07.11.2023 Aufrufe

Zeitschrift quer ver.di-Frauen-Bayern (3/2023) Antifeminismus und Gewalt gegen Frauen

Fakten - Analysen - Hilfen - Gegenstrategien Der 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, Kindern und nicht-binären Menschen. In vielen Städten finden rund um diesen Tag Veranstaltungen statt. In München gibt es Aktionswochen, veranstaltet von einem breiten Bündnis, es gibt Aktionstage in Nürnberg, Würzburg und Regensburg. Grund genug für die quer-Redaktion, sich (nochmals) ausführlich mit dem Thema zu beschäftigen. Wir beginnen mit der Definition der Begriffe: Was ist Gewalt, wie stellt sie sich heute dar, und was genau verstehen wir unter Antifeminismus? Und welche Erscheinungsformen gibt es? Die internationalen Erscheinungsformen des Antifeminismus, den Zusammenhang von Hass und Hetze im Netz und Rassismus beleuchten wir ebenfalls. „Die Spur des Geldes“ legt die Finanzierung der europaweiten Anti-Gender-Kampagnen offen – eine sehr spannende Recherche! Die Zunahme häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder und die wachsende Gewaltbereitschaft junger Männer schauen wir uns an. Was ganz konkret in München dagegen unternommen werden kann, welche Voraussetzungen und Strukturen dazu notwendig sind, war ebenfalls Teil der Recherche. Ein Symbol der Hoffnung und des Widerstands ist die Initiative „La Panchina Rossa“ oder die „Rote Bank“. Ursprünglich in Italien entstanden, hat dieses Symbol für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt weltweit Beachtung gefunden. Femizide – also vorsätzliche Morde an Frauen, weil sie Frauen sind – sind wohl die scheußlichste Form der Gewalt an Frauen. Mexiko erlangte dafür traurige Berühmtheit. Aber jetzt formiert sich Gegenwehr. Die Europäische Kommission hat einen Richtlinienentwurf zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vorgelegt. Einige nützliche Hinweise (Meldung von Vorfällen, Hilfetelefon, ver.di Frauen gegen rechts) runden das Thema ab.

Fakten - Analysen - Hilfen - Gegenstrategien
Der 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, Kindern und nicht-binären Menschen.
In vielen Städten finden rund um diesen Tag Veranstaltungen statt. In München gibt es Aktionswochen, veranstaltet von einem breiten Bündnis, es gibt Aktionstage in Nürnberg, Würzburg und Regensburg. Grund genug für die quer-Redaktion, sich (nochmals) ausführlich mit dem Thema zu beschäftigen.

Wir beginnen mit der Definition der Begriffe: Was ist Gewalt, wie stellt sie sich heute dar, und was genau verstehen wir unter Antifeminismus? Und welche Erscheinungsformen gibt es? Die internationalen Erscheinungsformen des Antifeminismus, den Zusammenhang von Hass und Hetze im Netz und Rassismus beleuchten wir ebenfalls. „Die Spur des Geldes“ legt die Finanzierung der europaweiten
Anti-Gender-Kampagnen offen – eine sehr spannende Recherche! Die Zunahme häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder und die wachsende Gewaltbereitschaft junger Männer schauen wir uns an. Was ganz konkret in München dagegen unternommen werden kann, welche
Voraussetzungen und Strukturen dazu notwendig sind, war ebenfalls Teil der Recherche. Ein Symbol der Hoffnung und des Widerstands ist die
Initiative „La Panchina Rossa“ oder die „Rote Bank“. Ursprünglich in Italien entstanden, hat dieses Symbol für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt weltweit Beachtung gefunden. Femizide – also vorsätzliche Morde an Frauen, weil sie Frauen sind – sind wohl die scheußlichste Form der Gewalt an Frauen. Mexiko erlangte dafür traurige Berühmtheit. Aber jetzt formiert sich Gegenwehr. Die Europäische Kommission
hat einen Richtlinienentwurf zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vorgelegt. Einige nützliche Hinweise (Meldung von Vorfällen, Hilfetelefon,
ver.di Frauen gegen rechts) runden das Thema ab.

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<strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Kinder<br />

Am 25. November jährt sich wieder der Internationale Tag <strong>gegen</strong> <strong>Gewalt</strong> an <strong>Frauen</strong>,<br />

Kindern <strong>und</strong> nicht-binären Menschen. Doch reicht ein „Gedenktag“ aus, um <strong>di</strong>ese <strong>Gewalt</strong><br />

als gesamtgesellschaftliches Problem ins öffentliche Bewusstsein zu rücken?<br />

<strong>Gewalt</strong> hat viele Facetten <strong>und</strong> Gesichter. Es kann<br />

ein Kuss auf den M<strong>und</strong> sein, wie ihn der spanische<br />

Fußball-Verbandschef Rubiales „aus lauter Begeisterung“<br />

nach der gewonnenen Weltmeisterschaft<br />

vor laufender Kamera der Spielerin Jennifer<br />

Hermoso <strong>gegen</strong> ihren Willen aufzwang. Es kann<br />

aber auch körperliche, sexualisierte, psychische,<br />

soziale, ökonomische <strong>Gewalt</strong> sein, <strong>di</strong>e sich hinter<br />

<strong>ver</strong>schlossenen Türen abspielt <strong>und</strong> unter der auch<br />

Kinder leiden – als Missbrauchsopfer oder hilflose<br />

Beobachter. Mobbing <strong>und</strong> Hass in den „sozialen<br />

Me<strong>di</strong>en“ gelten als neue Form der <strong>Gewalt</strong>, <strong>di</strong>e<br />

hemmungslos vor nichts zurückschreckt.<br />

6<br />

Zunahme häuslicher <strong>Gewalt</strong><br />

Im Jahr 2022 ist <strong>di</strong>e Zahl der Opfer häuslicher<br />

<strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong>über dem Vorjahr um 8,5% auf<br />

240.547 gestiegen 1 . Dabei handelt es sich le<strong>di</strong>glich<br />

um ein Lagebild aufgr<strong>und</strong> der offiziell von der<br />

Polizei registrierten Fälle. Die Dunkelziffer dürfte<br />

deutlich höher liegen. „Häusliche <strong>Gewalt</strong> ist keine<br />

Privatsache, sondern ein gravierendes Problem<br />

in allen gesellschaftlichen Gruppen. <strong>Gewalt</strong><br />

im engsten Umfeld betrifft viele <strong>Frauen</strong>, aber<br />

auch Kinder <strong>und</strong> Pflegebedürftige … (sie) fängt<br />

nicht erst mit Schlägen <strong>und</strong> Misshandlungen an,<br />

es geht auch um Stalking <strong>und</strong> Psychoterror“,<br />

kommentierte Innenministerin Nancy Faeser.<br />

Angesichts der „traurigen Realität“, dass „jede<br />

St<strong>und</strong>e mehr als 14 <strong>Frauen</strong> Opfer von Partner-<br />

1<br />

Pressemitteilung des B<strong>und</strong>esinnenministeriums<br />

vom 11.07.<strong>2023</strong><br />

schaftsgewalt“ werden, will B<strong>und</strong>esfamilienministerin<br />

Lisa Paus Lücken im Netz der <strong>Frauen</strong>häuser<br />

<strong>und</strong> Beratungsstellen schließen, damit<br />

<strong>Frauen</strong> überall in Deutschland einen sicheren<br />

Zufluchtsort <strong>und</strong> kompetente Beratung <strong>und</strong> Hilfe<br />

finden. „Häusliche <strong>Gewalt</strong>“ umfasst neben der<br />

seit 2015 vom B<strong>und</strong>eskriminalamt <strong>ver</strong>öffentlichten<br />

Statistik zur Partnerschaftsgewalt „innerfamiliäre<br />

<strong>Gewalt</strong>delikte“ von <strong>und</strong> <strong>gegen</strong> Eltern,<br />

Kinder, Geschwister <strong>und</strong> sonstige Angehörige.<br />

Doch <strong>di</strong>e Zahlen sprechen für sich: 80,1% der<br />

Opfer von Partnerschaftsgewalt <strong>und</strong> 71,1% der<br />

Opfer von häuslicher <strong>Gewalt</strong> sind weiblich. 133<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> 19 Männer sind im Jahr 2022 von<br />

ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden.<br />

<strong>Gewalt</strong>bereitschaft junger Männer<br />

Björn Höcke auf dem AfD-Parteitag 2015: „Wir<br />

müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken.<br />

Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken,<br />

werden wir mannhaft. Und nur wenn wir<br />

mannhaft werden, werden wir wehrhaft, <strong>und</strong> wir<br />

müssen wehrhaft werden, liebe Fre<strong>und</strong>e!“<br />

Für große Aufregung sorgte eine Umfrage des Kinderhilfswerks<br />

PLAN International, <strong>di</strong>e wissen wollte,<br />

wie junge Männer (bis 35 Jahre) in Deutschland<br />

denn so „ticken“. Sie zeigte, dass viele ein<br />

tra<strong>di</strong>tionelles Rollen<strong>ver</strong>ständnis haben <strong>und</strong> ihr<br />

Männerbild weit entfernt von echter Gleichberechtigung<br />

ist. Doch <strong>di</strong>e Me<strong>di</strong>en fokussierten nur auf<br />

einen einzelnen Aspekt: Mehr als ein Drittel der<br />

befragten Männer (34%) gab an, <strong>gegen</strong>über <strong>Frauen</strong><br />

schon mal handgreiflich zu werden, um ihnen<br />

Respekt einzuflößen. Und jeder dritte Mann (33%)<br />

fand es akzeptabel, dass ihm beim Streit mit der<br />

Partnerin gelegentlich <strong>di</strong>e Hand ausrutscht. Statt<br />

sich mit der alarmierenden Tendenz zu „toxischer<br />

Männlichkeit“ auseinanderzusetzen, wurde nur<br />

<strong>di</strong>e Unwissenschaftlichkeit der <strong>ver</strong>meintlichen Stu<strong>di</strong>e<br />

(es war eine Befragung) kritisiert. Hier lässt<br />

sich vielleicht ein Bogen zur häuslichen <strong>Gewalt</strong><br />

schlagen: Wenn Kinder kein Gehör für ihre Nöte<br />

finden <strong>und</strong> keine guten Vorbilder für respektvolle<br />

Beziehungen haben, werden sie unter Umständen<br />

genau das Modell reproduzieren, das sie vorgelebt<br />

bekommen. 2<br />

Femizide als solche benennen<br />

Die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist, sollte<br />

als „Femizid“ bezeichnet werden. In Deutschland<br />

wird durchschnittlich jeden dritten Tag eine Frau<br />

durch den (Ex-)Partner ermordet. Doch wenn<br />

Femizide als „Eifersuchtsdrama“ oder „Familientragö<strong>di</strong>e“<br />

eingestuft, d.h. auf „Einzelschicksale“<br />

reduziert werden, wird das Ausmaß geschlechtsspezifischer<br />

<strong>Gewalt</strong> <strong>ver</strong>harmlost. Deshalb hat eine<br />

Gruppe von Investigativjournalistinnen einen „Leitfaden<br />

für <strong>di</strong>e Berichterstattung über Femizide <strong>und</strong><br />

den Umgang mit Überlebenden <strong>und</strong> Angehörigen“<br />

<strong>ver</strong>fasst (www.journalist.de). Wichtig ist unter anderem,<br />

stets den Kontext zu beleuchten, <strong>di</strong>e strukturelle<br />

(gesellschaftliche) Dimension geschlechtsspezifischer<br />

<strong>Gewalt</strong> aufzudecken, <strong>di</strong>e Rolle von<br />

Staat, Polizei, Justiz <strong>und</strong> Zivilgesellschaft zu analysieren<br />

– <strong>und</strong> vor allem aus der Perspektive der<br />

betroffenen <strong>Frauen</strong> zu berichten, denen häufig<br />

noch eine Teilschuld zugeschrieben wird.<br />

Walburga Rempe<br />

2<br />

Extrabrief Häusliche <strong>Gewalt</strong> vom Arbeitskreis Neue<br />

Erziehung e.V. als pdf unter www.bmfsfj.de abrufbar

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