wanderbar02_2023
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Ausgabe 02|<strong>2023</strong> 7,50 €<br />
Österreich 8,50 € | Schweiz 10 sfr | BeNeLux 8,90 €<br />
Das Magazin für WanderGlück und NaturGenuss<br />
DER TRAUM<br />
VOM WINTER<br />
Sachsen • Fichtelgebirge<br />
• Ostallgäu •<br />
Tannheimer Tal •<br />
Hohe Tauern ...<br />
VENNTRILOGIE<br />
Unterwegs ins<br />
Urzeitland<br />
Natur erleben: Jetzt ist die Zeit für<br />
tsamkeit<br />
Achts
Wanderziele<br />
Wanderlust<br />
Für Kinder sind Schnee und Eis<br />
Wandern in der Winterwun d<br />
faszinierende Elemente, die zum Spielen und Staunen einladen.<br />
Welche Entdeckungen unterwegs beim familiären Winterwandern warten.<br />
2<br />
1<br />
lles sieht verändert aus. Was vertraut war,<br />
scheint auf einmal märchenhaft. Die Bäume:<br />
gepudert. Die Geräusche: gedämpft. Jeder<br />
Schritt erzeugt ein Knirschen. Du bist versucht,<br />
aus voller Kehle in den Wald zu schreien und<br />
zu lauschen, wie der Schnee die Lautstärke der eigenen<br />
Stimme filtert. Du entdeckst Spuren. Welche Tiere<br />
sind es? Was finden sie jetzt zu fressen? Wer macht<br />
einen Winterschlaf, welcher Vogel fliegt in ferne Länder?<br />
Im Winter kann jede Wanderung zum Erlebnis<br />
werden. Besonders eine Familienwanderung.<br />
Kinder fragen ja viel, sie lernen schnell und möchten<br />
Antworten. Da ist es gut, wenn Mama und Papa<br />
vorbereitet sind. Auch keine schlechte Idee: angeleitete<br />
Touren für Kinder und Familien. Die werden<br />
häufig von örtlichen Wandervereinen angeboten.<br />
Eine gute Möglichkeit, die Natur zu jeder Jahreszeit<br />
kennenzulernen.<br />
Mit anderen Familien, in einer Gruppe unterwegs<br />
zu sein, macht Wandern oftmals interessanter und<br />
sorgt für gute Laune bei Groß und Klein. Wie fühlt<br />
es sich an, sich in den Schnee zu schmeißen und<br />
einen engelsgleichen Abdruck zu hinterlassen?<br />
Wer gestaltet die lustigsten Schneefiguren? Und<br />
welcher Schnee eignet sich am besten zum Iglubau?<br />
Und dann ist da vielleicht noch das wohlige Gefühl,<br />
das sich einstellt, wenn vom Spielen im Schnee nasse<br />
Handschuhe und kalte Finger wieder warm werden, weil<br />
Mama sie trockenrubbelt.<br />
Auch wenn es draußen grau, nass und matschig ist:<br />
Hauptsache raus! Gut eingepackt mit Mütze, Schal und<br />
dicken Socken – und rein ins Abenteuer! Wer erstmal in<br />
Bewegung ist, findet auch bei Schmuddelwetter Spannendes<br />
zu entdecken. Im Rucksack sollte ein heißes<br />
Familienspaß<br />
1 Beim Wandern mit Kindern sollte immer Zeit<br />
für ein bisschen Quatsch sein.<br />
2 Gemeinsame Entdeckungen am Wegesrand<br />
warten auch in der kalten Jahreszeit.<br />
3 Kleines Abenteuer: Marshmallows über dem offenen Feuer rösten.<br />
4 Gemeinsam unterwegs: Mit Familie & Co.<br />
macht eine Wanderung noch mehr Spaß.<br />
Fotos: DWV (2)/ACElsner (1), Klaus Peter Kappest (1); Text: Gaby Travers<br />
18 anderbar!<br />
www.wanderbares-deutschland.de/wanderbar
DWV Familienwandern<br />
Getränk, dazu<br />
Wechselkleidung sein.<br />
Und ein (halbwegs gesunder)<br />
Snack kann helfen, wenn die Laune<br />
doch mal in den Keller geht. Allerdings: Lange<br />
Picknickpausen bei nasskaltem Wetter sind<br />
nicht die allerbeste Idee.<br />
erwelt<br />
Zwei Spieletipps<br />
für unterwegs<br />
Unter wanderverband.de gibt es<br />
noch mehr Infos und Draußenspiele<br />
oder einfach den Code scannen<br />
Zapfenhüpfen<br />
3<br />
Fürs Zapfenhüpfen braucht es zunächst einen großen<br />
Fichtenzapfen. Daran befestigt ihr eine Schnur. Mit dieser<br />
Schnur wird der Zapfen knapp über dem Boden im Kreis geschwungen. Die mitspielenden<br />
Kinder bilden einen Kreis und hüpfen, während sich die Schnur dreht.<br />
Für ältere Kinder bieten sich Varianten mit Wettbewerbscharakter an. Zum Beispiel: Aus dem Kreis entlassen ist,<br />
wer es drei Mal geschafft hat, über die Schnur zu springen.<br />
Geeignet für: Kinder ab 4 Jahren und ihre Eltern; Anzahl Mitspieler: ca. 6 pro Schnur; Spieldauer: ca. 5 – 10 Min.<br />
Fördert die Koordination (Reaktionsfähigkeit, Rhythmisierungsfähigkeit)<br />
Lebendige Kamera<br />
Für dieses Spiel müsst ihr Paare bilden, dann geht es auf Fotosafari. Einer darf »fotografieren«, der andere ist die<br />
lebendige Kamera. Wer fotografieren darf, sucht einen Bildausschnitt aus. Passende Motive finden sich auch in<br />
der kalten Jahreszeit. Getrocknete Samenstände, Raureif, Spuren im Schnee … Ist der Bildausschnitt gefunden,<br />
wird die lebendige Kamera mit geschlossenen Augen zur Fotostelle geführt. Dann wird der Auslöser der lebendigen<br />
Kamera gedrückt. Dazu wird leicht am Ohrläppchen gezupft, und schon nimmt die Kamera das Bild auf. Sie öffnet<br />
die Augen und betrachtet für 5 Sekunden das Fotoobjekt und schließt dann wieder die Augen. Dann wird gewechselt<br />
und das nächste Foto aufgenommen. Ältere Kinder können auch mehrere Fotos hintereinander aufnehmen,<br />
bevor gewechselt wird. Im Anschluss gibt es meistens viel zu erzählen.<br />
Geeignet für: Kinder ab 4 Jahren und ihre Eltern; Anzahl Mitspieler: mindestens 2; Spieldauer: 15 Min.<br />
Fördert Sehsinn, Naturwahrnehmung<br />
4<br />
Lobenswerte Vorbilder: Wander-Kitas<br />
Mit der Initiative Let’s go – Familien, Kids<br />
und Kitas unterstützt der Deutsche Wanderverband<br />
bundesweit bereits 80 Kinderbetreuungseinrichtungen<br />
mit Wanderwissen, Fortbildungen<br />
und Kooperationen und zeichnete<br />
in diesem Jahr bereits fünfzehn neue »Wander-Kitas«<br />
aus. Weitere Einrichtungen möchten<br />
im kommenden Jahr anerkannt werden. Die positive<br />
Entwicklung zeigt sich auch in der Anzahl<br />
der Kinder, die das Deutsche Wanderabzeichen<br />
erlangen. Über 600 Kinder haben allein dieses<br />
Jahr das Deutsche Wanderabzeichen als Motivationsabzeichen<br />
vom DWV bekommen.<br />
Das sind gut 250 Kinder mehr<br />
als letztes Jahr. Unterstützt wird die Initiative<br />
durch die BKK Pfalz.<br />
Die Auszeichnung Wander-Kita wird Kinderbetreuungseinrichtungen<br />
verliehen, die regelmäßig<br />
mit den Kindern wandern gehen und das<br />
Fachwissen von Wandervereinen nutzen. Weil<br />
die Eltern einbezogen werden, ist das eine gute<br />
Voraussetzung, dass aus natürlichem Spaß auch<br />
Begeisterung fürs Wandern erwächst.<br />
Familienarbeit ist eine der vielfältigen Aufgaben<br />
des Deutschen Wanderverbands (DWV). Mit der<br />
Initiative »Let’s go – Familien, Kids und Kitas«<br />
unterstützt der DWV Kitas und fördert das Naturerlebnis<br />
bei Kita- und Familienwanderungen.<br />
Wandern beugt Übergewicht vor, hebt die Stimmung<br />
und Konzentration, macht Kindern Freude<br />
bei Entdeckungsreisen in der Natur, fördert ein<br />
gutes Gruppengefühl und auch eigenständiges<br />
Handeln.<br />
wanderbar! 02|23<br />
anderbar!<br />
19
Wanderziele<br />
Wanderlust<br />
»SAGENHAFT GRENZENLOS«<br />
Großer Auftritt: Für den 122. Deutschen Wandertag (vom 19. bis<br />
22. September 2024) haben Thüringens Heilbad Heiligenstadt und die Region<br />
Eichsfeld ein vielfältiges, attraktives Programm auf die Beine gestellt.<br />
n Deutschlands Mitte liegt eine Landschaft,<br />
die einst auch den Schriftsteller Theodor Storm (»Der<br />
Schimmelreiter«) entzückte. Als er, der von 1856 bis 1864<br />
als Kreisrichter in Heiligenstadt tätig war, von der Teufelskanzel<br />
über das Eichsfeld schaute, notierte er: »Ich weiß nicht,<br />
dass ich schon jemals von der zauberhaften Schönheit eines<br />
Erdfleckens so innerlichst berührt worden wäre.«<br />
Tatsächlich bietet diese Region einzigartige Landschaften, sagenumwobene<br />
Burgen und Burgruinen, geschichtsträchtige<br />
Städte, Naturdenkmäler und zudem auch zahlreiche Rad- und<br />
Wanderwege. Eine natürliche Schönheit also.<br />
Neben dem Naturparkweg Leine-Werra (ein Qualitätsweg<br />
Wanderbares Deutschland) und dem 280 Kilometer langen<br />
Eichsfeldwanderweg (der das historische Eichsfeld umrundet)<br />
sind in den letzten Jahren mehr als ein Dutzend zertifizierte<br />
Premium- bzw. TOP-Wanderwege dazugekommen, die<br />
jetzt ein zusammenhängendes, einheitliches Wanderwegenetz<br />
(fast 1000 km) quer durchs historische Eichsfeld bilden.<br />
Sagenhafte Pfade an der Deutschen Märchenstraße, der<br />
Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal oder Spurensuche am<br />
»Grünen Band« – so vielfältige Möglichkeiten.<br />
Wandern am Grünen Band, dem einzigartigen Biotop entlang<br />
des ehemaligen Grenzstreifens, kann zum besonderen Erlebnis<br />
werden. Hier sowie in den beiden Grenzlandmuseen<br />
Eichsfeld (in Teistungen) und Schifflersgrund (in Asbach-Sickenberg)<br />
wird deutsch-deutsche Geschichte fassbar.<br />
Deutsche Wandertage sind traditionell ein Treffen der deutschen<br />
Wandervereine,<br />
das Tausende<br />
Wanderfreunde<br />
anzieht.<br />
Für den 122. Deutschen<br />
Wandertag (und für die Wanderwoche vom 14. – 22.<br />
September 2024) in der Grenzregion zwischen Thüringen,<br />
Niedersachsen und Hessen haben die Eichsfelder Ausrichter<br />
ein imponierendes Programm beisammen: insgesamt<br />
234 (!) geführte Wandertouren zu unterschiedlichen Themen,<br />
darunter »Grenzenlos Wandern« (Gerbershausen), »Gruselgrimm«<br />
(Heilbad Heiligenstadt) oder »Geschichte erlaufen«<br />
(Teistungen), »Rund um Duderstadt«, »4-Länderblick Panoramaweg«<br />
(Thalwenden), »Sagenwanderweg« (Anrode), »Ost-West-<br />
Ausblicke« (Volkerode) oder »Wanderung für Trauernde« (Lutter).<br />
Ob für Einsteiger oder erfahrene Trekkingenthusiasten: Das<br />
Angebot reicht vom entspannten Spaziergang in die malerische<br />
Natur bis zur anspruchsvollen Weitwanderung.<br />
Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Weltkindertag (am<br />
20. September 2024), ein Feiertag in Thüringen, der speziell<br />
auf die Interessen der Jüngsten und ihre Familien ausgerichtet<br />
sein wird. Außerdem wird es im gesamten Eichsfeld mehr als<br />
60 Veranstaltungen von touristischen Anbietern (Sondertouren,<br />
Stadtführungen oder einen Trip in den Alternativen Bärenpark<br />
Leinefelde-Worbis) geben.<br />
Und fast überall warten regionale Spezialitäten, die jeder<br />
mal kosten sollte: etwa die Eichsfelder Stracke (Wurstklassiker)<br />
oder den Eichsfelder Schmandkuchen.<br />
Schon jetzt ist ein Programmheft (satte 168 Seiten Umfang)<br />
verfügbar, mit allen Wandertouren (inkl. Streckenlänge,<br />
Schwierigkeit & Co.), den wichtigsten Städten der Region<br />
(u. a. der Kurort Heilbad Heiligenstadt und die mittelalterliche<br />
Fachwerkstadt Duderstadt) sowie Sehenswürdigkeiten<br />
und Besonderheiten der Region.<br />
Eine ganz gute Grundlage, um sich schon mal auf den 122.<br />
Deutschen Wandertag im Eichsfeld einzustimmen.<br />
Info 122. Deutscher Wandertag<br />
Eine Wandertagsplakette ermöglicht die Teilnahme<br />
an allen geführten Wanderungen (auch während der<br />
Wanderwoche vom 14. – 22. September 2024) und bietet<br />
Vergünstigungen in kulturellen Einrichtungen. Erhältlich ist<br />
sie auf der Website www.dwt2024.de. Dort kann man auch<br />
das Programmheft downloaden und die im Programmheft<br />
beschriebenen Wandertouren buchen.<br />
MEHR INFOS: Geschäftsstelle Deutscher Wandertag 2024,<br />
Tel. +49 3606 677 450;<br />
orga@dwt2024.de; www.dtw2024.de<br />
Fotos: HVE Eichsfeld Touristik e. V. (3), Sophia Lamprecht (1), Alexander Franke (1)<br />
20 anderbar!<br />
www.wanderbares-deutschland.de/wanderbar
Deutscher Wandertag<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Erlebnisregion Eichsfeld<br />
1 In der ursprünglichen Landschaft des Eichsfelds liegen 180 oft winzige Fachwerkdörfer. 2 Die mittelalterliche Burg Bodenstein oberhalb<br />
des Dorfes Wintzingerode (heute Ortsteil von Leinefeld-Worbis). 3 Unterwegs auf dem TOP-Wanderweg Dün Panorama bei Heiligenstadt<br />
4 Skyline-Selfie auf das Heilbad Heiligenstadt. 5 Ministerblick – so heißt ein Aussichtspunkt auf das Dorf Lindewerra an der Werra.<br />
4<br />
5<br />
wanderbar! 02|23<br />
anderbar!<br />
21
Wanderziele<br />
Essay<br />
Achtsam sein? Loslassen? Innehalten? Mhm. Schöne Worte.<br />
Aber sich wirklich mal darauf einlassen, komplett und vorurteilsfrei? Gar nicht so<br />
leicht. Ich erinnere mich noch gut daran, als nach dem Hotelfrühstück Waldbaden<br />
mit Brigitte auf dem Programm stand. Waldbaden? Neuland, nicht nur für mich. Immerhin<br />
obsiegte die Neugier über die Skepsis. Wir folgten also Brigitte in den Wald.<br />
Unterwegs erklärte sie: Anders als beim Wandern, wo wir uns ja auf den Weg machen,<br />
um ein Ziel anzusteuern, sei beim Waldbaden das Ziel, einen Weg zu unseren Sinnen<br />
zu öffnen – ein stilles Date mit der Natur.<br />
Da standen wir nun inmitten von Bäumen, einen Spaziergang vom Südtiroler Vitalpina<br />
Hotel Pfösl entfernt, und tauchten in die neue Erfahrungswelt Waldbaden ein. »Die erste<br />
Übung fällt nicht allen leicht«, meinte Brigitte, »wir wollen jetzt erst mal 15 Minuten<br />
schweigen.« Später wurden wir in Atem- und Sinnesübungen eingewiesen.<br />
Jeder suchte sich einen sympathischen Baum aus, um ihn intensiv zu berühren, auch<br />
umarmen gehörte dazu. Danach suchten wir Kontakt zum Waldboden, legten uns auf<br />
den Rücken, Augen zu. Dann schauten wir himmelwärts, versuchten, Geräusche zu<br />
lokalisieren. Und schließlich standen wir an einer Lichtung, stellten uns einen Bilderrahmen<br />
vor, durch den wir irgendwo dahinten die Bäume, das Biotop & Co.<br />
ganz genau betrachten sollten.<br />
Eine gute Stunde ging da so. Waldbaden.<br />
Waldbaden heißt: sich Zeit nehmen und fallen lassen. Es geht darum, eine tiefe<br />
Verbindung zur Natur und zu sich selbst herzustellen. Einfach mal nur im Augenblick<br />
sein. Achtsam sein.<br />
Zeit für A<br />
Gegenwärtig liegt das Thema Achtsamkeit ja schwer im Trend,<br />
ist im Mainstream angekommen. Aber: Was genau bedeutet Achtsamkeit eigentlich? Es ist<br />
jedenfalls mehr als nur Konzentration. Konzentration heißt, sich auf einen Gedanken oder<br />
ein Objekt zu fokussieren, dies brauchen wir, wenn wir eine konkrete Aufgabe lösen wollen.<br />
Achtsamkeit (engl. Mindfulness) ist eine spezielle Form der Aufmerksamkeitslenkung, so<br />
die Formel von Prof. Jon Kabat-Zinn. Der amerikanische Molekularbiologe und Stressforscher<br />
machte das Thema in den 1990er-Jahren populär, als er fernöstliche Traditionen und<br />
westliche Medizin zusammenbrachte. Achtsamkeit ist eine Form der Meditation und eine<br />
der wenigen wirklich funktionierenden Methoden des Gehirntrainings. Das ist neurowissenschaftlich<br />
belegt.<br />
Achtsamkeit ist dreierlei: eine Geistestätigkeit; eine Charaktereigenschaft sowie eine<br />
Übungspraxis. Eine hoffnungsvolle Botschaft lautet: »Wiederholtes Üben dieser Geistestätigkeit<br />
kann in einer Ausbildung der entsprechenden Charaktereigenschaft münden.«<br />
Längst gibt es zahlreiche Apps und Podcasts, sie können helfen, bestimmte Praktiken zu erlernen.<br />
Wie positiv sich Achtsamkeitsmeditation auf die Psyche auswirkt, wurde inzwischen in zahlreichen<br />
Studien nachgewiesen. Bei einer (im November 2022) mit 208 Probanden nahm die eine Gruppe acht Wochen lang<br />
an einem geführten Achtsamkeitstraining teil, während die andere Gruppe den Wirkstoff Escitalopram bekam, ein<br />
Arzneimittel aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Es wird in der Behandlung von Depressionen,<br />
Panikstörungen, sozialen Phobien, generalisierten Angststörungen und Zwangsstörungen verwendet.<br />
Am Ende der Studie waren die Angstwerte in beiden Gruppen ähnlich gesunken, Medikamente und Achtsamkeitsübungen<br />
– beides wirkte gleich gut gegen Angststörungen & Co.<br />
Achtsamkeit bedeutet, dass wir innere und äußere Vorgänge mit ungeteilter, entspannter Aufmerksamkeit beobachten<br />
und »das ganze Bild« aufnehmen. Dazu sind vier Voraussetzungen wichtig:<br />
; Wir verlieren uns nicht in irgendeiner Tätigkeit, sondern tun etwas Bestimmtes ganz bewusst.<br />
; Wir lassen uns nicht ablenken und lassen auch keine Grübeleien, Zukunftssorgen & Co. zu.<br />
; Wir beurteilen oder bewerten nicht, was wir gerade wahrnehmen, auch wenn uns etwas bekannt vorkommt<br />
und sich vielleicht Vorurteile oder alte Erfahrungen ins Spiel drängen wollen.<br />
Illustration: AdobeStock/siraanamwong<br />
22 anderbar!<br />
www.wanderbares-deutschland.de/wanderbar
Achtsamkeit<br />
chtsamkeit<br />
Das Thema liegt<br />
ja schwer im Trend.<br />
Doch was genau ist mit<br />
Achtsamkeit gemeint?<br />
Bewusstes Nichtstun? Im<br />
Augenblick sein? Eine tiefe<br />
Verbindung zur Natur und<br />
zu sich selbst herstellen?<br />
Von Ulrich Pramann<br />
;<br />
Wir sind uns bewusst, dass wir immer auch falsch liegen können,<br />
und lassen zu, dass so gut wie alles auch aus einer anderen Perspektive<br />
betrachtet werden kann.<br />
Welche konkreten Vorteile können Achtsamkeitsübungen im Alltag bringen?<br />
Dr. Frederik Hümmeke, Unternehmer- und Businesscoach, erklärte bei Focus<br />
online: »Schon nach nur kurzer Zeit zeigt sich, dass das Default-Code-Netzwerk<br />
im Gehirn, also das Ruhezustandsnetzwerk, weniger aktiv wird, was für<br />
die allermeisten Menschen eine gute Entwicklung ist, denn bei vielen Menschen<br />
sorgt dieses System auch für negative Gedanken und Selbstzweifel.<br />
Diese werden weniger, wir sind mehr im Moment und weniger von Gedanken<br />
abgelenkt. Das kann zu mehr Präsenz führen. Ebenfalls reduziert sich die<br />
Aktivität der Amygdala, die als Alarmanlage des Gehirns für Stressreaktionen<br />
mitverantwortlich ist. Das führt zu einer Reduktion des Stresslevels,<br />
was sich auch positiv auf unser Immunsystem auswirkt.«<br />
Einfach mal nichts tun. Das hört sich so einfach an. Ein<br />
paar Stunden, vielleicht sogar einen Tag lang nur mal da sein, relaxen, die<br />
Zeit vergehen lassen, eine spontane Auszeit nehmen. Faultier spielen.<br />
Bei den meisten von uns ist es doch so: Termin folgt auf Termin. Deadlines<br />
im Nacken. Pflichten. Immer wieder das Piepen des Handys,<br />
E-Mails. Ein Reiz jagt den nächsten, kaum noch Pausen. Das kostet<br />
Nerven und Kraft, verdammt viel Kraft. Kein Wunder, wenn sich dann<br />
Erschöpfung einstellt, auch psychische Erschöpfung.<br />
Mach mal Pause – in unserer Leistungsgesellschaft ist dieser einfache<br />
Hinweis längst nicht mehr selbstverständlich. Einfach mal Nichtstun? Nichts<br />
Produktives zu leisten, das hat komischerweise einen negativen Touch bekommen.<br />
Viele sehen Nichtstun als reine Zeitvergeudung an.<br />
Dabei ist Muße, ein bisschen Pause zwischendurch unglaublich hilfreich für die psychische<br />
Gesundheit. Das bestätigt zum Beispiel auch Iris Hauth, sie ist Präsidentin<br />
der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und<br />
Nervenheilkunde, sie rät – wie viele – zu einer Korrektur des Lifestyles. Also auch mal<br />
unproduktive Pausen zulassen, um psychischer Erschöpfung vorzubeugen. Ja, es ist<br />
clever, wenn wir uns dafür die Erlaubnis geben. Wenn wir zwischendurch achtsam sind.<br />
Denn: »Achtsamkeit is merken, wat (in dir) los is«, so pragmatisch würde man es wohl im<br />
Ruhrpott ausdrücken.<br />
Wenn wir rausgehen in die Natur, wenn wir einfach mal die Seele baumeln lassen, wenn wir<br />
Zeit für uns selbst einräumen – das alles wirkt sich auch positiv auf den Blutdruck und unser Immunsystem<br />
aus. Nach Ruhepausen sind wir leistungsfähiger, daher ist diese Auszeit nicht verloren,<br />
sondern überaus nützlich. Zudem ist bewiesen, dass nach Ruhephasen oder bewusstem Abschalten<br />
die Kreativität steigt und wir leichter auf gute neue Ideen kommen. Bewusstes Nichtstun bereichert<br />
also. Und die höchste Form des bewussten Nichtstuns ist – Achtsamkeit.<br />
Allerdings: Wir können ja gar nicht nichts tun. Selbst wenn wir mal eine Stunde nur aus dem Fenster ins<br />
Grüne (oder Weiße) schauen oder in den Himmel starren, selbst wenn wir draußen im Wald tatsächlich<br />
achtsam einen Baum umarmen, wenn wir ganz bewusst bei uns sind, wenn wir Leere spüren, wenn wir<br />
einfach nur in uns gehen – dann passiert eine Menge mit uns. In dieser Zeit könnten sich vielleicht neue<br />
Ideen, wunderbare Idee entwickeln. Eine alte chinesische Weisheit lautet: »Beim Nichtstun bleibt nichts<br />
ungemacht.«<br />
Achtsam sein – wo ginge das besser als draußen in der Natur? Keine Ablenkungen, die Sinne sind<br />
hier besonders wach. Und ist es nicht so: Wer mal barfuß auf der Wurzel eines alten Baumes steht, findet vielleicht<br />
auch leichter zurück zu seinen eigenen Wurzeln.<br />
wanderbar! 02|23<br />
anderbar!<br />
23
Wanderziele<br />
Inselwanderungen<br />
Rügen ist eine Wanderdestination. Wer es nicht glaubt, darf sich gerne überraschen lassen.<br />
Rund 800 Kilometer ausgewiesene Wanderstrecken führen zu Hotspots und herrlich abseits<br />
gelegenen Fleckchen auf den drei Inseln Rügen, Ummanz und Hiddensee.<br />
24 anderbar! www.wanderbares-deutschland.de/wanderbar
Rügen<br />
Foto: AdobeStock/Lars Gieger<br />
Winterlicher Sonnenuntergang<br />
auf Hiddensee<br />
wanderbar! 02|23 25<br />
anderbar!
Wanderziele<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Gastgeber<br />
... fiinden Sie auf Seite 81!<br />
& Co.<br />
• • • • • • • • • • • • • Wanderfreundliche • • • • • • • • • • • • •<br />
• • • • • • • • • • • • •• Wandern, Reisen • • • • • • • • • • • • • •<br />
... fi<br />
Gastgeber<br />
inden Sie auf Seite 85!<br />
• • • • • • • • • • • • • Wanderfreundliche • • • • • • • • • • • • •<br />
INSELERLEBNISSE<br />
1 Wanderer auf dem<br />
Bodden-Panoramaweg.<br />
2 Großsteingrab im<br />
herbstlichen Buchenwald.<br />
3 An der Viktoriasicht<br />
über der Ostsee.<br />
4 Rast mit Boddenblick im<br />
Waldpark Semper bei Lietzow.<br />
26 anderbar! www.wanderbares-deutschland.de/wanderbar
Rügen<br />
Fotos: Tourismusverband Rügen e.V./Tiemann (2), Thomas Bichler (2); Text: Thomas Bichler<br />
* REGIONALER WANDERVEREIN: Wanderverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.<br />
CHON DIE ANFAHRT auf die größte deutsche<br />
Insel ist ein Erlebnis. Elegant schwingt sich<br />
die Rügenbrücke über den Strelasund.<br />
Links faszinieren die Türme der Weltkulturerbestadt<br />
Stralsund, über den Köpfen der 128 Meter<br />
hohe Pylon der Schrägseilbrücke der B96.<br />
Zur ersten Orientierung auf der Insel empfiehlt<br />
sich ein Abstecher zum nächsten Hafen, eine<br />
Bank am Wasser, ein Fischbrötchen in der Hand<br />
und eine Wanderkarte auf den Knien.<br />
Wo soll es zuerst hingehen? An die Bäderküste<br />
mit den traditionsreichen Seebädern Göhren,<br />
Baabe, Sellin und Binz, auf die Halbinseln Jasmund<br />
(mit dem Nationalpark und der berühmten<br />
Kreideküste) oder aufs stille Wittow – wo nur am<br />
Kap Arkona Trubel herrscht.<br />
DIE HAFENSTADT SASSNITZ überrascht mit ihrer<br />
schmucken »weißen Altstadt« mit charmanten<br />
Handwerksläden. Von der elegant geschwungenen<br />
Panoramabrücke in die Oberstadt lässt sich<br />
das maritime Treiben im von der fast 1,5 Kilometer<br />
langen Außenmole gut geschützten Hafen beobachten.<br />
Die Residenz- und Rosenstadt Putbus<br />
hat ihren Charme Fürst Malte I. zu verdanken. Er<br />
baute nicht nur die jüngste Stadt der Insel zur Residenz<br />
aus, sondern ließ auch das Fischerdörfchen<br />
Lauterbach zum ersten Seebad Pommerns<br />
umbauen. An den Erwerb der Putbuser Wohnhäuser<br />
war die bis heute akzeptierte Verpflichtung<br />
geknüpft, vor den Häusern<br />
stets Rosenstöcke zu pflanzen.<br />
DAS INSELHERZ schlägt rund um<br />
Bergen auf Rügen. In der stillen<br />
Landschaft zwischen verzweigten<br />
Boddenarmen, Wäldern und herrlich<br />
weiten Wiesen und Feldflächen<br />
verläuft der »Bodden-Panoramaweg«.<br />
Von Neuenkirchen geht es<br />
auf dem Qualitätswanderweg Wanderbares<br />
Deutschland entlang aussichtsreicher<br />
Hochufer in den Festspielort<br />
Ralswiek, ins beschauliche<br />
Lietzow und durch faszinierende<br />
Feuersteinfelder bis zur Ostsee ...<br />
Schuhe ausziehen, den weichen<br />
Sand zwischen den Fußzehen spüren<br />
und beim wohlverdienten Dösen<br />
am Strand den Fährschiffen im<br />
Neu Mukraner Hafen beim Ein- und<br />
Auslaufen zuschauen.<br />
AUSGEDEHNTE LAUBWÄLDER sind das Aushängeschild<br />
des Nationalparks Jasmund. Berühmter<br />
ist der kleinste Nationalpark Deutschlands jedoch<br />
für seine strahlend weißen Kreideklippen<br />
über der grün-blau schimmernden Ostsee.<br />
Ein Postkartenanblick folgt auf dem Hochuferweg<br />
zwischen Sassnitz und der Stubbenkammer<br />
dem nächsten. Neuer Höhepunkt ist ein freischwebender<br />
Skywalk über dem 118 Meter hohen<br />
Königsstuhl.<br />
Wer noch mehr Bäume beim Wandern über seinem<br />
Kopf haben möchte, der setzt auch die<br />
Wälder der Goor und der Granitz auf seine Favoritenliste.<br />
In Letzterer verstecken sich das Jagdschloss,<br />
quasi das Neuschwanstein Rügens, und<br />
zahlreiche geheimnisumwitterte Großsteingräber<br />
aus der Jungsteinzeit.<br />
DA MAN AUF EINER INSEL unterwegs ist, können<br />
90 Kilometer Sand- und Naturstrände und 85 Kilometer<br />
Hochufer für ausgiebige Touren genutzt<br />
werden – und das von Frühling bis Winter. Im<br />
Sommer verspricht die stete Brise Abkühlung. Im<br />
Herbst und Winter ist die Luft herrlich klar und<br />
frisch. Immer am Wasser entlang, mit dem Rauschen<br />
der Wellen im Ohr, lohnt es sich tief einzuatmen.<br />
Die Meeresluft und das milde Reizklima<br />
an den Küsten sind besser als jede Kur. Auf Rügen,<br />
Ummanz und Hiddensee werden die Lungen<br />
durchgepustet.<br />
INFO ><br />
RÜGEN<br />
BODDEN-PANORAMAWEG<br />
Qualitätswanderweg Wanderbares<br />
Deutschland über 24 km,<br />
1 – 2 Etappen, von Neuenkirchen<br />
über Ralswiek und Lietzow nach<br />
Mukran bei Sassnitz.<br />
MEGAMARSCH<br />
Wer es beim Laufen gern auch<br />
einmal ausgefallener mag, darf<br />
sich über eine neue Veranstaltung<br />
auf der Insel Rügen freuen. Die<br />
Hundert24 GmbH organisiert im<br />
Oktober 2024 einen Megamarsch.<br />
50 km in 12 Stunden – wenn das<br />
keine Herausforderung ist!<br />
WANDERFRÜHLING 2024<br />
Das erste Dutzend wird voll! Der<br />
Rügener Wanderfrühling findet<br />
2024 zum 12. Mal unter dem Motto<br />
»Wandertage auf der Insel Rügen«<br />
statt. Im April 2024 möchten Gastgeber,<br />
touristische Dienstleister<br />
und der Tourismusverband Rügen<br />
ihren Gästen erneut eine Vielzahl<br />
von geführten Wandertouren in<br />
den Regionen der Insel Rügen<br />
anbieten. Neben Bewegung an frischer<br />
Luft in der Natur soll es auch<br />
wieder spannende Erlebnisse rund<br />
um die Themen Flora und Fauna,<br />
Geschmack und Entdeckungen<br />
sowie Historie und Entwicklung<br />
geben. Eine gute Gelegenheit für<br />
Erstbesucher, die Insel und ihre<br />
Wanderwege kennenzulernen.<br />
MEHR INFOS*:<br />
Tourismusverband Rügen e.V.,<br />
Markt 25, 18528 Bergen auf Rügen,<br />
Tel. +49 3838 807780;<br />
www.ruegen.de/aktiv-und-natur/<br />
wandern<br />
wanderbar! 02|23 anderbar! 27
Special<br />
56 anderbar!<br />
www.wanderbares-deutschland.de/wanderbar
Foto: AdobeStock/Natalia<br />
Der Traum<br />
vom Winter<br />
Ein Engelchen im Schnee, eine Landschaft in weißer Pracht, eine ausgelassene<br />
Schneeballschlacht – was lösen solche Bilder in unseren<br />
Köpfen aus? Gute Gefühle. Denn Schnee steht für Reinheit,<br />
für Schönheit. »Der Schnee hilft uns, uns wieder<br />
mit allen Sinnen zu verbinden. Ich rieche den<br />
Schnee, ich schmecke ihn, fühle ihn«, sagt<br />
die Psychologin und Glücksforscherin<br />
Dr. Melanie Hausler aus Innsbruck.<br />
Wenn alle Sinne im Spiel sind, ist<br />
das sehr wertvoll für unsere<br />
Achtsamkeit. Und, wie wunderbar<br />
: erst Bewegung inmitten<br />
weißer Pracht, dann heimkommen,<br />
einen Tee oder<br />
Kakao, gemütlich auf<br />
die Couch – ach, ein<br />
Wintertraum.<br />
wanderbar! 02|23 anderbar! 57
Special<br />
58 anderbar!<br />
www.wanderbares-deutschland.de/wanderbar
... besonders wenn es<br />
weihnachtet<br />
Wie romantisch: Wenn der<br />
erste Schnee gefallen ist, wenn<br />
die besinnliche Zeit anbricht,<br />
lösen vor allem auch Weihnachtsmärkte<br />
heimelige Gefühle aus.<br />
Besonders stimmungsvoll präsentiert<br />
sich der Weihnachtsmarkt unter<br />
dem 40 Meter hohen Eisenbahnviadukt<br />
der Höllentalbahn in<br />
der Ravennaschlucht bei Breitnau<br />
im Hochschwarzwald (noch bis<br />
zum 23. Dezember).<br />
Foto: Hochschwarzwald Tourismus GmbH<br />
wanderbar! 02|23 anderbar! 59
Interview<br />
Mildere Winter, weniger Schneetage,<br />
steigende Schneefallgrenzen – natürlich<br />
ist besonders auch die Tourismusbranche<br />
vom Klimawandel betroffen. Vor welchen<br />
Herausforderungen stehen Wintersportgemeinden?<br />
Wie wollen sie Probleme nachhaltig lösen?<br />
Verschneite Berge, unberührte Landschaften, mondstille<br />
Nächte: Solche Bilder stimmen immer weniger mit der<br />
Realität überein. Denn es sind Kunstschneepisten, Schneekanonen<br />
und Speicherseen nötig, um das zu gewährleisten, was<br />
Touristen im Winter wünschen und womit Touristiker werben:<br />
Schneesicherheit.<br />
Tatsächlich ist heutzutage vieles planbar. In Tirol zum Beispiel<br />
können bis zu drei Viertel der Pisten beschneit werden. Das<br />
hat allerdings seinen Preis. Der Verbrauch von Energie und<br />
Wasser steigt mit wachsendem Bedarf ständig weiter an. Und<br />
das Wasser, das als künstlicher Schnee auf Pisten liegt, fehlt<br />
andernorts. Etwa im sensiblen Ökosystem für Tiere und Pflanzen.<br />
Es fehlt aber auch in den Löschtanks der Feuerwehr, oder<br />
in den Haushaltungen der Wintersportgebiete. Mehr noch: Im<br />
trockenen Vorwinter herrscht Waldbrandgefahr, während die<br />
Schneekanonen gleichzeitig Schnee produzieren.<br />
Die Studie »Der gekaufte Winter« zeigt den enormen Energieund<br />
Wasserbedarf, um Schnee zu produzieren. Ungefähr eine<br />
Million Euro kostet ein Pistenkilometer künstlich produzierter<br />
Schnee – für Schneekanonen, Strom und Transport. Denn<br />
Lkws, Helikopter und Pistenbullys & Co. müssen die weiße<br />
Fracht ja auch verteilen.<br />
Welche Destinationen können sich künftig noch die teure Infrastruktur<br />
leisten? Wann ist Wintertourismus nicht mehr wirtschaftlich,<br />
wann wird Wintersport zum Luxus? Sollte Schneesicherheit<br />
weiterhin ein Thema sein, oder lohnt es sich viel<br />
mehr, in Alternativen zu investieren, um weniger abhängig<br />
vom Schnee zu sein?<br />
»Schneesicher? Sicher nicht. Perspektiven für den Wintertourismus<br />
in den Alpen« – unter diesem Motto trafen sich<br />
unlängst über 100 Touristiker zu einer Fachtagung in Bad Hindelang<br />
(Allgäu), um über mögliche Strategien zu diskutieren.<br />
Zum Gedankenaustausch hatte das internationale Gemeindenetzwerk<br />
»Allianz in den Alpen« geladen, ein Zusammenschluss<br />
von aktuell 307 alpinen Gemeinden (aus Frankreich,<br />
Schneemangel<br />
– ja, und dann?<br />
Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Italien,<br />
Slowenien und Deutschland). Die Allianz<br />
in den Alpen besteht seit 1997. wanderbar!-Herausgeber<br />
Ulrich Pramann sprach<br />
mit Katharina Gasteiger aus Übersee am<br />
Chiemsee, die seit elf Jahren Geschäftsführerin der »Allianz<br />
in den Alpen« ist.<br />
Wie war die Stimmung im Saal, als die Tourismusexperten<br />
zwei Tage lang tagten?<br />
Katharina Gasteiger: Die Stimmung war gut. Ich habe als<br />
Moderatorin sehr viel Nicken gesehen. Tatsächlich treibt das<br />
Thema die Tourismusregionen gerade auch sehr um.<br />
Wie kam denn das Thema Schneemangel auf die Agenda?<br />
Wir wollen uns im Netzwerk regelmäßig austauschen und<br />
einen Diskurs der lokalen Akteure anregen. Seit einem Jahr<br />
sind wir im EU-Projekt »BeyondSnow« als Partner involviert.<br />
Dieses Projekt soll innovative Ideen fördern und die Resilienz<br />
von Destinationen gegenüber dem Schneemangel steigern.<br />
Balderschwang im Allgäu ist eine der Pilotregionen im Projekt,<br />
die höchstgelegene Gemeinde Deutschlands galt bisher<br />
als Schneeloch. Jedoch ist auch hier eine klimatische<br />
Veränderung angekommen und Winter mit wenig bis keinem<br />
Schnee gehören zur neuen Realität.<br />
Was ist zu tun, wenn es an Schnee mangelt?<br />
Es gibt noch nicht so viele gute Beispiele, dass man sagen<br />
kann: Schaut’s her, Gemeinde A hat es so gemacht und<br />
Gemeinde B so, und die sind jetzt damit seit zehn Jahren<br />
erfolgreich unterwegs. Damit sich das ändert sind wir in<br />
BeyondSnow beteiligt. Gleichzeitig können wir schon jetzt<br />
sagen, dass eine aktive Beteiligung von Bürger*innen und<br />
Stakeholder meist erfolgreiche Aktivitäten hervorbringt.<br />
Seit wann ist das Thema Schneemangel virulent, also ein<br />
großes Thema für die Gemeinden?<br />
Der Klimawandel und veränderte Wetterbedingungen – das<br />
ist bei den Gemeinden natürlich schon seit Jahrzehnten auf<br />
dem Tableau. Es fängt an, jetzt akut zu werden. Der letzte Winter<br />
hat das extrem angefeuert. Alle erleben ja, dass der Winter<br />
immer schlechter kalkulierbar wird. Aber in den letzten Jahren<br />
stand in unserem Netzwerk ein anderes Thema im Vordergrund,<br />
nämlich das Spannungsfeld zwischen Naherholung und Besucherandrang<br />
und die Frage: Wie kann man Besucher und Natur<br />
60 anderbar! www.wanderbares-deutschland.de/wanderbar
Foto: privat; Text: Ulrich Pramann<br />
»Es braucht Mut, neue Wege zu<br />
beschreiten und für den Winter<br />
Angebote aufzubauen, die auch mit weniger<br />
oder ohne Schnee auskommen. Doch es<br />
erfordert zusehend auch immer mehr Mut,<br />
sich alleine auf den Schnee zu verlassen<br />
und auf ihn angewiesen zu sein.«<br />
Fazit der Fachtagung »Schneesicher? Sicher nicht«<br />
in Einklang bringen und das Gleichgewicht zwischen Tourismus<br />
und Lebensqualität erhalten, damit die Regionen durch den<br />
Tourismus – Stichwort Overtourism – nicht ausbluten.<br />
Ausbluten – was meinen Sie damit?<br />
Wenn in einer touristisch stark entwickelten Gemeinde der Fokus<br />
allein auf das Wohl des Gastes ausgerichtet ist, wenn so<br />
gut wie keine Veranstaltungen oder Aktivitäten mehr für die<br />
Einheimischen stattfinden, kann ihnen das einen wichtigen<br />
Teil des soziales Lebens nehmen und Akzeptanz gefährden.<br />
Man muss darauf achten, dass Einheimische und Gäste gut<br />
koexistieren und sich im besten Fall gegenseitig bereichern.<br />
Können Sie ein Beispiel nennen?<br />
Ja, Bad Hindelang. In der Gemeinde liegt der Fokus klar auf<br />
den Einheimischen, und der Gast soll und kann sich als Einheimischer<br />
auf Zeit fühlen – und nicht umgekehrt.<br />
Sind Einheimische, die sich mit dem Tourismus wohlfühlen,<br />
also bessere Gastgeber?<br />
Ja. Das spricht natürlich<br />
auch eine<br />
andere Art<br />
von Gast<br />
an,<br />
Interview mit Katharina Gasteiger<br />
nämlich den, der authentische<br />
Erlebnisse schätzt. Zum Beispiel<br />
Baumpflanzaktionen, Ausflüge zur<br />
Sennerin auf die Alpe oder vom Hotelier<br />
geführte Wanderungen – so etwas<br />
schätzen Gäste.<br />
Welche der Sorgen werden besonders diskutiert?<br />
Was passiert mit der bestehenden Winterinfrastruktur,<br />
in die massiv investiert wurde? Die muss sich ja<br />
amortisieren, ein rascher Ausstieg ist da kaum möglich.<br />
Die Message war nicht: Wir müssen ab sofort unabhängig<br />
vom Wintertourismus sein.<br />
Sondern?<br />
Es läuft solange es läuft. Man muss sich der Problematik bewusst<br />
sein und einen Transformationsprozess in der eigenen<br />
Destination starten. Also keine Investitionen in die Infrastruktur<br />
mehr, eine nachhaltige Tourismus-Strategie entwickeln,<br />
neue touristische und wirtschaftliche Standbeine aufbauen<br />
für eine Zeit, wenn der Wintersport nicht mehr angeboten<br />
werden kann. Wichtig ist auch, die Infrastruktur ganzjährig zu<br />
nutzen, also ebenso in den Sommermonaten attraktive Angebote<br />
am Berg zu schaffen.<br />
Gibt es dazu seriöse Untersuchungen?<br />
Fest steht: Die idealen Schneetage werden weniger. Besonders<br />
stark zugenommen hat die Schneearmut unterhalb von<br />
1300 m Höhe, was niedrig gelegene Gebiete hart trifft. CIPRA<br />
Deutschland, ein Verband von Naturschutz-Organisationen<br />
im bayerischen Alpenraum, hat aktuelle Studien aus der Tourismuswissenschaft<br />
im Dossier »Facts4Tourism« aufbereitet.<br />
Darunter auch zu dem so wichtigen Thema Resilienz.<br />
Welche Alternativen zeichnen sich ab?<br />
Skitourengehen in höheren Lagen, oder Winterwandern –<br />
diese naturnahen Aktivitäten werden immer populärer. Hier<br />
braucht es besonders gute Maßnahmen zur Besucherlenkung<br />
und Umweltbildung, um die Tiere in ihren Ruhezonen<br />
nicht zu stören. Viele Gemeinden setzen vermehrt auf Ganzjahrestourismus,<br />
auf Kultur und Kulinarik und bauen die Wanderinfrastruktur<br />
aus.<br />
Welchen Stellenwert wird in Zukunft Winterwandern haben?<br />
Ich habe dazu keine Zahlen, aber ich vermute: einen deutlich<br />
höheren.<br />
Weiß man, was der Gast erwartet, wenn der Schnee fehlt?<br />
Das »BeyondSnow«-Projekt wird dazu ab Dezember <strong>2023</strong><br />
eine entsprechende Umfrage in den Pilotregionen starten.<br />
Worauf sollten sich Wintergäste einstellen?<br />
Sie sollten flexibel und offen sein, um ihre Urlaubsregion so<br />
zu erleben, wie sie ist. So etwas wie Schneesicherheit gibt<br />
es in den bayerischen Alpen nicht, d. h. Gäste sollten die<br />
Schönheit der Landschaft so annehmen, wie sie sich aktuell<br />
präsentiert. Im Winter können Wanderungen auch durch eine<br />
karge Bergwelt etwas sehr schönes, beruhigendes sein. Und<br />
immer beliebter wird die Kombination aus Mountainbike und<br />
Schneeschuhen ab der Schneefallgrenze.<br />
wanderbar! 02|23<br />
anderbar!<br />
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