KIWI-Journal 20: Prävention und Partizipation - Die Schlüssel zum gelebten KIWI-Schutzkonzept
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<strong>20</strong> |<br />
Dezember <strong>20</strong>23<br />
PRÄVENTION UND<br />
PARTIZIPATION<br />
DIE SCHLÜSSEL ZUM GELEBTEN<br />
<strong>KIWI</strong>-SCHUTZKONZEPT
„Das Kind hat das Recht, ernst genommen,<br />
nach seiner Meinung <strong>und</strong> seinem Einverständnis<br />
gefragt zu werden.“<br />
– Janusz Korczak<br />
2
Editorial<br />
Liebe Leser*innen!<br />
Zu Beginn eine vielleicht provokante These:<br />
Jedes herausfordernde „Nein!“ eines Kindes<br />
sollte auch ein Gr<strong>und</strong> zur Freude für uns Erwachsene<br />
sein. Immerhin: Dass Kinder angstfrei ihre Meinung,<br />
ihre Bedürfnisse <strong>und</strong> Gefühle ausdrücken, war nicht immer<br />
eine Selbstverständlichkeit <strong>und</strong> ist es vielerorts noch immer<br />
nicht. Es bedarf dazu einer Umgebung, in der junge Menschen<br />
sich sicher <strong>und</strong> wertgeschätzt fühlen.<br />
Eine solche Umgebung zu schaffen, sollte gesamtgesellschaftlich<br />
ein Anliegen sein <strong>und</strong> ist jedenfalls unser Ziel als Kindergarten<strong>und</strong><br />
Hortträger. Tatsächlich ist die Kompetenz von Kindern, sich<br />
selbstbewusst zu artikulieren, einer der wichtigsten Beiträge <strong>zum</strong><br />
nachhaltigen Kinderschutz. Wenn Kinder in der Lage sind, ihre<br />
Gefühle <strong>und</strong> Bedürfnisse bzw. das, was sie stört, selbst anzusprechen,<br />
unterstützt das ganz unmittelbar die <strong>Prävention</strong> von Gewalt.<br />
In Kindergärten <strong>und</strong> Horten wird diese Fähigkeit u. a. dadurch<br />
vermittelt <strong>und</strong> vertieft, dass Kinder in möglichst viele Entscheidungen<br />
des pädagogischen Alltags eingeb<strong>und</strong>en werden, also<br />
<strong>Partizipation</strong> (er-)leben. Wie solche Teilhabe aussehen kann,<br />
ist eine der Leitfragen in dieser Ausgabe des <strong>KIWI</strong>-<strong>Journal</strong>s. Ein<br />
wesentlicher Bezugspunkt ist dabei eben auch das <strong>KIWI</strong>-<strong>Schutzkonzept</strong>,<br />
das wir zwischen <strong>20</strong><strong>20</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>23 in Kooperation mit<br />
der Akademie des Kinderschutzzentrums die möwe entwickelt<br />
haben bzw. kontinuierlich weiterentwickeln: Ganzheitlich<br />
gedacht <strong>und</strong> alle Beteiligten einbeziehend, misst es der Idee der<br />
<strong>Partizipation</strong> zentrale Bedeutung bei.<br />
<strong>Die</strong> Beiträge kommen wie gewohnt aus Theorie <strong>und</strong> Praxis<br />
gleichermaßen. Hintergründe zur Verbindung von Kinderschutz<br />
<strong>und</strong> Kinderrechten liefert zunächst Mag. Sebastian Öhner,<br />
Rechtsreferent der Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft Wien. Es<br />
folgen zwei Beiträge von Partner*innen <strong>KIWI</strong>s: Zum einen konnte<br />
Mag. a Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin <strong>und</strong> fachliche Leiterin<br />
der Kinderschutzorganisation die möwe, für ein Interview mit<br />
der externen <strong>KIWI</strong>-Qualitätsentwicklerin Mag.a Lisa Kneidinger<br />
gewonnen werden. Zum anderen stellt Birgit Schober-Trotz, BA,<br />
die von ihr mitgeleitete „Kompetenzstelle Kinderschutz Elementarpädagogik“<br />
der Wiener Magistratsabteilung 11 (Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugendhilfe) vor.<br />
<strong>Die</strong> Entstehungsgeschichte des heute an allen Standorten aufliegenden<br />
<strong>KIWI</strong>-<strong>Schutzkonzept</strong>s aus Sicht der Organisation steht<br />
im Zentrum eines weiteren Interviews, das<br />
Mag. a Lisa Kneidinger unmittelbar mit uns<br />
als <strong>KIWI</strong>-Geschäftsführenden führte.<br />
Den Teil mit Praxisschwerpunkt eröffnet ein Beitrag<br />
von Tamara Fichtinger, BA, pädagogische Fachberaterin <strong>und</strong><br />
unabhängige Kinderschutzbeauftragte bei <strong>KIWI</strong>. Ausgehend von<br />
ihren Erfahrungen aus der Begleitung von Teams wird die Frage<br />
untersucht, inwieweit der reflektierte Umgang mit der eigenen<br />
Lebensgeschichte bei Fachkräften Voraussetzung für eine<br />
schutzorientierte professionelle Haltung ist. Abschließend erläutert<br />
<strong>KIWI</strong>-Kindergartenleiterin Manuela Kössler anhand einer<br />
Gruppensprecher*innen-Wahl, wie Kinder sich im „Mikrokosmos<br />
Kindergarten“ demokratische Prozesse aneignen, <strong>und</strong> <strong>KIWI</strong>-Hortleiterin<br />
Anja Fischer stellt Konzepte vor, die junge Menschen<br />
dabei unterstützen, zu einem achtsamen Umgang mit eigenen<br />
Gefühlen zu finden.<br />
Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen!<br />
Mag. a Gudrun Kern Thomas-Peter Gerold-Siegl, MBA<br />
Geschäftsführerin<br />
Geschäftsführer<br />
Pädagogische Leitung <br />
Wirtschaftliche Leitung<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Kinderrechte <strong>und</strong> Kinderschutz – das gleiche Paar Schuhe 4<br />
Kindliche Explorationsfreude stärkt den Kinderschutz 8<br />
Kinderschutz 2.0 14<br />
Dass <strong>Schutzkonzept</strong> – Ein Miteinander auf Augenhöhe <strong>20</strong><br />
Leuchtturm sein 28<br />
<strong>Partizipation</strong> lässt Kinder selbstbewusst werden 32<br />
Kinder haben das Recht auf ein „Nein“ 36<br />
Buchrezensionen42<br />
3
Kinderrechte <strong>und</strong> Kinderschutz:<br />
Das gleiche Paar Schuhe<br />
Handlungssicher sein im Umgang mit Kinderschutzfragen<br />
Kinderrechte <strong>und</strong> Kinderschutz haben im vergangenen<br />
Jahr viel Aufmerksamkeit bekommen. Man<br />
kann sogar sagen, dass die Kinderrechte beim<br />
Kinderschutz vielleicht langsam beginnen, aus den<br />
„Kinderschuhen“ hinauszuwachsen <strong>und</strong> im öffentlichen<br />
Diskurs ihren Platz erhalten.<br />
Mag. Sebastian Öhner<br />
Mag. Sebastian Öhner<br />
Sebastian Öhner ist Rechtsreferent der Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugendanwaltschaft Wien. Zusätzlich ist Sebastian<br />
Öhner Vorstandsmitglied der Österreichischen Liga für<br />
Menschenrechte <strong>und</strong> betreibt den Rechtsblog „überzuckert<br />
– Tagesgeschehen rechtlich verstehen“.<br />
4
Children’s rights and child protection: T<br />
he same pair of shoes<br />
Be confident in dealing with child protection issues<br />
Children’s rights and child protection have received<br />
a lot of attention in the past year. It can even be<br />
said that children’s rights in child protection are<br />
perhaps slowly beginning to grow out of their<br />
„infancy“ and gain a place in public discourse.<br />
Kinderrechte <strong>und</strong> Kinderschutz haben<br />
im vergangenen Jahr viel Aufmerksamkeit<br />
bekommen. Man kann sogar sagen,<br />
dass die Kinderrechte beim Kinderschutz<br />
vielleicht langsam beginnen, aus den<br />
„Kinderschuhen“ hinauszuwachsen.<br />
Passend dazu wurde in der 19. Ausgabe<br />
des <strong>KIWI</strong>-<strong>Journal</strong> ein sehr informativer<br />
Text <strong>zum</strong> Thema „Einführung ins <strong>Schutzkonzept</strong>“<br />
veröffentlicht (<strong>KIWI</strong>-<strong>Journal</strong><br />
19/<strong>20</strong>23, 24ff). Der vorliegende Text<br />
befasst sich noch einmal mit den Gr<strong>und</strong>lagen<br />
des <strong>Schutzkonzept</strong>es. Es geht um<br />
Kinderrechte <strong>und</strong> ihre Verbindung <strong>zum</strong><br />
Kinderschutz.<br />
konnten also meist nur von anderen<br />
(Erwachsenen) geschützt werden <strong>und</strong><br />
hatten keine eigenen Rechte, auf die sie<br />
sich berufen konnten. <strong>Die</strong> Tatsache, dass<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche durch die Kinderrechtskonvention<br />
eigene Rechte haben, ist<br />
dabei alles andere als zu unterschätzen.<br />
<strong>Die</strong> Kinderrechte entstammen der<br />
Kinderrechtskonvention (KRK). <strong>Die</strong> KRK<br />
ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der<br />
zwischen Staaten abgeschlossen wurde,<br />
<strong>und</strong> die allgemeine Erklärung der Menschenrechte<br />
in Hinblick auf Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendliche noch einmal konkretisierte.<br />
Alle Staaten, die sich an den Vertrag<br />
geb<strong>und</strong>en haben, müssen insbesondere<br />
drei Dinge beachten: Sie haben die Verpflichtung<br />
zu schützen (Protection), die<br />
notwendigen Ressourcen bereitzustellen<br />
(Provision) <strong>und</strong> die Beteiligung von<br />
Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen sicherzustellen<br />
(<strong>Partizipation</strong>). Abgekürzt wird dabei vom<br />
PPP-Prinzip gesprochen (Grabenwarter<br />
in Berka; Grabenwarter; Weber, 30; vgl.<br />
Schmahl, Kinderrechtskonvention2 Einleitung,<br />
Rz 31.).<br />
Das Leitprinzip der Kinderrechte ist das<br />
Kindeswohl, oder übersetzt aus dem Eng-<br />
Kinderrechte <strong>und</strong> Kindeswohl<br />
als Gr<strong>und</strong>lage<br />
Kinderrechte gibt es mittlerweile seit<br />
knapp über 30 Jahren (Übereinkommen<br />
über die Rechte des Kindes samt<br />
Vorbehalten, Erklärungen, idF BGBl III<br />
178/<strong>20</strong><strong>20</strong>). Vor dem Bestehen der Kinderrechte<br />
waren Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />
vorwiegend „Schutzobjekte“ (Schmahl,<br />
Kinderrechtskonvention mit Zusatzprotokollen2,<br />
<strong>20</strong>17, Einleitung Rz 2). Sie<br />
© Bernadette Votruba – Ein Bilderbuch mit Aussagen <strong>und</strong> Illustrationen einer Kinderprojektgruppe<br />
der Heinrich-Collin-Straße<br />
5
lischen „das beste Interesse des Kindes“.<br />
Es handelt sich dabei um einen absichtlich<br />
dynamischen – also nicht genau<br />
definierten – Begriff (vgl. Fuchs; Wielinger,<br />
<strong>20</strong>11). Das ist notwendig, weil aus kinderrechtlicher<br />
Sicht immer die Gesamtsituation<br />
zu berücksichtigen ist, um zu<br />
wissen, was dem Kindeswohl entspricht.<br />
Das Kindeswohl wirkt sich dabei auf alle<br />
Situationen aus, die mit Kindern <strong>und</strong><br />
Jugendlichen zu tun haben. Es kann also<br />
sowohl Fragen in der Familie wie „Welchen<br />
Sport möchte ich als Kind machen?“<br />
bis hin zu Fragen in der Politik wie „Worauf<br />
muss geachtet werden, damit ein<br />
Gesetz dem Kindeswohl entspricht?“ sein.<br />
Das Kindeswohl ist also immer wichtig<br />
(vgl. Art 1 BVG Kinderrechte).<br />
Kinderrechte sind für alle Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendlichen wichtig. Sie sollen – aus<br />
einer rechtlichen Perspektive – das<br />
gesamte Leben von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
erfassen (vgl. Schmahl, <strong>20</strong>17, 28ff).<br />
<strong>Die</strong> Kinderrechte müssen von Geburt des<br />
Kindes an berücksichtigt werden. Deswegen<br />
ist es besonderes entscheidend, sie<br />
auch in der Elementarpädagogik schon<br />
heranzuziehen.<br />
auch das B<strong>und</strong>esverfassungsgesetz über<br />
die Rechte von Kindern (BVG Kinderrechte)<br />
zu erwähnen. Als Verfassungsgesetz ist<br />
es in der österreichischen Rechtsordnung<br />
besonders wichtig <strong>und</strong> setzt den Maßstab<br />
für alle anderen Gesetze, die Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendliche betreffen. Der Gewaltschutz<br />
steht in Artikel 5 BVG Kinderrechte (Art 5<br />
BVG Kinderrechte). Auch in dieser Bestimmung<br />
ist der Schutz von Kindern vor allen<br />
Formen von Gewalt das Ziel (ErlRV 413<br />
BlgNR 18. GP, 2.). In der Erziehung ist das<br />
Gewaltverbot in Österreich schon seit<br />
1989 gesetzlich verankert. Damit war<br />
Österreich auch weltweit unter den Vorreitern<br />
(https://www.gewaltinfo.at/recht/<br />
gewaltschutzgesetz). Das Gesetz – konkret<br />
§ 137 Abs. 2 Satz 2 des Allgemeinen<br />
bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) – gilt<br />
jedoch nur für den familiären Bereich (§<br />
137 Abs. 2 Satz 2 ABGB). Außerhalb der<br />
Familie gibt es jedoch Lücken im Gewaltschutz.<br />
Kinderschutzkonzepte sind nun<br />
unter anderem dazu da, genau diese<br />
Lücken zu schließen.<br />
Weil es das Kinderrecht auf Schutz vor<br />
allen Formen von Gewalt gibt, braucht es<br />
in allen Bereichen, bei denen mit Kindern<br />
<strong>und</strong> Jugendlichen gearbeitet wird, spezifische<br />
Maßnahmen. In Artikel 19 der KRK<br />
wird festgeschrieben, dass <strong>zum</strong> Kinderschutz<br />
„Maßnahmen zur Aufdeckung,<br />
Meldung, Weiterverweisung, Untersuchung,<br />
Behandlung <strong>und</strong> Nachbetreuung“<br />
von Gewalt gehören (vgl. Art. 19 KRK). Da<br />
genau diese Aspekte auch Teil von Kinderschutzkonzepten<br />
sind, ist die unmittelbare<br />
Verbindung zu den Kinderrechten<br />
eindeutig. <strong>Die</strong> mit den Kinderschutzkonzepten<br />
verb<strong>und</strong>enen Fortbildungen sind<br />
als „Bildungsmaßnahmen“ ebenfalls eng<br />
mit der kinderrechtlichen Gewaltschutzbestimmung<br />
verb<strong>und</strong>en. Zu guter Letzt<br />
hat auch das geänderte Wiener Kindergartengesetz<br />
(WKGG) auf die KRK Bezug<br />
genommen <strong>und</strong> festgelegt, dass Kindergärten<br />
„im Rahmen ihrer Aufgaben zur<br />
Umsetzung des Übereinkommens über<br />
die Rechte des Kindes (…) beizutragen“<br />
haben (§ 1a Abs. 1 WKGG).<br />
Kinderschutz <strong>und</strong><br />
Kinderrechte: Eine<br />
enge Verbindung<br />
Nicht neu, aber stärker behandelt wurde<br />
in den letzten Jahren die Verbindung zwischen<br />
Kinderrechten <strong>und</strong> Kinderschutz.<br />
Bei Kinderschutz handelt es sich vorwiegend<br />
um Fragen des Gewaltschutzes.<br />
Auch dieser ist in der KRK stark verankert.<br />
Artikel 19 sagt hier, dass „alle geeigneten<br />
Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial<strong>und</strong><br />
Bildungsmaßnahmen“ getroffen<br />
werden müssen, um das Kind vor jeder<br />
Form von Gewalt zu schützen (Art 19 KRK).<br />
Was gesetzliche Maßnahmen angeht, ist<br />
Univ-Prof. Dr. Hans Czermak (1913 – 1989), der persönlich <strong>und</strong> mit seinem „Verein für<br />
gewaltlose Erziehung“ beharrlich dafür gearbeitet hat, dass das gesetzliche Gewaltverbot<br />
in der Erziehung im Jahre 1989 in das ABGB aufgenommen wurde.<br />
6
Kinderrechte <strong>und</strong><br />
Kinderschutz beleben<br />
Kinderschutz ist also ein – sehr essentieller<br />
– Teil der Kinderrechte (vgl. Schmahl<br />
auf „<strong>Prävention</strong> of harm for children“<br />
als viertes „P“ der Kinderrechtskonvention).<br />
Wenn man <strong>zum</strong> Thema Kinderschutz<br />
arbeitet, hat das somit immer<br />
auch etwas mit den Kinderrechten zu<br />
tun. Umgekehrt ist es genauso für den<br />
Kinderschutz wichtig, über die Kinderrechte<br />
Bescheid zu wissen. Nur wenn alle<br />
betroffenen Personen, egal, ob es sich um<br />
Kinder, Erziehungsberechtigte oder auch<br />
Pädagog*innen handelt, über die Rechte<br />
von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen Bescheid<br />
wissen, kann auch der Kinderschutz gut<br />
gelingen. <strong>Die</strong> Kinderrechte bieten die<br />
Basis, um im Kinderschutz gut handeln<br />
zu können. Das Kindeswohl muss bei<br />
allen Fragestellungen immer im Zentrum<br />
stehen. Dabei ist die Perspektive des Kindes<br />
immer als wichtigster Gradmesser in<br />
die Entscheidungen miteinzubeziehen.<br />
© Bernadette Votruba - Ein Bilderbuch mit Aussagen <strong>und</strong> Illustrationen einer Kinderprojektgruppe<br />
der Heinrich-Collin-Straße<br />
<strong>Die</strong> Kinderrechte auf Kinderschutz sind<br />
dann gewährleistet, wenn alle betroffenen<br />
Personen über die Rechte von<br />
Kindern Bescheid wissen, handlungssicher<br />
im Umgang mit Kinderschutzfragen<br />
sind <strong>und</strong> Kinder <strong>und</strong> Jugendliche die<br />
Möglichkeit haben, ihre Meinung effektiv<br />
einbringen zu können. <strong>Die</strong> Kinderschutzkonzepte<br />
sind eine sehr gute Gr<strong>und</strong>lage,<br />
um genau diese kinderrechtlichen Ziele<br />
zu erreichen. Es müssen sich also alle<br />
die „Kinderrechts-Schuhe“ anziehen<br />
<strong>und</strong> gemeinsam auf die Einhaltung des<br />
Kinderschutzes achten.<br />
Literatur<br />
<strong>KIWI</strong> <strong>Journal</strong> 19/<strong>20</strong>23, 24ff.<br />
Berka, Walter; Grabenwarter, Christoph; Weber, Karl (<strong>20</strong>14): Studien zur Kinderrechtskonvention <strong>und</strong> ihrer Umsetzung in Österreich.<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Familie <strong>und</strong> Jugend.<br />
Fuchs, Claudia (<strong>20</strong>11).Kinderrechte in der Verfassung: Das BVG über die Rechte von Kindern. In Lienbacher, G.; Wielinger, G. Jahrbuch<br />
Öffentliches Recht. Wien: Neuer wissenschaftlicher Verlag.<br />
Schmahl, Stefanie (<strong>20</strong>17). Kinderrechtskonvention mit Zusatzprotokollen (2. Auflage). Zürich: facultas Verlag.<br />
Websites<br />
https://www.gewaltinfo.at/recht/gewaltschutzgesetz/<br />
https://www.b<strong>und</strong>eskanzleramt.gv.at/agenda/familie/kinderrechte/allgemeines-kinderrechte.html<br />
Gestzestexte<br />
§ 137 Abs. 2 Satz 2 ABGB.<br />
Art 19 Kinderrechtskonvention<br />
§ 1a Abs. 1 WKGG<br />
B<strong>und</strong>esverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, BGBl. I Nr. 4/<strong>20</strong>11.<br />
B<strong>und</strong>esgesetzblatt III (<strong>20</strong><strong>20</strong>). Übereinkommen über die Rechte des Kindes samt Vorbehalten, Erklärungen, idF 178/<strong>20</strong><strong>20</strong>.<br />
7
Kindliche Explorationsfreude stärkt<br />
den Kinderschutz<br />
<strong>Die</strong> Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation<br />
„die möwe“, Mag. a Hedwig Wölfl, im Interview<br />
Aufgr<strong>und</strong> von Medienberichten ist das Thema „Kinderschutz“<br />
verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit<br />
gerückt. <strong>Die</strong> Kinderschutzorganisation „die möwe“<br />
bietet mit fünf Kinderschutzzentren, drei Frühe-Hilfen-Teams<br />
sowie dem Akademie-Team in Wien <strong>und</strong><br />
Niederösterreich für Kinder, Eltern, pädagogische<br />
Fachkräfte <strong>und</strong> Organisationen verschiedene Formen<br />
der Unterstützung an, damit diese, Kinderschutz<br />
in ihrer Erziehungs- <strong>und</strong> Bildungspraxis<br />
leben können.<br />
Mag. a Lisa Kneidinger<br />
Mag. a Lisa Kneidinger<br />
Kindergarten- <strong>und</strong> Hortpädagogin, Psychologin,<br />
Supervisorin & Coach, Konflikt- <strong>und</strong> Mobbingberaterin,<br />
bei <strong>KIWI</strong> als pädagogische Qualitätsentwicklerin<br />
tätig.<br />
8
Children’s joy of exploration strengthens<br />
child protection<br />
The Managing Director of the child protection organisation „die möwe“,<br />
Mag. a Hedwig Wölfl, in an interview<br />
Due to media reports, the topic of „child protection“<br />
has increasingly come into the public focus. With<br />
five child protection centres, three early help teams<br />
and the academy team in Vienna and Lower Austria,<br />
the child protection organisation „die möwe“<br />
offers various forms of support for children, parents,<br />
educational professionals and organisations so that<br />
they can put child protection into practice in their<br />
parenting and education.<br />
<strong>Die</strong> Auseinandersetzung mit Kinderschutz-Themen<br />
ist komplex <strong>und</strong> stellt<br />
zahleiche Anforderungen an die damit<br />
befassten Personen. Ziel ist die Stärkung<br />
nicht nur von Kindern selbst, sondern<br />
auch von Erwachsenen, die für deren<br />
Schutz verantwortlich sind. <strong>Die</strong> Kinderschutzorganisation<br />
„die möwe“ bietet<br />
Unterstützung im Verdachtsfall bei Kinderschutzverdachtsfällen<br />
sowie präventiv<br />
beim Erarbeiten von Kinderschutzkonzepten<br />
<strong>und</strong> für Fortbildungen an.<br />
<strong>KIWI</strong>-<strong>Journal</strong>: Frau Wölfl, Sie sind<br />
Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation<br />
„die möwe“, selbst Psychologin <strong>und</strong><br />
Psychotherapeutin <strong>und</strong> Kinderschutzexpertin.<br />
Das Thema Kinderschutz ist in den<br />
letzten Wochen <strong>und</strong> Monaten ins Zentrum<br />
der Aufmerksamkeit gerückt: nicht nur in<br />
Kinderbildungs- <strong>und</strong> Betreuungseinrichtungen,<br />
sondern auch gesellschaftlich <strong>und</strong><br />
politisch. Welche Rolle spielen in diesem<br />
Zusammenhang die Hilfs- <strong>und</strong> Bildungsangebote<br />
der möwe?<br />
Wölfl: <strong>Die</strong> Aufmerksamkeit für den Kinderschutz<br />
ist im Vergleich zu den letzten<br />
Jahrzehnten tatsächlich gestiegen. Das<br />
passiert vor allem dann, wenn aufgr<strong>und</strong><br />
von Medienberichten zu tragischen<br />
Anlassfällen mehr öffentliche Berichterstattung<br />
stattfindet <strong>und</strong> damit der politische<br />
Fokus auf das Thema gerichtet wird.<br />
Das ist eine zweischneidige Angelegenheit,<br />
denn einerseits ist es uns im Sinne<br />
des Kinderschutzes ein Anliegen, dass<br />
keine Betroffenen <strong>und</strong> deren Schicksale<br />
bloßgestellt werden, anderseits sensibilisiert<br />
die mediale Aufmerksamkeit für<br />
unsere Anliegen im Kinderschutz.<br />
Eine der wichtigsten Forderungen ist,<br />
dass Kindergärten, Schulen <strong>und</strong> auch<br />
Einrichtungen im freizeitpädagogischen<br />
Bereich ein passgenaues Kinderschutzkonzept<br />
erarbeiten. In diesem Prozess<br />
setzen sich die Organisationen mit<br />
Risiken für Kinder auseinander <strong>und</strong><br />
definieren Maßnahmen <strong>und</strong> Abläufe, um<br />
diese Risiken zu minimieren. Das schützt<br />
auch die Pädagog*innen, weil sie Abläufe<br />
kennen <strong>und</strong> wissen, was zu tun ist <strong>und</strong><br />
wer zu informieren ist, wenn sie sich<br />
Sorgen um ein Kind machen. Mit einem<br />
<strong>Schutzkonzept</strong> zeigt die Organisation,<br />
dass sie Kinderschutz ernst nimmt <strong>und</strong><br />
<strong>Prävention</strong> in der Praxis umsetzt. Damit<br />
wird auch den Eltern vermittelt, dass das<br />
Team einen fürsorglichen Blick auf ihre<br />
Kinder hat. Eltern wissen, dass sie sich<br />
mit ihren Fragen <strong>und</strong> Sorgen an die Kinderschutzbeauftragten<br />
wenden können.<br />
Bedeutsam ist in dem Zusammenhang,<br />
dass der fördernde <strong>und</strong> präventive Ansatz<br />
betont wird.<br />
9
Darüber hinaus ist wichtig, dass alle<br />
Kindergärten ein pädagogisches Konzept<br />
haben, das den Kinderschutz unterstützt.<br />
Das reicht von Angeboten, wo Kinder<br />
lernen, Gefühle wahrzunehmen <strong>und</strong> zu<br />
benennen bis zu Kinderbüchern, die sich<br />
mit diesem Thema beschäftigen.<br />
Wir unterstützen als „möwe“ die Erarbeitung<br />
eines Kinderschutzkonzeptes, beraten<br />
Organisationen oder Pädagog*innen<br />
aber auch, wenn in einem Kindergarten<br />
oder Hort, in einer Schule, in einem Freizeitcamp<br />
ein Verdachtsfall auftaucht. Wir<br />
zeigen Wege auf, wie unter Rücksichtnahme<br />
auf die Betroffenen vorgegangen<br />
werden kann.<br />
Wir bieten in unseren Kinderschutzzentren<br />
zudem auch konkrete Unterstützung<br />
<strong>und</strong> professionelle Hilfe für<br />
Kinder, Jugendlichen <strong>und</strong> deren Bezugspersonen<br />
bei körperlichen, seelischen<br />
<strong>und</strong> sexuellen Gewalterfahrungen. Zum<br />
Beispiel durch Beratung, Psychotherapie,<br />
psychologische Diagnostik oder Prozessbegleitung,<br />
wenn ein konkreter Verdacht<br />
vorliegt <strong>und</strong> dies zur Anzeige gebracht<br />
wurde. Wir haben r<strong>und</strong> 90 Mitarbeiter*innen<br />
in neun Teams.<br />
Unterstützung durch<br />
ein <strong>Prävention</strong>steam <strong>und</strong><br />
die möwe-Akademie<br />
<strong>KIWI</strong>-<strong>Journal</strong>: <strong>Die</strong>s ist ein sehr umfassender<br />
Ansatz, den die Kinderschutzorganisation<br />
„die möwe“ hier praktiziert. Das<br />
heißt Kinderschutz beginnt bereits bevor<br />
Grenzverletzungen oder Gewalt passiert<br />
sind?<br />
Wölfl: Ja! <strong>Prävention</strong> ist der wirksamste<br />
Kinderschutz. Wir haben verschiedenste<br />
präventive Angebote an den Standorten<br />
der möwe in Wien <strong>und</strong> Niederösterreich.<br />
<strong>Die</strong> möwe-Akademie bietet „Trau-Dich“-<br />
Workshops an Schulen an <strong>und</strong> unterstützt<br />
auch Eltern <strong>und</strong> Lehrkräfte.<br />
Bei dem präventiven Angebot der „Frühen<br />
Hilfen“, das sich an Schwangere <strong>und</strong><br />
Familien mit Kindern bis <strong>zum</strong> 3. Lebensjahr<br />
richtet, ist uns der gute Start ins<br />
Leben ein besonders wichtiges Anliegen:<br />
Familien können in unterschiedlicher<br />
Weise belastet sein, wobei diese Belastungen<br />
häufig bereits in der Schwangerschaft<br />
oder in den ersten Lebensmonaten<br />
auftreten. Unterschätzt wird etwa die<br />
Häufigkeit einer postnatalen Depression<br />
der Mutter oder einer anderen psychischen<br />
Krankheit eines Elternteils. Auch<br />
soziale Problematiken gehören hier dazu.<br />
Wir begleiten bei Behördengängen, bei<br />
Schwierigkeiten im Zusammenleben<br />
oder bei Trennung <strong>und</strong> hochstrittigen<br />
Scheidungssituationen. Wir unterstützen<br />
auch bei gewalttätigen Erziehungsmustern,<br />
die praktiziert werden, weil Eltern<br />
diese als Kinder selbst erlebt haben. Auch<br />
Einsamkeit kann ein großes Problem für<br />
Elternteile (insbesondere alleinerziehende<br />
Mütter) sein. Unsere Familienbegleiter*innen<br />
begleiten je nach Problemlage<br />
sehr individuell <strong>und</strong> niederschwellig<br />
durch Hausbesuche.<br />
<strong>Die</strong> Frühen Hilfen der möwe sind im Westen<br />
Wiens tätig. Da gibt es seit Jahren<br />
einen regen Austausch mit den elementarpädagogischen<br />
Einrichtungen aller<br />
großen Träger. Am 7. September <strong>20</strong>23<br />
hatten wir eine Kickoff-Veranstaltung im<br />
Festsaal des Rathauses der Stadt Wien<br />
<strong>zum</strong> Ausbau der Frühen Hilfen, die nun<br />
in ganz Wien von verschiedenen Trägern<br />
angeboten werden. Auch in Niederösterreich<br />
Ost sind wir am Ausbau der Frühen<br />
Hilfen beteiligt.<br />
Auch Fortbildungen <strong>und</strong> Workshops für<br />
Fachkräfte wirken präventiv. Wir bieten<br />
für Organisationen auch Reflexion <strong>und</strong><br />
Supervision von Dynamiken schwieriger<br />
Situationen <strong>und</strong> beraten telefonisch,<br />
online <strong>und</strong> persönlich bei konkreten Verdachtsfällen<br />
auf Gewalt <strong>und</strong> Missbrauch.<br />
<strong>KIWI</strong>-<strong>Journal</strong>: <strong>Die</strong> Begleitung <strong>und</strong> Supervision<br />
der Beteiligten ist im Sinne der<br />
Stärkung <strong>und</strong> Nachhaltigkeit besonders<br />
wertvoll. Wie ist denn die Resonanz auf<br />
Ihr Angebot? Sie haben von Eltern <strong>und</strong><br />
pädagogischen Fachkräften gesprochen.<br />
Wie kommt Ihr Angebot dort an? Gibt es<br />
dort auch Skepsis?<br />
Wölfl: Wir haben kaum Beschwerden<br />
über unsere Arbeit, aber natürlich<br />
bedeutet unser Tun eine Konfrontation<br />
mit einem sehr heiklen Thema, das<br />
man lieber verdrängt <strong>und</strong> wegschiebt.<br />
Kinderschutzarbeit im Kindergarten <strong>und</strong><br />
Hort <strong>und</strong> auch die Entwicklung eines<br />
Kinderschutzkonzeptes braucht Ressourcen,<br />
personell <strong>und</strong> zeitlich. Da kann auch<br />
Widerstand entstehen: „Warum müssen<br />
wir das jetzt auch noch machen?“<br />
Pädagog*innen sind im Berufsalltag<br />
bereits sehr gefordert, dazu kommt der<br />
Kollateralschaden von Anlassfällen in den<br />
letzten Jahren, was durch mehr Besorgtheit<br />
vor allem männliche Elementarpädagogen<br />
stark betrifft. Es ist eine komplexe<br />
Aufgabe, zu überlegen, was <strong>zum</strong> Thema<br />
„Kinderschutz“ in der Einrichtung schon<br />
vorhanden ist <strong>und</strong> was es noch braucht.<br />
Es müssen Kinderschutzbeauftragte<br />
bestimmt werden, die auch eine Fortbildung<br />
brauchen. Auch die Fragen „Wie<br />
10
Mag. a Gudrun Kern ((Geschäftsführung, pädagogische Leitung von <strong>KIWI</strong>)), Mag. a Hedwig Wölfl (Geschäftsführung, Fachliche Leitung die<br />
möwe Kinderschutzzentren), Thomas-Peter Gerold-Siegl, MBA (Geschäftsführung, wirtschaftliche Leitung von <strong>KIWI</strong>)<br />
schreibt man das alles in einem Verhaltenskodex<br />
zusammen?“, an den wir<br />
uns alle halten können <strong>und</strong> wollen, ist<br />
herausfordernd. <strong>Die</strong> Pflicht, einen Verhaltenskodex<br />
zu unterschreiben kann auch<br />
als Misstrauen seitens des <strong>Die</strong>nstgebers<br />
missverstanden werden. Umso mehr<br />
erfordert es eine gemeinsame Haltung<br />
<strong>und</strong> das Verständnis, dass es wichtig<br />
ist, schriftlich festzuhalten, wie wir uns<br />
verhalten wollen, wie wir mit Kindern,<br />
denen es nicht gut geht, umgehen<br />
wollen. Dazu muss man sich gemeinsam<br />
aber zuerst mit dem Thema auseinandergesetzt<br />
haben <strong>und</strong> die Ergebnisse<br />
auch an alle neuen Mitarbeiter*innen bei<br />
deren Einschulung weitergeben. Es geht<br />
dabei auch um unangenehme Themen,<br />
wie <strong>zum</strong> Beispiel, welche Gewaltformen<br />
Kindern passieren können.<br />
Und trotzdem sagen wir ganz klar: Ja, es<br />
bedeutet Aufwand, aber es ist wichtig,<br />
dieses Thema in den pädagogischen<br />
Alltag <strong>und</strong> in die Praxis der Organisation<br />
zu bringen, damit diese gerüstet ist <strong>und</strong><br />
nicht im Fall des Falles die Katastrophe<br />
ausbricht. Im Gr<strong>und</strong>e kann das alle Beteiligten<br />
schützen – Kinder, Mitarbeitende,<br />
Eltern <strong>und</strong> die Organisation gesamt.<br />
Organisationen ermutigen,<br />
hinzuschauen<br />
<strong>KIWI</strong>-<strong>Journal</strong>: Das ist sehr wichtig, vor<br />
allem, weil im Alltag manche Gewaltformen<br />
nicht offen, sondern in der Hektik<br />
des Alltags versteckt vorkommen können,<br />
etwa dann, wenn ich als pädagogische<br />
Fachkraft Kinder nicht ausreichend wahrnehme.<br />
Umgekehrt kann es aber auch zu<br />
Überforderung führen, wenn pädagogische<br />
Fachkräfte nun zusätzlich zu all den<br />
anderen Anforderungen auch zahlreiche<br />
Alltagssituationen dauernd reflektieren<br />
müssen.<br />
Welche Unterstützungsformen bietet die<br />
möwe an, um den pädagogischen Alltag<br />
zu durchleuchten <strong>und</strong> in weiterer Folge<br />
pädagogische Fachkräfte zu stärken?<br />
Wölfl: Uns ist wichtig, die Organisation<br />
zu ermutigen, einmal hinzuschauen <strong>und</strong><br />
anzusprechen, wo es Situationen gibt,<br />
in denen es Kindern nicht gut geht oder<br />
pädagogische Fachkräfte überfordert sind.<br />
Also nicht nur zu fragen, was wollen wir<br />
nicht tun, sondern auch zu fragen, was<br />
wollen wir tun, wohin wollen wir uns entwickeln.<br />
Meiner Erfahrung nach wollen die<br />
allermeisten Pädagog*innen sehr gerne<br />
mit Kindern förderlich, spielerisch, kreativ,<br />
liebevoll <strong>und</strong> lebendig ihren Arbeitsalltag<br />
verbringen <strong>und</strong> tun dies mit ganzem Herzen<br />
<strong>und</strong> vollem Einsatz. Manchmal ist es<br />
auch anstrengend, schwierig oder stressig.<br />
Dafür braucht es Unterstützung.<br />
11
Es ist so wichtig, zu sagen: Wir dürfen<br />
auch einmal überfordert sein. Ich<br />
sage das auch immer wieder zu Eltern.<br />
Manchmal braucht nicht das Kind selbst,<br />
sondern es brauchen die Erwachsenen<br />
eine Auszeit – <strong>und</strong> sind es nur zehn<br />
Minuten – , um wieder Herr*in der Lage<br />
zu werden. Es sind unsere eigenen Grenzen,<br />
die wir setzen müssen, damit sie<br />
nicht überschritten werden.<br />
Es ist außerdem wichtig, eine Fehlerkultur<br />
zu leben. Niemand von uns ist fehlerfrei,<br />
niemand von uns macht immer<br />
alles richtig. Wir brauchen Toleranz, auch<br />
miteinander. Wir sollen so zusammen<br />
sein, leben, spielen, arbeiten, dass es<br />
keine Belastung ist, sondern eine Freude<br />
<strong>und</strong> Ressource. Für jede*n ist es wichtig,<br />
einen Ort zu haben, an dem man sich mit<br />
den jeweiligen Talenten einbringen kann.<br />
Auch in diesem Sinn muss man Kinderschutz<br />
sehen. Wir als möwe vermitteln<br />
auch Supervision <strong>und</strong> sind in der Organisationsentwicklung,<br />
in der Schulung <strong>und</strong><br />
Ausbildung tätig.<br />
<strong>KIWI</strong>-<strong>Journal</strong>: Ich möchte <strong>zum</strong> Schluss<br />
auf das Stichwort „Bildungsmomente“<br />
eingehen <strong>und</strong> bitte Sie, den Zusammenhang<br />
zwischen Bildungsmomenten, also<br />
Alltagssituationen, die oft gar nicht so<br />
wahrgenommen werden, sich aber durch<br />
ein hohes Bildungspotenzial auszeichnen,<br />
<strong>und</strong> dem Kinderschutz zu erläutern.<br />
Wölfl: Prinzipiell ist es so, dass Kinder,<br />
die von Anfang an erfahren, dass sie<br />
sich mit ihren Gefühlen an schützende<br />
Erwachsene wenden können <strong>und</strong> in ihrer<br />
Ausdrucksweise gefördert werden, besser<br />
geschützt sind. Sie lernen, was sind<br />
angenehme, was unangenehme Gefühle,<br />
was sind angenehme <strong>und</strong> unangenehme<br />
Berührungen, an welchen Körperstellen<br />
darf mich welche Person berühren<br />
<strong>und</strong> sie können alle Körperteile (auch<br />
Geschlechtsorgane) benennen.<br />
In allem, was durch Bildung vermittelt<br />
wird, oder auch in klassischen oder<br />
modernen Märchen <strong>und</strong> Filmen, gibt es<br />
die Existenz des Bösen, des Traurigen, des<br />
Unangenehmen, des Bedrohlichen, etwa<br />
durch Hexen oder Monster. Das Tolle<br />
an Märchen ist, dass immer eine gute<br />
Lösung gef<strong>und</strong>en wird. Kinder lernen,<br />
es gibt Auswege, gute Entwicklungen,<br />
immer wieder Entspannung <strong>und</strong> gute<br />
Lösungen. Kinder lernen aber auch, es<br />
gibt das Böse.<br />
Wir halten entwicklungspsychologisch<br />
nichts davon, Kindern die Hexe oder den<br />
bösen Zauberer gänzlich vorzuenthalten.<br />
Weil das Leben beides hat – das Leben<br />
enthält Freude <strong>und</strong> Spaß aber auch<br />
Anstrengung <strong>und</strong> Gefahren. Kinder sollen<br />
lernen, damit umzugehen. Allerdings ist<br />
wichtig, dass dies altersadäquat erfolgt<br />
<strong>und</strong> Kinder die Botschaft erhalten: „Hier<br />
kannst du alle deine Gefühle äußern, alle<br />
deine Erlebnisse erzählen <strong>und</strong> alle deine<br />
Fragen stellen, auch wenn ich vielleicht<br />
nicht auf alle deine Fragen eine Antwort<br />
habe.“<br />
Es ist zu begrüßen, wenn Kinder Fragen<br />
stellen. Wichtig ist, die kindliche Explorationsfreude<br />
zu stärken. <strong>Die</strong>s beinhaltet<br />
auch Schutzmomente, weil Kinder, die<br />
12
offen sind, die etwas wissen wollen, die<br />
neugierig sind, die nachfragen, auch ihre<br />
Gefühle, positive wie negative, zeigen.<br />
Kinder, die erleben, dass sie alles erzählen<br />
dürfen, auch das Unangenehme, sind<br />
besser geschützt. Dann werden Missbrauchs-<br />
<strong>und</strong> Gewaltsituationen schneller<br />
sicht- <strong>und</strong> hörbar, <strong>und</strong> es können<br />
schneller Schutzmaßnahmen ergriffen<br />
werden.<br />
Ich erzähle auch immer wieder gerne<br />
eine Anekdote: Meine jüngste Tochter<br />
war gerade drei Jahre alt, es war in einer<br />
klassischen Anziehsituation, sie hat<br />
getrödelt <strong>und</strong> ich habe sie ungeduldig<br />
<strong>und</strong> unfre<strong>und</strong>lich angefahren, sie solle<br />
sich beeilen. Sie hat mich daraufhin<br />
zornig <strong>und</strong> mit Tränen in den Augen<br />
angeschaut <strong>und</strong> gesagt: „Mama, du hast<br />
mich angeschreit. Das darfst du nicht!<br />
Du bist ‚Pyschologin‘ <strong>und</strong> das sage ich<br />
jetzt im Kindergarten.“<br />
Das war unangenehm für mich, aber Kinder,<br />
die gelernt haben, welche Rechte sie<br />
haben, was für sie unangenehm ist, die<br />
wissen auch: Erwachsene sind nicht nur<br />
„super“ <strong>und</strong> diese Kinder wissen auch, sie<br />
dürfen das auch ansprechen.<br />
An Eltern <strong>und</strong> pädagogische Fachkräfte<br />
gerichtet: Wir dürfen uns auch bei<br />
unseren Kindern entschuldigen! Kinder<br />
tolerieren auch unsere Fehler, wenn<br />
wir sie zugeben <strong>und</strong> selber bereit sind,<br />
dazuzulernen. Auch das steht in einem<br />
Zusammenhang mit Kinderschutz, weil<br />
es Kinder stärkt.<br />
<strong>KIWI</strong>-<strong>Journal</strong>: <strong>Die</strong>ses Beispiel, das Sie jetzt<br />
<strong>zum</strong> Schluss geschildert haben, unterstreicht<br />
nochmals, wie wertvoll Kinderschutz<br />
in Bezug auf das Selbstbewusstsein<br />
<strong>und</strong> den Selbstwert von Kindern ist. <strong>Die</strong>s<br />
führt dazu, dass diese Kinder mutig sind:<br />
Ich darf mich beschweren, wenn meine<br />
Grenzen überschritten wurden. Man<br />
könnte das angestrebte Ergebnis von Kinderschutzmaßnahmen<br />
so zusammenfassen:<br />
mutige <strong>und</strong> selbstbewusste Kinder.<br />
Wölfl: Mutige Kinder sind nicht immer<br />
angepasste, bequeme Kinder – aber<br />
es sind jene, die die Freude am Leben<br />
ausdrücken.<br />
Mag. a Hedwig Wölfl ist Klinische- <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heitspsychologin, Psychotherapeutin,<br />
sie ist Geschäftsführerin der<br />
Kinderschutzorganisation „die möwe“,<br />
Lehrbeauftragte an der Universität Wien<br />
(Fakultät für Psychologie) <strong>und</strong> Vizepräsidentin<br />
der österreichischen Liga für<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugendges<strong>und</strong>heit.<br />
woelfl@die-moewe.at<br />
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13
KINDERSCHUTZ 2.0<br />
Hinsehen statt wegsehen – ansprechen statt totschweigen<br />
Der folgende Text gibt einen Überblick über die<br />
Aufgaben der Kompetenzstelle Kinderschutz<br />
Elementarpädagogik. <strong>Die</strong>se Kompetenzstelle hat<br />
vielseitige Aufgaben im Bereich der <strong>Prävention</strong><br />
<strong>und</strong> Bearbeitung von Beschwerdefällen. Es wird<br />
versucht, sowohl die Bereiche der <strong>Prävention</strong> als<br />
auch die Bedeutsamkeit der Kompetenzstelle bei<br />
Beschwerdefälle zu beleuchten <strong>und</strong> somit dem*der<br />
Leser*in die Arbeit im Hinblick auf den institutionellen<br />
Kinderschutz näherzubringen.<br />
Birgit Schober-Trotz, BA<br />
Birgit Schober-Trotz, BA<br />
Seit 1996 Elementarpädagogin <strong>und</strong> pädagogische<br />
Leitung, seit <strong>20</strong>17 Mitarbeiterin in der Kinder- <strong>und</strong><br />
Jungendhilfe/Referat Kindertagesbetreuung, pädagogische<br />
Qualitätssicherung mit Schwerpunkt Beschwerdemanagement,<br />
seit Nov. <strong>20</strong>22 in der Kompetenzstelle<br />
Kinderschutz <strong>und</strong> Elementarpädagogik, Workshops <strong>und</strong><br />
Vorträge in der Fortbildung von Pädagog*innen.<br />
14
CHILD PROTECTION 2.0<br />
Look instead of looking away – speak up instead of keeping quiet<br />
The following text provides an overview of the tasks<br />
of the Competence Centre for Child Protection in<br />
Early Childhood Education. This competence centre<br />
has a wide range of tasks in the area of prevention<br />
and processing of complaints. An attempt is made<br />
to highlight both the areas of prevention and the<br />
importance of the competence centre in cases of<br />
complaints, thus giving the reader an <strong>und</strong>erstanding<br />
of the work with regard to institutional child<br />
protection.<br />
Es existieren einige Mythen r<strong>und</strong> um<br />
die Wiener Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe:<br />
<strong>Die</strong>ser Artikel möchte über die Arbeit der<br />
Wiener Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe informieren<br />
<strong>und</strong> darüber aufklären, dass die<br />
Meldeverpflichtung Teil des institutionellen<br />
Kinderschutzes ist.<br />
Lösungsmöglichkeiten<br />
<strong>und</strong> Ressourcen sichtbar<br />
machen<br />
mit wissenschaftlichen Know-how, während<br />
Stefano Falchetto als Sozialarbeiter<br />
mit ebenso langjährigem Expertenwissen<br />
aus der Regionalstelle <strong>und</strong> dem<br />
Krisenzentrum einen systemischen Blick<br />
auf komplexe Sachverhalte wirft.<br />
Warum arbeiten wir in der Kompetenzstelle<br />
Kinderschutz Elementarpädagogik<br />
in einem multiprofessionellen Team?<br />
Es ist die Vielfalt der Perspektiven, die<br />
uns ermöglicht, einen Sachverhalt aus<br />
verschiedenen Sichtweisen zu beleuchten.<br />
Dadurch werden Lösungsmöglichkeiten<br />
<strong>und</strong> Ressourcen sichtbar gemacht,<br />
welche zu einem raschen <strong>und</strong> professionellen<br />
Handeln führen.<br />
Zwei Säulen des institutionellen<br />
Kinderschutzes<br />
<strong>Die</strong> Aufgaben der Kompetenzstelle Kinderschutz<br />
Elementarpädagogik umfassen<br />
<strong>Die</strong> Kompetenzstelle Kinderschutz Elementarpädagogik<br />
ist angesiedelt in der<br />
Wiener Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe in der<br />
Gruppe Recht.<br />
Sie wollten immer schon wissen, wer die<br />
Menschen hinter der Kompetenzstelle<br />
Kinderschutz Elementarpädagogik sind?<br />
Birgit Schober-Trotz <strong>und</strong> Stefano<br />
Falchetto sind die Gesichter hinter der<br />
Kompetenzstelle Kinderschutz Elementarpädagogik,<br />
die es seit November <strong>20</strong>22<br />
in dieser Form gibt. Birgit Schober-Trotz<br />
ist Elementarpädagogin <strong>und</strong> kombiniert<br />
jahrzehntelanges Expertinnenwissen<br />
aus dem elementarpädagogischen Feld<br />
Birgit Schober-Trotz, BA <strong>und</strong> Stefano Falchetto aus der Kompetenzstelle Kinderschutz<br />
Elementarpädagogik<br />
15
zwei große Säulen des institutionellen<br />
Kinderschutzes. Zum einen die Säule der<br />
<strong>Prävention</strong>: Wir sind stark vernetzt mit<br />
unseren Kooperationspartner*innen, wie<br />
der Polizei, mit Kinderschutzbeauftragten<br />
der Trägerinstitutionen, Kinderschutzorganisationen,<br />
BAfEPs. Wir befinden<br />
uns aber auch im Austausch mit Kooperationspartner*innen<br />
über die Wiener<br />
Landesgrenzen hinaus im Hinblick<br />
auf Kinderschutz. Warum ist uns das<br />
wichtig? Weil „durchs Reden kommen<br />
die Leut‘ zusammen“. Durch den gemeinsamen<br />
Austausch erkennen wir Stärken<br />
im elementarpädagogischen Feld, aber<br />
auch Bereiche, die es wert sind, genauer<br />
hinzusehen <strong>und</strong> gemeinsam geht das<br />
bekanntlich besser.<br />
Aber nicht nur der Austausch <strong>und</strong> die<br />
Vernetzung sind uns wichtig, sondern<br />
auch Fort- <strong>und</strong> Weiterbildungen. Worauf<br />
kommt es im institutionellen Kinderschutz<br />
an, worauf müssen wir besonders<br />
sensibel hinschauen? Wie kann ich<br />
grenzüberschreitendes Verhalten, das<br />
ich beobachtet habe, ansprechen? Wir<br />
versuchen in unseren Fortbildungen sehr<br />
praxisnah <strong>und</strong> dennoch fachlich f<strong>und</strong>iert<br />
auf diese Fragen einzugehen <strong>und</strong> vielleicht<br />
den einen oder anderen Reflexionsinput<br />
zu geben.<br />
Risiken erkennen <strong>und</strong><br />
minimieren<br />
Das Verfassen <strong>und</strong> Evaluieren eines<br />
<strong>gelebten</strong> Kinderschutzkonzeptes bietet<br />
eine w<strong>und</strong>erbare Möglichkeit, mit allen<br />
Teammitgliedern in den Diskurs zu<br />
kommen <strong>und</strong> dabei fachlich <strong>und</strong> reflektiert<br />
auf den <strong>gelebten</strong> pädagogischen<br />
Alltag zu blicken – <strong>und</strong> damit vielleicht<br />
gemeinsam Risiken im Alltag zu entdecken<br />
<strong>und</strong> allein schon durch das gemeinsame<br />
Bewusstmachen der Risiken diese<br />
zu minimieren. <strong>Die</strong> Kinder mit ihren<br />
Bedürfnissen in den Mittelpunkt der<br />
Arbeit zu rücken <strong>und</strong> somit weg von der<br />
Angebotspädagogik zu kommen hin zu<br />
einer Pädagogik, in der Kinder im Fokus<br />
stehen, ist die Basis des Kinderschutzes<br />
in unseren elementarpädagogischen<br />
Einrichtungen.<br />
Wann haben Sie zuletzt einen Alltag<br />
ohne geplante Aktivitäten mit Kindern<br />
verbracht <strong>und</strong> waren ganz im Hier <strong>und</strong><br />
Jetzt mit den Kindern – versunken in die<br />
Interaktion mit Kindern <strong>und</strong> offen für<br />
die Ideen, die Kinder haben? Wir beraten<br />
hier sehr gerne, wie man im Team miteinander<br />
in den Austausch kommt <strong>und</strong><br />
welche Inhalte für das Kinderschutzkonzept<br />
relevant sind.<br />
Zusammenfassend kann man sagen,<br />
dass die Säule der <strong>Prävention</strong> aus der<br />
Beratung zu den Kinderschutzkonzepten<br />
<strong>und</strong> Themen r<strong>und</strong> um mögliche Kindeswohlgefährdung,<br />
dem Angebot der<br />
Fort- <strong>und</strong> Weiterbildungen <strong>zum</strong> Thema<br />
institutioneller Kinderschutz <strong>und</strong> der<br />
Vernetzung mit unseren Kooperationpartner*innen<br />
besteht.<br />
Meldepflichten<br />
wahrnehmen<br />
<strong>Die</strong> zweite Säule unserer Arbeit in der<br />
Kompetenzstelle Kinderschutz Elementarpädagogik<br />
beschäftigt sich mit den<br />
Beschwerden. <strong>Die</strong>se bearbeiten wir<br />
immer im Vier-Augen-Prinzip. Thematisch<br />
bearbeiten wir in der Kompetenz-<br />
16
um eine festgestellte Gefährdung! Es ist<br />
nicht notwendig, „Beweise“ zu sammeln.<br />
Verdacht reicht für<br />
Meldung aus<br />
<strong>Die</strong>ses Bild ist bei einem Projekt <strong>zum</strong> Thema Kinderrechte aus dem <strong>KIWI</strong>-Betriebskindergarten<br />
des BMI entstanden.<br />
stelle Kinderschutz Elementarpädagogik<br />
alle schwierigen Beschwerdefälle im<br />
Zusammenhang von jeglicher Form von<br />
Gewalt <strong>und</strong> sexuellem Missbrauch im<br />
institutionellen Kontext.<br />
Kennen Sie Ihre Meldeverpflichtung?<br />
Meist fängt der Irrtum schon beim<br />
Namen an. Es wird immer wieder davon<br />
gesprochen, eine Gefährdungsmeldung<br />
zu machen. <strong>Die</strong>s schreckt viele ab <strong>und</strong><br />
verunsichert, da man der Meinung ist,<br />
hier eine „Anzeige“ zu machen <strong>und</strong><br />
dabei Familien zu stigmatisieren <strong>und</strong> zu<br />
„vernadern“.<br />
<strong>Die</strong> Meldepflichten sind klar in diversen<br />
Gesetzen verankert (B<strong>und</strong>es-Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugendhilfegesetz § 37; Wiener Kindergartengesetz<br />
§ 8 Abs 3; Wiener Tagesbetreuungsgesetz<br />
§ 4 Abs 2). Im Gesetz<br />
steht geschrieben, dass der begründete<br />
Verdacht einer möglichen Kindeswohlgefährdung<br />
ausreicht, um eine Meldung<br />
einer möglichen Gefährdung bei der<br />
zuständigen Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />
einzubringen. Wichtig ist hier, dass es<br />
sich um eine Vermutung handelt, nicht<br />
Darüber hinaus ist jede Person, die mit<br />
Kindern in einer Einrichtung arbeitet, verpflichtet,<br />
den Verdacht zu melden, nicht<br />
nur die Leitung. <strong>Die</strong> Entscheidung, ob<br />
ein Kind gefährdet ist oder nicht, obliegt<br />
einzig <strong>und</strong> allein den Sozialarbeiter*innen<br />
der Regionalstelle der Wiener Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugendhilfe (WKJH). Es reicht daher ein<br />
Verdacht/„Bauchgefühl“ aus, um eine<br />
Meldung zu machen. <strong>Die</strong> Beobachtungen<br />
<strong>und</strong> Wahrnehmungen innerhalb<br />
einer Betreuungseinrichtung sind ein<br />
wesentlicher Bestandteil einer Gefährdungsabklärung<br />
in der Regionalstelle<br />
<strong>und</strong> diese Informationen sind daher für<br />
die tägliche Arbeit enorm wichtig <strong>und</strong><br />
wertvoll. Es kommt auch oft die Frage<br />
auf, ob die Erziehungsberechtigten über<br />
die Meldungslegung informiert werden<br />
sollen. <strong>Die</strong>se Frage ist leider nicht mit Ja<br />
oder Nein zu beantworten, da es immer<br />
auf den konkreten Fall ankommt. Im Hinblick<br />
auf eine gute Bildungspartner*innenschaft<br />
macht es oft Sinn, die Eltern/<br />
Obsorgeberechtigten miteinzubeziehen.<br />
Auffälligkeiten werden in der Regel schon<br />
mit den Eltern in diversen Entwicklungsgesprächen<br />
angesprochen. Sollten<br />
aber die Mitarbeiter*innen trotz dieser<br />
Gespräche den Eindruck gewinnen, dass<br />
die Obsorgeberechtigten ihrer Verpflichtung<br />
nicht genug nachkommen, so ist<br />
dies der WKJH-S zu melden. <strong>Die</strong>s kann<br />
auch mit den Obsorgeberechtigten dann<br />
vorbesprochen werden. <strong>Die</strong> Zuschaltung<br />
der WKJH stellt eine Unterstützungsmöglichkeit<br />
dar. In anderen Fällen, besonders<br />
bei Verdacht auf körperliche oder sexuelle<br />
Gewalt, ist es aber meist kontraproduktiv,<br />
die Eltern vorab zu informieren, da<br />
17
eine „Verschleierung“ der Gewalt passieren<br />
kann. Sollte ein Verdacht bestehen,<br />
kann sich der Standort gerne direkt bei<br />
der Kompetenzstelle Kinderschutz oder<br />
bei der zuständigen Regionalstelle melden<br />
<strong>und</strong> diesen vorab schildern. Hier ist<br />
es wichtig, eine Kultur des Ansprechens<br />
zu schaffen: Lieber einmal zu viel anrufen<br />
oder lieber einmal zu viel eine Meldung<br />
schreiben, als einmal zu wenig.<br />
Jede Meldung wird von dem*der leitenden<br />
Sozialarbeiter*in oder Stellvertreter*in<br />
geprüft <strong>und</strong> dann im<br />
Vier-Augen-Prinzip bearbeitet. Je nach<br />
„Dringlichkeit“ wird rasch mit der<br />
Familie Kontakt aufgenommen, um eine<br />
mögliche Gefährdung zu erkennen. Im<br />
Falle einer tatsächlichen Bedrohung wird<br />
mit der Familie ein Hilfeplan erstellt, um<br />
gemeinsam an den Gefährdungsaspekten<br />
zu arbeiten. Eine Meldung führt nicht<br />
zwangsläufig (<strong>und</strong> in den seltensten<br />
Fällen) zu einer tatsächlichen Fremdunterbringung<br />
der Kinder. Vielmehr wird<br />
gemeinsam mit der Familie versucht, die<br />
Gefährdungsaspekte zu erkennen <strong>und</strong><br />
daran zu arbeiten, diese zu vermeiden.<br />
Um eine mögliche Gefährdung zu<br />
erkennen, braucht es Zeit <strong>und</strong> Informationen.<br />
Daher ist es wichtig, frühzeitig auf<br />
mögliche Missstände hinzuweisen. Im<br />
Normalfall sollte es auch Rückmeldung<br />
an die meldende Einrichtung geben,<br />
jedoch können nicht alle Informationen<br />
aus Datenschutzgründen der Kinderbetreuungseinrichtung<br />
mitgeteilt werden.<br />
Es besteht jedoch immer die Möglichkeit,<br />
von sich aus bei dem*der zuständigen<br />
Sozialarbeiter*in telefonisch nach zu<br />
fragen.<br />
Sie haben Fragen im Kontext möglicher Kindeswohlgefährdung im institutionellen<br />
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18
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19
Das <strong>Schutzkonzept</strong> –<br />
ein Miteinander auf Augenhöhe<br />
„Wir bei <strong>KIWI</strong> wissen, dass wir uns ständig weiterentwickeln,<br />
auch beim Thema <strong>Schutzkonzept</strong>.“<br />
Im Interview mit der Geschäftsführung des<br />
Kindergarten- <strong>und</strong> Hortträgervereins „Kinder in<br />
Wien“ (<strong>KIWI</strong>) beschreiben Mag. a Gudrun Kern <strong>und</strong><br />
Thomas-Peter Gerold-Siegl, MBA die verschiedenen<br />
Schritte <strong>und</strong> Maßnahmen zur Implementierung von<br />
<strong>Schutzkonzept</strong> <strong>und</strong> Verhaltenskodex.<br />
Mag. a Lisa Kneidinger<br />
Mag. a Lisa Kneidinger<br />
Kindergarten- <strong>und</strong> Hortpädagogin, Psychologin,<br />
Supervisorin & Coach, Konflikt- <strong>und</strong> Mobbingberaterin,<br />
bei <strong>KIWI</strong> als pädagogische Qualitätsentwicklerin<br />
tätig.<br />
<strong>20</strong>
The protection concept - cooperation at eye level<br />
„At <strong>KIWI</strong>, we know that we are constantly evolving,<br />
including when it comes to the protection concept.“<br />
In an interview with the management of the<br />
kindergarten and after-school care organisation<br />
„Kinder in Wien“ (<strong>KIWI</strong>), Mag. a Gudrun Kern and<br />
Thomas-Peter Gerold-Siegl, MBA, describe the<br />
various steps and measures for implementing the<br />
protection concept and code of conduct.<br />
<strong>KIWI</strong> beschäftigt sich seit <strong>20</strong><strong>20</strong> mit<br />
den Themen <strong>Schutzkonzept</strong> <strong>und</strong> Verhaltenskodex.<br />
Weil dieser Prozess bottom<br />
up angelegt wurde, konnten zahlreiche<br />
bestehende Prozesse integriert, Personen<br />
eingeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Schutzmaßnahmen<br />
auf allen drei Ebenen (Kinder, Mitarbeitende<br />
<strong>und</strong> Organisation) geschaffen<br />
werden.<br />
Kneidinger: Herzlichen Dank für eure<br />
Bereitschaft , in diesem Interview wollen<br />
wir hinter den Kinderschutz <strong>und</strong> den Verhaltenskodex<br />
bei <strong>KIWI</strong> zu blicken. Es soll<br />
heute nicht in erster Linie darum gehen,<br />
die Meilensteine im Entstehungsprozess zu<br />
beschreiben, sondern die bereits gesetzten<br />
<strong>und</strong> geplanten Schritte der Implementierung<br />
zu thematisieren.<br />
Was war ursprünglich der Anlass für die<br />
Auseinandersetzung mit dem Thema<br />
„<strong>Schutzkonzept</strong>“?<br />
Kern: Wir haben bereits <strong>20</strong><strong>20</strong> damit<br />
begonnen, uns der Thematik zu widmen<br />
<strong>und</strong> uns mit Schutzleitfaden <strong>und</strong> Verhaltenskodex<br />
zu beschäftigen. Ausgangspunkt<br />
war die Tatsache, dass die Kinderrechte<br />
schon immer im <strong>KIWI</strong>-Leitbild<br />
integriert waren <strong>und</strong> wir das als unsere<br />
Gr<strong>und</strong>lage betrachten. Und weil wir bei<br />
<strong>KIWI</strong> gerne über den Tellerrand schauen<br />
<strong>und</strong> in der Auseinandersetzung mit dir,<br />
Lisa, <strong>und</strong> mit Matthias Schäfer als unsere<br />
externen Fachexpert*innen erkannt<br />
haben, dass ein <strong>Schutzkonzept</strong> international<br />
schon lange „state of the art“ ist,<br />
haben wir beschlossen: Wir machen das<br />
ebenfalls nach internationalen Standards.<br />
In weiterer Folge haben wir gesagt: Wenn<br />
wir das machen wollen, holen wir uns<br />
Kinderschutz-Expertise mit an Bord – wir<br />
haben das gemeinsam mit dem Kinderschutzzentrum<br />
„die möwe“ <strong>und</strong> „<strong>Die</strong><br />
möwe Akademie“ entwickelt.<br />
<strong>Schutzkonzept</strong> <strong>und</strong> Verhaltenskodex<br />
wurden mit fachlicher<br />
Expertise entwickelt.<br />
Im Zuge des Entwicklungsprozesses<br />
entstandene<br />
Veränderungen<br />
Kneidinger: Was hat sich seither in der<br />
Organisation <strong>KIWI</strong>, in der Pädagogik <strong>und</strong><br />
der Arbeit mit Kindern, in der Zusammenarbeit<br />
mit Mitarbeitenden sowie in der<br />
Zusammenarbeit mit Eltern bzw. Erziehungsberechtigten<br />
verändert?<br />
Kern: Es ist so, dass immer wieder Fragen<br />
aufkommen, wie „Was geht, was geht<br />
nicht?“ auch wenn <strong>zum</strong> Beispiel im<br />
familiären Umfeld des Kindes etwas<br />
aufgefallen ist. Wir stellen einen höheren<br />
Stellenwert von Fragen r<strong>und</strong> um<br />
Schutzthematiken fest. Seit Beginn<br />
des Erarbeitens <strong>und</strong> der vielen Schritte<br />
danach ist eine viel höhere Sensibilisierung<br />
der Mitarbeitenden erfolgt. Es<br />
ist schon deutlich geworden, dass die<br />
Struktur, die dieses <strong>Schutzkonzept</strong> hat,<br />
im Umgang mit Beschwerden etc. mit<br />
den internationalen Standards Sicherheit<br />
gibt. Es ist nicht beliebig, wie bei<br />
Beschwerden vorgegangen wird. Es ist<br />
wichtig, dass es hier Standards gibt, an<br />
die wir uns halten.<br />
Gerold-Siegl: Wie Gudrun Kern schon<br />
gesagt hat, haben wir den Kinderschutz<br />
21
immer großgeschrieben. So ist der<br />
Kinderschutz gewachsen – vom Kinderschutz<br />
auch <strong>zum</strong> Schutz der Mitarbeitenden.<br />
Es kam zu einer bewussten<br />
Veränderung der Haltung der Mitarbeitenden.<br />
Das Konzept gibt nicht nur den<br />
Mitarbeitenden Sicherheit, sondern auch<br />
den Eltern, weil sie wissen, wie wir damit<br />
umgehen – <strong>zum</strong> Schutz der Kinder, <strong>zum</strong><br />
Schutz der Mitarbeitenden, <strong>zum</strong> Schutz<br />
der Organisation. Das spielt sich auf drei<br />
Ebenen ab. Wenn das gelebt wird, merkt<br />
man, dass Personen Fragen stellen, die<br />
vorher gar kein Thema waren <strong>und</strong> nicht<br />
gestellt wurden. Aber durch das <strong>Schutzkonzept</strong><br />
sind alle nun sensibler <strong>und</strong><br />
fragen einmal mehr nach als dies früher<br />
der Fall war. Da hat sich die Haltung<br />
verändert.<br />
Das <strong>Schutzkonzept</strong> gibt Mitarbeitenden,<br />
Eltern <strong>und</strong> der Organisation<br />
Sicherheit.<br />
<strong>Die</strong> Veränderungen haben auf allen<br />
Ebenen stattgef<strong>und</strong>en, auch bei den<br />
Eltern, die wissen, wohin sie sich wenden<br />
können. Wir haben deswegen auch<br />
als externe Ombudsstelle das Kinderschutzzentrum<br />
„die möwe“ gewählt.<br />
Sie ist extern, politisch unabhängig <strong>und</strong><br />
fachkompetent.<br />
Kern: Wir haben im Zuge der Erarbeitung<br />
des <strong>Schutzkonzept</strong>s ganz viele<br />
Strukturen geschaffen. Wenn man ein<br />
<strong>Schutzkonzept</strong> hat, braucht man nach<br />
internationalen Standards implementierte<br />
Strukturen, wie beispielsweise<br />
Kinderschutzbeauftragte. Wir haben<br />
derzeit 30 St<strong>und</strong>en für unabhängige<br />
Schutzbeauftragte zur Verfügung<br />
gestellt. Zudem haben wir Plakate mit<br />
dem Verhaltenskodex entwickelt. In<br />
jedem <strong>KIWI</strong>-Eltern-Newsletter <strong>und</strong> auf<br />
unserer Homepage gibt es den Verweis<br />
auf die unabhängigen Kinderschutzbeauftragten.<br />
Es gibt darüber hinaus<br />
die Ombudsstelle „die möwe“. Auch die<br />
Transparenz der Kommunikation hat<br />
sich verändert, weil wir jetzt Strukturen<br />
haben, auf die wir verweisen können<br />
<strong>und</strong> auch tun.<br />
Auch in der Zusammenarbeit mit den<br />
Behörden ist dies spürbar mit der Message:<br />
„Wir arbeiten alle <strong>zum</strong> Schutz der<br />
Kinder.“ Es geht auch um die Fragen, wie<br />
wir Mitarbeitenden Sicherheit geben<br />
können <strong>und</strong> wie wir als Organisation<br />
transparent machen, wie wichtig uns<br />
Schutz generell ist. All diese Elemente<br />
greifen nun ineinander. Und sind miteinander<br />
verwoben.<br />
Im Fokus unseres pädagogischen<br />
Denkens <strong>und</strong> Handelns steht das Kind.<br />
Mit dem <strong>Schutzkonzept</strong> geben wir den<br />
Mitarbeitenden etwas an die Hand, um<br />
sich zu orientieren können <strong>und</strong> das auch<br />
Sicherheit gibt. Dazu gehören die unabhängigen<br />
Kinderschutzbeauftragten, das<br />
<strong>Schutzkonzept</strong> <strong>und</strong> der Verhaltenskodex.<br />
Gerold-Siegl: Ergänzend möchte ich dazu<br />
sagen, dass zu Beginn der Erarbeitung<br />
des <strong>Schutzkonzept</strong>s eine Analyse des<br />
Unternehmens stand. Das Schöne war,<br />
dass <strong>KIWI</strong> bereits vieles vorzuweisen<br />
hatte, worauf das <strong>Schutzkonzept</strong> dann<br />
aufbauen konnte. Keiner hätte das<br />
anfangs mit einem Kinderschutz-Konzept<br />
in Verbindung gebracht. Vieles war bei<br />
<strong>KIWI</strong> schon „state of the art“.<br />
Am Prozessbeginn steht eine<br />
Analyse der Organisation.<br />
In einem nächsten Schritt haben wir<br />
das zusammengetragen, überarbeitet,<br />
ergänzt <strong>und</strong> evaluiert. Das haben wir<br />
auch so kommuniziert: „Schaut her, all<br />
das haben wir schon <strong>und</strong> das haben wir<br />
noch ergänzt.“ Wir haben beschlossen,<br />
das mit verschiedenen Beteiligungsformen<br />
durchzuführen, was sehr stimmig<br />
war: von oben nach unten, von unten<br />
nach oben, von der Mitte zur Seite. Dabei<br />
22
ist ein r<strong>und</strong>es Package entstanden.<br />
Kern: Genau, die <strong>KIWI</strong>-Pädagogik hat<br />
immer das Kind im Mittelpunkt gehabt,<br />
seine Bedürfnisse, die Kinderrechte, vor<br />
allem das Recht auf Bildung. Zusätzlich<br />
denkt <strong>KIWI</strong> Pädagogik immer als<br />
Team-Pädagogik <strong>und</strong> nicht als „Solo-<br />
Päda gogik“. Auch das ist ein wichtiger<br />
Aspekt im <strong>Schutzkonzept</strong>: Mehrere<br />
Menschen, die zusammenschauen, das<br />
Vier-Augen-Prinzip leben <strong>und</strong> gemeinsam<br />
reflektieren. <strong>Die</strong>s ist <strong>zum</strong> Beispiel in der<br />
Teambesprechung, im Zuge der pädagogischen<br />
Planung oder der Betreuer*innen-Besprechung<br />
der Fall, Planungen<br />
erfolgen immer gemeinsam. Da sind<br />
zahlreiche Strukturen vorhanden, die es<br />
bei <strong>KIWI</strong> schon lange gab: die Teamkultur,<br />
die Beschwerdekultur etc.<br />
Und dann haben wir <strong>20</strong><strong>20</strong> mit „die möwe<br />
Akademie“ die „Schutzbrille“ aufgesetzt,<br />
das Vorhandene nach internationalen<br />
Standards angeschaut <strong>und</strong> festgestellt,<br />
das ist „state of the art“. Wichtig ist, Vorhandenes<br />
immer wieder zu hinterfragen,<br />
<strong>zum</strong> Beispiel mittels der Elternbefragung.<br />
<strong>Die</strong>se gibt es bei <strong>KIWI</strong> schon lange. Nun<br />
haben wir sie im Sinne des <strong>Schutzkonzept</strong>s<br />
erweitert, etwa mit dem „Systemcheck<br />
Kinder“.<br />
Elternbefragung mit „Systemcheck<br />
Kinder“ erweitern <strong>und</strong> Kinderbeteiligungsformen<br />
forcieren.<br />
Es hat bei <strong>KIWI</strong> immer schon das Kinderparlament,<br />
die Kinderkonferenzen<br />
gegeben oder den Ältestenrat. Das sind<br />
Aspekte, die im <strong>Schutzkonzept</strong> gefordert<br />
sind: Kinder müssen mitpartizipieren.<br />
<strong>Die</strong>se Vorgangsweise entspricht dem<br />
Bild des Kindes, wie wir es haben sowie<br />
unserer pädagogischen Rolle.<br />
Gerold-Siegl: Was sich noch verändert<br />
hat neben der Haltung ist die Tatsache,<br />
dass die Mitarbeitenden auf allen Ebenen<br />
nachfragen. Nun kann jede*r <strong>zum</strong> Hörer<br />
greifen <strong>und</strong> Fragen stellen. Das hat sich<br />
stark verändert.<br />
Dazu kommt, dass die Behörde gelernt<br />
hat, mit diesem Thema anders umzugehen.<br />
Sie haben eine Kompetenzstelle<br />
Kinderschutz Elementarpädagogik<br />
geschaffen. Damit liegt der Fokus weniger<br />
auf Kontrolle, sondern ein Miteinander<br />
wurde möglich. Hier hat auch das<br />
Magistrat der Stadt Wien seine Perspektive<br />
geändert, hin zu einem Zusammenarbeiten<br />
auf Augenhöhe.<br />
Verschiedene Initiativen<br />
r<strong>und</strong> um Kinderschutz<br />
greifen ineinander<br />
Kern: Positiv ist zudem, dass die vielen<br />
verschiedenen Stellen <strong>und</strong> die vielen<br />
Initiativen <strong>zum</strong> Thema „Kinderschutz“<br />
nun ineinandergreifen. Zum Beispiel<br />
haben wir ein <strong>Schutzkonzept</strong> implementiert<br />
<strong>und</strong> haben jetzt gemeinsam mit<br />
„die möwe“ eine externe Ombudsstelle,<br />
mit der wir uns austauschen. Es gibt die<br />
Kinderschutzzentren, es gibt die Kompetenzstelle.<br />
All das ist eine Botschaft an<br />
Mitarbeitende <strong>und</strong> auch an Eltern: „Lasst<br />
uns darüber reden, wenn ihr Fragen habt.<br />
Es wird nichts unter den Teppich gekehrt,<br />
es gibt Transparenz.“ Das ist die Hauptmessage:<br />
Wir wollen damit transparent<br />
umgehen.<br />
Wenn es Unsicherheiten gibt, neue Kindeswohlgefährdungen<br />
im Raum stehen,<br />
egal, ob das in der Familie stattfindet<br />
oder an einem unserer Standorte den<br />
Eltern etwas auffällt, müssen wir hinschauen<br />
<strong>und</strong> darüber reden.<br />
Hier ist die Verhaltensampel mit den verschiedenen<br />
Farben ein tolles Instrument.<br />
Sie zeigt, was im grünen Bereich liegt <strong>und</strong><br />
was erwünschtes Verhalten zeigt <strong>und</strong><br />
23
diesem Rahmen die Bildungstage eingeführt,<br />
an denen die Teams <strong>zum</strong> Thema<br />
„Kinderschutz“ im Austausch sind.<br />
Als das Verschriftlichte dann in Form<br />
einer Mappe an die Standorte ging, gab<br />
es kein „Was ist das?“. Sondern die Mitarbeitenden<br />
sagten: „Ah ja, das war jener<br />
Bildungstag, das haben wir dort schon<br />
besprochen.“ Uns war wichtig, dass wir<br />
von Anfang an kleine Schritte setzen,<br />
sodass die Mitarbeitenden das Gefühl<br />
haben, das leben wir bereits.<br />
Regelmäßige Evaluierungen auf<br />
verschiedenen Ebenen.<br />
was absolute „No Gos“ im roten Bereich<br />
sind. Natürlich gibt es einen Graubereich<br />
dazwischen. Dabei ist es auch wichtig,<br />
Kindern zu zeigen, dass auch Erwachsene<br />
Fehler machen. Wenn Erwachsene bspw.<br />
einmal laut werden, ist die anschließende<br />
Reaktion entscheidend, indem sie<br />
zu Kindern hingehen <strong>und</strong> sagen: „Das tut<br />
mir leid, dass ich laut geworden bin. Aber<br />
ich bin so erschrocken, ich war so in Sorge<br />
<strong>und</strong> in dem Moment ist es lauter rausgekommen,<br />
als ich wollte. Das tut mir<br />
leid.“ Und das ist, finde ich, eine gesamtgesellschaftliche<br />
Message im Zuge des<br />
<strong>Schutzkonzept</strong>s, wie wir miteinander<br />
umgehen.<br />
Verhaltensampel als erste Möglichkeit<br />
der Einschätzung von<br />
Kindeswohlgefährdungen.<br />
Gerold-Siegl: Auf der Elternseite merken<br />
wir, dass Eltern durch das <strong>Schutzkonzept</strong><br />
wissen, dass wir im Falle eines Schutzfalls<br />
professionell agieren <strong>und</strong> Kinderschutzbeauftragte<br />
haben. Wir arbeiten immer<br />
transparent mit den zuständigen Behörden<br />
zusammen.<br />
Kneidinger: Ihr habt bereits zahlreiche<br />
Schritte der Implementierung in der<br />
näheren <strong>und</strong> ferneren Vergangenheit<br />
angesprochen. Wenn wir in die Zukunft<br />
schauen – welche weiteren Schritte habt<br />
ihr geplant?<br />
Bottom up <strong>und</strong> partizipative<br />
Elemente in der<br />
Erarbeitung<br />
Kern: Was mir wichtig ist zu sagen: <strong>KIWI</strong><br />
hat nicht den Weg gewählt, wo jemand<br />
in einem stillen Kämmerchen sitzt <strong>und</strong><br />
dieses Konzept schreibt, das anschließend<br />
nur mehr von den Mitarbeitenden<br />
unterschrieben werden muss. <strong>KIWI</strong><br />
hat bewusst nicht nur die Kosten des<br />
Erstellens übernommen, sondern wir<br />
haben das bottom up mit unterschiedlichen<br />
Berufsgruppen in unterschiedlichen<br />
Arbeitsgruppen erarbeitet. Wir haben in<br />
Für die Zukunft ist wichtig, dass das<br />
regelmäßig evaluiert wird. Es gibt festgelegte<br />
Feedback-Termine mit den Kinderschutzbeauftragten,<br />
bei denen Risikoanalysen<br />
stattfinden sowie Termine mit der<br />
Geschäftsführung. Es wird protokolliert,<br />
welche Fälle bei <strong>KIWI</strong> aufgetreten sind<br />
<strong>und</strong> wo die Kinderschutzbeauftragten<br />
Verbesserungsbedarf sehen bzw. was sie<br />
empfehlen. Es geht um die Frage, was wir<br />
implementieren könnten oder nochmals<br />
implementieren sollten. Es ist ganz<br />
wichtig, dass wir bei allem, was wir tun,<br />
das Feedback, das wir erhalten, sehr ernst<br />
nehmen. Eine Mappe im Regal stehen<br />
zu haben <strong>und</strong> zu sagen, wir sind fertig,<br />
das ist zu wenig. Wir wissen, dass wir<br />
uns weiterentwickeln, auch beim Thema<br />
„<strong>Schutzkonzept</strong>“.<br />
Mit Onboarding neue<br />
Mitarbeitende ins <strong>Schutzkonzept</strong><br />
holen<br />
Gerold-Siegl: Wir sehen, dass das Thema<br />
nie abgeschlossen ist, beispielsweise bei<br />
Mitarbeitenden, die neu bei <strong>KIWI</strong> sind<br />
<strong>und</strong> im Zuge des Onboardings ins Thema<br />
24
hereingeholt werden. Das betrifft nicht<br />
nur die Mitarbeitenden bei <strong>KIWI</strong>, sondern<br />
auch Externe, Ehrenamtliche, Firmen<br />
<strong>und</strong> Praktikant*innen. Da müssen wir<br />
auch darauf achten, ob die Botschaft des<br />
<strong>Schutzkonzept</strong>s angekommen ist. Wir<br />
haben viele Ressourcen in den Prozess<br />
gesteckt <strong>und</strong> werden weiter das eine<br />
oder andere implementieren.<br />
Wir haben auch die Risikoanalyse, mit<br />
der wir in regelmäßigen Abständen<br />
Risiken bei <strong>KIWI</strong> überprüfen <strong>und</strong> schauen,<br />
was „aufpoppt“ <strong>und</strong> was wir dagegen<br />
machen können. Das kann eine Maßnahme,<br />
eine Schulung sein oder wir<br />
müssen Impulse setzen. <strong>Die</strong>ses Thema ist<br />
ein „Dauerbrenner“. Es könnte auch ein<br />
kleiner Schubs bei Mitarbeitenden sein<br />
im Sinne von: „Schau dir das einmal an.“<br />
Kern: Wie ich vorher schon gesagt habe:<br />
<strong>KIWI</strong> hat bereits ganz vieles, es wurde<br />
nur nicht durch die Brille des <strong>Schutzkonzept</strong>s<br />
betrachtet. Jetzt gehen wir genau<br />
den umgekehrten Weg: Wir schauen<br />
im pädagogischen Alltag immer wieder<br />
mit der „Schutzbrille“ auf Situationen<br />
<strong>und</strong> berücksichtigen das auch im<br />
Onboarding. Es gibt fünf verschiedene<br />
Onboarding-Module. Jeder Freitag ist<br />
bei <strong>KIWI</strong> ein „Onboarding-Tag“, an dem<br />
die neuen Mitarbeitenden bei uns in der<br />
Geschäftsstelle sind.<br />
Das <strong>Schutzkonzept</strong> ist eine Querschnittsthematik,<br />
egal, ob es um Teamkommunikation<br />
oder um die Interaktionen mit<br />
Kindern geht – das <strong>Schutzkonzept</strong> <strong>und</strong><br />
der Verhaltenskodex werden durchgängig<br />
thematisiert.<br />
Auch der Austausch mit Ausbildungsstellen<br />
ist in diesem Zusammenhang<br />
wichtig. Alle, die Praktikant*innen schicken,<br />
ob aus dem Inland oder im Zuge<br />
des Erasmus+-Austausches aus dem<br />
Ausland. Alle bekommen das <strong>Schutzkonzept</strong><br />
<strong>und</strong> den Verhaltenskodex, sodass<br />
wir bereits im Vorfeld sagen können: „Ihr<br />
könnt gerne zu <strong>KIWI</strong> kommen, das ist<br />
der Verhaltenskodex. Wenn ihr zu dem<br />
Ja sagen <strong>und</strong> das unterschreiben könnt,<br />
dann ist <strong>KIWI</strong> ein Praxisort für euch.“<br />
Externe, Ehrenamtliche, Firmen<br />
<strong>und</strong> Praktikant*innen kennen<br />
Schutzleitfaden <strong>und</strong> Verhaltenskodex.<br />
Gerold-Siegl: Das Schöne im Prozess<br />
war die Feststellung, als wir uns im<br />
vorläufigen Finale befanden, dass auch<br />
der Gesetzgeber in Wien <strong>und</strong> Österreich<br />
beschlossen hat, dass <strong>Schutzkonzept</strong> <strong>und</strong><br />
Verhaltenskodex verpflichtend werden.<br />
Wir haben uns drei Jahre Zeit zur Erarbeitung<br />
von <strong>Schutzkonzept</strong> <strong>und</strong> Verhaltenskodex<br />
genommen.<br />
Unsere Idee war, die Menschen in<br />
diesem Prozess mitzunehmen. <strong>KIWI</strong><br />
25
hat das in Arbeitsgruppen erarbeitet<br />
<strong>und</strong> gesagt: „Wir als Kindergarten- <strong>und</strong><br />
Hortträger sind modern <strong>und</strong> stellen<br />
uns dem Thema. Aber so, dass wir die<br />
Menschen mitnehmen können. <strong>KIWI</strong><br />
zeichnet der Blick in den internationalen<br />
Raum <strong>und</strong> die Suche nach neuen<br />
Konzepten aus, weil wir über den Tellerrand<br />
schauen.<br />
Zeitliche <strong>und</strong> finanzielle<br />
Ressourcen<br />
Kern: Ich möchte <strong>zum</strong> Abschluss nochmals<br />
betonen, wir versuchen als Träger<br />
in unserem Rahmen bestmöglich zu<br />
handeln. Das <strong>Schutzkonzept</strong> ist „state of<br />
the art“, das haben wir bereits gefordert,<br />
als das gesetzlich noch gar nicht vorgeschrieben<br />
war. Wir haben als Träger<br />
gesagt, es braucht ein <strong>Schutzkonzept</strong><br />
<strong>und</strong> wir brauchen auch die politische<br />
Verantwortlichkeit auf der Seite der<br />
Elementarbildung <strong>und</strong> des Horts. Dazu<br />
braucht es ein Bekenntnis von B<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Land, damit sich Rahmenbedingungen<br />
verändern: mehr Reflexionszeit,<br />
bezahlte Supervision, gut ausgebildetes<br />
Personal, kleinere Gruppen <strong>und</strong> mehr<br />
Fachpersonal. Es ist klar, dass diese<br />
Faktoren im Kontext des <strong>Schutzkonzept</strong>s<br />
das Risiko minimieren.<br />
Wenn wir uns als Gesellschaft dazu<br />
bekennen, dass <strong>Schutzkonzept</strong>e wichtig<br />
sind, muss man auf politischer Ebene<br />
auch die Ressourcen bieten, die es<br />
braucht, damit jene Menschen, die<br />
tagtäglich mit Kindern zusammen sind,<br />
das nachhaltig gut leben zu können. Es<br />
ist wichtig, hier nicht auf die Menschen<br />
zu vergessen.<br />
Ein <strong>Schutzkonzept</strong> ist natürlich wichtig<br />
mit Blick auf Kinderschutz, aber es ist<br />
auch wichtig für die Menschen, die in<br />
der Begleitung <strong>und</strong> Bildung von Kindern<br />
tätig sind <strong>und</strong> die besten Rahmenbedingungen<br />
brauchen.<br />
Kneidinger: Herzlichen Dank für dieses<br />
Interview mit den zahlreichen Einblicken<br />
in den umfassenden Implementierungsprozess<br />
von <strong>Schutzkonzept</strong> <strong>und</strong> Verhaltenskodex<br />
bei <strong>KIWI</strong>.<br />
möwe Ombudsstelle<br />
kinderinwien.at<br />
26
27
Leuchtturm sein<br />
<strong>Die</strong> Bedeutung von Biografiearbeit im Kontext Kinderschutz<br />
In diesem Erfahrungsbericht der pädagogischen<br />
Fachberaterin <strong>und</strong> unabhängigen Kinderschutzbeauftragten<br />
von <strong>KIWI</strong> Tamara Fichtinger geht es um<br />
die Bedeutung von Selbstreflexion <strong>und</strong> Biografiearbeit<br />
im Rahmen des Kinderschutzes. <strong>Die</strong>s illustriert<br />
die Autorin mit einer Kurzbeschreibung einer<br />
Teambegleitung in ihrer Funktion als unabhängige<br />
Kinderschutzbeauftragte.<br />
Tamara Fichtinger, BA<br />
Tamara Fichtinger, BA<br />
Kindergarten- <strong>und</strong> Hortpädagogin, Studium der<br />
Bildungswissenschaft, Safer Internet-Botschafterin,<br />
bei <strong>KIWI</strong> als pädagogische Fachberaterin <strong>und</strong> Kinderschutzbeauftragte<br />
tätig.<br />
28
Be a lighthouse<br />
The importance of biographical work in the context of child protection<br />
This experience report by Tamara Fichtinger, an<br />
educational consultant and independent child protection<br />
officer at <strong>KIWI</strong>, deals with the importance of<br />
self-reflection and biographical work in the context<br />
of child protection. The author illustrates this with<br />
a brief description of team support in her role as an<br />
independent child protection officer.<br />
Seit bereits drei Jahren arbeiten wir<br />
bei <strong>KIWI</strong> intensiv an unserem <strong>Schutzkonzept</strong>,<br />
<strong>und</strong> im Juni <strong>20</strong>23 wurde ein großer<br />
Meilenstein erreicht; das fertige <strong>Schutzkonzept</strong><br />
ist offiziell an die Standorte<br />
übergeben worden. In den letzten Jahren<br />
hat bereits eine intensive Auseinandersetzung<br />
mit den Inhalten des <strong>Schutzkonzept</strong>s<br />
durch z. B. verschiedene Arbeitskreise<br />
<strong>und</strong> Bildungstage stattgef<strong>und</strong>en.<br />
Selbstreflexion <strong>und</strong><br />
Biografiearbeit<br />
Was uns dabei als unabhängige Kinderschutzbeauftragte<br />
immer wieder<br />
aufgefallen ist, war die Tatsache, welchen<br />
hohen Stellenwert die Selbstreflexion<br />
<strong>und</strong> die eigene Biografiearbeit hierbei<br />
eingenommen haben.<br />
Wenn man einen Blick in die Fachliteratur<br />
wirft, liest man immer wieder, dass ein<br />
pädagogisches Fehlverhalten von Fachkräften<br />
durch multifaktorielle Ursachen<br />
entsteht. Es spielen also verschiedene<br />
Risikofaktoren mit <strong>und</strong> häufig bezieht<br />
sich ein Faktor auf eigene belastende<br />
biografische Erfahrungen. Wie andere<br />
Menschen auch, haben viele pädagogische<br />
Fachkräfte in ihrem Leben bereits<br />
Erfahrungen mit körperlicher, seelischer<br />
<strong>und</strong>/oder sexualisierter Gewalt gemacht<br />
<strong>und</strong> diese mehr oder weniger verarbeitet.<br />
Zwar übertragen die meisten Menschen,<br />
die in ihrer Kindheit <strong>und</strong> Jugend selbst<br />
Gewalt erlitten haben, diese Erfahrungen<br />
nicht auf ihr späteres Handeln, aber das<br />
Risiko erhöht sich dadurch deutlich (vgl.<br />
Maywald <strong>20</strong>19).<br />
Daraus ergibt sich eine gewisse Art von<br />
Notwendigkeit biografischer Kompetenz.<br />
Wer mit Kindern arbeitet, sollte sich<br />
idealerweise bereits mit seiner eigenen<br />
Biografie auseinandergesetzt haben.<br />
Man sollte erlebt haben, was die Auseinandersetzung<br />
mit der persönlichen<br />
Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft<br />
auslösen <strong>und</strong> bewirken kann (vgl. Klingenberger<br />
<strong>20</strong>15). Und dafür braucht es<br />
im Arbeitsalltag Zeit <strong>und</strong> Raum.<br />
Reflexionsr<strong>und</strong>en im <strong>KIWI</strong>-<br />
Hort Alma-Seidler-Weg<br />
Im Herbst <strong>20</strong>22 kam Anja Fischer,<br />
Leiterin des <strong>KIWI</strong>-Horts Alma-Seidler-<br />
Weg, auf mich zu <strong>und</strong> fragte mich, ob<br />
ich eine Teambesprechung gestalten<br />
kann, um ihrem Team die Möglichkeit<br />
zu geben, Antworten auf ihre Fragen<br />
<strong>und</strong> Themen r<strong>und</strong> um den Kinderschutz<br />
zu bekommen.<br />
Ich habe zugesagt <strong>und</strong> war bei unserem<br />
ersten Termin sehr gespannt, welche<br />
Themen aufkommen würden. Auch für<br />
die Möglichkeit, dass das Team keine<br />
Fragen oder Themen an mich haben<br />
sollte, habe ich mich vorbereitet. Nach<br />
einer kurzen Vorstellung des <strong>Schutzkonzept</strong>s<br />
<strong>und</strong> meiner Funktion als unabhängige<br />
Kinderschutzbeauftragte stellten<br />
die Teammitglieder ihre ersten Fragen<br />
<strong>und</strong> schnell kristallisierten sich Hauptthemen<br />
heraus. Am Ende des ersten<br />
gemeinsamen Termins war die Rückmeldung<br />
des Teams, dass sie es gut finden,<br />
einen geschützten Raum zu haben, um<br />
über ihre Themen sprechen zu können.<br />
In meiner Rolle als unabhängige<br />
Kinderschutzbeauftragte ist mir dadurch<br />
noch einmal mehr bewusstgeworden,<br />
wie wichtig der Austausch über den<br />
Arbeitsalltag ist <strong>und</strong> dabei eines immer<br />
mitschwingt – die eigene Biografie.<br />
29
Prinzipien der Biografiearbeit<br />
im Team<br />
Bei meinem zweiten Termin hatte ich<br />
schon etwas mehr Gefühl dafür, was<br />
mich wahrscheinlich erwarten würde.<br />
Unter anderem habe ich mich auch<br />
gezielter in Bezug auf Biografiearbeit<br />
vorbereitet <strong>und</strong> in die Fachliteratur<br />
eingelesen.<br />
Damit sich Menschen auch auf die Biografiearbeit<br />
einlassen können, braucht es<br />
feinfühliges Wahrnehmen <strong>und</strong> sensibles<br />
Handeln. Daraus ergeben sich bestimmte<br />
Prinzipien für die Biografiearbeit mit<br />
einem Team:<br />
• Transparenz: Es ist wichtig, dass die<br />
teilnehmenden Personen wissen,<br />
was mit ihren Erzählungen passiert.<br />
So habe ich am Beginn erklärt, dass<br />
alles, was wir in dieser R<strong>und</strong>e besprechen,<br />
auch hierbleibt. Sollte jedoch im<br />
Rahmen des biografischen Arbeitens<br />
ein akutes Schutzthema auftauchen,<br />
müssen entsprechende Schritte, in<br />
Absprache aller Beteiligten, gesetzt<br />
werden.<br />
• Vertraulichkeit <strong>und</strong> Zuverlässigkeit:<br />
Menschen öffnen sich in der Regel<br />
mehr, wenn sie sich sicher sein<br />
können, dass mit ihren persönlichen<br />
Erzählungen vertraulich umgegangen<br />
wird. Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit<br />
des Gegenübers ist eine<br />
wichtige Voraussetzung, um sich zu<br />
öffnen <strong>und</strong> sensible Themen anzusprechen.<br />
• Bewertungsfreiheit: Es geht nicht<br />
darum Erfahrungen, Entscheidungen,<br />
Wahrnehmungen von anderen zu<br />
bewerten.<br />
• Selbstbestimmung: Es gibt ein Recht<br />
auf Schweigen, jede Person entscheidet<br />
selbst, was mit den anderen<br />
geteilt wird.<br />
• Freiwilligkeit: <strong>Die</strong> teilnehmenden<br />
Personen entscheiden, ob <strong>und</strong> wieweit<br />
sie sich auf eine angebotene Methode<br />
(z. B. Einzelarbeit, Austausch in der<br />
Kleingruppe) einlassen.<br />
• Ressourcenorientierung: Biografiearbeit<br />
orientiert sich an den Potenzialen<br />
<strong>und</strong> Kompetenzen <strong>und</strong> weniger<br />
an den Problemen <strong>und</strong> Defiziten.<br />
Natürlich finden auch herausfordernde<br />
Situationen ihren Raum,<br />
sofern die teilnehmenden Personen<br />
diese ansprechen. Wichtig ist dabei,<br />
dass man darauf achtet, nicht in eine<br />
Negativspirale zu geraten.<br />
• Handlungs- <strong>und</strong> Transferorientierung:<br />
In der Biografiearbeit geht es nicht<br />
nur um das Reden über biografische<br />
Erfahrungen, Herausforderungen oder<br />
Träume. Der Transfergedanke spielt<br />
hier eine wichtige Rolle: Was bedeutet<br />
das Reflektierte konkret für das alltägliche<br />
Handeln? (vgl. Klingenberger<br />
<strong>20</strong>15)<br />
Mit Schrammen <strong>und</strong><br />
Narben umgehen<br />
Einen Text, den ich im Zuge dessen gerne<br />
teilen möchte, ist „Leuchtturm sein“ von<br />
Tita Kern, aus dem Buch „Leuchtturm<br />
sein – Trauma verstehen <strong>und</strong> betroffenen<br />
Kindern helfen“:<br />
„<strong>Die</strong> See kann rau sein, gefährlich <strong>und</strong><br />
wild. Doch mit Hilfe <strong>und</strong> einem starken<br />
Rettungslicht können auch schwere<br />
Stürme überstanden werden. Mit Spuren,<br />
Schrammen, Narben, sicherlich. Aber auch<br />
mit neuer Kraft, größer <strong>und</strong> voller Zuversicht<br />
– <strong>und</strong> Wind in den Segeln für alles,<br />
was noch kommen soll.“<br />
Übergabe der <strong>Schutzkonzept</strong>-Mappe an alle Standorte bei der Sommer-Klausur im Juni <strong>20</strong>23<br />
30
Für mich spiegelt dieser Text den<br />
Kindergarten- <strong>und</strong> Hortalltag sehr gut<br />
wider. In der pädagogischen Arbeit<br />
wartet manchmal eine raue See auf uns<br />
<strong>und</strong> wir werden manchmal mit einem<br />
pädagogischen Fehlverhalten konfrontiert.<br />
Wenn man z. B. erkennt, dass man<br />
Grenzen anderer überschritten hat oder<br />
einem selbst ein Verhalten zugeschrieben<br />
wird, mit dem man sich eigentlich<br />
nicht identifizieren kann, können dabei<br />
Schrammen <strong>und</strong> Narben entstehen. <strong>Die</strong><br />
Selbstreflexion <strong>und</strong> die Biografiearbeit<br />
sind in solchen Momenten unser Wind<br />
in den Segeln <strong>und</strong> helfen dabei, das<br />
Verhalten positiv zu verändern <strong>und</strong>/oder<br />
eine neue Sichtweise zu bekommen.<br />
Durch das sensible Hinschauen auf das<br />
eigene <strong>und</strong> das Verhalten anderer kann<br />
dieses häufig tabuisierte Thema der<br />
pädagogischen Grenzüberschreitungen<br />
die nötige Aufmerksamkeit bekommen.<br />
<strong>Die</strong> pädagogische Fachkraft<br />
als Leuchtturm<br />
Kinder haben ein Recht darauf, dass es<br />
ihnen gut geht, zu Hause <strong>und</strong> in Institutionen.<br />
Im Kindergarten <strong>und</strong> im Hort<br />
braucht es dafür pädagogische Fachkräfte,<br />
die davon überzeugt sind <strong>und</strong><br />
sich darum bemühen, ein „Leuchtturm“<br />
zu sein. Dafür braucht es natürlich auch<br />
die Möglichkeit für die Teammitglieder<br />
im Kindergarten <strong>und</strong> Hort, in diese<br />
Reflexion kommen zu können.<br />
Folgende Optionen bieten sich hier für<br />
alle <strong>KIWI</strong>-Mitarbeiter*innen bspw. an:<br />
die wöchentlichen Online-Sprechst<strong>und</strong>en<br />
mit uns unabhängigen Kinderschutzbeauftragten,<br />
die Reflexionsr<strong>und</strong>e<br />
im Rahmen einer Teambesprechung, die<br />
Teilnahme an regelmäßigen <strong>KIWI</strong>-Supervisionsr<strong>und</strong>en<br />
entweder im Team oder<br />
als Einzelsupervision, die wöchentliche<br />
pädagogische Sitzung, die wöchentliche<br />
Marktstand Kinderschutz der unabhängigen Kinderschutzbeauftragten Tamara Feichtinger,<br />
BA <strong>und</strong> Andrea Koinig, BA MA auf der Fachkräfte-Klausur im Juni <strong>20</strong>23<br />
homegroup-Besprechung, die verpflichtende<br />
Selbstreflexion, die Bildungstage<br />
zu pädagogischen Themen, die Teilnahme<br />
an Fortbildungen der <strong>KIWI</strong>-Akademie,<br />
die kollegiale Beratung <strong>und</strong> die<br />
Teilnahme an pädagogischen „R<strong>und</strong>en<br />
Tischen“.<br />
An dieser Stelle möchte ich mich auch<br />
beim Team <strong>KIWI</strong>-Hort Alma-Seidler-Weg<br />
für die Offenheit <strong>und</strong> Reflexionsbereitschaft<br />
bedanken <strong>und</strong> auch dafür, dass<br />
ich sie hierbei ein Stück weit begleiten<br />
darf.<br />
Quellenangabe:<br />
Klingenberger, Hubert (<strong>20</strong>15). Biografiearbeit<br />
in Schule <strong>und</strong> Jugendarbeit (1. Auflage).<br />
Don Bosco Verlag<br />
Maywald, Jörg (<strong>20</strong>19). Gewalt durch pädagogische<br />
Fachkräfte verhindern. Herder<br />
Verlag<br />
Kern, Tita (<strong>20</strong>19). Leuchtturm sein. Trauma<br />
verstehen <strong>und</strong> betroffenen Kindern helfen.<br />
Kösel-Verlag.<br />
31
<strong>Partizipation</strong> lässt Kinder<br />
selbstbewusst werden<br />
Gedanken einer Führungskraft zu <strong>Partizipation</strong><br />
im Kindergarten<br />
Selbstbewusste Menschen, die eine Wahl treffen<br />
können <strong>und</strong> dann auch zu ihrer Wahl stehen, sind ein<br />
wichtiger Baustein der Demokratie. <strong>Die</strong>s zu fördern<br />
<strong>und</strong> einzuüben, ist auch im „Mikrokosmos“ Kindergarten<br />
durch <strong>Partizipation</strong> möglich.<br />
<strong>Die</strong> Kindergartenleiterin Manuela Kössler beschreibt<br />
in diesem Praxisbericht die einzelnen Schritte von der<br />
Wahl eines*einer Gruppensprecher*in bis zu Gesamtentscheidungen<br />
für den Standort.<br />
Manuela Kössler<br />
Manuela Kössler<br />
Kindergartenpädagogin, Sonderkindergartenpädagogin,<br />
Elternbildnerin, seit 13 Jahren bei <strong>KIWI</strong> als<br />
Leitung tätig.<br />
32
Participation helps children become self-confident<br />
A manager‘s thoughts on participation in kindergarten<br />
Self-confident people who can make a choice and<br />
then stand by their choice are an important building<br />
block of democracy. Encouraging and practising<br />
this is also possible in the „Microcosm“ kindergarten<br />
through participation.<br />
In this practical report, kindergarten manager<br />
Manuela Kössler describes the individual steps from<br />
the choice of a group spokesperson to overall decisions<br />
for the location.<br />
Eine Mitarbeiterin formulierte einst<br />
in einer Reflexion den aussagekräftigen<br />
Satz: „<strong>Partizipation</strong> ist ein <strong>Schlüssel</strong> zu<br />
selbstbewussten Kindern, die Verantwortung<br />
tragen können.“ Im pädagogischen<br />
Alltag sind wir immer bestrebt,<br />
Kinder darin zu unterstützen, Selbstbewusstsein,<br />
Selbstkompetenz <strong>und</strong><br />
Selbstbestimmung zu entwickeln. Aber<br />
trauen wir unseren Kindern letztendlich<br />
auch Verantwortung zu?<br />
<strong>Partizipation</strong> im Mikrokosmos<br />
Kindergarten<br />
Partizipieren heißt mitentscheiden,<br />
etwas auswählen, eine Entscheidung<br />
treffen, aber auch das Ergebnis einer<br />
Entscheidung annehmen können. Eine<br />
Fähigkeit, die vielen Erwachsenen oft<br />
nicht leichtfällt, die aber bereits im<br />
„Mikrokosmos“ Kindergarten erprobt <strong>und</strong><br />
geübt werden kann.<br />
An unserem Standort gibt es schon<br />
seit mehreren Jahren von den Kindern<br />
gewählte „Gruppensprecher*innen“. In<br />
den einzelnen Gruppen werden die Kinder<br />
darüber informiert, dass sie die Mög-<br />
33
lichkeit haben, sich <strong>zum</strong> Gruppensprecher<br />
oder zur Gruppensprecherin wählen<br />
zu lassen. Wir erklären ihnen, dass sie<br />
im Namen aller Kinder ihrer Gruppe<br />
Wünsche, Anregungen, Beschwerden<br />
oder Vorschläge mit den Erwachsenen<br />
im Kindergarten besprechen können. Sie<br />
lernen dabei erstmals das demokratische<br />
Prinzip einer Wahl kennen.<br />
Für die Wahl kandidieren<br />
Vorab wird einmal geklärt, wer sich zur<br />
Gruppensprecher*innenwahl aufstellen<br />
lassen möchte. <strong>Die</strong> Erfahrung der letzten<br />
Jahre hat gezeigt, dass bereits vier- bis<br />
sechsjährige Kinder großes Interesse<br />
daran haben, mitbestimmen zu können.<br />
Da es uns sehr wichtig ist, Mädchen <strong>und</strong><br />
Buben gleichberechtigt zu beteiligen,<br />
stehen pro Gruppe immer ein Mädchen<br />
<strong>und</strong> ein Bub zur Wahl.<br />
Um den Prozess einer Wahl für die<br />
Kinder nachvollziehbar <strong>und</strong> begreifbar zu<br />
machen, werden in einem Kreis Fotos von<br />
den zur Wahl stehenden Kindern aufgelegt.<br />
Jedes Kind, <strong>und</strong> hier beteiligen sich<br />
bereits unsere Zweijährigen, erhält einen<br />
Muggelstein <strong>und</strong> legt diesen Stein zu<br />
dem Kind, das es <strong>zum</strong>*zur Gruppensprecher*in<br />
bestimmen möchte. <strong>Die</strong> Kinder<br />
wissen, dass sie sich nicht selbst wählen<br />
können.<br />
Gut überlegte Wahl<br />
Es ist jedes Jahr zu beobachten, dass die<br />
Kinder diese Wahl sehr ernst nehmen.<br />
Was wir ebenfalls beobachten konnten<br />
ist, dass die Kinder ein sehr gutes<br />
Gespür haben, wem sie ihre Stimme<br />
geben. <strong>Die</strong> Wahl fällt nicht auf die Kinder,<br />
die meist durch ihr selbstbewusstes,<br />
extrovertiertes Auftreten im Mittelpunkt<br />
stehen. Es werden jene Kinder ausgesucht,<br />
die sich an Vereinbarungen halten,<br />
die oft auch sehr still, aber verlässlich,<br />
<strong>und</strong> für andere Kinder einschätzbar<br />
sind. Wir haben über die Jahre gesehen,<br />
dass Kinder ein sehr gutes Gespür<br />
haben, wem sie Verantwortung übertragen<br />
können <strong>und</strong> ihr Vertrauen schenken.<br />
Für die gewählten Kinder ist dieses<br />
entgegengebrachte Vertrauen auch<br />
ein „Booster“, der ihr Selbstbewusstsein<br />
steigert. Ganz deutlich wurde es<br />
uns letztes Jahr, da in einer Gruppe<br />
ein sehr stiller, zurückhaltender Junge<br />
<strong>zum</strong> Gruppensprecher gewählt wurde.<br />
Wir hätten nie gedacht, dass er sich<br />
zutrauen würde, die Gruppe zu vertreten.<br />
Wir haben uns sehr getäuscht, denn<br />
er kam selbstbewusst zu den Treffen,<br />
artikulierte die Wünsche seiner Gruppe<br />
<strong>und</strong> trat sehr selbstsicher auf.<br />
34
Mitbestimmung bei<br />
Festelementen<br />
Wir brauchen uns also nicht davor zu<br />
scheuen, Kindern Verantwortung zu<br />
übertragen. Im Gegenteil: <strong>Die</strong> Kinder<br />
wachsen daran.<br />
Seit einigen Jahren lassen wir auch die<br />
Kinder über den Ablauf diverser Feste<br />
mitbestimmen. In den Gruppen sammeln<br />
sie Ideen, was sie bspw. essen möchten<br />
oder was das Highlight des Festes sein<br />
soll. <strong>Die</strong>s entlastet uns Pädagog*innen,<br />
weil wir sehen, dass die Kinder auch bei<br />
Festen an Ritualen festhalten <strong>und</strong> sie<br />
nicht das Bedürfnis haben, immer mit<br />
neuem Input überrascht zu werden. Zum<br />
Faschingsfest z. B. sind ihnen das Schminken<br />
<strong>und</strong> die Kinderdisco sehr wichtig.<br />
Beim Essen werden Donuts bevorzugt<br />
<strong>und</strong> nicht Faschingskrapfen, wie wir es<br />
erwartet hätten.<br />
also die Entscheidung ihrer Gruppe, ab.<br />
Ich werde die Aussage eines Mädchens<br />
nie vergessen, welches verantwortungsbewusst<br />
den Klebepunkt an eine Stelle<br />
klebte <strong>und</strong> danach seufzend sagte: „Das<br />
ist nicht meine Entscheidung, aber die<br />
Kinder aus meiner Gruppe haben so<br />
abgestimmt.“ Es war ihr bewusst, welche<br />
Verantwortung sie als Gruppensprecherin<br />
trägt, <strong>und</strong> es ist ihr vorbildhaft gelungen,<br />
ihre eigenen Bedürfnisse im Sinne<br />
der Gemeinschaft zurückzustellen.<br />
Wenn es uns gelingt, Kindern diese<br />
Werte zu vermitteln, tragen wir zu<br />
wesentlichen <strong>und</strong> wertvollen Gr<strong>und</strong>steinen<br />
einer tragfähigen, einander unterstützenden<br />
Gesellschaft bei.<br />
Eigene Meinung<br />
zurückstellen<br />
Um Entscheidungen transparent zu<br />
machen, gibt es z. B. ein vorbereitetes<br />
Flipchart <strong>und</strong> die Gruppenvertreter*innen<br />
geben mit Klebepunkten die Stimme,<br />
35
Kinder haben das Recht auf ein „Nein“<br />
Gelebter Kinderschutz im Hort<br />
Der Fortbestand unserer demokratischen Strukturen<br />
ist eng mit den Kinderrechten verb<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong>s<br />
setzt voraus, dass Kinder ihre Rechte kennen, um<br />
sie einfordern zu können. <strong>Die</strong>ser Praxisbericht zeigt<br />
dafür verschiedene partizipative Möglichkeiten auf<br />
<strong>und</strong> verweist auf Programme, die Kindern einen<br />
achtsamen Umgang mit eigenen Emotionen <strong>und</strong><br />
denen anderer erleben lässt.<br />
Anja Fischer<br />
Anja Fischer<br />
Hortleitung bei <strong>KIWI</strong> im Hort Alma-Seidler-Weg;<br />
Diplomierte Sozialpädagogin; Diplomlehrgang für<br />
Interkulturelle Pädagogik im Rahmen des Equal <strong>20</strong>00<br />
– Projekts „Verschiedene Herkunft – Gemeinsame<br />
Zukunft“ in Niederösterreich; verschiedene Projekte<br />
für Kinder <strong>und</strong> Erwachsene in Zusammenarbeit mit<br />
der NÖ Landesakademie <strong>und</strong> dem Integrationsreferat<br />
der Stadt Wiener Neustadt.<br />
36
Children have the right to say „no“<br />
Practising child protection in after-school care<br />
The continued existence of our democratic structures<br />
is closely linked to children’s rights. This<br />
presupposes that children know their rights in order<br />
to be able to can claim them. This practical report<br />
shows various participatory options and refers to<br />
programs that allow children to experience careful<br />
handling of their own emotions and those of others.<br />
Um Kindern optimalen Schutz zu<br />
geben, gehört es zu unseren Aufgaben<br />
als Erwachsene im Hort, Kindern ihre<br />
Rechte näherzubringen <strong>und</strong> sie darüber<br />
zu informieren. Ebenso müssen wir Kinder<br />
darin bestärken <strong>und</strong> befähigen, auf<br />
sich selbst zu achten <strong>und</strong> anderen ihre<br />
Grenzen aufzuzeigen sowie sich erforderlichenfalls<br />
Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung<br />
zu holen, indem sie sich an eine ihnen<br />
vertraute Person wenden.<br />
Kinderrechte im<br />
Hortalltag<br />
Wir Erwachsene können selbst dafür<br />
sorgen, zu unserem Recht zu kommen –<br />
Kinder brauchen dafür Erwachsene, die<br />
sie informieren, achtsam begleiten <strong>und</strong> es<br />
ihnen ermöglichen, Erfahrungen zu sammeln.<br />
Das „Samurai-Programm“ bietet<br />
dazu eine hilfreiche Unterstützung. <strong>Die</strong>ses<br />
Programm fließt im Hort Alma-Seidler-<br />
Weg in das pädagogische Programm ein<br />
<strong>und</strong> wird umgesetzt, weil ich als Leiterin<br />
zertifizierte „Samurai-Trainerin“ bin.<br />
Bei uns im Hort beschützt der Kinderrechtedrache<br />
„Drako“ die Rechte der Kinder.<br />
<strong>Die</strong> Kinder erarbeiteten gemeinsam<br />
mit ihrer Pädagogin Anna ihre Rechte<br />
<strong>und</strong> hielten sie auf gestalteten Blättern<br />
schriftlich fest. Ein starker Baum wurde<br />
mit den „Rechteblättern“ begrünt <strong>und</strong><br />
„Drako“ entworfen <strong>und</strong> gebastelt, um gut<br />
37
auf die Blätter des immergrünen Baumes<br />
aufzupassen. Seitdem lebt „Drako“ auf<br />
einer Pinnwand zentral im Gang des Hortes<br />
<strong>und</strong> begleitet unseren Alltag.<br />
<strong>Die</strong> Auseinandersetzung der Kinder mit<br />
ihren eigenen Rechten sichert nicht nur<br />
die Menschenwürde der Kinder, sondern<br />
zeigt auch die besonderen Bedürfnisse<br />
auf, die Kinder in dieser Lebensphase<br />
haben. Kinderrechte beschreiben vieles,<br />
was Kinder für ein gutes Aufwachsen<br />
brauchen – die Visualisierung <strong>und</strong> somit<br />
Transparenz am Standort erinnert auch<br />
alle Erwachsenen täglich daran, wie sehr<br />
das Kindeswohl an die Erfüllung der<br />
Kinderrechte geb<strong>und</strong>en ist.<br />
<strong>Partizipation</strong> sichert<br />
unsere Zukunft<br />
Durch das Ausüben des Rechtes auf<br />
Beteiligung lernen Kinder vor allem<br />
demokratisches Denken <strong>und</strong> Handeln.<br />
Somit ist der Fortbestand unserer<br />
demokratischen Strukturen eng mit den<br />
Kinderrechten verb<strong>und</strong>en. Wenn wir<br />
<strong>Partizipation</strong> im Alltag leben, können sich<br />
Kinder zu sachverständigen <strong>und</strong> mündigen<br />
Mitgliedern unserer Gesellschaft entwickeln,<br />
die in der Lage sind, Demokratie<br />
zu leben <strong>und</strong> mitzugestalten.<br />
Gr<strong>und</strong>lage für unser partizipatives<br />
Arbeiten ist die Fähigkeit <strong>und</strong> Bereitschaft<br />
zur demokratischen Teilhabe.<br />
<strong>Partizipation</strong> beschreibt gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
die verschiedensten Formen einer<br />
altersgemäßen Mitwirkung, Mitgestaltung<br />
<strong>und</strong> Mitbestimmung der Kinder am<br />
Hortalltag. Sie können ihre Ideen, Meinungen,<br />
Empfindungen <strong>und</strong> Sichtweisen<br />
miteinbringen <strong>und</strong> gestalten aktiv das<br />
Zusammenleben mit.<br />
Wir nutzen <strong>zum</strong> Beispiel die Möglichkeit<br />
von Meinungsumfragen, vor allem, wenn<br />
es um unseren Speiseplan geht. Wir<br />
bekommen von unserem Essenslieferanten<br />
immer wieder die Möglichkeit, neue<br />
Gerichte oder Aufstriche mit den Kindern<br />
zu verkosten. <strong>Die</strong> Kinder werden dann<br />
eingeladen, sich durchzuprobieren <strong>und</strong><br />
ihre Stimme für die Gerichte abzugeben,<br />
die ihnen schmecken <strong>und</strong> Aufnahme<br />
in den Speiseplan finden sollen. Einmal<br />
jährlich werden auch zwei Vertreter*innen<br />
in jeder Gruppe gewählt, die den<br />
Speiseplan gemeinsam mit der Leitung<br />
überarbeiten.<br />
Geteilte Entscheidungsmacht<br />
schützt<br />
Es ist uns wichtig, in vielen Bereichen die<br />
Entscheidungsmacht mit den Kindern<br />
zu teilen <strong>und</strong> in einem gemeinsamen<br />
Prozess Lösungen für Probleme <strong>und</strong> Aufgaben<br />
im Hortalltag zu erarbeiten. <strong>Die</strong>s<br />
bedarf auch einer <strong>gelebten</strong> Rückmelde-<br />
<strong>und</strong> Beschwerdekultur. Kinder lernen<br />
nicht nur, Entscheidungen zu treffen,<br />
Vorschläge zu machen. Der nächste<br />
38
Schritt besteht darin, sich auch Mehrheiten<br />
für ihre Vorschläge zu suchen, damit<br />
Dinge Umsetzung im Alltag finden<br />
können. Dabei üben sie, ihre Meinung zu<br />
äußern, für ihre Bedürfnisse einzustehen<br />
<strong>und</strong> in der Rolle als Gruppenvertretung<br />
auch Verantwortung für andere zu<br />
übernehmen.<br />
Partizipative Prozesse im Hortalltag<br />
können für uns Erwachsene durchaus<br />
auch einmal langwierig werden. Manch<br />
eine für uns vielleicht unnötig erscheinende<br />
Diskussion, die von den Kindern<br />
initiiert wird <strong>und</strong> uns mit dem einem<br />
oder anderen Nein der Kinder konfrontiert,<br />
ist vielleicht auf den ersten Blick<br />
mühsam. Aber uns sollte eines immer<br />
bewusst sein: Indem wir Kindern lehren,<br />
selbst aktiv zu werden, für ihre Wünsche<br />
einzutreten <strong>und</strong> ihrer Stimme Gehör <strong>und</strong><br />
Bedeutung geben, tragen wir täglich <strong>zum</strong><br />
Kinderschutz bei.<br />
<strong>Die</strong> beiden Handpuppen „Hexe Ricki“ <strong>und</strong> „Zauberlehrling Toni“ verbinden abstrakte<br />
Themen wie Impulskontrolle oder Konfliktlösung mit viel Spaß <strong>und</strong> sichern nachhaltiges,<br />
emotionales Lernen.<br />
„Ich achte auf mich“<br />
Kinder sind aktuell belasteter denn je,<br />
denn sie wachsen in Krisenzeiten auf,<br />
sind mit Ereignissen konfrontiert, die<br />
auch unangenehme Emotionen wie<br />
Trauer, Angst <strong>und</strong> Wut hervorrufen<br />
können.<br />
Umso wichtiger ist es für uns, Kindern<br />
einen achtsamen Umgang mit sich selbst<br />
zu lehren. Das Wissen über <strong>und</strong> ein guter<br />
Umgang mit Emotionen unterstützt die<br />
Kinder beim Aufwachsen genauso, wie<br />
ein ges<strong>und</strong>es Körperbewusstsein, das<br />
Kennen von eigenen <strong>und</strong> fremden Grenzen<br />
<strong>und</strong> der Erwerb von sozial-emotionalen<br />
Kompetenzen. Wir möchten Kinder<br />
unterstützen, im Alltag selbstbewusster<br />
auftreten zu können, ihnen ermöglichen,<br />
ihren Selbstwert zu erhöhen <strong>und</strong> sich<br />
gegenüber Situationen abzugrenzen, in<br />
denen ihre Rechte nicht geachtet oder<br />
gar missachtet werden.<br />
Im heurigen Hortjahr haben wir uns<br />
als Ziel gesetzt, drei Programme am<br />
Standort zu implementieren, die unsere<br />
Hortkinder künftig dabei unterstützen<br />
sollen, gut auf sich selbst <strong>und</strong> auch auf<br />
andere zu achten.<br />
GRIPSOLOGISCH –<br />
ein <strong>Prävention</strong>sprogramm<br />
für Hortkinder<br />
<strong>Die</strong> Kinder erlernen eine differenzierte<br />
Selbst- <strong>und</strong> Fremdwahrnehmung von<br />
Gefühlen <strong>und</strong> sind in der Lage, Empathie<br />
zu empfinden. Verschiedene Methoden<br />
unterstützen die Kinder in ihrer Impulskontrolle,<br />
zeigen ihnen Möglichkeiten,<br />
auf emotionale Ereignisse zu reagieren<br />
<strong>und</strong> Situationen zu reflektieren. Strategien<br />
zur Problembewältigung <strong>und</strong><br />
gr<strong>und</strong>legende Kommunikationstechniken<br />
sollen die Kinder zu einer besseren<br />
Konfliktlösung befähigen. Aufbauend<br />
auf dem Wissen, welche Rechte ihnen<br />
zustehen, sollen die Kinder auch erkennen,<br />
worauf sie im Umgang mit anderen<br />
achten sollen.<br />
Mit Menti <strong>und</strong> Super-Menti<br />
auf Reisen<br />
Alles, was Kinder erleben, erlernen<br />
<strong>und</strong> ausprobieren, aktiviert immer ihre<br />
emotionalen Zentren stärker als bei uns<br />
Erwachsenen. Egal, was Kinder tun, ihre<br />
„Emotionen kommen immer mit“. Somit<br />
ist der Hort auch ein Ort des emotionalen<br />
Erlebens. Freude, Wut, Angst,<br />
Traurigkeit, Überraschung, aber auch<br />
Ekel machen den Hort zu einem bunten<br />
Übungsfeld im sozialen Miteinander.<br />
Wir Erwachsene kennen es nur allzu<br />
39
gut, wie schnell ein lachendes Kind eine<br />
ganze Hortgruppe mit seinem Lachen<br />
anstecken kann.<br />
Ziel des Programmes ist es, den Kindern<br />
verschiedene Emotionen näherzubringen<br />
<strong>und</strong> ihnen zu vermitteln,<br />
dass alle sechs Basisemotionen wichtig<br />
sind. Manche sind eher unangenehm,<br />
manche empfinden wir als angenehm,<br />
aber jede einzelne Emotion hat Schutz<strong>und</strong><br />
Kraftfunktionen. <strong>Die</strong> Kinder lernen<br />
den Umgang mit eigenen <strong>und</strong> fremden<br />
Emotionen <strong>und</strong> erwerben die Fähigkeit<br />
zur Selbstregulation.<br />
Durch das Miteinbeziehen der Eltern in<br />
das Programm als wichtige Bezugspersonen<br />
mit Vorbildwirkung wird den Kindern<br />
zusätzliche Sicherheit vermittelt.<br />
<strong>Die</strong> Besonderheit des Programms liegt<br />
darin, dass durch das Zusammenspiel<br />
der verschiedenen Lebenswelten des<br />
Kindes es die Erfahrung macht: „Du bist<br />
richtig – genau so, wie du bist.“<br />
Samurai-Programm<br />
„Fit für die Schule –<br />
Stark fürs Leben“<br />
Das Samurai-Programm ist ein leicht<br />
erlernbares, sehr wirkungsvolles Trainingsprogramm<br />
für Kinder <strong>und</strong> Erwachsene.<br />
Auch hier binden wir die Eltern<br />
in unseren Alltag mit ein. Es fördert die<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> eine altersgerechte<br />
Entwicklung. Durch Berührungen,<br />
Bewegung <strong>und</strong> Wahrnehmungsschulung<br />
lernen Kinder <strong>und</strong> Erwachsene, sich<br />
besser zu spüren <strong>und</strong> zu konzentrieren.<br />
Sie bekommen ein besseres Gefühl für<br />
ihre Bedürfnisse <strong>und</strong> lernen, diese auch<br />
auszudrücken. Es wechseln sich Sequenzen<br />
von Übungen an einem selbst mit<br />
Partnerübungen ab. Kinder wie Erwachsene<br />
lernen die eigenen Grenzen, aber<br />
auch die der anderen zu wahren, indem<br />
stets darauf geachtet wird, was einem<br />
selbst <strong>und</strong> auch dem anderen gut tut.<br />
<strong>Die</strong>se Haltung führt zu einem respektvollen,<br />
achtsamen Umgang mit sich<br />
selbst <strong>und</strong> miteinander.<br />
Vertrauen bietet Schutz<br />
All dies, was wir in unserem Hortalltag<br />
leben <strong>und</strong> Kindern mit auf ihren Weg<br />
geben, wäre uns nicht möglich, ohne<br />
Vertrauen. Der Hort muss für die Kinder<br />
ein Ort sein, der ihnen Sicherheit gibt,<br />
an dem sie Nähe, Anerkennung, Fürsorge<br />
<strong>und</strong> Empathie spüren. Gleichzeitig<br />
darf auch Platz für Konflikte, Frust oder<br />
Unannehmlichkeiten sein. Es ist unsere<br />
Aufgabe als Erwachsene, das Kind <strong>und</strong><br />
seine Bedürfnisse zu verstehen, es zu<br />
unterstützen, Worte für seine Anliegen<br />
zu finden <strong>und</strong> eine offene, wertschätzende<br />
Kommunikationsbasis mit dem<br />
Kind zu haben. Wir müssen Kindern<br />
zuhören, sie ernst <strong>und</strong> wichtig nehmen,<br />
40
was sie sagen. Das ist der Gr<strong>und</strong>stock,<br />
den wir als Erwachsene im Hort legen<br />
müssen, damit sich Kinder uns anvertrauen<br />
können <strong>und</strong> mit uns auch über<br />
peinliche oder schwierige Situationen<br />
sprechen.<br />
Eine gute Gesprächs- <strong>und</strong> Vertrauensbasis<br />
mit erwachsenen Bezugspersonen<br />
ist ein ebenso wichtiger Bestandteil von<br />
<strong>Prävention</strong> <strong>und</strong> Kinderschutz, wie umgesetzte<br />
Programme, <strong>Partizipation</strong> im<br />
Alltag <strong>und</strong> das kleine Wörtchen „Nein“.<br />
Kinder haben das Recht, geschützt zu<br />
werden –, <strong>und</strong> es liegt in der Verantwortung<br />
von uns Erwachsenen, diesen<br />
Schutz zu gewährleisten <strong>und</strong> sicherzustellen.<br />
FRISCH &<br />
G’SCHMACKIG,<br />
ALLES AUS EINER<br />
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KINDGERECHTES ESSEN,<br />
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41
BUCHREZENSIONEN<br />
Fachbücher<br />
Praxishandbuch Kinderschutz für Fachkräfte <strong>und</strong><br />
insoWeit erfahrene Fachkräfte<br />
Der Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII -<br />
Rechtliche, psychologische <strong>und</strong> pädagogische Aspekte<br />
Auch wenn dieses Fachbuch von deutschem<br />
Recht ausgeht <strong>und</strong> juristisch nur<br />
bedingt auf Österreich übertragbar ist,<br />
gibt es dennoch einen guten Überblick<br />
über die Aufgaben <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen r<strong>und</strong><br />
um den Kinderschutz. Alle, die Berührungspunkte<br />
mit dem Kinderschutz<br />
haben, erhalten das nötige Rüstzeug,<br />
um ihre Aufgaben in der Praxis in einem<br />
multiprfessionellem Team erfüllen zu<br />
können. Es gelingt mit diesem Buch,<br />
einen weiteren Schritt zu setzen, um<br />
den Schutz der Kinder zu gewährleisten.<br />
Andreas Dexheimer, Jörg M. Fegert, Michael Macsenaere, Susanne Kepert, Monika Feist-Ortmanns | Köln |<br />
Verlag Reguvis Fachmedien <strong>20</strong>23 | ISBN: 978-3-8462-1468-8<br />
Gewaltfreie Pädagogik in der Kita<br />
BasisWissen, Fallbeispiele, Reflexionsfragen <strong>und</strong> Checklisten<br />
für Team- <strong>und</strong> Elternarbeit<br />
<strong>Die</strong>se annähernd 100seitige Broschüre<br />
im DIN A5 Format ist Teil eines Materialpakets<br />
<strong>zum</strong> Selbststudium, für Teamentwicklung<br />
oder Fortbildungen sowie <strong>zum</strong><br />
Vorbereiten eines Elternabends. Es gibt<br />
Reflexions- <strong>und</strong> Diskussionskarten sowie<br />
Fallbeispielkarten mit kostenlosem<br />
Zusatzmaterial <strong>zum</strong> Downloaden.<br />
Damit werden Teams eingeladen, sich<br />
mit dem Thema „Kinderschutz“ auf vielfältige<br />
Weise auseinander zu setzen.<br />
Jörg Maywald, Anke Elisabeth Ballmann | München | Don Bosco <strong>20</strong>21 | ISBN 978-3-7698-2508-4<br />
42
BUCHREZENSIONEN<br />
Fachbücher<br />
<strong>Schutzkonzept</strong>e in Theorie <strong>und</strong> Praxis<br />
Ein beteiligungsorientiertes Werkbuch<br />
<strong>Die</strong>ses Buch geht nicht nur auf das<br />
Erarbeiten von <strong>Schutzkonzept</strong>en ein,<br />
sondern rückt durchgängig die Perspektiven<br />
der Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen auf<br />
<strong>Schutzkonzept</strong>e <strong>und</strong> deren Umsetzung<br />
in den Mittelpunkt. Darüber hinaus werden<br />
Herausforderungen bei der Umsetzung<br />
thematisiert.<br />
Mechthild Wolff, Wolfgang Schröer, Jörg M. Fegert (Hrsg.) | Weinheim <strong>und</strong> München |<br />
Juventa Verlag <strong>20</strong>17 | ISBN: 978-3-7799-3470-7<br />
UNICEF Unterrichtsmaterial & Kinderrechte<br />
https://unicef.at/infomaterial/kinderrechte-unterrichtsmaterialien/<br />
Am <strong>20</strong>. November 1989 erhielten alle Kinder verbriefte Rechte – auf Überleben, Entwicklung, Schutz <strong>und</strong> Beteiligung. <strong>Die</strong>se Kinderrechte<br />
sind mittlerweile mit den Social Development Goals (SDGs) untrennbar verknüpft. Auf dieser Website finden Interessierte<br />
Material zu den Kinderrechten, u.a. die digitale Kinderrechte-Box.<br />
43
BUCHREZENSIONEN<br />
Bilderbücher<br />
Ich bin ein Kind <strong>und</strong> ich habe Rechte<br />
1989 wurde die UN-Konvention über<br />
die Rechte des Kindes verabschiedet,<br />
deren Einhaltung ist noch immer keine<br />
Selbstverständlichkeit. <strong>Die</strong>ses Buch<br />
bringt einem in einfachen <strong>und</strong> schönen<br />
Erklärungen die 54 Kinderrechte näher.<br />
<strong>Die</strong>s passiert farbenfroh <strong>und</strong> poetisch,<br />
aber dennoch unmissverständlich.<br />
Ganz nach dem Motto: Man kann nicht<br />
früh genug damit anfangen, seine<br />
Rechte zu kennen!<br />
Altersempfehlung: für Kinder ab 4<br />
Jahren<br />
Alain Serres, Aurélia Fronty | Zürich | NordSüd Verlag, <strong>20</strong>13 | ISBN: 978-3-314-10174-8<br />
Wir haben Rechte!<br />
<strong>Die</strong> Kinderrechte kennenlernen <strong>und</strong> verstehen<br />
Kinder mit den Kinderrechten vertraut<br />
zu machen, ist eine wichtige Aufgabe<br />
für alle Erwachsenen. Wie kann es also<br />
gelingen, den Kindern selbst zu zeigen,<br />
welche Rechte es zu ihrem Schutz gibt?<br />
Und wenn man hier weiterdenkt: Was<br />
bedeutet das für das Zusammenleben<br />
im Kindergeraten, im Hort oder in der<br />
Familie?<br />
In diesem Bilderbuch werden insgesamt<br />
zehn Kinderrechte vorgestellt. Jedes<br />
Bild dieses Mini-Bilderbuchs stellt ein<br />
Kinderrecht in den Mittelpunkt <strong>und</strong><br />
erzählt dazu eine Szene mitten aus dem<br />
Kinderleben.<br />
Altersempfehlung: für Kinder ab 4<br />
Jahren<br />
Manuela Olten |München | Don Bosco <strong>20</strong>23 | ISBN: 978-3-7698-<strong>20</strong>99-7<br />
44
BUCHREZENSIONEN<br />
Bilderbücher<br />
Soll ich es sagen?<br />
Eine Geschichte über Geheimnisse<br />
„Das ist ein Geheimnis, das darfst du<br />
nicht erzählen.“<br />
<strong>Die</strong>sen Satz hört Ramin im Alltag in<br />
unterschiedlichen Situationen. Doch<br />
was ist eigentlich ein Geheimnis? Ramin<br />
lernt in dieser Geschichte, wann er ein<br />
Geheimnis für sich behalten darf <strong>und</strong><br />
wann er es besser erzählen sollte. Denn<br />
Geheimnisse können auch belasten <strong>und</strong><br />
es ist gut, wenn man sich in unangenehmen<br />
Situationen Hilfe holt.<br />
Altersempfehlung: für Kinder ab 3-4<br />
Jahren<br />
Clemens Fobian (Autor), Mirjam Zels (Illustratorin) | Hamburg | Marta Press UG (haftungsbeschränkt), <strong>20</strong>19 | ISBN: 978-3944442785<br />
Das komische Gefühl<br />
„Papas Kumpel Robert kann toll vorlesen.<br />
Aber wenn er dich dabei auf seinem<br />
Schoß so seltsam anfasst, kriegst du ein<br />
komisches Gefühl. Du kriegst es auch,<br />
wenn deine Tante Tina dich etwas zu<br />
lange abknutscht. Was ist das nur für ein<br />
Gefühl?“<br />
<strong>Die</strong>ses Bilderbuch beschäftigt sich mit<br />
körperlichen <strong>und</strong> seelischen Grenzüberschreitungen.<br />
Das Besondere daran: Hier<br />
spricht das „komische Gefühl“ selbst<br />
zu „seinem“ Kind, stellt sich als wachsame*n<br />
Begleiter*in vor, nicht immer<br />
angenehm, aber wichtig. Im Buch gibt<br />
es sogar eine Art Notruf, wenn das komische<br />
Gefühl Alarm schlägt: die gelbe<br />
Seite. Auf ihr stehen Sätze, die man sich<br />
gut merken kann <strong>und</strong> die helfen, eine<br />
unangenehme Situation aufzulösen.<br />
Altersempfehlung: für Kinder ab 3-4<br />
Jahren<br />
Hans-Christian Schmidt (Autor), Andreas Nemet (Ilustrator) | Leipzig | Klett Kinderbuch, <strong>20</strong>22 | ISBN: 978-3-95470-268-8<br />
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ImpreSsum<br />
Herausgeber: <strong>KIWI</strong> – Kinder in Wien, Wimbergergasse 30/1, 1070 Wien, office@kinderinwien.at, Tel: 01/526 70 07<br />
Verantwortlich für den Inhalt: Mag. a Gudrun Kern, Thomas-Peter Gerold-Siegl, MBA<br />
Inhaltliche Projektkoordination: Mag. a Lisa Kneidinger<br />
Organisatorische Projektkoordination <strong>und</strong> Illustration: Susanne Borth, MSc, Mag. (FH) Roman Gerold, Bakk. phil.<br />
Grafische Gestaltung: Eleonore Eder<br />
Fotos: Adobe Stock, Alamy <strong>und</strong> <strong>KIWI</strong> – Kinder in Wien<br />
Druck: ALANOVA Druckerei GmbH, Rathstraße 32a, 1190 Wien – www.alanovadruck.at<br />
BildnachWeis<br />
<strong>KIWI</strong>: Seiten 3, 7, 11, 17, <strong>20</strong>, 22, 23, 25, 26, 30, 31, 33, 34, 35, 37, 38,<br />
39, 40, 41<br />
Shutter Stock: Seite 16<br />
Adobe Stock: Seiten Cover, 4, 5, 8, 12, 14, 18, 24, 28, 32, 36, Back-Cover<br />
Österreichischer Kinderschutzb<strong>und</strong> Wien (ÖKSB-Wien) Verein für<br />
gewaltlose Erziehung: Seite 6<br />
Kompetenzstelle Kinderschutz Elementarpädagogik: Seite 15<br />
Alle anderen Fotos befinden sich im urheberrechtlichen Besitz<br />
von <strong>KIWI</strong>, sofern nicht anders angeführt.<br />
ISBN: 978-3-9519770-1-0
www.kinderinwien.at