4 Fallbeispiel „Quartier an der Stadtmauer“ zu Bamberg
4 Fallbeispiel „Quartier an der Stadtmauer“ zu Bamberg
4 Fallbeispiel „Quartier an der Stadtmauer“ zu Bamberg
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Stadt und Identität<br />
zwischen Corporate Identity<br />
und Dekonstruktion<br />
Am <strong>Fallbeispiel</strong> <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong> in <strong>Bamberg</strong><br />
Überarbeitete Bachelorarbeit<br />
Juli/August 2012<br />
von Korbini<strong>an</strong> Kundmüller
ie vorliegende Arbeit ist <strong>der</strong> leicht über-<br />
Arbeitete text <strong>der</strong> bAchelorArbeit (bA) die Am<br />
6. Juli 2012 An <strong>der</strong> Fh erFurt eingereicht wurde. er<br />
wurde ergänzt durch grAFiken die im rAhmen <strong>der</strong> ver-<br />
teidigung <strong>der</strong> bAcheolorArbeit Am 25. Juli 2012 erstellt<br />
und präsentiert wurden. diese wurden Für die buch-<br />
Form neu erstellt. neu sind Ausserdem dAs vorwort<br />
und eine textstelle im AnhAng. betreuer <strong>der</strong> bA wAren<br />
proF.dr.-ing. ingo wietzel und m.sc. michAel steinke.
Vorwort<br />
Den endgültigen Anstoß für dieses Thema erhielt ich durch eine nicht deutschstämmige<br />
Dozentin, die im Anschluß <strong>an</strong> ein Seminar ihren Herkunftsort als „seelen- und charakterlos“<br />
bezeichnete, nur um ihrer neuen Thüringer Heimstätte <strong>an</strong>schließend eben Seele<br />
und Charakter <strong>zu</strong><strong>zu</strong>sprechen. Dieser positive Prozess des Heimisch-Werdens begeisterte<br />
mich und ließ mich das Thema „Stadt und Identität“ für die Bachelorarbeit festlegen.<br />
Konkret wurde es d<strong>an</strong>n schon recht bald, als ich mich mit <strong>der</strong> Debatte um das <strong>„Quartier</strong><br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong> in <strong>Bamberg</strong> ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>setzte. Denn hier beklagten sich einige Einheimische<br />
mit dem gleichen Wortschatz, den die Dozentin für ihre alte Heimat benutzt<br />
hatte, über ein <strong>an</strong> sich begrüßungswertes Projekt. Damit war auch das konkrete <strong>Fallbeispiel</strong><br />
für die Arbeit gefunden.<br />
Ich möchte mich <strong>an</strong> dieser Stelle bei allen Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen<br />
bed<strong>an</strong>ken - wenn ich auch lei<strong>der</strong> nicht Ihre Namen nennen k<strong>an</strong>n. D<strong>an</strong>ke für die Zeit,<br />
wichtige Hinweise und praktische Materialien. Ohne Ihre Mitarbeit hätte die Arbeit so<br />
nicht geschafft werden können!<br />
Ich hoffe das ich durch diese für Sie komplett neu gestaltete aber inhaltlich unverän<strong>der</strong>te<br />
Arbeit etwas <strong>zu</strong>rückgeben k<strong>an</strong>n.<br />
Durch die Prüfung und Überarbeitung wurde ich noch auf einige Schwächen und neue<br />
Aspekte aufmerksam gemacht. Trotzdem stellt die Arbeit in <strong>der</strong> vorliegenden Fassung<br />
ein rundes Ergebnis dar. D<strong>an</strong>k geht <strong>an</strong> dieser Stelle auch <strong>an</strong> die Betreuer <strong>der</strong> Arbeit Prof.<br />
Dr.-Ing. Ingo Wietzel und M. Sc. Michael Steinke. Insbeson<strong>der</strong>e Herrn Prof. Dr. Wietzel<br />
gilt D<strong>an</strong>k als Erstbetreuer und damit für die Toler<strong>an</strong>z für dieses Thema, scharfe Kritik<br />
und Hinweise während <strong>der</strong> ersten Schritte.<br />
D<strong>an</strong>k geht vor allem auch <strong>an</strong> meine Familie, für die ausgiebige und selbstlose Unterstüt<strong>zu</strong>ng,<br />
die ich während <strong>der</strong> Arbeit erhalten habe. Vorbildhaft!<br />
Ich hoffe, dass die folgende D<strong>an</strong>ksagung nicht als „falscher Pathos“ son<strong>der</strong>n als „Selbstverständlichkeit“<br />
verst<strong>an</strong>den wird: denn D<strong>an</strong>k geht <strong>zu</strong>nächst auch <strong>an</strong> die verblichenen<br />
<strong>Bamberg</strong>er die in den letzten tausend Jahren <strong>Bamberg</strong> <strong>zu</strong> einem einzigartigen und liebenswürdigen<br />
Ort gemacht haben, sowie <strong>an</strong> ihre lebendigen Nachfolger, die diesen Zust<strong>an</strong>d<br />
halten und mehren möchten.<br />
Denn es ist keine Selbstverständlichkeit das m<strong>an</strong> im Inneren einer Stadt lustw<strong>an</strong>deln<br />
k<strong>an</strong>n und schon die bloße Erinnerung dar<strong>an</strong> reicht, um einen Bachelorarbeiter <strong>an</strong> den<br />
Schreibtisch <strong>zu</strong> fesseln.
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einleitung ..........................................................................................................................1<br />
1.1 Begründung des Themas ...................................................................................1<br />
1.2 Einordnung des Themas in den St<strong>an</strong>d <strong>der</strong> Wissenschaft ..............................2<br />
1.3 Zielset<strong>zu</strong>ng und Methodik ................................................................................3<br />
1.4 Darstellung <strong>der</strong> eigenen Leitfragen ................................................................4<br />
2 Grundlagen .......................................................................................................................5<br />
2.1 Stadt und Identität ..............................................................................................5<br />
2.1.1 Begriffsklärungen ....................................................................................5<br />
2.1.2 Die europäisch-deutsche Stadt ...............................................................7<br />
2.2 Dekonstruktion von Identität ...........................................................................9<br />
2.2.1 Erklärung Dekonstruktion ......................................................................9<br />
2.2.2 Rekonstruktion..........................................................................................11<br />
2.3 Corporate Identity in <strong>der</strong> städtischen Identitätspolitik ................................12<br />
2.4 Identität trotz CI und Dekonstruktion.............................................................13<br />
3 Identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung ..................................................................................................17<br />
3.1 Bestimmung <strong>der</strong> Identitätsfaktoren .................................................................17<br />
3.1.1 Identitäres Wissen.....................................................................................17<br />
3.1.2 Identitätsträger ..........................................................................................17<br />
3.1.3 Identitätsempfänger .................................................................................18<br />
3.1.4 Identitätstrias ............................................................................................18<br />
3.1.5 Identitärer Diskurs ...................................................................................19<br />
3.1.6 Aneignen ....................................................................................................19<br />
3.2 Identitätsfaktoren und Stadtpl<strong>an</strong>ung ..............................................................24<br />
3.2.1 Gründe für die identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung ...............................................24<br />
3.2.2 Umg<strong>an</strong>g <strong>der</strong> Stadtpl<strong>an</strong>ung mit den Identitätsfaktoren ......................26<br />
4 <strong>Fallbeispiel</strong> <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bamberg</strong> ............................................29<br />
4.1 Projektbeschreibung ...........................................................................................29<br />
4.2 Abgleich des Projektes mit Identitätsfaktoren ................................................32<br />
4.2.1 Ablauf des Abgleiches..............................................................................32<br />
4.2.2 Abgleich: Identitätsträger .......................................................................32<br />
4.2.3 Abgleich: Identitätsempfänger ..............................................................33<br />
4.2.4 Abgleich: Identitäres Wissen ...................................................................33<br />
4.2.5 Abgleich: Identitärer Diskurs ..................................................................33<br />
4.2.6 Abgleich: Identitätstrias ...........................................................................33<br />
4.2.7 Abgleich: Aneignen ..................................................................................34<br />
5 Zusammenfassung und Fazit .........................................................................................36<br />
6 Quellen ..............................................................................................................................39<br />
7 Anh<strong>an</strong>g ..............................................................................................................................44<br />
7.1 Verwendeter Gesprächsleitfaden......................................................................45<br />
7.2 Weber und Häußerm<strong>an</strong>n ...................................................................................47<br />
I
II<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abb. 1: „Identitäts-Baum“, grafische Darstellung des identitären Prozesses ............21<br />
Abb. 2: „Dekonstruktion“, grafische Darstellung des Dekonstruktionsprozesses ....22<br />
Abb. 3: „Corporate Identity und Identität“, grafische Darstellung<br />
des Einflusses von CI auf Identität ...................................................................................23<br />
Abb. 4: Pl<strong>an</strong>ungsbereich für das <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong> (Rosa Rahmen); ..29<br />
Abb. 5: <strong>Bamberg</strong> mit wichtigen, das Projekt betreffenden, St<strong>an</strong>dorten ......................30<br />
Abb. 6: Gegenüberstellung:<br />
Linkes Bild: Foto <strong>der</strong> Sieger-Entwurfes-Animation,<br />
Blick von <strong>der</strong> L<strong>an</strong>gen Straße aus; Rechtes Bild: Blick auf das Kaufhaus Tyrol<br />
in Innsbruck ........................................................................................................................34
Abkür<strong>zu</strong>ngsverzeichnis<br />
Anmerkung: Anm.<br />
Abbildung: Abb.<br />
Et cetera: etc.<br />
Eventuell: evtl.<br />
Ebenda: ebd.<br />
Folgende: f<br />
Fort folgende: ff<br />
Und so weiter: usw.<br />
Vielleicht: vll.<br />
Vergleiche: vgl.<br />
Zum Beispiel: z.B.<br />
III
1 Einleitung<br />
1.1 Begründung des Themas<br />
Das Thema „Identität und Stadt“ scheint im großen Werden <strong>der</strong> Zeit vernachlässigbar<br />
<strong>zu</strong> sein. Globalisierung, die Infragestellung des Nationalstaates im Zuge von globalen<br />
Krisen und das Wachsen <strong>der</strong> Menschheit erzeugt einen vermeintlichen Anspruch auf<br />
mo<strong>der</strong>ne Lebensverhältnisse, <strong>der</strong> traditionelle Kulturen und Identitäten überformen<br />
muss, um ein Funktionieren <strong>der</strong> Städte <strong>zu</strong> gewährleisten. Städte scheinen <strong>zu</strong>dem noch<br />
„Motoren“ dieser Mo<strong>der</strong>ne <strong>zu</strong> sein. Durch die wirtschaftliche Globalisierung „werden<br />
die internationalen W<strong>an</strong><strong>der</strong>ungsbewegungen weiter <strong>zu</strong>nehmen“ (Netzseite Bundeszentrale<br />
für politische Bildung 2009). Mit dem Wachsen <strong>der</strong> Bevölkerung ist auch ein Wachsen<br />
<strong>der</strong> Städte verbunden. Über die Hälfte <strong>der</strong> Menschheit lebt laut UN Habitat bereits<br />
in Städten o<strong>der</strong> urb<strong>an</strong>isierten/verstädterten Gebieten (vgl. UN Habitat 2011: 3). Durch<br />
diesen globalen Austausch <strong>an</strong> Waren und Menschen entsteht <strong>der</strong> Eindruck einer Entortung<br />
und Entgren<strong>zu</strong>ng. Wo früher noch unterschieden werden konnte, können jetzt<br />
weltweit die optisch gleichen Menschen, Gebäude und Waren gefunden werden (vgl.<br />
Böckelm<strong>an</strong>n 1998: 23). Das Bewusstsein für diese globalen Herausfor<strong>der</strong>ungen und die<br />
Notwendigkeit einer internationalen Lösung ist bei „vielen Regierungen“ vorh<strong>an</strong>den<br />
(vgl. Netzseite Bundeszentrale für politische Bildung 2009). Gerade die globalen W<strong>an</strong><strong>der</strong>ungsbewegungen<br />
stellen die Konzeption und Gestaltung nationaler Migrationspolitik<br />
vor „erhebliche Schwierigkeiten“ (vgl. Netzseite Bundeszentrale für politische Bildung<br />
2009). Es entsteht damit die Frage, wie mit dieser neuen Konstellation umgeg<strong>an</strong>gen werden<br />
soll? Denn die Verknappung <strong>der</strong> weltweiten Ressourcen, Klimaw<strong>an</strong>del und wirtschaftliche<br />
Krisen stellen Ansprüche <strong>an</strong> die H<strong>an</strong>dlungsfähigkeit <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />
Völker <strong>der</strong> Erde (vgl. Netzseite Bundeszentrale für politische Bildung 2009).<br />
Benjamin R. Barber <strong>an</strong>twortet in Armin Pongs Buch „In welcher Welt wollen wir leben.<br />
Demokratie und Natürlichkeit in Zeiten <strong>der</strong> Globalisierung“ auf die Frage: „Welche<br />
weltpolitischen Verän<strong>der</strong>ungen müssten denn in Richtung Weltbürgerschaft vor<strong>an</strong>gebracht<br />
werden?“ unter <strong>an</strong><strong>der</strong>em so: „...Was wir l<strong>an</strong>gfristig brauchen, ist eine Art<br />
weltweite Zivilreligion, also das, was wir auf US-amerik<strong>an</strong>ischer Ebene bereits haben.<br />
Wir brauchen einen Zivilglauben, <strong>der</strong> Blut, Identität und lokale Zugehörigkeit übersteigt<br />
und es den Menschen ermöglicht, sich um gemeinsame Prinzipien herum <strong>zu</strong> org<strong>an</strong>isieren...<br />
„ (vgl. Pong 2003: 389). Was haben „Blut“ – mit diesem Begriff wird hier die direkte<br />
Verw<strong>an</strong>dtschaft gemeint – „Identität“ und „lokale Zugehörigkeit“ mit <strong>der</strong> Stadtpl<strong>an</strong>ung<br />
<strong>zu</strong> tun? Verschiedene Konfliktfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Stadtpl<strong>an</strong>ung drehen sich in ihrem Kern<br />
um eben diese Aspekte. „Die Themen <strong>der</strong> Stadtentwicklungspolitik sind immer weniger<br />
mit Geld und Beton <strong>zu</strong> bearbeiten. Im Bereich <strong>der</strong> Umweltpolitik, <strong>der</strong> demographischen<br />
Entwicklung und <strong>der</strong> sozialen Integration ist jegliche Art von Stadtpolitik auf die Bereitschaft<br />
<strong>der</strong> Bürger <strong>an</strong>gewiesen, dabei aktiv mit<strong>zu</strong>wirken. Strukturell erinnert dies <strong>an</strong> die<br />
produktiven Kräfte <strong>der</strong> europäischen Stadt, die auf einer lokalen Zugehörigkeit beruhten,<br />
meint Hartmut Häußerm<strong>an</strong>n als Fazit <strong>zu</strong> <strong>der</strong> Frage „Was bleibt von <strong>der</strong> europäischen<br />
Stadt?“ (vgl. Häußerm<strong>an</strong>n 2007: 35). Dass lokale Identität für die Stadtpl<strong>an</strong>ung<br />
wichtig sein k<strong>an</strong>n, zeigt sich möglicherweise <strong>an</strong> <strong>der</strong> Stadt <strong>Bamberg</strong>, <strong>der</strong>en historisches<br />
Altstadtensemble seit 1993 von <strong>der</strong> UNESCO <strong>zu</strong>m Weltkulturerbe ern<strong>an</strong>nt wurde. Durch<br />
1
2<br />
die gepl<strong>an</strong>te „City-Passage“ bzw. das <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong>, kam es <strong>zu</strong> Protesten<br />
und Beschwerden seitens einiger Bürger und Vereine. Eine Stellungnahme des 1.<br />
Vorsitzenden des Vereins „Schutzgemeinschaft Alt-<strong>Bamberg</strong>“ führt den Titel „Verraten<br />
wir unser Erbe?“ (vgl. Erich Weiß Verlag 2012a). Die gepl<strong>an</strong>te Bebauung sollte den Abriss<br />
von denkmalgeschützten Gebäuden und – zwischenzeitlich – auch die Überreste <strong>der</strong><br />
Stadtmauer beinhalten. Der Name <strong>der</strong> Siedlung schien dadurch nicht mehr begründbar<br />
und wurde in <strong>der</strong> „<strong>Bamberg</strong>er Onlinezeitung“ als <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> Ph<strong>an</strong>tasiemauer“<br />
bezeichnet (vgl. Erich Weiß Verlag 2012b). Die kollektive, lokale Identität scheint durch<br />
das von <strong>der</strong> örtlichen Stadtsparkasse initiierte und dem nie<strong>der</strong>ländischen Investor Multidevelopment<br />
vor<strong>an</strong>getriebene Projekt „in Bedrängnis“ geraten <strong>zu</strong> sein.<br />
Aufgrund dieser gesellschaftlichen Diskussion, den globalen Entwicklungen und <strong>der</strong><br />
daraus resultierenden Relev<strong>an</strong>z für die Stadtpl<strong>an</strong>ung wird das Thema Stadt und Identität<br />
in dieser Arbeit untersucht. Da es um eine verortbare, „eigene“ Identität geht, wird<br />
die Untersuchung des Themas „Identität“ auf die europäisch-deutsche Stadt begrenzt.<br />
1.2 Einordnung des Themas in den St<strong>an</strong>d <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
Städtische Identität, Identität im kollektiven Sinn, Corporate Identity (CI) und das Thema<br />
Integration in bestehende Systeme o<strong>der</strong> Gesellschaften sind komplexe Themen, die<br />
von verschiedenen Wissenschaften in unterschiedlichen Ansätzen untersucht werden.<br />
Diese interdisziplinäre Situation mit ihrer großen B<strong>an</strong>dbreite <strong>an</strong> Ansätzen erschwert es,<br />
das Thema dieser Arbeit konkret ein<strong>zu</strong>ordnen. Festgestellt werden k<strong>an</strong>n, das es eine Art<br />
„identitärer Stadtpl<strong>an</strong>ung“ noch nicht gibt.<br />
Es wird auf Chirsta Reichers Buch „Städtebauliches Entwerfen“ Be<strong>zu</strong>g genommen, die<br />
sich auf George Herbert Meads Hauptwerk „Geist, Identität und Gesellschaft“ (1934)<br />
stützt, wonach Identität keine <strong>an</strong>geborene Eigenschaft ist, son<strong>der</strong>n von einem Menschen<br />
erworben werden müsse, indem er „seine Erfahrungs- und Tätigkeitsprozesse<br />
innerhalb einer Gesellschaft reflektiert“ (Reicher 2011: 12). Die Stadt selber habe keine<br />
eigene Identität „im ursprünglichen Verwendungskontext“, son<strong>der</strong>n eine „identitätsstiftende<br />
Wirkung“, die von ihr ausgeht. (vgl. ebd.: 12). Zudem hebt sie die Bedeutung von<br />
„Identitätsträgern“ und „Identitätsstiftern“ hervor, die für die Einzigartigkeit <strong>der</strong> Stadt<br />
entscheidend sind, um sich gegen „Massenprodukte abheben <strong>zu</strong> können (vgl. ebd.: 12).<br />
Weiter wird auf Walter Siebels Beitrag „Die Zukunft <strong>der</strong> Städte“ aus <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Bundeszentrale<br />
für politische Bildung herausgegebenen Reihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“<br />
vom 26. April 2010 eingeg<strong>an</strong>gen. Hier wird die „weltgeschichtliche Einmaligkeit“ <strong>der</strong><br />
„Em<strong>an</strong>zipationsgeschichte“ <strong>der</strong> europäischen Stadt beh<strong>an</strong>delt, die über einen l<strong>an</strong>gen<br />
Prozess nun in einer Phase <strong>der</strong> Krise <strong>an</strong>gekommen ist, aus <strong>der</strong> allerdings Auswege bestehen<br />
(vgl. Siebel 2010: 3f). Die Risiken seien allerdings hoch und entscheidend ist, ob<br />
Migr<strong>an</strong>ten <strong>an</strong> einem „besseren Leben“ teilnehmen können (vgl. Siebel 2010: 15).<br />
Oliver Freys und Flori<strong>an</strong> Kochs Herausgeberwerk „Die Zukunft <strong>der</strong> europäischen Stadt.<br />
Stadtpolitik, Stadtpl<strong>an</strong>ung und Stadtgesellschaft im W<strong>an</strong>del“ aus dem Jahr 2011 beschäftigt<br />
sich mit eben dieser Krise und den Herausfor<strong>der</strong>ungen, vor denen die „europäische<br />
Stadt“ steht (vgl. Frey, Koch 2011: 11ff). In diesem Werk ist auch ein Aufsatz<br />
aus dem Jahr 2007 von Hartmut Häußerm<strong>an</strong>n <strong>zu</strong> finden, in dem er <strong>der</strong> Frage nachgeht,<br />
was von <strong>der</strong> europäischen Stadt bleibt (Häußerm<strong>an</strong>n 2007: 23). Für ihn nimmt die He-
terogenität einer Stadt eine wichtige Rolle bei <strong>der</strong> Bildung einer städtischen Kultur ein<br />
(Häußerm<strong>an</strong>n 2007: 25).<br />
Birgit Kutschinski-Schuster schrieb 1993 in <strong>der</strong> von Siegfried Maser herausgegebenen<br />
Reihe „Designtheorie“ das Buch „Corporate Identity für Städte. Eine Untersuchung <strong>zu</strong>r<br />
Anwendbarkeit einer Leitstrategie für Unternehmen auf Städte“. Hierbei vertritt sie die<br />
Auffassung, dass Städte und Unternehmen als Körperschaften Ähnlichkeiten besitzen<br />
und deswegen CI auch für Städte verwendet werden k<strong>an</strong>n (vgl. Kutschinski-Schuster<br />
1993: 12ff).<br />
Mit dem Thema Identität verbunden sind Lebensqualitität und St<strong>an</strong>dortattraktivität.<br />
Harald Pechl<strong>an</strong>er und Monika Bachinger beschäftigen sich mit diesem Themenkomplex<br />
in dem von ihnen 2010 herausgegebenen B<strong>an</strong>d „Lebensqualität und St<strong>an</strong>dortattraktivität.<br />
Kultur, Mobilität und regionale Marken als Erfolgsfaktoren“. Dort abgedruckt ist<br />
auch <strong>der</strong> Aufsatz von Michael Weigl „Mehr als ein Zufallsprodukt: Wirkung und Vorausset<strong>zu</strong>ng<br />
regionaler Identität“, <strong>der</strong> die Entstehung von regionaler Identität über einen<br />
identitären Diskurs erklärt (Weigl 2010: 261ff). Es wird davon ausgeg<strong>an</strong>gen, dass die<br />
Muster des identitären Diskurses auch auf die Stadt übertragen werden können.<br />
Mit den europäischen Identitäten setzt sich die Untersuchung „Die Deutschen und ihre<br />
Migr<strong>an</strong>ten. Ergebnisse <strong>der</strong> europäischen Identitätsstudie“, die von Ulrich Schmidt-Denter<br />
über zehn Jahre l<strong>an</strong>g erarbeitet wurde. Die 2011 erschienene Studie setzt sich auch<br />
mit <strong>der</strong> Verfasstheit <strong>der</strong> nationalen Identität <strong>der</strong> Deutschen und <strong>der</strong>en Auswirkungen<br />
auf den Einzelnen ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>. Deutschl<strong>an</strong>d weist in dieser Studie im Vergleich <strong>zu</strong> den<br />
europäischen Nachbarn ein schwieriges Verhältnis <strong>zu</strong> eigenen Identität auf, was negative<br />
Auswirkungen auf die Identität hat - auch in <strong>der</strong> Stadt (Schmidt-Denter 2011: 334;<br />
355ff).<br />
1.3 Zielset<strong>zu</strong>ng und Methodik<br />
Ziel <strong>der</strong> Arbeit ist es, die Konzepte „Identität“, Dekonstruktion und Corporate Identity<br />
aufein<strong>an</strong><strong>der</strong> <strong>zu</strong> beziehen und daraus einen spezifischen „lokalen Identitätsbegriff“ ab<strong>zu</strong>leiten.<br />
Darauf aufbauend werden Kriterien für eine identitätsbezogene bzw. (in dieser<br />
Arbeit) europäisch-deutsche Stadtpl<strong>an</strong>ung entwickelt und am Beispiel <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Stadtmauer“</strong> in <strong>Bamberg</strong> erläutert.<br />
Im zweiten Kapitel werden <strong>zu</strong>erst die Grundlagen erarbeitet. So wird <strong>zu</strong>nächst <strong>der</strong> Identitätsbegriff<br />
und städtische Identität untersucht. Zweitens soll geklärt werden, was mit<br />
dem Begriff „Dekonstruktion von Identität“ gemeint ist. Das Verständnis dafür, was Dekonstruktion<br />
sein k<strong>an</strong>n, wie sie funktioniert und was ihr <strong>zu</strong> Grunde liegt, ist damit ein<br />
weiteres Ziel dieser Arbeit. In Ergän<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong>r Dekonstruktion soll die Ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>set<strong>zu</strong>ng<br />
mit <strong>der</strong> Corporate Identity, dem Zweck dienen, Corporate Identity grundsätzlich<br />
<strong>zu</strong> verstehen, Unterschiede in <strong>der</strong> Wirkung <strong>zu</strong>r Dekonstruktion <strong>zu</strong> finden und das Verhältnis<br />
<strong>zu</strong>r „lokalen Identität“ <strong>zu</strong> klären.<br />
Drittens: Da <strong>der</strong> Identitätsdiskurs sehr weitgehend ist, wird in dieser Arbeit mit einer<br />
„europäisch-deutschen“ Identität gearbeitet, wobei damit die „lokale, eigene bzw. traditionelle<br />
Identität“ gemeint ist. Dabei wird die Identität auf die Stadtebene bezogen. Anschließend<br />
wird geklärt, inwiefern die städtische Identität im Sp<strong>an</strong>nungsfeld zwischen<br />
Corporate Identity und Dekonstruktion steht und was unter dieser „lokalen“ Identität<br />
3
4<br />
<strong>zu</strong> verstehen ist.<br />
Viertens werden mit diesen Grundlagen Kriterien für identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung aufgezeigt<br />
und untersucht, wie in <strong>der</strong> Praxis damit umgeg<strong>an</strong>gen werden k<strong>an</strong>n. Dieser mögliche<br />
Umg<strong>an</strong>g wird am Beispiel <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong> in <strong>Bamberg</strong> aufgezeigt.<br />
Hier<strong>zu</strong> werden Interviews mit Betroffenen geführt.<br />
1.4 Darstellung <strong>der</strong> eigenen Leitfragen<br />
Gibt es eine traditionelle, städtische Identität und was macht diese aus?<br />
Um dieser Frage nach<strong>zu</strong>gehen, ist <strong>zu</strong>nächst <strong>zu</strong> klären, welche Arten von Identität im<br />
städtischen Kontext eine Rolle spielen und was dar<strong>an</strong> traditionell sein könnte. Nach dieser<br />
Feststellung, ist <strong>zu</strong> klären, was eine Dekonstruktion <strong>der</strong> traditionellen-lokalen Identität<br />
sein könnte und welche Rolle die CI in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g spielt. Aufbauend auf<br />
dem letzten Fragenkomplex ist heraus<strong>zu</strong>arbeiten, wie dieser Identitätsbegriff hergeleitet<br />
werden k<strong>an</strong>n und ob es konkrete Kriterien gibt, die ihn ausmachen.<br />
Wie k<strong>an</strong>n die Stadtpl<strong>an</strong>ung die Identitätskriterien in die Pl<strong>an</strong>ung einbinden?<br />
Hier wird <strong>der</strong> Frage nachgeg<strong>an</strong>gen, wie die Stadtpl<strong>an</strong>ung die Identitätskriterien/-faktoren<br />
für eine identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung nutzen k<strong>an</strong>n.<br />
Erfüllt das <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong> in <strong>Bamberg</strong> die Identitätskriterien?<br />
Anh<strong>an</strong>d <strong>der</strong> festgestellten Kriterien ist <strong>zu</strong> prüfen, inwieweit das Quartier <strong>an</strong> <strong>der</strong> Stadtmauer<br />
den allgemeinen Identitätskriterien genügt und welche Kriterien <strong>Bamberg</strong> im<br />
Speziellen hat.
2 Grundlagen<br />
2.1 Stadt und Identität<br />
2.1.1 Begriffsklärungen<br />
Im folgenden Kapitel wird beh<strong>an</strong>delt, was Stadt und Identität ausmacht. Was eine Stadt<br />
und Identität überhaupt ist.<br />
Stadt<br />
Um <strong>der</strong> Frage nachgehen <strong>zu</strong> können, ob es eine Identität <strong>der</strong> Stadt gibt, muss<br />
sich <strong>der</strong> hier verwendeten Bedeutung des Stadtbegriffs genähert werden. Es<br />
gibt verschiedene Ansichten und Meinungen über den Begriff <strong>der</strong> Stadt, z.B.<br />
ist für Geographen die Stadt eine „dauernde Verdichtung von Menschen und<br />
<strong>der</strong>en Wohnstätten“ und für Juristen ein „verliehener Titel“ (Kurtschinski-<br />
Schuster 1993: 38). Abseits von diesen für sich <strong>zu</strong>treffenden Zuweisungen, ist<br />
die Stadt aus geschichtlicher Perspektive meist eine Siedlungsform, die sich aus<br />
‚dem Dorf’ entwickelt hat und sich durch arbeitsteilige Org<strong>an</strong>isation auszeichnet<br />
(vgl. ebd.: 34). Dies wurde durch die Ergän<strong>zu</strong>ng von H<strong>an</strong>del, Gewerbe und<br />
Dienstleistungen erreicht (vgl. ebd.: 34). Erste Städte wurden um das Jahr 3500<br />
v. Chr. festgestellt, eine beson<strong>der</strong>e Prägung, die das Verständnis von Stadt bis<br />
heute beeinflusst, war die Entwicklung, die die Stadt während des europäischen<br />
Mittelalters (ca. seit dem 11. Jahrhun<strong>der</strong>t) nahm (vgl. ebd.: 34). Diese Entwicklung<br />
ist vor allem von neuen Machtverhältnissen geprägt. Indem die Bewohner<br />
ihre Lebensweise von <strong>der</strong> L<strong>an</strong>dwirtschaft trennen konnten, entst<strong>an</strong>d eine neue<br />
Gesellschaftsform, in <strong>der</strong> eine von den alten Machteliten (Klerus, Monarchen<br />
und von diesen eingesetzte Statthalter) prinzipiell unabhängige Bürgerschaft<br />
ihre Interessen <strong>zu</strong> vertreten beg<strong>an</strong>n (vgl. ebd.: 35). Im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t beschleu-<br />
Ergän<strong>zu</strong>ng<br />
In Deutschl<strong>an</strong>d entwickelte sich eine Stadtart, die im Volksmund<br />
„Freie Reichstätte“ gen<strong>an</strong>nt wird. Dies waren Städte,<br />
die autonomer h<strong>an</strong>deln konnten o<strong>der</strong> dem Kaiser unterst<strong>an</strong>den,<br />
was auch wie<strong>der</strong> mehr Autonomie mit sich brachte. Sie<br />
werden (begrenzt) als Vorläufer <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen europäischen<br />
Stadt geh<strong>an</strong>delt. Um die Zugehörigkeit <strong>zu</strong>m Kaiser <strong>zu</strong> zeigen,<br />
wurde meist <strong>der</strong> Reichsadler ins Stadtwappen aufgenommen. Die Autonomie <strong>der</strong> Städte<br />
übertrug sich auch in gewissem Maß auf den Einzelnen - dies war nicht nur bei „Freien<br />
Reichstädten“ <strong>der</strong> Fall.<br />
Der Spruch „Stadtluft macht frei.“ spricht daher für sich.<br />
In dieser Arbeit steht <strong>der</strong> Reichsadler* für die gewachsene, lokale Identität.<br />
*Der verwendete Reichsadler ist heraldisch nicht g<strong>an</strong>z korrekt (blickt nach links).<br />
5
6<br />
nigte sich dieser Prozess durch die Steinsche Städteordnung (ebd.: 35) und die<br />
Industrialisierung, die „<strong>zu</strong> einer sozialen Em<strong>an</strong>zipation des Individuums aus<br />
[den] unentrinnbaren Kontrolle[n] <strong>der</strong> dörflichen Nachbarschaft“ (Siebel 2010:<br />
3) führte. Da<strong>zu</strong> im folgenden Kapitel mehr.<br />
Identität<br />
Welche Bedeutung hat Identität? Ein Blick in den Duden ergibt folgende Aussage:<br />
„Echtheit einer Person o<strong>der</strong> Sache; völlige Übereinstimmung mit dem, was<br />
sie ist o<strong>der</strong> als was sie bezeichnet wird“ o<strong>der</strong> auch „völlige Übereinstimmung<br />
mit jem<strong>an</strong>den, etwas in Be<strong>zu</strong>g auf etwas; Gleichheit“ (Netzseite Bibliographisches<br />
Institut GmbH 2012a). Als Synonyme werden u.a. „Echtheit, Nämlichkeit,<br />
Wesensgleichheit, Gleichartigkeit o<strong>der</strong> Konformität“ gen<strong>an</strong>nt (ebd.). Diese letztgen<strong>an</strong>nten<br />
Begriffe werden im weiteren Verlauf <strong>der</strong> Arbeit verwendet werden,<br />
um Aussagen o<strong>der</strong> Untersuchungsgegenstände auf Identität <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>führen.<br />
Identität im Be<strong>zu</strong>g auf Stadt ist nach Christa Reichers „Städtebauliches Entwerfen“<br />
wie folgt ausgelegt: Eine Stadt k<strong>an</strong>n keine Identität haben, von ihr k<strong>an</strong>n<br />
aber eine identitätsstiftende Wirkung ausgehen (vgl. Reicher 2011: 12). Diese<br />
identitätsstiftende Wirkung hängt von <strong>der</strong> „Einmaligkeit <strong>der</strong> Stadt“ ab, die von<br />
„ihre[r] Geschichte, <strong>der</strong> Kultur, <strong>der</strong> politischen Führung und stadträumlichen<br />
Erscheinung“ abhängt (ebd.: 12). Eine beson<strong>der</strong>e Rolle nehmen dabei Merkmale<br />
ein, die „als beson<strong>der</strong>s charakteristisch und typisch <strong>an</strong>gesehen werden können“<br />
(ebd.: 12), die eine Differenzierung zwischen den Städten ermöglichen und ihre<br />
daraus resultierende Identität sie dadurch aus <strong>der</strong> Anonymität befreit (vgl. ebd.:<br />
12). Diese Merkmale können auch als „Identitätsträger“ ben<strong>an</strong>nt werden. Dabei<br />
k<strong>an</strong>n es sich um „gebaute Zeichen und mark<strong>an</strong>te L<strong>an</strong>dschaftselemente[n]“<br />
h<strong>an</strong>deln, die vom Wald bis <strong>zu</strong>m städtischen Quartier reichen können (vgl. ebd.:<br />
12). M<strong>an</strong>che Elemente können auch Identitätsstifter sein, die sich aus <strong>der</strong> Masse<br />
herauslösen, ohne Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Umfeld <strong>zu</strong> verlieren (vgl. ebd.: 13).<br />
Dabei ist fest<strong>zu</strong>halten, dass die Identität nicht bei <strong>der</strong> räumlichen Dimension<br />
aufhören darf (vgl. ebd.: 13). Damit die Menschen sich identifizieren können,<br />
ist es wichtig, dass sie die „Möglichkeit <strong>der</strong> Aneignung von Räumen durch den<br />
Menschen, das Aufbauen von Vertrauen über die Wie<strong>der</strong>erkennbarkeit von vertrauten<br />
Bil<strong>der</strong>[n]“ haben (vgl. ebd.: 13). Weiter heißt es bei Reicher, dass die<br />
„Beeinflussung <strong>der</strong> Identität nur bedingt möglich ist“, da sie auf den „Lebensumständen<br />
<strong>der</strong> Bewohner ... [und] verän<strong>der</strong>baren Einflüssen wie <strong>der</strong> geographischen<br />
Lage, dem Klima und dem Naturraum basiert.“ (ebd.: 13). „Die Identität<br />
ist eher ein über einen längeren Zeitraum ausgebauter Eindruck <strong>der</strong> Stadt, <strong>der</strong><br />
die Grundlage für die Identifikation <strong>der</strong> Bewohner mit ihrer Stadt ist. Demgegenüber<br />
ist das Image dynamischer, beeinflussbar und k<strong>an</strong>n teilweise auch<br />
kurzlebig sein“, schreibt Reicher weiter auf Seite 13. Matthias Beyrow zitiert<br />
in seinem Buch „Mut <strong>zu</strong> Profil - Corporate Identity und Corporate Design für<br />
Städte“ (1998) auf Seite 16 aus Rom<strong>an</strong> Antonoffs Leasetech, das nicht nur das<br />
„Wissen“ son<strong>der</strong>n vor allem <strong>der</strong> „Glaube“ gefragt sei. Im „Corporate Identity“-<br />
Verfahren basiert <strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> Stadtkonzeption auf <strong>der</strong> „Tradition und Kultur<br />
<strong>der</strong> Stadt“ (Beyrow 1998: 19), die mit dem bei Reicher festgestellten „über einen<br />
längeren Zeitraum ausgebaute[n] Eindruck“ Überschneidungen aufweisen<br />
k<strong>an</strong>n. Ähnliches ist bei regionalen Identitäten <strong>zu</strong> finden. Da städtische Identität
von einer „Region“ abhängig ist (in Be<strong>zu</strong>g auf Reicher oben nehmend), ist es<br />
möglich, dass für die städtische Identität im Allgemeinen die gleichen Aspekte<br />
relev<strong>an</strong>t sind, wie für Regionen. Regionale Identität beschreibt Michael Weigl<br />
als „Selbstverständigungsprozess eines sich selbst als Region wahrnehmenden<br />
Kollektivs in Form eines öffentlichen Diskurses.“ (Weigl 2010: 265). Dieser „identitäre<br />
Diskurs“ muss nicht nur von „stets konträren St<strong>an</strong>dpunkten“ ausgehen,<br />
son<strong>der</strong>n dieser „Selbstverständigungsprozess“ hat „identitätsrelev<strong>an</strong>tes Wissen<br />
mit dem Ziel <strong>der</strong> Schärfung dieses Wissens und seiner Tradierung“ als Gegenst<strong>an</strong>d,<br />
es entstehen dadurch „Identitätsnarrative“ (Weigl 2010: 265). „Auch für<br />
regionale Identitätsnarrative gilt <strong>der</strong> Dreisatz: Wir sind (Gegenwart) - Wir sind,<br />
weil (Verg<strong>an</strong>genheit) - Weil wir sind (Zukunft)“, so Weigel weiter (Weigl 2010:<br />
265). Dabei geht es nicht nur um Texte o<strong>der</strong> Sätze, son<strong>der</strong>n auch um Dinge wie<br />
Riten, Tänze, Monumente, Bil<strong>der</strong>, L<strong>an</strong>dschaften und Träger, die als Medium für<br />
diese kollektive Identität auftreten (vgl. Assm<strong>an</strong>n 2000: 139, zitiert nach: Weigl<br />
2010: 266).<br />
Als städtische Identität k<strong>an</strong>n das Selbstverständnis bezeichnet werden, das<br />
durch eine charakteristische Eigenart geprägt ist, die von ihrer Geschichte, Kultur,<br />
politischen Führung und stadträumlichen Erfahrung abhängt, von den Bewohnern<br />
gelebt bzw. belebt/genutzt werden k<strong>an</strong>n und über einen „identitären<br />
Diskurs“ über einen längeren Zeitraum <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d eines „Identitären Dreisatzes“<br />
(Die Verbindung von Gegenwart, Verg<strong>an</strong>genheit und Zukunft) ausgeh<strong>an</strong>delt<br />
wird. Die Bewohner (als Ausführer von Bräuchen und Riten) und Objekte fungieren<br />
in diesem Selbstverständigungsprozess als Identitätsträger. Damit dieser<br />
Prozess weiter laufen k<strong>an</strong>n, muss <strong>der</strong> Austausch von „identitätsrelev<strong>an</strong>ten<br />
Wissen“ erfolgen (Weigl 2010: 266). Dabei fungieren m<strong>an</strong>che Identitätsträger als<br />
„Diskursträger“, „die Identitäts<strong>an</strong>gebote unterbreiten“ und „Diskursrezipienten“<br />
(Diskursempfänger), „die diese Angebote selektiv in ihre personale Identität<br />
einpassen“ (vgl. ebd.).<br />
Zusammenfassung<br />
Identität bedeutet das Etwas o<strong>der</strong> Jem<strong>an</strong>d mit etwas o<strong>der</strong><br />
jem<strong>an</strong>d An<strong>der</strong>en übereinstimmt, gleich bzw. wesensgleich ist.<br />
Eine Stadt hat <strong>zu</strong>nächst keine Identität, son<strong>der</strong>n bietet Identifikationspunkte<br />
<strong>an</strong>, die durch Identitätsträger Identität bei<br />
Identitätsempfängern stiften. Dieser Stiftungsprozess geschieht<br />
in einem Identitären Diskurs <strong>der</strong> unter Berücksichtigung <strong>der</strong>/<br />
des Identitätstrias/-dreisatz Identitätsnarrative in die Identität<br />
<strong>der</strong> Bewohner „einwebt“ und sich daraus die lokale „verwurzelte“ Identität bildet.<br />
Weiteres in Kapitel 3 „Identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung“.<br />
2.1.2 Die europäisch-deutsche Stadt<br />
Die europäisch-deutsche Stadt, wie sie hier in dieser Arbeit verwendet wird, unterscheidet<br />
sich von dem gleich erläuterten europäischen Stadtbegriff insofern, als sie die<br />
7
8<br />
allgemeine europäische Stadt lediglich in Deutschl<strong>an</strong>d verortet. Die gemachten Beobachtungen<br />
können daher nicht einfach auf eine z.B. fr<strong>an</strong>zösische o<strong>der</strong> polnische Stadt<br />
übertragen werden. Allgemein deutsche Eigenschaften sind umgekehrt allerdings auch<br />
nicht <strong>der</strong> Untersuchungsgegenst<strong>an</strong>d dieser Arbeit.<br />
Was ist die ‚europäische Stadt‘? Die europäische Stadt „ist immer ein Modell bzw. ein<br />
Idealtyp ... dem sich die Städte und Gemeinden in Europa entwe<strong>der</strong> <strong>an</strong>nähern bzw.<br />
von dem sie sich entfernen können“ (Frey, Koch 2010: 421). Was macht dieses Modell<br />
aus? Was sind die genauen Best<strong>an</strong>dteile dieses ‚europäischen Ideals‘? Zunächst ist die<br />
städtebauliche Struktur durch „Dichte“, eine „Ausrichtung auf das Zentrum“ und eine<br />
„kompakte Struktur“ ausgezeichnet (ebd.: 420). Ergänzend kommt noch als beson<strong>der</strong>es<br />
Merkmal eine „spezielle Form <strong>der</strong> Nut<strong>zu</strong>ngsmischung“ da<strong>zu</strong> (ebd. 2010: 420).<br />
Ein weiteres Merkmal ist die „soziale Formation“, die durch eine geringe sozialräumliche<br />
Segregation bei gleichzeitiger Partizipation <strong>der</strong> Bürger durch Org<strong>an</strong>isationen gekennzeichnet<br />
ist (vgl. ebd.: 420). Dies wird schon von Max Weber festgestellt und als<br />
wesentlicher Best<strong>an</strong>dteil <strong>der</strong> Stadtgesellschaft bezeichnet (vgl. ebd.: 420).<br />
Zur europäischen Stadt gehört auch, dass sie in den „nationalstaatlichen Wohlfahrtsstaat“<br />
eingebunden ist, ohne auf einen weitreichenden „kommunalen H<strong>an</strong>dlungsspielraum“<br />
<strong>zu</strong> verzichten (vgl. ebd.: 420). Als Gegenbeispiel werden dabei die USA gen<strong>an</strong>nt,<br />
<strong>der</strong>en Städte weniger „bundesstaatliche Zuwendungen“ erhalten und daher „stärker als<br />
Marktakteure“ agieren müssen (vgl. ebd.: 421).<br />
Für Hartmut Häußerm<strong>an</strong>n ist die mittelalterliche, europäische Stadt Refugium für die<br />
Vorformen von „Marktwirtschaft, bürgerlicher Individualität und Demokratie“ (Häußerm<strong>an</strong>n<br />
2010: 23). Die „Gleichzeitigkeit von Kooperation und Wettbewerb“ macht die<br />
europäische Stadt <strong>zu</strong> einem „einzigartigen Entwicklungsmodell, das eine globale Revolution<br />
von Wirtschaft und Politik <strong>an</strong>stieß.“ (ebd.: 23). „Am Ende des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts“<br />
sollen „verschiedene Elemente dieses Modells in all jenen Staaten und Gesellschaften<br />
auf sehr unterschiedliche Weise“ kombiniert worden sein und dadurch mehr Wohlst<strong>an</strong>d<br />
produziert haben (ebd.: 23). Dies geht soweit, dass die Stadt „technisch und ökonomisch<br />
notwendig wurde“ (ebd.: 24).<br />
Die Existenz dieses Stadttypus bringt eine „kulturelle Produktivität“ mit sich, d.h. aus<br />
<strong>der</strong> Heterogenität <strong>der</strong> Stadt, <strong>der</strong> g<strong>an</strong>zen „Differenz und Verschiedenheit“ entsteht „Innovation“<br />
(ebd.: 25). Im Gegensatz <strong>zu</strong>r „ländlichen Lebensweise“ erlaubt das städtische<br />
Leben mehr Freiheiten (vgl. ebd.: 25). Sie erzeugt eine „Gleichgültigkeit und Dist<strong>an</strong>ziertheit“,<br />
die es dem Stadtbewohner erlaubt bei „gleichzeitiger räumlicher Nähe“ eine<br />
„soziale Dist<strong>an</strong>z“ <strong>zu</strong> wahren (ebd.: 25). Die europäische Stadtgeschichte sei daher eine<br />
„Em<strong>an</strong>zipationsgeschichte“ (Siebel 2010: 3).<br />
Diese Geschichte scheint in Gefahr <strong>zu</strong> sein. Bedroht wird sie einerseits durch „Homogenisierungs-<br />
und St<strong>an</strong>dardisierungs“-Unternehmungen (Stichwort: „Leitkultur“) die<br />
eine „repressive Anpassung“ erfor<strong>der</strong>n und die „Zumutung <strong>der</strong> Koexistenz“ auf<strong>zu</strong>lösen<br />
versucht (vgl. Häußerm<strong>an</strong>n 2010: 26). An<strong>der</strong>seits erzeugt diese „Zumutung und Ambivalenz“<br />
Fliehkräfte, die <strong>zu</strong> Segregation und Abw<strong>an</strong><strong>der</strong>ung führen, da einige Bürger<br />
versuchen <strong>der</strong> Ambivalenz <strong>zu</strong> entfliehen (vgl. ebd.: 27). Da<strong>zu</strong> kommt noch, dass eine<br />
„kapitalistisch beschränkte Rationalität“ sowie eine „Dezentralisierung und Suburb<strong>an</strong>isierung“<br />
die Entwicklungen verstärkt und eine „Auflösung <strong>der</strong> Stadt“ provozieren<br />
könnte (vgl. ebd.: 27). Auch Siebel spricht von einer „Inneren Spaltung“ <strong>der</strong> Stadt, die<br />
entl<strong>an</strong>g von ökonomischen und kulturellen Grenzlinien verläuft und eine soziale Ungleichheit<br />
<strong>zu</strong>r Folge hat, die im Steigen begriffen ist (Siebel 2010: 3). In einigen deutschen
Städten, Siebel nennt Stuttgart und Fr<strong>an</strong>kfurt als Beispiele, „stellen Migr<strong>an</strong>ten schon 40<br />
Prozent“ <strong>der</strong> Nachkommen - Tendenz steigend (ebd.). Daraus k<strong>an</strong>n allgemein eine eigenartige<br />
Gemengelage entstehen, da einheimische („deutsche“) Verlierer aufgrund des<br />
Wohnungsmarktes mit Einw<strong>an</strong><strong>der</strong>ern in ‚Problembezirken‘ <strong>zu</strong>sammenkommen, diese<br />
Bevölkerungsmischung erscheint heut<strong>zu</strong>tage als „überflüssig“ (vgl. Häußerm<strong>an</strong>n 2010:<br />
34 und Siebel 2010: 3). Die Stadt wird <strong>zu</strong> einem „Ort <strong>der</strong> Ausgren<strong>zu</strong>ng“ für Deutsche,<br />
wie für Migr<strong>an</strong>ten und damit die „härteste Verneinung <strong>der</strong> europäischen Stadt als Ort<br />
<strong>der</strong> Hoffnung auf ein besseres Leben.“ (Siebel 2010: 4). Nach Häußerm<strong>an</strong>n ist es deswegen<br />
Aufgabe <strong>der</strong> Stadtpolitik „die Stadtgesellschaft <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>halten“, denn „Kultur<br />
und zivilisatorische Bedeutung“ sind von <strong>der</strong> Integrationskraft <strong>der</strong> Stadt abhängig, insbeson<strong>der</strong>e<br />
Einw<strong>an</strong><strong>der</strong>er sind <strong>zu</strong> berücksichtigen (vgl. Häußerm<strong>an</strong>n 2010: 35 und Siebel<br />
2010: 9). Dieser Prozess könnte laut Häußerm<strong>an</strong>n von den „produktiven Kräften ... die<br />
auf lokale[r] Zugehörigkeit beruh[t]en.“ abhängen und die „wichtigsten Elemente für<br />
eine ... Zukunft <strong>der</strong> europäischen Stadt könnte m<strong>an</strong> also durchaus auch in <strong>der</strong> Verg<strong>an</strong>genheit<br />
suchen.“ (Häußerm<strong>an</strong>n 2010: 35). Auch Siebel verweist auf „Eigentumsverhältnisse<br />
und historisch gewachsene Identitäten“, diese könnten den Prozess nur verl<strong>an</strong>gsamen<br />
jedoch nicht aufhalten (vgl. Siebel 2010: 9).<br />
Zusammenfassend k<strong>an</strong>n gesagt werden, dass die europäische Stadt ein idealtypisches<br />
Modell ist, das vor zahlreichen Herausfor<strong>der</strong>ungen steht, wie <strong>zu</strong>m Beispiel wirtschaftlichen<br />
Notwendigkeiten, inneren ‚Fliehkräften‘ o<strong>der</strong> <strong>zu</strong> hohen Ansprüchen.<br />
2.2 Dekonstruktion von Identität<br />
2.2.1 Erklärung Dekonstruktion<br />
Um das Phänomen/Konstrukt <strong>der</strong> Dekonstruktion <strong>zu</strong> untersuchen wird die europäischdeutsche<br />
Stadt gewählt. Wie in Kapitel 2.1.2 geht es darum, nicht die speziellen deutschen<br />
Eigenschaften einer europäischen Stadt als „idealtypisches Modell“ fest<strong>zu</strong>stellen,<br />
son<strong>der</strong>n die ‚Lage‘ <strong>der</strong> Identität bzw. des Selbstvergewisserungsprozesses (siehe da<strong>zu</strong><br />
Kapitel 2.1.1) in Deutschl<strong>an</strong>d <strong>zu</strong> untersuchen. Dabei wird von <strong>der</strong> Gesamtlage <strong>der</strong> nationalen<br />
Identität in Deutschl<strong>an</strong>d auf die Lage in den Städten geschlossen, da <strong>der</strong>en Identitärer<br />
Diskurs nicht von dem nationalen Diskurs ausgeschlossen sein k<strong>an</strong>n.<br />
„Dekonstruktion“ bedeutet laut Duden (Netzseite Bibliographisches Institut GmbH<br />
2012b) „Zerlegung, Auflösung“. Zudem gibt es ein philosophisches Verfahren, das darauf<br />
abzielt „ zentrale, vorausgesetzte Begriffe <strong>der</strong> traditionellen Philosophie kritisch infrage“<br />
<strong>zu</strong> stellen (ebd.). Die Dekonstruktion als Gegenst<strong>an</strong>d dieser Arbeit, meint eine<br />
Fülle von Prozessen in <strong>der</strong> Wissenschaft, wie auch in <strong>der</strong> Stadtpolitik, die sich im En<strong>der</strong>gebnis<br />
auflösend auf bestehende lokale, eigene Identitäten auswirken.<br />
Deutlich wird das, wenn die bei 2.1.2 beschriebenen „inneren Fliehkräfte“, die <strong>zu</strong>nehmend<br />
Ansprüche <strong>an</strong> die Integrationswirkung <strong>der</strong> Stadt stellen, als Beispiel genommen<br />
werden. Siebel warnt vor <strong>der</strong> Großstadt, die ihr Versprechen, ein „besseres Leben“, für<br />
Einw<strong>an</strong><strong>der</strong>er und ‚Schlechtergestellte‘ <strong>zu</strong> bieten, nicht mehr erfüllen k<strong>an</strong>n und <strong>zu</strong> einer<br />
„Stadt <strong>der</strong> Ausgren<strong>zu</strong>ng“ wird (Siebel 2010: 9). Auch Häußerm<strong>an</strong>n beschreibt die Folgen<br />
von <strong>der</strong> Existenz einer Bevölkerungsgruppe, die „ausgeson<strong>der</strong>t aus dem Arbeitsmarkt<br />
und aus gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen“ ist, die darin bestehen,<br />
dass die „Begegnung mit dem Fremden ... nur noch als Zumutung erfahren, auf die regressiv<br />
und mit <strong>zu</strong>nehmen<strong>der</strong> Gewalt reagiert“ und <strong>der</strong> öffentliche Raum „unsicher und<br />
unbenutzbar“ wird (Häußerm<strong>an</strong>n 2010: 35). Dabei beschreiben sie ein Szenario, das den<br />
von Häußerm<strong>an</strong>n und Siebel kritisierten „konservativen Beobachtern“ o<strong>der</strong> den „groß-<br />
9
10<br />
stadtfeindlichen Ideologien“ (vgl. Häußerm<strong>an</strong>n, Siebel 2004: 24ff) sehr ähnlich ist. Diese<br />
sahen in <strong>der</strong> Heterogenität vor allem den „Verlust von nationaler Identität und als [eine]<br />
kulturelle Unmöglichkeit, die in Sittenverfall, Chaos und kriminellen Machenschaften<br />
enden würde“ (Häußerm<strong>an</strong>n 2010: 24f). Dabei entsteht Heterogenität nicht nur aus Zuw<strong>an</strong><strong>der</strong>ung,<br />
son<strong>der</strong>n in einer mo<strong>der</strong>nen Stadt auch „aus sich heraus“ (vgl. Siebel 2010:<br />
5). Als Beispiel sind hier die verschiedenen Lebensstile und Milieus gen<strong>an</strong>nt, wie z.B.<br />
<strong>der</strong> Nachwuchs einer bürgerlichen Oberschicht und <strong>an</strong><strong>der</strong>er jugendlicher Subkulturen<br />
(ebd.: 5). Dieser Verschiedenheit muss sich <strong>der</strong> „Großstädter“ erwehren, indem es <strong>zu</strong><br />
„Blasiertheit und Indifferenz, durch Entpersönlichung <strong>der</strong> <strong>zu</strong>fälligen Kontakte und Eindrücke“<br />
kommt (Häußerm<strong>an</strong>n 2010: 25). Wer bei dieser Mischung nicht „lässig bleiben“<br />
k<strong>an</strong>n, reagiert entsprechend: neben produktiven Austausch mit dem Fremden k<strong>an</strong>n es<br />
d<strong>an</strong>n auch <strong>zu</strong> Fremdenhass und psychischen Kr<strong>an</strong>kheiten kommen, infolge davon entsteht<br />
Abw<strong>an</strong><strong>der</strong>ung von denen die es sich leisten können (vgl ebd.: 26). Nichtsdestotrotz<br />
„individualisiert“ dieser Prozess den „Lebensstil“ des Großstädters. Die „Em<strong>an</strong>zipationsgeschichte“<br />
(Siebel) <strong>der</strong> Stadt erfüllt sich einmal mehr.<br />
Es stellt sich die Frage, ob den Menschen „nicht lässig bleiben können“ wirklich nur<br />
das Wegziehen o<strong>der</strong> die „Säuberungsf<strong>an</strong>tasien“ (Häußerm<strong>an</strong>n 2010: 26) bleiben? Ist es<br />
sinnvoll eine „Homogenisierung“ ab<strong>zu</strong>lehnen (Häußerm<strong>an</strong>n), „historisch gewachsene<br />
Identitäten“ nur min<strong>der</strong> <strong>zu</strong> bewerten (Siebel), gleichzeitig aber von <strong>der</strong> in fin<strong>an</strong>zielle<br />
Bedrängnis geratenen Kommune (vgl. Siebel 2010: 6) immer steigen<strong>der</strong>e Integrationsleistungen<br />
<strong>zu</strong> erwarten, um allen Menschen ein „besseres Leben“ <strong>zu</strong> ermöglichen? Wenn<br />
die ‚mo<strong>der</strong>ne Stadt‘ schon aus sich heraus Verschiedenheit und Ambivalenzen erzeugt,<br />
die Kommune <strong>an</strong> H<strong>an</strong>dlungsspielraum einbüßt (vgl. ebd.: 6), ist d<strong>an</strong>n eine För<strong>der</strong>ung<br />
dieser Ambivalenzen nicht kontraproduktiv, da sie die Integrationsleistung übersteigt?<br />
K<strong>an</strong>n die Kritik <strong>an</strong> dieser Entwicklung, als „großstadtfeindliche Ideologie“ deklariert,<br />
überg<strong>an</strong>gen werden, da die „neue Stadtkultur“ je<strong>der</strong> „echten, tiefen, wesenhaften Kultur“<br />
(Häußerm<strong>an</strong>n, Siebel 2004: 28) und damit Identität (vgl. Götz 2008: 207) bei <strong>der</strong><br />
Integration von Fremden überlegen scheint (vgl. Häußerm<strong>an</strong>n, Siebel 2004: 35) und die<br />
„Basis ihrer kulturellen Produktivität“ darstellt (Häußerm<strong>an</strong>n 2010: 26)?<br />
Dieser Wi<strong>der</strong>spruch weist auf einen rein „strukturellen“, „technischen“ Ausg<strong>an</strong>gspunkt<br />
hin, <strong>der</strong> nur soweit funktionieren k<strong>an</strong>n wie die Strukturen funktionieren und die<br />
menschlichen Ambivalenzen befrieden k<strong>an</strong>n (vgl. Häußerm<strong>an</strong>n, Siebel 2004: 35). Dieser<br />
Umg<strong>an</strong>g mit <strong>der</strong> eigenen Identität entspricht einem weithin etablierten Meinungsbild.<br />
Die gefor<strong>der</strong>te Integrationsleistung <strong>der</strong> Stadt mit ihren wi<strong>der</strong>sprüchlichen identitätsverneinenden<br />
Best<strong>an</strong>dteilen ist in konkreten H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen wie<strong>der</strong> <strong>zu</strong> finden,<br />
auch wenn sich <strong>der</strong>en Autoren nicht unmittelbar auf Siebel o<strong>der</strong> Häußerm<strong>an</strong>n berufen.<br />
So wird ein wissenschaftlicher Integrationsbegriff propagiert, <strong>der</strong> dem verbreiteten Verständnis<br />
in <strong>der</strong> Bevölkerung wi<strong>der</strong>spricht, da diese unter Integration „Assimialtion“,<br />
also die vollständige Gleichheit <strong>zu</strong>r Empfängergemeinschaft, versteht (vgl. Bundesministerium<br />
des Inneren 2011: 652f). Erfolgt diese Umstellung nicht, werden ähnliche<br />
Negativ-Szenarien entworfen wie bei Siebel und Häußerm<strong>an</strong>n (vgl. Anhut, Heitmeyer<br />
2000: 569).<br />
Die Anerkennung <strong>der</strong> bestehenden, kollektiven Identität wird nicht vorgenommen.<br />
Es werden damit Ansprüche <strong>an</strong> eine „Mehrheitsgesellschaft“ gestellt, <strong>der</strong>en Selbstverständnis<br />
und Selbstverständlichkeiten „erschüttert“ und „aufgebrochen“ werden müssen,<br />
um vermeindliche Integration <strong>zu</strong> erzielen (vgl. Anhut, Heitmeyer 2000: 46; Häußerm<strong>an</strong>n<br />
2010: 26). Wie k<strong>an</strong>n unter diesen Bedingungen <strong>der</strong> in Kapitel 2.1.1 für eine
kollektive Identität notwendige Selbstverständigungsprozess gelingen, wenn es keine<br />
Selbstverständlichkeiten geben darf? Wie soll eine „Vergemeinschaftlichung“ möglich<br />
sein, ohne eine kollektive Identität?<br />
Abgeleitet von diesen Fragen lässt sich Dekonstruktion von kollektiven und damit auch<br />
städtischen Identitäten als ein Prozess bezeichnen, in dem <strong>der</strong> notwendige Selbstvergewisserungsprozess<br />
erschwert, bis unmöglich gemacht wird und so traditionelle, lokale<br />
und eigene Identitäten erst <strong>an</strong> Bedeutung einbüßen und nur Teil vieler partikularer<br />
Identitäten werden bis sie verschwinden. Als entschlüsselter Prozessablauf k<strong>an</strong>n folgende<br />
Ablaufsbeschreibung <strong>an</strong>gesehen werden: Durch die För<strong>der</strong>ungen von Ambivalenzen<br />
wird die Weitergabe von „identitätsrelev<strong>an</strong>ten Wissen“ erschwert o<strong>der</strong> dieses<br />
Wissen nicht als „identitätsrelev<strong>an</strong>t“ bezeichnet. Dies scheint auf eine schwache Eigenbindung<br />
hin<strong>zu</strong>weisen. Ein „Identitärer Diskurs“ wird dadurch nicht ermöglicht, da<br />
die für den Selbstvergewisserungsprozess notwendigen „Selbstverständlichkeiten“ als<br />
nicht relev<strong>an</strong>t o<strong>der</strong> nicht fortbestehungswürdig bezeichnet werden. Dadurch werden<br />
die Identitätsträger <strong>zu</strong>nehmend unbedeuten<strong>der</strong> und verlieren ihre Fähigkeit „Identitäts<strong>an</strong>gebote“<br />
<strong>zu</strong> unterbreiten, wodurch die „Diskursempfänger“ keine Angebote erhalten<br />
und sie sich vermutlich <strong>an</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>er Stelle suchen müssen. Dies k<strong>an</strong>n <strong>zu</strong>r Folge haben,<br />
dass bauliche bzw. physische Identitätsträger leichter aufgegeben werden o<strong>der</strong> das Bewusstsein<br />
für die Wichtigkeit dafür verloren geht. D<strong>an</strong>n wird die bisher eher geistigsoziale<br />
Dekonstruktion physisch durchgesetzt.<br />
2.2.2 Rekonstruktion<br />
Nach <strong>der</strong> Ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>set<strong>zu</strong>ng mit <strong>der</strong> Dekonstruktion aus soziologischer Sicht, darf<br />
<strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Rekonstruktion nicht unerwähnt bleiben. Rekonstruktion in dem hier<br />
verwendeten Kontext betrifft Baukörper die durch Krieg, zeitgenössische Bauvorlieben<br />
o<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>nut<strong>zu</strong>ng zerstört o<strong>der</strong> in verschiedenen Graden beschädigt wurden und<br />
nun teilweise o<strong>der</strong> vollständig wie<strong>der</strong>hergestellt werden sollen.<br />
Rekonstruktion ist ein umstrittenes Thema und hat in den verg<strong>an</strong>genen Jahrzehnten<br />
<strong>an</strong> Aufmerksamkeit gewonnen (vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung<br />
[BMVBS] 2010: 15). Bek<strong>an</strong>nteres aktuelles Beispiel ist <strong>der</strong> Berliner Schlossplatz<br />
und das Berliner Schloss (Schnei<strong>der</strong> 2011: 92). Nach Joachim Fischer k<strong>an</strong>n von einem<br />
„Rekonstruktivismus“ gesprochen werden, <strong>der</strong> eine soziale Bewegung darstellt,<br />
die eine Wie<strong>der</strong>entdeckung <strong>der</strong> „okzidentalen Stadt“ beinhaltet und von Bürgern getragen<br />
wird (Fischer 2011: 78). Ausgelöst wurde die „aktuelle Rekonstruktionswelle“ mit<br />
<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung, mit <strong>der</strong> sich die bürgerliche Lebensform nach dem ‚realsozialistischen‘<br />
Kontinuitätsbruch um den vermeidlich verschleppten o<strong>der</strong> verhin<strong>der</strong>ten Wie<strong>der</strong>aufbau<br />
<strong>der</strong> „verrotteten … <strong>der</strong> Liquidierung preisgegebenen alteuropäischen Bau-/<br />
Schauplätze“ <strong>zu</strong> sorgen beg<strong>an</strong>n (vgl. BMVBS 2010: 11f; Fischer 2011: 78). Nicht <strong>zu</strong> vergessen<br />
sind die zahlreichen Rekonstruktionsdiskussionen/-unternehmungen die schon<br />
vor <strong>der</strong> politischen Wende und auch im ‚Westen‘ stattgefunden haben, wie <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
<strong>der</strong> Marktplatz in Hildesheim o<strong>der</strong> Teile <strong>der</strong> Fr<strong>an</strong>kfurter Altstadt (vgl. BMVBS 2010: 5;<br />
Häger 2011a/b: 70; Bideau 2011: 100). In Be<strong>zu</strong>g auf das Thema <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit,<br />
ist fest<strong>zu</strong>stellen das die Rekonstruktion auf die Identität eines Ortes wirken k<strong>an</strong>n, da<br />
sie alte Geschichts-Beziehungen wie<strong>der</strong> herstellt und neue Bil<strong>der</strong> prägt (vgl. BMVBS<br />
2010: 279). Jedoch ist strittig, wem diese neue/alte Prägung wirklich nutzt: Bürgern, <strong>der</strong><br />
Kommune, dem Einzelnen, <strong>der</strong> Gesellschaft o<strong>der</strong> Unternehmen? (vgl. Delikts 2011: 23;<br />
BMVBS 2010: 2). Weiter ist <strong>zu</strong> vermuten, dass es sich bei dem Diskurs um Rekonstruk-<br />
11
12<br />
tion um eine Art des „identitären Diskurses“ h<strong>an</strong>delt. Mit Blick auf den Prozess <strong>der</strong> Dekonstruktion<br />
sind einige Argumente <strong>der</strong> Gegner von Rekonstruktion vergleichbar mit<br />
<strong>der</strong> „Zerrüttung“ von Selbstverständlichkeiten. Eine ‚Normalisierung <strong>der</strong> Geschichte‘<br />
ist kritisch <strong>zu</strong> sehen, da Schäden <strong>der</strong> Verg<strong>an</strong>genheit beseitigt werden (vgl. BMVBS 2010:<br />
277).<br />
Soweit dies in diesem kurzen Exkurs <strong>zu</strong> beurteilen ist, k<strong>an</strong>n Rekonstruktion auch eine<br />
Gefahr für die Identität darstellen, da sie<br />
• repräsentative Gebäude kommerzialisiert o<strong>der</strong> <strong>zu</strong>r Kulisse degradiert<br />
(vgl. Murrenhoff: 113f; Escher 2011: 122)<br />
• durch Reproduktion Originale entwertet (Hier steht Rekonstruktion im<br />
Konflikt mit dem Denkmalschutz) (vgl. Butler 2000)<br />
• o<strong>der</strong> städtebauliche Notwendigkeiten vernachlässigt werden, so dass<br />
eine Nut<strong>zu</strong>ng durch die Bürger o<strong>der</strong> Institutionen schwerer wird (vgl.<br />
ebd. 2000)<br />
Erwähnenswert erscheint <strong>zu</strong>dem, dass die Rekonstruktion als Versuch die europäische<br />
Stadt durch ihre baulichen Formen <strong>zu</strong> erhalten <strong>zu</strong> deuten möglich ist (Fischer 2011: 79).<br />
Abschließend bleibt <strong>an</strong><strong>zu</strong>merken, dass Mo<strong>der</strong>ne und Tradition sich in <strong>der</strong> europäischen<br />
Stadt nicht ausschließen. Jedoch ist beim Rückgriff auf historisierende Formen <strong>der</strong> Nutzen<br />
und Kontext <strong>zu</strong> berücksichtigen, „Kitsch“ und „Kultur“ sind ausein<strong>an</strong><strong>der</strong> <strong>zu</strong> halten<br />
(vgl. BMVBS 2010: 277).<br />
2.3 Corporate Identity in <strong>der</strong> städtischen Identitätspolitik<br />
Corporate Identity (CI) o<strong>der</strong> auf Deutsch „Unternehmensidentität“ ist die „strategisch<br />
gepl<strong>an</strong>te und operativ eingesetzte Selbstdarstellung und Verhaltensweise eines Unternehmens<br />
nach innen und außen auf Basis einer festgelegten Unternehmensphilosophie,<br />
einer l<strong>an</strong>gfristigen Unternehmenszielset<strong>zu</strong>ng und eines definierten (Soll-)Bildes - mit<br />
dem Willen, alle H<strong>an</strong>dlungsinstrumente des Unternehmens in einheitlichem Rahmen<br />
nach innen und außen <strong>zu</strong>r Darstellung <strong>zu</strong> bringen.“ (Birkigt et al. 2002: 18). Das „CI-<br />
Ziel“ ist eine „ausgeprägte[s], harmonische Identität“ (Wache, Brammer 1993: 10), die<br />
durch eine „konsequente Pl<strong>an</strong>ung, Steuerung und Kontrolle <strong>der</strong> Interaktionsbeziehungen“<br />
gewährleistet wird (Kutschinski-Schuster 1993: 12). Früher konnten Corporate<br />
Identity und Corporate Image meist nicht klar ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>gehalten werden, was sich<br />
mittlerweile geän<strong>der</strong>t hat (vgl. ebd.: 23). Aktuell wird wie folgt unterschieden: „Corporate<br />
Identity [im Original fettgedruckt] bezeichnet das Selbstbild des Unternehmens,<br />
Corporate Image [im Original fettgedruckt] dagegen sein Fremdbild. Image ist also die<br />
Projektion <strong>der</strong> Identity im sozialen Feld.“ (ebd.: 23). Entscheidend ist hier <strong>der</strong> Gesichtspunkt<br />
<strong>der</strong> „G<strong>an</strong>zheitlichkeit“. „G<strong>an</strong>zheit“ ist das „Zusammentreten von - ggf. g<strong>an</strong>z verschiedenartigen<br />
- Teilen, die <strong>zu</strong> fruchtbarer Verbindung und Org<strong>an</strong>isation gel<strong>an</strong>gen …<br />
Es ist eine ‚Gestalt‘, die beson<strong>der</strong>s die fortschreitende Wechselbeziehung zwischen verschiedenartigen<br />
Funktionen und Teilen ausdrückt“ (o.A. zitiert nach Birkigt et al. 2002:<br />
18).<br />
Aufgrund einer bestimmten ‚Wesensgleichheit‘ - beides sind Körperschaften (vgl.<br />
Kutschinski-Schuster 1993: 12) - von Unternehmen und staatlichen Institutionen wie<br />
Kommunen, ‚erfreut‘ sich die CI-Technik seit längerer Zeit ‚größer Beliebtheit‘ (Kut-
schinski-Schuster 1993: 12). Dies zeigt sich <strong>an</strong> <strong>der</strong> Etablierung von „City- „ o<strong>der</strong> „Stadt-<br />
Marketings“ in unterschiedlichen Städten. Wird CI auf die Stadt übertragen, wird <strong>an</strong><br />
bestehende Identitätspunkte <strong>an</strong>geschlossen, die „Ist-Identität“ ermittelt und die Teilbereiche<br />
(z.B. Eigen- und Fremd-Bild) des Instruments CI darauf aufgebaut und auf eine<br />
„Soll-Identität“ ausgerichtet (vgl. Beyrow 1998: 16f). Neben <strong>der</strong> ‚einfachen CI‘, bieten<br />
sich noch <strong>an</strong><strong>der</strong>e Projekt-Modelle <strong>an</strong>: Stadtkonzeption und Stadtmarketing. Die Stadtkonzeption<br />
greift auf ein Stadtleitbild <strong>zu</strong>rück, das auf <strong>der</strong> „Tradition und Kultur“ <strong>der</strong><br />
Stadt aufbaut und daraus Maßnahmen entwickelt (vgl. Beyrow 1998: 18f). Das Stadtmarketing<br />
vergleicht das „Selbstbild mit dem Fremdbild“, um gegenüber konkurrierenden<br />
Städten eine bessere - das bedeutet eine deutlich abgrenzbare - Position bezie-hen<br />
<strong>zu</strong> können (vgl. ebd.: 18f).<br />
Zusammenfassend ist die CI als ein primär <strong>an</strong> ökonomischen Gesichtspunkten orientiertes<br />
‚Mehrzweckinstrument“ <strong>zu</strong> bezeichnen, das auf bestehende kulturelle Identitäten<br />
<strong>an</strong>gewiesen ist, um sich <strong>zu</strong> entwickeln. In dieser Entwicklung ist die Er- und Vermittlung<br />
eines möglichst authentischen, „g<strong>an</strong>zheitlichen“ Selbstbildes, das es <strong>an</strong>schließend<br />
mit dem Fremdbild ab<strong>zu</strong>gleichen gilt, entscheidend. Bei <strong>der</strong> Anwendung dieses Instruments<br />
können eine g<strong>an</strong>ze B<strong>an</strong>dbreite weiterer Werkzeuge für verschiedene gesellschaftliche<br />
Bereiche genutzt werden (vgl. Birkigt et al. 2002: 20). Vergessen werden darf<br />
nicht, dass sich die Unternehmensidentität von <strong>der</strong> eigenen Identität <strong>der</strong> Stadt insofern<br />
unterscheidet, als sie (die Unternehmensidentität) ein Bild <strong>der</strong> Identität <strong>der</strong> Stadt zeigt,<br />
jedoch nicht die Identität ist.<br />
2.4 Identität trotz CI und Dekonstruktion<br />
Ein Ausdruck für die Ablehnung des Selbstverständlichen ist die Aussage aus Alex<strong>an</strong><strong>der</strong><br />
Mitscherlichs Pamphlet „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“, in <strong>der</strong> er das Wort „Gemeinschaftsgeist“<br />
aufgrund ideologischer Vorbehalte, durch das englische Wort „community<br />
spirit“ ersetzt (vgl. Mitscherlich 1980: 112). Woher kommt diese „Ablehnung<br />
(nach Mitscherlich geschieht dies unter „Zw<strong>an</strong>g“) des Selbstverständlichen“ die sich auf<br />
alle Bereiche auswirkt?<br />
Wie in Kapitel 2.3 erläutert, ist Corporate Identity ein Instrument, um ‚unternehmerische‘<br />
Identität <strong>zu</strong> schaffen und <strong>zu</strong> vermitteln, die jedoch nicht vergleichbar ist mit davor<br />
bestehenden traditionellen (im Gegensatz <strong>zu</strong>r unternehmerischen) Kultur. Dekonstruktion<br />
ist die Auflösung von traditionellen Identitäten in einem Prozess, in dem die Kernpunkte<br />
des ‚Selbstvergewisserungsprozesses‘ besetzt o<strong>der</strong> entwertet werden, so dass<br />
die eigene Identität wie von „alleine“ stirbt. CI bietet sich d<strong>an</strong>n als „Klammer“ o<strong>der</strong><br />
„Lückenfüller“, scheint aber keinen vollwertigen Ersatz <strong>zu</strong> bieten, da sie auf die traditionelle<br />
Identität und funktionierende Strukturen <strong>an</strong>gewiesen ist. Wie sieht es also mit<br />
<strong>der</strong> eigenen Identität in Deutschl<strong>an</strong>d aus? Aufgrund <strong>der</strong> bisher beh<strong>an</strong>delten Thematik<br />
und <strong>der</strong> Ausg<strong>an</strong>gslage wird die nationale Identität betrachtet und von ihr auf die städtische<br />
Identität geschlossen.<br />
Kernelemente <strong>der</strong> Dekonstruktion sind die Ablehnung o<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>bewertung des<br />
‚Selbstverständlichen‘ bzw. ‚Eigenen‘, da daraus eigentlich erst Kultur und Integration<br />
ermöglicht werden soll. In seinem Buch „Europäische Identitätsstudie. Die Deutschen<br />
und ihre Migr<strong>an</strong>ten“ zitiert Schmidt-Denter Heitmeyers „Deutsche Zustände“ aus dem<br />
Jahr 2003: „Nach unseren Untersuchungen verstärken die ordnungstragenden Werte wie<br />
Tradition und Konformität die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (Heitmeyer<br />
2003: 308 zitiert nach Schmidt-Denter 2011: 348). Diese Aussage ähnelt den Schlussfol-<br />
13
14<br />
gerungen <strong>der</strong> Autoren in den vorherigen Kapiteln, denen <strong>zu</strong>folge Traditionelles eher<br />
negativ im Integrationsprozess wirkt. Schmidt-Denter <strong>an</strong>twortet darauf, dass die Ergebnisse<br />
<strong>der</strong> europäischen Identitätsstudie <strong>der</strong> Heitmeyerischen Aussage wi<strong>der</strong>sprechen<br />
und aus Heitmeyers Konzept eine „paradoxe Folgerung“ resultiere: „dass ... Lebens<strong>zu</strong>friedenheit<br />
und Leistungsbereitschaft <strong>der</strong> Individuen, die Wertschät<strong>zu</strong>ng von Kin<strong>der</strong>n<br />
und die sozialen Bindungskräfte <strong>der</strong> Gesellschaft geopfert werden müssten, um<br />
ein Maximum <strong>an</strong> gruppenbezogener Menschenfreundlichkeit <strong>zu</strong> erreichen“ (vgl. ebd.<br />
2011: 348f). Schmidt-Denter weist <strong>zu</strong>dem darauf hin, dass nicht nur die „unreflektierten<br />
Massen“, son<strong>der</strong>n auch „Ideologien <strong>der</strong> Eliten die Grundlage für Fehlentwicklungen<br />
bilden können, wenn sie sich nicht <strong>an</strong> einem realistischen Menschenbild orientieren.“<br />
(ebd. 2011: 349). In <strong>der</strong> Identitätsstudie wurden auch weitere Punkte kritisiert, die im Dekonstruktionsprozess<br />
enthalten sind. So wurde bei den Deutschen eine auffällig schwache<br />
Bindung <strong>an</strong> das ‚Eigene‘ festgestellt (vgl. ebd. 2011: 355). Bei „Identitätsproblemen“<br />
wird „gehofft“ diese „durch Projektionen auf das ‚Fremde‘“ <strong>zu</strong> lösen (vgl. ebd. 2011:<br />
355). Grund für die schwache Eigenbindung sind u.a. „Plädoyers [deutscher Autoren]<br />
<strong>zu</strong>gunsten des Antinationalismus, die sich von <strong>der</strong> Vorstellung eines „Kr<strong>an</strong>kheitssymptoms“<br />
(häufig auch ‚Dummheit‘) <strong>der</strong> nationalen Identität leiten lassen“ (ebd. 2011: 356).<br />
Grund für diese Einstellung sind „möglicherweise unbewältigte Affekte in Be<strong>zu</strong>g auf<br />
die nationalsozialistischen Verbrechen o<strong>der</strong> auch die explizite Absicht, destabilisierend<br />
und dekonstruktiv <strong>zu</strong> wirken“ (ebd. 2011: 356). Was die Integration von Fremden <strong>an</strong>geht,<br />
wird darauf hingewiesen, dass sich die bei Deutschen schwach ausgeprägte Eigenbindung<br />
auch auf Einw<strong>an</strong><strong>der</strong>er auswirkt. Die „Identifikation mit allen Ebenen des<br />
Gemeinwesens (Kommune, L<strong>an</strong>d, Bundesstaat) fällt vergleichsweise gering aus“. Migr<strong>an</strong>tische<br />
Parallelgesellschaften haben sich europaweit <strong>zu</strong> einem „Problem“ entwickelt,<br />
was jedoch nicht den „Blick auf das große Potential <strong>an</strong> Identifikationsbereitschaft unter<br />
den Migr<strong>an</strong>ten verstellen“ sollte (vgl. ebd. 2011: 357). Die gegenwärtige deutsche Identitätspolitik<br />
erzeugt <strong>der</strong>zeit eine „Dist<strong>an</strong>zierung“: „Es ist kaum <strong>zu</strong> erwarten, dass sich<br />
Zuw<strong>an</strong><strong>der</strong>er mit einer Nation identifizieren, die sich selbst als verunsichert erlebt und<br />
als abstoßend inszeniert“ (ebd. 2011: 357). Gebraucht werden „Formen und Rituale“ die<br />
Eingeborene (Autochthone) und Auswärtige (Allochthone) <strong>zu</strong>sammenbringen (vgl. ebd.<br />
2011: 357). Als Beispiel wird die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 gen<strong>an</strong>nt (ebd. 2011: 357).<br />
Ursachen für den problematischen deutschen Sozialisations<strong>an</strong>satz sind neben den nationalsozialistischen<br />
Verbrechen, die Vorgänge in <strong>der</strong> Nachkriegszeit. Schmidt-Denter<br />
setzt sich hier mit <strong>der</strong> allierten Reeducation, „deutscher Verg<strong>an</strong>genheitsbewältigung“<br />
(u.a. durch die sog. Fr<strong>an</strong>kfurter Schule getragen), „blutleeren“ Verfassungspatriotismus<br />
und deutscher Teilung ausein<strong>an</strong><strong>der</strong> (vgl. Schmidt-Denter. 2011: 51ff und 354; Götz<br />
2010: 211). Eine gefor<strong>der</strong>te Selbstreflexion, verselbständigte sich <strong>zu</strong>r Selbstverachtung<br />
mit ihren oben gen<strong>an</strong>nten negativen Folgen. Wie sich dieses Verhältnis auf die Stadtforschung<br />
auswirken k<strong>an</strong>n, wird <strong>an</strong> einem Interview das die Netzseite „Zeit online“<br />
mit Häußerm<strong>an</strong>n am 22. August 2007 geführt hat, deutlich. Anlass für das Interview<br />
war die Verhaftung des Soziologen Andrej Holm <strong>der</strong> seine Doktorarbeit bei Häußerm<strong>an</strong>n<br />
verfasst hatte und wegen Verdachts <strong>der</strong> „Mitgliedschaft in einer terroristischen<br />
Vereinigung“ verhaftet, mittlerweile aber freigesprochen wurde (vgl. Netzseite taz.de).<br />
Häußerm<strong>an</strong>n bezeichnet in diesem Interview die g<strong>an</strong>ze Stadtforschung als „linkes Forschungsfeld“<br />
und meint das sich die Soziologie für gleiche Lebensch<strong>an</strong>cen und Fairness<br />
einsetzen sollte. Diese Punkte wurden von Max Weber bereits 1908 in dem Aufsatz „Sozialdemokraten<br />
im akademischen Lehramt“ mit Nachdruck verneint (vgl. Weber 1908:
45, zitiert nach: Dreijm<strong>an</strong>is 2012: 81ff; Detallierte Gegenüberstellung siehe Anh<strong>an</strong>g 7.2<br />
„Weber und Häußerm<strong>an</strong>n“). Zu diesen Äußerungen ist <strong>an</strong><strong>zu</strong>merken, dass persönliche<br />
Interessen und die Gesinnung eines Wissenschaftlers vermutlich nie vollkommen von<br />
<strong>der</strong> Stoßrichtung seiner Arbeit getrennt werden können. Dies muss die Verwertbarkeit<br />
<strong>der</strong> Arbeit vermutlich nicht schmälern, jedoch sollte <strong>der</strong> Gesinnungshintergrund bei <strong>der</strong><br />
Verwendung beachtet werden.<br />
Wie bei Kapitel 2.3 <strong>an</strong>gemerkt, ist die CI nicht mit <strong>der</strong> kulturellen Identität gleich<strong>zu</strong>setzen.<br />
Sie ist vielmehr, als Grundlage, auf eine funktionierende Identität <strong>an</strong>gewiesen, um<br />
ein funktionierendes Eigen- und Fremdbild <strong>zu</strong>m Entstehen <strong>zu</strong> bringen (Kutschinski-<br />
Schuster 1993: 132ff). Eine CI bietet sich scheinbar als Ersatz <strong>an</strong>. Es gibt einen weiteren<br />
Unterschied zwischen <strong>der</strong> „Kultur“ eines Unternehmens und <strong>der</strong> „nationalen Kultur“<br />
und zwar Praktiken und Werte. Eine Ähnlichkeit von unternehmerischen Praktiken erzeugt<br />
noch keine Übereinstimmung nationaler Werte (vgl. Hofstede, Hofstede 2006:<br />
395ff). Diese Kultur ist die erlernte, „mentale Programmierung“ des „Denkens, Fühlens<br />
und potentiellen H<strong>an</strong>delns“ und bildet ein kollektives Phänomen, das aus den „ungeschriebenen<br />
Regeln des sozialen Spiels“ besteht (vgl. ebd.: 2006: 2, 4). Nationale Werte<br />
seien „so unverrückbar wie die geographische Lage eines L<strong>an</strong>des, so vorherbestimmt<br />
wie sein Wetter“ (ebd.: 2006: 15).<br />
Werden diese Gegensätze beachtet, fällt die Ähnlichkeit des CI-Konzeptes und des „Verfassungspatriotismus“<br />
für den „‘St<strong>an</strong>dort Deutschl<strong>an</strong>d‘ als mo<strong>der</strong>nen, toler<strong>an</strong>ten, weltoffenen<br />
und damit für die Welt attraktiven Staat mit Vorbildwirkung“, wie im Kapitel<br />
„Erklärung von Dekonstruktion“ beh<strong>an</strong>delt, auf. Auch hier wird sich primär <strong>an</strong> den<br />
Praktiken orientiert und die traditionellen Bezüge werden diesem „praktischen Prinzip“<br />
untergeordnet. Wenn innerhalb einer sich auf Kultur beziehenden Körperschaft, sei es<br />
Nationalstaat, Bundesl<strong>an</strong>d o<strong>der</strong> Kommune, kein echter „Identitärer Diskurs“ son<strong>der</strong>n<br />
nur eine CI-Politik - inklusive Kulturrelativismus - stattfindet, ist davon aus<strong>zu</strong>gehen,<br />
dass sie die eigene Basis, ihre eigene Identität, dem Unternehmen ‚opfert‘. Die kulturelle<br />
Grundlage verschwindet, da die Praktiken des ‚Unternehmens‘ ausschlaggebend<br />
werden. Der Soziologe Karl Otto Hondrich meint in seiner Abschiedsvorlesung, dass<br />
eine Verfassung nicht über <strong>der</strong> Kultur schweben, son<strong>der</strong>n eine „domin<strong>an</strong>te Mehrheitskultur<br />
braucht“, aus <strong>der</strong> sie weiter wachsen k<strong>an</strong>n (vgl. Netzseite Axel Springer AG).<br />
Diese Aussage ist mit Hofstedes Äußerung über nationale Institutionen vergleichbar:<br />
„Institutionen, die innerhalb einer Kultur gewachsen sind, sorgen ihrerseits für die Fortführung<br />
<strong>der</strong> mentalen Programmierung, auf <strong>der</strong> sie basieren.“ (vgl. Hofstede, Hofstede<br />
2006: 24). Können diese kulturellen Elemente möglicher Weise relativiert werden? Der<br />
Kulturrelativismus von Hofste<strong>der</strong> bezieht sich mehr auf Unternehmen und meint nicht<br />
die Aufgabe aller Werte, so meinte er im Abschnitt „Die moralische Frage“, dass eine eigene<br />
Wertehaltung auch Sicherheit und Identität gibt (vgl. ebd.: 504). Zu dieser „moralischen<br />
Frage“ äußert sich auch Hondrich: Es gebe eine „elementare Moral ... des Vorr<strong>an</strong>gs<br />
des Eigenen gegenüber dem Fremden, <strong>der</strong> Gemeinschaft gegenüber den Min<strong>der</strong>heiten,<br />
<strong>der</strong> älteren Bindungen gegenüber den neueren“ (vgl. Netzseite Axel Springer AG). In<br />
Deutschl<strong>an</strong>d seien diese „soziomoralischen Grundrechte“ gar nicht o<strong>der</strong> so betrieben<br />
worden, als ob es sie „<strong>zu</strong> Unrecht“ gebe. (vgl. ebd.). Es stellt sich daher die Aufgabe die<br />
eigene Identität „selbstkritisch“ und „<strong>zu</strong>gleich selbstbewusst“ <strong>zu</strong> betrachten, um diese<br />
Lücken <strong>zu</strong> schließen (Weigl 2011: 268). Dieses Hinterfragen <strong>der</strong> eigenen Identität sollte<br />
unter <strong>der</strong> Berücksichtigung <strong>der</strong> „Identitären Fragentrias“ (siehe 2.1.1) erfolgen (ebd.:<br />
268). Die Selbstreflexivität <strong>der</strong> Stadt wird auch von Heitmeyer und Anhut gefor<strong>der</strong>t<br />
15
16<br />
(Heitmeyer, Anhut 2000: 566), diese For<strong>der</strong>ung wird in <strong>der</strong> „Europäischen Identitätsstudie“<br />
insofern beh<strong>an</strong>delt, als das die Ergebnisse im Län<strong>der</strong>vergleich bei „Selbstkritik“ bei<br />
den Deutschen am ausgeprägtesten sind (Schmidt-Denter 2011: 143ff, 355).<br />
Die Identität die zwischen Dekonstruktion und Corporate Identity liegt, ist ein sehr komplexes<br />
Gebilde, das faktisch von <strong>der</strong> Arbeit von Generationen abhängig ist. Sie lässt sich<br />
relativ leicht dekonstruieren und ist oberflächlich einfach durch eine Corporate Identity<br />
<strong>zu</strong> ersetzen, wobei <strong>der</strong> Nutzen <strong>der</strong> Identität, z.B. die Zufriedenheit und das Hervorragen<br />
im Konkurrenzkampf zwischen den Städten, durch <strong>der</strong>en Verlust unwie<strong>der</strong>bringlich<br />
verlorengeht. Vermutlich wird es wie<strong>der</strong> Generationen „identitären Diskurses“ benötigen,<br />
um eine vergleichbare Identität <strong>zu</strong> begründen. Es stellt sich daher die Frage wie<br />
eine identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung aussehen k<strong>an</strong>n, um die Identität lebendig in <strong>der</strong> Stadt <strong>zu</strong><br />
verkörpern.
3 Identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung<br />
3.1 Bestimmung <strong>der</strong> Identitätsfaktoren<br />
3.1.1 Identitäres Wissen<br />
„Identitäres Wissen“ ist <strong>der</strong> Sammelbegriff für die Elemente <strong>der</strong> „tiefen, wesenhaften<br />
Kultur“, die benötigt wird, um diese Kultur <strong>zu</strong> leben, <strong>zu</strong> erleben und <strong>zu</strong> verstehen.<br />
„Tief“ ist im Sinne von „verwurzelt“ <strong>zu</strong> begreifen, also in einer Kontinuität stehend,<br />
die einen Ursprungspunkt hat und damit auch klar verortet werden k<strong>an</strong>n. „Wesenhaft“<br />
meint hier „vertraut“, dieses meint das „Wesen ausmachend“ und „in sich begründet“<br />
(Netzseite Bibliographisches Institut GmbH c). Der Begriff „Kultur“ steht hier für Traditionen,<br />
Lebensarten, Bräuche, Sprachen und ihre Dialekte, sowie Wirtschaftstechniken.<br />
Sie stellen <strong>zu</strong>dem eine „mentale Programmierung“ dar, die das „Muster des Denkens,<br />
Fühlens und potentiellen H<strong>an</strong>delns“ des Einzelnen beeinflussen (vgl. Hofstede, Hofstede<br />
2006: 2). Die Elemente bzw. Werte dieser „tiefen, wesenhaften Kultur“ sind die <strong>zu</strong><br />
den im vorletzten Satz gen<strong>an</strong>nten da<strong>zu</strong>gehörigen Erzählungen, Helden, Sitten, Riten,<br />
Informationen und geschichtliche Daten (vgl. ebd.: 7ff). Zu beachten ist dabei das die<br />
„Beeinflussung <strong>der</strong> Identität“ wie auch <strong>der</strong> Kultur, „nur bedingt möglich ist“, da sie von<br />
lokalen Einflüssen wie „<strong>der</strong> geographischen Lage, dem Klima und dem Naturraum“ abhängig<br />
ist“, aus denen sich die „nationalen [bzw. eben die lokalen. Anm. Autor] Werte“<br />
formen (vgl. Reicher 2011: 12; vgl. Hofstede, Hofstede 2006: 15).<br />
Zusammenfassung<br />
„Identitäres Wissen“ sind die Elemente <strong>der</strong> Kultur, die in dem<br />
Ort verwurzelt sind. Es h<strong>an</strong>delt sich dabei um Sitten, Gebräuche,<br />
Sprache, Mundarten, geschichtliche Daten und Erzählungen.<br />
1700<br />
1800<br />
1900<br />
3.1.2 Identitätsträger<br />
Identitätsträger sind „gebaute Zeichen“, eine „mark<strong>an</strong>te o<strong>der</strong> einzigartige L<strong>an</strong>dschaft“<br />
o<strong>der</strong> das Quartier als „räumliche Einheit mit beson<strong>der</strong>en Be<strong>zu</strong>gspunkten wie Kirche,<br />
Versorgungszentrum“ (Reicher 2011: 12). Als Identitätsträger können auch die „Diskursträger“<br />
ben<strong>an</strong>nt werden, die im „identitären Diskurs“ die „Identitäts<strong>an</strong>gebote“ unterbreiten<br />
(vgl. Weigl 2011: 266). Es h<strong>an</strong>delt sich dabei um verschiedene Personen (z.B.<br />
„Politiker, Journalisten, Honoratioren, aber z.B. auch Heimatforscher“) mit einem unterschiedlichen<br />
Zug<strong>an</strong>g <strong>zu</strong>r medialen Öffentlichkeit, die dadurch ihre Identitäts<strong>an</strong>gebote,<br />
„d.h. Interpretationen <strong>der</strong> Region“, durch „Errichtung von Denkmälern, die Ausrichtung<br />
spezifischer Festivitäten, ... <strong>der</strong> Pflege von Brauchtum o<strong>der</strong> einfach nur über Reden<br />
bzw. im gemeinsamen Gespräch“ unterbreiten (vgl. Weigl 2011: 266). Als „Identitätsträger“<br />
fungieren auch „Institutionen“, wenn diese aus <strong>der</strong> lokalen, verorteten Kultur<br />
17
18<br />
gewachsen sind, da sie für „die Fortführung <strong>der</strong> mentalen Programmierung, auf <strong>der</strong> sie<br />
basieren, sorgen (vgl. Hofstede, Hofstede 2006: 24). Identitätsträger werden deswegen<br />
auch <strong>zu</strong> „Identitätsstiftern“ (Reicher 2011: 13).<br />
Zusammenfassung<br />
„Identitätsträger“ sind Personen, Institutionen, Gebäude,<br />
Gruppen o<strong>der</strong> auch L<strong>an</strong>dschaften, die für den Ort charakteristisch<br />
und eigen sind. Sie werden <strong>zu</strong> „Identitätsstiftern“, wenn<br />
sie Identitäres Wissen weitergeben.<br />
3.1.3 Identitätsempfänger<br />
Identitätsempfänger ist die Bevölkerung des Ortes, die sich im Laufe des „identitären<br />
Diskurses“ <strong>zu</strong> einer „kollektiven Identität“ <strong>zu</strong>sammenfindet. Dabei bauen die in <strong>der</strong><br />
Bevölkerung vorh<strong>an</strong>denen Individuen „Identitätssätze und Identitätsnarrative“ in ihre<br />
persönliche Identität ein, es erfolgt die „mentale Programmierung“ (Weigl 2011: 264;<br />
Hofstede, Hofstede 2006: 2). Diese „Programmierung“ ist nicht unverän<strong>der</strong>bar und „statisch“,<br />
Än<strong>der</strong>ungen sind möglich, allerdings k<strong>an</strong>n die Durchführung von Än<strong>der</strong>ungen<br />
schwer verlaufen (vgl. ebd.). Identitätsempfänger können <strong>zu</strong> Identitätsträgern werden.<br />
Zusammenfassung<br />
Bei den „Identitätsempfängern“ h<strong>an</strong>delt es um die Bevölkerung<br />
des Ortes, die im Laufe des „Identitären Diskurses“ <strong>zu</strong> ihrer<br />
kollektiven Identität findet o<strong>der</strong> diese weiter formt. Identitätsempfänger<br />
können <strong>zu</strong> Identitätsträgern werden.<br />
3.1.4 Identitätstrias<br />
Als „Identitätstrias“ ist <strong>der</strong> „Brückenschlag“ zwischen „Verg<strong>an</strong>genheit - Gegenwart -<br />
Zukunft“ <strong>zu</strong> verstehen (vgl. Weigl 2011: 265). Es gilt <strong>der</strong> „Dreisatz: Wir sind (Gegenwart)<br />
- Wir sind, weil (Verg<strong>an</strong>genheit) - Weil wir sind (Zukunft)“ (ebd.). Der Gegenst<strong>an</strong>d<br />
<strong>der</strong> identitären Diskussion wird dadurch auf Kontinuität in <strong>der</strong> kollektiven Identität geprüft<br />
o<strong>der</strong> eingepasst. Er stellt dadurch die Basis dar, die in jedem Vorg<strong>an</strong>g notwendig<br />
ist, um <strong>zu</strong> prüfen, wie etwas <strong>zu</strong>r Identität steht. Dabei ist darauf <strong>zu</strong> achten das keiner<br />
dieser Punkte die <strong>an</strong><strong>der</strong>en ausgrenzt. Denn so könnte in diesem Prozess <strong>der</strong> „Brückenschlag“<br />
<strong>zu</strong>nichte gemacht werden. D<strong>an</strong>n ist es kein identitäres Projekt mehr, son<strong>der</strong>n ein<br />
Projekt, das nur die Verg<strong>an</strong>genheit, Gegenwart o<strong>der</strong> Zukunft im Blick hat.
Zusammenfassung<br />
Die „Identitätstrias“ schafft einen Brückschlag durch den identitären<br />
Dreisatz „Verg<strong>an</strong>genheit - Gegenwart - Zukunft“.<br />
Die Nachvollziehbarkeit und Kontinuität einer im identitären<br />
Diskurs beh<strong>an</strong>delten Sache wird dadurch geprüft o<strong>der</strong> die<br />
Diskussion überhaupt ermöglicht.<br />
3.1.5 Identitärer Diskurs<br />
Der identitäre Diskurs ist ein „gesellschaftlicher Verständigungsprozess über identitätsrelev<strong>an</strong>tes<br />
Wissen mit dem Ziel <strong>der</strong> Schärfung dieses Wissens und seiner Tradierung“<br />
(Weigl 2011: 265). Dieser Diskurs ist nicht mit einer geregelten ‚Diskussion‘ <strong>zu</strong> verwechseln,<br />
<strong>zu</strong> dem existiert er nicht von „Natur aus“, son<strong>der</strong>n bedarf einer Benennung eines<br />
Kollektivs, z.B. einer Stadt (vgl. ebd.). Der identitäre Diskurs k<strong>an</strong>n „harmonisch o<strong>der</strong><br />
konfrontativ“ <strong>an</strong>gelegt sein. Er k<strong>an</strong>n darauf abzielen, sich periodisch eines Konsenses <strong>zu</strong><br />
einem identitären Wissensbest<strong>an</strong>d <strong>zu</strong> vergewissern o<strong>der</strong> aber diesen Konsens in Frage<br />
stellen (vgl. ebd.). Er k<strong>an</strong>n in einzelnen, scheinbar nebenein<strong>an</strong><strong>der</strong> existierenden Aussagen<br />
bestehen, o<strong>der</strong> aber unmittelbar in Rede und Gegenrede geführt werden.“ (ebd.).<br />
„Schärfung“ und „Tradierung“ des Wissens führen damit <strong>zu</strong> einer kollektiven Identität,<br />
die von „Identitätsträgern“ und „Identitätsempfängern“ gelebt werden k<strong>an</strong>n.<br />
Zusammenfassung<br />
Der „Identitäre Diskurs“ findet innerhalb eines verortbaren<br />
Kollektivs statt. Er konkretisiert Wissenbestände, die von<br />
„Identitätsträgern“ und „Identitätsempfängern“ gelebt werden<br />
können. Der Diskurs k<strong>an</strong>n viele Stufen und Diskursarten<br />
<strong>an</strong>nehmen und mehrere Aussagen können nebenein<strong>an</strong><strong>der</strong><br />
existieren.<br />
3.1.6 Aneignen<br />
Fremdes wird von einer Kultur <strong>zu</strong> eigen gemacht und Teil <strong>der</strong> eigenen Identität, wenn<br />
es vor allem für das Kollektiv nutzbar ist. (vgl. Reicher 2011: 13; Weigl 2010: 271) Die<br />
Zugänglichkeit <strong>zu</strong>r Nutzbarkeit stellt dabei einen ausschlaggebenden Effekt bei <strong>der</strong> Aneignung<br />
dar (vgl. ebd.). Indem es sein Wesen <strong>an</strong> die lokal gegebene Kultur <strong>an</strong>gleicht<br />
o<strong>der</strong> <strong>an</strong>geglichen wird, ist es „wesensgleich“ und wird dadurch verwurzelt, da es ja das<br />
„Wesen“ <strong>der</strong> verwurzelten Kultur <strong>an</strong>nimmt. Als Beispiel sei hier Goethes „Von deutscher<br />
Baukunst“ erwähnt, in dem er die aus Fr<strong>an</strong>kreich stammende Gotik als „deutsche<br />
Baukunst, unsere Baukunst“ verherrlicht (Netzseite Contumax GmbH & Co. KG 2012a).<br />
Diese Meinung wird sich über die Rom<strong>an</strong>tik halten und sich in <strong>der</strong> im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
populären Neugotik vollenden. Identität ist also durchaus „offen für Neues“, wenn<br />
19
20<br />
es vom Wesen her <strong>an</strong>geglichen wird und die „Ambivalenzen“ den identitären Diskurs<br />
nicht blockieren, son<strong>der</strong>n gelöst werden. Neue Werte werden unvermeidlicher Weise<br />
entstehen.<br />
Innerhalb des identitären Diskurses ist es daher wichtig die „Relev<strong>an</strong>z“ eines Identitäts<strong>an</strong>gebotes<br />
klar heraus<strong>zu</strong>stellen, damit es „in die Logik unterschiedlichster personaler<br />
Identitätsnarrative eingepasst werden“ und damit von jedem Einzelnen <strong>an</strong>geeignet<br />
werden k<strong>an</strong>n. (Weigl 2010: 271)<br />
Zusammenfassung<br />
Das Eigene k<strong>an</strong>n vom Fremden und das Fremde k<strong>an</strong>n vom Eigenen<br />
„<strong>an</strong>geeignet“ werden. D.h. die Nutzbarkeit wird sichtbar<br />
(und die Sache praktisch für einen Menschen nutzbar). Weiter<br />
gleicht sich das Wesen des Angeigneten <strong>an</strong> das eigene Wesen<br />
<strong>an</strong>.
„Identitäts-Baum“<br />
Wie die städtische Identität entsteht.<br />
Identitätsträger<br />
Verfügen über und<br />
geben als Identitätstifter weiter:<br />
1700<br />
1800<br />
1900<br />
Identitäres Wissen<br />
werden <strong>zu</strong>:<br />
Gegenst<strong>an</strong>d von:<br />
beruhen auf<br />
Aneignen:<br />
Fremdes kommt da<strong>zu</strong><br />
Identitätsempfänger<br />
Bezieht ein,<br />
richtet sich <strong>an</strong><br />
Identitärer Diskurs<br />
Identitätstrias<br />
Abb. 1: „Identitäts-Baum“, grafische Darstellung des identitären Prozesses<br />
21
22<br />
„Dekonstruktion“<br />
Wie Dekonstruktion wirkt.<br />
Identitätsträger<br />
1700<br />
1800<br />
1900<br />
Identitäres Wissen<br />
Selbstverständliches muss vermeintlich<br />
„aufgebrochen“ werden<br />
um Konflikte klarer <strong>an</strong>alysieren<br />
und klären <strong>zu</strong> können.<br />
Bestehende Ambivalenzen werden<br />
verstärkt. Aneignung<br />
wird schwierig.<br />
1<br />
3<br />
Identitätsträger können nur<br />
begrenzt o<strong>der</strong> nicht ausreichend<br />
als Identitätsstifter tätig werden.<br />
Durch das Wegfallen <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en<br />
Elemente, wird <strong>der</strong><br />
Identitäre Diskurs erschwert o<strong>der</strong><br />
unmöglich gemacht.<br />
2<br />
4<br />
Das „Eigene“ wird<br />
min<strong>der</strong>bewertet und verliert <strong>an</strong><br />
Bedeutung im Alltag.<br />
beruhen auf<br />
5<br />
Identitärer Diskurs<br />
Identitätstrias<br />
Identitätsempfänger<br />
Abb. 2: „Dekonstruktion“, grafische Darstellung des Dekonstruktionsprozesses
„Corporate Identity“<br />
CI und Identität.<br />
Identitätsträger<br />
1700<br />
1800<br />
1900<br />
An ökonomischen Gesichtspunkten<br />
orientiert. CI heißt übersetzt<br />
„Unternehmensidentität“.<br />
„Werbe-“ statt „Identitätsträger“.<br />
Praktiken, nicht die Werte sind<br />
entscheidend<br />
Identitäres Wissen<br />
beruhen auf<br />
Identitätsempfänger<br />
Identitärer Diskurs<br />
Mehrzweckinstrument <strong>zu</strong>r Erreichung<br />
eines authentischen<br />
„Images“ nach Innen und Außen,<br />
<strong>an</strong>statt Feststelltung<br />
von Nachvollziehbarkeit.<br />
Identitätstrias<br />
KUNDEN,<br />
VERBRAUCHER<br />
Abb. 3: „Corporate Identity und Identität“, grafische Darstellung des Einflusses<br />
von CI auf Identität<br />
23
24<br />
3.2 Identitätsfaktoren und Stadtpl<strong>an</strong>ung<br />
3.2.1 Gründe für die identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung<br />
Inwieweit die Identitätsfaktoren von <strong>der</strong> Stadtpl<strong>an</strong>ung aufgegriffen werden können,<br />
wird im folgenden Kapitel betrachtet. Zunächst ist es notwendig <strong>zu</strong> ermitteln, welcher<br />
Nutzen aus einer identitären Stadtpl<strong>an</strong>ung gewonnen werden k<strong>an</strong>n. Dies soll <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d einer<br />
Stärken-Schwächen-Ch<strong>an</strong>cen-Risiken-Analyse (SSCR) erfolgen, die ihre Ergebnisse<br />
aus dem Grundlagenteil ableitet.<br />
Stärken, die Ch<strong>an</strong>cen darstellen<br />
Durch eine identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung wird die Identität <strong>der</strong> Stadt gestärkt. Die<br />
Einzigar-tigkeit <strong>der</strong> Stadt wird für die Gegenwart und die nahe Zukunft herausgearbeitet<br />
und gewährleistet. Dadurch ist die Stadt im Wettbewerb <strong>zu</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en<br />
Städten deutlich unterscheidbarer. Dies ermöglicht eine klarere Positionierung.<br />
Die dargestellte Wirkung nach außen wird durch die Wirkung nach innen ergänzt,<br />
so dass die Identität <strong>der</strong> Stadt durch ein allgemeines Stadtbewusstsein<br />
ebenso gestärkt wird. Dies stützt sich auf das durch die kollektive Rahmenset<strong>zu</strong>ng<br />
ausgeprägte Solidaritätsbewusstsein in <strong>der</strong> Bür-gergemeinschaft. Ein<br />
mögliches Ergebnis ist das stärkere bürgerschaftliche Engagement in Vereinigungen,<br />
Bündnissen o<strong>der</strong> auf persönlicher Ebene. Zum einen Teil beruht das<br />
Engagement darauf, <strong>zu</strong>m <strong>an</strong><strong>der</strong>en Teil ist es für die Erzeugung ver<strong>an</strong>twortlich:<br />
die Zufriedenheit in <strong>der</strong> Stadt. Ein weiterer Grund für das erfahrbare bürgerliche<br />
Engagement in einer Stadt ist die Zufriedenheit. Diese Zufriedenheit<br />
k<strong>an</strong>n ein Ergebnis innerhalb <strong>der</strong> Bürgerschaft sein, die Druck vom „normalen“<br />
St<strong>an</strong>dortm<strong>an</strong>agement nimmt und das Potential steigert, das Einwohner etwas<br />
‚für die Stadt‘ schaffen wollen. Dieses Potential zahlt sich auch in Form einer<br />
„Botschafterfunktion“ <strong>der</strong> Einwohner aus. Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrer<br />
Stadt <strong>zu</strong>frieden sind und sich mit ihr verbunden fühlen, werden vermutlich<br />
auch außerhalb <strong>der</strong> Stadt entsprechend positiv über ihre „Heimat“ sprechen.<br />
Dies könnte d<strong>an</strong>n einen beson<strong>der</strong>s authentischen Beweis für die Vorzüglichkeit<br />
<strong>der</strong> Heimatstadt <strong>der</strong> Erzählenden für Auswärtige darstellen. Der nächste Punkt<br />
ist, dass Personen, die die Stadt, z.B. wegen <strong>der</strong> Arbeit o<strong>der</strong> einer Ausbildung<br />
verlassen mussten, aufgrund ihrer Verbundenheit und Sehnsucht nach Zuhause<br />
wie<strong>der</strong> <strong>zu</strong>rückkehren („…weil uns erst die Fremde zeigt, was wir in <strong>der</strong> Heimat<br />
besitzen“. Theodor Font<strong>an</strong>e). Dies bedeutet für das globale Ringen einer Stadt<br />
um Fachkräfte einen St<strong>an</strong>dortvorteil. Durch eine identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung k<strong>an</strong>n<br />
das kreative Potential <strong>der</strong> Bürgerinnen und Bürger gebündelt werden, da das<br />
„Eigene“ bewusst wird. Die gewonnenen und gebundenen Fachkräfte bringen<br />
ihre Fähigkeiten im Bereich des Ortes ein, dem sie sich <strong>zu</strong>gehörig fühlen. Identitäre<br />
Stadtpl<strong>an</strong>ung erhöht durch die Einbettung stadtpl<strong>an</strong>erischer Projekte in<br />
den identitären Diskurs die Identifikation <strong>der</strong> Bürger mit historischen Bauten<br />
und lokalen Geschichten und vertieft dadurch eventuell das Verständnis bei den<br />
Bürgern für Verg<strong>an</strong>genes, wie für das Neue. Das „Erbe“ ist ein Begriff, <strong>der</strong> deswegen<br />
in <strong>der</strong> identitäteren Stadtpl<strong>an</strong>ung eine wichtige Rolle spielt und durch<br />
seine Bedeutung über Verg<strong>an</strong>genheit-Gegenwart-Zukunft hinweg, mit <strong>der</strong> Bedeutung<br />
des Begriffs <strong>der</strong> Nachhaltigkeit nahe<strong>zu</strong> kongruent geht. ‚Nachhaltigkeit‘<br />
bedeutet die Ausgeglichenheit zwischen ökonomischen, ökologischen und<br />
sozialen Gesichtspunkten. Diese sind auch für den Erhalt und die Weitergabe
des Erbes unerlässlich.<br />
Schwächen, die Ch<strong>an</strong>cen darstellen<br />
Eine deutliche Schwäche <strong>der</strong> identitären Stadtpl<strong>an</strong>ung ist <strong>der</strong> hohe Aufw<strong>an</strong>d,<br />
<strong>der</strong> betrieben werden muss, um den identitären Diskurs auf<strong>zu</strong>greifen o<strong>der</strong> am<br />
Laufen <strong>zu</strong> halten. Es h<strong>an</strong>delt sich dabei um einen stetigen Prozess <strong>der</strong> Evaluationen<br />
und des Hinterfragens, <strong>der</strong> Kommunikation erfor<strong>der</strong>t. Dadurch, dass <strong>der</strong><br />
Prozess stetig ist, entstehen jedoch Strukturen, die für <strong>an</strong><strong>der</strong>e Projekte ebenso genutzt<br />
werden können. Netzwerke, eine klare Benennung von Identitätsträgern<br />
und die Erfassung von wichtigem identitä-ren Wissen bilden den Grundstock,<br />
auf den in neuen Projekten <strong>zu</strong>rückgriffen werden k<strong>an</strong>n. Hierfür ist es entscheidend,<br />
wichtige Gebäude und engagierte Menschen <strong>zu</strong> er-halten bzw. <strong>zu</strong> halten.<br />
Dies stellt in einem laufenden Projekt eine Herausfor<strong>der</strong>ung dar, da sich Rahmenbedingungen<br />
än<strong>der</strong>n können, die das Gebäude o<strong>der</strong> die Person bisher er-/<br />
gehalten haben. Werden diese Gebäude bzw. Personen gehalten, k<strong>an</strong>n dies längerfristig<br />
mögliche Synergieeffekte <strong>zu</strong>r Folge haben. Ein weiterer Punkt ist oft<br />
das irrationale H<strong>an</strong>deln, das notwendig erscheint. So sind traditionelle Lagerfeuer<br />
schlecht für die Umwelt, Vollsperrung wegen Prozessionen o<strong>der</strong> Umzügen<br />
legen den städtischen Verkehr lahm und erhöhter kollektiver Alkoholkonsum<br />
auf Volksfesten stellt ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für die Öffentlichkeit<br />
bzw. Gesundheitsrisiko <strong>der</strong> Konsumenten dar. Jedoch können diese Punkte<br />
einen wichtigen Beitrag <strong>zu</strong>r kollektiven Identität leisten und die Einzigartigkeit<br />
<strong>der</strong> Stadt erhöhen. Innerhalb <strong>der</strong> Stadt können auch Quartiere eine starke<br />
Eigenbindung entwickeln. Diese k<strong>an</strong>n soweit gehen, dass es <strong>zu</strong> Entfremdungen<br />
zwischen dem Quartier und <strong>der</strong> Gesamtstadt kommen k<strong>an</strong>n. Jedoch sind Quartiere<br />
mit starker Eigenbindung auch fähig, wichtige Impulsgeber für die Stadt<br />
<strong>zu</strong> sein, so dass <strong>an</strong> einer Stadtteil-/Quartiersbindung <strong>zu</strong>nächst nichts Schlechtes<br />
sein muss. Identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung setzt dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>, Fremdes <strong>an</strong><strong>zu</strong>eignen o<strong>der</strong><br />
im Wesen <strong>an</strong><strong>zu</strong>gleichen. Dieser Prozess k<strong>an</strong>n l<strong>an</strong>ge dauern, bis das Projekt im<br />
identitären Diskurs vollkommen akzeptiert wurde. Es ist jedoch davon aus<strong>zu</strong>gehen,<br />
dass diese Akzept<strong>an</strong>z d<strong>an</strong>n tiefgehen<strong>der</strong> und stabiler ist, als ein schnell<br />
genutztes aber l<strong>an</strong>gfristig wie<strong>der</strong> abgestoßenes Projekt. Marketingmaßnahmen<br />
sind notwendig, auch wenn sie <strong>der</strong> Identität wi<strong>der</strong>sprechen können. Als Instrument<br />
können sie jedoch auf die bestehenden Strukturen <strong>zu</strong>rückgreifen und<br />
dadurch einfacher wirken.<br />
Stärken, die Risiken darstellen<br />
Die identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung versetzt die Städte in die Lage, Bewohner im Ort<br />
halten <strong>zu</strong> können. Das k<strong>an</strong>n aber eine „Verkrustung <strong>der</strong> Strukturen“, also z.B.<br />
verschlossene o<strong>der</strong> unbewegliche Netzwerke, <strong>zu</strong>r Folge haben. Eine Eigenbindung,<br />
die <strong>zu</strong> stark ist, k<strong>an</strong>n die Etablierung von notwendigem Neuen behin<strong>der</strong>n.<br />
So k<strong>an</strong>n z.B. das Festhalten am Verkehrspolizisten, <strong>der</strong> den Verkehr regelt<br />
enorme verkehrliche Probleme <strong>zu</strong>r Folge haben, da <strong>der</strong> Verkehr <strong>an</strong> dieser Stelle<br />
schneller gewachsen ist, als <strong>der</strong> identitäre Diskurs hinterherkommen konnte.<br />
Das mit einer <strong>zu</strong> starken Eigenbindung verbundene Eigenbild ist evtl. nicht mit<br />
dem Fremdbild deckungsgleich. So k<strong>an</strong>n eine Stadt davon überzeugt sein, dass<br />
ihr ein Betonblumenkübel den Status einer Blumenstadt verleiht, wogegen Zu-<br />
25
26<br />
gereiste aber wi<strong>der</strong>sprechen würden.<br />
Schwächen, die ein Risiko darstellen<br />
Der Aufw<strong>an</strong>d, <strong>der</strong> betrieben werden muss, um den identitären Diskurs am Laufen<br />
<strong>zu</strong> halten, ist notwendigerweise sehr kostspielig und zeitaufwändig. Zudem<br />
ist <strong>der</strong> Gewinn meist nicht in direkten Geldbeträgen <strong>zu</strong> ermitteln, son<strong>der</strong>n nur<br />
in indirekten Werten, wie einer höheren Zufriedenheit o<strong>der</strong> einem steigenden<br />
Engagement erfahrbar. Eine <strong>zu</strong> starke Eigenbindung k<strong>an</strong>n den Blick auf strukturelle<br />
Probleme schwächen, da <strong>der</strong> iden-titäre Diskurs <strong>zu</strong> viel Raum einnimmt<br />
und das „normale“ St<strong>an</strong>dortm<strong>an</strong>agement ver-drängt. Da bei <strong>der</strong> Entstehung<br />
eines Selbstbewusstseins auch eine Min<strong>der</strong>bewertung des Fremden entstehen<br />
k<strong>an</strong>n, muss berücksichtigt werden, dass diese Min<strong>der</strong>bewertung <strong>zu</strong>r Abwertung<br />
entarten k<strong>an</strong>n und damit übertrieben wird. Dies schädigt den identitären<br />
Diskurs tiefgehend, da er sich <strong>zu</strong>nehmend auf sich bezieht und eine Abwertung<br />
traditionalisiert. Dies hätte vermutlich reduzierende Auswirkungen auf die Zufriedenheit<br />
innerhalb <strong>der</strong> städtischen Identität.<br />
3.2.2 Umg<strong>an</strong>g <strong>der</strong> Stadtpl<strong>an</strong>ung mit den Identitätsfaktoren<br />
Im Bereich <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> Identitätsfaktoren stellt sich die Frage, wie die Faktoren<br />
<strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dt werden und welche Methoden davon betroffen sein können. Die identitäre<br />
Stadtpl<strong>an</strong>ung greift die Identitätsfaktoren auf und baut sie in den üblichen Pl<strong>an</strong>ungsablauf<br />
<strong>an</strong> passen<strong>der</strong> Stelle (z.B. Erbe und Nachhaltigkeit) mit ein bzw. nimmt in den<br />
einzelnen Pl<strong>an</strong>ungsschritten Rücksicht auf die Faktoren. Die folgende Darstellung zeigt<br />
den idealtypischen identitären Anteil eines Pl<strong>an</strong>ungsablaufes. Dabei muss unterschieden<br />
werden, dass für unterschiedliche Projekte verschiedene Rahmen gelten. So liegt bei<br />
einem kleinen Projekt bei dem z.B. nur ein Einzelobjekt o<strong>der</strong> ein Quartier gepl<strong>an</strong>t werden<br />
müssen, <strong>der</strong> Fokus <strong>der</strong> Untersuchungen <strong>zu</strong>nächst auf <strong>der</strong> unmittelbaren Umgebung<br />
und <strong>an</strong>schließend auf <strong>der</strong>en Bedeutung <strong>zu</strong>r Gesamtstadt. Bei einem größeren Konzept<br />
wie z.B. einem städtebaulichen Entwicklungskonzept o<strong>der</strong> gesamtstädtischen Leitbild<br />
ist dem entsprechend die g<strong>an</strong>ze Stadt <strong>zu</strong> beachten und <strong>an</strong>schließend die Umgebung <strong>der</strong><br />
Stadt hin<strong>zu</strong><strong>zu</strong>ziehen. Dies soll eine isolierte Sicht auf das Projekt verhin<strong>der</strong>n und trotzdem<br />
eine hohe Detaillierung ermöglichen.<br />
Best<strong>an</strong>dsaufnahme<br />
Bei <strong>der</strong> Best<strong>an</strong>dsaufnahme ist die Identitätstrias <strong>der</strong> entscheidende Richtfaden,<br />
<strong>der</strong> berücksichtigt werden muss. Bei <strong>der</strong> Aufnahme <strong>der</strong> <strong>zu</strong> untersuchenden Objekte<br />
und Bedingungen ist die Verg<strong>an</strong>genheit, Gegenwart und Zukunft mit <strong>zu</strong><br />
betrachten. „Was war hier einmal? Was könnte davon noch da o<strong>der</strong> wenn nicht<br />
sichtbar von Bedeutung sein? Wie steht <strong>der</strong> gegenwärtige Zust<strong>an</strong>d <strong>zu</strong>r Identitätstrias?<br />
Welche Möglichkeit leitet sich davon ab o<strong>der</strong> ist möglich?“ könnten<br />
mögliche Fragen sein. Zur Best<strong>an</strong>dsaufnahme gehört auch, dass das Eigenbild<br />
von den betroffenen Bürgern und/o<strong>der</strong> Institutionen ermittelt wird. Dies gibt<br />
Hinweise auf identitäre Schwerpunkte. Da<strong>zu</strong> gehört auch, dass das Fremdbild<br />
aufgezeigt wird. Dieses k<strong>an</strong>n auch von den Betroffenen erfragt werden, um so<br />
<strong>zu</strong>r Reflexion <strong>an</strong><strong>zu</strong>regen. Beide Aspekte sind entscheidend um ein objektiveres,<br />
klareres Bild <strong>der</strong> Identität darstellen <strong>zu</strong> können.
Evaluation und Hinterfragung<br />
Ist die Best<strong>an</strong>dsaufnahme abgeschlossen, werden die erhobenen Daten evaluiert<br />
und bewertet. Dieser Teil des Vorg<strong>an</strong>gs ist mehrgliedrig. So sollte <strong>zu</strong>m einen<br />
eine SSCR-Analyse durchgeführt werden, um ein differenziertes Bild <strong>zu</strong><br />
erhalten, das entsprechend bewertet werden k<strong>an</strong>n. Im Folgenden werden die<br />
„Grundsätze für eine erfolgreiche Identitätspolitik“ von Weigl beachtet (vgl.<br />
Weigl 2010: 268ff). So ist es notwendig die vom Projekt betroffenen Identitätsträger<br />
fest<strong>zu</strong>stellen. Die Vereine, Fachpersonen o<strong>der</strong> Institutionen, die mit dem<br />
Prozess <strong>zu</strong> tun haben, müssen erfragt und gefunden werden. Außerdem ist <strong>zu</strong><br />
ermitteln welche Identitätsempfänger von dem Projekt beson<strong>der</strong>s <strong>an</strong>gesprochen<br />
werden. Aus dieser Ermittlung k<strong>an</strong>n abgleitet werden, ob ein Identitärer Diskurs<br />
stattfindet, wenn die Identitätsträger aktiv Kontakt mitein<strong>an</strong><strong>der</strong> pflegen<br />
und Identitäres Wissen unter dem Rahmen <strong>der</strong> Identitätstrias austauschen. An<br />
dieser Stelle ist entscheidend, ob sich die Identitätsträger ihrer Rolle bewusst<br />
sind und <strong>der</strong> identitäre Diskurs stattfindet - letztlich ob die Identitätsfaktoren<br />
erfüllt werden. Dadurch werden die Öffentlichkeit und die Betroffenen sensibilisiert,<br />
sowie die „Akteursvielfalt“ und „Arbeitsteilung“ in diesem Prozess<br />
verdeutlicht (vgl. ebd.: 268f). Im nächsten Schritt wird die „Relev<strong>an</strong>z“ und <strong>der</strong><br />
„Nutzen“ des Projekts ermittelt (vgl. ebd.: 268f). So k<strong>an</strong>n aus den vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen<br />
Analysen <strong>der</strong> Bedarf <strong>an</strong> Identitärem (z.B. „Um die kollektive Identität<br />
<strong>zu</strong> stärken bräuchte es hier das…“) o<strong>der</strong> Nut<strong>zu</strong>ngen (z.B. „Was wird könnte<br />
hier passen? Kaufhaus? Museum? Dienstleistungszentrum?) festgestellt werden.<br />
Dieser sollte deutlich <strong>zu</strong>r <strong>an</strong>schließenden Kommunikation aufbereitet werden.<br />
Ab diesem Arbeitsschritt sollte auch klar sein, welches identitäre Wissen<br />
durch das Projekt weitergegeben werden k<strong>an</strong>n (vgl. ebd.: 271). Dieses Element<br />
sorgt für eine sachliche Eingabe in den identitären Diskurs und stellt klar ‚was<br />
bei diesem Projekt auf dem Spiel steht‘. Als letzter Punkt wird geklärt, welche<br />
Emotionen mit dem Projekt und mit dem identitären Wissen <strong>zu</strong>sammenhängen<br />
o<strong>der</strong> geweckt werden können. Dieser Kenntnisst<strong>an</strong>d k<strong>an</strong>n ‚emotionale Rückkopplungen‘<br />
in möglichen, <strong>an</strong>stehenden Diskussionen von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> vermeiden<br />
o<strong>der</strong> positive Reaktionen in <strong>der</strong> Bevölkerung auslösen. Um die Identität <strong>zu</strong><br />
stärken muss „Das Kollektiv mit allen Sinnen...“ erlebbar sein (vgl. ebd.: 272).<br />
Einbinden des Projekts in den identitären Diskurs<br />
Ist die Evaluation abgeschlossen, müssen die erhobenen Daten und Ergebnisse<br />
verwendet und bereits aufgebaute Netzwerke verstärkt werden. Das heißt, dass<br />
<strong>der</strong> identitäre Diskurs aufgegriffen o<strong>der</strong> vor<strong>an</strong>getrieben werden muss. Hier<br />
bedarf es vor allem org<strong>an</strong>isatorischer (Bildung von Netzwerken, Vermittlung<br />
von Kontakten, Weitergabe von Ergebnissen,…) und mo<strong>der</strong>ieren<strong>der</strong> Methoden<br />
(Untersuchungsergebnisse in den Diskurs einfließen lassen, Treffen von Identitätsträgern<br />
mo<strong>der</strong>ieren, Öffentlichkeitsarbeit für Identitätsempfänger ausarbeiten,…).<br />
Wird <strong>der</strong> Diskurs durchgeführt, geht <strong>der</strong> Prozess in die nächste Stufe<br />
über.<br />
Nutzen und Bedeutung<br />
Diese Stufe konkretisiert den identitären Diskurs auf den Prozess hin. Der eigentliche<br />
Akt <strong>der</strong> Aush<strong>an</strong>dlung und Ermittlung von einer endgültigen Nut<strong>zu</strong>ng<br />
27
28<br />
und Bewertung des Projekts k<strong>an</strong>n festgestellt werden. Am Ende dieses Prozesses<br />
sollte für jeden Teil-nehmer klar sein, welche Rolle das Projekt im identitären<br />
Diskurs spielt und „Anerken-nung“ sowie „Notwendigkeit“ klar vermittelbar<br />
sein (vgl. ebd.: 272). Hier muss auch auf die „Aneignung“ des Projekts geachtet<br />
werden. K<strong>an</strong>n <strong>der</strong> Pl<strong>an</strong>ungsgegenst<strong>an</strong>d vom Wesen her <strong>an</strong>geglichen werden?<br />
Hier ist eventuell Überwachung notwendig. Das wird im nächsten Schritt ausführlicher<br />
beh<strong>an</strong>delt.<br />
Nachbereitung<br />
Im letzten Schritt wird <strong>der</strong> verg<strong>an</strong>gene Prozess rekapituliert und nachbereitet. Je<br />
nach Auftrag, k<strong>an</strong>n das Projekt weiter überwacht werden und <strong>der</strong> identitäre Diskurs<br />
damit „am Leben gehalten“ werden. Insbeson<strong>der</strong>e bei „fremden Elementen“,<br />
in denen eine Aneignung erfolgen soll, ist eine evtl. ausführlichere Überwachung<br />
notwendig. Es ist <strong>zu</strong> überwachen, ob es aus dem identitären Diskurs<br />
hinausgedrängt wird, wie es genutzt wird und ob mit dem Objekt Emotionen<br />
verbunden sind. Dadurch soll <strong>der</strong> vermutlich längere Prozess <strong>der</strong> Aneignung<br />
sichergestellt werden. Jedes neue Projekt muss sich in <strong>der</strong> Identität verwurzeln<br />
und hineinwachsen, so dass eine Überwachung „wie bei einer Pfl<strong>an</strong>ze“ notwendig<br />
erscheint.
4 <strong>Fallbeispiel</strong> <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bamberg</strong><br />
4.1 Projektbeschreibung<br />
Ver<strong>an</strong>twortliche, Lage und Oberziel<br />
Das <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong> ist ein Projekt in <strong>der</strong> Pl<strong>an</strong>ungsphase, das in <strong>der</strong> Kooperation<br />
<strong>der</strong> <strong>Bamberg</strong>er Sparkasse (als Eigentümer) und dem nie<strong>der</strong>ländischen Investor<br />
Multidevelopment (MD) in <strong>Bamberg</strong> durchgeführt wird. Das Pl<strong>an</strong>ungsgebiet liegt in<br />
einem Block, <strong>der</strong> im Norden von <strong>der</strong> Fr<strong>an</strong>z-Ludwig-Straße mit dem Zentralen Omnibusbahnhof<br />
(ZOB), im Osten von <strong>der</strong> Straße „Promenade“, im Süden durch die Einkaufs-<br />
und Verkehrsstraße „L<strong>an</strong>ge Straße“ und im Westen von <strong>der</strong> Keßlerstraße begrenzt wird.<br />
Das Gebiet ist durch die L<strong>an</strong>ge Straße, Promenade, Fr<strong>an</strong>z-Ludwig-Straße und die im<br />
Block befindliche Hellerstraße erschlossen. Gegenst<strong>an</strong>d des Projektes ist die Errichtung<br />
eines „Shopping Malls“ mit insgesamt „9.500 qm“ Einzelh<strong>an</strong>delsfläche und „2.300 qm<br />
für Büro- und Wohnnut<strong>zu</strong>ngen“ (Netzseite Multidevelopment), somit bedeutet dieses<br />
Projekt die Umgestaltung von insgesamt „ca. 12.000 qm“ (Stieringer 2011: 12). Das Objekt<br />
wurde vom Investor MB bereits im Jahre 2010 <strong>an</strong> die ebenfalls nie<strong>der</strong>ländische Immobilien<br />
AG Cório verkauft (Netzseite Erich Weiß Verlag 2012c) Das Projekt hat ein<br />
Investitionsvolumen von „ca. 45 Milllionen Euro“ (Netzseite InFr<strong>an</strong>ken – Elektronische<br />
Medien GmbH & Co. KG 2012c).<br />
Abb. 4: Pl<strong>an</strong>ungsbereich für das <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong> (Rosa Rahmen);<br />
Quelle <strong>der</strong> Kartengrundlage: © OpenStreetMap und Mitwirkende -<br />
www.openstreetmap.org, Linzenz: CC BY-SA - www.creativecommons.org<br />
29
30<br />
Abb. 5: <strong>Bamberg</strong> mit wichtigen, das Projekt betreffenden, St<strong>an</strong>dorten<br />
Quelle <strong>der</strong> Kartengrundlage: © OpenStreetMap und Mitwirkende -<br />
www.openstreetmap.org, Linzenz: CC BY-SA - www.creativecommons.org<br />
Legende<br />
Einkaufszonen, beson<strong>der</strong>e<br />
Bereiche<br />
I: Fußgängerzone und innerstädtische<br />
Einkaufszentren<br />
II: Gewerbegebiet<br />
Einkaufszentren<br />
A: Quartier <strong>an</strong> <strong>der</strong> Stadtmauer<br />
(gepl<strong>an</strong>t)<br />
B: Atrium<br />
C: market <strong>Bamberg</strong><br />
D: Ertl-Zentrum<br />
Gepl<strong>an</strong>tes Aussehen und gepl<strong>an</strong>te Nut<strong>zu</strong>ng<br />
Das gepl<strong>an</strong>te <strong>„Quartier</strong>“ soll die in <strong>der</strong> <strong>Bamberg</strong>er Innenstadt schon vorh<strong>an</strong>dene, „hohe<br />
Einkaufs- und Aufenthaltsqualität verbessern“ und eine neue Wegebeziehung erzeugen<br />
(Netzseite Multidevelopment). Als Nut<strong>zu</strong>ngsmöglichkeiten sind H<strong>an</strong>del, Wohnen, Büro<br />
und Gastronomie vorgesehen (Multidevelopment 2011: 18). Im Nut<strong>zu</strong>ngsbereich „H<strong>an</strong>del“<br />
sollen drei großflächige (bis 2.000 qm) „Ankermieter“ die notwendige ‚Anziehungskraft‘<br />
auf Kunden ausüben um das <strong>„Quartier</strong>“ mit <strong>der</strong> nötigen Frequenz <strong>an</strong> Besuchern<br />
aus<strong>zu</strong>statten (vgl. ICOMOS 2011: 4; Netzseite Erich Weiß Verlag 2012c). Die gebrauchte<br />
Frequenz soll auch durch eine entsprechende Durchwegung ermöglicht werden, die sich
im alten Projektnamen „Citypassage“ (Gottschall 2011: 6) verdeutlicht. Die Verbindung<br />
von <strong>der</strong> Fr<strong>an</strong>z-Ludwig-Straße, L<strong>an</strong>ge Straße und Hellerstraße soll gewährleistet und<br />
neu entst<strong>an</strong>dene Freiflächen in das Konzept mit einbezogen werden. In einem bis Oktober<br />
2011 von MD ausgerufenen Wettbewerb wurde <strong>an</strong> die Teilnehmer <strong>der</strong> Anspruch<br />
gestellt, dass „die gepl<strong>an</strong>ten Neubauten hinsichtlich Kubatur (Form) und Fassadenbild,<br />
einschließlich <strong>der</strong> Dachl<strong>an</strong>dschaft, optimal in die Baustrukturen <strong>der</strong> umgebenden <strong>Bamberg</strong>er<br />
Altstadt ein<strong>zu</strong>passen...“ sind (Stadtpl<strong>an</strong>ungsamt <strong>Bamberg</strong> 2011: 8).<br />
Projektverlauf und Kritik<br />
Bereits Anf<strong>an</strong>g <strong>der</strong> 80er Jahre des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts gab es für den Bereich erste Überlegungen,<br />
nachdem die Sparkasse 1970 die L<strong>an</strong>ge Straße 27 und 29 für einen Neubau abgerissen<br />
hatten. Die damalige Kreissparkasse <strong>Bamberg</strong> hatte die im Gebiet befindlichen<br />
Objekte erworben und den damaligen Überlegungen entsprechend einen neuen „Verkehrs<strong>zu</strong>g<strong>an</strong>g“<br />
umgesetzt und nötige „Raumreserven“ gesichert (vgl. Gottschall 2011: 6).<br />
Im Jahr 1997 wurde ein erstes „bauliche[s] Pl<strong>an</strong>ungskonzept“ erstellt, das eine ähnliche<br />
Nut<strong>zu</strong>ng wie heute vorsah (ebd.). Im Jahr 2002 nahm sich eine Monitoringgruppe des<br />
Nationalkomitees des Internationalen Rats für Denkmalpflege (ICOMOS) des Projektes<br />
<strong>an</strong> und fertigte eine Stellungnahme <strong>an</strong>, die das Bauvorhaben u.a. aufgrund des Abrisses<br />
von Baudenkmälern kritisierte (vgl. ICOMOS 2011: 3). Im Jahr 2003 wurde während<br />
einer Sondage die Zug<strong>an</strong>gstreppe <strong>zu</strong> einer Mikwe, einem jüdisch-rituellen Taufbad, entdeckt,<br />
woraufhin in diesem Gebiet weitere Reste jüdischer Gebäude nach 1422 n. Chr.<br />
vermutet wurden (ebd.). Im Februar 2005 reiste <strong>der</strong> Präsident von ICOMOS nach <strong>Bamberg</strong><br />
und wies auf dieses Potential hin, worauf <strong>der</strong> damalige Oberbürgermeister Herbert<br />
Lauer das Projekt beendete (vgl. ebd.). Mit dem neuen Investor MD wurde eine erneuter<br />
‚Anlauf“ unternommen. Mit diesem neuen Investor kam <strong>der</strong> neue Name <strong>„Quartier</strong><br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong>, neue Rahmenbedingungen für die Nut<strong>zu</strong>ng und – <strong>zu</strong>nächst – die<br />
Rücksichtnahme auf die Kritik <strong>an</strong> vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen Projekten (vgl. Stadtpl<strong>an</strong>ungsamt<br />
<strong>Bamberg</strong> 2011: 8; Gottschall 2011: 7). Der Ende 2011 stattgefundene Gestaltungswettbewerb<br />
wurde von dem Stuttgarter Architekturbüro MGF gewonnen, jedoch muss <strong>der</strong><br />
Pl<strong>an</strong> überarbeitet werden (Netzseite InFr<strong>an</strong>ken – Elektronische Medien GmbH & Co.<br />
KG 2012a, b; Netzseite Erich Weiß 2012b) Es besteht weiter Kritik <strong>zu</strong> dem Projekt die im<br />
Folgenden aufgezählt wird:<br />
1. Die Gestaltung des aktuellen Entwurfs wird kritisiert. Die bisherige<br />
Form passe nicht <strong>zu</strong>m Gebiet und bricht insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> L<strong>an</strong>gen<br />
Straße mit <strong>der</strong> umgebenden Bebauung (Netzseite Erich Weiß Verlag<br />
2012b)<br />
2. Es bestehen Zweifel, dass das gepl<strong>an</strong>te Angebot <strong>an</strong> Einzelh<strong>an</strong>del die Erwartungen<br />
erfüllt und die <strong>Bamberg</strong>er Innenstadt im Angebot bereichert,<br />
son<strong>der</strong>n sogar schadet (Netzseite InFr<strong>an</strong>ken – Elektronische Medien<br />
GmbH & Co. KG 2012c).<br />
3. Vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>gene „Bausünden“ wirken nach. So hat die Sparkasse durch<br />
den Abriss des Schützenhauses am Schönleinsplatz ca. 1950 und den<br />
Abriss des Palais von Karg von Bebenburg schon bei vielen Bürgern für<br />
negative Erinnerungen gesorgt (vgl. Dengler-Schreiber 2011: 16; Gottschall<br />
2011: 6). Weiterhin findet sich am R<strong>an</strong>d <strong>der</strong> Innenstadt das „Atrium“<br />
das ebenfalls ein Negativ-Beispiel - aufgrund hohen Leerst<strong>an</strong>des<br />
31
32<br />
- für Einkaufszentren in <strong>Bamberg</strong> darstellt und die „Theatergassen“,<br />
<strong>der</strong>en Zug<strong>an</strong>g ebenfalls in <strong>der</strong> L<strong>an</strong>gen Straße liegt und für dessen Bau<br />
auch eine alte Synagoge sowie historische Gebäude abgerissen wurden<br />
(vgl. Netzseite InFr<strong>an</strong>ken – Elektronische Medien GmbH & Co. KG d, c;<br />
Fachgespräch Gesprächspartner C). Der wirtschaftliche Erfolg <strong>der</strong> Theatergassen<br />
blieb <strong>zu</strong>dem auch aus, so dass es eine „zweite ‚Theatergasse‘<br />
<strong>zu</strong> vermeiden gilt (vgl. Stieringer 2011: 12)<br />
4. Das Abreißen von historisch bedeutsamer Bausubst<strong>an</strong>z ist nach den vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>gen<br />
‚Bausünden‘ im Fokus <strong>der</strong> Kritik. Zuviel denkmalgeschützte<br />
o<strong>der</strong> <strong>zu</strong>mindest denkmalwürdige Gebäude werden bei den aktuellen<br />
Pl<strong>an</strong>ungen abgerissen, <strong>der</strong> Umg<strong>an</strong>g mit den Resten <strong>der</strong> Mikwe wird für<br />
un<strong>zu</strong>reichend befunden und die namensgebenden Überreste <strong>der</strong> Stadtmauer<br />
aus dem 13. und 15. Jahrhun<strong>der</strong>t werden in den bisherigen Pl<strong>an</strong>ungen<br />
- den Befürchtungen nach - abgetragen (Schutzgemeinschaft Alt<br />
<strong>Bamberg</strong> e.V. et al 2011).<br />
5. Die Kritiker for<strong>der</strong>n daher eine „<strong>Bamberg</strong>er Lösung“, die von massiven<br />
Eingriffen absieht (ebd.).<br />
4.2 Abgleich des Projektes mit Identitätsfaktoren<br />
4.2.1 Ablauf des Abgleiches<br />
Der Abgleich wurde <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d einer Literaturrecherche und Interviews durchgeführt. Die<br />
Interviews wurden mit drei bürgerschaftlichen Vereinen geführt, die sich in <strong>der</strong> bisherigen<br />
medialen Diskussion bereits geäußert hatten. Auf Bitten eines Interviewpartners<br />
werden alle Namen <strong>an</strong>tonymisiert. Folgend wird von Gesprächspartner A, B und C gesprochen.<br />
4.2.2 Abgleich: Identitätsträger<br />
Das gepl<strong>an</strong>te Projekt betrifft mehrere bauliche Identitätsträger o<strong>der</strong> Ensembles. Zum<br />
einen wird das Straßenbild <strong>der</strong> L<strong>an</strong>gen Straße durch den Abriss des jetzigen Sparkassengebäudes<br />
und Neubaus massiv verän<strong>der</strong>t <strong>zu</strong>m <strong>an</strong><strong>der</strong>en wird durch den Abriss zahlreicher<br />
Gebäude, die denkmalgeschützt o<strong>der</strong> <strong>zu</strong>mindest denkmalwürdig sind, viel „Erbe“<br />
abgerissen (vgl. Dengler-Schreiber 2011: 17). Der geringe Bek<strong>an</strong>ntheitsgrad dieser<br />
Gebäude liegt <strong>an</strong> <strong>der</strong> rückwärtigen Lage und brachliegenden Zust<strong>an</strong>d (Fachgespräch<br />
Gesprächspartner A, B). Im Interview wurde den Identitätsträgern die Frage „Welche<br />
<strong>Bamberg</strong>er Institutionen sollten bei einem so gearteten Projekt selbstverständlich mit<br />
einbezogen werden?“ gestellt. Zusammenfassend wurden bürgerschaftliche Vereine,<br />
die Israelititsche Kultusgemeinde, städtische Einrichtungen und Org<strong>an</strong>isationen mit Be<strong>zu</strong>g<br />
<strong>zu</strong>m Denkmalschutz gen<strong>an</strong>nt. Bürgerschaftliche Vereine wären in diesem Fall <strong>der</strong><br />
Historische Verein <strong>Bamberg</strong>s e.V., Schutzgemeinschaft Alt <strong>Bamberg</strong> e.V., Bürgerverein<br />
Mitte, Heimatpfleger, Bewahrt die Bergstadt e.V., Freunde des Weltkulturerbes e.V. und<br />
das weniger bürgerschaftliche, son<strong>der</strong>n eher kommerziell ausgerichtete Stadtmarketing<br />
<strong>Bamberg</strong> e.V.. Als städtische Einrichtungen wären <strong>der</strong> Stadtrat, das Stadtpl<strong>an</strong>ungsamt,<br />
<strong>der</strong> Stadtgestaltungsbeirat und das Zentrum Welterbe <strong>Bamberg</strong> hin<strong>zu</strong><strong>zu</strong>ziehen. Als Org<strong>an</strong>isationen<br />
betreffend des Denkmalschutzes wurden ICOMOS und das L<strong>an</strong>desdenkmalrat<br />
Bayerns gen<strong>an</strong>nt. Bei allen Interviewpartner wurden Fachkundige gefor<strong>der</strong>t, die<br />
sich mit Projekt ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>setzen; außerdem sollte die Bürgerschaft entwe<strong>der</strong> in Form<br />
von Vereinen o<strong>der</strong> <strong>zu</strong>mindest die Anwohner hin<strong>zu</strong>gezogen werden.
4.2.3 Abgleich: Identitätsempfänger<br />
Obwohl von allen Interviewten dem Projekt Auswirkungen auf die Gesamtstadt <strong>zu</strong>gesprochen<br />
wurden, wird von den Gesprächspartner A und B das Interesse von Mitbürgern<br />
in den R<strong>an</strong>dlagen am Projekt in Frage gestellt. Ebendiese Gesprächspartner äußerten<br />
sich auch da<strong>zu</strong>, dass sie von sich aus nicht von dem Projekt erfahren und sich<br />
dafür interessiert hätten. Es ist daher davon aus<strong>zu</strong>gehen, dass das bepl<strong>an</strong>te Gebiet aufgrund<br />
<strong>der</strong> rückwärtigen Lage und brachliegenden Nut<strong>zu</strong>ng aus <strong>der</strong> städtischen Wahrnehmung<br />
heraustritt und erst mit Abriss und Neubau die volle Aufmerksamkeit <strong>der</strong><br />
Identitätsempfänger auf sich ziehen wird. Es ist jedoch fraglich, ob das Objekt d<strong>an</strong>n<br />
noch in <strong>der</strong> Lage ist Identitäres Wissen weiter <strong>zu</strong>geben.<br />
4.2.4 Abgleich: Identitäres Wissen<br />
Das Gelände ist reich <strong>an</strong> historischen Bauresten und ehemaligen Nut<strong>zu</strong>ngen. Zur L<strong>an</strong>gen<br />
Straße hin st<strong>an</strong>d das Bebenburger Palais, das 1970 durch den Neubau <strong>der</strong> Sparkasse<br />
ersetzt wurde (vgl. Dengler-Schreiber 2011: 17). Im da<strong>zu</strong>gehörigen Garten bef<strong>an</strong>d sich<br />
ein Gartenpavillon, <strong>der</strong> von E.T.A. Hoffm<strong>an</strong>n ausgemalt wurde (vgl. ebd.). Weiterer entscheiden<strong>der</strong><br />
Punkt für das Gebiet sind die Stadtmauerreste aus dem 13. und 15. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
die sich „genau im Zentrum des Areals“ treffen (vgl. ebd.). Ebenfalls von Bedeutung<br />
sind die Überreste jüdischer Besiedlung ab dem 15. Jahrhun<strong>der</strong>t, <strong>der</strong>en deutlichstes<br />
Zeichen die im Rückgebäude <strong>der</strong> Hellerstraße 13 ausgegrabene Mikwe darstellen dürfte<br />
(vgl. ebd.). Nach zwischenzeitlicher Vertreibung lebten ab 1556 bis 1942 wie<strong>der</strong> Juden<br />
in dem Gebiet (vgl. ebd.). Anf<strong>an</strong>g des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurde in einer in diesem Gebiet<br />
befindlichen Druckerei G. W. F. Hegels „Phänomenologie des Geistes“ <strong>zu</strong>m ersten Mal<br />
gedruckt (vgl. ebd.). Von den Interviewten wurde das Projekt in seiner jetzigen Fassung<br />
sehr kritisch betrachtet. Zwar wünschten sich alle eine Wie<strong>der</strong>nut<strong>zu</strong>ng des Gebietes,<br />
gerne auch mit mo<strong>der</strong>nen Elementen, jedoch mit mehr Rücksichtnahme auf das historische<br />
Erbe / Identitäres Wissen und die städtische Umgebung.<br />
4.2.5 Abgleich: Identitärer Diskurs<br />
Ob und wenn ja wie ein Identitärer Diskurs um dieses Projekt stattf<strong>an</strong>d, wurde mit <strong>der</strong><br />
Frage „Können Sie mir schil<strong>der</strong>n, ob und in welchem Ausmaß <strong>Bamberg</strong>er Bürger in die<br />
Pl<strong>an</strong>ung miteinbezogen wurden?“ nachgeg<strong>an</strong>gen. Auch hier gab es von allen Beteiligten<br />
ähnliche Antworten: Die Bürger mussten von sich auf die Projektträger <strong>zu</strong>gehen.<br />
Informationen liefen über „Medien, Leserbriefe und Berichterstattung“. Eine echte Beteiligung<br />
im Vorfeld <strong>der</strong> Pl<strong>an</strong>ung - „vollendete Tatsachen“ war ein Stichwort (Fachgespräch<br />
Gesprächspartner B) - gab es nicht, nur die gesetzlichen Vorschriften wurden<br />
eingehalten. Ein Identitärer Diskurs findet dadurch nur eingeschrängt statt.<br />
4.2.6 Abgleich: Identitätstrias<br />
Auf die Frage „Be<strong>zu</strong>g Verg<strong>an</strong>genheit-Gegenwart-Zukunft: Wie fügt sich das Projekt in<br />
die Geschichte <strong>Bamberg</strong>s ein?“ kam von allen Interviewpartner ein „Nicht“ bis „Gar<br />
nicht“. Die Architektur wurde als „08/15“-Architektur bezeichnet (Fachgespräch Gesprächspartner<br />
B) und würde mit dem bestehenden Erbe dem Motto „Kunst am Bau<br />
statt Baukunst“ (Fachgespräch Gesprächspartner A) entsprechend umgehen, die historische<br />
Subst<strong>an</strong>z wird nicht genutzt, son<strong>der</strong>n verkitscht. Gesprächspartner C sagte da<strong>zu</strong><br />
(sinngemäß) das „die Verg<strong>an</strong>genheit die in <strong>der</strong> Gegenwart noch besteht, mit in die Zu-<br />
33
34<br />
kunft genommen“ werden sollte, <strong>an</strong>statt eine völlige Än<strong>der</strong>ung durch<strong>zu</strong>führen.<br />
4.2.7 Abgleich: Aneignen<br />
Zunächst wurde hier gefragt ob das Projekt „bambergerisch“ ist. Auch Diese Frage wurde<br />
von allen drei Interviewpartnern verneint. Kommentiert wurde die Verneinung damit,<br />
das so ein „riesen Projekt nicht nach <strong>Bamberg</strong> passt“, es nur vom „Pfusch“ her bambergerisch<br />
wäre, wobei nicht ausgeschlossen wurde, dass es Projekte geben k<strong>an</strong>n, die als<br />
bambergerisch bezeichnet werden könnten. Auf die Frage ob das Projekt als „europäisch-deutsches“<br />
Projekt bezeichnet werden könnte, kamen unterschiedliche Antworten.<br />
Gesprächspartner A konnte sich da<strong>zu</strong> nicht äußern. Gesprächspartner B verneinte die<br />
Frage, und erklärte das Europa auf gemeinschaftliche Traditionen beruhe, die jedoch regional<br />
ausdifferenziert seien und m<strong>an</strong> keinen „Einheitsbrei inszenieren“ solle. Das Projekt<br />
könnte so überall sein. Shopping Center seien <strong>zu</strong>dem „kulturfremd“ und nur kurz<br />
von Bedeutung. Gesprächspartner C bejahte <strong>zu</strong>nächst die Frage, da Einkaufspassagen<br />
europäisch wären und das Pl<strong>an</strong>ungsteam europäisch gemischt sei. Nach einer kurzen<br />
Erläuterung des europäischen Städtebegriffes wie in Kapitel 2 meinte er sinngemäß, das<br />
es von <strong>der</strong> Herkunft weiter „europäisch-deutsch“ wäre, das Wesen aber nicht.<br />
Um das für die Aneignung wichtige Thema <strong>der</strong> Nutzbarkeit in die Arbeit auf<strong>zu</strong>nehmen,<br />
wurden mehrere Fragen gestellt. Zunächst wurde gefragt „Inwieweit wird die allgemeine<br />
Bürgerschaft den Bereich nutzen können?“ und <strong>an</strong>schließend wie sich die gepl<strong>an</strong>te<br />
Nut<strong>zu</strong>ng in die Umgebung einfügt. Diese Fragen wurden von allen Gesprächspartnern<br />
differenziert be<strong>an</strong>twortet. So wurde zwar prinzipiell <strong>zu</strong>gestimmt, jedoch zogen Gesprächspartner<br />
A und B die Theatergassen als Vergleich hin<strong>zu</strong>, blickten skeptisch auf<br />
die mögliche Entwicklung und bezweifelten, ob die Bürger das Gebiet wirklich nutzen<br />
könnten. Gesprächspartner C bestätigte eine Einfügung des Nutzens in das Gebiet und<br />
das diese auch von <strong>der</strong> Bürgerschaft voll genutzt werden könnten. Beim zweiten Teil<br />
dieser Frage „Was wäre nach Ihrer Auffassung wünschenswert?“ ähnelten sich die Äußerungen<br />
wie<strong>der</strong> stärker: mehr Wohnen, weniger Geschäfte, Eigentümer mit Be<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong><br />
ihrem Eigentum vor Ort, Kleinteiligkeit sowie eine „Belebung“ durch Gastronomie. Von<br />
Abb. 6: Gegenüberstellung: Linkes Bild: Foto <strong>der</strong> Sieger-Entwurfes-Animation,<br />
Blick von <strong>der</strong> L<strong>an</strong>gen Straße aus; Rechtes Bild: Blick auf das Kaufhaus Tyrol<br />
in Innsbruck<br />
Quelle: Linkes Bild: W.Krings; Rechtes Bild: eigenes Fotoarchiv
den übrigen Fragen abgleitet ist auch die Erlebbarkeit des historischen Erbes gefragt.<br />
35
36<br />
5 Zusammenfassung und Fazit<br />
Die Städte sind in ihrer Form verschieden, jedoch stellt in ihrer Geschichte die Stadt des<br />
europäischen Mittelalters eine wichtige Basis für politische Än<strong>der</strong>ungen dar, <strong>an</strong> <strong>der</strong>en<br />
Ende mehr Freiheit für den Zuziehenden stehen k<strong>an</strong>n. Diese Städte besitzen nicht einfach<br />
eine Identität, son<strong>der</strong>n bieten Identifikation <strong>an</strong>. Dabei kommt <strong>der</strong> erste Wi<strong>der</strong>spruch<br />
<strong>zu</strong>m Tragen: Das mehr <strong>an</strong> Freiheit in <strong>der</strong> Stadt, wird durch die Identität teilweise gefor<strong>der</strong>t,<br />
denn Identität bedeutet „Gleichheit, Übereinstimmung, Wesengleichheit“. Diese<br />
Identität wird durch Identitätsträger, es k<strong>an</strong>n sich dabei um gebaute Zeichen genauso<br />
wie engagierte Bürger h<strong>an</strong>deln, die in <strong>der</strong> Lage sind Identitäres Wissen weiter<strong>zu</strong>geben,<br />
<strong>an</strong>geboten. Dadurch werden sie <strong>zu</strong> Identitätsstiftern. Dieser Prozess <strong>der</strong> Weitergabe <strong>der</strong><br />
Identität k<strong>an</strong>n über einen längeren Zeitraum gehen, bis die Identität voll ausgeh<strong>an</strong>delt<br />
ist. Innerhalb dieses Zeitraums findet <strong>der</strong> identitäre Diskurs statt. Das identitäre Wissen<br />
in diesem Diskurs sind Riten, Bräuche und Wissen über die Geschichte z.B. über<br />
ein Bauwerk. Während des Diskurses ist <strong>der</strong> Identitäre Dreisatz <strong>zu</strong> beachten, <strong>der</strong> einen<br />
„Brückenschlag“ zwischen „Verg<strong>an</strong>genheit-Gegenwart-Zukunft“ darstellt. Durch diesen<br />
Aush<strong>an</strong>dlungsprozess entsteht das Selbstverständnis, das Diskursempfänger selektiv<br />
in ihre Identität einpassen.<br />
In dieser Arbeit wurde die „europäisch-deutsche Stadt“ beh<strong>an</strong>delt. Deutsch war sie im<br />
Sinne davon, dass die hier beschriebenen Untersuchungen nicht für eine <strong>an</strong><strong>der</strong>e z.B.<br />
fr<strong>an</strong>zösische o<strong>der</strong> polnische Stadt gelten müssen.<br />
Die „europäische Stadt“ dagegen ist ein Idealtyp <strong>der</strong> Dichte und die Ausrichtung auf<br />
das Zentrum als Kernelemente hat. Weiter wird er durch eine geringe sozialräumliche<br />
Trennung, Partizipation <strong>der</strong> Bürger, Einbindung in den nationalstaatlichen Wohlfahrtsstaat<br />
bei Beibehaltung „kommunaler H<strong>an</strong>dlungsspielräume“ bestimmt. Siebel und Häußerm<strong>an</strong>n<br />
betonen das vor allem Em<strong>an</strong>zipation und Differenz in <strong>der</strong> Großstadt, eine neue<br />
Kultur hervorbringen. Dabei entstehen jedoch gesellschaftliche Fliehkräfte und Integrationsprobleme,<br />
die ausgehalten o<strong>der</strong> eingebunden werden sollten. Eine Lösung dieser<br />
Probleme wird jedoch verneint.<br />
Dieser Wi<strong>der</strong>spruch führt <strong>zu</strong>r Dekonstruktion. Die Dekonstruktion erschwert den Identitären<br />
Diskurs durch eine För<strong>der</strong>ung von Ambivalenzen innerhalb <strong>der</strong> Stadtbevölkerung.<br />
Dadurch werden die Selbstverständlichkeiten für den Selbstvergewisserungsprozess<br />
als nicht relev<strong>an</strong>t bewertet, wodurch eine Weitergabe von identitärem Wissen<br />
unterbleibt und keine Idenitäts<strong>an</strong>gebote gemacht werden. Dadurch wird die traditionelle,<br />
kulturelle Identität erst Teil mehrerer Identitäten und verschwindet d<strong>an</strong>n vollends.<br />
Bauliche Identitätsträger werden unter solchen Umständen leichter abgewertet und<br />
dem Abriss übergeben. Geschieht das, k<strong>an</strong>n eine Rekonstruktion die Folge sein.<br />
Rekonstruktion bezeichnet die teilweise o<strong>der</strong> g<strong>an</strong>ze Wie<strong>der</strong>herstellung von Gebäuden.<br />
Dadurch sollen Lücken geschlossen werden und <strong>der</strong> Anschluss <strong>an</strong> ‚Hochzeiten‘ <strong>der</strong> europäischen<br />
Stadt gesucht werden. Neben dieser Anknüpfung k<strong>an</strong>n Rekonstruktion aber<br />
auch die Abwertung echter Denkmäler <strong>zu</strong>r Folge haben.<br />
CI lässt sich als Mehrzweckinstrument bezeichnen, das sich <strong>an</strong> ökonomischen Gesichtspunkten<br />
orientiert und <strong>zu</strong> Herstellungen eines möglich authentischen ‚Image‘ geeignet<br />
ist. Es ist jedoch nicht mit <strong>der</strong> kulturellen Identität <strong>zu</strong> verwechseln, da es eben ‚nur‘ ein
Bild <strong>der</strong> eigentlichen kulturellen Identität liefert.<br />
Wird die Identität zwischen CI und <strong>der</strong> Dekonstruktion betrachtet, muss in Deutschl<strong>an</strong>d<br />
noch ein spezieller schwieriger Sozialisations<strong>an</strong>satz berücksichtigt werden, <strong>der</strong> es<br />
erschwert eine normale Bindung <strong>zu</strong> seiner eigenen nationalen kollektiven Identität <strong>zu</strong><br />
entwickeln. Diese negative Grundlage auf nationaler Ebene wirkt sich bis auf die Städte<br />
aus. Dadurch hat es die Dekonstruktion einfach <strong>zu</strong> wirken und die CI bietet sich als<br />
scheinbar passen<strong>der</strong> Ersatz <strong>an</strong>, jedoch k<strong>an</strong>n die CI nicht die „echte, tiefe, wesenhafte<br />
Kultur“ (Häußerm<strong>an</strong>n, Siebel 2004: 28) ersetzen. Das nach einem Verlust von Identität<br />
ein l<strong>an</strong>ger Prozess benötigt wird, um wie<strong>der</strong> eine starke Identität <strong>zu</strong> formen ist <strong>an</strong><strong>zu</strong>nehmen<br />
und daher traditionelle Identitäten und Kulturen nicht leichtfertig auf<strong>zu</strong>geben.<br />
Denn was verloren geht ist u.a. die mit einer starken Identität <strong>zu</strong>sammenhängende Zufriedenheit<br />
und ein Vorteil im Konkurrenzkampf zwischen den Städten. Welche Stadtpl<strong>an</strong>ung<br />
wird für diese Identität gebraucht?<br />
Identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung besteht aus den Faktoren: Identitäres Wissen, Identitätsträger,<br />
Identitätsempfänger, Identitätstrias, Identitärer Diskurs und <strong>zu</strong>letzt dem Aneignen. Ziel<br />
<strong>der</strong> identitären Stadtpl<strong>an</strong>ung ist es, die Identitätsträger <strong>zu</strong> finden um den identitären<br />
Diskurs auf<strong>zu</strong>greifen o<strong>der</strong> <strong>zu</strong> initiieren, um die Gemeinschaft von Identitätsempfängern<br />
<strong>zu</strong> erreichen. Dafür ist beson<strong>der</strong>s wichtig, dass relev<strong>an</strong>tes Identitäres Wissen ermittelt<br />
und in den Identitären Dreisatz eingefügt wird. Fremdes o<strong>der</strong> Neues wird durch Aneignung,<br />
also durch Angleichung des Wesens, <strong>zu</strong>r eigenen Identität aufgenommen. Identität<br />
und Kultur stehen damit einer Entwicklung nicht im Weg, son<strong>der</strong>n setzen sie in einen<br />
Rahmen.<br />
Werden diese Faktoren mit dem Projekt <strong>„Quartier</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadtmauer“</strong> verglichen k<strong>an</strong>n<br />
gesagt werden, das dieses Projekt die Identitätskritieren nicht erfüllt. Obwohl im Ort<br />
zahlreiche Identitätsträger vorh<strong>an</strong>den sind, die sogar Kontakt <strong>zu</strong>ein<strong>an</strong><strong>der</strong> halten, findet<br />
kein ausreichen<strong>der</strong> Identitärer Diskurs mit Be<strong>zu</strong>g auf das Projekt statt. Im Interview<br />
ergibt sich das Bild, dass die städtischen Institutionen ihre wichtige Rolle bei <strong>der</strong> Weitergabe<br />
von Identität durch Tun und Rede nicht voll nachkommen können. Es wird dadurch<br />
möglicherweise die Ch<strong>an</strong>ce vergeben, die starke Identität, wie das eigenständige<br />
H<strong>an</strong>deln <strong>der</strong> Vereine beweist, voll nutzen <strong>zu</strong> können. Weiterhin wurde durch die Befragung<br />
ermittelt, dass das Projekt nicht in den Identitären Dreisatz passt. Da es nicht ausreichend<br />
auf die Verg<strong>an</strong>genheit Rücksicht nimmt, die gegenwärtigen Ansprüche nicht<br />
erfüllt und für die Zukunft keine beson<strong>der</strong>en Antworten geben k<strong>an</strong>n, auch weil es die<br />
vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen Elemente nicht genügend würdigt. Deutlich wird das auch bei dem<br />
Umg<strong>an</strong>g mit dem identitären Wissen. Die Projektver<strong>an</strong>twortlichen nehmen <strong>der</strong> Kritik<br />
nach <strong>zu</strong> urteilen, nicht ausreichend Rücksicht auf das Erbe vor Ort und <strong>der</strong> Gesamtstadt.<br />
Die Ch<strong>an</strong>ce, dass das so umgesetzte Projekt <strong>an</strong>geeignet wird, ist fraglich. Zwar wird die<br />
Nut<strong>zu</strong>ng als Kaufhaus eine allgemeine Akzept<strong>an</strong>z nach sich ziehen, ob das Objekt aber<br />
umfassend <strong>an</strong>geeignet wird, bleibt fraglich. Bei den Interviewpartnern war <strong>zu</strong>dem ein<br />
differenziertes Fremd- und Eigenbild fest<strong>zu</strong>stellen, weswegen diese fehlende Akzept<strong>an</strong>z<br />
nicht auf ein ‚verbohrtes’ Selbstbild beruhen k<strong>an</strong>n.<br />
Abgeleitet von dem <strong>Fallbeispiel</strong> und den vorhergehenden Analysen ist es möglich,<br />
durch identitäre Stadtpl<strong>an</strong>ung o<strong>der</strong> durch die Berücksichtigung von Identitätsfaktoren<br />
in normalen Pl<strong>an</strong>ungsabläufen die vorh<strong>an</strong>dene Identität <strong>zu</strong> stärken o<strong>der</strong> <strong>zu</strong>mindest<br />
in das Projekt mit ein<strong>zu</strong>beziehen. Dadurch k<strong>an</strong>n eine l<strong>an</strong>gfristige Akzept<strong>an</strong>z erreicht<br />
werden ohne spezielle Marketingmaßnahmen nutzen <strong>zu</strong> müssen. Zudem k<strong>an</strong>n auf die<br />
37
38<br />
durch den identitären Diskurs lebendigen Netzwerke <strong>zu</strong>rückgegriffen werden, was die<br />
Durchführung von Bürgerbeteiligung, partizipativen Maßnahmen und Informationsweitergabe<br />
erleichtern k<strong>an</strong>n. Diese Erleichterung k<strong>an</strong>n nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass trotzdem die Erhaltung des Diskurses und die Aktivierung von Identitätsträgern<br />
auch von Aufw<strong>an</strong>d geprägt sind. Dieser k<strong>an</strong>n als Qualitätssicherung von Stadtbild und<br />
Stadtbewusstsein <strong>an</strong>gesehen werden, was wie<strong>der</strong>um eine entsprechend positive und<br />
selbstverständliche Lebensqualität <strong>zu</strong>r Folge haben k<strong>an</strong>n. Jede identitäre Maßnahme<br />
(von <strong>der</strong> Stadtführung bis <strong>zu</strong>m neugebauten Quartier) leistet einen Beitrag <strong>zu</strong> dieser<br />
Lebensqualität, <strong>zu</strong>m G<strong>an</strong>zen und wird deswegen in einem funktionierenden Diskurs<br />
auch gewürdigt. In einem identitären Diskurs stecken daher auch die Grundlagen für<br />
zahlreiche Synergieeffekte. Die Stadtpl<strong>an</strong>ung zieht also daraus einen direkten Nutzen.<br />
Allerdings entstehen daraus neue Fragenkomplexe. So besteht die Frage, wie die Identität<br />
mit <strong>der</strong> Eigenlogik <strong>der</strong> Städte, wie sie von Martina Löw u.a. in dem 2008 erschienenen<br />
Buch „Die Eigenlogik <strong>der</strong> Städte. Neue Wege für die Stadtforschung“ beh<strong>an</strong>delt wird,<br />
<strong>zu</strong>sammengeht o<strong>der</strong> von dieser abhängt. Weiter stellt sich die Frage wie die Identitätsfaktoren<br />
weiter vertieft werden können, um sie genauer <strong>zu</strong> bestimmen. Zudem ist <strong>der</strong><br />
nationale Unterschied in den europäischen Städten weiter <strong>zu</strong> untersuchen. Außerdem<br />
bleibt auch noch die Frage, in welchem Ausmaß m<strong>an</strong> den identitären Diskurs institutionalisieren<br />
könnte, ohne das er den Be<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>r Lebenswirklichkeit verliert.<br />
Im Rückschluss <strong>zu</strong>r Einleitung k<strong>an</strong>n festgestellt werden, dass „Identität“ und „lokale<br />
Zugehörigkeit“ ebenso wie Abstammung (Benjamin R. Barber sprach von „Blut“.) weiterhin<br />
eine nicht <strong>zu</strong> unterschätzende Rolle spielen werden, auch wenn <strong>der</strong> globale Trend<br />
scheinbar <strong>zu</strong>r Einschmel<strong>zu</strong>ng aller Eigenart geht. Eine eingeschmolzene, entgrenzte<br />
Welt, in <strong>der</strong> Städte <strong>zu</strong> größeren Aufbewahrungsmaschinerien für eine durch Ambivalenzen,<br />
je<strong>der</strong> erkennbaren Tiefe beraubten, menschlichen Verfügungsmasse werden.<br />
Der Umg<strong>an</strong>g mit nationaler, regionaler und städtischer Identität muss nicht zwischen<br />
begriffsstutziger Provinzialität und „Ortlosigkeit“, die mit Weltoffenheit verwechselt<br />
wird, schw<strong>an</strong>ken, son<strong>der</strong>n k<strong>an</strong>n ebenfalls Teil eines identitären Diskurses sein (vgl. Böckelm<strong>an</strong>n<br />
1998: 453). Je<strong>der</strong> Baum steht wie die verortbare Identität einer Stadt <strong>an</strong> einem<br />
Ort, <strong>an</strong> dem er verwurzelt ist und sich die Bedingungen, unter denen er dort wächst,<br />
nicht aussuchen, son<strong>der</strong>n sich ihnen nur <strong>an</strong>passen k<strong>an</strong>n. Möchte er weiter wachsen, so<br />
müssen auch seine Wurzeln tiefer gehen „...erdwärts, abwärts, ins Dunkle, Tiefe...“ aber<br />
nicht zwinger<strong>der</strong>maßen „...ins Böse“, wie Nietzsche meinte (vgl. Netzseite Contumax<br />
GmbH & Co. KG 2012b).
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Dengler-Schreiber, Karin 2011: Ein Stadtquartier als Geschichtsdokument, in: Bürgerverein<br />
<strong>Bamberg</strong> Mitte e.V. (Hg.): Inselrundschau, September 2011, <strong>Bamberg</strong>, verfüg-bar:<br />
(Zugriff: 11.04.2012)<br />
Gottschall, Konrad 2011: Das Quartier <strong>an</strong> <strong>der</strong> Stadtmauer aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Sparkasse<br />
<strong>Bamberg</strong>, in: Bürgerverein <strong>Bamberg</strong> Mitte e.V. (Hg.): Inselrundschau, September 2011,<br />
<strong>Bamberg</strong>, verfügbar:<br />
(Zugriff: 11.04.2012)<br />
Erich Weiß Verlag (Hg.) 2012a: Händler, Jörg: Verraten wir unser Erbe? <strong>Bamberg</strong>,<br />
verfügbar:
42<br />
unser-erbe/> (Zugriff: 04.04.2012)<br />
Erich Weiß Verlag (Hg.) 2012b: Hartleitner, Christi<strong>an</strong>e: Quartier <strong>an</strong> <strong>der</strong> „Ph<strong>an</strong>tasiemauer“,<br />
<strong>Bamberg</strong>, verfügbar: (Zugriff: 04.04.2012)<br />
Erich Weiß Verlag (Hg.) 2012c: Hartleitner, Christi<strong>an</strong>e: Ein Blick in die Zukunft<br />
des Quartiers <strong>an</strong> <strong>der</strong> Stadtmauer?, <strong>Bamberg</strong>, verfügbar: <br />
(Zugriff: 04.04.2012)<br />
ICOMOS - Internationaler Rat für Denkmalpflege 2011: Keine unwi<strong>der</strong>ruflichen Tatsachen<br />
schaffen, in: Bürgerverein <strong>Bamberg</strong> Mitte e.V. (Hg.): Inselrundschau, September<br />
2011, <strong>Bamberg</strong>, verfügbar:<br />
(Zugriff: 11.04.2012)<br />
InFr<strong>an</strong>ken – Elektronische Medien GmbH & Co. KG (Hg.) 2011: Michael Wehner:<br />
<strong>Bamberg</strong>s unsterbliche Passage, verfügbar: (Zugriff:<br />
22.06.2012)<br />
InFr<strong>an</strong>ken – Elektronische Medien GmbH & Co. KG (Hg.) 2012a: Marion Krüger-<br />
Hundrup : Richtige Spur für sensibles Gebiet, verfügbar: <br />
(Zugriff: 22.06.2012)<br />
InFr<strong>an</strong>ken – Elektronische Medien GmbH & Co. KG (Hg.) 2012b: Gertrud Glössner-<br />
Möschk: Läutet schon das Totenglöcklein für die Passage?“, verfügbar: <br />
(Zugriff: 22.06.2012)<br />
InFr<strong>an</strong>ken – Elektronische Medien GmbH & Co. KG (Hg.) 2012b: Jutta Behr-Groh<br />
: Hoffnung für das <strong>Bamberg</strong>er Atrium?, verfügbar: <br />
(Zugriff: 22.06.2012)<br />
Multi Development 2011: Quartier <strong>an</strong> <strong>der</strong> Stadtmauer. Eine Entwicklung und Geschichte<br />
mit o<strong>der</strong> ohne Ende. Was ist <strong>zu</strong> erwarten?, in: Bürgerverein <strong>Bamberg</strong> Mitte e.V. (Hg.):<br />
Inselrundschau, September 2011, <strong>Bamberg</strong>, verfügbar:<br />
(Zugriff: 11.04.2012)<br />
Multi Development (Hg.) 2012: Quartier <strong>an</strong> <strong>der</strong> Stadtmauer, (Zugriff: 05.07.2012)<br />
Siebel, Walter 2010: Die Zukunft <strong>der</strong> Städte, in: bpb – Bundeszentrale für politische<br />
Bildung (Hg.) 2010: Aus Politik und Zeitgeschichte, Stadtentwicklung, verfügbar:<br />
< http://www.bpb.de/system/files/pdf/U8HQVX.pdf> (Zugriff: 12.05.2012).
Stieringer, Klaus 2011: Citypassage?! Im Prinzip ja..., in: Bürgerverein <strong>Bamberg</strong> Mitte e.V.<br />
(Hg.): Inselrundschau, September 2011, <strong>Bamberg</strong>, verfügbar:<br />
(Zugriff: 11.04.2012)<br />
Stadtpl<strong>an</strong>ungsamt <strong>Bamberg</strong> 2011: Gestaltungswettbewerb. Gesucht wird die beste<br />
Lösung für das Weltkulturerbe, in: Bürgerverein <strong>Bamberg</strong> Mitte e.V. (Hg.): Inselrundschau,<br />
September 2011, <strong>Bamberg</strong>, verfügbar:<br />
(Zugriff: 11.04.2012)<br />
Schutzgemeinschaft Alt <strong>Bamberg</strong> e.V.; Historischer Verein <strong>Bamberg</strong> e.V.; Steinhorst,<br />
H<strong>an</strong>ns; Arnetzl, Ekkehard; Bewahrt die Bergstadt e.V.; Freunde des Weltkulturerbes<br />
<strong>Bamberg</strong> e.V. 2011: Weltkulturerbe als Qualitätsmaßstab, in: Bürgerverein <strong>Bamberg</strong> Mitte<br />
e.V. (Hg.): Inselrundschau, September 2011, <strong>Bamberg</strong>, verfügbar:<br />
(Zugriff: 11.04.2012)<br />
taz.de (Hg.) 2007: Uwe Rada: Andrej H. heißt wie<strong>der</strong> Holm, (Zugriff: 04.07.2012)<br />
UN HABITAT United Nations Hum<strong>an</strong> Settlements Programme (Hg.) 2011: Cities<br />
<strong>an</strong>d Climate Ch<strong>an</strong>ge. Global report on hum<strong>an</strong> settlements 2011, London und<br />
Washington, verfügbar: <br />
Zeit Online GmbH (Hg.) 2007: Schwentker, Björn: „Das Ende <strong>der</strong> kritischen Wissenschaft“,<br />
verfügbar: <br />
(Zugriff: 22.06.2012)<br />
Fachgespräche<br />
Gesprächspartner A, <strong>Bamberg</strong>, am 19.06.2012<br />
Gesprächspartner B, <strong>Bamberg</strong>, am 20.06.2012<br />
Gesprächspartner C, <strong>Bamberg</strong>, am 20.06.2012<br />
43
44<br />
7 Anh<strong>an</strong>g<br />
7.1 Verwendeter Gesprächsleitfaden<br />
7.2 Weber und Häußerm<strong>an</strong>n
7.1 Verwendeter Gesprächsleitfaden<br />
K<strong>an</strong>n als Musterbogen verwendet werden.<br />
Gesprächsleitfaden<br />
Datum: _______________ Name:______________________________<br />
Gesprächspartner-Nr.:____ (Darf veröffentlicht werden: o ja o nein)<br />
1. Vorstellung des Themas (Identität <strong>der</strong> Stadt, Dekonstruktion, CI, Id. Stadtpl<strong>an</strong>ung,<br />
Quartier <strong>an</strong> <strong>der</strong> Stadtmauer)<br />
2. Gespräch bzw. Befragung<br />
2.1 a) Wie sehen Sie ihre Stadt b) Und wie sehen Auswärtige <strong>Bamberg</strong>? _________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_______________<br />
2.2 Was bedeutet das Quartier <strong>an</strong> <strong>der</strong> Stadtmauer für Sie? (Ärgernis, Ch<strong>an</strong>-ce,...)<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_________________________________________________<br />
2.3 Können Sie mir schil<strong>der</strong>n ob und in welchem Ausmaß <strong>Bamberg</strong>er Bürger in die<br />
Pl<strong>an</strong>ung miteinbezogen wurden?<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
__________________________________________<br />
2.4 Inwieweit wird die allgemeine Bürgerschaft den Bereich nutzen können?<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_______________<br />
2.5 a) Wie fügt sich die in <strong>der</strong> letzten Frage die thematisierte Nut<strong>zu</strong>ng in die<br />
unmittelbare Umgebung ein? b) Was wäre nach Ihrer Auffassung wün-schenswert?<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_______________<br />
45
46<br />
2.6 Welche Wirkungen hat das Projekt auf g<strong>an</strong>z <strong>Bamberg</strong>?<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_______________<br />
2.7 Be<strong>zu</strong>g Verg<strong>an</strong>genheit-Gegenwart-Zukunft: Wie fügt sich das Projekt in die<br />
Geschichte <strong>Bamberg</strong>s ein?<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_______________<br />
2.8 Ist dieses Projekt „bambergerisch“? (kurz)<br />
____________________________________________________________<br />
2.9 K<strong>an</strong>n dieses Projekt als ‚europäisch-deutsch’ bezeichnet werden? (kurz)<br />
____________________________________________________________<br />
2.10 Welche <strong>Bamberg</strong>er Institutionen sollten bei einem so gearteten Projekt<br />
selbstverständlich mit einbezogen werden?<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
__________________________________________<br />
3 Frei:<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
_____________________________________________________________________<br />
________________________<br />
Vielen D<strong>an</strong>k für das Gespräch!
7.2 Weber und Häußerm<strong>an</strong>n<br />
Ausführliche Gegenüberstellung <strong>der</strong> Aussagen von Max Weber und Hartmut<br />
Häußerm<strong>an</strong>n.<br />
„... Hier ist auf den von Häußerm<strong>an</strong>n häufig zitierten Max Weber <strong>zu</strong> verweisen, <strong>der</strong> 1908<br />
in dem Aufsatz „Sozialdemokraten im akademischen Lehramt“ die Position vertrat,<br />
dass Universitäten keine Welt<strong>an</strong>schauungen lehren könnten und das Lernenden nicht<br />
„die persönlichen Ideale ihrer Lehrer, etwa <strong>der</strong>en politische Meinungen (sie seien nun<br />
‚radikal‘, nach rechts o<strong>der</strong> links, o<strong>der</strong> „gemäßigt“) als ‚Wissenschaft‘“ ‚aufgetischt‘<br />
bekommen...“ (vgl. Weber 1908: 45, zitiert nach: Dreijm<strong>an</strong>is 2012: 81). Weiter heißt es im<br />
Zeit-Interview: „ZEIT online: Läge die Staats<strong>an</strong>waltschaft denn so sehr d<strong>an</strong>eben, wenn sie<br />
die Soziologie für eine Wissenschaft links denken<strong>der</strong> Intellektueller hielte? Häußerm<strong>an</strong>n:<br />
Die Soziologie ist eine aufklärerische Wissenschaft. Sie will die herrschenden Verhältnisse<br />
kritisieren, Ungleichheiten aufzeigen, und sich für gleiche Lebensch<strong>an</strong>cen und für<br />
Fairness einsetzen. Da wird die Soziologie schon auch politisch konkret: Eine Praxis, die<br />
nicht <strong>der</strong> Herstellung von Ch<strong>an</strong>cengleichheit dient, son<strong>der</strong>n die Ungleichheit vergrößert,<br />
wird kritisiert. Das betrachten wir als Teil unserer wissenschaftlichen Arbeit.“ (Netzseite<br />
„Zeit online“). Da<strong>zu</strong> schreibt Max Weber <strong>an</strong> gleicher Stelle: „Es wäre ein ebensolcher<br />
<strong>an</strong>maßlicher Unfug, wenn ein Universitätslehrer sich unterf<strong>an</strong>gen würde, z.B. die<br />
‚Berechtigung‘ irgendwelcher sozialer For<strong>der</strong>ungen <strong>zu</strong> ‚beweisen‘, wie wenn er ihre<br />
‚Nichtberechtigung‘ mit den Mitteln <strong>der</strong> Wissenschaft ‚nachweisen‘ wolle.‘“ (Weber<br />
1908: 45, zitiert nach: Dreijm<strong>an</strong>is 2012: 82). ...“<br />
47
48<br />
Impressum<br />
Erstellt im Mai, Juni, Juli und August 2012<br />
Gestaltung: Korbini<strong>an</strong> Kundmüller.<br />
Bei <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Grafiken kamen Vector-Grafiken<br />
von www.all-silhouettes.com <strong>zu</strong>m Einsatz.<br />
Schriftart: Palatino, News Gothic MT<br />
Programme: Adobe Illustrator, Adobe InDesign,<br />
Microsoft Word