28.12.2012 Aufrufe

Artikel zum Projekte aus dem ZGF-GORILLA 2 - Zoologische ...

Artikel zum Projekte aus dem ZGF-GORILLA 2 - Zoologische ...

Artikel zum Projekte aus dem ZGF-GORILLA 2 - Zoologische ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Seine dunklen Augen starren auf die zwei<br />

grell gleißenden Lichtkegel, die mit ohrenbetäuben<strong>dem</strong><br />

Getöse näherkommen. Er<br />

hebt den Kopf und streckt seine feucht glänzende<br />

Nase in den Wind. Dann geht er einen kleinen<br />

Schritt vor, ein Ast knackt unter <strong>dem</strong> Gewicht<br />

seiner Pranken, wieder rast ein Auto vorbei und<br />

der Fahrtwind fegt in sein zottiges Fell. Hätten<br />

die Insassen angestrengt in die vorbeifliegende<br />

Dunkelheit gespäht, hätten sie vielleicht gesehen,<br />

wie der Bär langsam den schweren Kopf hin<br />

und her wiegt und sich rückwärts von der Europastraße<br />

entfernt, um dann im Dunkel des slowakischen<br />

Waldes zu verschwinden.<br />

Die Europastraße E 77 ist eine wichtige Nord-<br />

Süd-Straßenverbindung, die von Russland nach<br />

Ungarn führt. Hierbei durchkreuzt sie die Slowakei<br />

und verläuft entlang der Schnellstraßen R<br />

1 und R 3. Dabei führt sie auch durch die westlichen<br />

Ausläufer der Karpaten. Das Karpatengebirge<br />

erstreckt sich von Mittel- über Ost- nach<br />

Südosteuropa. Es bildet einen mehr als 1.300 km<br />

langen, 100–350 km breiten und nach Westen<br />

offenen Bogen, der bei Bratislava und Wien als<br />

Fortsetzung der Alpen beginnt und am „Eisernen<br />

Tor“, <strong>dem</strong> Durchbruchstal und Elektrizitätswerk<br />

der Donau an der serbisch-rumänischen<br />

Grenze, endet. Acht Länder haben Anteil an den<br />

Karpaten, die Verschiedenartigkeit der Lebensräume<br />

hat solch klangvolle Namen wie „Hohe<br />

Tatra“ oder „Waldkarpaten“ hervorgebracht<br />

und mit mehr als einem Drittel aller in Europa<br />

noch wildlebenden Großsäuger – beispielsweise<br />

Braunbären, Wölfe und Luchse – nimmt der bis<br />

zu 2.600 Meter aufragende Gebirgsstock eine<br />

ökologisch her<strong>aus</strong>ragende Position ein, der intensiver<br />

Schutzmaßnahmen bedarf. Für den Naturschutz-Sektor<br />

haben sich im Zuge der letzten<br />

EU-Osterweiterung, die 2004 nach den Karpatenländern<br />

Slowakei, Ungarn und Tschechien<br />

2007 auch Rumänien einschloss, ungeahnte<br />

Möglichkeiten aufgetan. Länderübergreifende<br />

Schutzmaßnahmen werden jetzt durch gleiche<br />

gesetzliche Bestimmungen erleichtert. Gleichzeitig<br />

wurde eine Situation geschaffen, die aber<br />

auch genau das Gegenteil bewirken kann, denn<br />

die Öffnung der Grenzen – und somit auch des<br />

Handels – hat eine Verkehrslawine zur Folge,<br />

für deren reibungsloses Fortkommen bald entsprechende<br />

Infrastruktur benötigt wird. Sprich<br />

der Aus- und Neubau von Schnellstraßen und<br />

Autobahnen ist vorprogrammiert. Straßen wie<br />

die Europastraße E 77 oder auch der Schienenverkehr<br />

sind für Großsäuger wie Bären, Luchse,<br />

Wildkatzen, Rothirsche oder Wildschweine<br />

aber gefährliche und oft unüberwindbare Hindernisse,<br />

die zur Zerschneidung ihres Lebensraums<br />

führen. Will man jedoch die ökologische<br />

Bedeutung der Region für die Wildtiere bewahren,<br />

erfolgreiche Ausbreitung der selten gewordenen<br />

Arten garantieren und für den Erhalt der<br />

genetischen Variabilität der Populationen sorgen,<br />

ist es unerlässlich, Wildtieren die Möglichkeit zu<br />

geben, ungehindert zwischen den slowakischen<br />

Kerngebieten und benachbarten Regionen wandern<br />

zu können.<br />

Eine erste Maßnahme des Kooperationsprojekts<br />

von <strong>ZGF</strong> und der „Carpathian Wildlife<br />

Society“ war die Identifizierung kritischer<br />

Straßenabschnitte, die Wanderwege blockieren<br />

Wanderer durch die<br />

wilden Karpaten<br />

Foto: Fritz Pölking, OKAPIA<br />

<strong>ZGF</strong> weltweit | Aus den <strong>Projekte</strong>n<br />

Seit 2005 führen die<br />

„Carpathian Wildlife<br />

Society“ und die Zoo-<br />

logische Gesellschaft<br />

Frankfurt eine Studie zu<br />

den Wanderungen der<br />

Großsäuger in den Kar-<br />

paten durch. Man will<br />

her<strong>aus</strong>finden, welchen<br />

Einfluss die Verkehrsin-<br />

frastruktur auf die Tiere<br />

hat. Zu<strong>dem</strong> wird intensiv<br />

nach Lösungsansätzen<br />

für die aufkommenden<br />

Probleme wie Habitat-<br />

fragmentierung und<br />

Migrationshindernisse<br />

gesucht. Von Stephanie<br />

Lienenlüke und Susanne<br />

Schick.<br />

<strong>ZGF</strong> Gorilla 2/2007<br />

9


Tschech.<br />

Rep.<br />

Ungarn<br />

Kroatien<br />

Polen<br />

Slowakei<br />

Bosnien<br />

Herzegov.<br />

Verkehrsteilnehmer. Straßen<br />

zerschneiden zunehmend den<br />

Lebensraum der Bären in den<br />

Karpaten.<br />

Serbien<br />

Karparten<br />

Rumänien<br />

10 <strong>ZGF</strong> Gorilla 2/2007<br />

Ukraine<br />

Neben den Alpen bilden die<br />

Karpaten das bestimmende<br />

Gebirgssystem in Zentraleuropa.<br />

Die niedrigeren Lagen<br />

sind bewaldet, die Waldgrenze<br />

schwankt zwischen 1.150 m<br />

und 1.900 m. Mit 2.655 m ist<br />

der Gerlachovský štít in der<br />

Hohen Tatra der höchste Berg.<br />

Rund 4.000 Wölfe und 8.000<br />

Bären sind in den Karpaten zu<br />

H<strong>aus</strong>e.<br />

oder Lebensräume zerschneiden. Dafür wurden<br />

die sich <strong>zum</strong>eist überlappenden Streifgebiete<br />

insbesondere von Braunbär, Wolf und Luchs<br />

kartiert und mit Karten des Hauptstraßennetzes<br />

verglichen sowie mit Hilfe des Geografischen Informationssystems<br />

(GIS) zur Veranschaulichung<br />

verschnitten. Auf diese Weise konnten insgesamt<br />

32 kritische Abschnitte festgestellt werden, von<br />

denen 12 an Autobahnen liegen und 20 an zweispurigen<br />

Straßen. 50 Prozent der Autobahn- und<br />

Schnellstraßenkilometer der Slowakei fallen unter<br />

die kritischen Abschnitte. Ein enormes Risiko<br />

für die Tiere. Erste Schritte zur Überbrückung<br />

solcher Hindernisse sind technische Maßnahmen<br />

wie beispielsweise Grünbrücken. Sie helfen<br />

den Arten ganz besonders kritische Bereiche gefahrlos<br />

zu überwinden. Für neu anstehende Bauprojekte<br />

sind diese Erkenntnisse gerade in der<br />

Planungsphase von außerordentlicher Bedeutung,<br />

denn nur dann können Zerschneidungseffekte<br />

noch abgemildert werden. Entscheidend<br />

ist jedoch, dass nicht nur national agiert wird,<br />

sondern die einzelnen Länder auf der operativen<br />

Naturschutzebene eng zusammenarbeiten. Es<br />

müssen Freilandstudien zur Kartierung der Verbreitungsgebiete,<br />

Populationsdichten und Migrationskorridore<br />

der verschiedenen Zielarten<br />

miteinander durchgeführt werden. Die Integration<br />

verschiedenster staatlicher und nicht-staatlicher<br />

Organisationen in sämtliche Prozesse ist<br />

essentiell, um eine gesteigerte öffentliche Wahrnehmung<br />

für das Problem zu erreichen.<br />

Auf länderübergreifender Ebene wurden<br />

2003 erste Schritte getan und die „Initiative<br />

Ökoregion Karpaten“ gegründet. Dies<br />

ist ein Zusammenschluss von 50 Organisationen<br />

<strong>aus</strong> den betroffenen Ländern unter der Federführung<br />

des WWF. Sie hat sich den Schutz<br />

und den Aufbau nachhaltiger Entwicklungsperspektiven<br />

für die Region <strong>zum</strong> Ziel gesetzt.<br />

Die wichtigsten Aspekte der pan-karpatischen<br />

Schutz- und Management-Strategie beinhalten<br />

einen alle Karpaten-Länder umfassenden Zensus<br />

aller Großsäuger, die Entwicklung eines<br />

Management-Plans und dessen Übernahme<br />

auf nationaler Ebene sowie die Förderung von<br />

vornehmlich grenzübergreifenden Studien zur<br />

Ökologie und Populationsdynamik der verschiedenen<br />

Arten. Dabei haben die Untersuchungen,<br />

wie sie die <strong>ZGF</strong> in der Slowakei bereits unterstützt,<br />

einen wichtigen Stellenwert. Weitere<br />

Punkte betreffen unterstützende Maßnahmen<br />

bei Mensch-Tier-Konflikten in Siedlungen bzw.<br />

im Hinblick auf Viehbestände sowie die Reduktion<br />

der Wilderei, der Hauptursache für den Tod<br />

von Großraubtieren. Denn ökonomische Nebeneffekte<br />

eines gesicherten Wildtierbestandes, wie<br />

beispielsweise durch Ökotourismus, sind die<br />

stichhaltigsten Argumente pro Naturschutz.<br />

Leider ist es bis zur endgültigen Sicherung<br />

eines Schutzgebiets oft ein steiniger Weg und in<br />

politisch instabilen Ländern hat die Natur oft<br />

das Nachsehen. So berichtete der WWF Mitte<br />

Mai, dass die slowakische Regierung beim Umbau<br />

ihrer Naturschutzbehörde einige Einschränkungen<br />

vorgenommen hat, die sich negativ auf<br />

die Naturschätze <strong>aus</strong>wirken. Es wurden Ranger<br />

und Parkdirektoren entlassen und die Handlungsfähigkeit<br />

der Behörde beschnitten. Es<br />

bleibt zu hoffen, dass der dringliche Appell des<br />

WWF und der von EU-Kommissions-Direktor<br />

Peter Carl verfasste Brief an den slowakischen<br />

Umweltminister Wirkung zeigt und die Naturschutzarbeit<br />

effektiv vorangetrieben werden<br />

kann. Denn ob Waldkarpaten oder Slowakisches<br />

Erzgebirge, Hohe Tatra oder Fatra, Slowakei<br />

oder Rumänien, der Karpatenbogen ist ein<br />

besonders schützenswertes Naturjuwel und Heimat<br />

der letzten großen Bestände von Wölfen<br />

und Bären in Europa.<br />

Foto: Malcolm Schuyl/ FLPA, OKAPIA

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!