
Vaters Bremsen zu rauchen begannen. Auch sonst war
es ziemlich heiß hergegangen, wie man an den braunen
Gräsern auf dem Bild links oben gut erkennen kann.
Wir erreichten Aschaffenburg und radelten bis ans Schloss,
das so schön am Mainufer liegt. Von dort aus ging es dann
mainaufwärts.
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Doch an den folgenden Streckenabschnitt bis nach Miltenberg
kann ich mich so gut wie nicht mehr erinnern. Ich weiß
noch, dass mein Vater mir in Kleinwallstadt am Bahnhof von
meinem Paten erzählte, der hier einmal gearbeitet hatte,
doch an die anderen Städte wie Elsenfeld oder Erlenbach mit
seiner großen Werft, kann ich mich nicht mehr erinnern.
In Miltenberg war am späten Nachmittag jedenfalls erst mal
die Luft raus. Wir hatten eine ausgiebige Pause nötig, die wir
am Mainufer im Schatten großer Bäume machten. Doch vor
uns lag noch ein Kraftakt, denn es mussten noch 34
Kilometer bis nach Wertheim geradelt werden. Dort hatte
mein Vater eine Übernachtungsmöglichkeit besorgt.
236 Seite
Die Steinbrüche, die am
Mainviereck über Jahrhunderte
genutzt wurden, sind
von der linksmainischen
Seite aus gut sichtbar.
Darüber entfaltet sich der
Spessartwald mit seinen
alten Buchen und Eichen.
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Etwa um 18 Uhr erreichten wir Mondfeld. Von hier aus kommt die Henneburg am besten
zur Geltung. Die große Burganlage über Stadtprozelten hat eine lange Geschichte.
So diente sie dem deutschen Orden lange als Machtzentrum, bis dieses später nach
Bad Mergentheim verlegt wurde. Beide Orte spielten beim Aufbau des Kirchenstaates
eine zentrale Rolle. Von hier aus wurden die Fäden für die Besitzansprüche im
Baltikum und dem dort gegründeten Deutschordensstaat gezogen, der am Ende des
14. Jahrhunderts ein Gebiet von rund 200.000 Quadratkilometern umfasste, was beinahe
der Fläche der alten Bundesrepublik entsprach. Anders lässt sich die mächtige
Festung Henneburg, die ihre ganze Größe erst beim Anblick von Mondfeld aus zu
erkennen gibt, nicht erklären.
238 Seite
Erst spät am Abend erreichten wir Wertheim. Auf
unseren Satteltaschen hatten wir unsere Schlafsäcke
befestigt. Erschöpft und müde legten wir uns nach dem
Abendessen in die Betten, denn am nächsten Tag war
erneut eine anstrengende Etappe geplant. Wir wollten
ein zweites mal den Spessart durchqueren und das
schöne Wasserschloss Mespelbrunn besuchen.
Wir radelten daher recht früh los, denn die Hitzestunden
vom letzten Nachmittag waren uns noch gut im Gedächtnis.
Umso mehr freuten wir uns, als wir in Hasloch
die Eisenhammerstraße nordwärts fuhren. Nach Schollbrunn
ging es noch mal übel bergauf, denn die Gemeinde
liegt auf 412 Meter über dem Meeresspiegel und
wir kamen ja vom Main heraufgefahren. Ich kann mich
an diese Teilstrecke noch erinnern, denn mir tat nicht
nur mein Hintern weh, sondern auch die Oberschenkel.
Über die langgezogene Hochstraße erreichten wir den
Autobahnrasthof Spessart. Dabei genossen wir die
angenehmen Temperaturen des kühlenden Waldes,
denn die Hochstraße verläuft auf ihrer ganzen Strecke
bis zum Echterspfahl unter hohen Bäumen.
Nach Rohrbrunn führte uns die Staatsstraße 2312 zum
Echterspfahl, der direkt auf der Grenze von Rohrbrunn
und Mespelbrunn liegt.
Der Name „Echterspfahl“, den auch die gleichnahmige
Gaststätte trägt, geht auf eine Sage zurück. Ein Pfahl
soll demnach ein Treff- bzw. Trennungspunkt der drei
Ritterbrüder aus der Familie der Echter gewesen sein.
Sie kamen aus dem nicht weit entfernten Odenwald
aus dem Schloss zu Weckbach. Truppen des Kaisers
Barbarossa verfolgten die drei Brüder, doch diese
zogen sich in den Spessart zurück und siedelten sich
nach ihrer Trennung am besagten „Echterspfahl“ an
drei verschiedenen Orten an. Von Zeit zu Zeit trafen sie
sich an diesem bescheidenen Ort zu Besprechungen
und banden ihre Pferde an einem Pfahl fest, der mit
drei Metallringen versehen war. Die drei Ringe sollen
auch der Ursprung für das Wappen der Familie Echter
gewesen sein, das diese in einem blauen Schild mit
einem weißen, schrägen Balken zeigt.
Wieviel Wahrheit in der Geschichte verborgen ist, darüber
lässt sich streiten. Zumindest sind die drei blauen
„Echter-Ringe“ heute im Wappen des Landkreises
Aschaffenburg und im Wappen von Mespelbrunn zu
fi nden. Auch Gräfendorf im Nordosten des Spessarts
und Thüngersheim im Landkreis Würzburg hat sie im
Wappen. Später wurde ein Julius Echter sogar Fürstbischof
in Würzburg.
Wir fuhren nach einer kurzen Rast am Pfahl weiter über
Hessenthal hinab nach Mespelbrunn zum wohl bekanntesten
Schloss im Spessart.
Seite 239
Am Schloss angekommen waren es zum Brunnen, der
sich im Schlosspark befi ndet, nur noch ein paar Schritte.
Ich fühlte mich nun wie in einem Märchen. Unsagbar
schön arrangieren sich die Gebäude in der Talsenke,
umgeben von hohen Spessartbäumen mitten in einem
See. Hinter dem Schloss führt ein Wanderweg in den
Ingelheimer Grund.
Wir gingen danach ein Stück in dieses Tal hinein, um
uns ein wenig die Beine zu vertreten. Dabei trafen
wir auf eine Lichtung, die in der Karte mit „Kühtrieb“
bezeichnet war und hatten von dort aus einen ebenso
schönen Bilck auf die Rückseite des Schlosses. Wieder
zurück bei den Rädern verließen wir Mespelbrunn, ein
auch heute noch beliebtes Ausfl ugsziel.
Das in die Jahre gekommene
Bildmaterial von 1984 habe
ich auf der folgenden Doppelseite
durch neue Bilder
ergänzt.
240 Seite
Seite 241
Nun hieß es wieder in die Pedale treten. Wir strampelten die Straße
hoch zurück zur Autobahn und fuhren über die Sieben Wege, am
Pollasch-Denkmal des Spessartbundes vorbei, hinunter nach
Heigenbrücken. Von dort führte uns die letzte Etappe unserer Tour
erneut durch die Spessartwiesen zurück nach Hause.
242 Seite
Seite 243
Die Route
Die schöne Wandertour führt uns auf den Spuren des Wilderers Johann Adam
Hasenstab mitten durch den Hochspessart. Die abwechslungsreiche Strecke
mit vielen Auf- und Abstiegen ist landschaftlich sehr reizvoll. 2016 wurde das Gebiet
mit der Auszeichnung „Qualitätsregion Wanderbares Deutschland“ zertifiziert.
Gleichzeitig ist der Weg eine Reise durch die
Spessartgeschichte. Auf Hinweistafeln lassen sich
immer wieder interessante Details aus vergangenen
Zeiten entdecken. Man kommt durch Rothenbuch,
wo Hasenstab 1716 geboren wurde, erwandert die
Lichtenau, Bischbrunn, Schollbrunn, Wildensee,
Dammbach, aber auch den im Spessart bekannten
Echterspfahl. Man spricht daher auch gerne vom Räuberland. Die Wanderung fand
zur einen Hälfte im Oktober und zur anderen Hälfte im Winter statt. So wurde ich mit
den Schönheiten dieses alten Waldes, aber auch mit den Schäden durch die Holzernte
konfrontiert.
244 Seite
Auf dem Hasenstabsweg
Oktober 2020
Nach mehreren Planänderungen, die krankheitsbedingt oder aufgrund des Wetters nötig waren,
konnten wir endlich am 10. Oktober unsere lang geplante Wanderung beginnen. Steffi war schon
Stunden vorher ziemlich aufgeregt und sorgte vorab für gute Stimmung in der Whats App-Gruppe.
„Also gut, wir fahren 30 Minuten früher los“, das war
das Ergebnis der umfangreichen Korrespondenz am
Vorabend. Der Beschluss, der alle am Ende zufrieden
stellte, denn die Sonne blinzelte am Parkplatz in Weibersbrunn
bald durch die Wolkenschichten. Nachdem
wir ein Auto nach Schollbrunn gebracht hatten, starteten
wir gemütlich in den Tag hinein, querten die A3
und waren bald auf dem markanten Höhenzug, der den
Spessart von Nord nach Süd auf einer oft gleichbleibenden
Höhe mit alten Fernwegen, wie zum Beispiel dem
Eselsweg verbindet. Gelegentlich verläuft auch unser
Hasenstabsweg auf gleicher Strecke durch den Wald,
zumindest bis zum Echterspfahl, unserer ersten Rast.
Leider war das „Wirtshaus im Spessart“, wie es so
schön heißt, geschlossen. Daher vesperten wir bestens
gelaunt und von der herbstlichen Sonne gewärmt vor
dem Gebäude.
Seite 245
Mehrere Garnituren standen zusammengelehnt vor Ort, um benutzt zu werden.
Diese Gelegenheit wurde sogleich am Schopf gepackt. Anschließend ging es weiter,
am Echterspfahl mit seinen drei eisernen Ringen vorbei hinab in den Essiggrund. Der
bereits beschriebene Pfahl mit den drei Ringen war dann Anlass, alte Geschichten
aufzuwärmen, etwa die mit unserem leider bereits verstorbenen Kumpel Frank. An
etwas schöneres als an unsere Wintertour 1998 auf dem Eselsweg kann ich mich
kaum erinnern. Ich werde in einem späteren Band mal davon erzählen.
Nun schien aber die Sonne schräg durch den Hochwald und die bereits zunehmenden
gelben Blätter leuchteten uns entgegen. Mit dabei waren neben Steffi und Kai
auch Christina und Udo. Mit Kerstin und Max, dem Hund, waren wir sieben.
246 Seite
Herbstliche Stimmung im
Hochspessart
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Bei herrlichstem Wetter wanderten
wir fröhlich unserem
nächsten Ziel entgegen.
Jetzt tauchten wir in einen
Waldabschnitt ein, wie ich ihn
bisher nur im Spessart gesehen
habe. Neben mächtigen
Buchen fanden wir viel Totholz
vor. Gerne werden diese verrottenden
Gehölze von Pilzen
angenommen, die für eine
weitere Zersetzung sorgen.
Hier hat die Artenvielfalt noch
einen guten Stand.
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Bald ging es bergab. Der Weg
war von Moos überzogen und
federte jeden unserer Schritte
ab. So macht das
Wandern
wirklich Spaß.
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Abgebrochene Buchen
werden nach einer gewissen
Zeit von Baumschwämmen
besiedelt. Solche
Raritäten,
die in naturnahen
Wäldern
noch vorkommen, fielen
uns sofort ins
Auge und wir
fühlten uns als wären wir im
Märchenwald.
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Ohne große Mühe erreichten wir
die in einem Taleinschnitt herrlich
gelegene Essiggrundhütte.
Hier trennte sich der Eselsweg
von unserer grünen Markierung
mit dem weißen Räuber.
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Wir bewunderten die schöne Jagdhütte und den Holztrog vor der Veranda. Nach
einer kleinen Trinkpause spielten wir mit Max, der vor unseren Füßen lag und sich mit
seinem Stöckchen beschäftigte.
252 Seite
Langatmig zog sich der Weg
anschließend durch den
Essiggrund in Richtung Süden
bis nach Krausenbach hinab.
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Parasolpilze standen auf einer
Apfelbaumwiese, die sich
mitten im Wald befand. Dabei
wurden sie von der Sonne angestrahlt,
was die Strukturen
an Stiel und Hut sehr schön
zur Geltung brachte.
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In der Ferschenmühle hatten wir uns dann nach etwa elf Kilometern eine längere Rast
verdient. Es gab leckeren Apfelstrudel zum Kaffee und wir genossen es, beisammen
zu sitzen. Doch die Sonnenstrahlen lockten uns bald wieder auf den Weg zurück. Noch
einmal galt es einen Bergrücken zu erklimmen und es ging wieder bergauf. Der Weg
zum Waldhotel Heppe schlängelte sich durch die immer noch saftig grünen Wiesen
nach oben und ermöglichte weite Ausblicke über den südwestlichen Spessart. Leider
hatte die Sonne ihre tägliche Reise fast hinter sich gebracht und nach einigen Minuten
war sie hinter dem Horizont verschwunden. Wir tauchten wieder in die grünen Lungen
des Waldes ein und liefen nun wieder unter dem Blätterdach der Eichen und Buchen,
die bald den letzten Rest des Tageslichtes verschlungen hatten. Auf dem letzten knappen
Kilometer der Tagesetappe wartete nun ein herrlich weicher Waldboden auf uns.
Wie eine Schlange zog sich der Weg nun durch die Baumstämme hindurch. Uns zauberte
dies ein zufriedenes Lächeln in die Gesichter. Bald lichtete sich das Blätterdach
vor uns und die Fassaden des Waldhotels Heppe wurden erkennbar. Noch wenige
Meter, dann hatten wir das Ziel erreicht. Der erste Blick galt natürlich der Speisekarte
gleich neben der Tür. „Hirschbraten mit Klößen“, perfekt, sagte ich zu den anderen.
Dann warf ich noch einen letzten Blick über die Schulter zurück in den dunklen Wald.
Tolle Aussichten und
glückli-
auf
dem
che Spessarthühner
Weg zum Waldhotel Heppe.
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Nach einem tollen Hirschbraten mit Kloß und Soß
schlief ich wie ein Murmeltier. Auch das Frühstück am
nächsten Morgen ließ keine Wünsche offen. Zu sechst
saßen wir am reichlich gedecktem Tisch und genossen
das Beisammensein. Doch bald waren wir in Laufstimmung
und freuten uns auf unseren zweiten Tag auf dem
Hasenstabsweg.
Gleich zu Beginn war erst einmal eine schweißtreibende
Steigung zu bewältigen. Quasi als Schmankerl drang
die Sonne bereits wieder durch das Geäst und wir
waren uns alle einig, dass der Spessartwald sich nicht
schöner zeigen kann.
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Mit dem Sonnenaufgang liefen
wir immer tiefer in den Spessart
hinein. Schöner kann Wandern
nicht sein.
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Auf der Höhe angekommen führte der Weg durch herrliche Buchen und Eichen bis
hinüber zum Hundsrücker Hof. Die schräg stehende Sonne blinzelte dabei immer
wieder durch das Blätterdach und sorgte so für eine unbeschreibliche Stimmung im
Wald.
258 Seite
Der Hasenstabsweg verläuft in
seinem südwestlichen Teil oft auf
naturnahen Pfaden. Dies macht
ihn so einzigartig.
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Am Hundsrücker Hof angekommen, wurden alte Erinnerungen
wieder wach, denn vor vielen Jahren hatten wir
hinter dem Haus auf der Wiese gezeltet. Aufgrund der
eisigen Temperaturen hatten wir am Abend tief in den
Bämbel hineingeschaut. Udo und Kerstin waren damals
auch mit dabei gewesen und konnten sich noch gut an
das Apfelweingelage erinnern. Daher erzählten wir beim
Weiterlaufen den anderen unsere lustigen Geschichten
von damals. Wie im Flug verging dabei die Zeit.
Ein letztes Mal ging es noch einmal bergauf, was unseren
Puls erneut in die Höhe trieb. Oben angekommen
setzten Udo und ich die Rucksäcke ab und warteten,
bis alle wieder beisammen waren. Eine traumhafte
Wanderung war das, darüber waren wir uns alle einig
und das lag nicht nur am Wetter, sondern auch an der
Gruppe.
260 Seite
Bleibende Eindrücke auf
dem Hasenstabsweg
Seite 261
Der letzte Abschnitt begann bald mit einem Schotterweg, der uns hinunter in das
Kropfbachtal führte. Dort befi ndet sich der Ort, wo einst der Namensgeber unserer
Wandertour erschossen wurde.
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Das Hasenstabskreuz
erinnert noch heute an den
Wilderer und seine spannende
Geschichte. Lange wurde
er verfolgt. Sein Weg endete
hier im Kropfbachtal.
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Am Ende ging es ganz schnell. Durch eine Silberkugel des Revierjägers Johann Sator
starb Hasenstab am 3. Juni 1773, nachdem er durch ein Gerücht vom weißen Hirschen
im Kropfbachtal dorthin gelockt worden war. Sein ganzes Leben lang hastete
er zwischen den unterschiedlichen Hoheitsgebieten hin und her und entkam so immer
wieder der Obrigkeit. Doch warum war er beim einfachen Volk so beliebt, dass sie
an seiner Todesstätte immer wieder ein Kreuz aufstellten, obwohl es die Behörden
drei mal abreißen ließen? Der Grund: Er kämpfte gegen die Ungerechtigkeit, die den
Menschen im Spessart wiederfuhr. Denn für den Mainzer Kurfürst war der Wald nicht
nur eine Einnahmequelle beim Holzeinschlag, die Fürsten benutzten zur Repräsentation
vor allem die Jagd und ein jeder wollte den anderen mit glanzvollen Jagdfesten
übertreffen. Dabei waren die geistlichen Herren nicht besser als die weltlichen. Daher
galt es, einen besonders hohen Wildstand aufzubauen, was erst mit der Ausrottung
des Wolfes möglich wurde. „Doch was den Fürsten Glanz bescherte, ließ das Volk
leiden“, denn gleichzeitig hieß hoher Wildstand für den Adel auch hoher Wildschaden
auf den Äckern. Das war damals nicht anders als heute, denn das Rotwild und
die Schwarzwildrotten fraßen den Bauern das Getreide und die Kartoffeln weg, was
gerade im bettelarmen Spessart ein großes Problem darstellte. Hasenstab, der schon
in jungen Jahren, als er noch als Jagdgehilfe angestellt war, heimlich Schlingen legte,
war daher bei den einfachen Leuten sehr beliebt, denn er regulierte zusammen mit
seinen Gehilfen die Bestände. Bis nach Frankfurt soll er das Wildbrett verkauft haben,
doch verschenkte er auch einen Teil an seine Helfer vor Ort im Spessart und wurde
dadurch zu einer Art Robin Hood in unserem Wald. 1750 wurde er zu Zwangsarbeit
verurteilt, doch 1757 tauchte er wieder im Spessart auf. Da er auch aus dem
Gefängnis entkam, schrieb ihm das Volk sogar übernatürliche Kräfte zu, denn er
könne sich unsichtbar machen. 1770 wurde er verurteilt und nach Australien verbannt,
doch bereits 1772 hieß es im Spessart: „Der Hasenstab ist wieder da“. Während das
Volk jubelte, handelte die Obrigkeit und stellte ihm eine Falle im Kropfbachtal, um
ihn endgültig los zu werden. Das ganze wurde als „Notwehr“ ausgelegt, doch in den
Geschichten des Spessarts lebt Hasenstab bis heute weiter. Mit diesen Gedanken
im Kopf und auf den Lippen liefen wir die letzten Meter hinauf zum Schollbrunner
Wanderparkplatz und beendeten dort unsere schöne Herbstwanderung.
264 Seite
Licht und Schatten - Hasenstabsweg Teil 2
Winter 2021/22
Ich startete ein gutes Jahr später um 9 Uhr in Schollbrunn
bei strahlendem Sonnenschein und minus ein Grad, um
die Hasenstabswanderung fertig zu laufen. Jetzt im Winter
war es zwar kaum grün, doch um so einsamer war es
im Wald. Aber einen Haken hat die kalte Jahreszeit. Man
muss die industrialisierte Holzernte in unserem schönen
Spessart ertragen, denn dann wird das Holz tonnenweise
aus dem Wald geholt und abtransportiert, mit den entsprechenden
Schäden, die ich auf der Tour noch sehen
würde. Es ist ein regelrechter Holzfraß, der da stattfindet.
Doch zunächst lief ich ins Haseltal hinunter. Auf dem
Schild las ich, dass die Strecke 10,5 Kilometer bis nach
Bischbrunn misst und dann noch zwei Kilometer bis zum
Torhaus Aurora dazu kamen. Für die knapp 13 Kilometer
hatte ich drei Stunden eingeplant. Ich folgte nun ein
weiteres Mal dem Hasenstab auf grünem Grund, der mir
gut beschildert immer wieder entgegenlachte.
Die Sonne schien schräg in das Haseltal hinein und die
hohen Buchen warfen lange Schatten auf den vor mir
liegenden Weg.
Durch die morgendliche Stille drang plötzlich das
schrille Rufen eines Schwarzspechtes und seine Töne
hallten laut durch das Tal. Nach drei Kilometern war ich
unten am Haselbach angelangt. Rechts unten musste
die Peter-Albert Hütte liegen, doch mein Weg führte in
die andere Richtung direkt auf das Pfandtor zu.
Durch die ungewöhnliche Stille drang jeder Schritt auf
der Schotterstraße in meine Ohren, doch ich genoss
es, auch einmal alleine zu laufen, denn so achtet man
viel besser auf die Natur. Keine Teerstraße und keine
Stromleitung durchzieht das schöne Haselbachtal, nur
der Bach rauscht sanft vor sich hin. Ab und an kann
man zwar eine Meise hören, doch ansonsten herrscht
Stille.
Seite 265
Im Winter suche ich daher nach unscheinbaren Dingen
im Wald und die fi ndet man beim Blick auf den Waldboden.
Dort entdeckte ich winzige Flechten und Moose,
die das letzte Grün hartnäckig im Wald verteidigen.
Rührend recken sich diese kleinen Lebewesen nach
der Sonne.
266 Seite
Nach einer guten Stunde
sah ich zum ersten Mal
die Autobahnbrücke über
dem Tal. Anschließend
folgte ich einem Naturweg,
doch zu schnell
endete dieser auf einer
Schotterstraße. Tief zerschneiden
sie den Wald
mit seinen alten Eichen
immer wieder.
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Doch es gibt auch Lichtblicke wie dieser schöne Waldteich,
der sich hinter einer Quelle füllt. Von dort aus
ging es bergauf und der Weg führte mich nun direkt auf
die riesige Autobahnbrücke zu, die das Haselbachtal
überquert.
Als ich unter der gigantischen Brücke stand, war ich
überrascht, denn die mächtigen Pfeiler über mir schienen
mich zu erdrücken. Vor allem aber zerschneiden
sie das schöne Tal. Bis hierher würde ich dasTal als
eines der schönsten im Spessart beschreiben, wenn
nicht die Autobahn wäre. Hinter der Brücke knickt das
Tal nach links, ich folgte aber der Markierung nach
rechts. Dabei begleitete mich der Lärm der Fahrzeuge
bis ich wieder auf dem Höhenrücken angekommen war.
268 Seite
Nach einem Ausblick über den Hochspessart, den die
A3 in der Mitte zerschneidet, beeilte ich mich um dem
Lärm der Autobahn schnellstens zu entfl iehen.
Bald traf ich auf ein Hinweisschild mit Informationen
über das ehemalige königliche Jagdrevier im Spessart.
Bereits König Ludwig I. kam hierher zur Jagd. Doch vor
allem Prinzregent Luitpold nutzte zwischen 1886 und
1912 den hiesigen Wildpark, ebenso sein Sohn König
Ludwig III., wie zahlreiche fotografi sche Aufnahmen
auf dem Schild dokumentieren. Vom Jagdschloss
Luitpoldshöhe ging es über den „Kurfürstenplan“ zum
Königsrondell. Dort wurden den Hoheiten von den Jägern
die Wildschweine zugetrieben. Teile des einstigen
Wildparkzauns, der den Park umgab, sind heute noch
im Wald sichtbar und entlang des Hasenstabswegs gut
zu sehen.
Seite 269
Der ehemalige Wildparkzaun, der mit Eichenplanken
abgegrenzt war, sorgte dafür, dass das Wild im Wald
blieb. Der bereits 1680 angelegte 1.000 ha große Park
wurde 1730 auf 11.000 ha erweitert. Dazu wurden
Forstabteilungen von Bischbrunn, Rohrbrunn, Altenbuch
und Krausenbach eingegliedert.
270 Seite
Im Winter herrscht in
der heutigen Zeit am
„Kurfürstenplan“ im ehemaligen
Wildpark rege
Holzabfuhr.
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Heute ist es oft nicht anders als zu Hasenstabs Zeiten. Es sind die
Interessensgruppen der Obrigkeit, die den Ton angeben.
So wird unser Wald auch heute noch über seine Verhältnisse hinaus
genutzt, wobei gleichzeitig die Schäden schöngeredet werden.
Wenn nötig wird auch noch Stimmung gemacht und das oft mit
zurechtgebogenen Argumenten. Dabei sind große Teile des Hochspessarts
als Natura 2000-Gebiete ausgewiesen und obliegen
einer schonenden Nutzung. Wie passt das zusammen?
Die bayerischen Könige, die in ihrem 11.000 ha großen Wildpark
gerne jagten und dafür dort entsprechend die forstliche Nutzung
reduzierten, würden sich im Grabe herumdrehen, wenn sie diese
Bilder sehen könnten.
272
Nachdem
Seite
Greenpeace 2011 auftauchte, wurde diese Gruppe engagierter Naturfreunde nicht
gerade Willkommen geheißen, teilweise sogar beschimpft. Dabei setzte sie sich für den Schutz
UNSERES Waldes ein. Für ihren Erhalt kämpfte sie. Doch Lobbyisten der industriellen Holznutzung
versuchten den Einheimischen einzureden, ihre Holzrechte wären in Gefahr. Dabei ging es
um diese gar nicht, denn geschützt werden soll ja Staatswald. Aber politisch konservative Kräfte
mit überholtem Gedankengut aus dem letzten Jahrtausend, das den Klimawandel mit all seinen
Konsequenzen immer noch nicht akzeptieren will, sorgten dafür, dass das Nationalparkthema
wieder in den Schubladen verschwand. Dabei wäre dieser eine große Chance gewesen, denn
bayernweit gibt es kein hochwertigeres Laubmischwaldgebiet mit einer ähnlich unzerschnittenen
Gebietsgröße. Das sieht man auch an der großen Anzahl der Klasse 1 Waldanteile, die
man gerne einschlagen möchte. Ironischerweise sind sie im gleichen Waldgebiet zu finden, in
dem schon Hasenstab sein Unwesen trieb. Es bleibt daher die Frage: Wem gehört der Wald
eigentlich? Sollen wir ihn der intensiven Holzindustrie überlassen oder sehen wir ihn als unsere
Lebensgrundlage an, für deren Schutz wir kämpfen müssen?
Forciert wurde die intensive Waldbewirtschaftung durch die Privatisierung des bayerischen
Staatswaldes als Folge der bayerischen Forstreform 2004. Trotz der heftigen Proteste aus
der Öffentlichkeit, getragen durch Natur- und Umweltschutzverbände in einem Aktionsbündnis
mit dem Volksbegehren „Aus Liebe zum Wald“, konnte das Vorhaben der CSU-Regierung im
Bayerischen Landtags nicht aufgehalten werden. Stattdessen wurde im März 2004 ein Konzept
zur Forstverwaltungsreform beschlossen, das folgende Änderungen mit sich brachte:
Alle 128 bayerischen Forstämter wurden aufgelöst und in die Landwirtschaftsämter eingegliedert.
Zusammen mit der Aufl ösung der vier Forstdirektionen und der Verschlankung des
Forstministeriums wurden so rund 1.000 der etwa 5.000 Forstbeschäftigten eingespart. Die
Aufgaben der Forstämter, also Vollzug der Rechtsvorschriften, die den Wald betreffen, wurden
in die heutigen Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) eingegliedert. Diesen
übertrug man auch die ehemals bei Landratsämtern angesiedelten Aufgaben wie z. B. Erteilung
von Erstaufforstungs- oder Rodungserlaubnissen. Die privatwirschaftlich orientierten Bayerischen
Staatsforsten übernahmen die Bewirtschaftung des Staatswaldes und kompensierten
das abgebaute Personal von etwa 20% durch den Einsatz von immer mehr und vor allem
durch immer größer werdenden Maschineneinheiten. Die mittlerweile massiven Waldschäden
liegen wie ein offenes Buch vor uns. So hat sich der Holzeinschlag in Deutschland von knapp
53 Millionen Kubikmetern in 2016 auf 80 Millionen Kubikmeter in 2020 erhöht. Das ist eine
Steigerung von zusätzlichen 70%. (Quelle: Statistisches Bundesamt). Logischerweise geht
das zu Lasten der Böden, wie auf dem Bild sehr klar zu sehen ist. Da gibt es nichts schön zu
reden, denn gerade der Maschineneinsatz muss sich hierfür stark erhöht haben, zumal man
davor 20% Mitarbeiter abgebaut hatte. Es ist ein Unding, dabei auch noch von nachhaltiger
Forstwirtschaft zu sprechen. Diese Entwicklung hat unser Spessart nicht verdient, denn was
es dort an seltenen Arten zu erhalten gilt, habe ich in meinem Buch „Naturwunder Spessart“
festgehalten. Es ist der Schatz vor unserer Haustür.
Seite 273
274 Seite
„Der Klimawandel kommt nicht, er ist schon da“. So
kann man es auf einem Schild der Bayerischen Staatsforsten
lesen. Man müsse den Wald zukunftsfähig
gestalten. Doch ich folgte gleich hinter dem Schild
einer schnurgeraden Waldautobahn direkt hinter
Bischbrunn, auf der ich während der nächsten zwei
Kilometer an einer Fichtenschonung vorbeihastete.
Dies zeigte, dass das Wunschdenken auf dem Schild in
der Waldbaurealität noch lange nicht angekommen ist.
Anschließend erreichte ich das Torhaus Aurora. Auf den letzten Metern zum Wanderparkplatz
musste ich auf den Verkehr aufpassen, denn er verläuft kurz am Rande der
Teerstraße.
Eine Woche später war ich wieder am Torhaus Aurora, um den Hasenstabsweg fortzusetzen.
Von hier aus geht es hinab zur Sylvanhütte. Nach wenigen hundert Metern verlies
ich die Schotterstraße und war nun endlich wieder auf einem herrlichen Waldweg.
Auf den Füßen der Bäume ging es hinab in den Weihersgrund. Der urige Weg wird von
Wurzeln unterzogen, die über die ganze Breite des Waldweges ragen und leider hat
man nur selten einen so schönen Pfad unter den Sohlen. Das einzige Manko stellt die
Steilheit des ersten Stückes dar, zumindest wenn man den Weg bergauf gehen muss.
Seite 275
Ich folgte dem Weg zum Glück bergab und war bald im Weihersgrund angekommen.
Dort sah ich die schöne Sylvanhütte, die idyllisch auf der anderen Seite des Tales
liegt.
Das ehemalige Forsthaus wird von der Sektion Main-Spessart des Deutschen Alpenvereins
bewirtschaftet und ist ein beliebtes Ausflugsziel. Schon oft waren wir dort mit
Freunden gewesen, denn herrliche Köstlichkeiten inmitten einer traumhaften Lage
machen den Sylvan zu einem beliebten Ausflugsziel.
276 Seite
Nach dem Sylvan ging es dann wieder bergan zur Bauhöhe, die
auf einem Höhenzug liegt. Der Hasenstabsweg führt anschließend
auf das 121 ha große Naturwaldreservat „Hoher Knuck“ zu und
verläuft anschließend direkt an der Grenze des Reservates.
Dadurch hatte ich Einblicke in eines der schönsten nutzungsfreien
Schutzgebiete, das mitten im Hochspessart liegt. Hier
kann die Natur sich wieder entfalten und nach ihren eigenen
Gesetzen leben, solange holzwirtschaftliche Eingriffe entfallen.
Dabei werden die Widerstandskräfte des Waldes vor allem durch
Nutzungsverzicht gestärkt, was ihn anschließend weniger anfällig
gegen die Folgen des Klimawandels macht. Dies ist erwiesen und
wird in Fachkreisen als Resilenz bezeichnet. Gleichzeitig wäre
das wirklich nachhaltig, denn er bliebe uns erhalten. Wichtig wäre
es daher, wenn Nutzungsverzicht auf allen Natura 2000-Flächen
im Spessart umgesetzt werden würde. Doch die Einsicht für die
Dringlichkeit, dies für nachkommende Generationen zu tun, lässt
leider immer noch auf sich warten, obwohl der Klimawandel bedrohlich
und für jeden bereits sichtbar voranschreitet.
Bald ging es wieder bergab und ein Stück am Hang entlang zum
Gasthaus „Hoher Knuck“. Ich befand mich nun im Hafenlohrtal,
das als eines der schönsten Spessarttäler gilt. Von hier ist es nur
noch einen Katzensprung hinüber zur Lichtenau.
Seite 277
An einem herrlichen Wintertag startete ich eine Woche
später bei neun Grad Minus in der Lichtenau, um den
Hasenstabsweg weiter zu laufen. Zunächst musste ich
etwa 200 Meter steil hinaufsteigen, um anschließend
hoch über dem Hafenlohrtal im Wald am Hang entlang
nach Rothenbuch zu laufen.
Für ein paar Stunden war ich wieder in meinem
Element und ich lief befreit und gut gelaunt in Richtung
Westen dahin. Die Sonne stand noch schräg über dem
Hohen Knuck, einem von hier aus beeindruckenden
Spessartberg, den ich schon oft überquert habe. Dabei
trafen mich ihre Strahlen seitlich im Gesicht und die
zarte Wärme tat gut.
278 Seite
Unten im Hafenlohrtal, in das ich von hier oben
aus gut einblicken konnte, hielt sich hartnäckig der
Raureif an den schattigen Nordhängen. Ich freute
mich trotz der mäßigen Kälte auf diesen schönen
Winterwandertag, auch wenn diesmal kein Schnee
lag.
Bereits nach 15 Minuten und einem guten Kilometer
Wegstrecke war ich am Bomigsee angekommen.
Das Gewässer liegt eingebettet in einem
Taleinschnitt und wird vom Mäusbach gespeist.
Sehr ruhig wirkte er auf mich, während ich ein paar
Fotografien machte.
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Anschließend folgte ich weiter dem Hasenstabsweg
gemächlich bergan. Während mir die schräg stehende
Sonne in den Rücken scheinte, zeigten mir die langen
Baumschatten den Weg nach oben.
Harsche Geräusche, ähnlich wie Chipsknappern,
erzeugten meine Fußtritte durch die gefrorenen
Blätter unter meinen Schuhen, während ich durch die
Säulenhallen der Spessartbuchen lief und schnell an
Höhe gewann. Der Weg windet sich hier über eine
lange Schleife traumhaft schön nach oben und dem
Waldrand an der Heidlücke entgegen.
Bald unterquerte ich eine umgeknickte abgestorbene
Eiche, die sich im Geäst einer Buche verfangen hatte
und blieb kurz stehen, um ein paar lange Atemzüge
zu nehmen und die vor mir emporstrebenden Riesen
zu fotografieren.
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Hinter der Waldabteilung
Heidlücke beginnt die Rothenbucher
Gemarkung. Dabei
tritt man aus dem Wald und
schaut weit über raureifgeschmückte
Wiesen.
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Hoch über Rothenbuch lädt eine ideal platzierte Sitzgruppe zur Rast ein. Ich nutzte den schönen
Platz, um die raureifüberzogenen Bergkuppen in der Ferne zu bewundern. Meine Isomatte, die ich
im Winter immer in der Seitentasche habe, erweiste mir nun gute Dienste. Aufgrund der herrlichen
Fernsicht an diesem Tag konnte ich mich gar nicht satt sehen. Trotz der ausgesetzen Lage war es
windstill und ich genoss die Sonnenstrahlen in meinem Gesicht.
Auf der letzten Wegstrecke hinunter nach Rothenbuch musste ich erneut an Johann Adam Hasenstab
denken, als ich an einer Wegmarkierung unter den Bäumen hinüber auf die weitläufi ge Wiesenlandschaft
blickte. Dabei wurde mir bewusst, wie hart der Alltag für die Menschen damals im Winter
gewesen sein musste.
282 Seite
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Während ich Rothenbuch entgegen lief, stand die Sonne bereits tief im Südwesten. Hinter der
Mariengrotte führt ein eingewachsener Weg wie durch einen Tunnel in das Dorf hinab. Nachdem
ich Rothenbuch über den Ölberg erreicht hatte, war es nur noch ein Katzensprung hinunter
zum Schloss. Bei meiner Ankunft am Schloss war das Wetter immer noch unbeschreiblich
schön. Ich saß noch einen Augenblick vor dem Gebäude und betrachtete die Fassaden, denn
in der Sonne kamen die Sandsteinfensterrahmen, die zusammen mit den grünen Fensterläden
einen guten Kontrast zur weißen Schlossfassade bildeten, gut zur Geltung.
Bereits 1342 begann man an der Quelle der Hafenlohr mit dem Bau des Schlosses. Im
Bauernkrieg 1525 wurde es jedoch stark beschädigt aber 1566 auf Weisung des Mainzer
Kurfürsten Daniel Brendel von Homburg wieder aufgebaut und erweitert.
Mit dem Schloss erlangte auch der Ort Rothenbuch Bedeutung und zusätzlich durch die Entstehung
der Amtskellerei auch regional als Finanz- und Verwaltungsbehörde für 14 Orte des
Hochspessarts. Zur Zeit Hasenstabs war Rothenbuch somit nicht unbekannt und während ich
mich auf mein Klapprad schwang um zur Lichtenau zurück zu radeln, warf mir der steinerne
Johann aus seiner Hockstellung vor dem Schloss noch einmal einen prüfenden Blick zu.
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Eine Woche später war ich wieder in Rothenbuch
und startete um 9.30 Uhr bei vier Grad plus zu meiner
letzten Etappe. Zu meinem Glück war es von oben her
trocken, doch die feuchte Kälte kroch unter meine dünne
Fleecejacke, als ich zügig den Hang hochlief und dabei
Rothenbuch in östlicher Richtung verließ. Kurz vor dem
Wald schaute ich noch einmal auf Rothenbuch zurück und
tauchte dann wieder in die Buchenheine unter.
Über den 426 Meter hohen Hochschnabel führte mich das
Räuberzeichen auf grünem Grund in gut 20 Minuten hinunter
zum Breitsee. Er wurde bereits im Mittelalter angelegt,
um die Hölzer bis zum Abtransport der hochwertigen
Spessartbuchen und Eichen besser lagern zu können.
Aus dem gleichen Grund wurde auch der Bomigsee und
der Eichensee, die sich ebenfalls an den Zuflüssen der
Hafenlohr befinden, angelegt. Den Bomigsee kannte ich
schon von letzter Woche, doch der Bomigsee auf der
anderen Seite des Hafenlohrtales wirkte aufgrund des
besseren Wetters wesentlich schöner. Über die Hafenlohr
wurden die Stämme dann an den Main gebracht und im
gleichnamigen Ort verladen, wie ich einer Hinweistafel des
Archäologischen Spessartprojektes entnehmen konnte.
Seite 285
Anschließend wanderte ich auf dem „Königsweg“ weiter
nach Weibersbrunn. Unmittelbar hinter dem Breitsee dominieren
junge Bäume und daher kam nun etwas mehr Licht
in den düsteren Wald, denn der tief in den Spessarttälern
hängende Nebel, der sich bis zum Ende meiner Wegstrecke
nicht mehr auflösen wollte, sorgte für ein nasskaltes
und ungemütliches Empfinden. Doch zum Glück hatte ich
das letzte Stück Schotterstraße gleich geschafft.
Etwa 500 Meter hinter dem See folgte ich der Wegmarkierung
nach links den Berg hoch. „Genauso hatte ich mir
den Hasenstabsweg vorgestellt“, dachte ich mir, denn nun
befand ich mich auf einem perfekten, etwa drei Meter breiten
Wanderpfad, der mich bis hinauf auf die Weißensteiner
Höhe und weiter zum Wanderparkplatz direkt an der A3
führte. Es tat richtig gut, keinen Schotter mehr unter den
Füßen zu haben und durch die paar Höhenmeter, die ich
nun zu bewältigen hatte, wurde mir auch wieder wärmer.
Sanft federte nun der weiche Waldboden meine zügigen
Schritte ab. Knapp die Hälfte der etwa sechs Kilometer
langen Strecke durfte ich nun auf diesem Traumpfad
weiterlaufen.
286 Seite
Doch oben auf der Weißensteiner Höhe angekommen,
erwartete mich ein trauriger Anblick, denn ich überquerte
dort eine der großen Waldautobahnen, die sich hier
über drei Kilometer Länge schnurgerade bis hinüber an
den Fraurain hinzieht. Durch matschige Fahrspuren der
durchgefahrenen Schwerlasttransporter querte ich die gut
20 Meter breite Schneiße, die sich durch den schönen
Buchenwald zieht.
Was hier fehlt, ist nur noch ein Autobahnschild. Man
könnte es ja in grün anstatt in blau drucken.
An den Rändern der Transportstraße türmten sich die
gefällten, hundert Jahre alten Stämme in die Höhe und
in die Breite. Vor mir sah ich nun Bilder, die uns zwar aus
den Medien bekannt sind, jedoch in der Regel Amazonas-
Regenwälder ablichten.
Dorthin zeigen wir gerne mit dem Finger und ich finde das
erbärmlich. Die traurige Realität aber sah ich hier, direkt
vor unserer Haustür. Sie findet jedes Jahr im Herbst statt
und wir blenden sie als Gesellschaft gekonnt aus, denn
das wollen und sollen wir nicht sehen.
Seite 287
Ich machte einige Bilder von den herumliegenden tonnenschweren
Holzstapeln, um darüber in meinem nächsten
Wanderbuch „Zwischen Karwendel und Spessart“ aus der
Serie „Raus in die Natur“ berichten zu können. Doch sie
passen nicht zum idyllisch angepriesenen Spessartwald,
den man so gerne vermarktet. Die Schönheit unseres
Waldes erleben die angelockten Wanderer ja in den Sommermonaten.
Bis dahin sind die eingeschlagenen
Buchen und Eichen längst abtransportiert. „Aus den Augen,
aus dem Sinn“, wie man so schön sagt. Ich habe mir
aber vorgenommen beide Seiten zu beschreiben.
Während Hasenstab im Mittelalter räuberte, tun dies heute
die bayerischen Staatsforsten. Dabei beschönigen sie
mit Floskeln wie „Schützen und Nützen“ ihren Raubbau
an unserem Wald. Die Realität aber kann jeder im Winter
gerne einmal selber beobachten. Die hier beschriebene
Waldautobahn erreicht man auch bequem mit dem Auto
und zwar von der A3-Ausfahrt Weibersbrunn, wenn man in
Richtung „Sieben Wege“ (Zubringer zur B26) fährt
und nach „abtransportgerechten“ 800 Metern rechts
anhält.
Auf einer ähnlichen Waldautobahn waren wir im letzten
Herbst von der Weibersbrunner Höhe bis zum Echterspfahl
gelaufen. Erst danach folgt der Hasenstabsweg
wieder einem Waldpfad, wie ihn sich Spessartwanderer
wünschen.
6 Seite
Routenübersicht Band 2
Seite 7
Durch meine Heimat Band 1
Die Geschichte beginnt im Spessart. Auf einer Mehrtageswanderung
durchquerten wir mit unseren Kindern das Mittelgebirge von West
nach Ost. Anschließend erzähle ich von Paddelerlebnissen auf dem
Main von Gemünden nach Lohr und auf der fränkischen Saale. Dann
geht es über das Sinntal in die Rhön. Das Land der offenen Fernen
lässt sich auf Schusters Rappen am Besten erkunden und wir waren
von der einstigen Vulkanlandschaft begeistert. Über die Hassberge
ging es dann weiter mit dem Rad, ebenso den Main entlang. In den
Steigerwald führte mich ein Wanderweg zu alten Buchenbeständen
die auf Keuper stehen. Anschließend ging es auf dem Mainradweg
weiter bis nach Lohr. Ein weiteres Mal von Bayreuth nach Bamberg.
Auf unserer Frankenrunde durfte das Fichtelgebirge natürlich nicht
fehlen. Dort wanderten wir mit dem Zelt und wurden von einem
Wintereinbruch überrascht. Was wir dabei erlebten war mehr als
abenteuerlich. Ins Boot stieg ich dann wieder in der Fränkischen
Schweiz, denn die Wiesent ist ein herrlicher Paddelfluss in dieser
Region. Die Fränkische Schweiz und das Pegnitztal bis hinunter in
den Nürnberger Reichswald durchradelten wir im Familienquartett,
ebenso entlang der Altmühl und der Tauber. Am Ende waren wir
wieder am Main angelangt und unsere „Frankenrunde“ neigte sich
dem Ende zu. Am Schloss Johannisburg setzte ich meine letzten
Paddelschläge im Winter 2020, denn ich war in Aschaffenburg und
somit am Startpunkt unserer Reise angekommen.
Weitere Informationen und Bestelldaten unter:
www.raus-indienatur.de
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Fürs Leben lernen
Wenn man draußen unterwegs ist, lernt man, nach dem
Motto „Hinterlasse nur deine Fußspuren“ zu leben, was
bedeutet, dass generell kein Abfall zurückgelassen
wird. Beim Wandern mit Rucksack lernt man aber auch,
mit minimalem Gepäck auszukommen. Denn je weniger
man rumschleppt, desto schneller kommt man vorwärts.
Im Laufe der Jahre lässt man immmer mehr Dinge zu
Hause, die auf der letzten Tour nicht gebraucht wurden.
Neben der Botschaft, dass wir unsere Naturräume zum
Überleben brauchen, war es das Hinterfragen vieler
unnötig gewordener Dinge, die wir im Leben mitschleppen.
Damit müssen wir unsere Kindern konfrontieren,
damit sie fürs Leben lernen. Denn unser Leben im
Überfl uss hat uns in die Sackgasse geführt. Im Grunde
müssen wir diese Fehlentwicklung in allen Lebensbereichen
überdenken, denn es hat uns in eine prekäre,
nahezu aussichtslose Position gebracht. Vor allem aber
müssen wir handeln!
Die Rede ist von der Klimakatastrophe, die obwohl seit
50 Jahren bekannt, von Politik als Klimawandel verharmlost
und seitens der Industrie wenn möglich totgeschwiegen
wird - bis zum heutigen Tag. Und ich frage mich, wie
wir mit dieser Schuld leben wollen, die wir durch unser
Nichtstun in dieser Sache auf uns geladen haben.
Daher lag mir noch ein weiteres Thema seit vielen
Jahren auf der Seele. Und mein Herz hat mich solange
gedrängelt, bis ich es endlich zu Papier gebracht hatte.
Warum auf einmal alles so schnell gehen soll
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Unser Klima hat sich im Laufe der Evolution schon oft verändert. Doch seit der Industrialisierung wird
es vom Menschen aufgrund des steigenden Energieverbrauchs zunehmend beeinflusst, was zu einer
Erwärmung führt. Diese Klimaveränderung entsteht durch Treibhausgase, vor allem durch CO2, Methan
und Lachgas. Diese Gase reichern sich immer mehr in der Atmosphäre und in den Weltmeeren an und
erhitzen dabei unseren Planeten in ständig steigendem Maße. Doch warum erkennen und akzeptieren
wir diese Veränderungen nicht, obwohl die Meldungen über Hitzesommer, Waldbrände, Überflutungen
und Wirbelstürme immer mehr zunehmen?
Wie können kleine Teilchen wie das CO 2 , das wir weder sehen noch riechen können,
durch ihre Anreicherung in der Atmosphäre so große Auswirkungen hervorrufen?
Wissenschaftler trauen diesen Teilchen sogar zu, dass sie unseren Lebensraum auf der
Erde zerstören. Die genauen Zusammenhänge sind komplex, doch ständig werden wir
mit immer neuen Zahlen und Hiobsbotschaften bombardiert.
Dieses Büchlein ist der Versuch, die Auswirkungen unseres Handelns möglichst einfach
zu erklären. Denn es kann nur dann ein Umdenken stattfinden, wenn wir die Zusammenhänge
hinreichend verstehen.
Verständnis für diese Entwicklungen wird automatisch unser Handeln einfordern.
100 Seiten, die Sie unbedingt lesen sollten. Weitere Infos unter: www.schroepfer-net.de
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Naturwunder als Netzwerk
Das neunbändige Werk zeigt, wie sich die Natur mit den ausgewiesenen Natura 2000 Gebieten
vernetzt. Dies wurde beispielhaft für die Region Franken dargestellt. Für einen besseren Schutz
wäre es jedoch nötig, dass in diesen Gebieten die Nutzung eingeschränkt oder ganz eingestellt
wird. Zumindest so lange, bis der Artenschwund gestoppt ist und sich die Natur wieder erholt hat.
www.naturwunderinfranken.de
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Auf meinen Touren durch unsere Heimat lernte ich unsere Flüsse, viele Wälder, Wiesen und Felder
kennen. Gleichzeitig wurde ich dabei mit der steigenden Übernutzung unserer Lebensräume konfrontiert.
Die Flüsse, die als Wasserstraßen dienen, werden durch Querbauwerke alle paar Kilometer
zerschnitten. Dabei geht nicht nur ihre Ursprünglichkeit verloren, sondern langfristig auch das Leben
darin. Aber auch die Wälder haben wir zurückgedrängt. 50% unserer Landesfläche wird heute beackert
und die verbliebene Waldfläche immer intensiver genutzt. Dies hinterlässt jedoch tiefe Spuren
in der Natur, die zu einer extremen Ausdünnung der heimischen Artenvielfalt geführt hat. Wie lange
soll dieser Trend anhalten?
Natura2000 ist ein Versuch, eine Umkehr herbeizuführen, denn dort
soll die Nutzung solange zurückgefahren werden, bis das Artensterben
nicht mehr weiter geht. Ein Grund für mich, auf dieses Naturnetzwerk
aufmerksam zu machen und dies in Büchern zu publizieren.
Daraus entstand „Naturwunder in Franken“ (siehe oben)
Doch dieses Netzwerk Natura2000 funktioniert nur, wenn weitere
Großschutzgebiete entstehen würden, Die beste Möglichkeit dies
zu tun, ist das Einrichten weiterer Nationalparks in Deutschland.
Möglichkeiten für geeignete Flächen gibt es viele. Daher war für
mich auch klar, dass ich diese Gebiete aufsuche. Also machte ich
mich auf den Weg.
Die ersten Gebiete findest du unter:
www.derschatzvorunsererhaustuer.de
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Impressum
Danksagung
Mein Dank gilt vor allem meiner Familie. Sie hat mir durch ihr Verständnis ermöglicht, dieses Buch zu schreiben,
auch wenn es zeitweise sicher nicht immer einfach war.
Zusätzlich möchte ich mich bei meinem treuen Lektor Herrn Wolfgang Weismantel bedanken.
Er hilft mir bei jedem neuen Buch, mit dem ich „um die Ecke komme“.
Quellen / Bildmaterial
Text und Bildmaterial stammt vom Buchautor.
Einige Bilder wurden von Kerstin, Jan und Lena gemacht.
Autor, Layout, Satz und Gestaltung / Herausgeber
Frank Schröpfer, Partenstein / Eigenverlag
Druck
Gmedien, Genheimer Druck GmbH, Lohr a. Main
Copyright
© 2022, Frank Schröpfer, Partenstein
Alle Rechte der Verbreitung, wie Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.
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Über den Autor
Frank Schröpfer ist in Lohr a. Main geboren und seit seiner Kindheit im Spessart unterwegs. Mittlerweile ist er verheiratet und hat zwei Kinder.
Bereits mit 15 Jahren unternahm er mit Freunden und seinem ersten Fotoapparat mehrtägige Wanderungen durch seine Heimat, später auch durch andere Länder.
»Durch das Draußensein ist meine Liebe zur Natur entstanden, die einen festen Platz in meinem Herzen einnimmt.« So beschreibt Frank Schröpfer seine Grundeinstellung.
Dabei sieht er sich als Naturbeobachter, nicht als Experte. Und bis heute treibt ihn diese Leidenschaft oft mit dem Rucksack hinaus in die Natur. Dabei begleitet ihn meistens noch immer
die Familie. Im Laufe der Jahre ist so einiges an Bild- und Textmaterial entstanden, das er schrittweise in einzelnen Buchprojekten vorstellt. Der gelernte Elektrotechniker arbeitet seit
über 30 Jahren bei Bosch Rexroth. Zu seinen Plänen sagt er: „Es gibt noch vieles, was ich gerne fotografieren und aufschreiben würde. Ich möchte mit meiner Arbeit für mehr Naturschutz
werben und hoffe, dass viele meine Bücher lesen und dadurch den Schätzen unserer Heimat einen höheren Wert beimessen.«